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Energiepolitik am Scheideweg – nationale und globale Dimensionen der geostrategischen Herausforderungen

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Sehr geehrte Damen und Herren,

„Energiepolitik am Scheideweg – nationale und globale Dimensionen der geostrategischen Herausforderungen“ – dies ist das Thema der diesjährigen Bensberger Gespräche, zu denen ich Sie alle sehr herzlich begrüße. Gemeinsam mit unserem Partner, dem Bundesministerium der Verteidigung, widmen wir uns in diesem Jahr mit der Energiepolitik einem Thema, das die Öffentlichkeit in hohem Maße bewegt. Energiepolitische Fragen sind schon viele Jahre Thema zivilgesellschaftlicher Diskurse. Seit dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie nach der Katastrophe von Fukushima haben sie noch einmal an Brisanz gewonnen.

Bei den Bensberger Gesprächen werden wir heute und in den nächsten Tagen vor allem den sicherheitspolitischen und geostrategischen Implikationen der Energiepolitik im globalen Kontext nachgehen. Der weltweite Kampf um Energieressourcen angesichts steigender Nachfrage und begrenzter Verfügbarkeit ist schon lange entfacht. „Das Argument der Rohstoffe ist unwiderleglich wahr“ – so formulierte es bereits am Vorabend des Ersten Weltkriegs der spätere Außenminister der Weimarer Republik Walther Rathenau. Heute wird niemand mehr aus der Tatsache begrenzter eigener Ressourcen einer aggressiven Kolonialpolitik das Wort reden wollen – die sicherheitspolitische Dimension der Energiepolitik ist aber heute ganz sicher nicht weniger aktuell als vor 100 Jahren: Wie steht es um die Sicherheitskonzepte für Deutschland und Europa? Sind wir für die Auseinandersetzungen um die immer knapper werdenden Ressourcen gewappnet? Es ist essentiell, die Vielfalt der geostrategischen und politischen Faktoren in den Blick zu nehmen, die in diesen Zusammenhängen eine Rolle spielen.

Lassen Sie uns einen Blick auf die globale Energiesituation werfen: Da sehen wir, dass sich etwa 70 Prozent der weltweiten Ölvorkommen in den Staaten der arabischen Welt befinden. Dass die Situation in diesen Ländern alles andere als stabil ist, wissen wir nicht erst seit den Unruhen in Nordafrika und im Nahen Osten, mit denen wir uns im letzten Jahr hier in Bensberg befasst haben. Welche sicherheitspolitischen Folgen hätte es, wenn es beispielsweise in Saudi-Arabien aufgrund von Unruhen zu einem Zusammenbruch der Ölversorgung aus diesem Teil der Welt käme?

Rund ein Viertel aller fossilen Energie wird heute aus Erdgas gewonnen. Nach aktuellen Berechnungen reichen die Vorräte aus Erdgas und unkonventionellen Erdgasvorkommen wie Schiefergas, dichtem Sandgestein oder Grubengas noch für etwa sechzig Jahre. Ungeachtet aller optimistischen Prognosen über neue Technologien wie das – durchaus umstrittene – Fracking, dessen ökologische Auswirkungen ja längst noch nicht absehbar sind, werden wir auch weiterhin auf Vorkommen aus weit entfernten Weltregionen angewiesen bleiben. Wie sichern wir die Transportwege auf Dauer? Sind wir auf maritime Sicherheitsprobleme – Stichwort Piraterie am Horn von Afrika – hinreichend vorbereitet?

Dass die Probleme der Energieversorgung aber nicht erst in der Zukunft liegen, machen nicht zuletzt die aktuellen Ereignisse im Westen Afrikas deutlich. Natürlich gilt der französische Einsatz in Mali vor allem der Abwehr dschihadistischer Gotteskrieger. Aber er dient vermutlich auch dem Ziel, Uran-Vorkommen im Nachbarstaat Niger oder im Tschad vor dem islamistischen Zugriff zu schützen und damit die Rohstoffversorgung für die französischen Atomkraftwerke sicherzustellen. Wenig überraschend haben die Führungsmächte des 21. Jahrhunderts, die USA und China, die Energiefrage in den letzten Jahren ins Zentrum ihrer sicherheitspolitischen Überlegungen gestellt. So nutzen die Vereinigten Staaten modernste Technologien zur Erlangung von Autarkie im Energiebereich und damit zur Minderung ihrer Abhängigkeit von den Vorkommen im Nahen und Mittleren Osten. Im Zusammenspiel mit der eingetretenen Neuorientierung der amerikanischen Außenpolitik in Richtung der Pazifikregion berührt dies unmittelbar auch die Sicherheitsinteressen Europas.

Auch China unternimmt weltumspannend große Anstrengungen, um seinen riesigen Energiebedarf dauerhaft sichern zu können. Insbesondere Afrika ist zum Schauplatz der chinesischen energiepolitischen Expansion geworden. Exemplarisch zeigt sich hier, wie mittels Energiepolitik neue machtpolitische Einflusssphären abgesteckt werden und sich das sicherheitspolitische Gleichgewicht verändert. Hinzu kommen die eigenen energiepolitischen Interessen der afrikanischen Länder, die in den sicherheitspolitischen Zukunftsszenarien für den afrikanischen Kontinent bislang kaum eine Rolle spielen. Wird der Kampf um die Ressourcen zu Konflikten führen, von denen wir derzeit erst eine vage Ahnung entwickeln, gehen wir gar einem Zeitalter neuer Energiekriege entgegen? Eine präventive Sicherheitspolitik sieht sich hier vor große Herausforderungen gestellt. Auch angesichts dieser globalen Dimension der Energiefrage ist es unabdingbar, dass wir in Europa unsere eigenen Interessen im Blick behalten, wollen wir nicht die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft und damit manche soziale und politische Errungenschaft aufs Spiel setzen.

Betrachten wir beispielsweise die Energiesituation der Bundesrepublik, dann fällt sofort die starke Importabhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft ins Auge. Nur etwa ein Viertel unseres Energieaufkommens wird im Inland gewonnen, wichtigster Öl- und Erdgaslieferant ist Russland, das zudem der größte Steinkohleimporteur nach Deutschland ist. Solche Abhängigkeiten bleiben nicht ohne Einfluss auf sicherheitspolitische Entscheidungen, und es bedarf aller Anstrengungen der europäischen Partner zur Entwicklung einer gemeinsamen Energie- und Sicherheitspolitik.

Leider sind die Strukturen einer gemeinsamen europäischen Energieaußenpolitik bislang nicht einmal in Umrissen erkennbar. Bisherige Bemühungen, Abhängigkeiten abzubauen, beispielsweise durch die Mitwirkung am Bau alternativer Pipelines für das dringend benötigte Erdgas aus der Kaukasusregion, waren nicht von Erfolg gekrönt. Der Ausstieg deutscher Energie-Unternehmen wie RWE oder kürzlich Bayerngas aus dem Projekt macht deutlich, dass die angestrebte Lösung aus der Abhängigkeit von Russland so nur schwer zu realisieren ist. Auch das Wüstenstromprojekt Desertec, das in den Medien bereits als Königsweg zur Lösung aller europäischen Energiesorgen gepriesen wurde, kommt bislang aus den Startlöchern kaum heraus.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es gibt eine Vielzahl von Fragen, die sich mit den geostrategischen Herausforderungen der Energiepolitik verbinden – wir werden diese in den nächsten Tagen gemeinsam intensiv diskutieren. Aber Energiepolitik hat auch noch Implikationen, die über die Frage der Versorgungssicherheit hinausreichen. Neben der sicherheitspolitischen Dimension hat die Energiefrage auch eine Relevanz im Kontext der politischen Bildung, hierzulande wie in der Bildungszusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern und auf anderen Kontinenten. In einer Welt, in der Energieverschwendung beinahe schon zum Ausweis der Fortschrittlichkeit geworden ist, hat immer noch jeder fünfte Mensch keinen Zugang zu Elektrizität. Energiepolitik hat also auch entscheidende Bedeutung für die gerechte Verteilung von Lebenschancen. Es geht nicht nur darum sicherzustellen, dass der Energiehunger der reichen Welt auch in den nächsten Jahrzehnten gestillt wird. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, wie wir zu einer gerechteren Verteilung der begrenzten Energievorräte unseres Planeten gelangen können.

Dabei sollten wir eine Lehre unserer eigenen Geschichte im Sinn haben: Unser Wohlstand und unsere gesellschaftliche Entwicklung sind seit dem Zeitalter der Industriellen Revolution untrennbar mit der einfachen Verfügbarkeit scheinbar grenzenloser Energie verbunden gewesen. Mit dieser Industriemoderne einher gingen aber auch die Ausweitung von Mitwirkungsrechten, der Zugang für immer mehr Menschen zu Bildung und Chancen, Demokratisierung und die Etablierung unserer pluralistischen Ordnung. Es gibt guten Grund anzunehmen, dass Demokratisierung nur über ökonomischen Fortschritt möglich ist. Wenn wir den armen Ländern den Zugang zum Grundstock dieser Entwicklung verwehren, halten wir sie dauerhaft auch von dem fern, was für uns die Grundbedingungen für ein mündiges Leben sind. Und wir gefährden, wie es heute schon allenthalben sichtbar wird, unsere eigene Sicherheit. Diese und viele weitere Aspekte werden in zahlreichen Publikationen der bpb aufgegriffen und vertieft. Auch auf unserer website bpb.de finden Sie weiterführende Hinweise wie beispielsweise das Online-Dossier zur Energiepolitik. Eine Ihren Unterlagen beigefügte Literaturliste gibt Ihnen einen ersten Überblick unserer Aktivitäten zum Thema.

Wir freuen uns, dass wir für die diesjährigen Bensberger Gespräche wieder Referentinnen und Referenten gewinnen konnten, die mit ihrer Expertise dazu beitragen werden, Licht in komplexe Zusammenhänge zu bringen. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind herzlich eingeladen, in diese Diskussionen engagiert und wortmächtig einzusteigen.

Ich wünsche Ihnen für die kommenden Tage interessante Gespräche und Diskussionen und einen anregenden militärisch-zivilen Austausch. Jetzt gleich wird zu uns Dr. Frank Umbach zum Thema „Energieversorgungssicherheit und ihre nationalen und globalen Voraussetzungen. Szenarien und Strategien“ sprechen. Dr. Umbach ist stellvertretender Direktor des Londoner European Centre for Energy and Resource Security sowie Programmleiter am Centre for European Security Strategies in München. Er hat in den letzten Jahren zahlreiche Expertisen angefertigt; unter anderem für die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, die NATO, OSZE, die Bundeswehr, das Auswärtige Amt und das US-Außenministerium. Er ist nicht nur Teilnehmer zahlreicher Expertenanhörungen, sondern auch ein engagierter und höchst produktiver Wissenschaftler, was seine mehr als 300 Publikationen zum Themenkreis bezeugen. Wir freuen uns, lieber Herr Dr. Umbach, auf Ihren Vortrag bei den Bensberger Gesprächen 2013.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten