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Dr. Christian Wagner nach der Parlamentswahl in Indien: "Eine große Oppositionspartei ist nicht in Sicht" | Hintergrund aktuell | bpb.de

Dr. Christian Wagner nach der Parlamentswahl in Indien: "Eine große Oppositionspartei ist nicht in Sicht"

Redaktion

/ 3 Minuten zu lesen

Indiens hinduistisch-nationalistische Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi konnte ihre Mehrheit bei der Parlamentswahl weiter ausbauen. Im Interview spricht Südostasienexperte Christian Wagner über die Folgen des Modi-Siegs für das politische System der größten Demokratie der Welt, religiöse Spannungen und die noch immer große Armut in dem Land.

Anhänger der BJP von Narendra Modi feiern am 23. Mai 2019 in Neu Delhi die ersten Ergebnisse der Stimmauszählung (© picture-alliance, picture alliance / AA)

Hintergrund Aktuell: BJP-Chef Modi hat einen stark nationalistischen Wahlkampf zum Teil auf Kosten der muslimischen Minderheit geführt. Drohen sich die massiven religiösen Spannungen in dem Land nach dem erneuten Wahlsieg der Hindu-Partei nun weiter zu verschärfen?

Christian Wagner: Ich gehe davon aus, dass die Polarisierung, die wir die vergangenen Jahre schon beobachtet haben, weitergehen wird. So will die BJP etwa ein einheitliches Zivilrecht einführen. Das könnte aber dazu führen, dass bestimmte Privilegien der religiösen Minderheiten womöglich abgeschafft werden. Religiöse Minderheiten genießen in Indien bislang gewisse Privilegien. So haben etwa Sikhs und Muslime eigene Bildungseinrichtungen und teils haben sie ein eigenes Familienrecht. Die BJP will dagegen ein einheitliches Zivilrecht für alle einführen.“

Hintergrund Aktuell: Zuletzt hatte sich der Pakistan-Konflikt nach einer islamistischen Attacke in Kaschmir zugespitzt. Wie real ist nun die Gefahr einer weiteren Verschärfung des Streits der beiden Atommächte.

Wagner: Ich gehe nicht davon aus, dass es eine weitere Verschärfung geben wird – zumindest, solange es keine weiteren Anschläge gibt. Offen ist, ob es nun wieder zu gemeinsamen Gesprächen zwischen beiden Ländern kommt. Ich bin da eher skeptisch, zumindest, was die kommenden Monate betrifft. Die Regierung Modi will nach eigener Aussage nur verhandeln, wenn es keine weiteren Anschläge gibt. Bleiben also weitere Gewalttaten aus, könnte es in einigen Monaten natürlich anders aussehen. Eine Annäherung ist nicht völlig ausgeschlossen.

Hintergrund Aktuell: Indiens Wirtschaft wächst im Eiltempo. Aber viele Menschen, insbesondere auf dem Land, leben noch immer in bitterer Armut, viele sind arbeitslos. Wie konnte die BJP die Wahl dennoch gewinnen?

Wagner: Themen wie die Arbeitslosigkeit scheinen nicht die Rolle gespielt zu haben, wie es viele Experten im Vorfeld erwartet hatten. Die BJP hat die Infrastruktur auf dem Land ausgebaut. Sie hat viele Dörfer an das Straßen- oder Stromnetz angeschlossen. Auch Toiletten wurden gebaut. Die Arbeitslosigkeit ist zwar noch immer hoch, aber das war für viele Menschen dann eben nicht der wichtigste Aspekt für ihre Wahlentscheidung. Modi wurde von vielen als großer Führer gesehen, als jemand, der das Land auf die internationale Ebene zurückgebracht hat.

Modi hatte, um Indien als Wirtschaftsstandort attraktiver zu machen, auch einzelne unpopuläre Reformen wie etwa bei der Umsatzsteuer durchgesetzt. Doch Experten, fordern weitere Anstrengungen, beispielsweise im Kampf gegen Korruption oder beim Ausbau der Infrastruktur. Wo wird Modis Fokus liegen?

Wagner: Sein Fokus wird wohl auch künftig auf einer weiteren Verbesserung der Infrastruktur liegen. So ist beim Strom- aber auch beim Verkehrsnetz noch immer viel zu tun. Ein Problem ist aus Sicht westlicher Unternehmen auch der für Ausländer schwierige Landkauf. Viele ausländische Investoren empfinden diesen als umständlich. Auch gilt die Arbeitsgesetzgebung als zu arbeitnehmerfreundlich.

Viele Jahre ist Indien vor allem von Koalitionsregierungen regiert worden. Verändert sich durch die zweite absolute Mehrheit der BJP in Folge nun die politische Kultur des Landes?

Wagner: Ja, die politische Kultur wird sich ändern. Modi führt zwar eine Koalition an, benötigt die Stimmen seiner Partner-Parteien aber nicht. Die BJP hat sich endgültig als stärkste nationale Partei etabliert. Sie wird nun weiterreichende Gesetzesentwürfe machen, sei es beim Zivilrecht oder beim Landerwerb.

Die oppositionelle Kongresspartei hat offenbar weiter an Mandaten verloren. Hat die Partei noch eine Zukunft und wenn ja, sollte diese ohne die Gandhis verlaufen?

Wagner: Die Kongresspartei hat eine vernichtende Niederlage erlitten. Es wird jetzt wohl eine Diskussion einsetzen, ob sich die Partei nicht grundsätzlich reformieren muss. Generell muss man sehen, ob die Bindung an eine Familie noch zukunftsfähig ist. Modi konnte massiv punkten, indem er thematisierte, dass hier eine einzige Familiendynastie herrsche.

Wie groß ist die Gefahr für Indiens Demokratie, wenn es dauerhaft keine große Oppositionspartei mehr geben sollte?

Wagner: Die indische Opposition ist sehr zersplittert. Das ist immer ein Problem. Die Opposition verlagert sich künftig wohl mehr auf das Oberhaus. Auch das Oberste Gericht wird eine stärkere Bedeutung bekommen. Man kann die BJP natürlich noch immer auf Bundesstaatsebene besiegen. Dass dies möglich ist, hat sich ja – auch in letzter Zeit – mehrfach gezeigt. Aber eine große Oppositionspartei, die die bisherige Rolle der Kongresspartei als Oppositionsführerin ersetzen kann, ist bislang nicht in Sicht.

ANMERKUNG: Das Interview wurde am 24.5.2019 geführt und am 25.5. autorisiert.

Weiterführende Informationen über die Parlamentswahlen in Indien bietet der Hintergrund Aktuell Interner Link: "Demokratie XXL: Parlamentswahl in Indien".

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