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G20-Gipfel in Argentinien: Staats- und Regierungschefs debattieren über die Wirtschaft der Zukunft | Hintergrund aktuell | bpb.de

G20-Gipfel in Argentinien: Staats- und Regierungschefs debattieren über die Wirtschaft der Zukunft

Redaktion

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Am 30. November und 1. Dezember treffen sich die Staats- und Regierungschefs der neunzehn wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie der EU zum G20-Gipfel in Buenos Aires. Dabei leidet das Land unter einer schweren Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit sind hoch, immer wieder kommt es zu schweren Protesten gegen die Regierung.

Argentinien trägt dieses Treffen der Staats- und Regierungschefs der G20 aus und hat den Vorsitz, als erstes lateinamerikanisches Land überhaupt. (© picture-alliance, ZUMA Press)

Zwei Tage lang werden die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten 20 Industrie- und Schwellenländer in Buenos Aires über drängende politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Fragen diskutieren.

Das G20-Treffen findet während einer schweren Wirtschaftskrise in Argentinien statt. Nach Angaben des argentinischen Statistikamts hat das Land mit einer hohen Inflation zu kämpfen. So stiegen die Verbraucherpreise innerhalb eines Jahres im Oktober um 45,9 Prozent. Daneben hat das Land mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen, sie lag im Oktober 2018 bei 9,6 Prozent. Hinzu kommt, dass immer mehr Argentinier unter die Armutsgrenze rutschen, laut Statistikamt sind fast ein Drittel der Bevölkerung von Armut betroffen. Zur Stabilisierung des Peso hat die Regierung unter Präsident Mauricio Macri einen Milliardenkredit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgenommen. Die Sicherheitslage im krisengeschüttelten Land ist fragil, immer wieder kommt es zu großen Demonstrationen gegen die Politik der Regierung, mehrfach wurde gegen die Sparmaßnahmen gestreikt. Im November scheiterte ein Sprengstoffanschlag, darauf wurden die Sicherheitsmaßnahmen zum Gipfel noch einmal verschärft.

Mehr als 20.000 Sicherheitskräfte sollen bei dem G20-Gipfel im Einsatz sein. Die Einführung eines einmaligen Feiertags soll, so hofft die argentinische Regierung, die Organisation, Logistik und Sicherheitslage der Großveranstaltung erleichtern. Beim G20-Gipfel im vergangenen Jahr in Hamburg war es zu heftigen Ausschreitungen gekommen. Randalierer hatten zahlreiche Autos angezündet, Streifenwagen angegriffen und Geschäfte geplündert. Nach Angaben der Polizei wurden fast 800 Beamte bei dem Einsatz verletzt. Es entstanden Schäden in Millionenhöhe.

Das Treffen mit nach offiziellen Angaben gut 8.000 Teilnehmern ist ein logistischer Kraftakt. Die 1999 gegründeten G20 sind mittlerweile das zentrale Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit der führenden Industrie- und Schwellenländer. Sie stimmen sich dort vor allem über notwendige wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen ab. In den G20-Staaten lebten 2015 gut zwei Drittel der Weltbevölkerung. Zusammen erwirtschaften diese Länder mehr als vier Fünftel des globalen Bruttoinlandprodukts.

G20-Gipfel erstmals in Südamerika

Die geladenen Staats- und Regierungschefs des 13. G20-Gipfels, der erstmals in Südamerika stattfindet, kommen aus allen Regionen der Erde: Süd- und Mittelamerika sind in der G20 neben Argentinien mit Brasilien und Mexiko vertreten. Für Nordamerika gehören die USA sowie Kanada, für Asien China, Indien, Indonesien, Japan, Südkorea und Saudi-Arabien dazu. Afrika wird nur durch Süd-Afrika vertreten. Für Europa sind Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien vertreten. Mit dabei sind auch Australien, Russland und die Türkei. Zudem zählt die Europäische Union zu den G20-Mitgliedern – sie vertritt die übrigen EU-Länder.

An den G20-Gipfeln nehmen überdies auf Einladung der Präsidentschaft mehrere internationale Organisationen wie der Internationaler Währungsfonds (IWF), die Weltbank oder die Vereinte Nationen teil. Darüber hinaus kann das Land, das die Präsidentschaft innehat, weitere Staaten und Regionalorganisationen einladen. So werden in Buenos Aires auch Vertreter aus Chile, Jamaika, den Niederlanden, Ruanda, Senegal und Singapur eingeladen – und wie auch bei den vergangenen Gipfeln das regelmäßige Gastland Spanien.

Wie soll die Arbeit der Zukunft aussehen?

Die offizielle Prioritätenliste der argentinischen G20-Gastgeber führt vier große Themenblöcke an, über die beim Gipfel gesprochen werden soll. Einer davon ist die "Arbeit der Zukunft". Denn der rasch voranschreitende technologische Fortschritt verändere die Produktions- und Arbeitsprozesse weltweit im Eiltempo, heißt es auf der offiziellen Seite der G20-Präsidentschaft: "Wir müssen die Grundlagen für mehr und bessere Jobs schaffen." Zudem soll versucht werden, die weltweit zu geringen staatlichen Investitionen in die Infrastruktur durch Anreize für private Investitionen auszugleichen. Darüber hinaus will man nach Wegen suchen, die Produktivität der Böden in der Landwirtschaft zu steigern. Schließlich steigt weltweit die Nachfrage nach Lebensmitteln kontinuierlich an. Insbesondere der massive Verlust an fruchtbaren Böden durch Erosion bereitet der internationalen Staatengemeinschaft zunehmend Sorgen.

Die Argentinier wollen unter ihrer Präsidentschaft auch die Bekämpfung der Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Finanzwelt wirksam bekämpfen. Hier soll eine G20-weite Strategie gefunden werden.

Seit der Banken- und Finanzmarktkrise, die weltweit zu sozialen Verwerfungen führte, ist bei G20-Gipfeln auch die Regulierung des Finanzmarkts immer wieder ein wichtiges Thema. Durch vorausschauende Zusammenarbeit sollen zukünftige Krisen verhindert werden.

Wie bereits beim Treffen der G20-Finanzminister im März wird es beim nun anstehenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs aber auch um den weltweit zunehmenden Protektionismus und die damit in Verbindung stehenden Handelsstreitigkeiten von Mitgliedsstaaten gehen. Vor allem die von den USA verhängten Strafzölle sorgen für Kritik. Auch Deutschland machte sich in den vergangenen Monaten auf G20-Ebene bei den vorbereitenden Treffen gegen Protektionismus stark. "Wir müssen uns mehr denn je für eine faire, gerechte und auf Regeln basierende internationale Ordnung einsetzen", hatte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) bereits im Mai bei Verhandlungen mit den Kollegen anderer G20-Stataen gesagt.

Bei dem Treffen der G20-Finanzminister im März 2018 ging es vor allem um die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Eine damals von der EU und zahlreichen Mitgliedsstaaten geforderte globale Digitalsteuer für Internetriesen wie Facebook dürfte auch weiterhin am Widerstand der USA scheitern. Ein weiteres Thema innerhalb der G20 wird zudem die Regulierung des internationalen Handels mit Kryptowährungen, wie etwa Bitcoin, sein. Dabei stehen zum einen Verbraucherschutz und globale Finanzstabilität, aber auch der Missbrauch der Währung für Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Fokus.

Spitzentreffen zwischen US-Präsident und Chinas Staatschef

Der Gipfel bietet daneben auch die Möglichkeit zum direkten Austausch der Staatsführungen. So wollen sich US-Präsident Donald Trump und der chinesische Staatschef Xi Jinping in Buenos Aires zum Vier-Augen-Gespräch treffen. Das Verhältnis beider Länder hat sich seit Trumps Amtsantritt vor fast zwei Jahren massiv verschlechtert. Der Handelsstreit zwischen den zwei weltweit größten Volkswirtschaften spitzte sich zuletzt zu – beide Seiten haben gegenseitig Strafzölle auf Importe aus dem jeweils anderen Land verhängt. Zudem gibt es erhebliche Differenzen in der Sicherheitspolitik, insbesondere wegen der chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. In dieser Region gab es wiederholt Zwischenfälle zwischen den Nuklearmächten. Ob es zu einer Annäherung der beiden Länder kommen kann, ist derzeit ungewiss.

Massive Kritik von Globalisierungskritikern

Die Sicherheitsmaßnahmen rund um den G20-Gipfel sind äußerst aufwendig. Mehr als 20.000 Sicherheitskräfte sollen eingesetzt werden. Selbst der Flughafen von Buenos Aires soll zeitweise geschlossen werden. Während des Gipfels werden Ausschreitungen radikaler Gegner befürchtet.

Nichtregierungs-Organisationen (NGO) üben schon lange Kritik an den G20-Gipfeln. Sie monieren, dass keine Mitglieder aus Entwicklungsländern der Gruppe angehören. Zudem ist mit Südafrika nur ein Staat des afrikanischen Kontinents vertreten. Auch stört Kritiker die zumindest in der Vergangenheit starke Fixierung auf ökonomische Aspekte und insbesondere den Freihandel. Diese Organisationen und kritische Ökonomen sehen im grenzenlosen Handel nicht die Lösung der weltweiten Armutsprobleme, sondern im Gegenteil eine ihrer wesentlichen Ursachen.

Attac und zahlreiche andere globalisierungskritische oder sozial engagierte Initiativen und Verbände kritisierten in der Vergangenheit etwa, dass bisherige G20-Gipfel weder die Ursachen der Finanzkrise angegangen hätten, noch "den sozialen Folgen der Krise Rechnung tragen" würden. Zudem fordern Attac und weitere NGOs eine Finanztransaktionssteuer, die bislang jedoch auf Ablehnung bei den G20-Ländern stößt.

Auch in Argentinien planen G20-Kritiker Proteste. Bereits im Vorfeld des Gipfel trafen sich Globalisierungskritiker auf dem "Weltforum des Kritischen Denkens" zu einem Gegengipfel in Buenos Aires. Unter dem Motto "Die Kämpfe um Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie in einer turbulenten Welt" trafen sich Aktivisten und Politiker. Organisiert wurde das Treffen von der Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales (Lateinamerikanischer Rat der Sozialwissenschaften), einem Zusammenschluss von mehr als 200 Forschungsinstituten aus Lateinamerika.

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