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Grußwort von Thomas Krüger zum Kongress der „Überparteilichen Fraueninitiative Berlin“ im Berliner Abgeordnetenhaus | Presse | bpb.de

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Grußwort von Thomas Krüger zum Kongress der „Überparteilichen Fraueninitiative Berlin“ im Berliner Abgeordnetenhaus

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie bei diesem Kongress der „Überparteilichen Fraueninitiative Berlin“ begrüßen zu dürfen. Nicht zum ersten Mal bin ich bei einer Ihrer Veranstaltungen zu Gast, denn als politisches Netzwerk in der Zivilgesellschaft widmen Sie sich zentralen Zielen der politischen Bildung.

Was ist „Leistung“? Kaum ein anderer Begriff hat uns seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts so sehr geprägt. Leistungsdenken und das Streben nach Wachstum im gewinnmaximierenden Sinne haben in den westlichen Gesellschaften ein hohes Wohlstandsniveau hervorgebracht – aber gleichzeitig sprechen wir auch von den 'Verlierern der Leistungsgesellschaft'. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise sollten wir über Leistung neu nachdenken.

Problematisch ist nicht nur der oft ausgrenzende Umgang mit Menschen, die sich nicht in die so genannte Leistungsgesellschaft integrieren können oder wollen. Problematisch ist häufig auch die Definition von Leistung: Nehmen Sie als Beispiel die völlige Überbewertung von vermeintlichen Leistungen im Banken- und Fondsbereich seit Beginn der 1990er Jahre. Was wird denn da eigentlich geleistet? Und: wer profitiert davon? Wirklich nachhaltige Leistungen für unsere Gesellschaft werden hier wohl kaum erbracht. Ganz im Gegenteil wirkt die Überbewertung dieser Art von Leistung desintegrierend; sie forciert die Spaltung der Gesellschaft. In unserer Gesellschaft nimmt leider das Klassendenken wieder zu und die relative Armut steigt, weil die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht.

Anspruch und Wirklichkeit des Leistungsprinzips

Schauen wir uns unseren Leistungsbegriff genauer an: Leistung ist der zentrale Parameter unseres modernen Lebens. Leistung ist eng verbunden mit Wachstum und Entlohnung und das wiederum empfinden wir als etwas Positives. Dem Leistungsdenken an sich wohnt auch durchaus zum einen ein emanzipatorisches wie zum anderen demokratisches Potential inne. Nur nach Leistung, nicht nach Herkunft beurteilt zu werden, ist ein Versprechen der demokratischen Gesellschaftsordnung. Individuelle Leistung sollte das Kriterium für einen beruflichen Aufstieg sein. Dieses Denken kann vielen Menschen Möglichkeiten eröffnen, die sie in traditionellen Gesellschaften nicht hätten – auch und gerade den Frauen.

Aber individuelle Leistung ist nach wie vor nur ein Kriterium unter vielen, denn das meritokratische Prinzip verschleiert eben auch soziale Ungleichheiten. Längst wissen wir: Nicht nur Leistung spielt eine Rolle bei der Verteilung von Gütern und für die Zuweisung unseres Platzes in der Gesellschaft. Auch soziale Herkunft, Geschlecht oder Ethnie. Zudem individualisiert das Leistungsprinzip. Es macht den Einzelnen allein verantwortlich. Es blendet Sozialisationsprozesse, Strukturen und Rahmenbedingungen weitgehend aus.

Schauen wir uns also auch diese Rahmenbedingungen einmal genauer an: Noch immer haben Frauen eine geringere Erwerbsbeteiligung. Der Einkommensunterschied liegt bei ca. 23 Prozent. Dies liegt hauptsächlich daran, dass viele Frauen im Niedriglohnbereich, in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und in Teilzeit arbeiten. Ihr beruflicher Aufstieg ist nach wie vor erschwert, insbesondere aufgrund von Unterbrechungen durch Mutterschaft oder Pflegezeiten. Auch wenn Frauen eine denen der Männer vergleichbare Tätigkeit ausüben – Art der Arbeit, Ausbildung, Alter, Erwerbserfahrung und Betriebsgröße mit betrachtet –, bleibt ein Unterschied von etwa 10 Prozent beim Stundenlohn! Und da unsere sozialen Sicherungssysteme einkommenszentriert sind, benachteiligen sie Frauen zudem im Falle von Arbeitslosigkeit und im Alter. Der Heiratsmarkt, stellte Jutta Allmendinger in unserer Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ pointiert fest, sichert Frauen immer noch besser ab als der Arbeitsmarkt.

Leisten Frauen also weniger? Wir müssen uns die Maßstäbe anschauen!

Unser Leistungsbegriff hat sich in den vergangenen Jahrzehnten tendenziell verschoben: Nicht mehr persönlicher Input – wie Aufwand, Arbeitsintensität und Qualifikation – zahlt sich aus. Frauen mit ihren durchschnittlich höheren Bildungserfolgen wären sonst im Vorteil. Nur noch der Output, der Markterfolg, bestimmt über die Höhe der Entlohnung. So wird auch gerechtfertigt, dass Manager ein Vielfaches von dem erhalten, was Niedriglohnbezieher verdienen. Gesellschaftsschädigende Tätigkeiten wie Finanzspekulationen haben nicht selten einen vergleichsweise hohen Marktwert. Demgegenüber werden viele gesellschaftlich wertvolle Tätigkeiten im sozialen und kulturellen Bereich nicht als bedeutende Leistung gewürdigt und entlohnt.

Alternativen in Sicht?

Die Enquetekommission des Bundestags „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ hat begonnen, unseren Wachstums- und Fortschrittsbegriff zu problematisieren. Die Mitglieder sehen sich nach Alternativen zur Brutto-Inlandsprodukt-Messung um. In Zukunft sollen der soziale und ökologische Wohlstand, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Chancen zur Verwirklichung individueller Potentiale bei der Messung von individuellem und sozialen Wohlergehen mit berücksichtigt werden. Auch die Möglichkeiten, die sich den Bürgern für kreatives und politisches Schaffen bieten, sollen gemessen werden. Dies halte ich für einen sehr wichtigen Ansatz und ich denke, es zeigt, dass der vorherrschende Leistungsbegriff auf den Prüfstand gekommen ist. Dass das Umdenken so langsam verläuft, liegt nicht zuletzt an der langen Dauer der Fehlentwicklung. Es ist für uns alle hier ein alter Hut: Spätestens mit der industriellen Revolution und dem Aufstieg des Kapitalismus systematisierte und zementierte die traditionelle Arbeitsaufteilung zwischen den Geschlechtern in der Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre. Es gab öffentliche, männliche Erwerbsarbeit. Uns es gab private, weibliche unbezahlte Hausarbeit. Anerkennung und monetäre Belohnung wurde nur der „echten“ Arbeit in der Produktionssphäre zugebilligt, während die Wertschätzung der häuslichen Arbeit sank. Dabei bräche jede westliche Ökonomie zusammen, wenn die unbezahlte Arbeit in der Reproduktionssphäre nicht mehr erledigt würde.

Was läuft also in der Reproduktionssphäre oder: Wer macht eigentlich die „Drecksarbeit“?

Noch immer erledigen vor allem Frauen die „Drecksarbeit“, so die feministische Bloggerin Laurie Penny in ihrer Streitschrift „Fleischmarkt“. Sie beschreibt das Dilemma der Frauen folgendermaßen: „Ein Jahrhundert nach dem Aufkommen des Feminismus verrichten Frauen noch immer den Löwenanteil der Betreuung, der Nahrungszubereitung und des Saubermachens, und zwar unentgeltlich. Abgesehen davon sollen wir heutzutage zusätzlich zu diesen häuslichen Pflichten ‚echte‘ Arbeit leisten, also Arbeit, die traditionellerweise von Männern außerhalb des Hauses getan wird, allerdings für weniger Geld und Anerkennung.“ Frauen in der Altersgruppe zwischen 30 und 44 Jahren leisten fast doppelt so viel unbezahlte Arbeit wie Männer (5:21 h zu 2:57 h). Väter nehmen zwar zunehmend das neue Elterngeld in Anspruch, aber oftmals nur die zwei Monate, die sonst verfallen würden. Wird sich daran künftig etwas ändern? Wahrscheinlich eher langsam. Das zeigt eine jüngere Umfrage von Infratest Dimap vom Oktober 2012), die auch gleichzeitig die Kluft der Wahrnehmung häuslicher Arbeit offenbart. Männer verneinen mehrheitlich die Aussage „Die Hausarbeit wird auch in 15 Jahren hauptsächlich von Frauen gemacht“. Frauen sind aber nicht so optimistisch: 64 Prozent glauben, dass dies auch in 15 Jahren noch der Fall sein wird.

Lohn für Hausarbeit?

Die Diskussion um die Aufwertung und Entlohnung von Hausarbeit ist nicht neu. Die Probleme sind Ihnen bekannt: Wo sollen die Mittel herkommen? Und wollen wir diesen privaten Bereich des Familienlebens wirklich auch noch den Kriterien des Marktes unterwerfen? Eine Entlohnung, die an den Markterfolg gekoppelt würde, wäre wahrscheinlich sehr niedrig. Das zeigt sich z.B. im Pflegebereich, wo ja schon geradezu infame Vorschläge zur Auslagerung der Alten in Niedriglohnländer gemacht wurden. Auch ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass vor allem Frauen diese Arbeiten machen würden. Das zeigt sich bei der entlohnten Weitergabe von häuslichen Tätigkeiten wie Putzen. Wir benötigen einen Plan, der auch die Männer in die Verantwortung nimmt.

Wie sehen die Alternativen aus?

Wie so oft führt der Weg in eine lebenswertere Zukunft über die Krise. Wirtschaftskrise, demographischer Wandel, Klimakatastrophe – die Krisenphänomene unserer stündlichen Nachrichten stehen mit Leistung und Wachstum in engem Zusammenhang. Die Ökonomisierung hat alle unsere Lebensbereiche unterwandert: Liebe und die Geschlechterbeziehungen, Erziehung und Bildung der Kinder, die Pflege der Alten, die Arbeitswelt, Freizeit und Kunst usw. Unsere Lebensqualität schwindet und eine zunehmende Zahl von Menschen bleibt auf der Strecke. Wer mitzumachen versucht, riskiert den Burn-out; die Abgehängten riskieren das Bore-out: das Abgestempelt-sein als 'nutzloser' Empfänger wertvollen Steuergeldes.

Wir müssen also wieder das Ruder in die Hand nehmen und eine grundsätzliche Diskussion darüber führen, welche gesellschaftlichen Tätigkeiten erwünscht und notwendig sind. Welche tragen zu einem nachhaltigen, gerechten Wirtschaften bei? Welche zu einer lebenswerten Existenz? Wir brauchen die Aufwertung jetzt schlecht bezahlter Arbeit im Sorgebereich jenseits eines ‚Markterfolgs‘. Wir brauchen auch eine Neubewertung der jetzt unbezahlt geleisteten Arbeiten im sozialen und häuslichen Bereich – die jedoch nicht mit einer erneuten Verdrängung der Frauen aus anderen Arbeitsbereichen einhergehen darf. Es liegt in unserer Verantwortung. Und genau hier setzt die Arbeit der politischen Bildung an – durch Sie als Stimme der vielen Frauen, die sich einen neuen Umgang mit Leistung wünschen. Aber auch durch uns als staatliche Einrichtung der politischen Bildung. Wir können Themen setzen, in die Öffentlichkeit tragen, die Debatte stimulieren. Wir müssen die Kontroversen sichtbar machen. Aber gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, die Diskussion durch Fakten und Argumente zu versachlichen, wo sie wie oft emotional und leider auch polemisch geführt wird.

Bereits vor zwei Jahren haben wir einen großen, internationalen Genderkongress organisiert unter dem Thema "Das flexible Geschlecht – Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie". Auch in unseren verschiedenen Gender-Webdossiers und der APuZ haben wir uns in den vergangenen Jahren – etwa unter dem Stichwort Geschlechteridentität, Frauen in Europa oder Humanisierung der Arbeit – immer wieder mit dem Thema auseinandergesetzt. Und ich kann Ihnen versichern, dass wir es nicht dabei bewenden lassen werden.

Ich bin der „Überparteilichen Fraueninitiative Berlin“ sehr dankbar, dass sie das brisante Thema Leistung hier zur Diskussion stellt. Außerdem danke ich den Veranstalterinnen für ihr außerordentliches 20-jähriges Engagement. Es wird überdeutlich, was ein Netzwerk von Ehrenamtlichen als Partner der politischen Bildung 'leisten' kann und wie hoch dies einzuschätzen ist und freue mich auf eine kontroverse und deshalb anregende Diskussion!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten