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Still Special? Britische Sicherheitspolitik und die USA

Ralph Rotte Christoph Schwarz Christoph Schwarz Ralph Rotte /

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Als Folge der globalen Finanzkrise und der Erfahrungen mit den USA unter New Labour hat die special relationship ihre ideelle Überhöhung längst verloren.

Einleitung

Könnte man den Zustand politischer Beziehungen verlässlich anhand von Fotos beurteilen, welche die beteiligten Entscheidungsträger gemeinsam zeigen, man würde kaum auf den Gedanken kommen, die special relationship zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich in Frage zu stellen. Traute Eintracht scheinen die Bilder aus diesem Jahr zu demonstrieren, die den amerikanischen Präsidenten Barack Obama und den neu gewählten britischen Premierminister David Cameron beim Spaziergang durch den Garten des Weißen Hauses zeigen, die Sakkos jeweils lässig über die Schultern gehängt. Die persönliche und politische Nähe, die zwischen zahlreichen Präsidenten und Premierministern herrschte, nicht zuletzt zwischen Obamas Amtsvorgänger George W. Bush und Tony Blair, scheint ungebrochen. Doch die Suggestivkraft der Bilder vermag nicht zu überzeugen. Hinter den Kulissen brodelt es geradezu, und über die Zukunft der special relationship wird heftig spekuliert.

Beide Amtsinhaber stehen für eine pragmatische Sicht auf die bilateralen Beziehungen. Bereits Camerons Amtsvorgänger Gordon Brown hatte diesen neuen Umgang zu spüren bekommen; statt privilegiertem Zugang zum Weißen Haus hatte es nur zum viel zitierten "Küchengipfel" gereicht - ein Gespräch unter vier Augen beim Gang durch die Küche der Vereinten Nationen in New York. Jenseits der tagespolitischen Ereignisse, zu denen auch der Streit um die Verantwortung (und damit für die entstehenden Kosten) für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und die Entrüstung der USA im Hinblick auf die Freilassung des angeblich todkranken Lockerbie-Attentäters Abdel Basset Ali al-Megrahi gehören, sind es primär die sich abzeichnenden strukturellen Machtverschiebungen im internationalen System ebenso wie die langfristige Veränderung der demografischen Basis in den USA, welche die größten Herausforderungen für die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten sind. Der "Aufstieg der Anderen" und die damit verbundene Verschiebung des weltpolitischen Gravitationszentrums von Europa in Richtung Asien verringern potenziell den Wert der europäischen Verbündeten für die USA. Mit diesen Entwicklungen steht auch der in den vergangenen Jahrzehnten gerade im Bereich der Sicherheitspolitik bestehende privilegierte Zugang zu amerikanischen Ressourcen für Großbritannien auf dem Spiel. Vieles hängt davon ab, wie Großbritannien im Bereich der Verteidigungs- und Streitkräfteplanung auf den immensen Druck zur Haushaltskonsolidierung als Folge der globalen Finanzkrise der vergangenen Jahre reagiert. Erfolgen deutliche Einschränkungen der britischen Streitkräfte, insbesondere mit Blick auf deren Befähigung zur Interoperation mit amerikanischen Kontingenten, dürfte die Substanz der special relationship nachhaltig beschädigt werden.

Während auf außenpolitischer Ebene gegenwärtig unzweifelhaft eine Neuausrichtung der britischen Politik stattfindet, die auf genuin britischen Interessen und nicht mehr auf einer zwingend zu erhaltenden Nähe zu Washington aufbaut, spricht für den Bereich der Sicherheitspolitik bisher wenig dafür, dass man diesen Richtungswechsel umsetzen wird. Vielmehr ist zu erwarten, dass die unvermeidlichen Sparmaßnahmen primär jene Bereiche betreffen werden, welche für die Substanz der special relationship von nachrangiger Bedeutung sind.

Vergangenheit: Höhen und Tiefen

Als Winston Churchill im Jahr 1946 den Begriff der special relationship aus der Taufe hob - in derselben Rede, in der er das Bild vom Eisernen Vorhang prägte, der in Europa niedergegangen sei -, listete er eine Reihe von Faktoren auf, welche diese enge transatlantische Bindung hervorgebracht hatten: Neben Freundschaft und wechselseitigem Verständnis, die seiner Ansicht nach eine Art Brüderlichkeit zwischen den beiden Nationen begründeten, betonte der nur im zeitweiligen Ruhestand befindliche britische Premierminister darüber hinaus die Bedeutung der Kriegskoalition zwischen den USA und Großbritannien. Implizit verwies er damit auch auf die Bedeutung, welche die gemeinsame Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland und Japan für Zustandekommen und Aufrechterhaltung der Allianz hatte. Auch Churchill wusste, dass dieses Bündnis keine Zwangsläufigkeit war. Wer mit dem Verweis auf gemeinsame Sprache, Geschichte, Werte und Kultur deterministische Kräfte am Werk sieht, der übersieht die vielfach vorhandenen Spannungsfelder.

So hat bereits George Bernard Shaw betont, dass die beiden Völker durch die gemeinsame Sprache eher voneinander getrennt denn miteinander verbunden seien. Auch der Verweis auf die gemeinsame Geschichte ist gerade in Bezug auf die Periode der amerikanischen Staatsgründung problematisch: Die noch jungen USA und Großbritannien führten zwei Kriege gegeneinander; 1814 brannten Weißes Haus und Kapitol nach der Einnahme Washingtons durch britische Truppen. Auch wenn sich diese Ereignisse nicht so tief in das kollektive Gedächtnis der amerikanischen Gesellschaft eingebrannt haben wie der japanische Angriff auf Pearl Harbor 1941 oder gar wie "9/11": Die gemeinsame Geschichte wurde lange Zeit aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Noch bis in die 1920er Jahre hinein wurde ein britisch-amerikanischer Krieg für ebenso möglich gehalten wie vor dem Ersten Weltkrieg, in den die USA schließlich als assoziierte Macht und nicht als offizielles Mitglied der Entente gegen die Mittelmächte eingetreten waren. Und schließlich eilten die USA Großbritannien trotz der existentiellen Bedrohung des Inselstaates durch das nationalsozialistische Deutschland 1940 nicht umgehend zu Hilfe. Trotz der intensiven Bemühungen Churchills und der grundsätzlich pro-britischen Haltung des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die sich auch in zunehmender materieller Unterstützung der britischen Kriegsanstrengungen bemerkbar machte, bedurfte es für den amerikanischen Kriegseintritt des japanischen Überraschungsangriffs auf Pearl Harbor und der wenige Tage darauf folgenden deutschen Kriegserklärung. Zu stark war bis zu diesem Zeitpunkt die isolationistische Stimmung in den USA gewesen.

Unzweifelhaft wirkte die Kriegskoalition als Katalysator für eine Intensivierung der Beziehungen - und das nicht nur auf der Ebene der politischen und militärischen Entscheidungsträger. Vielmehr wurden, wie Eric Edelman hervorgehoben hat, durch die Stationierung riesiger amerikanischer Truppenkontingente auch das gegenseitige Verständnis verbessert und der interkulturelle Austausch auf breiter Ebene gefördert - nicht zuletzt durch die große Zahl britisch-amerikanischer Ehen, die aus dem Krieg hervorgingen. Aber auch in anderen Feldern sind aus dem Bündnis gegen Deutschland und Japan langfristige Kooperationen erwachsen, die mit einiger Berechtigung als special anzusehen sind. Hervorzuheben sind vor allem die Zusammenarbeit im nachrichten- und geheimdienstlichen Bereich sowie die Kooperation bei der Entwicklung der Atombombe. Erstere mündete 1947 in den Abschluss des UKUSA Agreement. Zwischen den beiden transatlantischen Vertragsparteien, die später um Kanada, Neuseeland und Australien erweitert wurden, etablierte das Abkommen eine geografische Arbeitsteilung für den Bereich der signal intelligence. Nach wie vor ist auch die Zusammenarbeit in anderen Bereichen der Nachrichtenbeschaffung, zum Beispiel durch so genannte human intelligence, ausgesprochen eng. Auch der kritische Bericht des Foreign Affairs Committee des House of Commons aus diesem Jahr kommt mit Blick auf die Kooperation im geheimdienstlichen Bereich zu der Feststellung, diese könne "rightly be described as 'special'".

Im Bereich der Nuklearrüstung wurde 1958 das US-UK Mutual Defence Agreement abgeschlossen, welches 2004 um zehn Jahre verlängert wurde. Nach der engen Kooperation bei der Entwicklung der Atombombe während der Kriegszeit verhängte der US-Kongress im so genannten McMahon-Act von 1946 zunächst ein Verbot der Proliferation nuklearer Technologie; die USA wollten das Monopol auf den Besitz der "absoluten Waffe" für die absehbare Zukunft zementieren. Erst in den 1950er Jahren kam es zu einer neuerlichen Annäherung - interessanterweise nicht zuletzt deshalb, weil Präsident Dwight D. Eisenhower nach der politischen Eiszeit zwischen beiden Staaten im Anschluss an die Suezkrise von 1956 eine neuerliche Intensivierung der Beziehungen anstrebte. Das Abkommen regelte den Transfer von Geheiminformationen, Technologien (Sprengköpfe, nukleare Schiffsantriebe) und Rohstoffen (Uran) für die Weiterentwicklung des britischen Nuklearprogramms, räumte den Briten also einen privilegierten Zugang zum amerikanischen Nuklear-Knowhow ein.

Jenseits dieser eindrucksvollen und in ihrer Qualität tatsächlich besonderen Vereinbarungen hat es jedoch auch während des Kalten Krieges zahlreiche Dissonanzen und handfeste Konflikte zwischen beiden Staaten gegeben. So wurde der britischen Regierung in der Suezkrise nachdrücklich und schmerzhaft bewusst gemacht, dass die Zeiten britischer Weltmacht vorbei waren: Als Großbritannien zusammen mit Frankreich und in Abstimmung mit Israel versuchte, sich die Kontrolle über den Suezkanal, den der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser verstaatlichen wollte, durch eine militärische Intervention zu sichern, zwang amerikanischer Druck sie zu einem demütigenden Rückzug. In der Konfrontation der Supermächte war Eisenhower die Vermeidung einer sowjetischen Einmischung und damit der Eskalation des Konflikts wichtiger als die Unterstützung der als neoimperial betrachteten Ambitionen der alten Kolonialmächte. Eisenhower drohte der Regierung Eden mit massiven finanzpolitischen Konsequenzen, etwa der Veräußerung amerikanischer Pfundreserven, welche die britische Währung und damit die hoch verschuldete Wirtschaft in eine massive Krise getrieben hätten. Im Jahr 1982 reagierte die Reagan-Administration nur sehr zögerlich auf die argentinische Besetzung der Falkland-Inseln. Erst nachdem eine diplomatische Lösung der Krise zwischen den beiden Verbündeten der USA verworfen worden war, unterstützten die USA das Vorgehen der Regierung Thatcher, jedoch ohne aktiv einzugreifen.

Gegenwart: Kontinuität und Wandel

Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass Großbritannien gegenwärtig selbst dazu beiträgt, die Distanz zu Washington zu vergrößern. Nicht nur Premierminister Cameron hat die vermeintliche britische Obsession in Bezug auf die special relationship kritisiert und für eine weniger emotionale Sichtweise plädiert. Auch das Foreign Affairs Committee des House of Commons vertritt in seinem Bericht aus diesem Jahr die Auffassung, dass "the use of the phrase 'the special relationship' in its historical sense, to describe the totality of the ever-evolving UK-US relationship, is potentially misleading, and we recommend that its use should be avoided. The overuse of the phrase (...) serves simultaneously to de-value its meaning and to raise unrealistic expectations about the benefits the relationship can deliver to the UK."

Damit zeichnet sich eine konzeptionelle Neuausrichtung britischer Außenpolitik ab, die sich primär an genuin britischen (Sicherheits-)Interessen ausrichtet. Die USA bleiben in dieser Sichtweise zwar ein zentraler Verbündeter, allerdings ist die britische Regierung nicht länger bestrebt, durch eine Politik des prinzipiellen bandwagoning international Einfluss und Gestaltungsmacht auszuüben. Die mehr oder minder bedingungslose Gefolgschaft gegenüber den USA hat eher dazu geführt, dass Großbritannien das Image des amerikanischen "Pudels" angeheftet wurde, anstatt dass es London erlaubt werde "to punch above its weight". Stattdessen ist die neue Regierung bestrebt, eine Außenpolitik zu entwickeln, die den veränderten Bedingungen einer networked world Rechnung trägt und sich stärker als bisher darum bemüht, Beziehungen zu den emerging centres zu intensivieren.

Diese sich andeutende Neuorientierung fußt zum einen auf den Erfahrungen, welche die Briten mit der special relationship während der Regierungszeit von New Labour gemacht haben. Zum anderen spielen die gravierenden finanzpolitischen Zwänge eine entscheidende Rolle, denen sich die konservativ-liberaldemokratische Regierung in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise gegenüber sieht. Darüber hinaus hat das britische Engagement an der Seite der USA im Irak und in Afghanistan den Entscheidungsträgern in London klar vor Augen geführt, wie begrenzt die Rolle des Vereinigten Königreichs in der special relationship noch ist. So wird heute die Absicht Blairs als weitgehend gescheitert angesehen, durch das militärische Engagement in Afghanistan und im Irak Einfluss auf die Entscheidungen der US-Regierung zu nehmen. Zudem hat die Performance der britischen Truppen in beiden Konflikten verdeutlicht, dass deren Fähigkeiten schon allein aufgrund mangelnder Ressourcen kaum ausreichen, die USA mittelfristig wirklich zu entlasten: Wiesen britische Militärs und Kommentatoren 2003/04 noch auf die angebliche britische Überlegenheit gegenüber den Amerikanern bei der Befriedung ihres Sektors im Irak (Basra) hin, so führte die Intensivierung des Widerstands sowohl im Irak als auch in Afghanistan dazu, dass der britische Besatzungsbereich schrittweise verkleinert oder durch US-Truppen unterstützt werden musste. Die Truppenstärke der Briten war einfach zu gering, um trotz der vermeintlichen größeren Erfahrung mit "kleinen Kriegen" und der Terrorismusbekämpfung (Kolonien, Nordirland) die Kontrolle über die Gebiete aufrechtzuerhalten. Nicht zuletzt aufgrund dieser Probleme entbrannten in den vergangenen Jahren immer wieder hitzige Diskussionen unter hohen britischen und US-Militärs um die richtige Strategie vor allem in Afghanistan, die vorwiegend über die Medien ausgetragen wurden. Vor dem Hintergrund der traditionellen Auffassung, dass das enge Verhältnis zu den USA im sicherheitspolitischen Bereich von der Attraktivität Großbritanniens als nicht nur verlässlicher, sondern auch schlagkräftiger und materiell entlastender Partner für die Amerikaner abhängt, führt dies zusammen mit den Auswirkungen der Finanzkrise zur durchaus berechtigten Sorge, das US-Interesse an der special relationship nehme immer weiter ab.

Tatsächlich wird sich die militärische Projektions- und Unterstützungsfähigkeit der britischen Streitkräfte in den nächsten Jahren aufgrund der Sparmaßnamen der Cameron-Regierung deutlich verringern. Die am 20. Oktober 2010 veröffentlichte Haushalts- und Streitkräfteplanung, niedergelegt in der Strategic Defence and Security Review (SDR) , sieht zwar vor, die von der Labour-Regierung geplanten beiden Flugzeugträger bis 2016 (bzw. 2019) zu bauen, nicht zuletzt aufgrund befürchteter Konventionalstrafen bei einem Vertragsausstieg. Mittel- bis langfristig soll aber nur einer operationsfähig gehalten und zudem erst mit mehrjähriger Verzögerung mit Kampfflugzeugen amerikanischer Produktion (Joint Strike Fighter) ausgestattet werden, für die zusätzlich aufwändige Umbauten notwendig sind. Ein alter Flugzeugträger soll dafür sofort, ein Hubschrauberträger in wenigen Jahren außer Dienst gestellt werden. Gleichzeitig werden die bisherigen Trägerflugzeuge vom Typ Harrier 2011 ausgemustert, und die Royal Navy büßt trotz Modernisierung vier von 23 Fregatten und Zerstörern ein. Die Stärke der Armee wird um eine Brigade sowie rund 40 Prozent ihrer Kampfpanzer und 35 Prozent der schweren Artillerie reduziert. Die 20.000 noch in Deutschland stationierten Soldaten sollen bis 2020 vollständig abgezogen werden. Die Luftwaffe erhält weniger neue Kampfflugzeuge als bislang geplant.

Die nukleare Abschreckungskomponente wird ebenfalls reduziert. Zwar wird über die Beschaffung von drei oder vier neuen U-Booten mit modernisierten Trident-Raketen erst 2016 entschieden, und die Dienstzeiten für die bestehenden werden bis 2020 verlängert. Aber bereits jetzt plant die Regierung, die Zahl der Raketen und Sprengköpfe je U-Boot zu reduzieren. Insgesamt soll das britische Nuklearpotenzial von rund 160 auf maximal 120 einsatzfähige Sprengköpfe (maximal 180 insgesamt) reduziert werden. Zwar beabsichtigt die Regierung, weiterhin global einsetzbare und hoch mobile Streitkräfte zu unterhalten. So sollen sukzessive sieben bereits geplante, nuklear angetriebene Jagd-U-Boote vom Typ Astute beschafft werden. Die Armee soll mit modernem Gerät für überseeische Interventionseinsätze, etwa gepanzerten Fahrzeugen und leichter Raketenartillerie, ausgestattet werden; außerdem sollen die Spezialkräfte ausgebaut und bestehende Verbände schwerpunktmäßig in fünf multi-role-Brigaden sowie eine Luftlandebrigade umstrukturiert werden. Die Luftwaffe soll zukünftig auf Joint Strike Fighters und Eurofighter (Typhoon) zurückgreifen können, ebenso in steigendem Umfang auf Drohnen, Helikopter und Airbus-Transportflugzeuge. All dies soll aufgrund des Sparzwangs jedoch in geringerem Umfang erfolgen als geplant: So werden die Streitkräfte bis 2015 um 17.000 Mann auf insgesamt rund 158.000 Mann reduziert; die für überseeische Interventionen verfügbaren Truppen werden auf 30.000 verringert (gegenüber 45.000, die noch 2003 an der Irak-Invasion beteiligt waren). Ab 2020 plant das Verteidigungsministerium (MoD) mit einer Militärstärke von rund 155.000 Mann.

Dabei liegt diesen Kürzungen neben den finanzpolitischen Zwängen - 2009 verzeichnete der britische Staatshaushalt ein Defizit von elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), für 2010 werden etwa zehn Prozent erwartet - auch eine Neubewertung der britischen Sicherheitslage zugrunde. Mit der einen Tag vor der SDR vorgelegten neuen National Security Strategy (NSS) unternimmt die Regierung zum ersten Mal seit 1998 den Versuch einer grundlegenden verteidigungspolitischen (Neu-)Orientierung. Die NSS von 2008 hatte noch den Global War on Terrorism (GWOT), überseeische Interventionen, failed states, transnationale organisierte Kriminalität und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen als größte sicherheitspolitische Herausforderungen für das Vereinigte Königreich identifiziert. Im Unterschied hierzu nennt die NSS von 2010 Angriffe aus dem Cyberspace, internationalen Terrorismus und Naturkatastrophen als primäre Bedrohungen britischer Sicherheit. Sekundäre Gefährdungen ergeben sich aus internationaler Instabilität, weshalb auch etwa der Afghanistan-Einsatz bis 2015 dauern soll. Dies deutet in zweierlei Hinsicht auf ein Umdenken hin: Erstens wird die britische Rolle als Juniorpartner der USA bei der militärisch gestützten Gestaltung der internationalen Ordnung zunehmend als nachrangig gegenüber unmittelbareren Gefährdungslagen britischer Interessen angesehen. Zweitens werden größere Vorbehalte als bisher gegenüber militärischen Interventionen geltend gemacht.

Ausblick: Notwendiger Pragmatismus

Man muss der neuen britischen Regierung zu Gute halten, dass sie unter dem Druck budgetärer Restriktionen den Versuch unternimmt, die Sicherheitspolitik rationaler und realistischer auszurichten, als dies in der Vergangenheit vielfach der Fall war. Patrick Porter hat der britischen Sicherheitspolitik unlängst einen fundamentalen Mangel an strategischem Denken vorgeworfen: Es werde kaum systematisch versucht, britische Ziele und Interessen in Übereinstimmung mit bestimmten Fähigkeiten zu bringen, um die artikulierten Ziele auch tatsächlich erreichen zu können. Porter führt dies unter anderem auf das Fehlen eines eindeutigen Bedrohungs- oder Feindbildes, mangelnde Beschäftigung mit strategischem Denken an sich, Ignoranz gegenüber geopolitischen Grundbedingungen zugunsten groß angelegter globaler Konzepte sowie die faktische Übernahme strategischer Perspektiven der USA zurück.

Trotz aller Kritik, etwa an der hektisch anmutenden Erarbeitung von NSS und SDR, wird in beiden Dokumenten versucht, aus der finanzpolitischen Not heraus die sicherheitspolitische Situation Großbritanniens und die daraus resultierenden politischen und militärischen Konsequenzen methodisch und genuin strategisch zu erfassen und darauf aufbauend zu planen. Obwohl die special relationship auch in diesen Grundlagenpapieren der Cameron-Regierung noch immer prioritär genannt wird und in der NSS von einer "key alliance", in der SDR von einer "pre-eminent defence and security relationship" die Rede ist, werden auch andere internationale Akteure und Allianzen zunehmend gewürdigt. Dies gilt für die NATO als "bedrock of our defence" ebenso wie für eine "effective and reformed" UNO und eine "outward-facing European Union that promotes security and prosperity".

Besonders unterstrichen wird die Kooperation mit Frankreich als zentralem strategischen Partner, der sich in einer vergleichbaren Position im internationalen System befinde. So sollen mit Frankreich gemeinsame Rüstungsprogramme vorangetrieben, eine gemeinsame Militärdoktrin entwickelt und die Verteidigungsplanungen beider Staaten aufeinander abgestimmt werden. Als Hinweis auf die stärkere Hinwendung zu Frankreich kann auch die Absicht gewertet werden, den geplanten neuen Flugzeugträger nicht nur für amerikanische, sondern auch für französische Kampfflugzeuge operationsbereit zu machen. Führt man sich darüber hinaus vor Augen, dass Großbritannien und Frankreich die Initiatoren und treibenden Kräfte der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik waren und sind, so wird deutlich, dass die britische Regierung trotz ihres ambivalenten Verhältnisses zur europäischen Integration den Weg der Abkehr von der vermeintlich notwendigen Wahl zwischen den USA und der EU (bzw. den europäischen Partnern) als sich gegenseitig ausschließende Optionen sicherheitspolitischer Ausrichtung eingeschlagen hat.

Das Erbe der Finanzkrise und die Erfahrungen mit der engen Anlehnung an die USA unter New Labour ermöglichen der britischen Regierung und Öffentlichkeit einen illusionslosen Blick auf die special relationship, die trotz der bleibenden Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses ihre ideelle Überhöhung und Unantastbarkeit für die Außen- und Sicherheitspolitik längst verloren hat. Trotz des weiterbestehenden, grundsätzlich globalen Bedeutungsanspruchs befindet sich das Vereinte Königreich unter der Führung David Camerons und Nick Cleggs in seiner Selbstwahrnehmung und seinem Aktionsradius auf dem Weg der "Normalisierung" hin zu einer europäischen Mittelmacht.

Für Großbritannien deutet sich damit eine neue sicherheitspolitische Rolle an, die ironischerweise bereits Tony Blair angestrebt hatte, nämlich die eines zentralen, ausgleichenden Bindeglieds zwischen den USA und der EU im Kontext eines genuin partnerschaftlichen transatlantischen Verhältnisses: "The real question is: Can we recognise a sufficient convergence of interest to rebuild this transatlantic alliance and strengthen it? I believe we can. In truth, Europe should be and is concerned with (...) the modern security threats; they threaten Europe as much as the United States; and the United States is not wrong but right to be tough in dealing with them. We must support the United States in this and where in Europe there is disagreement with the United States, we should manage the disagreement carefully as between allies not let explode it into a diplomatic dogfight. The United States, in turn, can recognise that the European dilemma is that of wanting to be America's partner not its servant."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Fareed Zakaria, Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter, München 2009.

  2. Vgl. Winston Churchill, The Sinews of Peace, online: www.nato.int/docu/
    speech/1946/s460305_e.htm (1.10.2010).

  3. Vgl. hierzu Mark A. Stoler, Allies in War. Britain and America Against The Axis Powers 1940-1945, London-New York 2005, S. 2.

  4. Vgl. John Lewis Gaddis, Surprise, Security And The American Experience, Cambridge-London 2004, S. 10ff.

  5. Vgl. M.A. Stoler (Anm. 3), S. 3.

  6. Vgl. Ian Kershaw, Fateful Choices. Ten Decisions That Changed The World 1940-41, London u.a. 2007, S. 184-242 und S. 298-330.

  7. Vgl. Eric Edelman, A Special Relationship in Jeopardy, in: American Interest, 5 (2010) 6, S. 25-34.

  8. Vgl. William Wallace/Christopher Phillips, Reassessing the special relationship, in: International Affairs, 85 (2009) 2, S. 273f.

  9. House of Commons Foreign Affairs Committee, Global Security: UK-US Relations. Sixth Report of the Session 2009-10, London 2010, S. 42.

  10. Bernard Brodie, The Absolute Weapon: Atomic Power and World Order, New York 1946.

  11. Vgl. John Baylis (ed.), British Defence Policy in a Changing World, London 1977.

  12. Vgl. Ulrich Pfeil, Die Suezkrise, in: APuZ, (2006) 17-18, S. 32-38.

  13. Vgl. Alexander Haig, Geisterschiff USA. Wer macht Reagans Außenpolitik?, Stuttgart 1984, S. 303-348.

  14. Vgl. David Cameron, A Staunch and Self-Confident Ally, in: The Wall Street Journal vom 20.7.2010, online: http://online.wsj.com/article/
    SB1000142405274870491330457
    5371292186815992.html (1.10.2010).

  15. House of Commons Foreign Affairs Committee (Anm. 9), S. 3 und S. 22.

  16. Vgl. Patrick Porter, Last charge of the knights? Iraq, Afghanistan and the special relationship, in: International Affairs, 86 (2010) 2, S. 355-375.

  17. Vgl. W. Wallace/Chr. Phillips (Anm. 8), S. 267ff.

  18. HM Government (ed.), Securing Britain in an Age of Uncertainty: The Strategic Defence and Security Review, London 2010.

  19. HM Government (ed.), A Strong Britain in an Age of Uncertainty: The National Security Strategy. London 2010.

  20. Vgl. Paul Cornish/Andrew Dorman, Blair's wars and Brown's budgets: From Strategic Defence Review to strategic decay in less than a decade, in: International Affairs, 85 (2009) 2, S. 247-261; dies., National defence in the age of austerity, in: International Affairs, 85 (2009) 4, S. 733-753; dies., Breaking the mould: the United Kingdom Strategic Defence Review 2010, in: International Affairs, 86 (2010) 2, S. 395-410.

  21. Vgl. Patrick Porter, Why Britain doesn't do Grand Strategy, in: The RUSI Journal, 155 (2010) 4, S. 6-12; dazu auch: Paul Cornish, Strategy in Austerity. The Security and Defence of the United Kingdom. Chatham House Report, London, Oktober 2010.

  22. Vgl. Andrew Shearer, Britain, France and the Saint-Malo declaration: Tactical rapprochement or strategic entente?, in: Cambridge Review of International Affairs, 13 (2000) 2, S. 283-298.

  23. Vgl. z.B. Anand Menon, Choose Your Partners, in: The World Today, July 2010, S. 22-25; ders., Between Faith and Reason: UK Policy Towards the US and the EU. Chatham House Briefing Paper, London, Juli 2010.

  24. Vgl. W. Wallace/Chr. Phillips (Anm. 8), S. 275ff.

  25. Tony Blair, Speech in Warsaw, 29.5.2003, in: The Guardian, online: www.guardian.co.uk/
    world/2003/may/30/eu.speeches (20.10.2010).

Dr. rer. pol. habil., geb. 1968; Professor am Institut für Politische Wissenschaft (IPW), Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Politische Ökonomie, RWTH Aachen, Ahornstraße 55, 52074 Aachen. E-Mail Link: rotte@ipw.rwth-aachen.de

M.A., geb. 1977; wissenschaftlicher Mitarbeiter am IPW der RWTH Aachen (s.o.). E-Mail Link: christoph.schwarz@ipw.rwth-aachen.de