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70 Jahre Bundesverfassungsgericht

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Seit seiner Gründung 1951 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit Sitz in Karlsruhe der Einhaltung des Grundgesetzes verschrieben. Am 28. September 1951 begeht das Gericht, das zugleich Verfassungsorgan ist sein 70. Jubiläum.

Bundesverfassungsgericht erinnert an Gründung vor 70 Jahren mit gläsernem Container. (© picture-alliance, dpa | Uli Deck)

Rund zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Interner Link: Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wurde am 28. September 1951 das Bundesverfassungsgericht mit einem Festakt feierlich eröffnet. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz war bereits seit dem 17. April in Kraft. Am 7.September 1951 nahmen 23 Richter und eine Richterin ihre Arbeit im Prinz-Marx-Palais in Karlsruhe auf.

Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung

Das Bundesverfassungsgericht ist "Hüter der Verfassung": Es wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes und ist in Grundgesetzfragen das höchste deutsche Gericht. Gegenüber den anderen Verfassungsorganen ist das Gericht unabhängig. Seine Entscheidungen sind unanfechtbar, das heißt alle übrigen Staatsorgane sind an seine Rechtsprechung gebunden. Als Verfassungsorgan untersteht das Bundesverfassungsgericht im Unterschied zu den Fachgerichten nicht der Aufsicht eines Ministeriums.

Das Bundesverfassungsgericht kann alle Handlungen von Bundes- und Landesregierungen, Parlamenten und Verwaltungen sowie die Entscheidungen deutscher Gerichte auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen. Die Initiative darf allerdings nicht vom Gericht selbst ausgehen, es muss von einer Person oder Institution angerufen werden.

Zuständigkeiten und Befugnisse

Insbesondere entscheidet das Gericht über Interner Link: Verfassungsbeschwerden. Von 1951 bis Ende 2020 wurden etwa 249.000 Verfahren anhängig, von denen über 96% Prozent Verfassungsbeschwerden bildeten. Jede natürliche oder juristische Person, die sich durch die öffentliche Gewalt in einem ihrer Grundrechte verletzt sieht, kann das Bundesverfassungsgericht anrufen. Eine Verfassungsbeschwerde kann sich dabei gegen ein Gesetz, ein Gerichtsurteil oder eine behördliche Maßnahme richten. Allerdings müssen die Klägerinnen und Kläger zuvor alle anderen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft haben.

Das Gericht kann die Entscheidungen aller anderen deutschen Gerichte nach Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit aufheben sowie Gesetze oder Verordnungen für ungültig erklären. Zudem kann das Gericht die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen überprüfen. In der sogenannten "abstrakten Normenkontrolle" prüft Karlsruhe auf Antrag der Bundesregierung, des Bundestages oder einer Landesregierung die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes oder Bundesgesetzes mit dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz. Darüber hinaus können Gerichte im Rahmen der konkreten Normenkontrolle dem höchsten Organ der Rechtsprechung ein Gesetz zur Prüfung vorlegen, über dessen Vereinbarkeit mit der Verfassung sie Zweifel haben.

Darüber hinaus entscheidet das Bundesverfassungsgericht bei Verfassungsstreitigkeiten zwischen staatlichen Organen. Beispielsweise werden die die Richterinnen und Richter bei Uneinigkeit über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder angerufen. So etwa bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder.

Das Bundesverfassungsgericht ist zudem die einzige Instanz, die politische Parteien verbieten kann. Derlei Verfahren sind aber selten. Zudem gelten äußert hohe Hürden. In seiner Geschichte hat das Gericht in zwei Fällen eine Partei tatsächlich verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP) als Nachfolgepartei der NSDAP und 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Dagegen scheiterte 2017 der Verbotsantrag gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD).

Der Aufbau des Gerichts und die Wahl seiner Richterinnen und Richter

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern. Der Erste Senat ist im Wesentlichen für Grundrechtsfragen zuständig, der Zweite Senat wurde vom Gesetzgeber vorwiegend als Staatsgerichtshof konzipiert. In beiden Senaten gibt es mehrere Kammern mit jeweils drei Mitgliedern. Diese können Verfassungsbeschwerden, die inhaltlich unzulässig oder aussichtslos sind, zurückweisen und offenkundig begründeten Anträgen stattgeben. Die Richterinnen und Richter sind zur Unabhängigkeit verpflichtet.

Eine Hälfte der 16 Verfassungsrichterinnen und -richter wählt der Bundestag, die andere Hälfte der Bundesrat. Für die Wahl eines Richters ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. So soll eine politische Ausgewogenheit garantiert werden. In den vergangenen Jahrzehnten hatten sich deshalb CDU/CSU und SPD oft ein gegenseitiges Vorschlagsrecht eingeräumt und sich im Vorfeld auf einen Kandidaten geeinigt. In Regierungskoalitionen war es oft üblich, dass die größere Partei dem kleineren Koalitionspartner ein Vorschlagsrecht für einen Richter oder eine Richterin gewährt.

Bundespräsident Theodor Heuss (links), der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts Dr. Hermann Höpker-Aschoff und Bundeskanzler Konrad Adenauer während der Feierstunde zur Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 1951 im Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe. (© picture-alliance, dpa | Koll)

Die Richterinnen und Richter müssen unter anderem die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz besitzen und mindestens 40 Jahre alt sein. Drei von acht Richtern eines Senats müssen zum Zeitpunkt ihrer Wahl als Richter an einem der obersten Bundesgerichte amtiert haben. Ihre Amtsdauer beträgt zwölf Jahre. Sie dürfen zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit nicht wiedergewählt werden. Das Gericht fällt seine Entscheidungen in der Regel mit einer einfachen Mehrheit des jeweiligen Senats. Für einige Beschlüsse wie Parteiverbote, den Entzug von Grundrechten oder Präsidentenanklagen sind Zweidrittelmehrheiten der Mitglieder des zuständigen Senats vorgeschrieben. Einzelne Richterinnen und Richter können eine vom Urteil abweichende Meinung als Sondervotum veröffentlichen. In der Praxis kommt dies relativ selten vor.

Wahrung der Grundrechte und Rechtsfortbildung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als eine Art Schutzmacht der Grundrechte etabliert. In der Arbeit des Gerichts geht es jedoch nicht nur um deren strikten Bewahrung, sondern auch darum, die Verfassung dem gesellschaftlichen Wandel entsprechend fortzuentwickeln. Dies zeigt sich exemplarisch etwa bei den rechtsfortbildenden Urteilen des Gerichts zur Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen.

Das Bundesverfassungsgericht bestimmt den verfassungsrechtlichen Rahmen, innerhalb dessen die Politik agieren kann. Das Bundesverfassungsgericht ist somit kein politisches Organ, denn seine Aufgabe bildet allein die Einhaltung des Grundgesetzes. Das Wirken der Richterinnen und Richter hat dabei mitunter dennoch erhebliche Auswirkungen auf das politische Geschehen. "Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt", konstatiert das Externer Link: Bundesverfassungsgericht selbst auf seiner Webseite.

Richtungsweisende Entscheidungen

Nicht nur durch die beiden Parteiverbote 1952 und 1956 fällte das Gericht Urteile mit weitreichenden Folgen: Im Brokdorf-Beschluss von 1985 etwa hob das Bundesverfassungsgericht Demonstrationsverbote gegen den Bau eines Kernkraftwerks auf und stärkte damit die Interner Link: Versammlungsfreiheit. 1994 legte es beispielsweise fest, dass der Bundestag einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte vorher stets zustimmen muss. Drei Jahre später erklärten die Richterinnen und Richter die Zustimmung Deutschlands zum Vertrag von Lissabon für verfassungskonform.2017 entschied das Gericht, dass es neben männlich und weiblich einen dritten Geschlechtseintrag im Behördenregister geben muss.

Das Bundesverfassungsgericht als Ersatzgesetzgeber?

Interner Link: "Die Stärke des Gerichts in Karlsruhe liegt in ihrer Deutungsmacht begründet, die vom Vertrauen der Bevölkerung gestützt wird", lobte 2011 der Politikprofessor Hans Vorländer die Arbeit des Gerichts anlässlich seines 60-jährigen Jubiläums vor 10 Jahren.

Unstrittig ist, dass das Gericht infolge seiner Rechtsprechung auch eine auch politische Wirkung besitzt. Die Kritik, es habe sich zu einem "Ersatzgesetzgeber" entwickelt, ist jedoch umstritten. "Regiert wird in Deutschland sicher mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, aber sie sind keine Gegenregierung", resümiert etwa der Politikwissenschaftler Roland Sturm. Oft ist solche Kritik auch dem Umstand geschuldet, dass ein Urteil nicht dem jeweiligen Interesse eines politischen Lagers entspricht. Bei den Bürgerinnen und Bürgern genießt es Vertrauen, wie sein Präsident, Stephan Harbarth, anlässlich des 70-jährigen Jubiläums sagt: "Der 'Gang nach Karlsruhe' ist zum Sinnbild geworden für das Vertrauen der Menschen in das Bundesverfassungsgericht als Institution, aber vor allem auch in den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in die Unabhängigkeit der Justiz und nicht zuletzt in die Kraft unserer Verfassung."

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