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Was ist Angst? Unsere wichtigste Grundemotion aus medizinisch-psychologischer Perspektive

Peter Zwanzger

/ 15 Minuten zu lesen

Ein gewisses Maß an Angst ist für Menschen überlebenswichtig: Angst steuert unser Verhalten und hilft, Gefahren richtig einzuschätzen und Risiken zu vermeiden. Tritt sie jedoch zu oft und zu intensiv auf, kann sie zur Angsterkrankung werden. Diese sind jedoch gut behandelbar.

Angst gehört zu den sogenannten Grundemotionen. Es handelt sich dabei um Gefühle, die jeder Mensch von Natur aus in sich trägt. Neben der Angst gehören etwa auch Freude, Trauer, Wut und Ekel zu den Grundemotionen. Angst ist allgegenwärtig und betrifft uns sowohl als Individuen wie als Gesellschaft – und das über alle Zeitalter, Sprachen und Kulturen hinweg. Sie ist zentrales Thema in Medien, Literatur, Musik und auch in der Kunst.

Der Begriff „Angst“ leitet sich ab aus dem lateinischen angustia, zu Deutsch „die Enge“ – sinnbildlich für die bei Angst entstehende Enge in der Brust, das Druckgefühl, die zugeschnürte Kehle. Angst kann auf unterschiedliche Art und Weise auftreten, als allgemeine Ängstlichkeit, Furcht, Panikattacken oder auch Sorgen. Ebenso kann sich Angst in körperlichen Symptomen äußern, wie beispielsweise in Form von Atemnot, Herzklopfen, Ohnmacht, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Schwitzen oder Zittern.

Die Fähigkeit, Angst haben zu können, gehört zu den wichtigsten des Menschen: Angst schützt uns, Angst bewahrt uns vor Gefahr, oder „Best safety lies in fear“, wie es in William Shakespeares „Hamlet“ heißt. Tatsächlich wirkt Angst als biosoziales Signal und trägt wesentlich zu einer risikobewussten Auseinandersetzung mit der Umwelt bei. So verhindert Angst tagtäglich, dass wir uns unnötig in Gefahr begeben und Risiken eingehen: Eine gesunde Angst macht uns auf die Gefahren im Straßenverkehr aufmerksam, verhindert, dass wir zu schnell fahren oder waghalsig überholen. Eine gesunde Angst vor der Prüfung ermöglicht es dem Prüfling, sich intensiver vorzubereiten. Das Lampenfieber erlaubt es Musikern oder Schauspielern, ausreichend positive Anspannung für die bestmögliche Leistung zur Verfügung zu stellen. Entscheidend ist in jedem Fall das richtige Maß an Respekt vor der Herausforderung. So beschreibt das Prinzip der Verhaltenspsychologen Robert Yerkes und John Dodson den Zusammenhang zwischen Angstniveau und Leistungsfähigkeit im Sinne einer umgekehrten U-Kurve: dabei kann ein Zuwenig an Angst genauso schädlich sein wie ein Zuviel an Aufregung. Das mittlere Angstniveau hingegen ermöglicht eine optimale Leistung auf dem Zenit des umgekehrten U.

Die verschiedenen Namen der Angst

Furcht, Panik, Sorge: Ein Gefühl kann viele Namen haben. Dabei ist die Furcht ein Angstgefühl, welches sich bei Konfrontation mit einem konkreten, bedrohlichen Objekt einstellt. Dies kann ein Hund sein, ein Einbrecher oder eine giftige Schlange. Furcht ist also immer auf etwas ganz Bestimmtes gerichtet. Sie ist somit Teil unseres Alarmsystems – sie stellt sich ein, wenn unmittelbare Gefahr droht. Eine Panikreaktion kann folgen, zum Beispiel in Form einer Panikattacke. Dabei handelt es sich um ein plötzlich auftretendes, massives und existenzielles Angstgefühl – durchaus nützlich, da es uns ermöglicht, eine Kampf- oder Fluchtreaktion einzuleiten.

Demgegenüber beschreibt Sorge ein eher subtiles und kognitives Gefühl von Angst, einen sich langsam entwickelnden, meist länger andauernden Zustand ängstlicher Erwartung. Manche Sorgen entspringen durchaus sinnvollen Überlegungen, so unter anderem die Sorge um die eigene Gesundheit, die Unversehrtheit der Kinder oder die eigene wirtschaftliche Sicherheit. Allerdings kann jede Art der Angst überborden und damit umschlagen in eine krankhafte Form. So kann die Furcht zur Phobie werden – dabei stellt sich Angst ein, obgleich das Objekt, mit dem man konfrontiert ist, gar nicht gefährlich ist. Panikattacken können bei einer Panikstörung grundlos und aus heiterem Himmel auftreten, und die Sorge kann bei einer generalisierten Angststörung so überhandnehmen, dass man sich die meiste Zeit des Tages damit beschäftigt, obgleich objektiv kein Grund dazu besteht.

Wie krankhafte Angst entsteht

Wie beschrieben, ist ein gewisses Maß an Angst überlebenswichtig. Die Abgrenzung von gesunder zu krankhafter Angst kann daher im Einzelfall durchaus schwierig sein. So spielt sich der Übergang von Angst zu Angsterkrankung in einem Kontinuum ab. In vielen Ratgebern lesen wir, die Angst sei dann krankhaft, wenn sie zu lange, zu stark, zu oft auftrete, vor allem aber, wenn sie in Situationen auftrete, in denen keine reale Gefahr existiert. Ebenso kann eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz auf eine Angsterkrankung hinweisen. Insbesondere dann, wenn Betroffene einen hohen Leidensdruck verspüren und bestimmte Alltagskompetenzen verlieren, etwa der Gang zur Arbeit immer schwerer fällt oder aus Angst die Wohnung nicht mehr verlassen werden kann, sollte das Vorliegen einer Angsterkrankung geprüft werden.

Nehmen wir als Menschen eine Bedrohung wahr, reagieren wir mit einer entsprechenden Alarmreaktion. In einem entwicklungsgeschichtlich tief verankerten Prozess entscheiden wir in Sekundenbruchteilen darüber, wie wir uns in einer solchen Situation aus der Affäre ziehen: Fight, flight oder freeze, also Kampf-, Flucht- oder Totstellreflex. Dies erfolgt in der Regel blitzschnell unter Umgehung höherer kognitiver Prozesse. Für die Steuerung und Regulation dieser Alarmreaktion sind in unserem Gehirn bestimmte neuroanatomische Strukturen verantwortlich, von denen insbesondere die sogenannte Amygdala (deutsch: Mandelkern) eine zentrale Rolle einnimmt. Bei Angststörungen ist die Aktivität der Amygdala oft gesteigert, was dazu führt, dass Betroffene eine erhöhte Sensitivität gegenüber angstauslösenden Reizen zeigen. Gleichzeitig ist der Hippocampus, eine Gehirnregion, die für die Kontextualisierung von Angst und die Unterscheidung zwischen realer und vermeintlicher Bedrohung zuständig ist, in seiner Funktion beeinträchtigt. Normalerweise helfen weiterhin Bereiche der Gehirnoberfläche, zum Beispiel der sogenannte präfrontale Kortex, durch ihre stabilisierende Funktion, die emotionalen Reaktionen im Zaum zu halten. Bei krankhafter Angst ist allerdings auch dieser Mechanismus gestört, was dazu führt, dass Angstreaktionen überschießen – es kommt zum Fehlalarm. Körperlich können diese Phänomene aus unserer „Alarmzentrale“ im Kopf zahlreiche Folgen haben: So steigt die Herzfrequenz an und wir erleben Herzrasen, wir schwitzen, werden unruhig, Schwindel und Übelkeit treten auf, wir atmen schneller. Eine Panikattacke kann entstehen.

Auf neurochemischer Ebene spielen die sogenannten Neurotransmitter, Botenstoffe im Gehirn, eine wichtige Rolle. Noradrenalin und Serotonin, zwei in diesem Kontext besonders wichtige Transmitter, sind bei Angststörungen häufig dysreguliert. Ebenso ist die Gamma-Aminobuttersäure, der wichtigste hemmende Neurotransmitter, bei Betroffenen oft vermindert, was zu einer erhöhten Erregbarkeit der neuronalen Netzwerke führt: Die Empfindlichkeit für Außenreize steigt, wir werden nervös und ängstlich – unser innerer Angststabilisator versagt.

Neben den neurobiologischen Faktoren spielen auch genetische und epigenetische Einflüsse eine bedeutende Rolle. Studien zeigen, dass Angststörungen eine genetische Komponente haben, wobei Variationen in Genen, die die Funktion von Neurotransmittern beeinflussen, die Vulnerabilität erhöhen. Interessant dabei ist, dass Umweltfaktoren, zum Beispiel traumatische Erfahrungen wie Krieg, Missbrauch oder schwere Unfälle, diese genetische Disposition ungünstig beeinflussen: Epigenetische Mechanismen können die Genexpression verändern und so die Anfälligkeit für Angststörungen verstärken. So weisen Studien darauf hin, dass epigenetische Mechanismen tatsächlich unsere „Angstgene“ aufwecken und damit auch das Risiko für Angsterkrankungen steigt. Allerdings ist auch der umgekehrte Weg denkbar, indem positive Umweltfaktoren oder eine erfolgreiche Therapie unsere „Angstgene“ wieder in den Winterschlaf versetzen können.

Auch Substanzkonsum, etwa von Koffein und Nikotin, insbesondere aber von Alkohol, Cannabis und anderen psychoaktiven Drogen, kann unser seelisches Gleichgewicht destabilisieren und Angst entstehen lassen oder verstärken. Zudem tragen unsere Persönlichkeitsmerkmale (zum Beispiel erhöhte Ängstlichkeit), maladaptive Denkmuster (beispielsweise Katastrophisieren), Konditionierung und Modelllernen dazu bei, Angst zu entwickeln und aufrechtzuerhalten.

Angsterkrankungen und ihre Symptome

Wird die Angst zu viel, beeinträchtigt sie den Alltag und führt sie zu Folgeschäden, spricht man von Angsterkrankungen. Diese gehören mit Abstand zu den häufigsten psychischen Störungen. Epidemiologischen Untersuchungen zufolge beträgt das Risiko, im Leben eine Angsterkrankung zu entwickeln, circa 20 Prozent. Zu den wichtigsten Diagnosen zählen dabei die Panikstörung, die generalisierte Angststörung sowie die soziale Angststörung und die spezifische Phobie.

Die Panikstörung ist charakterisiert durch wiederholt auftretende Panikattacken. Dabei handelt es sich um plötzliche, unerwartete Episoden massiver Angstgefühle ohne erkennbare externe Auslöser. Die Attacken dauern in der Regel zwischen 5 und 30 Minuten, können jedoch im Einzelfall auch mehrere Stunden anhalten. Zwischen den Episoden treten häufig symptomfreie Intervalle auf, die Tage andauern können. Während dieser Phasen entwickeln Patienten nicht selten Angst vor der Angst, sogenannte antizipatorische Angst, auch Phobophobie genannt, die sich in der Erwartung einer erneuten Panikattacke manifestiert und zu Vermeidungsverhalten führt. Der Begriff „Panik“ ist im Übrigen altgriechischen Ursprungs und leitet sich ab vom Hirtengott Pan, der mit seiner unheimlichen Erscheinung und behörntem Haupt Angst und Schrecken verbreitete. Während einer Panikattacke dominieren körperliche Symptome, wie zum Beispiel Herzrasen, Engegefühl in der Brust, Atemnot und Schwindelgefühle. Die Betroffenen berichten häufig von einer intensiven Angst, die Kontrolle zu verlieren, „verrückt“ zu werden oder zu sterben. Sehr oft werden die körperlichen Veränderungen zunächst als Anzeichen einer akuten körperlichen Erkrankung interpretiert, beispielsweise eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls, was häufig zu einer Vorstellung in der Notaufnahme führt.

Im Gegensatz zur Panikstörung handelt es sich bei der generalisierten Angststörung um eine Erkrankung, die eher schleichend beginnt: So berichten Angehörige, Freunde oder Bekannte, dass sich die Betroffenen zunehmend übermäßig viele und unangemessene Sorgen machen. Auch stellen sie fest, dass die Betroffenen mit beruhigenden Ratschlägen meist wenig ausrichten können. Oft drehen sich die Sorgen um Dinge, um die sich auch gesunde Menschen Sorgen machen, so zum Beispiel um die Arbeit, die Familie, die Gesundheit, das Wohl der Kinder und vieles mehr. Im Gegensatz zu Gesunden sind aber Personen mit einer generalisierten Angststörung nicht in der Lage, ihre Sorgen durch reflektierte Überlegungen zu relativieren; vielmehr beschäftigen sie sich die meiste Zeit des Tages mit diesen multiplen und meist unbegründeten Sorgen und können sich davon in ihrer gedanklichen Fixierung nicht mehr lösen.

Bei einer sozialen Angststörung haben Betroffene übermäßige Angst davor, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Im Zentrum der Befürchtungen steht die Sorge vor der prüfenden Beobachtung durch andere und die Angst, irgendeiner Peinlichkeit zu unterliegen und sich zu blamieren. Das kann dazu führen, dass Angst in nahezu allen sozialen Situationen auftritt, also beim Gespräch mit dem Vorgesetzten, an der Ladenkasse, im Kino oder im Restaurant. Die Symptome sind denen einer Panikattacke meist nicht unähnlich: Akut auftretendes Herzklopfen, Schweißausbrüche, Übelkeit, Unruhegefühle, insbesondere aber auch Erröten und Zittern werden von den Patienten berichtet. Das führt dazu, dass eben gerade diese Situationen zunehmend vermieden werden. Soziale Isolation und Rückzug können die Folge sein, wie auch erhebliche Beeinträchtigungen im schulischen und beruflichen Fortkommen: Beispielsweise, weil Betroffene sich in der Schule weniger zu Wort melden, keine Referate halten oder im beruflichen Kontext Vorträge oder sonstige Auftritte vermeiden.

Die spezifische Phobie ist mit Abstand die häufigste Angsterkrankung. Bis zu sieben Prozent aller Menschen haben das Risiko, eine solche im Laufe ihres Lebens zu entwickeln. Dabei handelt es sich um die – unbegründete – Furcht vor bestimmten Objekten oder Situationen. Entscheidend ist dabei, dass der Kontakt mit dem gefürchteten Reiz zu einer ausgeprägten Angst und einer Panikreaktion führt. Typischerweise vermeiden Menschen mit Phobien gezielt die phobischen Reizsituationen: So gehen Spinnenängstliche nicht mehr in den Keller, Menschen mit Flugphobie steigen in kein Flugzeug, und Klaustrophobiker nehmen nur noch die Treppe statt des Aufzugs. Meist erhält die spezifische Phobie dann Relevanz im Alltag der Patienten, wenn sich die Konfrontation mit dem gefürchteten Objekt nicht mehr umgehen lässt: Beispielsweise, wenn der Patient mit Flugphobie aus beruflichen Gründen nun doch gezwungen ist, das Flugzeug zu nehmen, weil die Tagung in den USA anders nicht zu erreichen ist. Ähnlich der Abteilungsleiter, dessen Büro in die elfte Etage verlegt wird und der im Rahmen seiner Klaustrophobie bisher immer die Treppe benutzt hat.

Ängste, die auf medizinische Situationen bezogen sind, können dazu führen, dass Behandlungs- oder Vorbeugungsmaßnahmen nicht oder nicht in ausreichendem Maße durchgeführt werden können. Besonders typisch ist die Zahnarztangst (Dentophobie), bei der die Betroffenen ausgeprägte Ängste vor dem Zahnarzt und der Behandlung entwickeln. Der typische Geruch in der Zahnarztpraxis und das Geräusch des Bohrers sind häufige Triggerreize. Ähnlich verhält es sich mit der Blut-Spritzen-Verletzungs-Phobie. Analog kommt es hier zu Angst- und Panikgefühlen im Zusammenhang mit der Verabreichung einer Injektion oder einer Blutentnahme. Im Einzelnen unterscheidet man die eigentliche Angst vor Nadeln, die Angst vor Injektionen oder die Angst vor spitzen Gegenständen ganz allgemein. Davon abzugrenzen ist die Vaccinophobie, die sogenannte Impfangst, die dazu führt, dass sich Menschen notwendigen Impfungen verweigern. Allerdings beruht die Impfangst oftmals weniger auf der Angst vor dem „Piks“ als auf Sorgen und Ängsten im Zusammenhang mit Impfungen per se; hier spielt auch Misstrauen gegenüber Behörden und der Pharmaindustrie eine Rolle.

Zwei weitere Angsterkrankungen betreffen eher Kinder und Jugendliche. Dabei handelt es sich zunächst um den sogenannten selektiven Mutismus. Obwohl betroffene Kinder und Jugendliche ausreichende Sprachkompetenz besitzen, sprechen sie in bestimmten angstbesetzten Situationen plötzlich nicht mehr. Es verschlägt ihnen buchstäblich vor Angst die Sprache. Häufig tritt das Verstummen in Situationen im Kindergarten, auf dem Spielplatz, in der Schule, beim Zahnarzt, bei Geburtstagen oder im Sportverein auf.

Eine weitere Störung im Kinder- und Jugendalter ist die Trennungsangststörung. „Die Möglichkeit, alleine gelassen zu werden, ist (…) zweifellos die schwerste Bedrohung im Leben“, schrieb der Psychoanalytiker Erich Fromm. Bei dieser Form der Angst handelt es sich um eine allgemeine Urangst des Menschen. Entwickelt sie sich bei betroffenen Kindern und Jugendlichen allerdings exzessiv und entwicklungspsychologisch inadäquat, spricht man von einer Trennungsangststörung. In diesen Fällen entwickeln die Personen große Ängste, wenn sie alleine sind und können zum Beispiel nicht mehr alleine schlafen. Im Fokus steht die Sorge, der wichtigsten Bezugsperson könne etwas zustoßen, diese könne einen Unfall erleiden oder sterben. Albträume sind dabei typisch.

Therapieverfahren

Der Begriff Therapie leitet sich ab vom griechischen Wort therapeia (deutsch: Heilung). Er umfasst alle Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die Erkrankungen und Beschwerden, welcher Art auch immer, zu bessern, zu heilen oder zumindest erträglich zu machen. Wichtig ist aber, dass eine Therapie immer ganzheitlich zu verstehen ist. Neben psychotherapeutischen Maßnahmen spielen in der Angsttherapie auch medikamentöse Ansätze eine wichtige Rolle. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von begleitenden Maßnahmen, die in ihrem Zusammenspiel hervorragende Aussicht auf Besserung verschaffen. Die Therapie von Angststörungen orientiert sich an der wissenschaftlichen Studienlage und der klinischen Erfahrung von Experten. Sie ist in Deutschland in den Leitlinien der höchsten Güteklasse, den sogenannten S3-Leitlinien, festgelegt und wird dort regelmäßig aktualisiert. Zu den wichtigsten Säulen der Therapie gehören die Psychotherapie und die medikamentöse Therapie.

Psychotherapie

Unter den psychotherapeutischen Verfahren ist die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie mit Abstand das am besten wissenschaftlich untersuchte und erwiesenermaßen wirksamste Verfahren in der Therapie von Angsterkrankungen. Ganz allgemein wird mit dieser Therapieform das Ziel verfolgt, Menschen in die Lage zu versetzen, die krankheitsbedingt eingeschränkte Alltagsbewältigung wiederherzustellen. Zu den wichtigsten Bausteinen zählt zum einen die Psychoedukation, also die Vermittlung von Wissen und Kenntnissen über die Erkrankung, über die Zusammenhänge zwischen psychischen und körperlichen Symptomen sowie über die Wirksamkeit bestimmter Therapiemaßnahmen. Weitere zentrale Bestandteile der kognitiven Verhaltenstherapie sind die Expositionsbehandlung, also die Konfrontation mit dem furchtauslösenden Reiz, und die Veränderung dysfunktionaler Denkmuster. Wichtig ist jedoch, sich bewusst zu machen, dass eine erfolgreiche Psychotherapie immer auch Engagement vom Patienten erfordert. Ähnlich wie bei einer physiotherapeutischen Behandlung von Rückenschmerzen sind Eigeninitiative und regelmäßiges Training erforderlich, wenn eine Therapie erfolgreich sein soll.

Medikamentöse Therapie

Die zweite wichtige Säule in der Therapie von Angsterkrankungen ist die medikamentöse Therapie. Zu den wichtigsten Substanzen in der Angsttherapie gehören dabei Antidepressiva. Diese ursprünglich für die Behandlung von Depressionen entwickelten Medikamente zeigen bei Angststörungen gleichermaßen eine sehr gute Wirksamkeit – dies ist weltweit in zahlreichen Studien belegt. Zu den wichtigsten Substanzen gehören dabei die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sowie die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Benzodiazepine, also klassische Beruhigungsmittel wie zum Beispiel Diazepam, werden ausdrücklich nicht empfohlen. Trotz guter und nachgewiesener Wirksamkeit sowie internationaler Leitlinienempfehlungen herrscht bezüglich des Einsatzes von Antidepressiva hierzulande immer noch eine gewisse Ambivalenz, sowohl bei Patienten als auch aufseiten mancher Professioneller. Es ist daher wichtig herauszustellen, dass Antidepressiva weder abhängig machen noch die Persönlichkeit verändern. Die kritische Grundhaltung in Deutschland gegenüber Antidepressiva ist insgesamt umso erstaunlicher, als andere, durchaus als problematisch einzustufende und in ihrer Wirksamkeit nicht ausreichend belegte Substanzen, wie zum Beispiel Cannabis oder bestimmte nicht evidenzbasierte Therapieverfahren, von vielen als unbedenklich wahrgenommen werden.

Entspannungsverfahren

Darüber hinaus sind Entspannungsverfahren, zum Beispiel achtsamkeitsbasierte Therapieverfahren, progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Meditation, Yoga, Sport oder Bewegung wichtige Therapiebausteine. In Bezug auf die Zahnarztangst können auch Hypnoseverfahren hilfreich sein. Insbesondere achtsamkeitsbasierte Verfahren werden medial in jüngerer Zeit immer wieder aufgegriffen. So wurde dem in Japan geprägten Begriff des Waldbadens, einer achtsamen Auszeit im Wald, zunehmend mehr Aufmerksamkeit zuteil. Erste Studien zeigen bereits mögliche positive Effekte des Waldbadens auf Angst. Die entspannende Wirkung von Ruhe und Natur hat dabei einen positiven Effekt auf das Stressniveau.

Entwicklungen aus der digitalen Medizin

Für die Therapie von Angsterkrankungen gibt es mittlerweile eine Reihe von interessanten digitalen Gesundheitsanwendungen, sogenannten DiGAs, die im Wesentlichen verhaltenstherapeutische Elemente aufgreifen und den Patienten als App zugänglich gemacht werden können. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen. Eine Übersicht über alle zugelassenen digitalen Gesundheitsanwendungen findet sich im sogenannten DiGA-Verzeichnis auf der Homepage des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Eine weitere interessante Perspektive ergibt sich durch die Entwicklung von Expositionsbehandlungen, die mithilfe von virtueller Realität durchgeführt werden. Die Expositionsszenarien in virtueller Realität ermöglichen es, Patienten barrierefrei bestimmten Situationen auszusetzen, ohne den Patienten tatsächlich in diese Situation zu bringen. Die mittlerweile verfügbaren Szenarien zeigen sich bei phobischen Störungen in ihrer Wirksamkeit äquivalent zu einer „echten“, sogenannten In-vivo-Behandlung. Dabei bieten sich insbesondere Möglichkeiten zur Therapie von Höhenphobie, Klaustrophobie, Flugangst und bestimmten Tierphobien.

Prävention

Tatsächlich konnten in Studien mittlerweile zahlreiche Risikofaktoren identifiziert werden, deren Beachtung erhebliches Präventionspotenzial birgt. Dabei gelten Substanzen wie Alkohol, Nikotin und insbesondere Cannabis als Risikosubstanzen, deren häufigere Einnahme die Entstehung von Angst und Panikattacken zur Folge haben kann. Insofern kann der Verzicht darauf hilfreich sein, um Angsterkrankungen zu vermeiden. Mit Blick auf Maßnahmen, die zur Risikoreduktion beitragen können, wurden insbesondere für Meditation, progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Yoga, Sport und Waldbaden positive Effekte gezeigt. Techniken der Meditation umfassen unter anderem Achtsamkeits-, Konzentrations- und Ruheübungen, aber auch aktive körperliche Betätigung oder ritualisierte Handlungen. Mithilfe von Meditation soll ein innerer Ruhezustand erreicht werden, durch den ein gewisses „Loslassen“ ermöglicht wird. Wie für die Meditation gilt aber auch für die anderen Verfahren, dass diese Techniken erlernt werden müssen – eine erstmalige Ad-hoc-Anwendung im Rahmen einer Panikattacke wird wahrscheinlich kaum einen Effekt zeigen.

Schluss

Angst ist unsere wichtigste Emotion. Sie schützt uns vor Gefahr und ermöglicht uns, Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Wird die Angst zu stark, kann sie zur Krankheit werden, dann spricht man von Angsterkrankungen. Diese gehören zu den häufigsten seelischen Störungen. Die Abgrenzung zu gesunder Angst ist nicht immer einfach, die Übergänge sind fließend. Entscheidende Faktoren sind dabei sowohl der individuelle Leidensdruck als auch die eingeschränkte Alltagskompetenz. Auch wenn Angsterkrankungen hohen Leidensdruck verursachen und zuweilen lange Verläufe aufweisen, bleibt doch festzuhalten, dass – wenn einmal erkannt – zahlreiche Therapieoptionen bestehen, die eine rasche und nachhaltige Heilung ermöglichen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Katharina Domschke/Peter Zwanzger, Das Alphabet der Angst – 200 Fakten rund um unsere wichtigste Emotion, Freiburg/Br. u.a. 2025; Teile dieses Beitrags sind dem Buch entnommen.

  2. Vgl. Peter Zwanzger (Hrsg.), Angst. Medizin. Psychologie. Gesellschaft, Berlin 2018; Katharina Domschke, Angst in der Kunst, Stuttgart 2019.

  3. William Shakespeare, Hamlet, hrsg. von Ann Thompson/Neil Taylor, London–New York 2006, S. 192.

  4. Vgl. Robert M. Yerkes/John D. Dodson, The Relation of Strength of Stimulus to Rapidity of Habit-Formation, in: Journal of Comparative Neurology and Psychology 18/1908, S. 459–482.

  5. Siehe etwa Doris Wolf, Ängste verstehen und überwinden, München 2024.

  6. Umwelt- und Lebensstilfaktoren, welche die Gene beeinflussen, ohne die DNA-Sequenz zu verändern (Anm. d. Red.).

  7. Vgl. Miriam A. Schiele et al., The Applied Implications of Epigenetics in Anxiety, Affective and Stress-Related Disorders – A Review and Synthesis on Psychosocial Stress, Psychotherapy and Prevention, in: Clinical Psychology Review 77/2020, Externer Link: https://doi.org/10.1016/j.cpr.2020.101830.

  8. Genexpression ist der Vorgang, bei dem die genetische Information für die Zelle nutzbar gemacht wird, also – vereinfacht gesagt – die Entwicklung vom Gen zum Protein (Anm. d. Red.).

  9. Vgl. Zwanzger (Anm. 2).

  10. Vgl. Hans-Ulrich Wittchen et al., The Size and Burden of Mental Disorders and Other Disorders of the Brain in Europe 2010, in: European Neuropsychopharmacology 9/2011, S. 655–679.

  11. Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, München 2000 (1945), S. 99.

  12. Vgl. Borwin Bandelow et al., S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, o.O. 2021, Externer Link: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-028.

  13. Vgl. Ingmar Heinig et al., Kognitive Verhaltenstherapie der Angststörungen, in: Zwanzger (Anm. 2), S. 165–174.

  14. Vgl. Bandelow et al. (Anm. 12).

  15. Vgl. Peter Zwanzger/Nicolas Singewald/Borwin Bandelow, Pharmakotherapie von Angsterkrankungen – Leitliniengerechte Therapie und Neuentwicklungen, in: Nervenarzt 5/2021, S. 433–440.

  16. Vgl. Bandelow et al. (Anm. 12).

  17. Vgl. Yasuhiro Kotera et al., Effects of Shinrin-Yoku (Forest Bathing) and Nature Therapy on Mental Health: A Systematic Review and Meta-Analysis, in: International Journal of Mental Health and Addiction 1/2022, S. 337–361.

  18. Siehe Externer Link: https://diga.bfarm.de/de.

  19. Vgl. Bridget F. Grant et al., Epidemiology of DSM-5 Drug Use Disorder: Results from the National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions-III, in: JAMA Psychiatry 1/2016, S. 39–47; Sabine Hellwig/Katharina Domschke, Angst und Abhängigkeitserkrankungen – Fokus Alkohol und Cannabis, in: Nervenarzt 7/2023, S. 647–654.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Peter Zwanzger für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt des kbo-Inn-Salzach-Klinikums, Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Vorsitzender der Gesellschaft für Angstforschung. 2025 erschien sein gemeinsam mit Katharina Domschke herausgegebenes Buch "Das Alphabet der Angst – 200 Fakten rund um unsere wichtigste Emotion" im Herder-Verlag.