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Sprache der Angst | bpb.de

Sprache der Angst Emotionsbasiertes sprachliches Handeln in Politik und Gesellschaft

Heidrun Deborah Kämper

/ 14 Minuten zu lesen

Insbesondere rechte Akteure schüren Emotionen wie Wut, Hass und Angst, um ihre politischen Botschaften zu vermitteln. Was kennzeichnet diese Angst befördernden Diskursstrategien aus sprachlicher Sicht? Und wo kommt Angst im politischen Diskurs außerdem vor?

Angst ist „die Beklemmung der Brust, als eine Wirkung der dunkeln Empfindung eines Grades von Furcht und Traurigkeit“. Das Grammatisch-kritische Wörterbuch von Johann Christoph Adelung gibt nicht nur den mit „Angst“ bezeichneten seelischen Zustand, sondern auch dessen physischen Effekt („Beklemmung der Brust“) an. Das „Deutsche Wörterbuch“ von Jacob und Wilhelm Grimm von 1854 verzeichnet eine etymologisch motivierte Bedeutungserklärung („Angst“ ist mit „eng“ verwandt): Angst ist „nicht blosz mutlosigkeit, sondern quälende sorge, zweifelnder, beengender zustand überhaupt“. Das „Deutsche Wörterbuch“ von Hermann Paul in der Auflage von 2002 vollzieht die Bedeutungsentwicklung nach von „Bedrängnis, Not, Leid“ hin zu einem „Zentralbegriff der modernen Psychologie (…), wobei häufig die Unbestimmtheit des Objekts bzw. Motivs charakteristisch ist.“ Ein weiteres gegenwartssprachliches Nachschlagewerk, das „Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache“, gibt als Bedeutung eher lapidar „banges Gefühl, Furcht“ an. Diese Linie der Bedeutungsgeschichte, die hier mit wenigen Wörterbuchangaben nur angedeutet werden kann, verdeutlicht: Die Bedeutung von „Angst“ ist bis heute komplex, sodass ein überlegter Umgang mit dem Ausdruck – erst recht, wenn er die Funktion eines wissenschaftlichen Beschreibungsterminus hat – geraten erscheint.

Der Ausdruck „Angst hat deontisches Potenzial, das heißt, in der Semantik des Ausdrucks ist eine Handlungsaufforderung angelegt. In Bezug auf Angst spricht man von negativer Deontik mit der Handlungsaufforderung „ist zu beseitigen“, „wegzuschaffen“, „zu ersetzen“. Angst ist ein unerwünschter Zustand. So nennt der Politologe Franz Neumann in seinem Aufsatz „Angst und Politik“ von 1954 als eine der vier Freiheiten die „Freedom from Fear“, deren Gewährleistung Aufgabe des Staates sei – und stellt damit einen expliziten Zusammenhang von Angst, ihrem deontischen Potenzial und Politik her. Ein Ausdruck wie zum Beispiel „Sicherheit“ ist dagegen positiv deontisch aufgeladen und impliziert die Handlungsaufforderung „unbedingt zu erreichen“, „zu erhalten“. Sicherheit ist erwünscht.

Angst ist ein omnipräsentes Phänomen der modernen Gesellschaft. Kennzeichen komplexer Gegenwartsgesellschaften ist die sogenannte Kontingenzangst, eine diffuse Angst, gekennzeichnet von Ungewissheit, Orientierungslosigkeit und Optionsvielfalt. Es sind vielfältige Erwartungs- oder Verlustängste (etwa bezüglich Sicherheit, Wohlstand, Arbeit, Heimat, Kultur, Macht, Demokratie), die das Denken, Fühlen und Wollen komplexer Gesellschaften prägen. In den vergangenen vierzig Jahren ist Angst außerdem „Beweggrund für verschiedene, vor allem jüngere politische (Protest-)Phänomene.“

Ein linguistischer Zugang zur Beschreibung des Diskursphänomens Angst setzt das Grundprinzip der Kulturlinguistik voraus: Sprache schafft Wirklichkeit, und Wirklichkeit wird gesellschaftlich im Diskurs erzeugt, im Reden der Menschen. Die Beschaffenheit von Wirklichkeit hängt davon ab, wie sprachlich auf diese Bezug genommen wird. Hier wirkt das Prinzip des Framing: Je nachdem, welche Wörter verwendet werden, wird Wirklichkeit entsprechend in einen Deutungsrahmen eingebettet, wird also die Wahrnehmung dieser Wirklichkeit beeinflusst. Festzuhalten ist: Angst ist ein soziales Konstrukt und Ergebnis sprachlichen Handelns, das im Zuge kommunikativer Praktiken entsteht.

Darüber hinaus sind zwei sprachliche Handlungsperspektiven zu unterscheiden: Angst bei anderen (kalkuliert) hervorrufen oder intensivieren einerseits, und eigene Angst ausdrücken andererseits. Im ersten Fall wird Angst bloß verbalisiert, aber nicht selbst empfunden; im zweiten Fall ist die ausgedrückte Angst tatsächlich vorhanden.

Diskursanalytisch kommt ein weiteres Unterscheidungskriterium hinzu: Von Angst getriebene oder bestimmte Diskurse sind zu unterscheiden von Angstdiskursen. Letztere haben Angst zum Thema, indem sie zum Beispiel der Frage nachgehen, wann das Phänomen „Angst“ in welchen Gesellschaften auffallend häufig auftritt. Von Angst getriebene Diskurse dagegen sind solche, die ganz unterschiedliche Themen zum Gegenstand haben, die jedoch alle auf spezifische Weise durch oder von Angst geprägt sind – wie etwa Klimawandel, Sicherheit oder Arbeitsplatzverlust.

Toxische Kommunikation der politischen Rechten

Die politische Rechte schürt Emotionen wie Wut, Hass und vor allem Angst in der Überzeugung, dass politische Botschaften Personen, die verängstigt, wütend oder hasserfüllt sind, leichter erreichen. Das Thema „Angst“ im politischen Kontext wird insofern zuallererst mit rechter Politik beziehungsweise rechten Diskursen in Verbindung gebracht.

Voraussetzung für die emotionalisierenden und Angst schürenden Diskursstrategien der politischen Rechten ist deren grundsätzlich repulsive, also auf Abstoßung beruhende Weltsicht. Wer ausschließlich im Freund-Feind-Schema denkt und handelt, tut dies in einem emotionalisierten, von Hass, aber auch von Angst gesteuerten Modus. Hatespeech ist „der sprachliche Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen“, das Gewaltmoment im Sinne von sprachlicher Gewalt ist in diesem Kontext von hoher Bedeutung.

Indem (Rechts-)Populisten Ängste schüren, präsentieren sie sich als Retter (auch als Erlöser) aus der Angst hervorrufenden Situation und schlagen daraus politisches Kapital. Diese Diskursstrategie ist kalkuliertes Programm. So rief die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry den Teilnehmenden des AfD-Bundesparteitages 2015 zu: „Wir brauchen die Ängstlichen, um Mehrheiten zu bewegen. Die Ängstlichen sind nicht unsere Gegner, sondern genau genommen unsere Verbündeten.“ Damit sollte der entscheidende Unterschied zu anderen politischen Diskusstrategien, die mit Angst zu tun haben, markiert werden: Angst als parteiprogrammatischer elementarer Faktor ist deutlich abzugrenzen von Angst im Kontext legitimatorischer beziehungsweise aufklärerischer Zusammenhänge (siehe unten).

Von Angst bestimmte Diskurse der politischen Rechten werden auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen – lexikalisch-semantisch, argumentativ, metaphorisch – realisiert. Den Komplex dieser sprachlichen Realisierungsformen nenne ich orientiert an der Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel toxische Kommunikation. Angst kalkuliert schürender Sprachgebrauch ist toxischer Sprachgebrauch, mit dem bewusst Schaden angerichtet wird. Mit Sprache Schaden anzurichten, bedeutet – außer zu diskriminieren, zu verleumden, zu denunzieren, zu beleidigen, zu hetzen, verletzen, Hass zu schüren, zu lügen und so weiter – auch: Angst zu erzeugen. Dabei schleicht sich die „toxische Bedeutung von Wörtern (…) oft unbemerkt in unseren Geist ein, sie hinterlässt aber Spuren, löst Assoziationen aus“.

Wann tritt die gesellschaftliche Gefühlslage der Angst auf? Angst ist ein Krisenphänomen. Weil der psychische Zustand von Menschen in Krisensituationen von Angst bestimmt ist, nutzt vor allem die politische Rechte diese Erscheinung zu ihren politischen Zwecken. Populismus ist daher ebenso ein Krisen- wie ein Angstphänomen. Ohne einen Sorgen, Ängste und Zorn auslösenden Krisendiskurs gäbe es Populismus nicht. Wie Angst sind dabei auch Krisen „diskursive Phänomene, also ‚soziale Tatsachen‘, die vor allem auch sprachlich konstituiert werden und die (…) als unumstößliche ‚Fakten‘ oder als Rechtfertigungsinstanzen für politische Entscheidungen fungieren“.

Antizipation – Wenn-dann-Argumentation

Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung ist Angst ein die Zukunft antizipierender emotionaler Zustand, der sich auf eine gegenwärtige Krise bezieht und gegebenenfalls die Vergangenheit herbeisehnt – mit anderen Worten ein gegenwartsbezogenes Phänomen einer als Krise konstituierten Wirklichkeit mit der Vorstellung einer besseren Vergangenheit. Insofern sind Krisen auch Umbruchsphänomene, in denen sich die drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bündeln. Das wesentliche Funktionsmoment von Angst und damit auch toxischer Angst-Kommunikation ist somit das der Antizipation. Ohne vorausschauende Kompetenz könnte Angst, die sich immer auf ein künftiges Geschehen richtet, nicht entstehen.

Das sprachliche Muster antizipierender Angst-Kommunikation ist die klassische Wenn-dann-Argumentation: „Wenn heute nicht gehandelt wird, geschieht morgen das Schlimme/Böse“, beziehungsweise gemildert im Konjunktiv: „könnte X passieren“. Dieses Argumentationsmuster liegt explizit oder implizit, auf jeden Fall aber systematisch der Angstkommunikation zugrunde. Die explizite Variante lautet etwa: „Wenn die Migration nicht aufhört, verlieren wir unsere Kultur.“ Hier wird eine ausdrückliche und eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung hergestellt. Die implizite Variante einer Wenn-dann-Konstruktion lautet etwa: „Es gibt zu viele Migranten in Deutschland. Die Kriminalitätsrate ist enorm gestiegen. Wir müssen die Grenzen schützen.“ Vermeintliche Ursache („zu viele Migranten“) und Wirkung („Kriminalitätsrate gestiegen“) werden in diesem Beispiel zudem mit einem Schlusssatz („Grenzen schützen“) ergänzt. Die explizite Version lautet: „Wenn es zu viele Migranten gibt, dann steigt die Kriminalitätsrate.“ Der Schlusssatz bezieht sich sowohl auf das Ursache- („zu viele Migranten“) als auch auf das Wirkungs-Element der Konstruktion („Kriminalitätsrate steigt“).

Verschwörung und Übertreibung

Krisendiskurse haben eine tribunalhafte Struktur, denn es geht immer auch um Schuldige, die für die Krise verantwortlich zu machen sind und mit denen Angst motiviert werden kann. An dieser Stelle kommen Verschwörungsmythen ins Spiel, deren wesentliches Momentum die Angst ist. In Krisen- und Umbruchszeiten wird mit der Erzählung von Verschwörungsmythen versucht, einfache Sinnangebote zu machen. Funktional gesehen sind Angst kompensierende Verschwörungserzählungen damit Schuldzuschreibungen. So wird das Thema „Zuwanderung“ von dem Gründer der rechtsextremistischen Identitären Bewegung, Martin Sellner, als „Mord“ beziehungsweise „Selbstmord“ kodiert:

„Europa wird umgebracht. Eine unheilbare Krankheit und den natürlichen Tod kann man nicht aufhalten. Aber einen Mord schon, und erst recht einen Selbstmord“.

Hier schürt Sellner – nachdem er einen „Sachverhalt“ apodiktisch ohne Nennung eines Akteurs konstituiert hat – mit Todesmetaphorik Angst. Gleichzeitig eröffnet er mit „aufhalten“ eine Handlungsoption.

Insbesondere die „politische Klasse“ beziehungsweise die „Altparteien“ werden der Verschwörung bezichtigt:

„Es hat sich eine politische Klasse von Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht (…) in Händen hat.“

Verschwörungsabsicht wird auch anderen prominenten Akteuren zugeschrieben, und das Angst schürende Narrativ wird sprachlich apodiktisch in der Form von Gewissheit („es ist so“) formuliert:

„‚Philanthropen‘ wie Bill Gates, George Soros, Muchtar Abljasow nutzen ihre Vermögen, um politische Macht zu generieren, damit legitime Institutionen zu manipulieren, zu korrumpieren oder gar zu beseitigen, und verknüpfen dadurch auch finanzielle Eigeninteressen mit dem vorgeschobenen politischen und sozialen Ziel.“

Verschwörungsmythen schüren Misstrauen in Institutionen. Es werden Schuldige für ein Ereignis erfunden, um ihm damit nicht nur in gewisser Weise Sinn zu geben, sondern auch Angst hervorzurufen.

Übertreibungen erfüllen denselben Zweck. Sie werden durch bestimmte Vokabeln oder Formulierungen ausgedrückt: Im Wahlprogramm der AfD von 2021 begegnet man „Genderwahn“ und „Klimahysterie“, es wird eine „familienzersetzende Politik“ und eine „demografische Katastrophe“ festgestellt und der „Zusammenbruch (…) unserer kulturellen Identität“ prophezeit. Man liest von einer „umfassenden [wirtschaftlichen] Depression“, von der möglichen „Enteignung von Kontoinhabern“, der „totale[n] Kontrolle“.

Thema Migration

Wesentliche Elemente rechter toxischer Kommunikation sind typische Themen, die den Diskurs bestimmen und mit Angst hervorrufenden Elementen orchestriert werden. Omnipräsent, ob in Grundsatz- oder Wahlprogrammen, in Parlaments- oder Parteitagsreden, ist das Thema „Migration“. Unablässig wird auf den Zuzug von Schutzsuchenden hingewiesen mit den allesamt negativ deontisch aufgeladenen lexikalischen Varianten „Migrantenflut“ oder „Migrantenkrise“ und dem Framing als „große Gefahr“ oder „nicht zu bewältigendes Problem“, verbunden mit „Kriminalität“, „Ausnutzen von Sozialsystemen“ oder dem „Untergang des deutschen Volkes“. Mit der so erzeugten Angst werden Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit geschürt und werden die eigenen Handlungsabsichten – etwa „prinzipielle Abschiebung in jedes Herkunftsland“, radikaler „Schießbefehl an der Grenze“ – als vermeintliche Lösung positioniert.

Das im Zuge des Migrationsdiskurses der politischen Rechten erzeugte Szenario ist das der Bedrohung. Es ist gekennzeichnet sowohl durch explizite sprachliche Gewalt (Beschimpfungen, Beleidigungen, Verwendung von Schimpfwörtern) als auch durch implizite sprachliche Gewalt – mit Zuschreibungs- und Behauptungshandlungen, Konstatieren vermeintlicher Sachverhalte, Generalisierungen, Stereotypisierungen, impliziten Voraussetzungen und Unterstellungen. An folgendem Zitat des österreichischen FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache sei dies beispielhaft verdeutlicht:

„Durch den ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten, die in unsere Sozialsysteme einsickern, wird aber unser von Solidarität und Zusammenhalt getragenes gesellschaftliches Gefüge in seinen Grundfesten erschüttert und macht mittelfristig ja auch Konflikte nicht unwahrscheinlich bis hinauf zu Terror, bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Szenarien.“

Strache erzeugt mit den lexikalischen Elementen „ungebremst“, „kulturfremd“, „einsickern“, „in seinen Grundfesten erschüttert“, „Terror“, „bürgerkriegsähnlich“, mit der syntaktisch-apodiktischen Struktur eines Aussagesatzes („wird … erschüttert“) sowie mit der Entgegensetzung des Zustands („unser von Solidarität und Zusammenhalt getragenes gesellschaftliches Gefüge“) ein Bedrohungsszenario, das dem politischen Programm der extremen Rechten entspricht. Das negative deontische Potenzial einer solchen Ausdrucksweise ist das Einfallstor rechter Strategien der Angsterzeugung.

Insbesondere mit Strategien der Dehumanisierung wird auf spezifische Weise das negativ-deontische Potenzial der entsprechenden Ausdrücke genutzt, um eine emotionalisierte politische Botschaft zu platzieren:

„Unsere deutsche Volksgemeinschaft ist krank. Sie leidet an Altparteien, Diarrhö, Gutmenscheritis, links-grün-versifften 68ern, und durch Merkel versiffte, aufgelöste Außenhaut. Unser Deutschland leidet unter einem Befall von Schmarotzern und Parasiten, welche dem deutschen Volk das Fleisch von den Knochen fressen will.“

Das Angst erzeugende Potenzial der Ausdrücke „Schmarotzer“ und „Parasiten“ besteht in der durch sie hervorgerufenen Vorstellung des allmählichen und unmerklichen Verlusts von Kraft und Stärke. Wehrloses Ausgeliefertsein und Machtlosigkeit sind die Angst auslösenden Momente dieser Metaphorik. Diese Form der sprachlichen Entmenschlichung nutzten bereits die Nationalsozialisten, um Juden auszugrenzen und ihre Verfolgung und Ermordung diskursiv zu rechtfertigen:

„[Der Jude] ist und bleibt der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins aber gleicht ebenfalls der von Schmarotzern: wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab.“

Das negativ-deontische Potenzial der Ausdrücke verspricht dabei gleichzeitig die „Erlösung“ aus der Angst, denn: Was macht man mit Parasiten und Schmarotzern?

Diese Diskriminierung, deren Ziel die Erzeugung von Angst ist, bestimmt den Migrationsdiskurs von Rechtsaußen und ist Ausdruck eines entsprechenden Menschenbildes. Nach diesem zu fragen bedeutet, danach zu fragen, wie über Menschen geredet wird. Im Reden über Menschen entstehen Menschenbilder: durch wertende Abgrenzung, durch den bewertenden Gegensatz zwischen einem „Wir“ und „Sie“, einem Eigenen und Fremden. Wenn das hoch bewertete Eigene und das abgewertete Fremde eine politische Leitidee ist, dann wird damit Angst geschürt, um daraus wiederum Vorstellungen abzuleiten, wie politisch gehandelt werden soll.

Dieses Konzept heißt biologischer Nationalismus – und verdeutlicht einmal mehr, welch programmatisch fixierten Stellenwert Angst im rechten Diskurs hat. Die Propagierung der Ethnonation, die ethnische Herkunft als ausschließliches nationales Zugehörigkeits- beziehungsweise Ausschlusskriterium, steht übrigens klar im Widerspruch zum deutschen Grundgesetz. Eine solche Vorstellung des „Volkes“ umfasst gerade nicht alle Staatsbürger und Staatsbürgerinnen „jeglichen Geschlechts und Glaubens, jeglicher Religion, Abstammung und Hautfarbe“, wie es in Artikel 3 kodifiziert ist, sondern ist kulturell und ethnisch abgeriegelt.

Wissen und Sorge

Mit dem Status von Angst als wesentlichem Element rechter Diskursstrategien ist das Thema „Sprache der Angst“ im politischen Kontext noch nicht hinlänglich ausgedeutet. Im Folgenden sei danach gefragt, wo im politischen Diskurs Angst außerdem vorkommt: Sei es unspezifisch im Sinne eines gesellschaftlich verbreiteten unkonkreten diffusen Phänomens, oder konkret, über die beschriebene Standardstrategie hinaus. Wann also sprechen wir überhaupt im politischen Diskurs von Angst, wer ruft sie, neben den Rechten, hervor? Und geht es dann auch um Angst, oder sollte die entsprechende negative Emotion anders benannt werden? Mindestens zwei weitere, nach Funktionen benannte Szenarien sowie ihre Akteure und Interessen können exemplarisch einbezogen werden.

Erstens das Szenario „Legitimation“: Politisch verantwortlich Handelnde, also zum Beispiel Regierungen, rufen Emotionen hervor, um ihr Handeln zu legitimieren. Adressaten sind insbesondere Parlamente, die eine Gesetzesvorlage diskutieren, beraten und (nicht) beschließen, aber auch die Öffentlichkeit, die ihre Haltung in Meinungsumfragen, Demonstrationen und Ähnlichem ausdrückt. So ist etwa der Verteidigungsminister vor dem Hintergrund des russischen Krieges in der Ukraine unablässig bemüht, Zustimmung zur Erhöhung von Rüstungsausgaben zu erlangen. Das Narrativ lautet, dem Wenn-dann-Muster folgend: „Wenn die Bundeswehr unzureichend ausgestattet ist, werden wir in absehbarer Zeit von Russland überfallen.“ In Fällen wie diesen ist das Erzeugen einer negativen Emotion eine kalkulierte, auf Wissen und Erfahrung basierte Strategie, um das Ziel zu erreichen: hier die Zustimmung zur Erhöhung des Rüstungsetats.

Zweitens das Szenario „Aufklärung“: Ob während der Corona-Pandemie, einer Finanzkrise oder bei Fragen der Verkehrsentwicklung und des Klimawandels: Es sind Experten und Expertinnen, die durch Analysen und Studien aufklären, damit aber zugleich negative Emotionen hervorrufen können. Adressaten sind hier politische Entscheidungsträger, um sie etwa zu gesetzgeberischen Maßnahmen zu veranlassen. Adressat ist auch die Bevölkerung, die zum Beispiel bestimmte Verhaltensweisen ändern soll. Die Aufgabe von Experten ist es daher, mit der Kommunikation ihrer Analysen Wissen zu verbreiten und damit ein bestimmtes Handeln zu bewirken. Auch dies erfolgt nach dem Wenn-dann-Muster: Finanzexperten wollen zum Geldausgeben veranlassen, um die Konjunktur zu beleben und so Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten. Virologen zielen mit ihren Analysen im Grunde darauf, die Impfrate zu erhöhen, da sonst Ansteckung droht. Klimatologen weisen in ihren Studien nach, dass bestimmtes Konsumverhalten schädlich für das Klima ist und fordern damit implizit zum Verzicht auf, da sonst Dürre, Hitze und Überschwemmungen die Folgen sind. Es wird also deutlich: Im Zuge von Aufklärung mit dem Ziel von Verhaltensänderungen entsteht – absichtlich oder nicht – eine emotionale Belastung.

Auch Regierungen und Experten rufen also mitunter negative Zukunftsszenarien auf, um ihre Ziele zu erreichen. Das Emotionen auslösende Momentum bleibt dabei Teil einer politischen Handlung, die auf eine konkrete, zu lösende Aufgabe bezogen ist. Es geht also nicht, wie im rechtsextremen Diskurs, um die stetige Umsetzung eines Programms, sondern darum, eine bestimmte politische Herausforderung zu meistern.

„[Q]uälende gedanken“ gibt das Grimmsche Wörterbuch zu dem Stichwort „Sorge“ an. So mag Sorge die passendere Bezeichnung eines emotionalen Zustands sein, der in dem beschriebenen Handlungszusammenhang „Legitimation“ beziehungsweise „Aufklärung“ steht. Die Bezeichnung „Angst“ bleibe dagegen demjenigen emotionalen Zustand vorbehalten, der gerade nicht analyse- und wissensbasiert, nicht lösungsorientiert und daher auch nicht reflektiert ist.

Schluss

Eine Gesellschaft der Ängstlichen ist empfänglich für alle möglichen Versprechungen, die das Entkommen aus dem unerwünschten Zustand verheißen. Es ist eine Gesellschaft der Unglücklichen, Unzufriedenen und Frustrierten. Diese Konstellation ist eine Gefahr für die Demokratie. Dieser Gesellschaft gegenüber steht eine der Gelassenen und Menschenfreunde, die in der Lage sind, versachlichend und ohne emotionales Verstörtsein Sachverhalte zu beurteilen und mit ihnen umzugehen. Eine funktionierende Demokratie ist auf eine solche Gesellschaft angewiesen.

Die Gesellschaft der Gelassenen ist eine empathische Gesellschaft. Sie verfällt nicht den hemmungslosen Scheußlichkeiten auf Social Media – Regulierung ist dringend vonnöten. Sie hat einen gut funktionierenden demokratischen Kompass – Demokratieerziehung kann gar nicht genug angeboten werden.

Was bedeutet dieses Konzept sprachlich? Die Würde der Sprache wie die des Menschen achten, ihr vielfältiges ethisches Potenzial nutzen, positiv deontisch denken, reden und schreiben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, Bd. I, Leipzig 1793, S. 309f.

  2. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. I, Leipzig 1854, S. 358.

  3. Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes, 10., überarbeitete und erweiterte Auflage von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel, Tübingen 2002, S. 71.

  4. DWDS, Angst, Externer Link: https://www.dwds.de/wb/Angst.

  5. Vgl. Fritz Hermanns, Der Sitz der Sprache im Leben. Beiträge zu einer kulturanalytischen Linguistik, hrsg. von Heidrun Kämper, Angelika Linke, Martin Wengeler, Berlin–Boston 2012, S. 181–206.

  6. Franz L. Neumann, Angst und Politik, in: Herbert Marcuse (Hrsg.), Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt/M. 1967, S. 261–291, hier S. 261.

  7. Vgl. Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, Hamburg 2014.

  8. Susanne Martin, Von der Zeitdiagnose zur Gesellschaftswissenschaft der Angst. Eine Einführung, in: dies./Thomas Linpinsel (Hrsg.), Angst in Kultur und Politik der Gegenwart. Beiträge zu einer Gesellschaftswissenschaft der Angst, Wiesbaden 2020, S. 1–19, hier S. 6.

  9. Vgl. Elisabeth Wehling, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Köln 2016.

  10. Vgl. Cas Mudde/Cristóbal Rovira Kaltwasser, Populism. A Very Short Introduction, Oxford 2017.

  11. Vgl. insbes. Ruth Wodak, Politik mit der Angst. Die schamlose Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse, Wien–Hamburg 2020, insbes. S. 63ff.

  12. Vgl. Heidrun Deborah Kämper, Die Sprache der Rechten. Wie sie reden und was sie sagen, Stuttgart 20243.

  13. Vgl. Martin Reisigl, Argumentation Analysis and the Discourse-Historical Approach. A Methodological Framework, in: Christopher Hart/Piotr Cap (Hrsg.), Contemporary Critical Discourse Studies, London 2014, S. 67–96, hier S. 71f.

  14. Jörg Meibauer (Hrsg.), Hassrede/Hate Speech. Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion, Gießen 2013, S. 1.

  15. Vgl. Kämper (Anm. 12), S. 34–49.

  16. Vgl. Wodak (Anm. 11), S. 50.

  17. Zit. nach Brigitte Bargetz, Politik und Angst. Oder: homo neuroticus und der Spuk nationaler Souveränität, in: Prokla. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft 48/2018, S. 73–90, hier S. 74.

  18. Monika Schwarz-Friesel, Toxische Sprache und geistige Gewalt. Wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen, Tübingen 2022, S. 15.

  19. Martin Wengeler/Alexander Ziem (Hrsg.), Sprachliche Konstruktionen von Krisen. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein fortwährend aktuelles Phänomen, Bremen 2013, S. 1.

  20. Vgl. Thomas Mergel, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Krisen verstehen. Historische und kulturwissenschaftliche Annäherungen, Frankfurt–New York 2012, S. 9–22, hier S. 15.

  21. Vgl. Heidrun Kämper, Krise und Sprache: Theoretische Anmerkungen, in: Mergel (Anm. 20), S. 241–255, hier S. 247.

  22. Martin Sellner, Identitär. Geschichte eines Aufbruchs, Steigra 2017, S. 277.

  23. AfD, Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, Externer Link: https://www.afd.de/grundsatzprogramm.

  24. Maximilian Krah, Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda 2023, S. 133.

  25. Kämper (Anm. 12), S. 18ff.

  26. AfD, Deutschland. Aber normal. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag, Externer Link: https://www.afd.de/wp-content/uploads/2021/06/20210611_AfD_Programm_2021.pdf.

  27. Vgl. Ekkehard König/Katerina Stathi, Gewalt durch Sprache. Grundlagen und Manifestationen, in: Sybille Krämer/Elke Koch (Hrsg.), Gewalt in der Sprache. Rhetoriken verletzenden Sprechens, Berlin 2010, S. 43–59.

  28. Zit. nach Constanze Spieß, Strategien sprachlicher Gewalt im Kontext rechtspopulistischen Sprachgebrauchs, in: Steffen Pappert et al. (Hrsg.), Skandalisieren, stereotypisieren, normalisieren. Diskurspraktiken der Neuen Rechten aus sprach- und literaturwissenschaftlicher Perspektive, Hamburg 2021, S. 91–122, hier S. 102.

  29. So der AfD-Bundestagskandidat Thomas Göbel, zit. nach Bundesamt für Verfassungsschutz: Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und ihren Teilorganisationen, 15.1.2019, Externer Link: https://netzpolitik.org/2019/wir-veroeffentlichen-das-verfassungsschutz-gutachten-zur-afd/#2019-01-15_BfV-AfD-Gutachten.

  30. Adolf Hitler, Mein Kampf, zit. nach Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin–New York 1998, S. 461f.

  31. Deutsches Wörterbuch (Anm. 2), S. 1756.

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ist außerplanmäßige Professorin an der Universität Mannheim und wissenschaftliche Mitarbeiterin des dortigen Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. Ihr Buch "Die Sprache der Rechten. Wie sie reden und was sie sagen" erschien 2024 bei Reclam.