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Parlamentswahl in Irland | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Irland

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Aus der irischen Unterhauswahl am 8. Februar sind die linksgerichtete Sinn Féin und die konservative Fianna Fáil als stärkste Kräfte hervorgegangen. Dies ist insbesondere für die ehemals mit der IRA verbundene Sinn Féin ein überraschender Erfolg. Die Regierungsbildung könnte schwierig werden.

Irisches Parlamentsgebäude in Dublin (© picture alliance/Bildagentur-online)

Am 8. Februar wurde das Interner Link: Unterhaus (Dáil Éireann) des irischen Interner Link: Parlaments (Oireachtas) vorzeitig neu gewählt. Regulär waren die Unterhauswahlen in Irland erst für 2021 vorgesehen. Irlands Präsident Interner Link: Michael Higgins hatte Mitte Januar auf Bitten des Regierungschefs Leo Varadkar das Parlament aufgelöst.

24,5 Prozent der abgegebenen Stimmen hat die Partei Sinn Féin (Irisch für ″wir selbst″) auf sich vereint. Dicht darauf folgt die Partei Fianna Fáil (Irisch für ″Soldaten des Schicksals″ oder ″Soldaten Irlands″) mit 22,2 Prozent der Stimmen, während die ehemalige Regierungspartei des scheidenden Premierministers Leo Varadkar, die Fine Gael, 4,7 Prozentpunkte verlor. Sie wurde mit rund 20,9 Prozent nur noch drittstärkste Kraft. Über Wahlerfolge konnte sich zudem die Green Party (Grüne Partei) freuen, die mit 7,1 Prozent der Stimmen ihr Ergebnis deutlich verbessern konnte (+4,4 Prozent). Die Labour-Party erhielt 4,4 Prozent der Stimmen und die Sozialdemokraten mussten mit 2,9 Prozent zwar leichte Stimmverluste hinnehmen, konnten aber die Anzahl ihrer Sitze im Unterhaus verdoppeln.

Der unerwartete Wahlerfolg der Sinn Féin unter Parteichefin Mary Lou McDonald wird von vielen Beobachterinnen und Beobachtern als historischer Umbruch bewertet. Seit Jahrzehnten wurde Irland von den Parteien Fianna Fáil und Fine Gael angeführt, die sich bisher entweder gegenseitig im Amt ablösten oder in einer Koalition regierten.

Allerdings kann die Sinn Féin ihren prozentualen Stimmanteil nicht vollständig in Mandate umsetzen, da sie vor der Wahl nicht genügend Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt hatte. Mit 37 Sitzen ist die Sinn Féin daher nicht die stärkste Kraft im irischen Unterhaus, sondern die Fianna Fáil von Micheál Martin, die 38 Sitze errang.

Welche Regierungsbildung wird erwartet?

Da keine der Parteien mehr als ein Viertel aller Stimmen erhielt, dürfte die Regierungsbildung schwierig werden. Mary Lou McDonald nimmt als Parteichefin von Sinn Féin in Anspruch, die Regierung zu bilden, obwohl ihre Partei nicht die meisten Sitze im Unterhaus hält.

Dabei hatten sowohl die Fine Gael als auch die Fianna Fáil vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit der Sinn Féin kategorisch ausgeschlossen. Dies könnte unter anderem an der Vergangenheit der Partei liegen, die früher als politischer Flügel der Interner Link: Irisch-Republikanischen Armee (IRA) galt und heute zu den etablierten politischen Stimmen im Land gehört. Ein zentraler aktueller Streitpunkt zwischen den drei Parteien könnte die Frage einer Vereinigung mit dem britischen Nordirland werden: Sinn Féin pocht drauf, innerhalb der nächsten fünf Jahre ein entsprechendes Referendum durchzuführen.

Rechnerisch denkbar wäre auch eine Koalition zwischen Fine Gael und Fianna Fáil sowie einigen unabhängigen Abgeordneten. Allerdings müsste eine solche Regierung sich voraussichtlich vorwerfen lassen, den Willen der Wählerinnen und Wähler nicht zu berücksichtigen.

Zu den Aufgaben jeder neuen Regierungskonstellation wird auch die Ausgestaltung des zukünftigen Verhältnisses zwischen der EU und Großbritannien gehören, im Wahlkampf spielte das Thema bei den meisten Parteien jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

Warum wurde vorzeitig gewählt?

Laut Premier Varadkar von der liberal-konservativen Partei Fine Gael gab es viele Gründe für diesen Schritt. Dazu gehören etwa geänderte Mehrheitsverhältnisse im Parlament und der Brexit. Er hoffte, mit einer neuen Regierung in die Verhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ab 2021 einzusteigen. Dahingegen vertreten viele politische Beobachter die Meinung, dass Varadkar mit der Neuwahl wahrscheinlich vor allem einem Auseinanderbrechen der Regierung zuvorkommen wollte.

Die seit 2011 regierende Fine Gael wurde bei der Interner Link: Unterhauswahl 2016 knapp stärkste Kraft – verfehlte jedoch mit 50 Sitzen deutlich die notwendige Regierungsmehrheit. Sie bildete daher mit mehreren unabhängigen Abgeordneten eine Minderheitsregierung, welche sich auf Absprachen mit der größten Oppositionspartei, der konservativen Fianna Fáil, stützte. Zuletzt hatte es zwischen den beiden großen Parteien jedoch immer größere Spannungen gegeben.

Wie wird gewählt?

Das Parlament (Oireachtas) ist ein Interner Link: Zweikammerparlament, welches sich aus dem Unterhaus (Dáil Éireann) und dem Interner Link: Senat (Seanad Éireann) zusammensetzt.

Das Unterhaus umfasste zuletzt 158 Abgeordnete, die für maximal fünf Jahre gewählt werden. Durch eine Änderung des Wahlgesetztes im Dezember 2017 besteht der neugewählte Dáil Éireann aus 160 Abgeordneten, die aus 39 Wahlkreisen gewählt wurden.

Bei den Wahlen zum Dáil Éireann entsendet jeder der 39 Wahlkreise drei bis fünf Abgeordnete ins Parlament. Dabei gilt ein Präferenzwahlsystem: In diesem gibt es keine Listen, vielmehr werden alle Kandidierenden eines Wahlkreises alphabetisch aufgeführt. Die Wahlberechtigten ordnen den Kandidierenden ihres Wahlkreises jeweils eine absteigende Präferenz zu: Bei dem Favoriten die Eins, beim nächsten die Zwei und so weiter. Erhält ein Kandidat oder eine Kandidatin aufgrund der Erstpräferenz die in dem jeweiligen Wahlkreis notwendige Stimmenzahl für den Parlamentseinzug, ist er oder sie gewählt. Die überschüssigen Stimmen werden auf die Person verteilt, die als Zweitpräferenz angegeben ist. Dasselbe geschieht auch mit den Zweitpräferenzen der Nächstplatzierten und zwar solange, bis die maximale Zahl der Abgeordneten des jeweiligen Wahlkreises erreicht ist. Wahlberechtigt sind alle volljährigen Iren und Irinnen sowie britische Staatsbürgerinnen und –bürger, die in Irland leben.

Die 60 Mitglieder der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, müssen innerhalb von 90 Tagen nach der Auflösung des Unterhauses bestimmt werden. Sie werden nicht vom Volk gewählt, sondern von verschiedenen Gruppen des öffentlichen Lebens gewählt (43 Mitglieder) bzw. ernannt (17 Mitglieder).

Wer stand zur Wahl?

Die Fine Gael (Irisch für ″Familie der Iren″) war aus den Wahlen 2016 als stärkste Kraft hervorgegangen. Doch bereits in Vorwahlumfragen für die Wahl 2020 lag die Partei zuletzt nur auf dritter Position. Mit dem 41-jährigen Varadkar stellte die Partei den jüngsten irischen Premierminister aller Zeiten. Als erster offen homosexueller Premierminister und Sohn eines indischen Arztes verkörpert er für viele Beobachter den gesellschaftlichen Wandel in dem bis heute vom Katholizismus geprägten Land. Die Fine Gael versprach ihren Wählerinnen und Wählern das Gesundheitssystem zu verbessern, den Wohnungsbau zu fördern und gleichzeitig die Einkommenssteuern für die Mittelschicht zu senken.

Die Fianna Fáil (Irisch für ″Soldaten des Schicksals″ oder ″Soldaten Irlands″) war über Jahrzehnte die stärkste politische Kraft in Irland. Im Schatten der Interner Link: Wirtschafts- und Finanzkrise verlor die Partei bei der Wahl 2011 jedoch fast drei Viertel ihrer Sitze im Unterhaus und wechselte in die Opposition. Die Partei unter Führung von Micheál Martin versprach vor der Wahl, die strukturellen Probleme im Gesundheitssystem zu lösen, massiv in den Wohnungsbau zu investieren und dauerhafte Wohnungslosigkeit zu beenden.

Die linksgerichtete Sinn Féin (Irisch für ″wir selbst″) tritt für eine Wiedervereinigung Irlands mit dem britischen Nordirland ein. Die Partei und ihre Vorsitzende Mary Lou McDonald sprachen sich im Wahlkampf für ein umfassendes öffentliches Wohnungsbauprogramm, einen Stellenausbau im Gesundheitssystem und die Absenkung des Renteneintrittsalters von 66 auf 65 Jahre aus.

Zudem traten weitere kleine Parteien, wie die Labour-Party, die Green Party sowie eine Vielzahl unabhängiger Kandidierender an. Anders als in vielen anderen EU-Ländern spielen rechtspopulistische oder rechtsradikale Parteien in Irland bislang keine Rolle.

Welche Themen prägten den Wahlkampf?

Die Krise im irischen Gesundheitssystem war eines der zentralen Wahlkampfthemen. Ebenfalls im Fokus standen die wachsende Wohnungsnot durch gestiegene Miet- und Immobilienpreise. Auch weitere soziale Themen wie Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten und die zukünftige Gestaltung des Rentensystems wurden diskutiert.

Dies stellte eine Herausforderung für Varadkar und seine Fine Gael dar, die zuletzt vor allem die außenpolitischen Erfolge im Rahmen der Brexit-Verhandlungen und die gute Wirtschaftslage Irlands betont hatten.

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