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Umbruch in Nordafrika: Demokratische Erneuerung und Social Media - Herausforderung für eine politische Neujustierung | Presse | bpb.de

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Umbruch in Nordafrika: Demokratische Erneuerung und Social Media - Herausforderung für eine politische Neujustierung Grußwort von Thomas Krüger anlässlich der Bensberger Gespräche 2012 am 23.01.2012

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In Tunesien, Ägypten und Libyen sind im letzten Jahr scheinbar fest zementierte Herrschaftsstrukturen weggebrochen. Vorwiegend junge Menschen haben unter Einsatz ihres Lebens politische, soziale und religiöse Freiheiten gefordert und langjährige Potentaten gestürzt.

Sehr geehrter Herr Oberst Bermes,
Sehr geehrte Damen und Herren,

"Umbruch in Nordafrika: Demokratische Erneuerung und Social Media - Herausforderung für eine politische Neujustierung" – das Thema, dem sich die diesjährigen Bensberger Gespräche widmen, ist hochaktuell. In Tunesien, Ägypten und Libyen sind im letzten Jahr scheinbar fest zementierte Herrschaftsstrukturen weggebrochen. Vorwiegend junge Menschen haben unter Einsatz ihres Lebens politische, soziale und religiöse Freiheiten gefordert und langjährige Potentaten gestürzt. Soziale Spannungen, die Kluft zwischen Arm und Reich und die enorme Jugendarbeitslosigkeit haben über viele Jahre hinweg die Perspektivlosigkeit vieler Menschen verfestigt. Die Bürgerinnen und Bürger in den arabischen Staaten wollen das nicht länger hinnehmen, sie wollen Lebensperspektiven, sie wollen an der Gestaltung ihrer Lebensbedingungen in demokratischer Weise beteiligt werden. Dass sich dieser Wunsch auf Dauer nicht unterdrücken lässt, zeigt sich aktuell in Syrien, aber auch in anderen Staaten der Region.

Bei der Organisation der Proteste spielte das Internet, spielten Facebook, Twitter und Co. eine wichtige Rolle. Das Netz ist das Organisationsmedium der Proteste, es verstärkt sie. Ohne die vielen Möglichkeiten des Mediums hätten sie nicht mit dieser Wucht erfolgen können. Deutlich ist aber auch, dass der Ort des Protests – auch im vielleicht etwas voreilig ausgerufenen Zeitalter der social media - die Straße war.

Die Forderung nach Einbindung der Bevölkerung in die Gestaltung der Politik ist ein Thema, das auch hohe sicherheitspolitische Relevanz hat – für die betroffenen Länder selbst, aber auch für angrenzende Regionen und Europa. Ohne Zweifel kann auf Dauer nur eine demokratisch organisierte Sicherheitspolitik den komplexen Anforderungen der Gesellschaften im Maghreb und im Nahen Osten Rechnung tragen. Aber die sicherheitspolitische Gemengelage ist dadurch leider nicht weniger konfliktträchtig geworden.

Die Auswirkungen dieser Veränderungen sind also nicht auf die Region beschränkt. Lange hat sich Europa mit den Herrschern der alten Regime verständigt – dankbar wurden die Dienste von Mubarak, Ben Ali und anderen unter Verweis auf die Eindämmung vermeintlicher islamistischer Bestrebungen und die Austrocknung illegaler Migrationsströme in Anspruch genommen. Und über manche Menschenrechtsverletzung wurde stillschweigend hinweggesehen, um die arabischen Märkte für europäische Industrieexporte offen zu halten. Jetzt sehen sich die Regierenden jenseits der afrikanischen Mittelmeerküste mit tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert, die neue Antworten erfordern.

Was wird Europa den jungen Gesellschaften in Afrika und Nahost bieten können? Ihre Stiftung, Herr Professor Perthes, hat die "demographische Dreiteilung der Welt" und ihre Konsequenzen untersucht und ist dabei zu beunruhigenden Ergebnissen gekommen. Der Jugendüberhang, also das Youth-bulges-Phänomen, entfaltet seine Brisanz im Kampf um die Positionen in der globalisierten Weltgesellschaft. Was die alternden Gesellschaften in Europa dem entgegenzusetzen haben, wird eine der Fragen sein, die uns in den nächsten Tagen beschäftigen werden. Eines aber scheint jetzt schon deutlich: Europa wird die Transformationsstaaten dabei unterstützen müssen, ihrer jungen Bevölkerung Chancen auf Beschäftigung zu ermöglichen.

Demokratie ist eine große Verheißung, die von Europa im Umgang mit den arabischen Nachbarn aber auch glaubwürdig vermittelt werden muss. Dort, wo freie Wahlen stattfinden, wo es demokratisch legitimierte Regierungen gibt, müssen diese Regierungen akzeptiert und unterstützt werden. Nicht die Frage, welche gesellschaftlichen Kräfte unseren Interessen am besten nützen, darf Maßstab für das europäische Handeln sein. Die EU hat bereits eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um eine zukunftsfähige Politik mit diesen Ländern einzuleiten. Dass hier noch viele Lernprozesse auf beiden Seiten erforderlich sind, auch darüber werden wir bei diesen Bensberger Gesprächen zu reden haben.

Die Veränderungen in Nordafrika stellen auch Israel vor große Herausforderungen. Das Verhältnis zu den Nachbarstaaten, in denen anti-israelische Gruppierungen zunehmend an Einfluss gewinnen, hat die Spannungen im Nahen Osten verstärkt. Europa wird hier seinen Beitrag für den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern intensivieren müssen. Ich freue mich sehr, dass wir mit Gil Yaron einen renommierten Kenner der israelischen Diskussionen gewinnen konnten. Er wird am letzten Tag unserer Veranstaltung über die Auswirkungen der arabischen Aufstände auf Israel und seine Sicherheitsinteressen sprechen.

Mit den diesjährigen Bensberger Gesprächen begehen wir ein kleines Jubiläum: Zum zehnten Mal finden in diesen Januartagen die Bensberger Gespräche statt! Die große Resonanz auf diese erfolgreiche Veranstaltungsreihe - nicht allen Interessierten konnten wir eine Zusage geben - zeigt, dass wir gemeinsam mit unserem Partner, dem Bundesministerium für Verteidigung, Themen aufgreifen, die im sicherheitspolitischen Diskurs hohe Aktualität haben. Bei unserem sicherheitspolitischen Forum hier in Bensberg kommen Menschen aus verschiedenen Kreisen zusammen; Angehörige der Bundeswehr diskutieren gemeinsam mit politischen Bildnern, Medienvertreter mit Sicherheitsexperten über Themen, die sonst zumeist in geschlossenen Zirkeln verhandelt werden. Hier wird im besten Sinne der Diskurs zwischen der Zivilgesellschaft und dem Militär gepflegt. Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag dazu, das Thema Sicherheitspolitik stärker als bisher in die Gesellschaft hineinzubringen und den öffentlichen Diskurs zu befördern.

In dieser Veranstaltungsreihe sind wir nie bei nationalen Sichtweisen stehengeblieben und ich freue mich, dass wir auch in den nächsten Tagen im Gespräch mit versierten Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Ländern mit internationaler Expertise unser Wissen erweitern und Kenntnisse vertiefen werden.

Die Bundeszentrale für politische Bildung befasst sich seit langem intensiv mit den Entwicklungen in Afrika und im Nahen Osten. Im vergangenen Jahr haben wir diese intensiv publizistisch und mit einer Reihe von Veranstaltungen begleitet und es ist mir eine große Freude, dass die Publikation "Der Aufstand. Die arabische Revolution und ihre Folgen" unseres heutigen Festredners Professor Perthes in der Schriftenreihe der bpb veröffentlicht wurde.

Das Online-Dossier zum Thema Afrika, das wir bereits 2005 auf unserer Homepage eingerichtet haben, bietet kontinuierlich Hintergrundinformationen und reflektiert aktuelle Fragestellungen. Ich möchte Sie herzlich einladen, von diesen Angeboten Gebrauch zu machen. Dass die Umbrüche in den arabischen Ländern im laufenden Jahr 2012 Schwerpunktthema der bpb ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Diese Veranstaltung ist ein großartiger Auftakt für die vielen Aktivitäten, die Sie noch erwarten.

In diesem Jahr spielen hier in Bensberg die sozialen Medien, Blogs, Twitter und Facebook, eine besondere Rolle. Wir bieten dazu Workshops an, wir werden aber auch das gesamte Veranstaltungsgeschehen mit Ihnen über diese Medien begleiten. Damit wollen wir Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, noch mehr als bisher eine Stimme während des Kongresses geben. Ich hoffe sehr, dass Sie bereits im Vorfeld von diesen Partizipationsmöglichkeiten regen Gebrauch gemacht haben! Und wenn nicht, dann spätestens ab heute!

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich beim bpb-Team um Hanne Wurzel im Fachbereich Förderung für die Organisation der Tagung bedanken.

Damit bleibt mir noch Ihnen allen für die kommenden Tage interessante Gespräche und Diskussionen und einen anregenden militärisch-zivilen Austausch zu wünschen. Ich darf nun den Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Herrn Professor Perthes, um seinen Festvortrag zum Thema "Revolution – Transformation – Demokratie? Die neuen Kräfteverhältnisse im arabischen Raum" bitten.

Vielen Dank!

- Es gilt das gesprochen Wort -

Fussnoten