Einleitung
Der Georgien-Krieg im Sommer 2008 brach sprichwörtlich über Nacht aus und eroberte umgehend die Weltnachrichten. Dieser Gewaltausbruch zwischen Russland und Georgien kam nicht nur für die meisten Zeitungsleser, Radiohörer und Fernsehzuschauer vollkommen überraschend, sondern überrumpelte auch viele Journalisten. Dass kaum jemand zu ahnen schien, was sich da zusammenbraute, zeigt allein schon die Tatsache, dass sich viele deutsche Korrespondenten in Moskau gerade im Sommerurlaub befanden, als der Krieg begann. Wie ein großer Scheinwerfer richtete sich die mediale Aufmerksamkeit plötzlich auf den Kaukasus, eine Region, die eigentlich eher im Schatten des Interesses deutscher Medien liegt. Dabei war dieser Krieg zwischen Georgien und Russland bei Weitem nicht der erste in der Region seit 1991.
Obwohl der Georgien-Krieg der kürzeste und am wenigsten verlustreiche in der Region gewesen ist, hat es so viel Berichterstattung wie noch nie gegeben. Selbst über die Tschetschenien-Kriege sei weniger ausführlich berichtet worden, bestätigen auch langjährige Beobachter. Die Bedeutung der Ereignisse und deren enormes Medienecho erklären sie vor allem mit der Internationalisierung des Konflikts, bei dem erstmals wieder die USA und Russland in eine offene Konfrontation gerieten. "Wie kein regionales Ereignis zuvor jagte dieser "Fünftage-Krieg" Schockwellen durch die internationale Politik, geriet doch erstmals Russland mit einem souveränen Nachbarland in militärischen Konflikt."
"Es ist eine erstaunliche Ungleichgewichtigkeit", urteilt der Russland-Referent der Menschenrechtsorganisation von amnesty international, Peter Franck im Rückblick auf den Georgien-Krieg. "Im August kanntest Du bald jedes Dorf und dann tritt das Thema völlig in den Hintergrund." Nach Francks Ansicht unterschätzen die Redaktionen das Interesse der Mediennutzer, die nach wie vor hören beziehungsweise lesen wollten, wie es in der Region weitergeht: "Man wüsste schon gerne, was in Südossetien inzwischen los ist." Aus journalistischer Sicht lässt sich die große Diskrepanz damit erklären, dass der Georgien-Krieg im August mitten ins "Sommerloch" fiel und es wenig Konkurrenzthemen außer den Olympischen Spielen in Peking gab. Nach Kriegsende drängten dagegen sehr schnell andere Themen in den Vordergrund, vor allem die sich verschärfende internationale Finanz- und Wirtschaftskrise. Aber auch die Wahl Barack Obamas zum neuen US-Präsidenten, der Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine und der Gaza-Krieg im Nahen Osten bildeten seither die neuen Schwerpunkte. Hinzu kommt, dass sich die Auslandsberichterstattung nicht nur mit Blick auf den Kaukasus derzeit stark verändert. Die Fragen, was tatsächlich woanders los ist und was den Alltag der Menschen vor Ort bestimmt, treten gegenüber einer aufgeregten, zunehmend an Krisen orientierten Auslandsberichterstattung immer stärker in den Hintergrund. Erst wenn es "richtig knallt", wird etwas zum Top-Thema und politisch-analytische Berichte finden immer weniger Raum. "Die zunehmende Konzentration auf Brennpunkte wird von vielen Auslandsjournalisten beklagt", schreibt auch der Leipziger Medienwissenschaftler Lutz Mükke in einem Dossier des Netzwerks Recherche, das die Veränderungen der deutschen Auslandsberichterstattung kritisch beleuchtet. So werde beispielsweise "das kontinuierliche Abbilden von Entwicklungen immer schwieriger und Rezipienten bekommen Ausland oft als Ort immerwährenden Ärgers präsentiert", zitiert Mükke die Einschätzung von Auslandskorrespondenten.
Auch mit Blick auf andere Krisenherde wie Afghanistan, Irak oder den Balkan kann von einer nachhaltigen Berichterstattung immer weniger die Rede sein. Dabei sind in Afghanistan und im Kosovo sogar deutsche Soldaten beteiligt. Doch solche Defizite der Auslandsberichterstattung erklären mit Blick auf den Kaukasus nur teilweise, warum die mediale Aufmerksamkeit so gering ausfällt. Die mangelnde Nachhaltigkeit, die auch Wissenschaftler beklagen, liegt ebenfalls darin begründet, dass die Region Journalisten vor besondere Herausforderungen stellt.
Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion tauchten Anfang der 1990er Jahre, zumindest aus westdeutscher Perspektive, zahlreiche neue, unabhängige Staaten auf, darunter auch die südkaukasischen Republiken Georgien, Aserbaidschan und Armenien, von denen bis dahin gerade mal Fachleute wussten. Die journalistische Arbeit vor Ort erfordert ein hohes Maß an Recherchearbeit, viel Leseaufwand bezüglich der historischen Zusammenhänge und zumindest russische Sprachkenntnisse. Es ist schwer, sich hier schnell ein Bild zu machen, geschweige denn, die komplizierten Zusammenhänge griffig und leicht lesbar zu vermitteln. "Es ist ein kleinteiliges Gebiet, das große Konflikte hat und sehr schwer zu erklären ist", sagt die freie Journalistin Silvia Stöber, die sich auf Georgien spezialisiert hat.
Von den sieben nordkaukasischen Teilrepubliken der Russischen Föderation ist bislang vor allem Tschetschenien durch zwei brutale Kriege ins öffentliche Bewusstsein in Deutschland gelangt. Adygien, Karatschajewo-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Nordossetien, Inguschetien und Dagestan klingen vielen bis heute ganz und gar fremd. "Der Nordkaukasus stellt in Hinsicht auf seine räumliche Gliederung, seine Völker und Sprachenvielfalt und die politische, kulturelle und religiöse Geschichte seiner Volksgruppen den kompliziertesten Abschnitt der Russischen Föderation, ja des gesamten GUS-Raumes und die ethnisch wohl am stärksten differenzierte Zone Eurasiens dar",
Standortfragen
Wie schon zu sowjetischer Zeit läuft die Berichterstattung über den Kaukasus vor allem über Moskau. Fast alle deutschen Medien haben das Berichtsgebiet unverändert so eingeteilt, das die Moskau-Korrespondenten auch über den Südkaukasus berichten. Angesichts der Fülle der anfallenden Themen in der Russischen Föderation kommen Ereignisse in den drei kleinen Ländern des Südkaukasus naturgemäß häufig zu kurz. "Hier wird das Erbe des Kalten Krieges in der Berichterstattung meist aus praktischen Gründen fortgeführt", urteilen Kollegen, die das kritisch sehen. Auch Gesprächspartner in den Hauptstädten der unabhängig gewordenen Staaten reagieren empfindlich darauf, dass die russische Perspektive bei der Berichterstattung über ihr Land unverändert eine so dominante Rolle spielt und oft russische Quellen verwendet werden.
Vereinzelt wurde in Redaktionen über mögliche Vorteile eines Standortwechsels nachgedacht. Gerade mit Blick auf die vorsichtige Annäherung zwischen Armenien und der Türkei oder eine mögliche neue Perspektive zur Lösung des Karabach-Konflikts spricht einiges dafür, dass Istanbul vielleicht ein besserer Standort für Korrespondenten sein könnte, die den Südkaukasus betreuen. Die "Süddeutsche Zeitung" war Mitte der 1990er Jahre die erste deutsche Zeitung, die für einige Jahre den Südkaukasus dem neugeschaffenen Istanbul-Büro zuordnete. Der frühere Moskau-Korrespondent Wolfgang Koydl hatte sein Interesse bekundet, diese Länder von dort aus weiter zu betreuen. Seine Nachfolgerin Christiane Schlötzer übernahm seinen Posten im Jahr 2001, allerdings ohne Russischkenntnisse, und konzentrierte sich vor allem auf die Armenien-Berichterstattung. Nach Schlötzers Weggang aus der Türkei kehrte die "Süddeutsche Zeitung" deshalb wieder zum alten Zuschnitt des Berichtsgebiets zurück. Die Deutsche Presse-Agentur hat im Sommer 2007 zumindest Aserbaidschan dem Istanbul-Büro zugeordnet, das auch für den Iran zuständig ist. Allein "Die Zeit" hat sich für eine Aufgabenteilung entschieden, bei der beide Korrespondenten in Moskau und Istanbul ihren Blick auch auf den Kaukasus richten. Zu dieser Lösung trug vor allem der Wechsel des früheren Moskau-Korrespondent Michael Thumann in das neugeschaffene Istanbul-Büro bei. Er lobt die gefundene Lösung, weil sie der Rolle der Türkei als wichtige Regionalmacht ebenso Rechnung trage wie der unverändert wichtigen Rolle Russlands für die Region. Als kürzlich eine in Moskau stationierte Kollegin sogar über Istanbul nach Tbilissi reiste, sah sich Thumann in der Wahl des Istanbul-Standortes erneut bestätigt. Denn Direktflüge von Moskau nach Georgien gibt es nicht. Von Istanbul gibt es tägliche Flugverbindungen nach Tbilissi und Baku, und inzwischen sind sogar Flüge nach Armenien wieder möglich. Für die Wissenschaftlerin Marietta König vom Hamburger Institut für Friedensforschung, deren Forschungsschwerpunkt auf dem Kaukasus liegt, ist auch Istanbul nicht die richtige Alternative. Sie findet unbefriedigend, dass eine "dauerhafte Präsenz vor Ort fehlt". Aber weder in Tbilissi, noch in Eriwan oder in Baku sitzen deutsche Korrespondenten. Selbst freie Journalisten haben sich dort bislang nicht fest etabliert.
Auch beim Netzwerk für Osteuropaberichterstattung (n-ost), dessen Ziel es eigentlich ist, die Berichterstattung aus Osteuropa durch freie Journalisten vor Ort zu ergänzen, ist die Präsenz im Südkaukasus nur sehr schwach. So wird Georgien von einem Fotografen im Wendland "abgedeckt", über Armenien und Aserbaidschan schreiben gelegentlich zwei Journalisten, die ebenfalls in Deutschland sitzen und selbst auch noch aus diesen beiden Ländern stammen. Die zuständige Redakteurin Ulrike Gruska räumt dieses Problem ganz offen ein: "Wir haben im Südkaukasus große Schwierigkeiten, gute Korrespondenten vor Ort zu finden." Das Netzwerk habe zwar schon viel versucht, um Abhilfe zu schaffen. Aber derzeit sei kein freier Journalist aus Deutschland in der Region ansässig. So sei sie ständig auf der Suche nach einem deutschen Kollegen, der sich auf eigene Initiative dort niederlasse, um Printmedien und Hörfunk mit regelmäßigen Berichten aus der Region zu versorgen. Als während des Georgien-Krieges im August 2008 bei n-ost die Telefone heißliefen und sich die Anfragen von Zeitungen und Fernsehsendern in der Redaktion häuften, merkte Gruska, dass es offenbar allen Redaktionen so ging, dass niemand auf Anhieb deutsche Journalisten vor Ort zur Verfügung hatte. "Das hat man der Berichterstattung auch angemerkt, dass alle Leute schnell hinfuhren und alle die gleichen O-Töne brachten", sagt Gruska im Rückblick. Im Kollegenkreis ist umstritten, ob es sich für einen freien Kollegen finanziell überhaupt auszahlt, aus dem Südkaukasus zu berichten. "Das ernährt keinen Journalisten", lautet die verbreitete Einschätzung angesichts des geringen Interesses in den Redaktionen. Bislang lässt sich offenbar kein freier Journalist auf den Versuch ein, auszutesten, ob eine kontinuierliche Berichterstattung vor Ort vielleicht auch ein größeres Interesse in den Redaktionen wecken könnte. Interessante Themen - auch jenseits der Krisenberichterstattung - bietet die Region eigentlich in Hülle und Fülle. Andererseits ist es in der derzeitigen Situation so, dass schon für etablierte Auslandsposten immer weniger Geld vorhanden ist. Sinkendes Anzeigenaufkommen und massive Einsparungen führen dazu, dass die Seitenumfänge bei Zeitungen und Magazinen abnehmen. Schon jetzt klagen beispielsweise freie Journalisten auf dem Balkan darüber, dass sie mit ihren Themen kaum Chancen haben, "ins Blatt zu kommen" und immer weniger verdienen. Selbst in dieser europapolitisch bedeutsamen Region geht die Tendenz dahin, dass in Warschau oder Wien ansässige Kollegen ganz Südosteuropa journalistisch abdecken sollen. Kein Wunder also, dass ein Auslandsredakteur bei der Frage nach dem Kaukasus von "Luxusüberlegungen" spricht: "Wer hat diese Kapazitäten überhaupt noch?", fragt er.
Es gibt auch nur wenige freie Journalisten, die regelmäßig in die Region reisen. Im Hörfunk hat sich die Slawistin Gesine Dornblüth vom Berliner Journalistenbüro "texte und töne", die seit Jahren für die ARD regelmäßig in den Südkaukasus aufbricht, einen Namen gemacht. Auf Sendeplätzen wie "Gesichter Europas" im Deutschlandfunk findet sie die seltene Möglichkeit, in einer einstündigen Reportage auch einmal Alltagsthemen zu beleuchten. Bei den Printmedien scheint das schwieriger zu sein. Journalisten, die in den Kaukasus reisen, erzählen von dem mangelnden Interesse der Redaktionen und herben Enttäuschungen. So musste ein Kollege nach einer einwöchigen Reise durch Aserbaidschan erleben, dass allein das Thema "Berti Vogts als Trainer der Fußball-Nationalmannschaft Aserbaidschans" auf Interesse stieß. Eine Kulturjournalistin recherchierte im Auftrag eines Magazins eine Woche lang eine aufwändige Geschichte über den georgischen Film, die niemals erschien, obwohl die Redaktion den Beitrag sogar bezahlt hatte. Wer so etwas erlebt hat, fährt so schnell nicht wieder in die Region. Dennoch gelingt es immer wieder - unter anderem auch dank des Marion-Gräfin-Dönhoff-Journalistenstipendiums der Internationalen Journalistenprogramme, das Nachwuchsjournalisten zweimonatige Aufenthalte in der Region ermöglicht - bei jüngeren Kollegen Neugier und Interesse für Georgien, Armenien oder Aserbaidschan zu wecken.
Georgien im Mittelpunkt
Nach Einschätzung des Kaukasus-Experten Uwe Halbach wird Georgien in der deutschen Berichterstattung traditionell stärker beachtet als die übrigen Kaukasusländer. Während der größte Staat Aserbaidschan auch noch wegen seines Ölreichtums wahrgenommen werde, stoße das verarmte Armenien auf das geringste Interesse. Die besondere Aufmerksamkeit oder auch Sympathie für Georgien ist unter anderem dem langjährigen Präsidenten Eduard Schewardnadse geschuldet. Der frühere sowjetische Außenminister wurde mit seinem Wahlsieg 1995 für die deutsche Öffentlichkeit zum positiven Gesicht Georgiens - ein Bild, zum dem vor allem seine Rolle bei der deutschen Wiedervereinigung beitrug. Auch aufgrund seiner Freundschaft zu dem früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und weil es an einer kritischen Berichterstattung vor Ort fehlte, wurde seine Präsidentschaft über Jahre in den deutschen Medien viel zu positiv bewertet. Als die georgische Opposition im November 2003 in der "Rosenrevolution" den Rücktritt Schewardnadses erzwang, wurde der politische Wandel in deutschen Medien wieder aufmerksam registriert. Nach der Revolution schien sich Georgien als Demokratie zunächst positiv zu entwickeln, und der zunehmende Konflikt mit Russland bediente als Kampf von "David gegen Goliath" ein einfaches Wahrnehmungsmuster.
Der langjährige Repräsentant der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilissi, Walter Kaufmann, beobachtete über Jahre die geschickte Öffentlichkeitsarbeit von Georgiens Präsident Michail Saakaschwili. Er spricht von einer "perfekten PR-Maschinerie" des fließend englisch sprechenden Staatschefs. Nur Beobachtern vor Ort sei aufgefallen, dass sich seine Reden für die georgisch sprechende Öffentlichkeit von seinen englisch gehaltenen Reden immer deutlicher unterschieden. Viele deutsche Journalisten, die zum ersten Mal nach Georgien gekommen seien, hätten sich geschmeichelt gefühlt, wenn sie in kürzester Zeit im Präsidentenpalast Einlass fanden. "Nirgendwo landet man so schnell beim Präsidenten wie in Georgien", so Kaufmann. "Saakaschwili weiß, wie man mit westlichen Journalisten und Medien umgehen muss."
Das zeigte sich auch zu Beginn des Georgien-Krieges, als Saakaschwili durch zahlreiche Interviews eine permanente Präsenz in den internationalen Medien zeigte. Auch die in Brüssel ansässige PR-Agentur Aspect Consulting trug dazu bei, dass sich zunächst die georgische Sicht des Krieges in den Redaktionen durchsetzen konnte. Sie bediente erfolgreich das Muster von "David gegen Goliath", so dass viele Medien den Krieg zunächst sehr vereinfacht vor allem als Konflikt zwischen Georgien und Russland darstellten. Je weniger Basiswissen in den Redaktionen vorhanden ist und je weniger Journalisten vor Ort Ereignisse miterleben, umso größer wird der Spielraum für die gezielte Manipulationen von Informationen durch PR-Agenturen oder Regierungen. So wurde erst im weiteren Kriegsverlauf deutlich, dass mit den Südosseten ja eine dritte Partei beteiligt war, welche die eigentliche Opferrolle einnahm. Der ossetische Star-Dirigent Waleri Gergijew war der einzige Prominente, der es schaffte, sich für das Anliegen seiner Landsleute in der internationalen Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Das kleine Volk blieb als eigenständiger Akteur unter der Wahrnehmungsschwelle westlicher Medien, was aber auch dem schwierigen Zugang in das Gebiet geschuldet war, der von russischer Seite streng reglementiert wurde.
Südossetien und Abchasien
Seit Kriegsende ist Südossetien de facto ein russisches Protektorat. Trotz der instabilen politischen Lage dringen nur spärliche Information aus dem Gebiet, um das ja noch vor wenigen Monaten ein erbitterter Krieg geführt wurde. Erschwert wird die Berichterstattung vor allem durch die noch immer bestehenden Reisebeschränkungen der russischen Regierung. Von georgischer Seite ist kein Zugang nach Südossetien mehr möglich. So können Journalisten nur von Moskau aus mit einer organisierten Reise in die Provinz gelangen. Korrespondenten in Moskau erzählen, dass solche Reisen in die Region neben dem geplanten Besuchsprogramm wenig Spielraum für eigenständige Recherchen lassen. Begründet werde dies von russischen Behörden mit der schwierigen Sicherheitslage.
In die andere von Moskau annektierte Provinz Abchasien dagegen gelangt man vergleichsweise einfach: Über ein Formular im Internet kann eine Einreisegenehmigung beantragt werden, die in der Regel wenige Tage später per E-Mail erteilt wird. In Abchasien können sich Journalisten frei bewegen und eigenständig recherchieren. Dennoch gibt es auch von dort nur sehr wenige "Geschichten", die es bis in die Zeitungen und Sendungen schaffen. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass die Redaktionen zunehmend einem Agenda Setting der Politik folgen, deren öffentliche Empörung über das russische Vorgehen ebenfalls stark nachgelassen hat. Themen können dadurch sehr leicht als unwichtig erscheinen und in der Fülle der übrigen Nachrichten untergehen. Dadurch, dass die russische Führung die Befriedung und Stabilisierung ihrer Regionalkonflikte im Nordkaukasus traditionell als innerrussische Angelegenheiten betrachtet und die deutsche Politik daran auch nicht rührt, wird die "Nicht-Berichterstattung" zusätzlich gefördert.
Nordkaukasus
Als die russische Armee unter Präsident Wladimir Putin im zweiten Tschetschenien-Krieg die tschetschenische Hauptstadt Grosny in Schutt und Asche legte, gingen die Bilder der Zerstörung um die Welt und prägten über Jahre das Bild dieses Landstrichs. "Der zweite Tschetschenien-Krieg war vermutlich das größte Gewaltereignis des postsowjetischen Raums", charakterisiert Halbach die Ereignisse ab 1999. In den Folgejahren wurde Russland von einer Welle spektakulärer Terroranschläge erschüttert. Die dramatischen Geiselnahmen im Moskauer Dubrowka-Theater im Herbst 2002 und an einer Schule im nordossetischen Beslan durch ein tschetschenisches Terrorkommando im September 2004 trugen dazu bei, dass der Tschetschenien-Konflikt immer wieder kurzfristig in die Schlagzeilen kam. Zuletzt waren es der Mord an der bekannten russischen Journalistin Anna Politkowskaja im Herbst 2006 und an dem russischen Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow im Januar 2009, die Journalisten immer wieder Anlass boten, der tschetschenischen Spur dieser Gewaltverbrechen nachzuspüren. Aber es benötigt offenbar immer erst solcher extremen Ereignisse, um Tschetschenien wieder auf die Agenda der Redaktionen bringen. Dazwischen wird die Unruheprovinz immer wieder nahezu vollständig vergessen.
Auch dies ist unter anderem der schwierigen Sicherheitslage vor Ort geschuldet und den Auflagen der Behörden, die selbst von Moskauer Korrespondenten eine Spezial-Akkreditierung für Tschetschenien verlangen. Aber auch hier ist das Desinteresse in den Redaktionen an der Nachkriegssituation in Grosny offenbar sehr verbreitet. So stießen selbst die zwei ersten Reisen deutscher Politiker im Sommer 2007 in das Konfliktgebiet auf so gut wie kein Medienecho. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck war im Juni 2007 in Begleitung russischer Menschenrechtler in Tschetschenien. Einen Monat später brach der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, nach Kabardino-Balkarien, Nordossetien, Inguschetien und Tschetschenien auf, um sich vor Ort vier Tage lang ein Bild zu machen. Weder wurden sie von Journalisten begleitet, noch stießen ihre Reiseberichte nach ihrer Rückkehr auf besonderes Interesse bei den Berliner Medienvertretern.
Die Journalistin Barbara Lehmann, die wiederholt auf eigene Faust in die Unruheprovinz gereist ist, berichtet von den Problemen freier Journalisten, eine solche Reise überhaupt vorzufinanzieren. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gelte Tschetschenien unverändert als Kriegszone. Die Gefahr einer eventuellen Haftung für freie Journalisten sei ein wichtiger Hinderungsgrund, eine solche Reise zu unterstützen. Sie selbst habe die Erfahrung gemacht, dass Redaktionen, die vorher abgelehnt hatten, sich erst interessiert zeigten, als sie nach zwei Wochen Recherche sicher wieder zurück in Berlin gewesen sei. 2007 brachte sie als eine der ersten Journalistinnen überraschende Berichte vom Wiederaufbau in Tschetschenien mit. Während in deutschen Zeitungen unverändert die erschütternden Fotos vom völlig zerstörten Grosny das Bild bestimmten, war vor Ort der Wiederaufbau der Stadt längst im Gange. Die vermittelte Realität hinkte der Wirklichkeit schon lange hinterher, weil seit Jahren niemand mehr nach Grosny gereist war.
Noch schemenhafter bleibt die Berichterstattung aus den instabilen Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, obwohl sich dort jeden Tag Entführungen, Morde und Kämpfe ereignen. Es ist daher umso bemerkenswerter, dass die "Süddeutsche Zeitung" einer Inguschetien-Reportage ihrer Moskau-Korrespondentin Sonja Zekri im Januar 2009 sogar ihre prominente Seite 3 widmete.
Ausblick
In den kommenden Jahren dürften die Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 dafür sorgen, dass auf die Region vielleicht ein ganz neuer Blick fällt. Einige Kolleginnen und Kollegen nutzen die Vorbereitungen auf das internationale Sportereignis bereits als Aufhänger für Reportagen. Da Abchasien nur zehn Minuten vom geplanten Olympiapark entfernt liegt, dürfte sich selbst der Blick der Sportjournalisten nicht auf den Badeort im Süden Russlands beschränken. Aber trotz solcher Chancen auf neue journalistische Zugänge spricht angesichts der drastischen Sparmaßnahmen in den Redaktionen wenig dafür, dass sich das Interesse am Kaukasus in den Medien erheblich steigern ließe. Schon jetzt sind größere Artikel vor allem dem Engagement und dem Verantwortungsgefühl einzelner Journalisten geschuldet und weniger der Offenheit und Neugier für Unbekanntes in den Redaktionen.