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Idee und Wirkung des Wahl-O-Mat

Stefan Marschall

/ 13 Minuten zu lesen

Das Internet ist zu einem unverzichtbaren Kommunikationskanal vor Wahlen geworden. Am Beispiel des "Wahl-O-Mat" wird deutlich, welche Grenzen internetbasierte politische Angebote kennzeichnen.

Einleitung

Die Kommunikation im Internet ist vor Wahlen zu einem obligatorischen Bestandteil der politischen Öffentlichkeit geworden. Die Parteien nutzen das - nicht mehr ganz "neue" - Medium, um ihr personelles und inhaltliches Angebot zu präsentieren, Anhänger zu gewinnen, Mitglieder zuorganisieren und Spenden zu sammeln. Dabei beobachten die Parteien aufmerksam die Entwicklungen in der Online-Kommunikation und versuchen, diese gegebenenfalls in ihr Angebot zu integrieren; so wurden vor der Bundestagswahl von den Parteien erstmals neuere Anwendungen wie Weblogs (Online-Journale) oder Podcasts (im Internet verbreitete Audiodateien) eingesetzt.

Überdies bieten überparteiliche Institutionen (z.B. Online-Medien, Universitäten, NGOs) Netzangebote vor der Wahl an. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich mit einem eigenen Internetangebot zur Bundestagswahl (unter No Titel ) sowie insbesondere mit dem so genannten "Wahl-O-Mat" eingebracht. Über fünf Millionen Mal ist bis zum 18. September 2005 der Wahl-O-Mat gespielt worden. Somit hat sich ein beträchtlicher Teil der Wahlbevölkerung mit 30 Thesen aus dem Wahlkampf konfrontieren lassen und dazu per Mausklick Stellung bezogen. Der Wahl-O-Mat ermittelt, inwieweit die Ansichten des einzelnen Benutzers den jeweiligen Parteipositionen entsprechen. Schließlich zeigt er die Partei mit der höchsten Übereinstimmung sowie den Anteil der Übereinstimmung mit den anderen im Wahl-O-Mat vertretenen Parteien an.

Dieses Online-Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung hat sich zu einem prominenten und stark nachgefragten überparteilichen Netzangebot entwickelt, das auf dem besten Weg ist, zu einem festen Bestandteil der bundesdeutschen politischen Vorwahlöffentlichkeit zu werden. Zum ersten Mal war der Wahl-O-Mat 2002 anlässlich der Bundestagswahl online gestellt worden und wurde seinerzeit bereits 3,6 Millionen mal gespielt. Seitdem ist der Wahl-O-Mat bei verschiedenen Landtagswahlen sowie bei der Europawahl 2004 im Einsatz gewesen.

Die Wurzeln des Wahl-O-Mat liegen in den Niederlanden. Dort wird ein baugleiches Instrument, der so genannte StemWijzer, seit 1985 vom Instituut voor Publiek en Politiek (IPP), einer überparteilichen Institution für politische Bildung, vor Wahlen eingesetzt: zunächst als Papierversion, später in digitaler Fassung auf Disketten und seit 1998 im Internet. Der StemWijzer ist bereits zu einer festen Größe in der niederländischen politischen Öffentlichkeit geworden.

In Deutschland sind vor und neben dem Wahl-O-Mat in den vergangenen Jahren weitere "voting indicators" zum Einsatz gekommen, u.a. von der "Zeit" in Verbindung mit der Universität Passau ("Wahltest") oder von der Universität Duisburg-Essen ("Wähler-Informationssystem"). All diese Angebote unterscheiden sich zum Teil erheblich vom Original. Mit dem Wahl-O-Mat und seinen Online-"Verwandten" lassen sich drei bedeutsame gesellschaftliche Phänomene in den Blick nehmen: die niedrige Wahlbeteiligung bei den Erst- und Zweitwähler/-inne/n sowie die Veränderungen der Mediennutzung und die "Digitalisierung" der politischen Öffentlichkeit.

Der Einsatz der Online-Tools findet vor dem Hintergrund einer abnehmenden Wahlbeteiligung, gerade bei den Erst- und Zweitwähler/-inne/n, und einer zunehmenden Entfremdung der Jugendlichen von den traditionellen Formen der Politik und Repräsentation statt. Dabei ist der Wahl-O-Mat (wie auch die Internet-Aktivitäten von Parteien und sonstigen Organisationen) eine Reaktion auf Veränderungen in den Kommunikationsgewohnheiten - nicht nur - junger Menschen und auf die ansteigende Bedeutung von Online-Kommunikation: Die jüngste Online-Studie von ARD und ZDF hat ermittelt, dass mittlerweile rund 58 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre regelmäßig das Internet nutzen. Dieser Anteil ist bei jungen Menschen außerordentlich hoch: Von den 14 bis 19-Jährigen nutzen 90,1 Prozent bzw. von den 20 bis 29-Jährigen 85,3 Prozent das Netz.

Somit lässt sich der Wahl-O-Mat in die Debatten um die partizipationsfördernden Potenziale des Internets einordnen. In Deutschland wird seit über zehn Jahren (andernorts schon länger) mit wechselhaften Konjunkturen die Frage diskutiert, ob und - wenn ja - wie das Internet die Qualität politischer Kultur und Kommunikation verändert, vielleicht sogar fördern kann. Derzeit liegt der realitätsgeprägte Befund vor, dass das Internet zum Teil ergänzende, zum Teil eigene Beiträge zur politischen Beteiligung inner- und außerhalb der bestehenden Organisationen leisten kann, die Fall für Fall analysiert und bewertet werden müssen. Im Weiteren geht es darum zu schauen, inwiefern ein Online-Angebot wie der Wahl-O-Mat zur Mobilisierung beitragen kann und was sich daraus über die Potenziale und Defizite der Netzkommunikation ableiten lässt.

Funktionslogik und Arbeitsweise des Wahl-O-Mat

Der Wahl-O-Mat lädt die Benutzer zum Vergleich der eigenen Einstellungen mit den Positionen der Parteien ein - entlang einer Auswahl von rund 30 Thesen. Die Thesen werden auf der Grundlage der vorliegenden Wahlprogramme von einer Redaktion aus Jungwählerinnen und -wählern in einem mehrstufigen Prozess entwickelt. Der Wahl-O-Mat ist im Rahmen eines Projektes zur Steigerung der Wahlbeteiligung von Jungwählern entstanden. Er ist gedacht als ein Angebot, das - von jungen Menschen gemacht - auf junge Menschen zielt. Der redaktionelle Prozess wird wissenschaftlich begleitet. In die Zusammenstellung und Formulierung der Thesen fließen folgende Gesichtspunkte ein: Die Thesen sollen charakteristisch für die verschiedenen Parteien sein; sie sollen die Parteien zu unterschiedlichen Antworten bewegen und für die Bürgerinnen und Bürger relevante Fragestellungen aufgreifen sowie präzise und knapp formuliert und ohne Fachwissen verständlich sein.

Als Ergebnis entstehen Aussagen wie "Der Kündigungsschutz soll gelockert werden", "Die Türkei soll vollwertiges Mitglied der Europäischen Union werden können" oder "Am geplanten Ausstieg aus der Atomenergie soll festgehalten werden". Ein Set von etwa 60 solcher Thesen wird den Parteien, in der Regel den jeweiligen Geschäftsführungen auf Landes- respektive Bundesebene, zur Stellungnahme zugesandt und von diesen mit einer Parteiposition versehen (Zustimmung, Ablehnung oder "neutral"). Die Ergebnisse der Parteienbefragung werden einer statistischen Überprüfung unterzogen, wobei jene Thesen gestrichen werden, bei deren Beantwortung sich die Parteien nicht hinreichend unterscheiden. So bleiben am Ende noch rund 30 Aussagen übrig, die in den Wahl-O-Mat eingearbeitet werden. Dieses standardisierte Vorgehen unterscheidet den Wahl-O-Mat von ähnlichen Angeboten.

Wie zuvor die Parteien kann die Nutzerin beziehungsweise der Nutzer des Wahl-O-Mat jede These mit "stimme zu", "neutral" oder "stimme nicht zu" beantworten. Zudem können die User Thesen überspringen, wenn sie keine Stellung beziehen können oder wollen. Am Ende der Sitzung berechnet der Wahl-O-Mat die Übereinstimmung zwischen den Stellungnahmen der Parteien und den Positionen des Nutzers. Dabei werden je nach Grad der Übereinstimmung Punktwerte vergeben. Je größer die Diskrepanz zwischen der eigenen und der Position einer Partei bei einer These, desto größer der zugewiesene Wert.

Die Nutzer haben vor der Berechnung die Möglichkeit, Thesen zu markieren, die besonders gewichtet werden sollen. Der Wahl-O-Mat zeigt die Parteien anschließend in einer Rangreihenfolge an - abgestuft nach dem Ausmaß der Übereinstimmung. An erster Stelle rangiert die Partei, die den niedrigsten Punktwert hat, bei der es also in der Summe die geringsten Abweichungen zwischen den eigenen und den Parteipositionen gibt. In der Detailauswertung besteht die Möglichkeit, die eigenen Ansichten mit den Standpunkten jeder einzelnen Partei zu vergleichen. Auch können die Nutzer in der Auswertung Begründungen der Parteien für ihre jeweiligen Positionen einsehen.

Der Wahl-O-Mat reduziert mit seinem Vorgehen die komplexen Wahlprogramme auf Aussagen, die bejaht oder verneint werden können. Der Versuch, zum Teil verschachtelte Fragestellungen auf eine These herunterzubrechen, ist jedoch heikel. Es läuft auf eine Gratwanderung hinaus, ein Problem präzise zu erfassen und zugleich mit der These den Nutzer nicht inhaltlich zu überfordern. Die Möglichkeit für die Parteien, Begründungen ihrer Positionen einzustellen (wovon die Parteien intensiven Gebrauch machen), bricht freilich die einfache Ja-Neutral-Nein-Konstellation auf.

Im Prozess der Thesenentwicklung kann sich herausstellen, dass sich bestimmte Themenbereiche der Reduktion auf eine Aussage versperren. Zudem können in der Endauswahl der Thesen Problemstellungen wegfallen, die wegen ihrer einheitlichen Beantwortung keinen zwischen den Parteien unterscheidenden Effekt vorweisen. Wichtig ist aber auch: Die Auswahl der Thesen ist eine unabhängig-redaktionelle Entscheidung einer Gruppe von Jungredakteurinnen und -redakteuren.

Auf Grund dieser Beschränkungen kann der Wahl-O-Mat überraschende Ergebnisse produzieren: Ein Teil der Nutzer (die Befragung zur Bundestagswahl 2005 spricht von rund zehn Prozent) findet sich in einem anderen parteipolitischen Lager wieder, als sie es selbst vermutet hätten. Der weitaus größte Teil (beim Bundestags-Wahl-O-Mat also rund 90 Prozent) sieht in dem Ergebnis jedoch eine Bestätigung ihrer Selbstverortung.

Der Wahl-O-Mat kann wegen der genannten Beschränkungen seinen Nutzerinnen und Nutzern nicht die Überlegung abnehmen, welche Partei sie wählen sollen. Dass die individuelle Wahlentscheidung ganz anders als das Wahl-O-Mat-Ergebnis aussehen kann und muss, hängt nicht nur mit dem unvermeidlich eingeschränkten Themenspektrum zusammen. Vielmehr ist die konkrete Wahlentscheidung das Ergebnis einer Abwägung, in die viele weitere Faktoren einfließen: die langfristige Bindung an Parteien, die Wahrnehmung des personellen Angebots sowie sonstige, mitunter kurzfristige Kalküle.

Nutzer, Nutzung und Wirkung

Der Wahl-O-Mat ist von sehr vielen Nutzern durchgespielt worden - das zeigt allein der dokumentierte "Traffic" auf der Seite. Was aber wissen wir über die Nutzerinnen und Nutzer - und damit über das Internet als Instrument der politischen Mobilisierung?

Ein Teil der Benutzer ist im Anschluss an ihre Wahl-O-Mat-Sitzung gefragt worden, ob sie an einer anonymisierten Umfrage teilnehmen möchten. Insgesamt liegen 14 455 ausgefüllte Fragebögen vor. Der Fragebogen umfasste neben den üblichen demografischen Variablen (zu Geschlecht, Alter, Bildungsgrad usw.) Fragen zur Motivation der Wahl-O-Mat-Nutzung, zur Bewertung des Programms und zu seinen Wirkungen auf das Wahl- und sonstige politische Verhalten.

Was lässt sich über die Nutzer sagen?

Der Wahl-O-Mat spricht eine vergleichsweise junge Gruppe an. Fast 40 Prozent sind unter 30 Jahre alt, nur fünf Prozent über 60 Jahre alt (vgl. Tabelle 1 der PDF-Version). Hier spiegelt sich die typische Zusammensetzung der Internet-Gemeinde wider.

Aufschlussreich ist allerdings folgende Entwicklungstendenz: In der ersten Online-Befragung, die anlässlich des Bayern-Wahl-O-Mat 2003 durchgeführt worden ist, waren noch weit über 50 Prozent unter 30 Jahre alt. Bei aller Vorsicht des Vergleichs von Bundes- und Landesebene gibt es deutliche Hinweise, dass die Nutzergemeinde des Wahl-O-Mat "älter" wird - ebenso wie sich die Altersstruktur der Online-Gemeinde generell der Altersverteilung der Gesellschaft angleicht.

Das Bildungsniveau der Wahl-O-Mat-Nutzer ist vergleichsweise hoch: Über Abitur respektive einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss verfügen 65 Prozent der Befragten. In der Gesamtbevölkerung beträgt ihr Anteil nur rund 20 Prozent.

Die Gruppe der Wahl-O-Mat-Nutzer ist vergleichsweise hoch politisch interessiert, aber nicht zwangsläufig entsprechend organisiert. Dass sie politisch interessiert seien, sagen von sich rund vier Fünftel der Befragten. 88 Prozent geben an, eine klare parteipolitische Präferenz zu haben. Gleichwohl sind nur rund sechs Prozent aller Befragten Mitglied einer Partei. Über das Alter aufgeschlüsselt, nimmt der Anteil der Parteimitgliedschaft erheblich und stetig zu, von drei Prozent bei den unter 18-Jährigen bis zu 12,4 bei den über 60-Jährigen. In einer "sonstigen politischen Organisation" (z.B. Bürgerinitiative) sind rund fünf Prozent engagiert.

Warum wird der Wahl-O-Mat genutzt?

Die Nutzer des Wahl-O-Mat sind gefragt worden, mit welcher Hauptmotivation sie das Angebot aufgerufen haben (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version). Die meiste Zustimmung erhielt die Antwortoption, dass die Befragten überprüfen wollten, ob die eigenen Standpunkte mit denen der ihnen nahe stehenden Parteien korrespondierten (51 Prozent). 13 Prozent antworteten, sie seien neugierig gewesen, wie der Wahl-O-Mat funktioniere. Etwa ebenso viele sagten, den Wahl-O-Mat gespielt zu haben, um sich von dem Ergebnis überraschen zu lassen. Nur wenige gaben als Hauptgrund an, den Wahl-O-Mat genutzt zu haben, weil sie auf der Suche nach Informationen über Parteiprogramme waren. Schließlich nutzten rund 18 Prozent das Angebot, weil sie für ihre Wahlentscheidung auf Orientierungssuche waren.

Wie schätzen die Nutzer den Wahl-O-Mat ein?

Zunächst einmal fand die Frage, ob die Nutzung des Wahl-O-Mat Spaß gemacht habe, nahezu einhellige Zustimmung: 94 Prozent bejahten dies (vgl. Tabelle 3 der PDF-Version). Dass das Online-Angebot hilfreich sei, um Unterschiede zwischen den Parteien festzustellen, sagten fast 50 Prozent. Knapp 45 Prozent hat der Wahl-O-Mat auf bundespolitische Themen aufmerksam gemacht. Rund 40 Prozent (hier nur der Wahlberechtigten) sagten, dass der Wahl-O-Mat ihnen bei der Wahlentscheidung weitergeholfen habe - was allerdings nicht heißt, dass ihr konkretes Wahlverhalten von der Wahl-O-Mat-Nutzung bestimmt worden ist.

Welche Auswirkungen hat der Wahl-O-Mat?

Wie gehen die Nutzer mit dem Wahl-O-Mat-Ergebnis um, welche Effekte hat die Nutzung des Angebots? Über 71 Prozent wollten über ihre Wahl-O-Mat-Erfahrung mit Kollegen, Freunden und Verwandten sprechen. Fast die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer bestätigten, dass der Gebrauch des Wahl-O-Mat sie motiviert habe, sich weiter politisch zu informieren (vgl. Tabelle 4 der PDF-Version). Dass sie auf Grund der Ergebnisse des Wahl-O-Mat ihre Wahlabsicht voraussichtlich ändern werden, gaben etwa sechs Prozent an. Es ist jedoch fraglich, ob die Ankündigung, die Stimmabgabe nochmals zu überdenken, in der Realität zu einem gewandelten Abstimmungsverhalten führt. Für die politische Bildung ist schließlich folgende Zahl interessant: Knapp acht Prozent der Benutzer gaben an, dass der Wahl-O-Mat sie motiviert habe, zur Bundestagswahl zu gehen, obwohl sie dies eigentlich nicht vorhatten.

Diskussion und Perspektiven

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Ergebnissen ziehen? Welche Beiträge zur politischen Mobilisierung und Information leistet der Wahl-O-Mat? Welche Potenziale für die politische Bildung und die demokratische Öffentlichkeit bietet das Internet generell?

Der Wahl-O-Mat erreicht offenkundig insbesondere jüngere Menschen. Diese fühlen sich - ihren Aussagen zufolge - von Design und Inhalt der Anwendung angesprochen. Das hohe politische Interesse auch bei den jungen Nutzern und die Tatsache, dass viele eine klare parteipolitische Präferenz haben, machen wiederum deutlich, dass mit dem Angebot vor allem diejenigen erreicht werden, die ohnehin zu den politisch Interessierten gehören.

Bei denjenigen, die den Wahl-O-Mat gezielt nutzen, hat er bemerkenswerte Effekte: Er sorgt für Diskussionen und regt zum Nachdenken an - insbesondere dann, wenn das Ergebnis stutzig macht. Ein Teil der Nutzer (etwa acht Prozent) werden erst durch den Wahl-O-Mat zum Wählen motiviert; diese Zahl lag bei den Landtagswahlen sogar noch höher. Der Wahl-O-Mat hat demnach durchaus das Potenzial, bestimmte Wählerschichten zu mobilisieren.

Die besondere Leistung des Wahl-O-Mat liegt nicht zuletzt darin, die Nutzer auf die thematische Ebene der Politik aufmerksam zu machen. Hier stehen nicht Personen im Vordergrund - wie dies formatbedingt in Teilen der massenmedialen Öffentlichkeit der Fall ist -, sondern Politikfelder und die programmatischen Lösungsvorschläge der Parteien. Und der Wahl-O-Mat vermittelt auch, dass die Parteien - unbeschadet aller inhaltlicher Annäherung - durchaus unterscheidbare Profile in zahlreichen Politikfeldern aufweisen.

Diese Vermittlung geschieht spielerisch, indem man interaktiv seine Präferenzen eingibt und der Wahl-O-Mat am Ende ein Ergebnis "ausspuckt", das mitunter überraschen kann. Auch wenn die Überraschung ausbleibt - eine gewisse Spannung wird durch den Vorgang der Ergebnisberechnung bei jedem Nutzer erzeugt.

Im Wahl-O-Mat verdichten sich wie in einem Brennglas die Grenzen und Möglichkeiten des Internets in Sachen politischer Mobilisierung. Wo liegen die Grenzen? Die Nutzerinnen und Nutzer politischer Websites sind vergleichsweise gut politisch vorinformiert und interessiert sowie formal überdurchschnittlich gebildet. Stärker als in anderen Anwendungen kann sich in den politischen Informations- und Kommunikationsangeboten eine Wissenskluft zwischen "Offlinern" und "Onlinern" auftun, sowie bei den "Onlinern" zwischen den politisch ohnehin interessierten und den politisch eher apathischen Internet-Nutzern. So bleibt als Herausforderung die Frage, wie formal niedrig gebildete, politikferne Milieus online und offline vor Wahlen (und danach!) angesprochen werden können. Auf die "herkömmlichen" Medien kann die politische Bildung jedenfalls nicht verzichten; trotz steigender Nutzung der Online-Medien bleiben die klassischen Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und vor allem das Fernsehen) reichweitenstarke und wichtige Quellen politischer Information. Und bei den "neuen" Medien müssen neueste Entwicklungen insbesondere im Bereich der Mobil-Kommunikation berücksichtigt werden.

Wo liegen die Möglichkeiten der Online-Mobilisierung? Politische, gerade überparteiliche Angebote können - wenn sie die Struktureigenschaften des Netzes berücksichtigen - sowohl Jungwähler erreichen als auch darüber hinaus alle "Interessierten". Über den Weg des Spielerischen können Internet-Nutzer an politische Themen herangeführt werden - nicht nur an Personen. Die Chancen stehen gut, dass Online-Kommunikation in reale Diskussionen im Familien- und Freundeskreis münden kann und dass mehr Information über die Parteien und ihre Positionen nachgefragt wird. Spaß und Unterhaltung auf der einen Seite sowie politische Information und Mobilisierung auf der anderen müssen einander nicht ausschließen. Das Internet kann helfen, beides miteinander zu verbinden.

Internet-Empfehlungen des Autors:
Externer Link: www.wahl-o-mat.de
Externer Link: www.stemwijzer.nl
Externer Link: www.wahl-o-mat.uni-duesseldorf.de

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Roland Abold, Wahlkampf in der Blogosphäre. Weblogs im Vorfeld der Bundestagswahl 2005, BACES Discussion Paper No. 9, Bamberg 2005, in: http://web.uni-bamberg.de/sowi/polsociology/forschung/publications/ discussionpaper9.pdf (26. 10. 2005); Erik Meier/Christoph Bieber, Kopfkribbeln. Podcasting - eine neue Form politischer Öffentlichkeit?, in: Telepolis, 1. 9. 2005, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20833/1.html (26. 10. 2005).

  2. Im Bundestags-Wahl-O-Mat waren die SPD, die CDU/CSU, die FDP, Bündnis 90/GRÜNE und Die Linke.PDS vertreten. Aufgenommen werden jeweils Parteien, die entweder im Parlament vertreten sind oder aufgrund der Prognosen eine realistische Chance haben, Parlamentsmandate zu gewinnen. Eine ausführliche Darstellung der Auswahlkriterien findet sich in den FAQs des Wahl-O-Mat, auf www.wahl-o-mat.de (26. 10. 2005).

  3. Vgl. Mathias Albert/Ruth Linssen/Klaus Hurrelmann, Jugend und Politik. Politisches Interesse und Engagement Jugendlicher im Lichte der 14. Shell Jugendstudie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2003) 15, S. 3 - 5.

  4. Vgl. Birgit van Eimeren/Beate Frees, ARD/ZDF Online Studie 2005: Nach dem Boom: Größter Zuwachs in internetfernen Gruppen, in: Media Perspektiven, (2005) 8, S. 362 - 379.

  5. Vgl. Christoph Bieber/Claus Leggewie, Demokratie 2.0. Wie tragen neue Medien zur demokratischen Erneuerung bei?, in: Claus Offe (Hrsg.), Demokratisierung der Demokratie. Diagnosen und Reformvorschläge, Frankfurt/M. 2003, S. 124 - 151; Beate Hoecker, Mehr Demokratie via Internet? Die Potenziale der digitalen Technik auf dem empirischen Prüfstand, in: APuZ, (2002) 39 - 40, S. 37 - 45; Arne Rogg/Alexander Siedschlag/Carolin Welzel, Digitale Demokratie. Willensbildung und Partizipation per Internet, Opladen 2002.

  6. Vgl. Jürgen W. Falter/Harald Schoen (Hrsg.), Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden 2005.

  7. Die Untersuchung ist vom Verfasser geleitet worden, der die Wahl-O-Mat-Einsätze seit 2003 politikwissenschaftlich begleitet. Eine Zufallsstichprobe war aufgefordert worden, an der web-basierten Befragung teilzunehmen. Die Rücklaufquote lag bei 23 Prozent. Rekrutiert wurden die Befragten über ein "pop-up-Fenster" ("on exit": beim Verlassen der Wahl-O-Mat-Seite) respektive über ein Banner. Die Daten sind bereinigt und ihre Repräsentativität ist entlang der Variablen Geschlecht und Bundesland kontrolliert worden. Bei der Datenauswertung und Tabellenerstellung haben dankenswerterweise Christian K. Schmidt und Tammo Wetzel geholfen. Ergebnisse früherer Umfragen und sonstige Analysen sind auf der Seite www.wahl-o-mat.uni-duesseldorf.de/ einzusehen.

  8. Vgl. B. van Eimeren/B. Frees (Anm. 4), S. 364; TNS Infratest (Hrsg.), (N)Onliner-Atlas 2005. Eine Topografie des digitalen Grabens durch Deutschland, in: http://www.nonliner-atlas.de/ (7. 11. 2005).

  9. Vgl. http://www.br-online.de/br-intern/medienforschung/soziodemo/ (7.11. 2005).

  10. Dass über den Wahl-O-Mat gesprochen wird, zeigt sich auch in der Frage, wie man auf den Wahl-O-Mat aufmerksam geworden ist. Mehr als ein Drittel der Befragten hat vom Wahl-O-Mat über Freunde, Verwandte und Kollegen erfahren (35,5 Prozent).

  11. Die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, lag bei den Wahl-O-Mat-Nutzern generell auf hohem Niveau (90,3 Prozent) und wesentlich höher als die tatsächliche Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl (77,7 Prozent). Internet-Nutzer scheinen allgemein ein höheres politisches Interesse zu haben als der Bevölkerungsdurchschnitt; vgl. Thorsten Faas, Umfragen im Vorfeld der Bundestagswahl 2002: Offline und Online im Vergleich, in: ZA Informationen, 52 (2003), S. 120 - 135.

  12. Diese These bestätigt generell vorliegende Forschungsergebnisse über Internet-Kommunikation; vgl. z.B. Martin Emmer/Gerhard Vowe, Mobilisierung durch das Internet? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zum Einfluss des Internets auf die politische Kommunikation der Bürger, in: Politische Vierteljahresschrift, 45 (2004) 2, S. 191 - 212.

  13. Vgl. Christa-Maria Ridder/Bernhard Engel, Massenkommunikation 2005: Images und Funktionen der Massenmedien im Vergleich, in: Media Perspektiven, (2005) 9, S. 422 - 448.

Dr. phil., Privatdozent, geb. 1968; zzt. Professorenvertreter an der Universität Duisburg-Essen, Institut für Politikwissenschaft, 47048 Duisburg.
E-Mail: E-Mail Link: stefan.marschall@uni-duesseldorf.de