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Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche Deutsche Bemühungen zur Ausschaltung Rußlands im Ersten Weltkriege | APuZ 25/1961 | bpb.de

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APuZ 25/1961 Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche Deutsche Bemühungen zur Ausschaltung Rußlands im Ersten Weltkriege

Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche Deutsche Bemühungen zur Ausschaltung Rußlands im Ersten Weltkriege

EGMONT ZECHLIN

3.

Inhalt I. Kapitel: 1. Nation und Regierung nach dem Kriegsausbruch 2. Die versäumte militärische Chance im Osten 3. Die Idee des Sonderfriedens mit Rußland 4. Ein dänisches Vermittlungsangebot 5. Bethmann-Hollweg zwischen Vernunft und „öffentlicher Meinung" II. Kapitel: Das Kampfmittel der nationalen Revolution 1. Revolutionierungspläne Bismarcks unu Moltkes 2. Das Insurrektionsprogramm des Generalstabes von 1914 III. Kapitel: Revolutionierungsversuche in den Randzonen Rußlands 1. Die finnische Freiheitsbew陸€

Die Allianz mit dem Judentum

Für den improvisatorischen Charakter der deutschen Insurrektionspolitik im Osten ist es bezeichnend, daß schon mit der Einbeziehung der Juden das eben erst vom jüngeren Moltke vorgelegte Programm überschritten wird Während die Befreiung Finnlands und die Insurrektion Polens dort vorgesehen waren und auch sofort in Angriff genommen wurden, fehlt jeglicher Hinweis auf die Möglichkeiten eines derartigen Vorgehens im Fall der Ukrainer und des osteuropäischen Judentums.

Nicht weniger bezeichnend ist es, daß ein dem polnischen Adel entstammender preußischer Offizier, Bogdan von Hutten-Czapski, als Ost-Referent im Großen Generalstab den Gesamtkomplex der Aufwiegelung West-und Südrußlands bearbeitete und damit ex officio auch auf die Geschicke des osteuropäischen Judentums Einfluß hatte So zweckmäßig es war, wenn Landeskenner in die neuerrichteten Dienststellen berufen wurden, so problematisch mußte diese Berufung erscheinen, weil mit der Amtsstellung Aufgaben der Koordination verschiedener Völkerschaften verbunden waren. Obgleich die Gutwilligkeit und persönliche Integrität Hutten-Czapskis kaum ernsthaft in Frage gestellt worden ist 3war seine Ernennung nicht geeignet, das ohnehin tiefverwurzelte Mißtrauen der übrigen Nationalitäten gegenüber der star-ken Stellung der polnischen Partei in Berlin zu beschwichtigen.

Die Berufung Hutten-Czapskis wird erklärlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Aufwiegelung der westrussischen Nationalitäten primär aus dem militärischen Gesichtswinkel betrachtet wurde. Der Krieg brachte für die nationalen Minderheiten Osteuropas große Gefahren, barg aber auch Chancen für eine politische Neugestaltung. Den deutschen Bemühungen lag aber nicht dieses Ziel zugrunde, sondern das der militärischen Aufwiegelung im Rücken der russischen Front, um damit die Operationen der Mittelmächte zu entlasten. Hutten-Czapski selbst hat sich noch in seinen Memoiren zu dieser Auffassung bekannt: „Ich war der Ansicht, daß ... alle Mittel angewandt werden mußten, um zuerst Rußland niederzuwerfen, und daß alle Bedenken zunächst diesem gemeinsamen Kriegs-ziel unterzuordnen waren .. Wenn es gelang, das politische Ressentiment in diesem Augenblick einer weltpolitischen Krise auszuschalten, dann allerdings mußten militärische Eignung und Landeskenntnis die wesentlichen Kriterien für die Auswahl des Ost-Referenten bilden. Von derselben Voraussetzung ausgehend, hat Hutten-Czapski die Einbeziehung der Juden in das Insurrektionsprogramm grundsätzlich gebilligt Man meinte auf deutscher Seite, die starken Gegensätze, die insbesondere zwischen Ukrainern, Juden und Polen bestanden, im Hintergrund halten zu können.

Isoliert betrachtet, erscheint der Gedanke einer politischen Verbindung zwischen den Mittelmächten und den Kräften des Judentums bestechend. Die Pogrome von 18 81 und von 1905— 1906 hatten erkennen lassen, welche Spannungen zwischen Juden und Slawen bestanden und auf Entladung drängten. Als ethnische Fremdkörper inmitten des slawischen Siedlungsgebietes waren die jüdischen Gemeinden Westrußlands in gleicher Weise der zaristischen Unterdrückungspolitik und der Feindseligkeit ihrer Umwelt ausgesetzt. Auch für die neoslawistische Ideologie, die in vielen Fällen mäßigend und vermittelnd wirkte, war das Ost-judentum allenfalls ein Störungsfaktor. Seit der Ermordung Alexander II., die übrigens auf jüdische Machenschaften zurückgeführt wurde, setzte eine verschärft antisemitische Politik ein, die mit dem Namen Alexanders III. und seiner Berater Pobjedonosszew und Ignatjew verknüpft ist. Eine Fülle repressiver Maßnahmen — Niederlassungsbeschränkungen, Sondersteuern, ein numerus clausus für höhere Schulen und Universitäten — trieb Hunderttausende außer Landes und machte Millionen im Innern des Reiches zu erbitterten Opponenten des zaristischen Regimes. Infolge der Niederlassungsbeschränkungen war nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung des Zarenreiches in einem breiten Gebiets-streifen entlang der russischen Westgrenze ansässig, in demjenigen strategisch bedeutsamen Raum also, der den russischen Truppen als Aufmarschgebiet diente und einen wesentlichen Teil der kriegswichtigen Industrie beherbergte. Für noch wertvoller hielt man auf deutscher Seite die wirtschaftliche und soziale Schlüsselstellung, die das Judentum innerhalb der osteuropäischen Gesellschaftsordnung einnahm Da der Zwischenhandel traditionell eine Domäne der Juden war, lag die Versorgung der zaristischen Streitkräfte großenteils in jüdischen Händen. Es bedurfte deshalb nach deutscher Ansicht keineswegs einer offenen deutsch-jüdischen Waffenbrüderschaft. Sabotage in der Rüstungsindustrie des Landes, geschickt herbeigeführte Verzögerungen und Stockungen in der Belieferung der kämpfenden Truppe, die systematische Verbreitung von Propagandamaterial deutscher Herkunft oder ähnliche Maßnahmen hatten unter Umständen einen erheblich höheren Nutzeffekt. Schließlich war ein ideologisches Moment in Betracht zu ziehen: nämlich die Rückwirkungen einer deutsch-jüdischen Allianz auf die Demokratien des Westens, vor allem auf die Vereinigten Staaten. Hier schien sich eines der wenigen Mittel zu bieten, um Einfluß auf die öffentliche Meinung Nordamerikas, aber auch auf die Haltung der New Yorker Hochfinanz auszuüben

Innerhalb des deutschen Judentums lenkte zunächst die Zionistische Bewegung die Aufmerksamkeit auf sich. Da diese zahlenmäßig schwache, aber außerordentlich rege Gruppe im Gegensatz zu der antizionistisch eingestellten oder politisch desinteressierten Mehrheit der Juden für ein eigenes, jüdisches Nationalbewußtsein eintrat, mußte sie an dem zukünftigen Schicksal des unter russischer Herrschaft lebenden Volksteils besonderen Anteil nehmen. Die deutsche Sektion des internationalen zionistischen Verbandes galt als die fortschrittlichste ihr Verhalten, so vermutete man, würde auch jenseits der Reichsgrenzen beispielhaft wirken Es konnte kaum zweifelhaft sein, zu wessen Gunsten die Entscheidung ausfallen würde, denn während der Zionismus in Deutschland wohlwollende Förderung erfahren hatte, war die russische Regierung bestrebt, jeden Ansatz einer politischen Tätigkeit in dieser Richtung zu beseitigen. Ein anscheinend von maßgeblichen deutschen Zionisten inspiriertes Schreiben, das dem Auswärtigen Amt bereits in den ersten Augusttagen zuging stellte diesen Gegensatz in pointierter Form dar. Mit der suggestiven Formel, der zionistische „Generalstab" sei „durchgängig deutschfreundlich“, wurde darauf verwiesen, daß sich das Zentralbüro des internationalen Zionistenverbandes in Berlin befand und von einem Juden deutscher Staatsangehörigkeit, dem Botaniker und Kolonialwirtschaftler Otto Warburg, geleitet wurde; sofern die Mitglieder der Zentralexekutive nicht deutsche Staatsbürger seien, hätten sie ihre akademische Ausbildung in Deutschland genossen oder seien durch langjährigen Aufenthalt mit dem Gastland verbunden. Folglich handle es sich um eine Organisation, die völlig in deutschen Händen sei und das feindliche Land völlig durchsetze

Das deutsche Nationalbewußtsein der Juden

Tatsächlich unterschied sich der deutsche Zionist im Augenblick des Kriegsausbruchs in seinem Denken und Handeln nicht grundsätzlich von der Masse der Bevölkerung und von den jüdischen Assimilanten. Das „Wir-Bewußtsein“ das Empfinden, Bürger des bedrohten deutschen Reiches zu sein, von dem der Berliner Soziologe Franz Oppenheimer in seinen Erinnerungen spricht, überlagerte in diesen Tagen die Zweifel und Bedenken, die sich gerade im Gedanken an das zukünftige Schicksal der osteuropäischen Juden aufdrängen mußten. Noch 1938, in einer Zeit stärkster deutsch-jüdischer Spannungen, hat Max Bodenheimer, eine der hervorragenden Persönlichkeiten im deutschen Zionismus, eindringlich geschildert, wie stark das Gefühl der Erleichterung war, das ihn über-kam, sobald der deutsche Mobilmachungsbefehl erlassen war. „Es war eine Art Euphorie, wie sie den Soldaten erfaßt, dem nach einer aufreibenden Beschießung des Schützengrabens der Befehl zum Sturmangriff gegeben wird, oder einen Sterbenden im Vorgefühl seiner Erlösung“ Der jugendliche Marburger Student Nahum Goldmann, später einer der Schöpfer des Staates Israel, sah in diesem enthusiastischen Bekenntnis zur Gemeinschaft, das alle Volkskreise erfaßte, die Verwirklichung des kantianischen Gedankens von der Einordnung des Individuums in das größere Ganze, und gab seiner Begeisterung in einer Reihe von Zeitungsaufsätzen und Broschüren Ausdruck Man wird sagen dürfen, daß das deutsche Judentum in seiner Ge-samtheit, besonders die jüngere Generation, in dieser Anfangsphase des Krieges ähnlich empfand Gegenüber der Tatsache, daß Ruß-land, das Land der Pogrome, in der Reihe der Gegner stand und daß vermutlich bald „das Menetekel upharsin an den Zinnen dieser Schädelburg erscheinen“ werde, verloren andere Überlegungen an Gewicht.

Für die deutschen Zionisten stand naturgemäß im Mittelpunkt der Überlegungen die Sorge um die im Entstehen begriffenen jüdischen Siedlungen in Palästina Die zionistische Leitung sah daher ihre vordringliche Aufgabe darin, dort Übergriffe der türkischen Verwaltung zu verhindern und sich hierfür der Unterstützung durch das deutsche Auswärtige Amt zu versichern Im übrigen zentrierte das Denken um die russische Frage. Da geriet das Problem der Meerengen in den Kreis der Betrachtungen. Gelang es Rußland, dieses Kriegsziel der Jahrhunderte zu gewinnen, dann drohte sich die russische Einflußsphäre bis nach Palästina auszudehnen; an die Stelle der türkischen Feindseligkeit, die durch amerikanische und deutsche Interventionen im Zaum gehalten werden konnte, wäre der zaristische Despotismus getreten. Darüber hinaus galt es, die jüdische Bevölkerung Osteuropas, zugleich das Reservoir für die Einwanderung nach Palästina, in ihrer Existenz zu sichern. Schon aus diesen Gründen schien es geraten, Anlehnung bei der stärksten Macht des mitteleuropäischen Bündnissystems, also Deutschland, zu suchen, das seinerseits in der Lage war, auf seine südöstlichen Bundesgenossen einzuwirken.

Das „Komitee zur Befreiung der russischen Juden"

In der Absicht, die Juden des Zarenreiches für die deutsche Sache zu gewinnen, begegneten sich deutsche Behörden und zionistische Kreise. Der Kölner Justizrat Max Bodenheimer wandte sich bereits am 4. August — zunächst brieflich und als Privatmann — mit dem Vorschlag an die Militärbehörden des Rheinlandes, eine Proklamation an die Juden Rußlands zu erlassen und einen engen Kontakt zwischen den verbündeten Mächten und dem Zionismus anzustreben Da Bodenheimer, einer der Begründer der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“ und Direktor des „Jüdischen Nationalfonds“, als ein kompetenter Vertreter des Zionismus gelten konnte, wurde die Denkschrift an den Generalstab weitergeleitet. Hutten-Czapski lud den Verfasser nach Berlin ein und vermittelte die Bekanntschaft mit Diego von Bergen, dem Polen-Referenten im Auswärtigen Amt. Bodenheimer erfuhr, daß Bergen sich ebenfalls mit einem Aufruf an die Ost-Juden beschäftigte und in dieser Angelegenheit Verbindung zu einem Komitee unterhielt, das der Stahlindustrielle Mannesmann etabliert hatte. Nachdem er mehr-fach mit Bergen und Hutten-Czapski konferiert hatte, entschloß sich Bodenheimer, einzelne seiner zionistischen Bekannten ins Vertrauen zu ziehen, darunter Leo Motzkin, einen Juden russischer Herkunft. Am 17. August 1914 bildete sich mit voller behördlicher Billigung das „Deutsche Komitee zur Befreiung der russischen Juden“, das sich, wie Bodenheimer bei Gelegenheit betonte, „dem Großen Generalstab und dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stellt.“ Dem Gründungsausschuß gehörten ausschließlich Persönlichkeiten aus der deutschen zionistischen Bewegung an. Oppenheimer, der als Wirtschaftssachverständiger der Reichsregierung tätig war, übernahm den Vorsitz, Bodenheimer erhielt als sein Stellvertreter die Vollmacht, den Geschäftsverkehr mit den Reichsbehörden zu regeln. Manche Anzeichen ließen den Schluß zu, daß diese Gründung auch den Intentionen der zionistischen Weltexekutive entsprach. Ihr Vorsitzender Otto Warburg war über die einzelnen Schritte informiert, hatte das Zustandekommen des Komitees gefördert und einen jüngeren Mitarbeiter deutscher Staatsangehörigkeit, Arthur Hantke, als Verbindungsmann entsandt. Er be-kräftigte sein Wohlwollen, indem er noch am Tag der Gründung Bodenheimer in einem Hand-schreiben sein Einverständnis aussprach

Eine im Auswärtigen Amt entstandene Denkschrift, deren Autoren offenkundig unter dem Eindrude der spontanen zionistischen Initiative standen, faßt das Resultat in der Feststellung zusammen: „Es ist geglückt, die ganze Organisation der Zionisten für unsere Sache zu gewinnen Es mag zweifelhaft erscheinen, ob ein solches Urteil in einem Augenblick gerechtfertigt war, in dem noch alles im Fluß war. Dennoch gibt dieser Satz in seiner apodiktischen Kürze das äußere Bild durchaus zutreffend wieder, denn daß sämtliche Gründer des Komitees — neben Oppenheimer, Bodenheimer und Hantke gehörten ihm Aldols Friedemann und Alfred Klee an — zu den führenden Köpfen des deutschen Zionismus zählten und weitreichende Autorität genossen, stand außer Frage. Hantke leitete als direkter Nachfolger Bodenheimers die „Zionistische Vereinigung für Deutschland“, Klee galt schon in jungen Jahren als „der erfolgreichste Versammlungsredner des deutschen Zionismus“ Friedemann, ein Freund Herzls, hatte einen geachteten Namen als Publizist. Außer Hantke war auch Franz Oppenheimer persönlich durch langjährige Zusammenarbeit mit Otto Warburg, dem Vorsitzenden des zionistischen Weltverbandes, verbunden Daß War-burg zwar die Dienste des neugegründeten Befreiungskomitees in Anspruch nahm, sich selbst aber freie Hand vorbehielt, war ebenso erklärlich wie die Zurückhaltung der in Berlin amtierenden russischen Mitglieder der Weltexekutive. Andererseits konnte schon die Tatsache, daß trotz des Krieges die Vertreter des russischen Zionismus weiterhin in Berlin ihrer Tätigkeit nachgingen, als ein Zeichen stillschweigenden Einverständnisses gewertet werden Bodenheimer suchte der komplexen Situation gerecht zu werden, wenn er in einem Einführungsschreiben an den Großen Generalstab die widersprüchliche Feststellung traf: „Dieses Komitee vereinigt in sich die Beziehungen und den Einfluß der zionistischen Organisation, ohne irgendwie mit dieser identisch zu sein.“

Die innerjüdische Koalition

Der Gang der Dinge schien den Optimismus, den das Auswärtige Amt zur Schau getragen hatte, über Erwarten zu rechtfertigen. Im Lauf der ersten Kriegswochen gelang es, eine Anzahl bedeutender Nichtzionisten zum Beitritt zu bewegen und dadurch die politische Basis des Komitees zu verbreitern. Kooptiert wurden Berthold Timendorfer, das Haupt der jüdischen Freimaurerbewegung, und der Orientalist Moritz Sobernheim, der als Vorstandsmitglied des „Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes“ tätig war und wenig später zum Leiter der Jüdischen Abteilung im Auswärtigen Amt bestellt werden sollte Eine noch eindrucksvollere Stärkung des Komitees bedeutete es, daß Eugen Fuchs für dessen Ziele gewonnen werden konnte; Fuchs leitete die große Sammelbewegung des deutschen Judentums, den „Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", und hatte sich noch am Anfang des Jahres 1914 als der vermutlich einflußreichste und entschiedenste Gegner des deutschen Zionismus ausgewiesen, als er die Pressekampagnen eines — aus dem Zentralverein hervorgegangenen — „Antizionistischen Komitees"

förderte. Durch den Beitritt von Timendorfer, Sobernheim und Fuchs bekundeten drei der wichtigsten zentralen Organisationen des deutschen Judentums ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Zionismus; denn obgleich das Komitee hervorhob, daß die genannten Personen ihm in privater Eigenschaft angehörten, konnten sie als Repräsentanten der unter ihrer Leitung stehenden Vereinigungen gelten. Der von Oppenheimer und Bodenheimer propagierte Gedanke einer deutsch-jüdischen Allianz hatte eine bemerkenswerte Anziehungskraft bewiesen und nicht nur neutrale, sondern auch prononciert antizionistische Persönlichkeiten an das Befreiungskomitee herangeführt

Im Augenblick hatte es den Anschein, als gebe es angesichts der russischen Gefahr auch im deutschen Judentum keine Parteien mehr.

Nur wer mit den Strömungen und Unter-strömungen im deutschen Judentum vertraut war, hätte die Schwächen dieser innerjüdischen Koalition aufdecken können. Es hätte zu denken geben müssen, daß der Gründungsausschuß des Komitees nahezu identisch mit einer zionistischen Splittergruppe war, der „Gruppe Bodenheimer -Struck -Oppenheimer -Friede-mann“ nämlich, der eine gemäßigte Auslegung des Herzischen Programms befürwortete. . Während die Mehrheit innerhalb der Bewegung die Anschauung vertrat, der überzeugte Zionist müsse sich innerlich von seiner Heimat lösen, beharrte der Kreis um Bodenheimer auf dem Standpunkt, daß ein Bekenntnis zum Zionismus die volle Wahrnehmung der Rechte und Pflichten als deutscher Staatsbürger keineswegs auszuschließen brauche. Auf den letzten Delegierten-tagen der Vorkriegszeit, in Posen 1912 und in Leipzig 1914, hatten die Vertreter eines uneingeschränkt staatstreuen Zionismus Abstimmungsniederlagen hinnehmen müssen; ein erster Hinweis darauf, daß Oppenheimer und Bodenheimer nur bedingt auf die Gefolgschaft ihrer zionistischen Gesinnungsfreunde rechnen konnten.

Noch ein zweiter Umstand hätte Beachtung verdient: die betonte Distanz der jüdischen Kapitalwirtschaft und des ihr eng verbundenen „Hilfsvereins der deutschen Juden“ eines Personenkreises, der im wesentlichen assimilatorisch gesonnen war und dessen Staats-treue daher am wenigsten zu Zweifeln Anlaß gab. Verdankte doch der Hilfsverein sein Entstehen dem Wunsch maßgebender deutscher Juden, mit Hilfe philanthropischer Projekte den deutschen Kultureinfluß — besonders im Orient — zu verstärken daß aber auch Männer wie Ballin, Max Warburg und Paul Mankiewitz die deutschen Kriegsanstrengungen unterstützten, war offenkundig Um so bedenklicher mußte es wirken, daß dieser Teil des Judentums jeder Berührung mit dem Befreiungskomitee aus dem Wege ging, obgleich Bodenheimer bemüht blieb, eine Einigung herbeizuführen Die Leiter des Hilfsvereins, James Simon und Paul Nathan, zogen es vor, direkt an die Regierung heranzutreten und sich für die Propaganda in Rußland zur Verfügung zu stellen. Während des ersten Kriegsjahres blieb die Spannung innerhalb des Judentums latent. Im September 1915 fand sie mit der Gründung einer „Deutschen Vereinigung für die Interessen der osteuropäischen Juden“, in der sich Simon und Nathan mit Ballin, Mankiewitz, Max Warburg und anderen zusammenschlossen, auch organisatorisch ihren Ausdruck Überdies bewarb sich eine dritte jüdisch-orthodoxe Gruppe um das Vertrauen der osteuropäischen Juden und der amtlichen deutschen Stellen

Die Illusion der gemeinsamen Front

Entscheidend für den Erfolg einer gegen Ruß-land gerichteten Insurrektionspolitik, gleich welcher Art, war die Frage, in welchem Maße diese Bestrebungen eine Resonanz jenseits der Front-linien hervorriefen. An diesem Punkt wurde die Fragwürdigkeit der deutschen Planungen deutlich: Sie hatten eine Solidarität des Volkstums über die Grenzen hinweg zur Voraussetzung, die in dieser Weise nicht vorhanden war. Das schon zitierte Gutachten des Auswärtigen Amtes hatte den Zionismus — trotz der mit Erbitterung geführten Richtungskämpfe unmittelbar vor dem Krieg — mit dem Jesuiten-orden verglichen; er stelle eine „straffe Organisation“ dar, deren Mitglieder „zu striktem Gehorsam verpflichtet“ seien Diese — von Nichtjuden oft bis zum Mythos übersteigerte — Vorstellung vom internationalen Zusammenhalt der Juden, vor allem aber der ja international fest organisierten Zionisten, war falsch. Bodenheimers These vom „Gleichauf deutscher und jüdischer Interessen im Weltkrieg“ blieb für die Gegenseite, das russische Judentum, ohne Überzeugungskraft; denn diese These ließ außer acht, daß die Entscheidung für Rußland, für das Geburtsland, zugleich doch auch ein Votum für die liberalen Demokratien des Westens einschloß. Die vorherrschenden sozialistischen Tendenzen im russischen Judentum verstärkten die Abneigung gegen ein Bündnis mit Deutschland. Weder Bodenheimer noch seine deutschen Gesprächspartner scheinen sich über die Bedeutung der parteipolitischen Orientierung Rechenschaft abgelegt zu haben. Unter den Juden Rußlands übte das sozialistische Gedankengut eine ungewöhnlich starke Wirkung aus; der nichtzionistische jüdische „Bund“, aber auch zionistische Gruppen — „Poale Zion", die „Zionistischen Sozialisten“ und die Sozialistische „Jüdische Arbeiterpartei“ — gehörten zu den aktivsten Organisationen ihrer Art. Dem Vorschlag, einen Pakt mit dem Staat Bismarcks zu schließen, dessen antisozialistische Maßnahmen unvergessen waren, mußte der jüdische Sozialist verständnislos gegenüberstehen.

Im Augenblick der Krise gewann auch im russischen Judentum der Patriotismus die Ober-hand. Indem es für Rußland und seine demokratischen Verbündeten im Westen optierte, nahm es Stellung gegen den — in seinen Augen — machthungrigen Militärstaat Deutschland, aber auch gegen dessen türkischen Bundesgenossen, der sich weigerte, den jüdischen Niederlassungen in Palästina durch eine Charter den geforderten Rechtsschutz zu gewährleisten. Während Bodenheimer eine deutsch-jüdische Interessengemeinschaft postulierte, also die Niederlage Rußlands erhoffte, vertraute der russische Zionismus auf die Möglichkeiten einer inneren Reform des Zarenreiches, die, wie man meinte, der Preis für die Loyalität im Kriege sein werde. Beide Parteien nahmen für sich in Anspruch, das Gesamtwohl der zionistischen Bewegung im Auge zu haben. Die Juden Rußlands würden Schulter an Schulter mit den anderen Völkern in den Kampf ziehen, erklärte der jüdische Abgeordnete N. M. Friedman Ende Juli 1914 vor der Duma; keine Macht der Welt sei imstande, die Juden von ihrem Vaterland loszureißen, mit dem sie „durch jahrhundertealte Bande verknüpft seien“ Daß die Aufrichtigkeit solcher Treuekundgebungen nicht in Zweifel zu ziehen war, zeigte die russische Mobilmachung; sie verlief auch in den jüdisch besiedelten Westgebieten Rußlands ohne nennenswerte Schwierigkeiten; zahlreiche Juden meldeten sich als Kriegsfreiwillige.

Bodenheimer sah keinen Anlaß, diese Ereignisse zu beschönigen oder für die nahe Zukunft einen Stimmungsumschwung in Aussicht zu stellen. In einem Memorandum an das Auswärtige Amt vom 28. September legte er dar, daß es begreiflich sei, „wenn die Juden Rußlands nicht von lebhaften patriotischen Empfindungen für Land und Regierung erfüllt sind, die sie dem Elend und der Vernichtung preisgegeben haben. Trotz-dem werden die zum Heere ausgehobenen Männer ihre Pflicht ernst erfüllen, solange sie in der Truppe stehen. Die jüdische Bevölkerung im allgemeinen aber wird einen schweren Seelen-konflikt durchmachen, in ihrem tiefsten Innern kann und wird sie dem Lande, das sie zu einem menschenunwürdigen Dasein erniedrigt hat, den Sieg nicht wünschen.“ Als ein bedenkliches Indiz führte er an, daß die in Kopenhagen sta-tionierten Korrespondenten russischer Zeitungen, obgleich sie dem Zionismus anhingen, das Vordringen der Mittelmächte im Osten mit Mißtrauen verfolgten; gegenüber den Anfangs-tagen des Krieges sei eher eine Verschlechterung der Stimmung festzustellen, da von einer wohlwollenden Behandlung der Ostjuden durch die einrückenden deutschen und österreichischen Truppen nichts zu bemerken sei

Zurückhaltung der amerikanischen Juden

Auch im Westen blieb die Aktionseinheit des Weltzionismus eine Illusion. Das „Komitee zur Befreiung der russischen Juden“ hatte gehofft, gerade in den philanthropischen Zirkeln der nordamerikanischen Juden und Freimaurer Verständnis auch für seine politischen Absichten zu finden. Im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt stellte Bodenheimer noch im August 1914 eine zionistische Delegation zusammen, die beauftragt war, direkte Beziehungen zwischen dem deutschen Komitee und den aus Deutschland stammenden New Yorker Financiers herzustellen Man dachte an Persönlichkeiten wie Jacob Schiff, dessen in Frankfurt am Main lebender Bruder sich bereitfand, den Delegierten eine Empfehlung auszustellen, und Paul Warburg, den Bruder der Hamburger Bankiers Max und Fritz Warburg und nahen Verwandten Otto Warburgs. Mit Hilfe der Reichsmarineleitung glückte den zionistischen Abgesandten die Überfahrt nach Amerika. Aber die Erwartungen, die an diese Mission geknüpft worden waren, er-füllten sich nicht, denn schon die oft gestellte Frage, inwieweit die Vertreter des Komitees legitimiert seien, im Namen der deutschen Juden oder auch nur des zionistischen Flügels zu handeln, ließ keine eindeutige Antwort zu So wenig der deutsche Zweig der Familien War-burg und Schiff geneigt war, dem Vorgehen Oppenheimers und Bodenheimers vorbehaltlos zuzustimmen, so wenig billigten die New Yorker Anverwandten deren Motive und Methoden

Jacob Schiff fühlte sich nach einem ausführlichen Gespräch mit den deutschen Zionisten bewogen, einen Brief an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Zimmermann, zu richten Es sei irreführend, schrieb er, wenn die Abgesandten des Komitees lediglich Vergleiche zwischen der Lage der Juden in Rußland und in Deutschland anstellten. Man müsse vielmehr berücksichtigen, daß den Juden im öffentlichen Leben Englands, Frankreichs, Italiens und der Vereinigten Staaten weit mehr Einfluß zugebilligt werde als in Deutschland. „Die Sympathien einer Majorität des amerikanischen Judentums, das in seiner Zusammensetzung hauptsächlich russischen Ursprungs ist, stehen entschieden auf Seiten Deutschlands, aber ich kann nicht umhin zu konstatieren, daß eine große Anzahl speziell im Lande geborener Juden, deren Eltern vor vielen Jahren aus Deutschland hierher kamen, diese Sympathie für Deutschland nicht vollständig teilt, weil diese jüngere, sehr von ihrer Menschenwürde überzeugte Generation es nicht vergessen kann, daß Deutschland die Brutstätte des Antisemitismus gewesen ist . . Vorbedingung für ein deutsch-jüdisches Zusammenwirken sei deshalb „ein neuer Geist im deutschen Volk", der sichtbar unter Beweis gestellt werden müsse.

Die Erfahrungen der ersten Kriegsmonate zeigten unmißverständlich, daß weder das gemeinsame Volkstum noch die kulturelle und religiöse Verbundenheit noch das Bekenntnis zu einer über den Nationen stehenden politischen Organisation den Erschütterungen der Kata-strophe standhielten. Selbst eine Kombination dieser Faktoren, wie sie im Fall des internationalen Zionismus gegeben war, bot nicht die geringste Gewähr für ein gemeinsames Handeln oder auch nur für eine gemeinsame historische Perspektive. Eine im Endergebnis gleichartige Zielsetzung, die Sicherung der sozialen und religiösen und die Wiederherstellung der nationalen Existenz des Judentums führte in der politischen Praxis zu entgegengesetzten Entschlüssen, die keineswegs nur aus dem Zwang der Lage zu erklären sind. Der Zionist, für den das Judentum nicht nur eine Glaubensgemeinschaft, sondern zugleich eine Nation darstellte, mußte den Weltkrieg als einen Bruder-krieg empfinden. Nahum Sokolow, ein aus Ruß-land stammendes Mitglied der zentralen Exekutive, hat diese Erkenntnis klar ausgesprochen: „In diesem Kriege kämpften, besonders in Osteuropa, Hunderte und Tausende Juden auf den Schlachtfeldern der kriegführenden Staaten gegeneinander; und das bezeichnende ist, daß sie dies keineswegs gezwungen, sondern aus einem Gefühle höchster Pflichterfüllung heraus taten . .

Insurrektion durch Proklamation ?

Da Bodenheimer die Chancen für eine wirksame deutsche Insurrektionspolitik von Beginn an skeptisch beurteilte, waren Differenzen mit den zuständigen deutschen Militärs und Diplomaten unvermeidlich. Einigkeit herrschte lediglich in der Frage, welche propagandistische Methode anzuwenden sei. Wie Bodenheimer waren auch Bergen und Hutten-Czapski von der Wirksamkeit einer gedruckten Proklamation überzeugt, die in den Sprachen dieser Volksgruppe — also außer in deutscher auch in jiddischer und hebräischer Sprache — verbreitet werden sollte. Hutten-Czapski wußte dieses Vorhaben mit Nachdruck zu verwirklichen, obwohl die Widerstände gegen ein derart unkonventionelles Mittel der Kriegführung nicht unbeträchtlich waren Die Gegensätzlichkeit der deutschen und der zionistischen Konzeption trat in den Vorstellungen über Inhalt und Zweck der Proklamation zutage. Hutten-Czapski war bestrebt, den deutschen und österreichischen Soldaten als Befreier vom zaristischen Despotismus erscheinen zu lassen, ohne doch durch konkrete, fest umrissene Zusagen seiner Regierung die Hände zu binden und den künftigen Entscheidungen in irgendeiner Weise vorzugreifen. Demgegenüber beharrte Bodenheimer auf einer möglichst präzisen Formulierung der Rechte und Freiheiten, die dem osteuropäischen Judentum nach seiner Befreiung zugestanden werden sollten; offenbar in der Erkenntnis, daß eine in hoher Auflage gedruckte und weitverbreitete Proklamation einer öffentlichen Rechtsgarantie gleichzusetzen sei und ihren Unterzeichnern vor der Weltöffentlichkeit eine bindende Verpflich-tung auferlege Um einem offenen Zerwürfnis zu entgehen, ließ Hutten-Czapski das Komitee im Ungewissen über den Stand der Vorbereitungen. Er ignorierte die zahlreichen Einsendungen Bodenheimers und zog andere jüdische und deutsche Sachkenner bei der Abfassung des Textes zu Rate

Um so deutlicher heben sich in den einzelnen Entwürfen die unterschiedlichen Auffassungen voneinander ab. Hutten-Czapski war es um einen militärischen Beitrag der Ostvölker zu tun; Bodenheimer erschien es unverantwortlich, zu diesem Plan seine Hand zu reichen, solange die Erfolge und Landgewinne der Verbündeten im Osten keine Aussicht auf Dauer hatten Die Erwartung des Generalstabes, mit Hilfe von gedruckten Handzetteln eine bewaffnete Erhebung im Rücken der russischen Front inszenieren zu können, spiegeln sich in einem Textentwurf vom August 1914, der in dieser Fassung bereits die Zustimmung des Auswärtigen Amtes gefunden hatte und vom österreichischen Botschafter in Berlin, Szögyeny, mit einem befürwortenden Begleitschreiben nach Wien weitergereicht wurde Der vorgeschlagene Text enthält den Passus: „Juden Rußlands! Erhebt Euch! Greift zu den Waffen! Laßt allen Hader beiseite, mögt ihr Nationalisten oder Zionisten oder Sozialisten sein! Helft den Moskal aus dem Westgebiet, aus Polen, Litauen, Weißrußland, Wolhynien und Podolien verjagen!" Wenn Bodenheimer einem solchen Ansinnen ablehnend gegenüberstand, dann gewiß nicht nur, weil er das Risiko einer offenen Parteinahme des Ostjudentums scheute, sondern ebenso sehr in der Über-zeugung, daß allenfalls durch die Gewährung und Einhaltung von Rechtsgarantien überhaupt das Vertrauen der unter russischer Herrschaft lebenden Juden gewonnen werden könne, daß aber die Hoffnung auf ein bewaffnetes Eingreifen zugunsten der Mittelmächte völlig unrealistisch sei. Das zionistische Befreiungskomitee hat, soweit sich anhand der schriftlichen Unterlagen feststellen läßt, eine militärische Insurrektion niemals ernsthaft in Erwägung gezogen. Daß gelegentlich von einer jüdischen Bürger-wehr gesprochen wurde, die in den besetzten Ostgebieten aufgestellt werden sollte, geschah offenkundig mit einem Seitenblick auf ähnliche polnische und ukrainische Bestrebungen und entsprach deshalb dem Selbstschutzbedürfnis der jüdischen Minderheit

Der Aufruf an die Juden in Polen, der als Ergebnis der Vorarbeiten noch im August veröffentlicht wurde, beweist, daß auch die deutsche Führung die Möglichkeiten im Osten sehr bald maßvoller beurteilte Die Aufforderung, zu den Waffen zu greifen, entfällt jetzt; stattdessen appelliert der Text in allgemein gehaltenen Formulierungen an die Bereitschaft zur Zusammenarbeit: „Zu die Jidden in Paulen. Wi Freind kummen mir zu eich, die barbarische fremde Regierung is aus!... Eier heiliger Chauw (im deutschen Text wiedergegeben mit: Pflicht, d. V.) ist ajetzt, zusammen zu nehmen alle Kreften, mitzuarbeiten bei die Befreiung . . . Mir erwarten, as ihr wet beweisen durch Fakten eier Verschtand (hier: Gesinnung, d. V.) un eier Übergebenheit .. Verantwortlich für die Proklamation zeichnen die Ober-kommandos der verbündeten deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen; auch formal kommt zum Ausdruck, daß dieser Aufruf als militärisches Kampfmittel anzusehen ist. Das Schriftstück hat nicht den Charakter eines kaiserlichen Manifests, da seine ausdrückliche Sanktionierung durch die verfassungsmäßigen Spitzen Deutschlands und Österreichs unterbleibt; damit fehlt ihm die letzte Verbindlichkeit. Sobald er Kenntnis von der im Generalstab ver-faßten Proklamation erhielt, brachte Bodenheimer Einwände vor. Besonders bemängelte er, daß nur die in Polen lebenden Juden angesprochen worden waren Er selbst war der Auffassung, daß sämtlichen russischen Juden die politische Gleichstellung mit den übrigen Völkerschaften verkündet werden müsse. Sein Verlangen, einen weiteren Aufruf zu erlassen, der diesen Ansprüchen gerecht wurde, stieß aber auf Ablehnung, da nach den plötzlichen Rückschlägen im Osten und Westen die deutsche Gesamt-konzeption revisionsbedürftig erschien.

Das Programm Bodenheimers: Zwischenreich im Osten

Die auffallend kritische Haltung Bodenheimers wird verständlicher, wenn man sie vor dem Hintergrund seiner eigenwilligen Vorstellungen über die territoriale Neuordnung des östlichen Mitteleuropa betrachtet. Noch ehe das Befreiungskomitee zusammentrat, meinte er, die deutsche Regierung vor einer einseitigen Bevorzugung der Polen warnen zu sollen. „Eine Politik, die nur auf die Gewinnung der polnischen Bevölkerungselemente gerichtet ist, erweckt bei den anderen Völkerschaften, speziell den Juden Westrußlands, den Gedanken, daß sie auch künftig einer nichtjüdischen Nationalität untergeordnet werden sollen, die ihnen nicht günstig gesinnt ist.“ Dieser Entwicklung sucht Bodenheimer einen Riegel vorzuschieben. Sein Plan ging von dem Axiom aus, daß die Wiederherstellung eines unabhängigen Polen weder im Interesse der Mittelmächte noch im Interesse des osteuropäischen Judentums liege. Daher schlug er vor, einen „größeren Pufferstaat" zu errichten, der nicht nur die vorwiegend von Polen und Juden besiedelten Westdistrikte des Zarenreiches umfassen würde, sondern auch Teile Klein-und Westrußlands und die baltischen Provinzen, soweit sie nicht von Deutschland beansprucht wurden. Im Rahmen eines solchen osteuropäischen Vielvölkerstaates werde das unter deutscher und jüdischer Führung stehende nicht-polnische Element die Mehrheit bilden. Damit sei die polnische Gefahr gebannt, und es sei nur natürlich, daß das neue Staatswesen — dem Bodenheimer eine Armee mit deutscher Kommandosprache zugedacht hat — sich an diejenige Macht anlehnen werde, der es seine Existenz verdanke, also an Deutschland.

Das war freilich ein Programm, das fraglos den polnischen Absichten zuwiderlief und zu gesteigertem Mißtrauen Anlaß gab, obwohl sein Autor beteuerte, es werde den Lebensbedürfnissen aller Beteiligten gerecht! Die Fixierung territorialer Ziele in diesem Stadium des Krieges mußte unmittelbar die Erfolgsaussichten des deutschen Insurrektionsplanes beeinträchtigen, denn eine auch nur temporäre Koordination der osteuropäischen Bevölkerungsgruppen war kaum mehr denkbar, sobald die Frage der späteren staatlichen Neugestaltung des Ostraums die Gemüter beherrschte. Diese Entwicklung, die Hutten-Czapski abzuwenden gehofft hatte, trat ein: Seit Beginn des Krieges absorbierte die Rivalität der Völkerschaften einen wesentlichen Teil der Energien, die dem Kampf gegen den gemeinsamen Gegner hätten dienen sollen. Das „Komitee zur Befreiung der russischen Juden", in dem Bodenheimer federführend tätig war, übernahm das Programm eines osteuropäischen Nationalstaates und räumte ihm in seinen Veröffentlichungen einen bevorzugten Platz ein. Die „Richtlinien" des Komitees werden mit folgenden Sätzen eingeleitet: „Es liege im Interesse Deutschlands und Österreich-Ungarns, daß beim Friedensschluß diejenigen Gebiete im Westen und Südwesten Rußlands, die nicht von Groß-russen bewohnt sind, in möglichst großem Umfange von Rußland abgetrennt werden, so daß ein Zwischenreich, welches vom Baltikum bis zum Schwarzen Meere reicht, Deutschland und Österreich vollkommen von Rußland trennt".

Nur auf dieser Grundlage sei ein dauernder Friede mit Rußland für die Zukunft gesichert, denn nur unter dieser Voraussetzung werde Rußland derartig geschwächt, „daß es auf Generationen hinaus zu einem Kampf gegen die verbündeten Mächte nicht mehr fähig ist“, und nur auf dieser Grundlage sei die Möglichkeit gegeben, „die jetzt von Rußland unterdrückten Völkerschaften West-und Südrußlands zu einem Rußland gegenüber selbständigen Gemeinwesen zu organisieren, das in Rußland seinen natürlichen Feind und in den verbündeten Mächten seinen natürlichen Beschützer erblickenwird. “ Der Gemeinsamkeit der Sprache kam in dieser deutsch-jüdischen Allianz gegen das Slaventum besondere Bedeutung zu. Um zu demonstrieren, daß der osteuropäische Jude Träger deutschen Kulturgutes sei, ließ Oppenheimer in einer späteren Denkschrift einige literarische Beiträge, die in jiddischer Sprache, „dem verbreitetsten deutschen Dialekt“, verfaßt waren, in die lateinische Druckschrift übertragen. „Würde es" — das Jiddische — „nicht hebräisch geschrieben und gedruckt, so würden die Deutschen es anders beurteilen und vielleicht seine Träger anders behandeln."

Wandlung der Taktik-Beschränkung der Ziele

Bevor das Jahr 1914 zu Ende ging, hatte sich erwiesen, daß der Wirksamkeit des „Deutschen Komitees zur Befreiung der russischen Juden“ enge Grenzen gesetzt waren. Der — nur auf Seiten der Regierungsbehörden gehegte — Gedanke einer bewaffneten Insurrektion des Ost-judentums wurde fallen gelassen. In dem Maße, in dem Bodenheimer erkennen mußte, daß auch sein politisches Fernziel, ein osteuropäischer Pufferstaat unter deutsch-jüdischem Einfluß, unerreichbar blieb, trat die karitative Tätigkeit des Komitees in den Vordergrund, die in den späteren Jahren ganz das Bild beherrscht; Oppenheimer hat in seinen Erinnerungen mit einem gewissen Recht das Komitee als eine Institution charakterisiert, die „in naher Tuchfühlung mit dem Auswärtigen Amt und der Obersten Heeresleitung im Osten sich bemühte, die Lage der dortigen jüdischen Bevölkerung möglichst erträglich zu gestalten" Schon auf den ersten Arbeitssitzungen wurde diese Aufgabe als vordringlich angesehen. Wiederholt hatte das Komitee den Wunsch geäußert, einige seiner Mitglieder in die besetzten Ost-gebiete entsenden zu dürfen, um sich ein eigenes Urteil über die Lage der dort ansässigen Juden zu bilden Im September traf eine Einladung in das deutsche Hauptquartier Ober-Ost ein, die den Vorsitzenden des Komitees Zugang zu Ludendorff und Hindenburg verschaffte. Obgleich Oppenheimer „den allerstärksten Eindruck von der Gedankenkraft und Persönlichkeit des Siegers von Tannenberg“ erhielt, wurde doch im Verlauf der Gespräche deutlich, daß, wie Bodenheimer schreibt, die zionistischen Abgesandten für Ludendorff „nur bescheidene Figuren in dem Schachspiel des Krieges“ darstellten. Immerhin gab Hindenburg seinen Gästen die schriftliche Versicherung auf den Weg, daß er die Bestrebungen des Komitees billige und sie Während das Komitee eben seine Arbeit im Osten eingeleitet hatte, begann das Fundament der deutsch-jüdischen Allianz brüchig zu werden. Mit dem Wandel der Kriegslage durch den Rückzug von der Marne und die Preisgabe Galiziens sah sich die deutsche Führung, aber auch die zionistische Exekutive veranlaßt, ihr Verhalten kritisch zu überprüfen. Wenn Staatssekretär Jagow am 9. November 1914 erklärte, daß eine Proklamation an die russischen Juden bei der gegenwärtigen Kriegslage nicht mehr in Frage komme so kam der Zusammenhang zwischen militärischem Erfolg und propagandistischer Überzeugungskraft darin zum Ausdruck, daß er sich ausdrücklich auf den Rüdezug in Galizien berief. Wenn überhaupt, dann konnte eine Proklamation an die Juden Rußlands nur dann wirksam sein, wenn sie von deutschen Offensiverfolgen begleitet war. Unter diesen Umständen erregte die unverminderte Aktivität Bodenheimers nun den zunehmenden Unwillen der Behörden Der Erlaß Jagows wurde mit äußerster Konsequenz befolgt; selbst zwei bereits fertiggestellte Ausgaben einer illustrierten Zeitschrift, die vom „Komitee zur Befreiung der russischen Juden" herausgegeben war, wurden vernichtet

Im Dezember 1914 trat das Aktionskomitee der zionistischen Weltorganisation in Kopenhagen, der Hauptstadt eines neutralen Landes, zusammen und proklamierte den Grundsatz strikter Neutralität Auf die Gefahr hin, den machtvollen Protektor der zionistischen Interessen im Lager der Mittelmächte, Deutschland, zu verlieren, wurden sämtliche zionistischen Mitglieder des Befreiungskomitees aufge-fordert, unverzüglich ihren Austritt in die Wege zu leiten. Den Kopenhagener Beschlüssen waren erregte Auseinandersetzungen in Berlin vorausgegangen die sich bis zu dem Vorwurf steigerten, Bodenheimer habe auf das falsche Pferd gesetzt. Die noch lebenden Mitstreiter Herzls, auf deren Urteil Bodenheimer großes Gewicht legte, waren unterschiedlicher Auffassung. David Wolffsohn erklärte ihm noch unmittelbar vor seinem Tode sein Einverständnis mit dem bisherigen Kurs. Max Nordau dagegen sprach von einem „Urteilsirrtum" Bodenheimers; es gehe nicht an, daß Millionen von Juden einem zweifelhaften Schicksal ausgeliefert würaen. Als Jude habe man seine Pflicht dem Vaterland gegenüber zu erfüllen, schrieb Nordau; als Zionist müsse man still ergeben das Ende des Krieges abwarten, um bei den dann maßgebenden Mächten für die Berücksichtigung seiner Ansprüche eintreten zu können

Eine zweite Metamorphose des Komitees innerhalb weniger Wochen bahnte sich an; ursprünglich auf zionistische Initiative hin entstanden, dann durch den Eintritt nichtzionistischer Persönlichkeiten erweitert, drohte es jetzt zu einem nichtzionistischen Gremium zusammenzuschrumpfen. Durch den Austritt seiner Gründer und Leiter wäre nicht nur seine Bedeutung, sondern darüber hinaus sein Fortbestand in Frage gestellt worden. Arthur Hantke, der sowohl dem engeren Aktionskomitee als auch dem Befreiungskomitee angehörte, mußte sich den Kopenhagener Beschlüssen beugen und schied aus, wodurch jede direkte personelle Verknüpfung mit der zionistischen Leitung aufgegeben war. Die übrigen zionistischen Mitglie-der strebten eine Kompromißlösung an. Sie vertraten die Ansicht, daß ihre Tätigkeit mit dem Neutralitätsgebot vereinbar sei, da sie philanthropische Zwecke verfolge. Um diesem Sachverhalt äußerlich Rechnung zu tragen, wurde der Name des Gremiums, den auch Bodenheimer als „herausfordernd" empfunden hat, gegen die neutrale Bezeichnung „Komitee für den Osten“ ausgewechselt.

Bodenheimer selbst hat, wie er in seinen Erinnerungen bekundet, an seiner Überzeugung von einer schicksalhaften deutsch-jüdischen Interessengemeinschaft festgehalten Vor die Wahl gestellt, entweder das Komitee zu verlassen oder den Platz in der Leitung des Zionismus, den er seit Jahrzehnten innehatte, freizugeben, entschied er sich für das Komitee; er trat von seinem Amt als Direktor des „Jüdischen National-Fonds" zurück. Obgleich im „Komitee für den Osten“ die Verbundenheit zionistischer und nichtzionistischer Persönlichkeiten gewahrt blieb, war der Eindruck einer Aktionseinheit des deutschen Judentums oder jedenfalls des deutschen Zionismus nicht länger aufrechtzuerhalten. Enttäuscht konstatierte Bodenheimer einen „gänzlichen Mangel an Gemeinsinn“ und „die wachsende Kälte der Reichsbehörden unserem Komitee gegenüber“ die ihrerseits als ein Resultat des jüdischen Faktionalismus angesehen werden kann. Da die jüdische Aktivität im Osten infolge ihrer Zersplitterung ihren Wert als Kampfmittel eingebüßt hatte, schien es den Mittelmächten geboten, mit Rücksicht auf die rein zahlenmäßig bedeutsameren nationalen Potenzen Osteuropas, Polen und Ukrainer, den Juden gegenüber reserviert zu bleiben.

4. Aufwiegelung der Ukraine -ein „Todesstoß" ?

Die Ukraine nimmt unter den Landschaften Osteuropas aus strategischen Gründen wie auch mit ihrem wirtschaftlichen Reichtum und ihrer Bevölkerungszahl eine Sonderstellung ein. Als der deutsche Konsul in Lemberg, Heinze, am 6. August 1914 über die ersten Anfänge einer von Galizien, also von österreichischem Boden, ausgehenden ukrainischen Revolutionsbewegung berichtete, machte er geltend, daß die Insurgierung dieses Gebietes für Rußland einen „Stoß ins Herz" bedeuten würde Mag auch der Blick des deutschen Diplomaten von den in den ersten Kriegstagen auftauchenden Wunschbildern geblendet worden sein, so trifft doch dieser Vergleich zu. Das ukrainische Schwarzmeergebiet war das Zentrum der Agrarwirtschaft und im Donezbecken auch der industriellen Produktion im Zarenreich: Und der engere historische Zusammenhang von Ukrainern und Großrussen zeigt sich schon darin, daß die staatliche Einigung des slawischen Ostens nicht von Moskau, sondern von Kiew, der Hauptstadt des russischen Großfürstentums, im 9. Jahrhundert und im 10. Jahrhundert auch geistlicher Mittelpunkt, seinen Ausgang genommen hat. Wurde die Ukraine abtrünnig, dann empfing in der Tat die Großmacht Rußland ihren Todesstoß. Denn in ihrer letzten Konsequenz bedeutete eine Insurrektion der Ukraine für das Zarenreich den Zusammenbruch seiner Schwerindustrie, eine Katastrophe in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, vor allem mit Getreide und Fleisch, und auch eine Dezimierung der Armee, — alles in allem einen Verlust, der weder quantitativ noch qualitativ auch nur annähernd hätte kompensiert werden können. Rußland wäre zu einer Macht zweiten Grades degradiert worden. Mehr noch: innerhalb des Slawentums hätte sich ein militärpolitisches Gegengewicht bilden können, gewichtig genug, um die Mittelmächte im Osten zu entlasten.

Die Insurgierung der Ukraine eröffnete also außergewöhnliche Zukunftsaussichten, konfrontierte aber auch die dabei beteiligten Stellen mit Problemen besonderer Art Wenn sich in der Ukraine Bestrebungen geregt hatten, der Russifizierung Einhalt zu gebieten, dann zielten sie wohl auf eine kulturelle Autonomie im Verbände des Zarenreiches — eben eine solche Be-wegung hatte die Stolypinsche Politik ausgelöst. Die Vorstellung aber, durch den Krieg zur staatlichen Unabhängigkeit zu kommen, war nicht ohne Tradition, bedeutete etwas Neues und Ungewohntes. Wenn in Moltkes Insurrektionsprogramm vom 2. bis 3. August 1914 weder von Juden noch von Ukrainern die Rede war, so mag dabei für die ersteren das erst mit dem Aufbau des Staates Israel überwundene Vorurteil mitgespielt haben, daß dieses Volk soldatischer Tugenden entbehre. Der Grund dafür, daß nicht an die Ukrainer gedacht war, ist jedoch offenbar der. daß bei ihnen das Bewußtsein politisch-nationaler Eigenständigkeit und Kampfbereitschaft weit schwächer ausgebildet war als bei Finnen und Polen. Als Heinze einmal vorgehalten wurde, daß die Ukrainer ständig um deutsche Unterstützung nachsuchten, während die Polen vieles mit eigenen Mitteln zustande brächten, antwortete er mit dem treffenden Gegenargument, daß die Polen sich bereits seit langem auf einen Unabhängigkeitskampf vorbereitet hätten, die Ukraine habe aber dazu erst seit vierzehn Tagen Gelegenheit

Die Ukraine -das „Herz” Rußlands

Für die Russen wiederum bedeutete das Auftauchen der ukrainischen Frage weit mehr als das finnische und das polnische Problem. Auch die liberalen Parteien, bei denen die polnischen Nationaldemokraten Verständnis für eine autonome Stellung in einer konstitutionellen russischen Demokratie fanden und die auch bereit waren, der finnischen Freiheitsbewegung entgegenzukommen, ja, wie wir noch hören werden, mit den muslimischen Duma-Abgeordneten eng zusammenarbeiteten, waren jedoch unbedingte Gegner einer ukrainischen Autonomie. Für Stolypin aber war die Forderung der 60 ukrainischen Abgeordneten der zweiten Duma nach Unabhängigkeit der unmittelbare Anlaß für seinen Staatsstreich gewesen, der eine Duma schaffen sollte, die „auch dem Geiste nach russisch" sei.

Wie es die Russen auffaßten, ist auch aus dem Wortlaut einer Proklamation ersichtlich, die am 24. August 1914 im Namen des Höchst-kommandierenden, des Großfürsten Nikolai, an die galizischen Ukrainer gerichtet wurde Denn dieser Aufruf wich in seinem Inhalt erheblich von den Versprechungen ab, die 10 Tage zuvor von gleicher Seite den Polen gemacht worden waren. Während den unter deutscher und österreichischer Herrschaft lebenden Polen verkündet worden war, daß die Stunde der Wieder-aufrichtung eines Polen mit eigener Religion, Sprache und Selbstverwaltung unter dem Zepter des Zaren gekommen sei, wurden die Ruthenen aufgefordert, an den Busen des mütterlichen Rußland zurückzukehren, da die Zeit der großen Wiedervereinigung herangekommen sei; der Gebrauch des Wortes Ukraine wird in diesem Manifest sorgfältig vermieden, und die Ukrainer österreichischer Staatsangehörigkeit werden als »befreite russische Brüder" angeredet.

Die zentrale Bedeutung der Ukraine für das Zarenreich ist damals auch von solchen deut-schen Autoren betont worden, die die Los-lösung der Fremdvölker und Zergliederung die-ses Reiches nach der sogenannten Apfelsinen-theorie propagierten: daß man Rußland bei genügender Vorsicht wie eine Apfelsine zerteilen könne, ohne daß auch nur ein Tropfen Saft herauszufließen brauche So konstatierte der aus Estland stammende Johannes Haller, der mit den Kurländern Theodor Schiemann und Paul Rohrbach eine solche dauernde Schwächung Rußlands zur Abwehr der russischen Gefahr als Aufgabe dieses Krieges betrachtete, daß die Ukraine auch ohne Rußland existenzfähig sei, dieses aber einen solchen Verlust als Großmacht nicht überleben werde Eben deshalb, weil nicht nur durch eine dauernde Abtrennung, sondern bereits durch eine Insurgierung der Ukraine Lebenszusammenhänge zerrissen würden, die über die Stellung Rußlands als Großmacht entscheiden könnten. Das ukrainische Projekt kann daher nicht mit den Bemühungen um die Aufwiegelung anderer Randvölker Rußlands auf eine Stufe gestellt werden. Man wird vielmehr sagen dürfen, daß es in der Reihe der deutschen Insurrektionsvorhaben das ehrgeizigste Unternehmen war, und im Falle seines schnellen Gelingens das folgenschwerste gewesen wäre.

Der „Oberste Ukrainische Rat”

Die ersten Anregungen zur Aufwiegelung der Ukraine gingen von Galizien aus dieser österreichischen Provinz, deren Bevölkerung vorwiegend aus Polen und einer ukrainischen Volksgruppe, den Ruthenen, bestand. Noch während der Mobilmachungstage waren in ruthenischen Zeitungen Aufrufe an die russischen Ukrainer erschienen Gleichzeitig hatte ein Beamter des Wiener Außenministeriums gemeinsam mit den militärischen Stellen und ruthenischen Führern Proklamationen vorbereitet, die sich an die verschiedenen Schichten und Gruppen der ukrainischen Bevölkerung wandten: an die Bauern, die Intelligenz, an Kuban-und Dnjepr-Kosaken und — auch hier die Erinnerung an die Revolution von 1905 — an die Matrosen der Schwarzmeerflotte Diese angeblich in Millionen hergestellten Flugblätter sollten teils durch österreichische Militärflugzeuge über Rumänien nach Südrußland, teils auf Donauschiffen in die Schwarzmeerhäfen transportiert werden. Nach einem Bericht des deutschen Konsuls in Lemberg, Heinze, vom 6. August 1914 hatten führende Ruthenen einen „Obersten Ukrainischen Rat“ gebildet, der für die Proklamationen verantwortlich zeichnen und einen Aufstand in der russischen Ukraine organisieren wollte An seiner Spitze stand der einflußreiche ruthenische Politiker Dr. Kost Lewicki, der Präses des Ukrainischen Klubs im Wiener Reichsrat, aber auch der hochangesehene Metropolit der galizischen griechisch-unierten Kirche, Graf Andrea Szeptycki, gehörte dem Rat an, und der Sprecher der bukowinischen Ruthenen im Reichsrat, von Wassilko, stand dem Gründer nahe.

Konsul Heinze schlug über die deutsche Botschaft in Wien vor, dieses Vorhaben finanziell und politisch zu unterstützen. „Gelingt es," so führt er in seinem Bericht vom 6. August aus, „mit Hilfe dieser Bewegung einen allgemeinen Aufstand in Südrußland anzufachen und insbesondere ihn mit dem hier sicher erwarteten Aufstand des russischen Polens zusammenwirken zu lassen, so wird der gefährlichste unserer drei Feinde ins Herz getroffen und muß nach einigen entscheidenden Schlägen zusammenbrechen.“ Es fällt das Wort von dem „ungeheuren Trumpf“, den Deutschland im Kampf auf Leben und Tod mit der Entfesselung eines Aufstandes des ukrainischen 30-Millionen-Volkes ausspielen könne; auch die Existenz der österreich-ungarischen Monarchie hänge davon ab, daß „um jeden Preis und mit jedem Mittel ...dem russischen Kolosse die . tönernen Füße'amputiert werden".

Berlin drängt Wien

Die deutsche Regierung erfuhr von den Vorgängen in Galizien zu einem Zeitpunkt, als sie bemüht war, Finnen und Polen zum Aufstand zu bewegen. Wenn sie das Entstehen von Pufferstaaten zwischen Deutschland und Rußland erstrebte, dann folgte sie einem Leitgedanken, der nicht nur dem Insurrektionsprogramm des jüngeren Moltke vom 2. bis 5. August 1914 entspricht, sondern schon in dem strategischen Konzept des älteren Moltke aus dem Jahr 1871 enthalten war; nur hatte diesem das jagelIonische Polen des 16. Jahrhunderts vor Augen gestanden, dessen Territorium auch ukrainisches Gebiet einschloß, und das bis zu den Küsten des Schwarzen Meeres reichte. Demgegenüber mußte es jetzt angebracht erscheinen, außer der polnischen auch die ukrainische Waffe gegen Rußland zu gebrauchen, nachdem die Bevölkerung ihren Freiheitswillen im Revolutionsjahr 1905 unter Beweis gestellt hatte und in den folgenden Jahren um so stärker von der Stolypinschen Gleichschaltungspolitik bedrängt worden war. So ergriff man denn in Berlin — zunächst mit diplomatischen Schritten in Wien — auch in der ukrainischen Angelegenheit die Initiative. Das Antworttelegramm des Staatssekretärs an den deutschen Botschafter in Wien enthält die folgenden bedeutsamen Sätze: „Insurgierung nicht nur Polens, sondern auch der Ukraine erscheint uns sehr wichtig; erstens als Kampfmittel gegen Rußland, zweitens, weil im Falle glücklichen Kriegsausgangs die Bildung mehrerer Pufferstaaten zwischen Rußland und Deutschland bzw. Österreich-Ungarn zweckmäßig wird, um den Drude des russischen Kolosses auf Westeuropa zu erleichtern und Rußland möglichst nach Osten zurückzudrängen“

Zum Verständnis dieses Telegramms, das auch von Bethmann-Hollweg abgezeichnet wurde, ist es erforderlich, die Atmosphäre jener ersten Augustwochen und die Vorstellungswelt der Zeitgenossen zu berücksichtigen. Da ist die Illusion, daß bereits der Kriegsausbruch die Völkerschaften Rußlands zum offenen Aufruhr veranlassen werde; da ist die Erinnerung an die Geschehnisse von 1905, und da ist vor allem die Erwartung, daß unmittelbar nach der Siegesschlacht in Frankreich die Heere der Mittelmächte den Vormarsch im Osten antreten würden. Unter diesen Voraussetzungen war die Hoffnung nicht abwegig, daß jenseits der deutschen Ostgrenze ein System von Pufferstaaten entstehen werde. Eine derartige Konzeption ließ sich sehr wohl mit der damals in Deutschland vorherrschenden Idee eines Verteidigungskrieges vereinbaren: Es galt, für die Zukunft den Schutz der deutschen Ostflanke zu gewährleisten. Der Historiker wird sorgfältig zu prüfen haben, inwieweit die Kenntnis solcher Pläne dazu berechtigt, von einem deutschen „Drang nach Osten“ zu sprechen.

Angesichts des starken polnischen Einflusses in Wien konzentrierten sich auch die ukraini-sehen Hoffnungen auf die deutsche Regierung. Tschirschky, der deutsche Botschafter in Wien, hat im Februar 1915 die Beobachtungen mehrerer Monate in der Feststellung zusammengefaßt, daß die Ukrainer alles von Deutschland, aber gar nichts von Österreich erwarteten. Bereits im August 1914 berichtete er nach Berlin: „Das zurückhaltende, ultra-konservative Naturell des Grafen Berchthold widerstrebt allem energischen Vorgehen zur Insurrektion.“ Heinze gewann in Lemberg ein ähnliches Bild: „Der Oberste Rat hat ...den Eindruck ..., daß die ganze Aktion in . österreichischer'Weise behandelt werde und daß wirksame und schnelle Hilfe nur von Deutschland kommen könne.“ Trotz aller Befürchtungen war sich Tschirschky mit Jagow darüber einig, daß in der ukrainischen Sache nichts ohne Wien geschehen könne

Schon die geographische Lage verbot hier eine selbständige deutsche Politik Das Auswärtige Amt forderte nun von der Wiener Regierung „energische und zielbewußte Entschlüsse“, nachdem diese, so hieß es in einem Telegramm an den deutschen Botschafter, schon oft durch Zögern und Bedenklichkeit den rechten Zeitpunkt versäumt habe. Tschirschky wurde angewiesen, die Bereitschaft zur Finanzierung der ukrainischen Pläne zu erwecken und den Vertretern des „Obersten Ukrainischen Rates“ Gehör bei den maßgebenden Stellen zu verschaffen

Es war also die deutsche Regierung, die die Dinge vorantrieb. Während Tschirschky in Wien mit Österreichern und Ukrainern verhandelte, wurde in Berlin auf den österreich-ungarischen Botschafter, den Prinzen Hohenlohe, eingewirkt Besonders der Unterstaatssekretär Zimmermann war in dieser Richtung aktiv; Hohenlohe schrieb von ihm einmal kritisch als von einem Mann, der nur zu gerne auf derartige Aufwiegelungspläne einginge Schließlich konnte Tschirschly eine Reise von Lewicki und Wassilko nach Berlin arrangieren Nadi dem Empfang der ruthenischen Delegation entschloß sich die deutsche Regierung mit ausdrücklicher Genehmigung des Kaisers, die ukranische Nationalbewegung zu unterstützen; das geschah am 28. August, zwanzig Tage nach dem ersten Telegramm des Konsuls in Lemberg

Der sozialistische „Bund zur Befreiung der Ukraine"

Dennoch ist erstaunlich, wie schnell die leitenden Persönlichkeiten des Auswärtigen Amtes auf die ruthenischen Projekte eingingen. Offenbar übertrug sich die — von Botschafter Tschirschky geteilte — optimistische Stimmung des Lemberger Konsuls auf Jagow und Zimmermann Allerdings suggerierte Konsul Heinze den Männern der Wilhelmstraße anfangs eine Einheit der ukrainischen Nationalbewegung, die tatsächlich nicht vorhanden war. Denn das ukrainische Problem enthielt eine Vielfalt politischer, sozialer und religiöser Gegensätze Hinzu kam, daß die Rivalität zwischen den osteuropäischen Volksgruppen durch die Aktivierung der Ukrainer gesteigert werden mußte. Schon die Gründung des „Rates" in Lemberg brachte die österreichische Regierung in Schwierigkeiten, denn sie bedeutete zugleich ein innenpolitisches Manöver in der Auseinandersetzung zwischen den polnischen und den ruthenischen Bevölkerungselementen innerhalb der Habsburgermonarchie. In seinem Revolutionierungsprogramm forderte der „Ukrainische Rat“ die Beseitigung des polnischen Verwaltungsmonopols in Galizien, stärkeren kulturellen Einfluß durch Errichtung einer ukrainischen Universität und die Aufstellung ruthenischer Militärverbände, die ein Gegengewicht gegen Pilsudskys Schützenkorps bilden würden. Noch krasser mußte der polnisch-ruthenische Gegensatz deutlich werden, wenn es um die Grenzen der künftigen Staatengebilde ging. Abgesehen davon ergab sich die Frage, ob österreichische Ukrainer imstande sein würden, russische Ukrainer zum Kampf gegen Rußland zu mobilisieren, ob überhaupt die Autorität der ruthenischen Führer über Galizien hinaus wirksam war.

Zehn Tage nach der Gründung des „Obersten Ukrainischen Rates“ entstand in Österreich eine weitere ukrainische Organisation: der „Bund zur Befreiung der Ukraine" Hier handelte es sich um russische Ukrainer, zum Teil um Emigranten, die über London nach Österreich gelangt waren, und vor allem um Sozialisten, darunter solchen, die als „Spilka-Leute" seit 1904 unter dem Einfluß Lenins standen Für sie waren die Mitglieder des „Obersten Rates“ Ideologen ohne Kenntnis von Land und Leuten und Reaktionäre, die mit historischen Erinnerungen an den Kosakenhetman Mazeppa Revolution machen wollten. Ihrer Ansicht nach war die Unzufriedenheit der Ukrainer auf die ungelösten Agrarprobleme zurüdezuführen und erhielt einen „nationalen Anstrich“ nur dadurch, daß die Angehörigen des Adels und der grundbesitzenden Schicht Großrussen oder Polen waren. Demgemäß verhießen die Proklamationen des „Bundes" den Ukrainern nicht ein Hetmanat, sondern die Demokratie, weshalb dieser Gruppe entgegengehalten wurde, daß sie lediglich an der sozialen Revolution interessiert sei, nicht aber an der Unabhängigkeit des Landes Für eine Staatsführung, die wie die österreich-ungarische in einen Krieg um den Bestand eines dynastischen Reichsgebildes verstrickt war, mußten die Ziele und Absichten der ukrainischen Sozialistengruppe von größter Wichtigkeit sein. Das galt für die Agrarreform wie für den Plan einer demokratischen Selbstverwaltung. Ob es zur Loslösung der russischen Ukraine kam oder nicht, in jedem Fall mußte die Rückwirkung der Revolutionierungspolitik auf die viereinhalb Millionen ruthenischer Staatsbürger in der Monarchie in Betracht gezogen werden und zu ernsten Bedenken Anlaß geben. Die Spannung zwischen den ideologisch so konträren Befreiungsorganisationen der Ukrainer die Frage, wie die Aufgabenbereiche abzugrenzen und die inzwischen zur Verfügung stehenden erheblichen Geldmittel zu verteilen waren, stellte Wien vor schwierige Entscheidungen

Unterdessen hatte sich die militärische Lage im Südosten verändert. Anfang September war Ostgalizien mitsamt seiner Metropole Lemberg, das in zunehmendem Maße auch von den russischen Ukrainern als nationales Kulturzentrum betrachtet wurde in die Hände russischer Truppen gefallen Eine energisch betriebene Russifizierung setzte ein. Unter der Parole der „Einheit des Russischen Reiches von den Karpathen bis Kamtschatka" schickten sich die Besatzungsbehörden an, diesen galizischen Kern einer ukrainischen Nationalbewegung zu beseitigen Parallel zu den Maßnahmen in Finnland, in Polen und in der russischen Ukraine wurde mit der Einführung der groß-russischen anstelle der ukrainischen Unterrichts-sprache und der orthodoxen anstelle der unierten Kirche die Annexion Galiziens vorbereitet. Die sogenannten „Mazeppisten", darunter der Metropolit Szeptycki, wurden ins Innere Rußlands verschleppt

So wurde diese österreichische Provinz statt zum „Piemont“ einer ukrainischen Nationalbewegung unter habsburgischer Führung zum Sorgenkind der Monarchie, und statt einer nationalen Erhebung in Südrußland fielen erhebliche ruthenische Gruppen der russischen Propaganda und dem Terror zum Opfer. Entsetzt stellte das österreichische AOK eine teilweise offene Begünstigung Rußlands durch ruthenische Bauern fest Man fragte sich in Wien, ob es nicht besser sei, eine für die galizische Provinz so gefährliche Idee wie die der ukrainischen Nationalität vom Boden der Monarchie fernzuhalten In dem Augenblick, da sich die beiden Außenminister gerade auf eine gemeinsame und gleiche Finanzierung der ukrainischen Gruppen geeinigt hatten, setzte die heftige Kritik des

AOK an der Idee der Revolutionierung der Ukraine ein. Der Vertreter des Ministeriums des Auswärtigen beim AOK, Baron Giesl, der sich diese skeptische Auffassung zu eigen machte, sprach von der Zerstörung einer Legende, die bisher „in weitesten Kreisen sogar als Axiom“ gegolten habe: die Erwartung von Aufständen hinter der Front der Russen durch Polen und Ukrainer sei geradezu ins Gegenteil verkehrt worden Im Wiener Außenministerium sah man sich genötigt, der Erkenntnis des AOK beizupflichten, daß die österreichischen Ruthenen keinen Einfluß auf die russischen Ukrainer ausübten. Die Unterstützung ihrer Bestrebungen sei lediglich als eine Abwehrmaßnahme gegenüber der russischen Propaganda zu betrachten

Propaganda statt Aufwiegelung

So blieb die Tätigkeit der beiden Organisationen in der Hauptsache auf publizistische Propaganda beschränkt. Dabei wurden die Aufgaben verteilt. In Österreich und in Deutschland arbeitete der „Oberste Ukrainische Rat“ für die Idee, die durch russische Einflüsse entfremdeten „Volksgenossen" zurückzugewinnen. Im übrigen trat diese Organisation zurück, nachdem sie durch ihre Flucht aus Galizien ihren eigentlichen Standort verloren hatte.

Der „Bund zur Befreiung der Ukrainer" betätigte sich im neutralen Auslande mit Verbindungsleuten in Konstantinopel, Bukarest, Sofia, in der Schweiz, in Schweden und sogar in Amerika und in den böhmischen Gebieten Österreichs; er produzierte hierfür Broschüren in ukrainischer und vor allem in deutscher Sprache Aber eines erreichte offenbar auch er nicht: den Kontakt mit der Bevölkerung der russischen Ukraine. Dort waren die Maßnahmen der russischen Behörden so durchgreifend und umfassend, daß an eine Erhebung auch nur in Ansätzen nicht zu denken war. Unter dem Eindruck der Verfolgungen erklärten nun zwar auch jene „Progressisten die mit ver-botenen wissenschaftlichen Klubs und Zeitungen lediglich die Kulturautonomie in einem föderalistischen Reich propagiert hatten, ihre „Neutralität", d. h. sie spekulierten auf eine russische Niederlage. Aber davon, daß hier die Befreiungspropaganda der Mittelmächte angekommen wäre, ist nichts zu bemerken. Auch bei führenden Persönlichkeiten der ukrainischen Bewegung, die damals von den Russen verschleppt wurden, liest man in Erinnerungen und Geschichtsdarstellungen, daß es ihnen nicht darum ging, einen von Rußland losgelösten ukrainischen Staat zu gründen. Zum mindesten aber gilt für eine deutsche oder österreichische Revolutionierungspolitik das, was der „Bund zur Befreiung der Ukrainer" dem Auswärtigen Amt immer wieder in Memoranden und Besprechungen vorgetragen hatte, daß nämlich jegliche Befreiungspropaganda nur dann erfolgreich sein könne, wenn den Manifesten der siegreiche Einmarsch der Truppen folge und Versprechungen durch Taten wie die Einführung der örtlichen Selbstverwaltung bekräftigt würden. Damit, daß dies entfiel, war auch hier hinfällig, was in den ersten Kriegswochen in Berlin erträumt wurde.

Revolte der Schwarzmeerflotte?

Doch da gab es noch eine Aktion der Regierungen der beiden Mittelmächte, die mit besonders großen Hoffnungen und mit einem erheblichen finanziellen Aufwand geplant wurde. In den Wochen nach dem Ausbruch des Krieges waren wiederholt Meldungen eingegangen, wonach es auf der russischen Schwarzmeerflotte zu Meutereien gekommen sei — gewiß eine Reminiszenz an die Vorgänge von 1905, die damals die Revolution in Rußland ausgelöst hatten. Und es ist bezeichnend, daß von den Angeboten, in Rußland Aufstände zu entfesseln, die in der Zeit vom August bis Anfang September 1914 im Auswärtigen Amt eingingen, allein drei versprachen, eine Revolte der Schwarzmeer-flotte anzustiften Eines davon kam von einem Mitglied des „Bundes zur Befreiung der Ukraine", Zalisniak, der behauptete, ein Repräsentant der Partei zu sein, die 1905 an der Meuterei auf dem Panzerkreuzer „Potemkin" beteiligt gewesen wäre. Nun wäre es gewiß für die Kriegführung der Mittelmächte von erheblicher Bedeutung gewesen, wenn dieser militärische Machtfaktor und zugleich Ordnungsgarant an den Küsten des Schwarzen Meeres ausgeschaltet worden wäre. Aber der Optimismus, mit dem man in Wien und in Berlin auf diesen Mann und seinen Plan einging, ist bezeichnend für die Ahnungslosigkeit, mit der hier Revolutionierungspolitik betrieben wurde. Da gibt der deutsche Botschafter in Konstantinopel, von Wangenheim, den Vorschlag nach Berlin weiter, daß die Schiffe der Meuterer in den Hafen von Therapia gebracht würden und Graf Hoyos als Kabinettschef des Außenministeriums in Wien läßt bereits bei türkischen Militärs das Einverständnis der Behörden erbitten und anfragen, ob sie diese Flotte etwa ankaufen würden Da läßt man Zalisniak, nachdem ihm schon zweimal bedeutende Summen ausbezahlt wurden, wochenlang Nachrichten über den Schiffsverkehr und über die Grenzübergänge zwischen Rumänien, der Türkei und Rußland einholen, die ohne weiteres in öffentlichen Fahrplänen eingesehen werden könnten.

AIs sich dann im Dezember 1914 ergab, daß dieser Mann in sozialrevolutionären Kreisen völlig unbekannt war und überhaupt nichts getan hatte, zog er sich elegant aus der Affäre. Vielleicht fühlte er sich sogar unschuldig. Er teilte mit, daß seine Schwarzmeeraktion gescheitert sei, weil der türkisch-russische Seekrieg zu früh ausgebrochen wäre, zahlte 400 000 Kronen zurück und erhielt noch eine Abfindungssumme von 50 000 Kronen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Initiative der Revolutionierungspolitik verschoben. Bisher lag sie in der ukrainischen Angelegenheit vorherrschend bei den deutschen Diplomaten, die nicht nur mit einzelnen Ukrainern ins Gespräch kamen, sondern auch versuchten, die Einheitlichkeit der Aktion und eine Arbeitsteilung der Gruppen herzustellen. Nun aber ging die praktische Durchführung an Wien über. Die Agenten bedienten sich für den Verkehr untereinander des österreichischen Nachrichtenapparates, ihre Schritte in den neutralen Ländern passierten das Wiener Außenministerium oder die diplomatischen Vertretungen der Habsburger-Monarchie. Das bedeutete, daß die Kontrolle der Unternehmungen in diesem Vielvölkerstaat den dort herrschenden nationalen Gegensätzen unterlag, etwa polnische Beamte unterdrückten, was an ruthenisch-ukrainischen Bestrebungen den Interessen der polnischen entgegenstand

Schwarzes Meer -Kaukasus -Ukraine

Indessen verlagerte sich das Schwergewicht der Bemühungen um die Aufwiegelung der Ukrainer nach Konstantinopel. Dafür waren sowohl sachliche wie persönliche und schließlich auch taktische Gründe maßgebend. Das Bündnis mit der Türkei schien bereits aus geographischen Gründen Möglichkeiten für Kontakte besonders über das Schwarze Meer zu bieten, die die Stellungssysteme an der Ostfront verwehrten. Wesentlicher noch war, daß es damals eine Reihe von Deutschen gab, die auf Grund ihrer Verbindungen mit dem Auslande sich zur Verfügung stellten, um der Kriegführung zu nutzen. Zumeist trugen sie ihre Anregungen dem Auswärtigen Amt oder anderen Stellen vor, manche bedienten sich der Vermittlung ihnen bekannter Militärs oder gar des Kaisers, andere begannen auf eigene Faust mit der Durchführung ihrer Pläne. So war in der ukrainischen Sache besonders aktiv der Präsident der „Kaffee-Handelsgesellschaft“ (HAG), Ludwig Roselius. AIs er sich im September 1914 in Rumänien aufhielt, traf er dort Ukrainer und entwickelte Schwarzmeer-und Kaukasuspläne mit dem Programm einer selbständigen Ukraine unter einem deutschen Prinzen Er fand sogar drei ehemalige Matrosen, die angeblich an der Meuterei des „Potemkin“ beteiligt gewesen waren; sie fielen dann später den Russen in die Hände Zimmermann ging vorsichtig auf ihn ein: „Unser Programm lautet: . Befreiung der Ukraine'— die praktische Gestaltung kann erst später erfolgen“!

Roselius arbeitete seit Dezember 1914 in der ukrainischen Sache mit einer Persönlichkeit zusammen, die noch größere Bedeutung für die deutsche Revolutionierungspolitik erhalten sollte: Dr. Zimmer, dem Besitzer einer Großfarm in der Türkei. Er hatte sich unmittelbar nach dem Kriegsausbruch mit der deutschen Botschaft in Konstantinopel in Verbindung gesetzt und bei einem Besuch anscheinend in Berlin die Unterstützung des Auswärtigen Amtes für das Angebot erhalten, in Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung Aufstände in der Ukraine mit gleichzeitigen im Kaukasusgebiet zu inszenieren Auf diesen Gedanken war er offensichtlich gekommen, weil sich in der Nähe seiner Farm, am Ufer des Schwarzen Meeres bei Samsun, Niederlassungen tscherkessischer Flüchtlinge befanden und er über diese Verbindungen zu den am Westkaukasus auf russischem Boden lebenden Tscherkessen besaß.

Eine über das Schwarze Meer entsandte ukrainische Expeditionstruppe sollte zunächst die Tscherkessen, dann die Kuban-Kosaken und anschließend die Bevölkerung der Ukraine zum Aufstand bringen Über Wangenheim und General Liman von Sanders kam Zimmer mit Enver Pascha in Verbindung ein deutsch-türkisches Komitee, das von einem türkischen Offizier geleitet wurde, übernahm die Vorbereitungen Nachdem Ende Oktober die Kampfhandlungen im Kaukasus begonnen hatten, setzte eine Propaganda-Aktion in den Kriegsgefangenenlagern der Türkei ein, die das Ziel hatte, etwa hundert russische Ukrainer für den Befreiungskampf zu gewinnen; aus Wien kam Zimmer der Revolutionär Basil Melenewsky vom „Bund zur Befreiung der Ukraine“ zur Hilfe, einer der führenden Linkssozialisten aus dem Kreise der „Spilka-Leute". Dazu sollten noch 400 österreichische Ruthenen kommen, die von Wien aus in Marsch gesetzt werden sollten Graf Hoyos erbat vom AOK für die Unternehmung freiwillige ruthenische Soldaten und als namhaften Führer den Grafen Szeptycki, einen Bruder des verschleppten Lemberger Metropoliten In Berlin bemühte sich indessen das Auswärtige Amt bei den militärischen Behörden um russische Beutegewehre und suchte für den Waffentransport nach Smyrna holländische Schiffe zu chartern, spekulierte sogar auf arbeitslose englische Ägäisfahrer

Aber Mitte November war schon alles vorüber. Auf Anfrage nach den versprochenen Beutegewehren kam vom deutschen Generalstab die Antwort, sie seien beschädigt und könnten deshalb nicht abgegeben werden Und das österreichische AOK gab nach einer vorsichtigen Rückfrage über den Militärattache in der Türkei Szeptycki nicht frei. Der Bericht des österreich-ungarischen Botschafters in Konstantinopel, Pallavicini, deutet eine türkische Zurückhaltung an Enver Pascha erklärte sich war bereit, ein ukrainisches Landungskorps von fünfhundert Mann unter österreichischen Offizieren über das Schwarze Meer zu bringen, doch müßte die Truppe dann auf eigene Faust und ohne türkische Rückendeckung kämpfen. Er teilte zugleich die Absicht mit, zum geeigneten Zeitpunkt seinerseits eine Expedition vn Tscherkessen zu organisieren und nach Südrußland zu schicken. Ohne Seeherrschaft im Schwarzen Meer, meinte er, könnten keine großen Aktionen gestartet werden. Die Diplomaten glaubten darin eine Rücksicht auf Bulgarien zu sehen, dessen Haltung er noch abwarten wolle. Mit der Begründung, daß die Unternehmung nur Erfolg verspreche, wenn die russsische Schwarzmeerflotte außer Gefecht sei und gleichzeitig eine türkische Expedition unternommen werde, zog sich nun — am 19. November — das Außenministerium in Wien zurück

Die Umstände, unter denen diese Aktionen geplant wurden und scheiterten, charakterisieren wieder die Fragwürdigkeit der Revolutionierungspolitik der Mittelmächte. Offensichtlich hatte das unbestreitbare Organisationstalent Zimmers und sein bestimmtes und genaue Kenntnisse versprechendes Auftreten genügt, um die mit Arbeit überhäuften Diplomaten zu überzeugen. Das um so mehr, als hier ja endlich die konkrete Möglichkeit auftauchte, die Ukraine mit militärischer Gewalt in Bewegung zu bringen, unter dem Schutz der türkischen Armee und unter der Leitung nicht der zwielichtigen Vertreter der fremden Nationalität, sondern deutscher Organisatoren, nicht zuletzt auch, weil alles nicht mit dem leidigen Problem der galizischen Frage zusammenhing.

Mit dem Zusammenbruch all dieser Pläne und Hoffnungen auf die Revolutionierung der Ukraine setzte eine heftige Kritik an den Maßnahmen der beiden Regierungen ein Da in Wien ohnehin die Neigung bestand, sich von einer für die galizische Provinz gefährlichen Bewegung zu lösen, ging die österreichische Politik bald mehr darauf aus, sich der Treue dieser Bevöl-kerungsgruppe zu versichern, indem sie den Ruthenen innerhalb der Grenzen Österreichs eine freie Entwicklung auf kulturellem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet zusicherte Auch war zu bedenken, daß bei Friedensverhandlungen mit Rußland die Interessen der russischen Ukrainer doch preisgegeben werden müßten Hinter der Verlegung des „Bundes zur Befreiung der Ukraine" nach Konstantinopel stand auch mehr die Absicht, ihn dorthin abzuschieben Die offizielle Begründung, daß seine Tätigkeit erst durch einen Vormarsch der Armeen einen Sinn bekomme, sollte sich als fragwürdig erweisen, als die militärischen Vorbedingungen mit dem Durchbruch von Gorlice-Tarnow im Mai 1915 erfüllt waren, ohne daß sich an der Haltung der Wiener Regierung etwas änderte.

Um so größer war dafür allerdings die Aktivität bei den Bemühungen, die Völker im Kaukasusgebiet zu Aufständen zu bringen.

5. Die Kaukasusvölker in der deutschen, türkischen und russischen Insurrektionspolitik

Der Generalquartiermeister der russischen Feldarmee, Jurij Danilov, erwähnt in seiner Darstellung der russischen Operationen, daß die Türkei auf Veranlassung Deutschlands muslimische Agitatoren nach Transkaukasien geschickt habe. Schon damals habe Deutschland den Weg zur Verwirklichung seines „grandiosen Planes“ betreten, der die innere Zersetzung der mit ihm im Kampf stehenden Mächte bezweckte Soweit hier die deutsche Revolutionierungspolitik im Kaukasus als ein Mittel zur Schwächung der feindlichen Kampfkraft charakterisiert wird, fügt sich das in das Bild ein, das wir bisher in unserer Untersuchung gewonnen haben. Auch die Chancen deutsch-türkischer Zusammenarbeit waren in der Konzeption von Danilovs Antipoden, des deutschen Generalstabs-chefs, angedeutet, der das Auswärtige Amt darauf aufmerksam machte, daß Deutschland durch das Bündnis mit der Türkei in der Lage sein werde, die Insurrektion des Kaukasus zu verwirklichen. Die geographische Situation wie auch die religiösen Verhältnisse in diesem Gebiet wiesen die deutsche Politik unmittelbar auf die Hilfe der osmanischen Bundesgenossen hin. Das wird auch dem älteren Moltke bewußt gewesen sein, der ja selbst die Türkei bereist hatte, als er in seiner strategischen Planung von 1871 den Kaukasus als ein potentielles Aufstandsgebiet nannte.

Allerdings entspricht es nicht den Tatsachen, daß die muslimischen Agenten von den Türken erst auf Veranlassung der Deutschen geschickt worden seien. Es wird sich vielmehr zeigen, daß zwischen den beiden Bundesgenossen — ähnlich wie zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn in der polnischen und der ukrainischen Frage — dabei sogar gegensätzliche Interessen wirksam waren. Das ergab sich bereits daraus, daß es innerhalb des Russischen Reichs sowohl muslimische Kaukasier — so im Nordwestkaukasus die Tscherkessen, im Südosten die Aserbeidschaner und zahlreiche Bergstämme — und wiederum christliche Völker gab:

Georgier sowie einen Teil der Osseten und Armenier. Die Religionszugehörigkeit aber war ein politischer Faktor. Sie veranlaßte die Türken als Schutzmacht der muslimischen und die Russen und auch die Deutschen als die der christlichen Völker aufzutreten; dabei war die Position der deutschen Politik offensichtlich schwächer als bei ihrem Eintreten für die im türkischen Staatsbereich lebenden Juden.

Georgische Revolutionäre

Die deutsche Politik hat sich besonders darum bemüht, eine Widerstandsbewegung der G e Orgie r zü inszenieren. Dieses Volk, das schon im vierten Jahrhundert das Christentum angenommen hatte, war lange Objekt der Auseinandersetzungen seiner Nachbarmächte Persien, Ruß-land und der Türkei gewesen und hatte auch wiederholt gegen die Türken zu kämpfen, bis dann um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sein König Georg XII. Anlehnung beim russischen Zaren suchte. Seitdem hatte es sich der Übermacht des russischen Reiches zu erwehren. Das Besondere war daß in der georgischen Nationalbewegung neben liberal-demokratischem Widerstand gegen das autokratische Zarenregime die sozialistische Ideologie besonders populär war. Sie hatte ihre Anhänger nicht nur unter den Arbeitern, vor allem denen in der Ölindustrie in Baku, deren politische Massen-Streiks für die Revolution 1905 geradezu repräsentative Bedeutung besaßen, und unter den Intellektuellen, sie war auch unter den verarmten Adligen und — angesichts der drückenden Agrarverhältnisse — unter den Bauern verbreitet. Der deutschen Politik, die bei ihren Bemühungen um die Revolutionierung Finnlands und der Ukraine die Sozialisten zu berücksichtigen hatte, kam hier zu Hilfe, daß sich neben den Menschewiki, die die Autonomie in einer russischen Republik erstrebten, in der Revolution von 1905 eine „Georgische Sozialistische Föderalistische“ Partei gebildet hatte, in deren Programm das nationale Moment das marxistisch-international-demokratische überwog. Sie propagierte eine transkaukasische Föderation, die wiederum föderativ mit Rußland verbunden sein sollte.

Aus diesen Kreisen kamen in der Hauptsache die Persönlichkeiten, die sich der deutschen Regierung anboten, in ihrer Heimat Aufstandsbewegungen zu entfesseln. Das war zuerst Leo Keresselidse, der 1907 vor einer russischen Strafexpedition nach der Schweiz geflohen war. Er stellte sich im August 1914, warm empfohlen von einem früheren schweizer Bundespräsidenten, dem deutschen Konsulat in Genf zur Verfügung Nachdem er seine Pläne in Berlin vorgetragen hatte, wurde er vom Auswärtigen Amt nach Konstantinopel geschieht, wo ihn Botschafter von Wangenheim mit Enver Pascha und Tal'at Bey zusammenbrachte. Noch im September 1914 begann Keresselidse in der Hafenstadt Trapezunt am Schwarzen Meer nahe der russisch-türkischen Grenze seine Tätigkeit. Mit Unterstützung des örtlichen deutschen Konsuls und eines im Umgang mit Türken besonders erfahrenen Beamten der deutschen Botschaft wurden Agitatoren nach Georgien entsandt und wurde versucht, einen Waffenschmuggel zu organisieren und eine georgische Legion aufzustellen — es war sogar die Rede von einer „georgischen Armee“. Mit ihr hoffte Keresselidse mit den Türken zur Befreiung seines Landes in Georgien einzuziehen

Inzwischen erschien im Auswärtigen Amt Fürst Georg Matschabeli aus Tiflis mit seinem Freund Michael von Tseretheli. Matschabeli war am 22. September, versehen mit einem Reise-ausweis des deutschen Verwaltungschefs in Belgien, in Karlsruhe aufgetaucht — es scheint sogar, daß er vom russischen Kriegsminister Suchomlinow als Agent nach Deutschland ge-schickt worden war Er versprach, eine Armee von 50 000 Mann aufzustellen, wenn ihm Ausrüstung und Waffen für 10 bis 20 000 geliefert würden; durch Handstreiche auf die russischen Arsenale in Tiflis, Batum usw. könnten sie sich dann in den Besitz der erforderlichen Munition setzen Das hieß also, daß er russische Waffen brauchte, und das Auswärtige Amt bemühte sich in großer Eile unmittelbar nach der Besprechung mit den beiden georgischen Führern beim Kriegsministerium um Beutegewehre Matschabelis und Tserethelis Plan, den sie nach der Oktoberrevolution mit deutscher Hilfe für kurze Zeit auch durchgeführt haben, war die Gründung eines unabhängigen kaukasischen Staatenbundes, bestehend aus einem Königreich Georgien unter einem westeuropäischen Fürsten, den armenischen „Kantonen“, sowie einem Staat der Bergvölker mit einem von ihnen gewählten Oberhaupt

Georgisch-türkische Gegensätze

Auch diese Georgier wurden nach Konstantinopel geschickt, und Wangenheim erhielt Anweisung, ihnen zur Durchführung ihrer Pläne bei der türkischen Regierung behilflich zu sein. Allerdings war, wie der Botschafter zusammenfassend berichtete, ohne Waffen-und Munitionslieferungen eine „durchgreifende Revolutionierung“ der kaukasischen Gebiete ein frommer Wunsch Deshalb hielt es Hauptmann Nadolny von der Politischen Abteilung des Generalstabes im März 1915 für zwecklos weiteres in der Frage der Revolutionierung des Kaukasus zu unternehmen, bevor mit einem Feldzug in Serbien der Transportweg nach der Türkei geöffnet sei. Der Hauptgrund aber, daß die in Moltkes Programm vom 2. -5. August 1914 vorgesehene „Insurrektion des Kaukasus“ nicht vorwärts kam, war der innere Widerstand der Türken. So scheiterte Keresselidse in Trapezunt bereits an der Gegenwirkung der lokalen türkischen Behörden, genauer, dem sie beeinflussenden Ortskomitee der jungtürkischen Bewegung Ähnlich erging es Matschabeli und Tseretheli in Konstantinopel. Zeigte sich eine Amtsstelle einmal hilfsbereit, so ergab sich später, daß sie offenbar anderen Sinnes geworden war. Wiederholt bedurfte es der Intervention der deutschen Botschaft.

Man wird dies zunächst mit dem religiösvölkischen Gegensatz zwischen Georgiern und Türken erklären. Der Orientalist Max von Oppenheim, dem in Berlin die Planung für die „Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde" übertragen war, erklärte in seiner Ende Oktober 1914 angefertigten Denkschrift daß die Georgier bei den Muslims als feige und als intigrant gälten, die es vorziehen würden zu warten, bis diese gekämpft hätten, um dann für sich um so größeren Lohn zu verlangen. Da Oppenheim sich offensichtlich mit dieser Ansicht identifizierte, findet man auf einigen Aktenstücken, die sich mit den Plänen für einen georgischen Aufstand befaßten, den Vermerk, daß diese ihm nicht vorgelegt werden dürften.

Doch es handelte sich um widersprechende politische Interessen. Deutsche und Türken waren sich zwar darin einig, daß die Kriegführung die „Revolutionierung des Kaukasus“ erfordere. Dies wurde Anfang September in einer Besprechung der beteiligten Stellen in Konstantinopel festgestellt, als der von den Österreichern vorgebrachte Plan einer türkischen Landung bei Odessa zur Entlastung der galizischen Front abgelehnt und dafür ein Kaukasus-Feldzug beschlossen wurde. Hierfür wurde eine Landung in Batum geplant, und der Erfolg dieses Feldzuges geradezu davon abhängig gemacht, daß „zunächst eine Entente zwischen Georgiern und der Türkei hergestellt würde" 229a). Dafür sollte ein georgisch-türkischer Vertrag geschlossen werden, der „die beiderseitigen Sphären“ abgrenzte. Doch eben dies stieß auf Schwierigkeiten. Die georgischen Führer brachten aus Berlin die Zusicherung der deutschen Regierung mit, daß ein befreites Georgien nicht etwa beim Friedenschluß einer Verständigung mit den Russen geopfert und sie dann deren Rache ausgeliefert würden. Sie hatten aber Grund, von der türkischen Regierung eine schriftliche Erklärung zu verlangen, daß sie nicht die russische Herrschaft mit einer türkischen vertauschen würden. Erst nach ernsten und wiederholten Vorstellungen des deutschen Botschafters gelang es, in den letzten Tagen des Jahres 1914 beim türkischen Innenminister die Unterschrift seines Kabinett-chefs unter ein Schriftstück zu erreichen. Darin wurde ein selbständiger georgischer Staat anerkannt, dessen künftige staatsrechtliche Gestaltung Europa überlassen bleiben sollte, und die Bildung einer provisorischen georgischen Regierung vorgesehen, sobald die militärischen Voraussetzungen dafür gegeben seien. Das Dokument wurde von Keresselidse gegengezeichnet und ein Exemplar vorsichtshalber bei den Botschaftsakten deponiert Dennoch blieb bei den Georgiern der Verdacht, daß sich die Tür-ken eine solche Staatsbildung zumindest unter türkischen Protektorat vorstellen

Dabei ging es nicht einmal nur um christliche Völker. Wilhelm II. hatte ja schon in seiner Randbemerkung vom 30. Juli 1914 verlangt, daß die deutschen „Consuln in (der) Türkei und Indien (sic) Agenten etc." die ganze muslimische Welt „zum wilden Aufstande entflammen" sollten. Das war offensichtlich eine generelle Weisung des Obersten Kriegsherrn 231a). Nach Ansicht der Türken entwickelte sich nun aber etwas, was Bismarck den „furor consularis" genannt hatte. Enver Pascha beklagte sich geradezu beim deutschen Botschafter darüber und meinte, daß zwar nicht er aber die türkischen Beamten bereits fürchteten, daß die Deutschen in der Türkei ein Protektorat errichten wollten 231b). Dem hielt der Unterstaatssekretär Zimmermann entgegen, die Türken dürften nicht übersehen, „daß Perser, Ägypter, Araber sowie christliche und mohammedanische Kaukasier ihren Plänen mißtrauen und immer wieder unsere Vermittlung erbitten zur Herstellung harmonischer Verhältnisse mit der Türkei“

Türkische Kriegsziele und Panturkismus

Hier offenbarte sich ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen der deutschen Aufwiegelungspolitik und der türkischen Kriegszielpolitik. Die Türkei sah sich zu dem Bündnis mit den Mittel-mächten genötigt, um dem russischen Drang nach Konstantinopel entgegenzutreten. Bisher hatte sie diesen Schutz von England erhalten, das den Mittelmeerweg nach Indien von den Russen bedroht sah. Die neue Situation öffnete ihr aber auch die Aussicht zurückzugewinnen, was einmal zum Osmanischen Reich gehört hatte und zum Teil erst in den letzten Kriegen verlorengegangen war. Das Osmanische Reich gesellte sich hier zu denjenigen Mächten, die von einem Kriege die Erfüllung historischer Ziele erwarten konnten, die sie in Friedenszeiten nur theoretisch verfolgten: Frankreich mit den 1871 verlorenen Provinzen und Rußland mit Konstantinopel und den Meerengen. Für die Türken gab es solche Kriegsziele auf dem Balkan mit Westthrazien, in Nordafrika mit Tripolis und vor allem mit Ägypten, in der Wiederaufrichtung ihrer Herrschaft in den arabischen Gebieten und so eben am Kaukasus. Hier handelte es sich zunächst um die nach dem russisch-türkischen Kriege 1877/78 im Frieden von St. Stefano an Rußland verlorene Provinz um Kars mit dem Schwarzmeerhafen Batum, darüber hinaus aber lockte auch der Kamm des großen Kaukasus als »natürliche Grenze". Doch waren bereits weitergehende Ambitionen der Türken sichtbar geworden. So, als Deutschland sich nach dem Bündnisabschluß vom 2. August 1914 am 6. August durch seinen Botschafter verpflichten mußte, der Türkei im Falle eines Sieges eine »Berichtigung" an ihrer Ostgrenze zu erwirken, die es ihr gestattete, „mit den muslimischen Elementen in Rußland unmittelbare Fühlung aufzunehmen" Damals gab es in Konstantinopel bereits ein „Komitee zur Revolutionierung der Länder des Nahen Ostens".

Das war der Niederschlag einer Ideologie, die der Gründung eines georgischen Staates im Wege stand und von der deutschen Politik berücksichtigt werden mußte: der Panturkismus, auch Turanismus genannt. Wie in Rußland der Panslawismus den Zusammenschluß der Slawen vom Stillen Ozean bis zur Adria unter russischer Führung, so propagierte der Turanismus ein Einheitsbewußtsein der Turkvölker der Türkei wie auch der etwa 20 Millionen Muslims des russischen Reiches. Und wie jener aus der Geistesbewegung des Slawophilentums, entwikkelte sich der Panturkismus aus einem sprach-lich-kulturell-religiösen Gemeinschaftsbewußtsein zu einer politischen Bewegung, und zwar nicht etwa nur in der Türkei. Angehörige der kulturell und wirtschaftlich führenden Völker-gruppe der Tataren, die in der Türkei und Westeuropa studiert hatten und dort mit den liberal-nationalen Ideen in Berührung gekommen waren, hatten in der liberalen Ära nach der Revolution von 1905 das politische Selbstbewußtsein bei den Muslims in Rußland geweckt. Es kam zu einer Reihe von Muslimkongressen und zur Bildung einer politischen Partei, des „Ittifak“, und zweier linksgerichteter muslimischer Arbeitsgruppen. In der ersten und der zweiten Duma hatten die russischen Muslims 3 5 bzw. 39 Sitze. Unter dem Druck der Stolypinschen Politik flohen die Führer wieder nach der Türkei. Dort ermöglichte ihnen nun die Machtübernahme der jungtürkischen Reformpartei (um die Jahreswende 1908/09), die Kraft ihrer Idee mit den Machtzielen und Machtmitteln eines Staatswesens zu verbünden — ähnlich etwa der politischen Interessengemeinschaft der italienischen Nationalbewegung mit Piemont/Savoyen und der deutschen mit dem preußischen Militär-staat. Die drei prominentesten Panturkisten wurden in das jungtürkische Nationalkomitee „Einheit und Fortschritt“ ausgenommen, und die Idee des Turanismus nun in den örtlichen Komitees in der Türkei verbreitet. Als der Ausbruch des Weltkrieges und die Freundschaft mit den Mittelmächten jene Perspektiven für eine Machtexpansion des Osmanischen Reiches eröffneten, bekam der Turanismus unmittelbar praktische Bedeutung für die türkische Kriegs-politik. Ein Rundschreiben des jungtürkischen Komitees „Einheit und Fortschritt", vom Tage nach der türkischen Kriegserklärung an Ruß-land vom 11. November 1914, kennzeichnet die Situation. Es appelliert an die Kraft des religiösen Empfindens, die muslimische Welt von der Herrschaft der Ungläubigen zu befreien und an das „nationale Ideal, den moskowitischen Feind zu vernichten, um dadurch eine natürliche Reichsgrenze zu erhalten, die in sich alle unsere Volksgenossen einschließt und vereint.“

Türkische Aufwiegelungspolitik

Unter diesen Umständen ist es verständlich, islamische und die pantürkische Propaganda daß die türkische Regierung ihre eigene Revolutionierungspolitik die erstrebten Aufstände der Stämme und hatte. Dabei wurden die pan231Völker als ideologisches und materielles Kampf-mittel von der türkischen Kriegführung benutzt.

Sie waren geradezu die Voraussetzung für die im Dezember unternommene türkische Kaukasusoffensive. Und zwar sowohl für das nähere Operationsziel der Vertreibung der Russen aus Persien wie auch für das größere, das Enver Pascha nannte, über Afghanistan nach Indien zu marschieren Enver habe, so berichtet auch sein deutscher Generalstabschef, mit Volksauf-Offensive gerechnet Oppenheim hat das Problem in seiner Denkschrift so charakterisiert daß einerseits angesichts des schlechten Zustandes der türkischen Armee eine erfolgreiche Offensive im Kaukasus nur dann Erfolg haben könne, wenn sie durch eine Aufstandsbewegung der muslimischen Bevölkerung unterstützt . ürde, umgekehrt aber deren Gelingen von einem erfolgreichen Vormarsch der Türken abhing. In seiner Planung war noch der Einsatz der sogenannten „Muhadschirs“ vorgesehen, der in der Türkei angesiedelten Flüchtlinge, die durch eine „scharf und energisch einsetzende Revolutionierungspropaganda" in den geistlichen Schulen für die Idee der Wiedereroberung ihrer Heimat gewonnen und militärisch gedrillt werden sollten — er meinte, daß zwanzig-bis dreißigtausend fanatische Kämpfer zusammenzubringen seien.

Die türkische Aufwiegelungspolitik kündigte sich bereits an in Enver Paschas Telegramm an den Kaiser und in einem Telegramm des deutschen Botschafters vom 9. August 1914, in dem auf Grund von Mitteilungen des Marschalls Fu'ad Pascha, eines Tscherkessen, von der „bereits eingeleiteten Revolutionierung des Kaukasus" gesprochen wurde Sie kam auch in Enver Paschas Einwänden gegenüber den Zimmerschen Plänen zum Ausdruck: daß nämlich die Türken ihrerseits eine Expedition zu den Tscherkessen vorbereiteten. Und schließlich enthielt der Bericht des Konsuls in Trapezunt über den türkischen Widerstand gegen Keresselidse auch die Mitteilung: die Türken seien dabei, die muslimischen Georgier zu revolutionieren

Das waren die Adscharen; sie lebten in jenem Gebiet am Schwarzen Meer, das bis 1877 zur Türkei gehört hatte. Hier hatten die Türken, so berichteten sie jedenfalls später, eine Organisation aufgebaut, die mit einer Arbeitsaufteilung von 80 Bezirken mit je einem Vertrauensmann und wiederum 15 Untervertrauensmännern den Aufstand gegen die Russen vorbereiteten Er brach denn auch planmäßig im Zusammenhang mit der am 5. Dezember einsetzenden Kaukasusoffensive aus, eine wirklich große organisierte Erhebung eines Volkes, wie sie der deutschen Revolutionierungspolitik nirgends gelungen ist. Nach den nach Berlin übermittelten Berichten schlossen damals 40 000 bewaffnete Aufständische unter Führung von 100 türkischen Gendarmen Batum ein, um dann von einem aus Konstantinopel überführten Regiment von Trapezunt aus Unterstützung zu bekommen. Freilich, so begeistert sich die Ad-scharen dem türkischen Vormarsch anschlossen, so wurden sie auch mit in die große Katastrophe dieses mißlungenen Feldzuges hineingerissen. Etwa 40 000 Adscharen schlossen sich, um der Rache der Russen zu entgehen, den zurückflutenden Resten der türkischen Armee an.

Im Zusammenhang mit dieser Kaukasusoffensive erfolgte auch der türkische Vorstoß im persischen Aserbeidschan im Dezember/Januar 1914/15. Die Aserbeidschaner waren schon vor dem Kriege für die türkische Propaganda empfänglich gewesen, nicht nur weil sie, wie die Adscharen, unmittelbar der Türkei benachbart waren, sie hatten mit dem russischen Teil auch eine führende Stelle in der Muslimbewegung und lagen in Persien im Streit mit der Okkupationsmacht. Die führende Organisation „Musa-wat", ursprünglich von sozialistischen Intellektuellen gegründet, dann aber mehr in die Hand besitzender Schichten gelangt (eine links-bürgerliehe Untergrundpartei), vertrat in populärer Mischung nationalistischer, panislamischer und pantürkischer Tendenz ein Programm der Einheit der muslimischen Völker Die Aserbeidschaner galten deshalb bei den russischen Behörden als potentielle Separatisten. Bei diesem Aufstand war, wie aufgefangene Briefe bestätigen der in Bagdad lebende Mehmet Fazil Pascha im Spiel, der Ende August seine Hilfe beim deutschen Konsul hierfür anbot, wenn ihm die Zusicherung gegeben würde, daß Deutschland die kaukasischen Völker nicht etwa einer Verständigung mit den Russen opfern würde Es handelte sich hier um einen Sohn des legendären Führers der „Mürids“, Imam Schamil, der in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts den „Heiligen Krieg" der Bergstämme gegen die Russen geleitet hatte. Offenbar war es eine Auswirkung der Erhebung der Aserbeidschanen, daß auch die Bevölkerung Daghestans, des weiter nördlich gelegenen Aufstandsgebietes jener Zeit, unruhig wurde und mit den Türken in Verbindung trat, um Waffen zu erbitten und für den Fall eines weiteren türkischen Vordringens einen allgemeinen Aufstand anzubieten

Russische Aufwiegelungspolitik

An dieser Offensive in Nordpersien, bei der die Russen kopflos einem „Riesenbluff" erlagen, waren die kurdischen Stammesreiter von beiderseits der Grenze wesentlich beteiligt die dann auch in der Hauptsache diejenigen waren, die am 8. Januar 1915 in Täbris einzogen. Das hatte seine besondere Bedeutung, weil die russische Regierung darauf spekuliert hatte, dieses teils auf türkischem, teils auf persischem Gebiet wohnende, immer unruhige Volk zu einem Aufstand gegen die Türken zu veranlassen. Bereits im Juni 1914 hatte der russische Statthalter Nordpersiens dem Zaren den Plan vorgetragen, als Gegengewicht gegen die türkische Macht das sich verstärkende Nationalgefühl der Kurden in der Türkei zu unterstützen Und unmittelbar nach Ausbruch des deutsch-russischen Krieges erhielt der russische Gesandte in Teheran die Weisung, Vorbereitungen zu ihrer Bewaffnung zu treffen Als dann Ende September der Ausbruch des russisch-türkischen Krieges nur noch eine Frage des Zeitpunktes war, wurde ein Operationsplan für die Revolutionierung der Armenier, der Kurden und der „Aissoren" aufgestellt Bei diesem Volk handelt es sich offensichtlich um die — in den russischen Akten auch Syrer genannten — Assyrer, Nestorianer, zu denen auch die mit Rom unierten Teile, mit dem Namen Chaldäer, ge-rechnet werden 248a). Sie lebten in den Bergen des südlichen Kurdistan und am Urmia-See, also wie die Kurden sowohl auf türkischem wie auf persischem Gebiet, in geschlossenen Gemeinden und waren zu einem Teil sogar am Ende des 19. Jahrhunderts von russischen Missionaren für die orthodoxe Kirche gewonnen worden Nach der russischen Planung sollten in Aserbeidschan von den örtlichen Befehlshabern unter Aufsicht der Konsuln bei den Kurden und Assyrern Banden gebildet werden, deren Einsatz sich die russische Regierung dadurch vorzubehalten suchte, daß die Waffen und Gelder für die Ausrüstung nur bereitgestellt wurden. Indessen wurden in Tiflis von einem armenischen Büro Freiwilligenverbände aus russischen und aus der Türkei geflüchteten Armeniern aufgestellt

Die Russen mußten aber sehr bald erfahren, daß sie nicht gleichzeitig christliche Völker und -mit den islamischen Kurden — deren Tod-feinde in den Dienst ihrer Kriegführung stellen konnten. Noch vor dem Kriegsausbruch, im Oktober 1914, kam es am Urmia-See zu einem Gefecht, in dem einer mit russischen Soldaten verstärkten armenischen „druschina" von 1300 Mann kurdische Verbände gegenüberstanden, bei denen sich einige reguläre türkische Soldaten befanden

Um so mehr richtete sich das russische Interesse auf den unter türkischer Herrschaft lebenden Teil der christlichen Armenier, die seit den 90er Jahren von türkischer Unterdrückungsund Ausrottungspolitik bedroht wurden. Hatte es zu den Methoden armenischer Kampf-und Schutzorganisationen gehört, durch Terrorakte die internationale Aufmerksamkeit auf die armenische Frage zu lenken und damit eine Intervention der Großmächte hervorzurufen so schien auch hier der Krieg die Gelegenheit zu bieten, ein Problem zu lösen, das im Frieden nicht zu bewältigen war. Den Armeniern wurde zwar sofort nach dem Ausbruch des Weltkrieges von dem türkischen „Komitee zur Revolutionierung der Länder des Nahen Ostens" im Falle der Unterstützung der Türken ein autonomer Staat angeboten es entsprach aber eher ihrem Wunsche, als ihr geistlicher Führer, der Katholikos, sich an die russische Regierung mit der Bitte wandte, die Situation zu nutzen, um von der Türkei ein vereinigtes, selbständiges Armenien unter russischer Führung zu erzwingen

Die Methoden und Motive der russischen Armenienpolitik sind nicht nur anzuführen im Hinblik auf das traurige Schicksal, das diesem Volk dann von den Türken bereitet wurde, sondern auch als ein Beitrag zum Problem der Revolutionierungspolitik überhaupt. Die Russen zeigten zunächst kein Interesse, die Armenien-frage aufzugreifen, sie fürchteten mit Recht, damit den Türken einen Anlaß oder Vorwand zu geben, um Massaker zu veranstalten, wie sie seit 1895 die Welt bewegt hatten. Vor allem aber lag es im Interesse der russischen Kriegführung, den Ausbruch des Krieges mit der Türkei hinauszuschieben, um solange wie möglich eine zweite Front zu vermeiden. Ein Bündnisangebot, das ihnen Enver Pascha sofort nach dem Abschluß des deutsch-türkischen Bündnisses im August machte, hatte Rußland zwar nicht akzeptiert, um sich nicht die Chance der Eroberung Konstantinopels und der Meerengen zu nehmen, benutzte aber die Verhandlungen, um die Türkei noch solange als möglich am unmittelbaren Eingreifen auf Seiten der Mittelmächte zu hindern.

Indessen drängte der Katholikos und schlug vor, mit einem zündenden Manifest, das der Zar genehmigen solle, die in der Türkei lebenden Armenier zum Aufstand aufzurufen Aber die Russen hielten den Zeitpunkt dafür nicht eher für gekommen, als bis die russische Armee bereits tief in Türkisch-Armenien stände. Wie im internen Schriftverkehr der russischen Behörden deutlich ausgesprochen ist, war es die Aufgabe der armenischen Freiheitsbewegung, im Rüchen der feindlichen Front zu operieren. So hatte es der Statthalter im Kaukasus schon vor dem Kriege einmal in einem Schreiben an den Zaren formuliert: daß es sich bei den Armeniern um eine den Russen freundlich gesonnene Bevölkerung handle, die „entweder mit oder ohne ihre Zustimmung leicht in den Kreis unserer militärischen Handlungen hineingezo-gen werden können" Das bedeutete, daß eine solche Erhebung erst in funktionellem Zusammenhang der russischen Strategie Wert hatte. Wie auch der ältere Moltke den Aufstand der Polen in Rußland in seine operative Planung einkalkuliert hatte und wie wir es bei den Versuchen einer deutschen Revolutionierungspolitik hinter der Ostfront der Mittelmächte erkannten, setzte sowohl die Bereitschaft eines Volkes zum Aufruhr wie auch sein Gelingen den Anmarsch einer Befreiungsarmee voraus. Im Falle der Armenier aber um so mehr, wollte man nicht ein Blutbad der Türken heraufbeschwören.

Mit dem Zusammenbruch der türkischen Kaukasusoffensive bot sich dann allerdings die Aussicht auf eine russische Invasion in Anatolien. Damit steigerte sich die Aktivität geheimer armenischer Komitees wie auch der mit ihnen zusammenarbeitenden russischen Behörden. So erschien im Februar 1915 beim Stabe der russischen Kaukasusarmee ein Vertreter der Chintschakistenbewegung, die parallel zur großen Kampforganisation des „Daschnaksutiun"

in Kilikien zwischen Syrien und Kleinasien eine weitverbreitete Geheimorganisaton darstellte.

Sie bot 15 000 Kombattanten an und dazu als Führer Persönlichkeiten, die schon den Aufstand von 1895 geleitet hätten Ihrem Verlangen entsprechend bemühten sich die Russen — allerdings vergeblich — in London und Paris um Waffen und Munition für die Armenier, die diese im Hafen von Alexandrette oder seiner Umgebung in Empfang nehmen wollten Auch meldeten sich bei den russischen Konsulaten armenische Auslandsorganisationen, so in Kairo der anarchistische Geheimbund der Hintschakisten und in Sofia der Vorsitzende eines armenischen Komitees, der sogar den Einsatz in Amerika lebender Armenier anbot, wenn Schiffe für den Transport gestellt würden

Das furchtbare Schicksal, das dem armenischen Volk unter diesen Umständen widerfuhr, ist weltbekannt. Kaum anders erging es den Assyro-Chaldäern. Sie waren, wie die Armenier, zunächst sogar von den Türken umworben worden, auch noch später, vielleicht auch um dem Auslande zu zeigen, daß es gegenüber der armenischen „Verrätern“ auch ein loyales christliches Volk gab. Allerdings stürzten sich nach der Erklärung des „Heiligen Krieges“ die Kurden auf sie. Entscheidend war aber der Besuch des Patriarchen, jeweils Simon genannt, im Hauptquartier des russischen Befehlshabers. Der russische Vizekonsul in Urmia, Nikitin, der an dieser Verhandlung mit General Tschernosubov teilnahm, hat später in einer Abhandlung dargelegt, die Russen hätten sich damals zu nichts verpflichtet und es sei nichts Genaueres abgesprochen worden, zumal die russischen Truppen zu schwach gewesen wären, ’m ihre Front zu erweitern; doch sei die Hoffnung ausgedrückt worden, daß sich die Christen auf die Seite stellen würden, auf die sie ihre Gefühle trieben Der Blick in den amtlichen Schriftwechsel enthüllt jedoch ein deutlicheres Bild: daß dec Aufstand — wie der Patriarch den Russen schrieb — „aus Sympathie für Rußland" und „gemäß den von den russischen Militärbehörden erhaltenen Weisungen" erfolgte 260a). Nikitin selbst berichtete damals, daß „unsere nicht zu Ende gebrachte und systemlos durchgeführte Bewaffnung der Christen" zu jenen Massengemetzeln führten. „Die Aissoren haben gerade deshalb gelitten, weil sie bewaffnet waren" 260b). Die Berichte Nikitins zeigen auch, daß er sich damals zu wehren suchte, und zwar nicht nur gegen die „militante Politik" der Militärbehörden, sondern auch gegen die agitatorische Tätigkeit eines Bischofs der Orthodoxen Kirche, der hierfür nach Urmia entsandt worden war, und „vom Geiste des Hochmutes und der Verachtung und nicht der Demut durchdrungen" „auf Schritt und Tritt bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Muselman als Ungläubigen gedemütigt" habe. Der Konsul sah sich schließlich gezwungen, um seine Abberufung zu bitten, da er „gegen Unduldsamkeit und Fanatismus anzukämpfen nicht vermöge" 260c). Etwa 50 000 Assyrer, die in die Berge entkamen, zogen im Herbst 1915 unter Führung des Patriarchen, als ihnen dort Munition und Lebensmittel, vor allem das Salz, ausgingen, zur russischen Front und wurden in Rußland, vor allem in der Ukraine, angesiedelt.

Die Erhebungen der Armenier und Assyrer sind gewiß nicht nur als Kampfmittel der russischen Kriegführung zu erklären. Aber sie bieten doch ein trauriges Beispiel, in welche Lage die „Fremdvölker“ geraten können, wenn sie das Interesse der Gegner des Staatswesens erregen, dem sie angehören. Auch die energischen Proteste, mit denen der deutsche Botschafter bei der türkischen Regierung gegen die Massa-ker vorstellig wurde, mußten doch zugeben, daß gegen „Maßregeln, soweit sie durch die Kriegslage bedingt seien, keine Einwendungen gemacht werden könnten Nur konnten diese Ereignisse die christlichen Kaukasusvölker nicht gerade zum Aufstand gegen die Russen ermuntern. Aber auch die türkische Aufwiegelungspolitik stieß nach dem Scheitern der Kaukasus-Offensive und des „Heiligen Krieges“ auf Schwierigkeiten. Sah sich doch ein besonderer Kenner der Verhältnisse im Kaukasus, der zudem im Dienste dieser Aufwiegelungspolitik Expeditionen durchgeführt hatte, Graf Schulen-burg, zu der Feststellung genötigt: „Das osnamasche Reich hat auch unter den Mohammedanern des Kaukasus keine Freunde"

Sabotageakte

Nun gab es außer der führenden Organisation der Armenier, dem „Daschnaktsutiun", noch die der „Jung-Daschnaken“. Sie hatte nicht wie jene die Agitation und den Kampf gegen die türkische Herrschaft, sondern gegen den Zarismus auf dem Programm. In ihnen fanden nun die Deutschen Revolutionäre, die sich bereit fanden zu Anschlägen auf die Ölzentren in Baku und in Batum, auf Eisenbahnbrücken und auf die Wolgaschiffahrt mit ihren Öltransporten Das fügt sich ein in eine Entwicklung der deutschen Revolutionierungspolitik, die sich praktisch mehr und mehr auf Agitation und Sabotageunternehmungen zuspitzt. Dabei verband sich dann die Politik der Aktivierung des Nationalitätenproblems mit der, die Schwächung der russischen Kampfkraft und innere Zersetzung des Reiches mit Hilfe sozialistischer Revolutionäre zu erreichen, die, um eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen, die alte zu zerstören trachteten. Soweit es sich dabei um Angehörige der Fremdvölker handelte, ging es ihnen bei der Befreiung der Nationalitäten vom Drude des zaristischen Despotismus auch darum, den Weg für den Sieg des Sozialismus zu bahnen.

Um die Verbindung mit solchen sozialistischen Revolutionären herzustellen oder aufrechtzuerhalten, bediente sich das Auswärtige Amt, wie das ja für den Verkehr mit den finnischen Sozialisten vorgeschlagen war, der Hilfe der deutschen Sozialdemokraten. So wurde der Abgeordnete Südekum bei Verhandlungen mit russischen Revolutionären in Bukarest einge-schaltet, die, mit 25 000 bis 30 000 Rubeln, in einer Geheimdruckerei Propagandamaterial zur Revolutionierung der Ukraine und Südrußlands herstellen sollten Grotesk aber mutet es an, daß nach einem Bericht des deutschen Konsuls in Bukarest vom 25. September 1914 „zwei jüdische Agenten von großem Einfluß“ nach Bessarabien reisten, um innerhalb von zehn Tagen dort einen Aufstand und später eine allgemeine Revolution gegen Rußland zu inszenieren und hierfür 50 000 Mark erhielten und dazu die Zusage, im Erfolgsfalle noch zwei Millionen Mark in Goldbarren zu erhalten und das Versprechen, daß Deutschland sich für die Befreiung der Juden in Rußland einsetzen werde. „Ich habe einverstanden zurücktelegrafiert", notierte Zimmermann

6. Revolutionäre Kontakte in Asien

Beachtlicher ist die Reise, die Ende 1944 der Oberrabbiner Salomon Tagger nach Turkestan unternahm, mit Billigung des Staatssekretärs Jagow, auf Grund in Berlin erhaltener Instruktionen und von der deutschen Gesandtschaft in Bern mit Geld versehen

Die zentralasiatischen Gebiete Rußlands waren aus mehreren Gründen für die deutschen Aufwiegelungsbestrebungen interessant. Zwischen den auf niedriger Kulturstufe stehenden, überwiegend nomadisierenden oder kleinbäuerlichen Turkstämmen und den russischen Siedlern und Beamten herrschte ein seit Jahrzehnten andauernder Kleinkrieg. Von der Jahrhundertwende bis zum großen Aufstand von 1916 wurden 5000 Zwischenfälle, davon 13 Massen-unruhen, gezählt Als mit dem Stolypinisehen Staatsstreich die turkestanische Vertretung in der Duma beseitigt wurde, geschah es mit der Begründung, daß im Turkestan Kriegszustand herrsche Die Ursachen lagen in der kolonialen Wirtschaftspolitik der Russen in Zentral-asien, die mit dem Übergang zur Bauwollmonokultur und einer forcierten russischen Siedlung den Lebensraum der Eingeborenen immer mehr einengte und sie mit Beseitigung der Autarkie in drückende wirtschaftliche und steuerliche Abhängigkeit brachte

Turkestan wurde aber auch, ähnlich wie Sibirien, als eine Art Verbanntenkolonie benutzt, um aus politischen und anderen Gründen unerwünschte Elemente, auch Militärs, abzuschieben. Bei der Revolution von 1905 war die eingeborene Bevölkerung zwar im wesentlichen ruhig geblieben, aber unter den Russen in Turkestan hatte es Streiks und Soldaten-meutereien gegeben, die zu einer revolutionären Bewegung ausarteten, so daß der damalige Ministerpräsident Graf Witte sich im Dezember 1905 zu der Anweisung an den Generalgouverneur veranlaßt sah, durch Verhängung des Kriegszustandes den Unruhen ein Ende zu bereiten.

Insbesondere die Enklave Neu-Buchara des unter russischer Oberhoheit autonom gebliebenen Emirats Buchara hatte sich zum Sammelpunkt von Gegnern des zaristischen Regimes entwickelt. Hier trafen sich nicht allein politisch Verfolgte und aus den Gefängnissen Entflohene, um sich vor der russischen Polizei in Sicherheit zu bringen, sondern auch die aktiven oppositionellen Elemente verschiedener Richtungen — und zwar sowohl die Anhänger des sozialen Umsturzes wie radikale Vertreter der nationalen Bewegung der Rußlandtürken — die Unter-grundbewegungen organisierten und auf subversive Aktionen bedacht waren. Für Agenten der auswärtigen Feinde Rußlands war Buchara daher der gegebene Ansatzpunkt, und in einer Quelle ist die Rede davon, daß sie Buchara zeitweilig „überfluteten"

Tagger meldete sich kurz vor Weihnachten 1'914 in der deutschen Botschaft in Konstantinopel und reiste dann nach Buchara weiter, um „auf Grund persönlicher Beziehungen auf die russischen Mohammedaner einzuwirken“ er kehrte in der zweiten Januar-hälfte 1915 zurück, nachdem er „anscheinend wertvolle Beziehungen“ angeknüpft und festgestellt hatte, daß in Rußland die revolutionäre Gährung im Wachsen sei Aufzeichnungen des Rabbiners, die in holprigem Französisch abgefaßt waren und vom deutschen Gesandten in Bern dem Reichskanzler Bethmann-Hollweg übermittel wurden geben uns schlaglichtartig Einblick in eine weitverzweigte politische Untergrundtätigkeit, deren Aktionsschwerpunkt Buchara war (auch in anderen Berichten wird Buchara als das „Hauptzentrum der russischen Revolutionäre“ bezeichnet), deren Agentenverbindungen sich aber weit über die europäische und orientalische Welt erstreckten und deren Zentrale offenbar in der Umgebung russischer diplomatischer Kreise der französischen Hauptstadt zu suchen war So ist die Rede von Oberst Samy Bey, der bald nach Ausbruch des Krieges vom Auswärtigen Amt nach Nordafrika entsandt worden war, um dort die Senussi zu revolutionieren Seine Aufgabe war nunmehr, jedenfalls wie es Tagger vorschlug, sich mit einigen Griechen und Armeniern auf den Weg nach Rußland zu begeben, wo er in Peters-burg und in Buchara von Muslimführern erwartet werde und Anfang März eintreffen sollte. Ein Scheich Selim, mit dem Tagger bereits in Buchara zusammengetroffen war, wurde nach Rücksprache mit Paris im Hinblick auf die bevorstehenden revolutionären Ereignisse eilig nach Afghanistan abgesandt, damit er von dort rechtzeitig nach Turkestan gelangen könne In dieser Zeit erklärt Zimmermann die „Erregung eines Aufstandes in Turkestan" für besonders lohnend und denkt auch an ein Vordringen von Persien aus Es ist immerhin in diesem Zusammenhang interessant, daß in einer soeben erschienenen sowjetischen Dokumentenpublikation über den Aufstand der turkestanischen Bevölkerung von 1916 ein Tele-gramm des Generalgouverneurs von damals ver-öffentlicht ist, in dem es heißt, daß die kirisische Bevölkerung von deutschen Offizieren für den Aufstand vorbereitet sei, die von Afghanistan und Kaschgar eingesickert seien, und daß in den Polizeiberichten von damals wiederholt auch von einem türkischen Offizier die Rede ist

Der eigentliche Kontaktmann Taggers in Buchara war jedoch überraschenderweise ein russischer Bolschewist, Kusnetzow, der bei Kriegsausbruch von Frankreich nach Rußland zurückgekehrt und dort verhaftet worden war Er konnte jedoch entfliehen und sich nach Buchara durchschlagen. Kusnetzow empfing durch Tagger Instruktionen des russischen Diplomaten Schimanowski, der sich als Mitarbeiter des russischen Finanzministers Bark in Paris aufhielt und als Verbindungsmann der russischen Revolutionäre ein doppeltes Spiel trieb. Bark selbst wird uns noch als Anhänger der Friedenspartei des Grafen Witte begegnen. Tagger suchte Schimanowski unmittelbar vor und nach seiner Reise nach Buchara in Paris auf.

Die in den deutschen Akten aufbewahrten Äußerungen Taggers, Kusnetznows und Schimanowskis, wie auch andere Verbindungsmänner der Deutschen in Rußland, in den Wochen nach der Jahreswende sind von der festen Erwartung getragen, daß der revolutionäre Zusammenbruch Rußlands unmittelbar bevorstände, und höchstwahrscheinlich noch im März 1915 eintreten würde. In Buchara hatte diese Erwartung zum Plan eines revolutionären „Projektes" geführt, das von Kusnetzow vorbereitet wurde, an dem aber auch, nach Taggers Berichten zu urteilen, Führer von Untergrundbewegungen der Muslims beteiligt waren. Auf dieses Ereignis hin spitzte sich die Tätigkeit der Revolutionäre in diesen Wochen zu und nahm geradezu fieberhaften Charakter an. Tagger, der Mitte Februar in der deutschen Gesandtschaft in Bern auftauchte, äußerte den „dringenden Wunsch“ nach Berlin zu kommen, fuhr dann kurz zur Berichterstattung an Schimanowski nach Paris und beeilte sich, nach Buchara zurückzukommen, um bei dem geplanten „Projekt" zur Stelle zu sein und sich „nützlich machen" zu können. Auch Schimanowski war bereits im Aufbruch begriffen und wollte über Petersburg rechtzeitig nach Buchara gelangen. Für den Fall, daß die Revolution im März ausbrechen sollte, bat er die deutsche Regierung um die Auszahlung von 25 000 Franken, damit er und seine Familie leben könnten, wenn seine Verbindung zu den Revolutionären bekannt werden sollte. Die letztgenannte Tatsache erhellt noch einmal die engen Beziehungen des Kreises um Schimanowski zu den Deutschen. Für den größeren Zusammenhang, in welchem das deutsche Interesse an Taggers Mission steht, erhalten wir einen Hinweis dadurch, daß Tagger auf der Rückreise von Buchara über Petersburg fuhr, über die „große Erbitterung in jüdischen Kreisen" berichtete und dort mit dem Grafen Witte zusammengetroffen war. Witte trat eben damals, um die Jahreswende, in den Mittelpunkt der deutschen Bemühungen um eine Anknüpfung von Sonderfriedenkontakten mit Rußland Daß hier in einer einzigen deutschen Aktion gleichzeitig die Verbindungen zu den Kräften der sozialen und nationalen Revolution und jenen Kreisen geschlagen wurde, von denen man sich eine Förderung des Sonderfriedensgedankens versprach, zeigt noch einmal, daß diese an sich so disparten Bestrebungen in deutscher Sicht eine Einheit bilden als taktische Mittel zu einem gemeinsamen übergeordneten Zweck, der in der Schwächung und schließlichen Ausschaltung Rußlands aus dem Kriege besteht.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es verständlich, daß die Aufwiegelungsbestrebungen der Deutschen auch bei rußlandfeindlichen Muslims Ansatzpunkte suchten und zu einem gewissen Teil auch fanden, obgleich die Haltung der muslimischen Bevölkerung gegenüber Rußland in der Hauptsache loyal blieb. Es geschah, weil es ja der deutschen Regierung darum ging, mit Propaganda, Beunruhigung und vor allem Sabotage die russische Kampfkraft zu schwächen, sodaß auch eine solche Kleinarbeit ohne die Aussicht auf eine allgemeine muslimische Erhebung ihren Zweck erfüllen konnte. Als Beispiel dafür sei bereits jetzt angeführt, daß die deutsche Regierung noch im Frühjahr 1915 die Beziehungen zu einer Untergrundbewegung bei den Wolgatataren aufnahm, deren Hauptaktivität eben in Sabotage bestand. In Saratow wurde, wie es in einem rückblickenden Bericht des Organisators solcher Aktionen im Generalstab, Steinwachs, hieß, in Saratow eine „gewaltige Organisation“ aufgezogen, die als ein „Mittelpunkt der zielbewußten revolutionären Arbeit" mit Anschlägen vor allem auf Eisenbahntransporte tätig war und geradezu offene Straßenkämpfe lieferte, bei denen russisches Militär eingesetzt werden mußte

Es gab sogar einen, wie der deutsche Geschäftsträger in Peking am 28. Dezember 1914 meldete, „eingehend vorbereiteten aussichtsvollen Plan“ in der Küstenprovinz am Amur einen Aufstand zu entfesseln. Bereits sei die Verbindung mit Vertretern eines russischen Revolutionskomitees ausgenommen worden, und seien Streiks der Eisenbahnangestellten vorbereitet, und die zurückgelassenen Truppen stünden auf Seiten der Revolutionäre; der Aufstand würde unterstützt werden durch befreite Kriegs-gefangene, mit denen entwichene Offiziere und Revolutionäre Kontakt hatten. In diesen Zusammenhang gehört die unglückliche Expedition der Reitergruppe des deutschen Militärattaches in Peking, Rabe von Pappenheim, die durch den mongolischen Fürsten Babutschab vernichtet wurde Nachdem Ende September und Ende Oktober — jedenfalls nach den darüber eingegangenen Erfolgsmeldungen — durch Räuber-banden vier Brücken der ostchinesischen Bahn gesprengt worden waren, marschierte Rabe von Pappenheim in den ersten Januartagen des Jahres 1915 mit 800 Hunghutzen von Peking ab, um über die östliche Mongolei die Nonni-Brücke und den Tunnel Hailar der Transsibirischen Bahn zu sprengen und im Anschluß daran von Tsitsikar aus den von ihm für Anfang Februar vorbereiteten Aufstand zu unterstützen, dessen weitere Organisation inzwischen der deutsche Geschäftsträger in Peking übernahm Am 22. Februar 1915 kam dann über Washington—Stockholm die telegraphische Meldung Hintzes aus Peking: „Revolutionierung Sibiriens (sic) vorläufig gehemmt, da Zuverlässigkeit bisheriger Vertrauensmänner trotz geleisteter Befreiung deutscher, österreichischer Offiziere zweifelhaft“

7. Ziel und Charakter der Revolutionierunspolitik

Die Versuche der deutschen Regierung, die Randzonen des russischen Reiches zum Aufruhr zu bringen, sind in diesem Kapitel nur für die ersten Kriegsmonate untersucht worden. Zu dieser Zeit sind die Motive, Methoden und Ziele dieser Revolutionierungspolitik noch deutlicher zu erkennen als in den späteren Kriegsjahren, da wirtschaftliche, dynastische und ideologische „Kriegsziele“ das ursprüngliche Bild verschleierten. Zwar zeigte sich, daß diese Politik in Einzelaktionen zerflatterte, und hinter dem Vordergrund der Tatsachen wirkten in vielfacher Verflechtung politische, soziale und wirtschaftliche Triebkräfte, die den Akteuren selbst kaum bewußt waren oder sich ihrem Verständnis entzogen. Häufig läßt sich auch der Anteil der Institutionen und Persönlichkeiten an Planungen und Aktionen nicht deutlich abgrenzen. Immerhin soll der Versuch gemacht werden, Ziel und Charakter dieser Politik zu skizzieren.

Was verstand man im Auswärtigen Amt und im deutschen Generalstab und was ein Bethmann-Hollweg unter der Idee der Revolutionierung? Gewiß nicht dies, mit einem Umsturz in einem Staate oder in der Staatenwelt eine neue Zeit heraufzuführen. Die Persönlichkeiten, die 1914 in Deutschland regier-ten, waren keineswegs Avandgardisten des Selbstbestimmungsrechtes der Völker oder einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Sie wollten mit einem — nach Bismarcks Urteil kriegsrechtlich erlaubten — „Mittel der Krieg-führung“ den Sieg erringen und hierfür die Kampfkraft des Feindes schwächen und untergraben. Dazu gehörte es, im Rücken der feind-liehen Heere Aufruhr und Unruhen zu stiften. Insofern trifft der in der Aktenregistratur des Auswärtigen Amtes verwandte Begriff der „Aufwiegelung" den Kern der Sache; und darum hat es auch ressortmäßig seine Berechtigung, daß sich der Chef des Generalstabs in den Mobilmachungstagen damit befaßte.

Primär militärisches Kampfmittel

Daß es sich bei all dem nicht um Kriegs-ziele handelte, sondern um Kampfmittel, kommt wiederholt in den Äußerungen der Hauptakteure zum Ausdruck. Schon in den ebenso verzweifelten wie haßerfüllten Ausrufen des Kaisers, daß die mohammedanische Welt zum „wilden Aufstand“ entflammt werden sollte, und ebenso in Moltkes Schreiben an das Auswärtige Amt, daß jedes Mittel anzuwenden war, das geeignet sei, den Feind zu schädigen. Auch der besonders von der Idee der Revolutionierung besessene Unter-staatssekretär Zimmermann hat als Grund für eine „schleunige Revolutionierung der Ukraine“ das „Interesse an der Schwächung unserer Gegner" angegeben. Schließlich wird auch in Jagows Telegramm vom 8. August die „Insurgierung Polens und der Ukraine" an erster Stelle als „Kampfmittel“ genannt. Wiederholt versichern sich die Bundesgenossen gegenseitig, daß mit der Förderung nationalrevolutionärer Bewegungen nicht die zukünftige Gestaltung in diesem Raume vorweggenommen werden sollte. Den militärischen Charakter der deutschen Revolutionierungspolitik bezeugt auch der Nachfolger Moltkes in diesem Amt. „Es sind", so formulierte es Falkenhayn im Februar 1915, „von uns mehrere militärpolitische Unternehmungen im Auslande eingeleitet worden zu dem Zweck, unsere Feinde durch Aufwiegelung von Völkerschaften, die von ihnen unterworfen oder ihrem Interessengebiet einverleibt worden sind, zu schädigen." Aufschlußreich ist die Begriffsskala, die der Generalstabschef hier in einer Planung für die Revolutionierung im Nahen Orient verwendete: Fühlungnahme mit ägyptischen Nationalisten; Beeinflussung der ägyptischen Bevölkerung, der Senussistämme und der arabischen Stämme zugunsten der Türkei; Aufwiegelung Afghanistans und Belutschistans, der kaukasischen Völker und der nordpersischen Stämme gegen Rußland, der südpersischen gegen England, des Sudans gegen die Engländer. Das Wort Revolutionierung wird in diesem Zusammenhang nur für Indien gebraucht. Das war das ursprüngliche von Wilhelm II. am 30. Juli ausgesprochene Ziel der deutschen Kriegspolitik im Orient. Ihm diente in der Hauptsache die Entfesselung islamischer Aufstände im Kaukasus und in Persien, letzten Endes auch die mißglückte Winteroffensive En-ver Paschas, wie auch die vieldiskutierte Hentig-Niedermeyersche Afghanistan-Expedition. Diesem Traum eines Napoleon I. galten manche der anfänglich so hochfliegenden Projekte, die sich dann auf das Nahziel reduzierten, die Kräfte des Gegners zu zersplittern, um damit den europäischen Kriegsschauplatz zu entlasten und Unternehmungen, die immerhin Un-ruhe in den Raum zwischen Tigris und Indus gebracht haben Daneben ist in Flakenhayns Schreiben von Expeditionen die Rede, so von der des Hauptmanns Klein, die den doppelten Auftrag hatte, die englischen Ölquellen in Persisch-Arabistan zu zerstören und durch Gewinnung der schiitischen Oberhäupter in Kerbila und Nedschef den „Heiligen Krieg" auf den schiitischen Teil der mohammedanischen Welt auszudehnen.

Dieser primär taktische Zweck brachte es mit sich, daß weltanschauliche Überzeugungen und politische Bindungen kein Hindernis für die Wahl der Mittel waren. Um so weniger, da die Deutschen wie auch die anderen kriegführenden Völker davon überzeugt waren, daß Recht und Moral auf ihrer Seite seien. Als Bismarck und Moltke 1866 für die Anwendung des nationalrevolutionären Kampfmittels legitimistische Bedenken König Wilhelms I. zu überwinden hatten, konnten sie darauf hinweisen, daß damit den Ansprüchen Napoleons III. auf deutsches Land begegnet werden sollte. Was Wilhelm II. und der jüngere Moltke jetzt zur moralischen Rechtfertigung solcher Methoden geltend machten, spiegelt sich etwa in der Formulierung Oppenheims wieder: die Perfidie der Gegner gäbe den Deutschen das Recht, „zu jedem Mittel zu greifen, das zu einer Revolutionierung der feindlichenLänder führen kann“ Dies eben machte es möglich, mit so verschiedenen und gegensätzlichen Kräften zu arbeiten: mit Nationalisten und Sozialisten, Zionisten und Arabern, mit konsequenten und mit opportunistischen Revolutionären und mit Patrioten, die im Dienste der vaterländischen Freiheitsidee Sabotageakten organisierten oder ausführten.

Fehlende Gesamtkonzeption

Von einem verbindlichen Konzept, das den Beteiligten hätte als Anhalt dienen können, oder einer in sich geschlossenen Planung war allerdings nicht die Rede. Das Insurrektionsprogramm Moltkes und die daraus resultierenden Maßnahmen der ersten Kriegswochen tragen deutlich die Merkmale hastiger Improvisation und einer Inkonsequenz, die nicht nur von dieser Arbeitsweise verantwortlicher Stellen, sondern auch von der Unsicherheit ihres Urteils zeugt. Diese Zeichen tragen schließlich fast alle Unternehmungen für die Revolutionierung des Ostens. Obgleich die Überlegungen des Generalstabes der Vorkriegszeit von der Lage des Zweifrontenkrieges ausgingen, waren für die Aufgabe, den östlichen Gegner von innen zu schwächen, keine sachgemäßen Vorbereitungen getroffen. Das ist um so verwunderlicher, als wir sogar schon in der Denkschrift des älteren Moltke zum Aufmarschplan für einen Zweifrontenkrieg vom April 1871 den Gedanken fanden, die fremdstämmigen Völker in den Randzonen des Russischen Reiches von Finnland bis zum Kaukasus zum Aufstand zu brin— —_ gen; und jedenfalls die Erhebung der russischen Polen gehörte zu der operativen Planung, die sein Nachfolger Waldersee übernahm. Dem Mangel einer auf Sachkenntnis der internen Probleme des Zarenreiches beruhenden Konzeption entsprach der an Institutionen und geschultem Personal, wie sie eine revolutionäre Krieg-führung erforderten und wie sie — wenn auch nur in nuce — für eine schnell und energisch einsetzende Insurrektionspolitik im Augenblick der Mobilmachung hätte vorhanden sein müssen, tatsächlich aber erst im Verlauf und als Ergebnis des Krieges entstand. Charakteristisch dafür ist, daß die Politische Abteilung des Großen Generalstabes nach den ersten Kriegswochen völlig neu organisiert werden mußte.

Noch weniger freilich als von den amtlichen Stellen der beiden Mächte waren eine klare Zielsetzung oder auch nur eine festumrissene Vorstellung von den Möglichkeiten und Grenzen der Revolutionspolitik von den Vertretern der osteuropäischen Nationalitäten zu erwarten. In der polnischen und in der ukrainischen Frage offenbarten sich zudem gegensätzliche Perspektiven wie bei den Regierungen in Berlin und Wien, so dadurch, daß in diesen beiden Fällen ein geteiltes Volk verschiedenen Staaten und Machtsphären zugehörte; dazu kam noch der Nationalitätenkampf innerhalb der Donaumonarchie. Es ergab sich auch, daß bei den unter der russischen Herrschaft lebenden Minoritäten die Bereitwilligkeit zum Kampf gegen den Zarismus in weit geringerem Maße vorhanden war, als auf Seiten der Mittelmächte, aber auch von den in Deutschland tätigen Vertretern dieser Völker, angenommen wurde. Hinzu kam, daß ihre Handlungsfreiheit durch Kriegsmaßnahmen der Regierung wirkungsvoll beschränkt wurde. Das traf ganz besonders die jüdische Bevölkerung mit sowohl willkürlichen wie planmäßigen Verfolgungen. So blieb der Agitation der Befreiungskomitees und Organisationen die Resonanz jenseits der Frontlinie versagt. Die kaukasischen Völker gerieten überdies in den Gegensatz der Interessen der deutschen Insurgierungspolitik, wie wir sie in ihrem taktischen Gehalt charakterisierten, und einer türkischen Kriegspolitik mit pantürkischen Ambitionen. So ließ es sich erklären, daß im Kaukasusgebiet die Anstrengungen des Auswärtigen Amtes, Tscherkessen und christliche Georgier zum Aufstand zu bringen, bereits bei den Vorbereitungen auf türkischem Boden scheiterten, während den Türken die einzige wirklich große Erhebung eines der Kaukasusvölker, der Adscharen, gelang. Mit dem Ausbleiben der großen Ostoffensive und dem durch den Rüdezug aus Galizien und mit dem katastrophalen Zusammenbruch von Enver Paschas Kaukasusoffensive entfiel die strategische Basis, ohne die Aufstände der Völker hinter der Front für diese ein zu großes Wagnis und für die Kriegführenden von geringerem militärischen Wert gewesen wären.

Zwistigkeiten der Nationalitäten

Dies alles blieb nicht ohne Auswirkungen auf das, was seit den ersten Augusttagen geplant, verhandelt und unternommen worden war. Es brachte Unruhe, Unsicherheit und Zwistigkeiten in die Reihen der „Revolutionäre“ und machte es wiederum innerhalb der Regierungen den Befürwortern der Insurrektionspolitik noch schwerer den Antagonismus der mit ihrem Wissen oder ihrer Hilfe mobilisierten Volksgruppen, Parteirichtungen, Religionsgemeinschaften und kulturellen Verbände zu zügeln. Je deutlicher es aber wurde, daß dieser Krieg eine radikale Neuordnung des europäischen Staatensystems und der Verhältnissesr im Nahen Orient bringen würde, und in Deutschland das Thema der „Kriegsziele" in der Öffentlichkeit zur Sprache kam, desto weniger war zu verhindern, daß es von denen erörtert wurde, deren Befreiung zu propagieren unentbehrlicher Bestandteil der Insurrektionspolitik war. Noch dazu, wenn sich im Lager der Befreiungsmächte Stimmen bemerkbar machten, die denen Recht zu geben schienen, die — wie etwa Dmowski mit seinen polnischen Nationaldemokraten — weniger von der großrussischen-panslawistischen Expansion als vielmehr von der eines Pangermanismus Gefahren für ihre Freiheitsbestrebungen erwarteten. Und wenn sich etwa die in der Schweiz lebenden Georgier mit einem Hilferuf für die Armenier an die deutschen Sozialdemokraten wandten oder, wie wir sahen, auch muslimische Völker nicht die russische mit einer türkischen Herrschaft vertauschen wollten, so zeigten sich auch dort die Grenzen der deutschen Revolutionierungspolitik.

Dabei ging es aber nicht nur um das künftige Verhältnis von Befreiten und Befreiern, sondern um auch die Grenzen der künftigen Staaten. So sehr die deutsche Führung auch bemüht war, diese Probleme zurückzustellen, waren es doch für diese Völker zentrale Lebensfragen. Um so ungehemmter kamen darüber in erbitterten Kontroversen die Gegensätze und Rivalitäten zum Ausdruck, die zwischen ihnen bestanden. So die zwischen Polen, Ukrainern und Juden. Jede dieser Nationalitäten hatte es eilig noch in den ersten Kriegswochen ihre territorialen Forderungen für die Nachkriegszeit anzumelden. Bodenheimer forderte für die Juden einen westeuropäischen Vielvölkerstaat, der das gesamte polnisch besiedelte Gebiet und Teile der westlichen Ukraine umfaßt hätte; die ukrainischen Nationalisten wiederum beanspruchten Podlachien und das Cholmer Land und gerieten damit in Gegensatz zu den Polen, denen die Wiederherstellung ihres historischen Staatswesens am Herzen lag. Ja die Aufstellung eines territorialen Kriegszielprogramms bedeutete für die neu entstandenen Komitees und Befreiungsorganisationen geradezu ihre eigentliche Legitimation, um ihre Landsleute zur Mitarbeit und zum Kampf auf Seiten der Mittelmächte aufzurufen — sofern nicht die Idee der sozialen Neuordnung als vorherrschende Triebkraft wirksam war.

Um so schwieriger war es für die Behörden, einen Überblick über die miteinander konkurrierenden Gruppen und Komitees zu erhalten und ihren Wert für die deutsche Kriegführung abzuschätzen. Schließlich war es auch die Voraussetzung für einen die Kriegführung entlastenden Einsatz der Kräfte, die hier zum Kampfe aufgerufen wurden, daß sie beeinflußbar und lenkbar waren. Indem sich aber bei den Widerstandsbewegungen die mannigfaltigen eigenen Interessen meldeten, begann die Entwicklung nun umgekehrt zu laufen. Mancher derer, der sich zur Verfügung gestellt hatte und große oder kleine Geldsummen in Empfang nahm, hatte ohnehin darauf spekuliert, im entscheidenden Augenblick seinen eigenen Willen durchzusetzen. So war es schon innerhalb der im österreichischen und im deutschen Einfluß-bereich siedelnden Völkerschaften kaum noch möglich, die Illusion einer Aktionsgemeinschaft aufrecht zu erhalten, wie sie angesichts der Notlage, aber auch der sich — sei es tatsächlich, sei es scheinbar — in den ersten Wochen bietenden Chancen erforderlich war. Auf eine kurze, im Grunde nur wenige Tage dauernde Phase eines illusionären Optimismus, wie sie nach dem Kriegsausbruch eine geschlossene Front der fremdstämmigen Völker des Zarenreiches erwarten ließ, folgte nun die Ernüchterung.

So trat denn bei den Regierungen in Berlin und in Wien, entgegen den ursprünglichen Absichten, die Politik der Aufwiegelung der Völker im Osten in den Hintergrund, mit dem Vorbehalt, zu einem günstigen Zeitpunkt wieder ausgenommen zu werden. Es ist noch zu schildern, wie man sich in der Wilhelmstraße unter demselben Gesichtspunkt, durch Unruhen und Aufruhr im Hinterland den Druck auf die deutsch-österreichische Front abzuschwächen, auch mit radikalsozialistischen Revolutionären verbündet. Auch hierzu gehörte die Aktivierung der national-revolutionären Bestrebungen im Zarenreich. Aber in der Hauptsache wird die nationale Revolutionierungspolitik jetzt auf das Gebiet der publizistischen Aufklärung und der Sabotage abgedrängt.

Dies war denn das eigentliche reale Ergebnis der Insurrektionspolitik, das in Moltkes Programm in den Mobilmachungstagen ebenso weitgreifend wie unvollkommen skizziert worden war. Der Kampf der Armeen wurde ergänzt durch die Propaganda der Flugschriften, Ge-rüchte und Versprechungen. Neben den Soldaten trat der Agitator, der Kollaborateur und der Saboteur, der im Dienste der nationalen Idee für die Freiheit seines Volkes oder auch um des materiellen Lohnes willen rückwärtige Verbindungen und damit den Nachschub zur Front oder etwa mit Sprengungen in Munitionsfabriken die Ressourcen, die Produktionsstätten des Kriegsmaterials, zerstörte.

Mitunter wurden freilich auch beträchtliche Summen an zweifelhafte Personen, ja an offensichtliche Schwindler ausgegeben, und man erkennt mit Erstaunen aus dem fragmentarischen Material der Akten, mit welcher Vertrauensseligkeit die Beamten der Wilhelmstraße hier verfuhren. Eine Erklärung für dieses unbekümmerte Vorgehen hat Zimmermann einmal gegeben, als er sich im Frühjahr 1917 wegen seiner berüchtigten Depesche zu verantworten suchte, in der Mexiko als Prämie für den Kriegseintritt die Wiedererwerbung der 1848 an die Vereinigten Staaten verlorenen Landesteile versprochen wurde: es sei, so sagte er dem österreich-ungarischen Botschafter deutscherseits in den bisher vergangenen Kriegsjahren auf der ganzen Welt unter Aufwand vieler hundert Millionen eine so rege und stellenweise auch erfolgreiche Tätigkeit entfaltet worden (Sprengungen an der chinesischen Bahn, ferner in den verschiedensten feindlichen Munitionsfabriken und Häfen und dgl.), daß man hierbei selbstverständlich auch mit einem gewissen Prozentsatz von Fehlschlägen rechnen müsse, die man sich natürlich ersparen könne, wenn man ganz ruhig bliebe.

Vergleich mit Bismarcks Revolutionierungs-Politik

Demgegenüber drängt sich der Vergleich mit der Revolutionierungspolitik Bismarcks und Moltkes von 1866 auf. Nachdem sich Bismarck z. T. schon in persönlichem Kontakt in Paris und sodann durch laufende Agentenberichte über die Tätigkeit der national-revolutionären Emigration informiert hatte, ließ er noch ad hoc prüfen, welche Kräfte die sich anbietenden Persönlichkeiten repräsentierten, ob sie es ernst meinten und ob eine zweckmäßige Verwendung der Gelder gesichert sei, die er ihnen dann in einem für den sparsamen preußischen Fiskus erstaunlichen Umfange anzuvertrauen sich nicht scheute. Es gelang ihm auch mit bewußter Ausschaltung des nach Auffassung der Ungarn „diktatorischen" Kossuth, aber ohne diesen zu diskreditieren, eine einsatzfähige ungarische Führungstruppe, und zwar Angehörige der äußeren und der inneren Emigration, um sich zu sammeln. Dabei handelte es sich jedenfalls bei den Generälen Klapka und Türr, aber in seiner Art doch auch bei Graf Csäky um Persönlichkeiten von Format, und das Offizier-korps der Legion setzte sich aus den Spitzen des ungarischen Adels zusammen. Bismarck scheute sich aber auch nicht, den radikalsozialistischen tschechischen Revolutionär und Freund Bakunins, Joseph Fric, mit ins Hauptquartier zu nehmen. In Oberst Orekovi in Belgrad und Minister Garasanin hatte er die maßgebenden Politiker der südslawischen Bewegung im Spiel und über Victor Emanuel und auch durch Klapka und Türr die Verbindung mit dem europäischen Revolutionshelden Garibaldi. Dazu kam die mit Fürst Carl von Rumänien, der bis vor kurzem noch als Gardeoffizier der preußischen Armee angehört hatte. Ohne etwa der Vorstellung von einer geschlossenen Front einer europäischen Revolutionsbewegung zu verfallen, vielmehr im Bewußtsein auch der inneren Problematik des östlichen und südöstlichen Nationalitätenproblems, schuf er sich bereits mit der Vorbereitung eines „Revolutionskrieges" ein Kampf-mittel für „Politik und Kriegführung“, ein diplomatisches Pressionsmittel und eine militärische Waffe, die nach einem vom Generalstabschef aufgestellten Operationsplan in ihrer militärischen Verwendung und wiederum mit politischen Auswirkungen eine Machtverstärkung Preußens im Kriegsfälle bedeutet haben würde. Die Worte schließlich, die er dem konservativ-reaktionären General als Unterhändler für den Zaren telegrafierte, er wolle lieber Revolution machen als erleiden, bedeuten im Munde dieses Staatsmannes, was er einmal als Grundsatz seiner Gesamtpolitik so dargelegt hat: in seiner gefährdeten Mittellage könne Preußen in der Politik nicht Amboß, sondern nur Hammer sein! Das aber hieß, daß er, wie in dem Bündnis mit der deutschen Nationalbewegung, auch in dem mit Ungarn, Kroaten, Serben und Tschechen sich zutraute, die Führung zu behalten. Und man kann von ihm erwarten, daß er einen schöpferischen Einfluß auch auf die Gestaltung einer Staatenwelt ausgeübt haben würde, wenn sie ein anderes Gesicht erhalten hätte.

Mit dieser Charakterisierung der national-revolutionären Linie in Bismarcks Politik zeichnet sich die deutsche Revolutionspolitik im Ersten Weltkriege, wie wir sie hier zunächst in den ersten Kriegsmonaten zu erschließen suchten, noch deutlicher in ihrer negativen Seite ab. Dennoch hat sie ihre historische Bedeutung und ist der wissenschaftlichen Analyse wert. Sie gehört mit ihren Motiven und Zielen in den Zusammenhang einer deutschen Rußlandpolitik, der die Aufgabe gestellt war, die aus dem Osten drohende Gefahr zu neutralisieren. Dafür galt es Rußland als Glied der feindlichen Koalition auszuschalten. Der Versuch, dieses Reich durch Eingriff in seine inneren Verhältnisse zu schwächen, wird uns noch beschäftigen, wenn wir die Beziehungen der deutschen Regierung zu den radikal sozialistischer Revolutionären studieren. Sowohl der einer Verständigung mit der zaristischen Regierung wie der einer revolutionären Unterminierung dieses Regimes dienten diesem Ziel; und in der Tat sind beide Absichten auch nebeneinander und sogar gleichzeitig verfolgt worden, wie auch, wie es sich bei der Stellung zur finnischen Freiheitsbewegung so instruktiv zeigte, die Überlegung auftauchte, die Politik der Aufwiegelung zurückzustellen, um nicht den erstrebten Separatfrieden zu gefährden. So gilt denn auch für die Bemühungen um die Revolutionierung der fremdstämmigen Völker in den Randzonen des Russischen Reiches, was sich bei denen um den Frieden mit Rußland seit dem 18. November 1914 ergab, daß sie aus der Gesamtproblematik der Zeit wie auch in ihren säkularen und universalen Zusammenhängen verstanden werden müssen.

Anhang

Nr. 13 Wk lle AA Überblick über die in der islamitisch-israelitischen Welt eingeleitete Agitationstätigkeit I. Islamitische Welt A 17 520 pr. 16. Aug. 1914 Afrika a) Marokko.

Sämtliche Maßnahmen werden durch die Gebrüder Mannesmann veranlaßt 1). Mit Hilfe eines Herrn Sievers (Zeitungskorrespondenz mit Graf Tattenbach in Fes) und einigen früheren Fremdenlegionären soll versucht werden, die Eingeborenen in Marokko durch Flugschriften usw. gegen die französische Herrschaft aufzuwiegeln Gleichzeitig haben die Gebrüder Mannesmann auch in diesem Sinne auf Raisuli eingewirkt Es ist dafür Sorge getragen, daß R. nichts gegen die spanische Zone unternimmt.

b. Tunis, Algerien.

Otto Mannesmann z. Zt. als angeblicher Stellvertreter des deutschen Konsuls in Tripolis, um mit Gehilfen und Apparaten Flugschriften und Aufrufe (in) arabischer Sprache zu vervielfältigen. Luftballons mit Vorrichtung zur Verteilung der Flugschriften mitgenommen zur Revolutierung von Tunis und Algerien, (um) nordafrikanische Bewegung hervorzurufen. Außerdem hat der frühere Gouverneur des Fezan, Sami-Bey sich erboten, mit Hilfe der Senussi die französische Kolonie zu beunruhigen. E. Said, ein Sohn des bekannten Abd el-Kader ist bereit, mit 500 Reitern gegen die Franzosen in Afrika vorzugehen, falls ihm die nötigen Mittel hierfür verschafft werden. Dies ist im Werke. c. Ägypten.

Sämtliche Maßnahmen werden von Oppenheim veranlaßt. Um den Engländern durch Beunruhigung der unter ihrem Schutz stehenden Mohammedaner Schwierigkeiten zu schaffen, sind wir bestrebt, mit den der englischen Herrschaft in Ägypten feindlich gesinnten Elementen in Verbindung zu treten. Man darf hoffen, daß eine in Ägypten einsetzende Bewegung sich über Mekka auf die übrige islamische Welt verbreiten und ihre Wellen bis nach Indien schlagen würde. Unsere Vertrauensleute stehen in Verbindung mit dem ägyptischen nationalistischen Agitationskomitee in Genf. Außerdem wird versucht, sich in Ägypten die Bestrebungen eines im Jahre 1906 gegen die englische Herrschaft gebildeten Komitees zu Nutze zu machen Nach Angabe dieses Komitees soll es möglich sein, die nach Port Said führende Wasserleitung zu unterbrechen und so diesem Hafen die Wasserzufuhr abzuschneiden und dadurch den Betrieb des Suezkanals zu stören Endlich werden besondere Vertrauenspersonen nach Ägypten gehen und dort Unruhen unter den Eingeborenen anzustiften trachten. 2. Asien a) Afghanistan Hand in Hand mit der türkisch'n Regierung soll versucht werden, durch Vertrauensleute auf den Emir von Afghanistan einzuwirken, um ihn gegen die Engländer und Russen aufzuwiegeln. Nach Mitteilungen von Enver Pascha verspricht dieser Versuch angeblich Erfolg b) Indien Abgesehen von den infolge der Tätigkeit unserer sonstigen Emissäre in der islamischen Welt auf Indien erhofften Rückwirkung soll versucht werden, auch an Ort und Stelle eine Agitationstätigkeit zu organisieren. Es hat sich eine Persönlichkeit hierzu angeboten, welche früher als politischer Agent im Dienste der indischen Regierung gestanden hat und daher angeblich eine genaue Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse besitzt. Außerdem soll versucht werden, über Mekka Nachrichten nach Indien zu bringen.

II. Israelitische Welt Es ist geglückt, die ganze Organisation der Zionisten für unsere Sache zu gewinnen. An der Spitze dieser Gesellschaft steht der Professor an der hiesigen Universität Dr. Warburg. Die Gesellschaft zählt weit über 100 000 Mitglieder und eine sehr große Anzahl geheimer Anhänger. In ihrer straffen Organisation sind die Zionisten dem Jesuitenorden vergleichbar. Wie die Jesuiten sind auch die Zionisten ihrem Leiter gegenüber zu striktem Gehorsam verpflichtet. In der Organisation des Zionismus wird uns daher für den Nachrichtendienst und unsere Agitationstätigkeit im Ausland ein Werkzeug von unabsehbarem Werte in die Hand gegeben. Dies gilt besonders für das Gebiet des russischen Reiches. Da ferner fast alle russischen Armeelieferungen an Korn und Vieh von jüdischen Zwischenhändlern vermittelt werden, so erhalten wir durch die Zionisten ein wirksames Mittel, um den Gang der russischen Operationen und die Verpflegung der russischen Armee zu erschweren.

Endlich haben wir mit zwei in Konstantinopel und Jaffa lebenden Mitgliedern des Zionistenbundes Vereinbarungen treffen können zum Zwecke der Verbreitung authentischer Nachrichten über die Kriegsereignisse. Die genannten werden regelmäßig mit den Telegrammen des Wolff’schen Telegr. -Bureaus versehen

Nr. 14 Wk 11 adh. 2 AA Das „Deutsche Komitee zur Befreiung der russischen Juden" an den Stellvertretenden Generalstab Wk 11 adh. 2 AA Das „Deutsche Komitee zur Befreiung der russischen Juden" an den Stellvertretenden Generalstab 12)

Berlin, den 20. August 1914 A 20 452 . . . Das Komitee hat zunächst folgende Schritte eingeleitet: a) Errichtung eines Büros unter Leitung des Sekretärs, Herrn Dr. A. Robinsohn.

b) Reisen in die besetzten Gebiete, um dort die militärischen Behörden mit unseren Vertrauensmännern in Verbindung zu bringen. Es ist zunächst eine Reise des Herrn Dr. Klee nach Kalisch und Herrn Dr. Oppenheimer nach Czenstochau geplant. Die Herren stehen jederzeit für diese Reise zur Verfügung 13). c) Bearbeitung der Presse; und zwar sowohl der inländischen wie der ausländischen. Für diese Zwecke steht uns fast die gesamte jüdische Presse mit ca. 250 Organen zur Verfügung. Die Information der übrigen Presse wird von Herm Dr. Oppenheimer besorgt.

Zur Bearbeitung der Presse in Amerika und Fühlungnahme mit der dortigen Hochfinanz, die mit Rücksicht auf die Verwicklung mit Japan von besonderer Wichtigkeit geworden ist, soll eine kleine Kommission unter Leitung des Herrn Dr. Friedemann entsendet werden, an der sich Beamte des jüdischen Nationalfonds, der meiner Leitung untersteht, beteiligen .

Das Reichsmarineamt hat uns seine Genehmigung zu dieser Reise bereits mitgeteilt, und werden die Einzelheiten derselben mit dem Reichsmarineamt näher geregelt werden.

d) Da der Aufruf des Armeeoberkommandos an die Juden Polens nicht genügt, weil er sich erstens nicht an alle Juden des Ansiedlungsrayons wendet, sondern nur an die Juden Polens, die etwa 11/2 Millionen ausmachen, zweitens, weil er den Erwartungen der russischen Juden in politischer, kultureller und ökonomischer Hinsicht nicht ganz entspricht, empfehlen wir, diesem Aufruf einen zweiten folgen zu lassen, der an die Juden von ganz Rußland gerichtet ist. Ich gestatte mir, einen Entwurf dazu in zwei Exemplaren zur geneigten Genehmigung zu unterbreiten. e) Wir beabsichtigen ferner, eine zwanglos erscheinende Zeitschrift in hebräischer und jüdischer Sprache herauszugeben, die alle Ereignisse und Kundgebungen im Sinne unserer Aktion beleuchten wird. Dieser Zeitschrift sollen unsere Emissäre in den besetzten und unbesetzten Gebieten Rußlands die weitestgehende Verbreitung verschaffen. Diese Zeitschrift soll auch in Übersetzungen der ganzen Presse zugänglich gemacht werden __ gez. Justizrat Dr. Bodenheimer Nr. 15 Wk 11 adh. 2 AA Richtlinien des „Deutschen Komitees zur Befreiung der russischen Juden"

1. Es liegt im Interesse Deutschlands und Österreich-Ungarns, daß beim Friedensschluß diejenigen Gebiete im Westen und Südwesten Rußlands, die nicht von Großrussen bewohnt sind, in möglichst großem Umfange von Rußland abgetrennt werden, so daß ein Zwischenreich, welches vom Baltischen bis zum Schwarzen Meere reicht, Deutschland und Österreich-Ungarn vollkommen von Rußland trennt. Nur auf dieser Grundlage ist ein dauernder Friede mit Rußland für die Zukunft gesichert, denn nur unter dieser Voraussetzung wird Rußland derart geschwächt, daß es auf Generationen hinaus zu einem Kampf gegen die verbündeten Mächte nicht mehr fähig ist, und nur auf dieser Grundlage ist die Möglichkeit gegeben, die jetzt von Rußland unterdrückten Völkerschaften West-und Südrußlands zu einem Rußland gegenüber selbständigen Gemeinwesen zu organisieren, das in Rußland seinen natürlichen Feind und in den verbündeten Mächten seine natürlichen Beschützer erblicken wird. Die Bildung eines solchen großen Zwischen-reiches liegt auch im Interesse der unterdrückten, nichtrussischen Völkerschaften dieses Gebietes, insbesondere der russischen Juden.

2. Wenn nur das Gebiet des vorwiegend von Polen bewohnten Bezirkes des Zartums Polen zu einem selbständigen Staat erhoben würde, so würde das weder die Polen noch die in diesem Gebiete wohnenden Juden zufriedenstellen können, auch liegt die Bildung eines autonomen Königreiches Polen in diesem geringen Umfange nicht im Interesse der verbündeten Mächte. Die Polen würden durch eine solche Neubildung auf die Dauer nicht befriedigt, weil dieselbe doch nur einen Teil des früheren Königreichs Polen umfassen würde. Die Juden müßten fürchten, von der polnischen Bevölkerung wirtschaftlich und sozial zurückgedrängt zu werden, und könnten ihre nationale Eigenart gegenüber der starken Betonung polnischer Bestrebungen nicht aufrechterhalten. Ein auf das Zartum Polen beschränkter polnischer Nationalstaat könnte auch gegenüber dem großen Nachbarreiche seine Selbständigkeit nicht bewahren. Vor allem wäre ein solcher polnischer Nationalstaat eine beständige Bedrohung für Deutschland und Österreich-Ungarn, weil aus geschichtlichen und vielleicht auch wirtschaftlichen Gründen die Tendenz zur Angliederung der von Polen bewohnten Gebiete Preußens und Österreichs bestehen würde. Hierdurch wäre die Möglichkeit gegeben, daß dieser Staat eine Anlehnung an Rußland suchen könnte.

3. Nur wenn Gebiete von wesentlich größerer Ausdehnung mit verhältnismäßig schwacher polnischer Bevölkerung, also die Gebiete der Ostseeprovinzen und eines größeren Teiles des jüdischen Ansiedlungsrayons, der außer von Juden von Litauern, Letten, Esten, Weißrussen und Ruthenen bewohnt ist, mit dem Zartum Polen zu einem großen Pufferstaat vereinigt werden, wäre ein Gegengewicht gegen eine ausschließlich auf Förderung polnischer Bestrebungen gerichtete Politik gegeben.

4. Auf diese Weise würde nämlich ein selbständiges staatliches Gebilde mit nichtpolnischer Mehrheit geschaffen, das kein Interesse daran hätte, sich die polnischen Gebiete Preußens und Österreichs anzugliedern. Es würde sich an die westlichen Mächte anlehnen müssen und stark genug sein, um sich gegen Rußland zu behaupten.

5 In diesem Staat würden namentlich die Deutschen und die Juden ein wirksames Gegengewicht gegen die übrige, vorwiegend slavische, Bevölkerung darstellen.

6. Dies wird auf die Dauer aber nur dann der Fall sein, wenn ihnen verfassungsgemäß ihre nationalen Rechte gewährleistet werden, d. h., wenn sie das verfassungsmäßige Recht erhalten, auf die städtische und staatliche Verwaltung einen ihrer Bevölkerungszahl entsprechenden Einfluß auszüben und Volks-und höhere Schulen in ihrer eigenen Sprache mit Beihilfe von Staats-und städtischen Mitteln zu unterhalten.

7. Diese nationalen Minderheitsrechte wären zu sichern durch die Bildung nationaler Kataster und nationaler Kurien für die sämtlichen in dem neuen Staat wohnenden Volksstämme, insbesondere auch für die Juden. Die nationalen Kurien in der städtischen und staatlichen Verwaltung werden auf Grund von Wahlen der in dem nationalen Kataster verzeichneten Mitglieder gebildet.

8. Die bürgerliche Gleichberechtigung der russischen Juden würde nicht ausreichen. Die Gewährleistung nationaler Rechte entspricht ihrem 6genen Interesse wie dem der verbündeten Regierungen. Dies allein kann verhindern, daß zwei sehr unerwünschte Folgen eintreten: einerseits die Assimilation der jüdischen Minderheit an die vorwiegend sayischen Mehrheiten, sodann andererseits die Massenauswanderung;

urch beides würden die Juden dem Einfluß der verbündeten Regierun-gen entzogen werden.

Nr. 16 PA 1/899 HHStA Wien Entwurf eines Aufrufs an die Juden Rußlands Beilage ad Bericht Nr. 71/p. dto Berlin, August 1914 An die Juden Rußlands.'

Der Tag der Freiheit ist endlich auch für die Juden Rußlands angebrochen. Die Heere Deutschlands und Österreich-Ungarns dringen siegreich über die Grenzen des Zarenreiches. Sie bringen Freiheit allen denen, die bisher unter der Willkür und Bestechlichkeit des Tschinowniktums geschmachtet haben.

Euch Juden bringen sie das gleiche Bürgerrecht für alle: Freiheit der Glaubensbetätigung und des Handels, freie Wahl des Wohnsitzes!

Kein Jude soll, soweit die Macht der deutschen und österreichisch-ungarischen Armee reicht, genötigt sein, sich sein gutes Recht durch Bestechung zu erkaufen.

Ist Euch Juden Ernst darum, frei zu sein vom Joch der Willkür, ist es Euer Wille, der europäischen Kultur und Zivilisation zu dienen, für die Ihr in Rußland soviel gelitten habt, so glaubt nicht den gleisnerischen Worten der russischen Regierung, mit denen sie Euch jetzt einfangen will.

Denkt an die Schrecken der Pogrome von Kischinjoff, Homel, Bjalystok, Minsk, in denen Eure Brüder auf Geheiß der zarischen Polizei massakriert wurden. Denkt an den Beilisprozeß in Kijew, wo Euer unglücklicher Bruder von der zaristischen Justiz gemordet werden sollte. Erinnert Euch, wie der Zar sein Oktobermanifest von 1905 gehalten hat. Trotz des Zarischen Wortes schmachtet Ihr immer noch unter dem Geist, den Ignatjews Maigesetze atmen!

Juden Rußlands! Erhebt Euch! Greift zu den Waffen! Laßt allen Hader beiseite! mögt ihr Nationalisten oder Zionisten oder Sozialisten sein! Helft den Moskal aus dem Westgebiet, aus Polen, Litauen, Weßrußland, Wolhynien und Podolien verjagen! Die Freiheit kommt von Europa! Im Schutz der deutschen und österreichisch-ungarischen Heere wird jeder frei leben und seinem Beruf, seinem Verdienst ungestört nachgehen können!

Organisiert Euch! und schickt die Männer Eures Vertrauens an die deutschen und österreichisch-ungarischen Befehlshaber!

Die Oberkommandos der verbündeten deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen Nr.

17 Wk 11a AA Der Unterstaatssekretär an den Reichskanzler (z. Zt. im Großen Hauptquartier)

Konzept 17)

Berlin, den 28. August 1914 pr. 28. August 1914 p. m.

A 19 293 Bericht Nr. 3

Der Präses des ukrainischen Klubs, Reichsrats-und Landtagsabgeordneter Dr. Lewicki, hat mir eingehend seine Pläne wegen Revolutionierung der Ukraina auseinandergesetzt und gebeten, nachstehende Wünsche bei der österreichisch-ungarischen Regierung zu unterstützen: 1. Genehmigung zur baldigen Bildung eines ukrainischen Schützen-korps in Galizien sowie dessen Ausstattung mit Waffen und Uniformen, 2. Zusicherung, daß die Bestrebungen zur Bildung und Verwendung des ukrainischen Schützenkorps nicht durch allpolnische Machinationen unterbunden werden, 3. Zusicherung, daß die polnischen Schützenkorps nur in Polen, die ukrainischen nur in der Ukraina verwandt werden, 4. Erlaß einer Allerhöchsten Entschließung wegen Errichtung einer ukrainischen Universität in Lemberg, 5. Erwirkung von Legitimationen und Reiseerleichterung für die ukrainischen Agitatoren, die über Rumänien nach Odessa fahren sollen, 6. Erlaß eines Aufrufs der verbündeten Armeen an die ukrainische Nation, sobald die österreichisch-ungarischen Truppen die ukrainische Grenze überschritten haben. Der Aufruf soll zur Verteilung fertig sein. 7. Sofortige Bereitstellung erheblicher Mittel für die Propaganda Dr. Lewicki glaubt, im Falle der Unterstützung durch die beteiligten Regierungen bestimmt die Ukraina in Bewegung zu bringen Er hat während seines hiesigen Aufenthalts auch den österreichisch-ungarischen Botschafter ausgesucht und ihm die gleichen Wünsche vorgetragen. Prinz Hohenlohe, mit dem ich die Angelegenheit erörtert habe, steht den Anregungen Lewickis sehr sympathisch gegenüber und nimmt an, daß seine Regierung diesen Standpunkt teilt. Auch ich halte die Wünsche Lewickis für praktisch und glaube daher befürworten zu dürfen, daß wir sie fördern und namentlich auch in Wien für sie eintreten. Sehr wichtig wäre es, sofort Mittel für die Propaganda zu gewähren, womit S. M. Sich nach dem im Original beigefügten Telegramm des Kaiserlichen Botschafters in Wien vom 7. d. M. durch Allerhöchsten Randvermerk bereits einverstanden erklärt haben. Als erforderlichen Betrag bezeichnete mir Dr. Lewicki die Summe von einer Million Mark. Es würde m. E. wesentlich zur Förderung der Angelegenheit beitragen, wenn wir der österreichisch-ungarischen Regierung alsbald erklären wollten, daß wir die Wünsche Lewickis befürworten und für seine Propagandazwecke sofort 500 000 Mark zur Verfügung zu stellen bereit sind, falls Wien die gleiche Summe bewilligt.

E. E. darf ich bitten, geneigtest mich eventuell nach Benehmen mit dem Herrn Chef des Generalstabes der Feldarmee mit Weisung versehen zu wollen. Dem Kaiserlichen Botschafter in Wien teile ich die Wünsche Dr. Lewickis zunächst lediglich zur Orientierung per Post mit. Z (-immermann) 28/8

Nr. 18 Wk 11a AA Der Staatssekretär an den Unterstaatssekretär Großes Hauptquartier, den 31. August 1914 A 20 186 pr. 3. September 1914 A. H. 475/14 Auf den Bericht Nr. 3 vom 28 d. M.

Mit Euer Hochwohlgeboren stimme ich darin überein, daß es von großem Nutzen wäre, wenn die von Dr. Lewicki gemachten Anregungen zur Ausführung kämen und dadurch eine antirussische Bewegung in der Ukraina zustande gebracht werden könnte. In erster Linie müßte jedoch die Angelegenheit von Wien aus betrieben werden, da uns direkte Beziehungen zu diesem Teile Rußlands nicht zur Verfügung stehen. Es wird daher zunächst die Aufgabe des Kaiserlichen Botschafters in Wien sein, die maßgeblichen österreichischen Kreise für die Pläne Dr. Lewickis zu erwärmen und die augenscheinlich in Wien dagegen bestehenden Widerstände zu überwinden. Sollte dies nicht gelingen und die österreichisch-ungarische Regierung weiterhin eine laue Haltung in der Frage einnehmen, so kann ich mir von einer Verfolgung des Planes und der Aufwendung bedeutender Geldmittel unsererseits einen Erfolg kaum versprechen. Ich darf Euer Hochwohlgeboren ergebenst anheimstellen,

Herrn von Tschirschky entsprechend zu instruieren und ihn anzuweisen, die Frage mit allem Nachdruck zu betreiben Auch dürfte es sich empfehlen, noch weitere Sachverständige, etwa aus jenen Gebieten zurückgekehrte Konsularbeamte, darüber zu hören, ob die Gegensätze zwischen Kleinrussen und Großrussen in der Ukraina genügende sind, daß mit einer erfolgreichen Aufwiegelung der dortigen Bevölkerung durch die von Dr. Lewicki angeregten Maßnahmen gerechnet werden kann.

Jagow Nr. 19 PA 1/902 HHStA Wien Das k. u. k. Ministerium des Äußern an den Vertreter des Ministeriums beim k. u. k. Armee-Oberkommando, Baron Giesl, Przemysl Privatschreiben Wien, am 11. September 1914

Sehr geehrter Herr Gesandter.

Ich habe Ihren Bericht vom 2. September Nr. 121 mit Interesse gelesen und entnehme daraus, daß Sie im Einvernehmen mit den Militärbehörden die ganze ukrainische Bewegung für eine Kunstpflanze ohne Wurzeln im Volke halten, welche sich jetzt in den Realitäten des Krieges als nicht lebensfähig erwiesen hat.

Ich will gerne zugeben, daß die Erlebnisse der letzten Wochen nicht sehr ermutigend waren, möchte aber doch die Behauptung des Statthalters Korytowsky, daß der überwiegende Teil des ruthenischen Volkes moskalophil ist, nicht so ohne weiteres als erwiesen annehmen und kann mir gut denken, daß die vielen mit russischem Gelde und durch die pravo slave Propaganda gewonnenen Gemeinden in Ostgalizien von den Militärbehörden als das ganze ruthenische Volk angesehen werden und daß dieser Gedankengang polnischerseits con brio gefördert wird.

Ich möchte jedoch nur auf eines aufmerksam machen, selbst, wenn all dies und auch viel mehr wahr wäre, selbst wenn es außer Herrn Levicky und seinen paar Abgesandten gar keine Ukrainer gebe, dürfen wir die Bewegung nicht fallen lassen, solange wir die Absicht haben Ostgalizien zu behalten. Die vier Millionen Ruthenen dort wird man nie polonisieren können, umbringen kann man sie auch nicht, und wenn wir nicht etwas haben, was wir als Zukunftsmusik gegen die Moskalophilen ausspielen, wenn wir die Polen in ihrer Unterdrückungspolitik und den Grafen Rohinski und Genossen in seiner russischen Propaganda nach dem Kriege weiter gewähren lassen, so, kann sich jedermann an den Fingern ausrechnen, daß in kurzer Zeit nicht vier Millionen Ruthenen, sondern vier Millionen Russen in Ostgalizien leben werden, die bei uns mit den Herren Klofac, Kramar und Konsorten panslavische Politik und uns hier das Leben sehr sauer machen können

Außerdem existiert eine ukrainische Unabhängigkeitsbewegung jenseits der Grenze wirklich. Ich habe mich erst heute wieder in eingehenden Gesprächen mit ukrainischen Führern aus Rußland hiervon überzeugen können. Ich haben denselben erklärt, daß wir und Deutschland die Lostrennung der Ukraine von Rußland, seine vollkommene Unabhängigkeit wünschen, daß wir jede dahin abzielende Bewegung fördern und daß, wenn unsere Armee in die russische Ukraine einzieht, wir so-fort die dortigen ukrainischen Führer heranziehen und ihnen, soweit wir können, helfen werden, das Land auf unabhängiger Grundlage zu organisieren. . Wenn ich mir auch momentan nicht sehr viel von dieser Agitation verspreche, so ist sie doch für die Zukunft von großer Bedeutung als Mittel, um der ukrainischen Idee dies-und jenseits der Grenze realisierbare Gestalt zu geben.

Ich begreife vollkommen, daß vor der Vertreibung der Russen aus Ostgalizien nichts geschehen kann, möchte Sie aber bitten, doch noch weiter mit General Conrad und Oberst Hranilovich im Sinne dieses Schreibens zu sprechen und unsere Wünsche bezüglich Einteilung ruthenischer Vertrauensmänner bei den in der russischen Ukraine operierenden Armeen, eventuell bei jedem Korpskommando, nicht aus dem Auge zu verlieren.

Unser nächstes Ziel muß die Niederlage Rußlands sein, und wenn die Möglichkeit besteht, zu diesem Ende eine Erhebung der Ukraine oder einiger Teile derselben hervorzurufen, so darf dies nicht durch allzu große Vorsicht und übertriebenes Mißtrauen behindert werden.

Ich habe daher dem Agitator Zalisniak und dem Bund zur Befreiung der Ukraine größere Beträge ausgefolgt und beabsichtige die Leute auch weiter zu unterstützen, wenn ich sehe, daß ihre Bemühungen Erfolg versprechen

Mit besten Empfehlungen bin ich Ihr sehr ergebener Hoyos, m. p.

Nr. 20 Aufzeichnung des Legationsrates Wesendonk G(eheime) A(nzeige)

A 8 041 pr. 5. März 1915 p. m.

Schimanowski, der nach der Abreise Barks aus Paris dort geblieben ist, wartet bis zum 10. d. M. in Paris auf Befehle Barks. Er wird dann nach Rußland zurückkehren und zunächst nach Buchara gehen, wo sich der russische Revolutionär Kouzentzoff befindet. Diesem ist es gelungen, aus dem Gefängnis zu entfliehen. Bei der Rückkehr nach Rußland ist er seinerzeit eingesperrt und begraben, inzwischen aber wieder verhaftet worden. Neu-Budiara ist ein Hauptzentrum der russischen Revolutionäre.

Schimanowski geht dann nach Petersburg, von wo er an Tagger weiter berichten wird. Er hält den Ausbruch einer Revolution noch im Laufe des März (russ. Stil) für unvermeidlich.

Für den Fall, daß die Revolution noch im Monat März ausbricht, bittet Schimanowski ihm 000 Franken auszuzahlen, damit er und seine Familie davon leben können, falls seine Verbindung mit den Revolutionären bekannt wird.

Berlin, den 4. März 1915 gez: von Wesendonk Nr. 21 Wk 11m secr. AA Der Gesandte in Stockholm an das Auswärtige Amt Telegramm Stockholm, den 8. Dez. 1914 pr. 29. Dez. 1914 5 Uhr 20 Min. V AS 3075 Ankunft: 11 Uhr 48 Min. N Nr. 971 Entzifferung.

Aus Washington: Nr. 626 vom 22. Dezember.

Geschäftsträger Peking telegraphiert von gestern:

Nr. 121 Militärattache abreist übermorgen zu persönlicher Bahn-unterbrechung 25), meldet: „ 1. Nachdem Bahn durch Brückensprengung Ende September 14 Tage, Ende Oktober 18 Tage unterbrochen, weitere Zerstörung infolge scharfer Bewachung nur noch gewaltsam möglich. Ich gehe mit achthundert Hunghutzen durch östliche Mongolei gegen Nonni-Brücke und Tunnel Hailar vor. Zerstörung Mitte Januar. Abmarsch wegen Verhandlungen mit weit enfernten Hunghutzen nicht eher möglich. Bahnbenutzung durch Mandschurei wegen japanischer Kontrolle ausgeschlossen.

2. Kleinere Unternehmung Hunghutzen-Abteilung gegen Brücke östlich Charbin durch Vertrauensmann Mukden eingeleitet.

3. Verbindung Vertreter russischen Revolutionskomitees für Küsten-provinz ausgenommen. Aufstand dort nach seiner Aussage völlig vorbereitet und jetzt sehr aussichtsreich. Zurückgelassene russische Truppen größtenteils auf Seiten Revolutionäre, Küstenprovinz und Wladiwostok nur schwach besetzt. Streik aller Eisenbahnangestellten vorbereitet. Aufstand soll unterstützt werden durch befreite Kriegsgefangene in Küstenprovinz 5000 Deutsche 23 000 Österreicher. Ständige sichere Verbindung mit Kriegsgefangenen von hier auch durch entwichene Offiziere und Revolutionäre ausgenommen. Kriegsgefangene sollen nach gründlicher Bahnzerstörung auf chinesisches Gebiet übertreten. Plane Mitwirkung mit meinen Hunghutzen von Tsitsikar aus. Vorläufiger Plan Ausbruch Aufstands Anfang Februar. Militärattache.

Zu 3. Übernahme nach Abreise Militärattaches mit hiesigen befreiten Offizieren weitere Ausführung eingehend vorbereiteten aussichtsvollen Plans. Falls Kosten hierfür 100 000 Mark übersteigen, werde weitere Drahtermächtigung erbitten“.

Bernstorff Reichenau Wird fortgesetzt

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Waldemar Besson: „Franklin D. Roosevelt, der New Deal und die neuen Leitbilder der amerikanischen Politik"

Walter Bußmann: „Der deutsche Reichs-und Nationsgedanke im 19. und 20. Jahrhundert"

Indira Gandhi: „Indien heute"

Charles de Gaulle: „Memoiren"

Hans Friedrich Reck: „Die indischen Parteien"

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Egmont Zechlin: „Separatfriedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche zur Ausschaltung Rußlands Im 1. Weltkrieg" (IV. Teil)

Der Ostblock und die Entwicklungsländer

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bodenheimer berichtet, daß im Generalstab der Morkriegszeit das Studium sämtlicher osteuropäischer Sprachen betrieben worden sei — mit Ausnahme der hebräischen; Max Bodenheimer, So wurde Israel. Aus der Geschichte der zionistischen Bewegung (1958), S. 184.

  2. Uber seinen Geschäftsbereich: Hutten-Czaps-

  3. Die in der Literatur - von Beyer, a. a. O., S. 4 f., Conze, a. a. O., S. 63 f., speziell im Hinblick auf die Ukraine - vertretene These, Hutten-Czapski sei ein Hindernis für die Revolutionierung auch der nichtpolnischen Bevölkerung Osteuropas gewesen, ist mit Vorbehalt aufzunehmen. Aus seinen Memoiren ergibt sich, daß er zumindest das Prinzip mehrerer, nebeneinander und gleichzeitig betriebener Insurrektionsversuche für anwendbar hielt. Bodenheimer, der die Amtsführung Hutten-Czapskis nicht offen bemängelt, kann sich allerdings der Bemerkung nicht enthalten, daß er einer der ersten gewesen sei, „die nach dem verlorenen Krieg Preußen den Rücken kehrten und sich auf ihre polnischen Besitzungen zurückzogen“; Bodenheimer, a. a. O., S. 201 f.

  4. Die Äußerung fällt im Zusammenhang mit der Schilderung der polnisch-ukrainischen Rivalitäten; Hutten-Czapski, a. a. O., Bd. 2, S. 157.

  5. „Für den Großen Generalstab war es wichtig, auch die Juden und Ukrainer auf die deutschen antirussischen Kampfziele hinzuweisen“; a. a. O., Bd. 2, S. 156.

  6. Abschnitt „Israelitische Welt“ in dem „Uberblick über die in der islamitisch-israelitischen Welt eingeleitete Agitationstätigkeit“ vom 10. Aug. 1914, Wk Ile AA; s. Anhang Nr. 13. So argumentiert schon Dr. Otto Sprenger, Bremen, in seiner Zuschrift an Langwerth v. Simmern und Bergen vom 7. Aug., Wk 11 adh. 2 AA. Zur Situation der russischen Juden vor dem ersten Weltkrieg: Gitermann a. a. O., Bd. III, bes. S. 287 f.: Rauch, a. a. O., bes. S. 143 f.; Hugh Seton-Watson, The decline of imper

  7. Zum Verständnis der hochgespannten deutschen Erwartungen muß darauf hingewiesen werden, daß die These von der internationalen wirtschaftlichen Machtstellung des Judentums durch die jüngsten Forschungergebnisse der Fachwissenschaften erhärtet worden war. Die Debatte über die Entstehung des modernen Kapitalismus, die von Max Weber wesentliche neue Impulse erhalten hatte, führte den Berliner Nationalökonomen Werner Sombart zu der Schlußfolgerung, daß die Rolle der Juden in diesem historischen Prozeß bislang nicht gebührend hervorgehoben worden sei. Seine Studie über „Die Juden und das Wirtschaftsleben" erschien 1911 in Leipzig. Sie erregte besonders deshalb Aufsehen, weil ihr Verfasser über den Verdacht einer bedenkenlosen antisemitischen Propaganda erhaben war.

  8. Die führende Stellung des deutschen Zionismus innerhalb der Gesamtbewegung hat Licht-heim eingehend erörtert: Richard Lichtheim, Die Geschichte des deutschen Zionismus (Jerusalem 1959), bes. S. 141 f. Nicht nur in dieser Hinsicht lassen sich Parallelen in der historischen Rolle des Zionismus und der deutschen Sozialdemokratie nachweisen.

  9. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das engere Aktionskomitee de facto ein deutsch-russisches Gremium darstellte. Ihm gehörten außer dem Vorsitzenden Prof. Otto Warburg an: als stellvertretender Vorsitzender der russische Staatsbürger Dr. E. Tschlenow, ferner dessen Landsleute Dr. Viktor Jacobsohn und Nahum Sokolow, der Österreicher Dr. Schemarja Lewin und der Deutsche Dr. Arthur Hantke.

  10. Die Zuschrift Otto Sprengers vom 7. Aug., a. a. O.

  11. Wie Otto Warburg und Hantke besaßen auch die Leiter des zionistischen Büros in Konstantinopel, Richard Lichtheim, und des Palästina-Amtes in Jaffa, Dr. Arthur Ruppin, die deutsche Staatsbürgerschaft.

  12. Franz Oppenheimer, Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes (1931), S. 223.

  13. Bodenheimer, a. a. O., S. 182.

  14. Einzelheiten in der Biographie: Jacob Dränger, Nahum Goldmann, Ein Leben für Israel, Bd. I (1959), S. 173 f. Nicht zuletzt auf Grund seiner Aufsätze in der „Frankfurter Zeitung" wurde das Auswärtige Amt auf Goldmann aufmerksam und berie ihn, den Inhaber eines russischen Passes, 1915 als Sachbearbeiter in die neagegründete Jüdische Ab teilung des Auswärtigen Amtes; Dränger. a. a. O., S. 190.

  15. Dränger, a. a. O., S. 173. Das populärste poetische Erzeugnis aus jenen Tagen, der „Haßgesang gegen England", stammt aus der Feder des Berliner Juden Ernst Lissauer. Für Stefan Zweig, der ihn persönlich kannte, ist Lissauer „der typischste, der erschütterndste Fall einer solchen ehrlichen und zugleich unsinnigen Ekstase"; Stefan Zweig, Die Welt von gestern, Erinnerungen eines Europäers (1955), S. 214 f. Man lese Ludwig Marcuses Betrachtungen zum Kriegsausbruch in seinem eben erschienenen Buch „Mein zwanzigstes Jahrhundert" (1960), S. 37 f.

  16. Oppenheimer hatte dieser Sehnsucht noch vor Kriegsausbruch in einem Zeitungsbeitrag Ausdruck gegeben; a. a. O., S. 223.

  17. Nach Lichtheim, a. a. O., S. 209, war auch für die Männer um Otto Warburg die Sorge um die in Palästina entstehende Heimstätte der wesentliche Grund, daß sie sich entschlossen, die zionistische Bewegung weiterhin von Berlin aus zu lenken; die zentralen Organe waren „mit voller Absicht in Deutschland belassen worden, um der ersten Pflicht der Bewegung — dem Schutze des jüdischen Palästina — genügen zu können".

  18. Zusammenfassende Darstellung und Würdigung bei Lichtheim a. a. O., S. 209 f.

  19. Bodenheimer hat den Hergang wiederholt 985 A ildert, so in einem Schreiben an Bergen vomAug. 1914, wk 11 adh 2 AA; im größeren Zusammenhang in der Autobiographie, a. a. O., S. 184 f.

  20. Das Gründungsprotokoll wurde Bergen noch am selben Tag von Bodenheimer übermittelt; Zitat in einem einführenden Schreiben Bodenheimers an den Chef des Stellvertretenden Generalstabes vom 20. Aug. 1914, Abschrift an Bergen; beides Wk 11 adh. 2 AA.

  21. Brief vom 17. Aug. 1914, Wk 11 adh. 2 AA.

  22. „Überblick vom 16. Aug. 1914, a. a. O.

  23. Lichtheim, a. a. O., S. 138. Im selben Werk ausführliche Charakteristiken sämtlicher auf zionistischer Seite Beteiligten.

  24. Er leitete seit 1903 gemeinsam mit Otto Warburg und Selig Soskin die zionistische Palästina-Kommission; dazu Lichtheim, a. a. O., S. 142 ff., und Oppenheimer, a. a. O., S. 212 ff.

  25. Nahum Sokolow ging wesentlich weiter: Er verfaßte den Geleitartikel für die erste Nummer der zionistischen Illustrierten „Kol Mewasser"; Bodenheimer, a. a. O., S. 187.

  26. 20. Aug. 1914 an Stellvertretenden Generalstab, a. a. O. In dem schon erwähnten Schreiben an Bergen vom 19. Aug., a. a. O., drückt er sich deutlicher aus; die zionistische Organisation sei als solche interterritorial und könne sich nicht engagieren, daher das Komitee.

  27. Die innerjüdischen Richtungskämpfe der Vorweltkriegsjahre im Detail bei Lichtheim, a. a. O., S. 164 ff.; ferner bei S. M. Dubnow, Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes 1789- 1914, Bd. 3 (1923), bes. S. 350 ff.

  28. Lichtheim, a. a. O., S. 213.

  29. „Nach alledem“, teilt das Komitee dem Auswärtigen Amt im Nov. 1915 mit, „dürfen wir wohl den Anspruch erheben, die übergroße Mehrzahl der deutschen Juden in den Fragen der äußeren Politik zu vertreten“. „Komitee für den Osten" an Bergen, 24. Nov. 1915, unterzeichnet von Oppenheimer und Friedemann, Wk. 11 adh. 2 AA. Zu diesem Zeitpunkt, als sich die jüdische Opposition in der „Vereinigung für die Interessen der osteuropäischen Juden" organisierte, gehörten dem Komitee laut Aufstellung in dem angeführten Schreiben u. a. die folgenden prominenten Nichtzionisten an: Offiziell delegiert vom „Verband der deutschen Juden" dessen Vorsitzender Horwitz, in privater Eigenschaft vom „Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" der erste und der stellvertretende Vorsitzende Horwitz und Fuchs, vom „Deutsch-Israelitischen Gemeindebund" der erste und der stellvertretende Vorsitzende Kalischer und Sobernheim, von der „Deutschen Großloge" deren Präsident Timendorfer.

  30. Lichtheim, a. a. O., S. 164 f. Auch Struck trat dem Komitee bei.

  31. Eine Ausnahme bilden - darauf weist das Komitee in seinem Schreiben vom 24. Nov. 1915, a. a. O., hin - Bernhard Timendorfer und Ludwig Schiff, die beide Mitglieder im geschäftsführenden Ausschuß des Hilfsvereins und im Befreiungskomitee waren.

  32. Dazu Lichtheim, a. a. O., S. 93.

  33. Weizmann attestiert dem „Kaiser-Juden" - und er nennt ausdrücklich Ballin, Max M. War-burg, Paul Nathan und James Simon - die Eigenschaften: „more German than the Germans, obsequious, superpatriotic, eagerly anticipating the wishes and plans of the masters of Germany"; Chaim Weizman, Trial and error, The autobiography (London 1949), S. 184. Diese Charakteristik ist deshalb so bezeichnend für die enge Bindung führender Juden an die rivalisierenden Nationalstaaten, weil Weizmann, aus dessen Feder sie stammt, für die Rüstungswirtschaft Englands eine ähnliche Bedeutung hatte wie sein jüdischer Fachkollege Haber, der Pionier einer großindustriell anwendbaren Stickstoffsynthese, für die militärische Stärke Deutschlands; anders hätte sich kaum die Meinung bilden können, daß die Balfour-Erklärung als eine Belohnung für die Verdienste des Chemikers Weizmann um England anzusehen sei.

  34. Auch der Hilfsverein hatte ursprünglich über den Faktionen gestanden; der Zionist Otto Warburg war Mitglied seines Vorstandes. Zum Bruch zwischen dem Hilfsverein und dem deutschen Zionismus kam es unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges infolge des „Sprachenkampfes": Ein internationales jüdisches Kuratorium, dem der Hilfsverein beigetreten war, errichtete ein Technikum in Haifa. Im Oktober 1913 trat das Kuratorium in Berlin zu einer Sitzung zusammen, um über die Lehrpläne und die Unterrichtssprache zu beraten. Da die amerikanischen Mitglieder verhindert waren, gelang es dem Hilfsverein, gegen die Stimmen der anwesenden Zionisten die Wahl der deutschen Sprache durchzusetzen, woraufhin die Zionisten ihre Mitarbeit aufkündigten und — im Gegenzug — James Simon und Paul Nathan sich dem „Antizionistischen Komitee" anschlossen, das vom Zentralverein gestützt wurde. Schilderungen bei Lichtheim, a. a. O., S. 172 f.; Weizmann, a. a. O., S. 182 f. Schon zu Beginn des Krieges lockerte sich die antizionistische Koalition Hilfsverein-Zentralverein wieder. Während Eugen Fuchs zur Zusammenarbeit mit Bodenheimer und Oppenheimer bereit war, ging der Hilfsverein unter Simon und Nathan eigene Wege.

  35. Als Motiv für die Gründung eines weiteren jüdischen Ostkomitees wurde angegeben, daß die Arbeit anderer Organisationen „nicht ersprießlich“ gewesen sei. „Segensreich kann nach unserer Über-zeugung nur gewirkt werden, wenn die notwendigen Entschlüsse ebensowenig unter dem orthodox-religiösen wie unter einem nationalistisch-jüdischen Gesichtspunk in ausschließlicher Weise gefaßt werden. Die neu gebildete Vereinigung steht bewußt auf dem Standpunkt jener ganz überwiegenden Masse der Juden unseres Vaterlandes, die fest im Deutschtum wurzeln und die sich zugleich bewußt von jeder einseitigen religiösen Parteinahme fernhalten.“ Dem fünfköpfigen Arbeitsausschuß gehörten James Simon, Paul Nathan und Max Warburg an, dem Komitee selbst auch Mankiewitz und Ballin. Sämtliche Angaben in dem Informationsmaterial, das die Vereinigung am 22. Okt. 1915 dem Ausw. Amt zuleitete; Wk 11 adh. 2 AA.

  36. Bodenheimer, a. a. O., S. 187, 205 f. Er beschreibt die Verwirrung, die sich aus dem Nebeneinander der Organisationen ergeben mußte. So hat Bodenheimer irrtümlich Gelder, die auf Veranlassung Max Warburgs in Amerika für das Ostkomitee des Hilfsvereins gesammelt worden waren, für seine Zwecke reklamiert, ein Vorfall, der die schon bestehenden Spannungen noch verstärkte.

  37. „Überblick" vom 16. Aug. 1914, a. a. O.

  38. Bodenheimer, a. a. O., S. 188.

  39. Das Zitat und die Fakten über die russische Mobilmachung sind wiedergegeben nach Louis greenberg, The Jews in Russia, Bd. 2, The struggle mr emancipation, 1837- 1917 (1951), S. 94 f.

  40. An Geheimrat Hammann, Wk 11 adh. 2 AA. Bodenheimer war berufen, aus eigenem Erleben über die Problematik der „dual loyalty" ein Urteil zu fällen, denn er selbst hat — als Zionist — nach der Rückkehr von seiner ersten Paslästina-Reise empfunden, wie nahe ihm sein Geburtsland stand und wie fern demgegenüber das zionistische Ideal erschien. „Unser Herz ist mit der Stätte verknüpft, wo wir uns zuerst bemühten, das Leben und seine Geheimnisse zu meistern. Trotz der starken Wirkung, die der Besuch der heiligen Stätten und des schönen Landes unserer Väter auf micht gemacht hatte, erschien mir eine Beziehung zu ihm gegenüber der deutschen Heimat traumhaft wirklich . . . Nach dem Besuch Palästinas war mir klar, wie schwer es für den westeuropäischen Juden sein müsse, sich zum Zionismus zu bekennen. Die Liebe zur Heimat ist eng verbunden mit der Kultur des Wirtsvolks, in dessen Mitte wir ausgewachsen sind. Sprechen wir doch seine Sprache, singen wir doch seine Lieder." Bodenheimer, a. a. O., S. 108.

  41. 28. Sept. 1914 an Munun von Schwarzen-stein, Wk 11 adh. 2 AA. Auch Oppenheimer klagt über das deutsche Verhalten im besetzten Gebiet; a. a. O., S. 101 f.

  42. Bodenheimer, a. a. O., S. 187 f. Im Vergleich zu Europa trat das jüdische Element in der Prominenz Nordamerikas weniger in Erscheinung. Sombart hatte sich gerade deshalb gegen eine Unterschätzung des jüdischen Einflusses in Politik und Wirtschaft gewandt. Wenn man diesen Fragenkomplex nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ analysiere, dann ergebe sich, daß einige der wichtigsten Wirtschaftszweige in den Vereinigten Staaten unter jüdischer Kontrolle stünden; man gewinne überhaupt den Eindruck, „als ob die Columbusse nur die Geschäftsführer Israels gewesen seien”; Sombart, a. a. O., S. 32. Die zur Mittel-und Oberschicht zählenden Juden Amerikas waren fast ausnahmslos deutscher Herkunft, und ihr geschäftlicher Erfolg beruhte zu einem guten Teil darauf, daß sie die Verbindung mit ihren in Deutschland verbliebenen Anverwandten aufrechterhalten hatten. Dagegen lebte die Masse der jüdischen Einwanderer, die aus Rußland stammte und erst nach 1880 in Amerika Fuß faßte, noch in bescheidenen und oft ärmlichen Verhältnissen. Von beiden Gruppen glaubte man annehmen zu können, daß sie mit Deutschland sympathisierten. Zur Herkunft und Sozialstruktur des amerikanischen Judentums ausführlich: Arthur Ruppin, The Jews in the modern world (London 1934), bes. S. 48 f., 121 f.

  43. Am 26. Sept. 1914 richtete der zionistische Abgesandte Isaac Straus per Telegramm über die deutsche Botschaft in Washington die dringende Empfehlung an das Komitee, weitere Mitglieder aufzunehmen, damit es als Repräsentation des gesamten deutschen Judentums gelten könne. In einem Antworttelegramm, gleichfalls über die Washingtoner Botschaft, erhielt er die Mitteilung, daß eine Erweiterung „vorläufig untunlich'sei. Texte Wk 11 adh. 2 AA.

  44. Die deutschen Zionisten und ihre amtlichen Protektoren planten, durch propagandistische Maßnahmen die Zeichnung der in den Vereinigten Staaten aufgelegten gegnerischen Kriegsanleihen störend zu beeinflussen. Ihre Absicht war, innerhalb der New Yorker Bankwelt einen Gegenpol zu der bekannt ententefreundlichen Morgan-Gruppe zu schaffen. Als ein solcher Gegenpol kam das angesehene Bankhaus Kuhn, Loeb & Co. in Betracht, an dem sowohl Jacob Schiff als auch Paul Warburg maßgeblich beteiligt waren. Das Unternehmen mißlang kläglich. Jacob Schiff ließ verlauten, seine Firma werde sich zwar an der Aufbringung der alliierten Anleihen nicht beteiligen; er könne aber seinen Mitarbeiter keinerlei Vorschriften bezüglich ihrer privaten Kapitalanlagen machen. Wie Bachmetjew, der russische Botschafter in Washington, triumphierend nach Petersburg berichtete, zeichneten einzelne leitende Mitarbeiter des Bankhauses, darunter der Sohn von Schiff, hohe Summen; 7. Okt. 1915, Russ. Dok. II, 8, 2, S. 722. Die deutschen diplomatischen Akten bestätigen diesen Vorgang. Ganz ferngehalten von dem Geschäft habe sich unter den deutsch-jüdischen Banken nur das Haus Speyer & Co., meldete Bernstorff am 20. Okt. 1915 an Bethmann-Hollweg, und in diesem Ausnahmefall sei persönliche Animosität zwischen Morgan und Speyer im Spiel gewesen. Im übrigen habe auch James Speyer seit dem Lusitania-Vorfall den gesellschaftlichen Verkehr mit Reichsdeutschen vermieden. Wk 11 adh. 2 AA. Andererseits hielt Schiff Verbindung zu Staatssekretär Bernhard Dernburg, der im September 1914 als Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes in die Vereinigten Staaten eingereist war, und wirkte auf einen baldigen Friedensschluß hin; der russische Botschafter in London an den Außenminister, 27. Nov. 1914, Russ. Dok. II, 6, 2, S. 482.

  45. 19. Okt. 1914, Wk 11 adh. 2 AA.

  46. Nahum Sokolow, Geschichte des Zionismus, Der Zionismus während des Krieges (Wien, New York o. J.), S. 7 f. Soweit ich sehe, wird in den Schilderungen von jüdischer Seite das Wort Bruderkrieg oder Bürgerkrieg vermieden, obwohl sich Autoren wie Bodenheimer, Oppenheimer, Licht-heim und Dränger in der Interpretation dieser Geschehnisse mit Sokolow durchaus einig sind. In der jüngst von Alan E. Taylor vorgelegten Studie: Prelude to Israel, An analysis of Zionist diplomacy, 1897— 1947 (New York 1959), wird der Zwiespalt, in dem sich der Zionismus befand, während des Krieges als eine internationale Bewegung völlig ignoriert. Uber den Kriegsausbruch heißt es (S. 9): „Immediately, England became the uppermost concern of the Zionist Organisation“; eine Behauptung, die in dieser Form unter keinen Umständen aufrecht erhalten werden kann. Ebenso-wenig läßt sich sagen, daß der Zionismus den Sieg der Alliierten und ein britisches Mandat über Palästina angestrebt habe (S. 12). Lichtheim, dessen Buch von Taylor nicht herangezogen worden ist, hat schon 1954 vor einer derartigen Fehldeutung gewarnt: „Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, daß Dr. Weizmanns Bemühungen in England, die später zur Balfourdeklaration führten, zunächst in seinem eigenen Namen und gestützt auf einen kleinen Kreis englischer Zionisten, also nicht im Namen der Zionistischen Organisation und ihrer vom Kongreß gewählten Organe unternommen wurden“; a. a. O., S. 209.

  47. Hutten-Czapski, a. a. O., Bd. 2, S. 156, schreibt, daß er seine Absicht erst „nach langwierigen Verhandlungen“ durchgesetzt habe. Gerade das Militär zeigte für diese Methode wenig Verständnis.

  48. Es sei summarisch auf die zahlreichen Entwürfe Bodenheimers aus dem August 1914 verwiesen; Wk 11 adh. 2 AA.

  49. In seinen Erinnerungen bemerkt Bodenheimer, daß Hutten-Czapskis Entgegenkommen sich darin erschöpft habe, ihn bei Bergen einzuführen; a. a. O., S. 196.

  50. „Es wäre leichtfertig gewesen, die jüdische Bevölkerung zu irgendwelchen Unternehmen zu veranlassen, ehe wir die Gewißheit hatten, daß ein Rückzug der deutschen Truppen nicht zu befürchten sei“; a. a. O., S. 194.

  51. Szögyeny an Berchthold, 17. Aug. 1914, PA 1/899 HHStaA; s. Anhang Nr. 16. Mitarbeiter Hutten-Czapskis in dieser Angelegenheit war Georg Cleinow, der Herausgeber des „Grenzboten" und Leiter der Ostdeutschen Auskunftsstelle; Hutten-Czapski, a. a. O., Bd. 2, S. 156.

  52. Erstmalig erwähnt in einem Bericht über die Sitzung vom 21. Aug. 1914, Wk 11 adh. 2 AA.

  53. Zeitungsausschnitt " Berliner Tageblatt“ vom 1. Sept. 1914, Wk 11 adh. 2 AA. Jiddische Version im Auszug bei Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1 (1928), S. 418 f.

  54. Bodenheimer an Stellvertretenden Generalstab, 20. Aug. 1914, a. a. O.; s. Anhang Nr. 14.

  55. Instruktiv ein Brief an Bergen vom 14. Aug., LKI adh. 2 AA. Das Zitat findet sich in dem Gn. adm. Um. ann am 28. Sept. 1914 zugesandten Material,

  56. nach den . Richtlinien des Judo Chen. Komitees zur Befreiung der russischen ton en I ebenfalls in dem für Hammann bestimmten Matenal, a. a. O.; s. Anhang Nr. 15.

  57. Anläßlich eines Rechenschaftsberichtes bezeichnet Bodenheimer als das Ziel des von ihm vertretenen Kreises die „Losreißung der westlichen und südwestlichen Provinzen Rußlands“ und die soziale, wirtschaftliche und politische Befreiung der Juden; in der Dokumentenmappe Hammann, a. a. O.

  58. Oppenheimer, a. a. O., S. 101. Daß man damit manchem Deutschen etwas Neues sagte, beweist die Reaktion des Herrenhaus-Mitgliedes Graf Oppersdorf: . Das ist eine Revelation; das muß Majestät sehen!“ Schon 1898 hat Bodenheimer in einer Denkschrift an das Auswärtige Amt denselben Gedanken vorgetragen; Bodenheimer, a. a. O., S. 183 f.

  59. Oppenheimer, a. a. O., S. 226.

  60. Ein erstes Resümee Bodenheimers, das diesen Programmpunkt enthält, wurde Bergen am 19. Aug. 1914 zugesandt; Wk 11 adh. 2 AA.

  61. Oppenheimer, a. a. O., S. 235.

  62. Bodenheimer, a. a. O., S. 194; im selben Werk, S. 197, der Text der von Hindenburg abgegebenen Erklärung.

  63. Jagow an Zimmermann, 9. Nov. 1914 Wk 11 adh. 2 AA.

  64. In einer handschriftlichen Notiz, die von Langwerth stammt, wird Bodenheimer als „großer Wichtigtuer und Phantast" gekennzeichnet, wenngleich seine persönliche Integrität nicht in Zweifel gezogen wird. Aus anderen Gründen, nämlich seiner sozialreformischen Forderungen wegen, galt Oppenheimer als „Utopist". Seiner isolierten Stellung innerhalb der Fachwissenschaft war er sich voll bewußt: „Meine Hand war gegen jedermann, und Jedermanns Hand war gegen mich”; a. a. O., S. 253.

  65. Bodenheimer, a. a. O., S. 187.

  66. Bodenheimer, a. a. O., S. 188 f.

  67. Bodenheimer, a. a. O., S. 200 f.

  68. Dies ist eine Formel, wie sie nahezu gleich-lautend - auch dies spricht gegen die These Taylors - in den Äußerungen der zur Entente neigenden Zionisten auftritt. Ein Essay David Ben Gurions aus dem Sept. 1915, das unter dem Titel „Earning a homeland“ in New York erschien, enthält die Sätze: „. . . when the war is over, when spokesmen of the Victors assemble to decide the fate of States and nations, then let representatives of the Jewish people be there too . . . The Land of Israel will be ours not when the Turks, the English, or the coming Peace Conference so agree and set their signatures to a treaty to that effect, but rather when we Jews ourselves build it"; David Ben Gurion, Rebirth and destiny of Israel (New York 1954), S. 3 f. Aus wessen Hand man das Land entgegennehmen wird, bleibt offen. Die - mit Sicherheit anglophile - Einstellung Ben Gurions ist aus diesen Zeilen nicht zu erschließen.

  69. In seinen Erinnerungen berichtet Bodenheimer, erst der uneingeschränkte U-Boot-Krieg und der Kriegseintritt Amerikas hätten ihn anderen Sinnes werden lassen; Bodenheimer, a. a. O., S. 214 f.

  70. Bodenheimer, a. a. O., S. 205, 214.

  71. Bericht über Heinzes vom 6. Auq. 1914 (pr. 15. Aug.) Wk. Ila AA.

  72. Vgl. Peter Horban, Die Mittelmächte und die Ukraine im ersten Weltkrieg. Phil. Diss. masch.sehr. Heidelberg, (1958), und S. Reshetar jr„ The Ukraininian revolution, 1917— 1920, A study of nationalism, (1952), S. 12 f.

  73. Ber. Heinzes vom 16. Aug. Wk Ila AA.

  74. Smith a. a. O., S. 8 f.

  75. Paul Rohrbach, Rußland und wir; in; Voss. Ztg., 25. Dez. 1914; zitiert nach Otto Hoetzsch, Russische Probleme (1917), S. 24 f.

  76. Haller, Das ukrainische Problem; in: Die osteuropäische Zukunft (1916), H. 1., S. 3 nach Horban a. a. O. Vgl. auch Klaus Meyer, Theodor Schiemann als politischer Publizist (1956).

  77. Conze, der seinem Thema entsprechend sich auf das polnische Problem beschränkt und daher das sehr umfangreiche Material zur ukrainischen Frage nicht herangezogen hat, meinte noch, daß sich das AA bald von den ukrainischen Plänen zurückgezogen habe; a. a. O., S. 63.

  78. Ausführlicher Bericht Konsul Heinzes aus Lemberg an das AA vom 6. Aug. 1914 (pr. 15. Aug.), Wk Ila AA.

  79. Bericht Heinzes vom 9. Aug. 1914 (pr. 11. Aug.), Wk Ila AA. Allerdings mag Heinze die Dinge für weiter fortgeschritten gehalten haben, als sie es tatsächlich waren.

  80. Zum Folgenden: Tel. Heinzes, von Tschirschky am 7. Aug. an AA übermittelt (pr. 8. Aug.), weiterhin die Berichte Heinzes vom 6. und 9. Aug. 1914, sämtlich Wk Ila AA. Heinze bringt deutlich das Mißtrauen der Ruthenen gegenüber hemmenden polnischen Einflüssen zum Ausdruck.

  81. Jagow an Tschirschky, 11. Aug. 1914, Wk Ila AA.

  82. Tschirschky an AA, 2. Febr. 1915, 9. und 10. Aug. 1914; Heinze an AA, 9. Aug. 1914; 9. Aug. 1914, Wk Ila AA.

  83. Jagow am 31. Aug. 1914 aus dem Großen Hauptquartier an Zimmermann, Wk Ila AA.

  84. Jagow an Tschirschky 11. Aug. 1914, a. a. 0 ferner die Entgegnungen Tschirschkys vom 13. und 16. Aug., Wk Ila AA.

  85. Randvermerk Zimmermanns auf Schreibe von Jagow vom 22. Aug. 1914, Wk Ila AA.

  86. Siehe Beyer, a. a. O., S. 3.

  87. Zimmermann an Reichskanzler, 28. pAu 1914, Wk Ila AA; Hutten-Czapski, a. a. O., Ba. -S. 152; Beyer, a. a. O., S. 4 f.

  88. Zimmermann an Reichskanzler, 28. „Au a. a. O., und an Tschirschky, 8. Sept 1914, Wk i AA. 38

  89. Tel. Tschirschky vom 9. Aug., a. a. O.; Jagow an Tschirschky, 11. Aug., a. a. O.; für Zimmermann aus seiner Haltung Ende Aug. zu schließen.

  90. Heinze rührt dieses Problem in seinem Bericht vom 22. Aug. 1914 (pr. 29. Aug.) an; Wk Ila AA.

  91. Bericht Heinzes vom 16. Aug. 1914 (pr. Aug.), Wk Ila AA.

  92. Reshetar, a. a. O., S. 18 f.

  93. Bericht Heinzes vom 16. Aug., a. a. O.

  94. Heinze war deshalb damit befaßt, die Einheit herzustellen, was ihm mühsam gelang; Berichte vom 16. u. 27. Sept. 1914, Wk Ila AA.

  95. Ebenda. Detailliert über die Spannungen Heinze am 22. Aug., a. a. O., der nach . mehr rechts'und . revolutionär" enteilt und kirchliche Gegensätze zwischen Orthodoxen und Katholiken feststellt.

  96. Besonders sei die ukrainische Nationalbewegung in den Jahren unmittelbar vor dem Krieg in die Illegalität gezwungen wurde.

  97. Darstellung bei Borys Krupnyckyj, Geschichte der Ukraine von den Anfängen bis zum Jahre 1920 (2. Ausl. 1943), S. 274 f., und Michael Hrusheysky, A History of Ukraine (1941), S. 514 ff.

  98. Hrushevsky, der vielleicht bekannteste der * 914 nach Sibirien verbannte Ukrainer, bezeichnet das österreichische Galizien als die Quelle der kulturellen Entwicklung für das gesamte Volkstum “ the source of its cultural growth"; Hrushevsky, a. a. 0. S. 514.

  99. Die Festnahme Szeptyckis wurde mit der dehauptung motiviert, er sei Spion; der Direktor es diplomatischen Büros beim russischen Hauptquartier an den Direktor der Kanzlei des russischen Außenministeriums, 29. Juni 1915; Russ. Dok., Bd. 8, 1, Nr. 207, S. 185 f.

  100. Hierzu die aufschlußreiche Debatte: Giesl an Hoyos 2. Sept., Hoyos an Giesl 3. Sept., Giesl an Hoyos 3. Sept., Hoyos an Giesl 11. Sept. 1914, PA 1/902 HHStaA. Heinze am 26. Sept, an AA: „Es hat keinen Zweck zu behaupten, daß die russische Propaganda in Galizien spärliche Früchte getragen habe . . .'; Wk Ila AA.

  101. Korrespondenz Giesl-Hoyos, a. a. O.

  102. Ebenda.

  103. Privatschreiben Hoyos an Giesl, 11. Sept, 1914, a. a. O.

  104. Gründliche Ausarbeitung Heinzes vom 27. Sept. 1914, Wk. Ila AA.

  105. Krupnyckyj, a. a. O., S. 274.

  106. So wird im August 1914 dem AA mitgeteilt, daß angeblich die Schwarzmeerflotte meutere und Odessa in Brand gesteckt worden sei. Ein ähnliches Gerücht wird dem Reichskanzler im Januar 1915 durch die Gesandtschaft in Sofia übermittelt. Bek desWkllaAA. ,

  107. Berichte Heinzes vom 9. und 16. Aug. 1914, a. a. O. Der Bund zur Befreiung der Ukraine erinnerte direkt an das Revolutionsjahr 1905.

  108. Wangenheim an AA, 15. Okt. 1914, PA 1/902 HHStA.

  109. Hoyos an Pallavicini-Konstantinopel, 9. Okt. 1914, PA 1/902 HHStA.

  110. Tschirsdiky an AA, 20. Aug. 1914, Wk Ila

  111. Konsul in Bukarest, Tjaben, an AA, 5. Okt. 1914, Wk Ila AA. Der Konsul verweist auf frühere Polen-Vorschläge von Roselius. U. a. versuchte Roselius in Rumänien große Mengen Getreide für die deutsche Regierung aufzukaufen; auch dieses Unternehmen scheiterte; vgl. die Telegramme Hohenlohes an Burian vom 16. und 19. Jan. 1915, PA 1/978 HHStA.

  112. Bericht von Roselius an Gesandtschaft Bukarest vom 5. Mai 1915, Wk Ila AA.

  113. Zimmermann am 6. Okt 1914 an v. d. Bussche-Bukarest für Roselius, Wk Ila AA.

  114. Uber die Tätigkeit Zimmers an Romberg, Akten der Gesandtschaft Bern; dort auch Nachricht über Zimmer von Bergen an Schubert, 13. Aug. 1915.

  115. Privatschreiben Hoyos an Hranilovich, 8. Nov. 1914; Hoyos an Giesl, 9. Nov. 1914; beides PA 1/902 HHStA.

  116. Siehe Gespräch Rombergs mit Zimmer; 23. Juli 1915, a. a. O.

  117. Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. Okt. 1914, PA 1/902 HHStA; auch Hoyos an Giesl, 7. Okt 1914, ebda.

  118. Bericht von Roselius über Zimmer vom 14. Feb. 1915, Wk Ila AA.

  119. Hoyos an Giesl, 9. Nov. 1914, a. a. O.; Hoyos an Pallavicini, 16. Nov. 1914, PA 1/902 HHStA

  120. Hohenlohe an Ministerium des Äußern, 13. Okt. 1914; Hoyos an Gesandten im Haag, Giskra, 11. Okt. 1914; Giskra an Ministerium, alles PA 1/902 HHStA. Giskra stößt auf die „unbegrenzte Angst" holländischer Schiffahrtskreise; sein Vorschlag, auf englische Ägäisfahrer zurückzugreifen, stellt allerdings nur eine Verlegenheitslösung dar.

  121. Tel. Hohenlohes an das Wiener Ministerium vom 2. Nov. 1914.

  122. Vom 16. Nov. 1914, PA 1/902 HHStA.

  123. Prsyatschreiben Hoyos an Hranilovich, PA ,

  124. In seinem Schreiben an Bergen vom 14. Feb. 1915. a. a O., trägt Roselius seine Bedenken im einzelnen vor: „Ihr Programm ist derartig radikal . . ., daß überlegt werden müßte, ob die deutsche Regierung prinzipiell sich in offizielle Verhandlungen mit den Leuten einlassen kann.“

  125. Dazu das Memorandum der ukrainischen parlamentarischen Vertretung vom Februar 1915, Wk Ila AA, in dem es unter Punkt 1 heißt: „Alle politischen Parteien des ukrainischen (ruthenischen) Volkes stehen unwandelbar treu bei Österreich, und alle nationalen Parteien sind bestrebt, dem ukrainischen (ruthenischen) Volke auf legaler Basis, insonderheit innerhalb der Grenzen Österreichs, eine freie Entwicklung auf kulturellem, wirtschaftlichem und politischem Gebiete zu sichern.“

  126. Rückblickend charakterisiert Roselius die österreichische Haltung folgendermaßen: „Wenn die Befreiung der russischen Ukraine und die Einverleibung in den österreichisch-ungarischen Staat heute schon sicher wäre, so würde sich die österreichisch-ungarische Regierung die Arbeit des Bundes vielleicht gefallen lassen haben. Da aber die ukrainische Angelegenheit doch noch eine sehr unsichere ist . . .“ und bei einem möglichen Frieden mit Rußland u. U. die „ukrainischen Interessen preiszugeben" seien, könne man sich keine 41/: Millionen beunruhigter Staatsbürger leisten. Roselius an Bergen, 14. Feb. 1915, a. a. O.; ebenso urteilt Tschirschky am 24. Febr. 1915, Wk Ila AA.

  127. Schreiben des Wiener Außenministeriums an den Bund zur Befreiung der Ukraine vom 22. Jan. 1915; Tschirschky an AA, 8. Jan. 1915; beides Wk Ila AA. Deutsche Billigung: Botschaft Wien an Hoyos, 13. Jan. 1915, PA 1/902 HHStA. Sobald allerdings Melenewsky nach Konstantinopel gegangen und die unmittelbare Gefahr für die Habsburger-Monarchie abgewendet war, setzte sich'gerade Wien „nachdrücklichst“ für dessen Ziele ein; Telegramme Hoyos an Pallavicini und Hohenlohe, 20. Nov. 1914, PA 1/902 HHStA.

  128. Daniloff, Rußland im Weltkrieg 1914/15, (1925) deutsch S. 389.

  129. Zum folgenden: Firuz Kazemzadeh, The struggle for Transcaucasia (1917— 1921), (1951) und das dort angeführte Schrifttum.

  130. Tel. Romberg an Ausw. Amt, 19. Aug. 1914 und vom 26. Aug. mit Meldungen des Konsuls in Genf. Wk 11 d AA.

  131. Tel. Wangenheim an Ausw. Amt, 8. Sept.; Wk 11 d, Tel. Wangenheim an Ausw. Amt, 12. Sept. Wk 1 Id; Bericht Wangenheims an den Reichs-kanzler 28. Nov. und G. A. Wesendonks vom 13. Dez. 1914 Wk lld, geh. AA.

  132. Eisendecher, preuß. Gesandter in Karlsruhe, an Bethmann-Hollweg, 22. Sept. 1914, Wk lld AA. M. erhielt auch ein Einführungsschreiben an Jagow von dem bekannten Nationalökonomen Adolf Wagner, der ihn in Heidelberg bei einem ihm befreundeten Großindustriellen aus Tiflis kennen gelernt hatte. Adolf Wagner an Jagow; pr. 28. Sept., Wk lld secr. AA.

  133. Vgl. W. K. V. Korostowetz, Lenin im Hause der Väter (1928). S. 171 f (Ende Dezember?) wohl auf Grund von Material des Suchomlinowprozesses. Von dem Georgier Dumbade, der mit Spielmaterial des deutschen Generalstabes zurückgekommen sei, ist noch zu berichten.

  134. Ausw. Amt an Kriegsministerium 29. Sept, geh. Eilt sehr. Wk lld AA.

  135. a. a. O.

  136. G. A. Wesendonk vom 13. Dez. Wk lld AA.

  137. Bericht Wangenheim an Reichskanzler vom 30. Dez. 1914 geh. Wk lld AA.

  138. Nadolny G. A. vom 25. März 1915, Wk 11 d. — Der Oberleutnant d. R. Nadolny vom Ausw. Amt (der spätere Botschafter der Weimarer Repuplik in Moskau und in der Türkei) wurde am 5. Nov. 1914 in der Sektion Illb des stellvertretenden Generalstabes mit der Leitung der bisher von verschiedenen Stellen aus gefördeten, nun aber zentral zu leitenden Unternehmungen beauftragt, die „auf privatem Wege, aber mit Unterstützung aller zuständigen Behörden" durchgeführt werden sollten. Der Charakter der Unternehmungen erhellt auch aus einer Notiz des Leutnants von Boettinger vom stellv. Generalsab vom 21. Sept. 1914 (Wk 111), daß der Generalstab die ganzen Unternehmungen zwar in die Wege geleitet und begünstigt (habe), aber bei ihrer weiteren Betreibung möglichst wenig in Erscheinung zu treten (wünsche)“. Nadolny selbst schrieb rückschauend in seinem Buch, er habe „alle Unternehmungen im Auslande, die der Unterstützung unserer Kriegs-führung dienten", geleitet; die Hauptunternehmungen, die zusammen mit dem Ausw. Amt bearbeitet wurden, seien gewesen: „die Freiheitsbewegungen in Finnland, Irland und in Arabien, sowie die Bedrohung Indiens". (Rudolf Nadolny, Mein Beitrag (1955), S. 40 ff.).

  139. Bericht Wangenheims vom 28. Nov., a. a. O.

  140. Die von Oppenheim Ende Okt. 1914 angefertigte umfangreiche Denkschrift betreffend „Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde" wurde von ihm selbst als das „beste Nachschlagewerk" über alle deutschen Aktionen bezeichnet. Sie wurde auch an die Botschaft in Konstantinopel geschickt und ein Exemplar ging auch an Kaiser Wilhelm II. — Max von Oppenheim, der bekannte Orientalist, war 1896 als Legationssekretär beim Generalkonsulat in Kairo tätig gewesen und hatte im Rahmen einer umfangreichen Berichterstattung Ende der 90er Jahren die Einrichtung einer Zentralstelle des Ausw. Amtes in Kairo zur „besonderen Beobachtung“ der Verhältnisse und Bewegungen in der mohammedanischen Welt“ vorgeschlagen. Nun wurde er im September 1914 im Ausw. Amt Leiter eines solchen Büros und konnte dabei auf wiederholte Eingaben zurüc greifen, die er seit Kriegsausbruch gemacht hatte. (Orient. Gen. Nr. 9 AA). Oppenheim wurde damit zu einer zentralen Figur der deutschen Orient-Kriegspolitik.

  141. Bericht Wangenheims vom 30. Dez. 1914,

  142. G. A. pr. 10. April 1915 über Besprechung Hauptmann Nadolny, Hauptmann Wolpmann, Louis Mosel, von der Botschaft, Matschabeli und Tseretreli, Wk lld secr. AA. Vgl. auch Jäckh-Denkschrift s. unten.

  143. Zimmermann an Wangenheim 19. April 1915 Wk lld. AA.

  144. Auch zu folgendem die intensive Studie vom Gotthard Jäschke, Der Turanismus der Jungtürken, Zur osmanischen Außenpolitik im Weltkriege, in: Die Welt des Islam, Bd. 23 (1942), S 13. S. 15 und S. 10 ff. Vgl. Kazemzadeh a. a. O., S. 25/6.

  145. Jäschke a. a. O., S. 12; Zenkovsky, Pan-Turkism and Islam (1960) S. 128/9. „Volksgenossen“ bei Jäschke wird von Zenkovsky mit „alle unsere verwandten Völker" übersetzt.

  146. Jäschke a. a. O.

  147. Felix Guse, Die Kaukasusfront im Weltkriege (1940), S. 35.

  148. Denkschrift Oppenheim a. a. O., S. 50/2 und 54.

  149. Tel. Wangenheim an Ausw. Amt, 9. Aug. nach einem Besuch des Marschall Fuad, der seinen Einfluß auf die T cherkessen zur Verfügung stellte und die Botschaft „mit den hiesigen tscherkessischen Revolutionären" in Verbindung brachte. Wk 11 d AA. Uber seinen Versuch, mit der Gründung eines Kaukasischen Komitees, dem auch Fürst Mat-schabeli angehörte, Gegensätze zu überbrücken s. Jäschke, Zwei Denkschriften der Kaukasustürken von 1915, in: Die Welt des Islam, Bd. 24 (1942), S. 132 ff.

  150. Bericht Wangenheims vom 28. Nov. a. a. O.

  151. Zusammenfassender Bericht von Ernst Jäckh, Nachrichtenbüro des Reichsmarineamtes über „Die Organisation in Konstantinopel zur Revolutionierung feindlicher Gebiete". Berlin, 3. Jan. 1915. Er war das Ergebnis seiner „Verhandlungen in Konstantinopel“ in der Zeit vom 12. bis 22. Dez. 1914 mit dem 1. Dragoman Dr. Weber, dem Militärattache Major von Laffert und Oberst Halil Bey, einem Onkel von Enver Pascha, der im Kriegsministerium die islamische Organisation bis in die letzte Dezemberwoche leitete. Auch zum Folgenden.

  152. Kazemzadeh a. a. O., S. 15 und S. 20 f., Zenkovsky, a. a. O., S. 100 f. Vgl. auch Hugh Steon-Watson, Der Verfall des Zarenreiches, 1855 bis 1914, deutsch, München 1954, S. 34.

  153. Nach einem Bericht eines aserbeidschanisehen Beamten der persischen Regierung. Empire de Perse, Ministere des Affaires Etrangeres: Neutralite Persane Documents Diplomatiques. 30. Sept. 1914— 22 Mars 1915, (1919), Nr. 25, S. 14, Schreiben vom 17. Okt. 1914.

  154. Tel. Wangenheim an AA. vom 29. Aug. 1914 Wk lld AA. „Ich habe Anerbieten angenommen und erbetene Zusicherung erteilt“, meldete Wangenheim und fügte hinzu, daß auch nach den Äußerungen des Marschall Fuad die Revolutionäre darauf bauten, bei späterer Abrechnung nicht der Rache Rußlands ausgeliefert zu werden. Mehmed Fazil Pascha besuchte Ende Januar 1918 wieder das deutsche Konsulat in Damaskus mit dem Hinweis, daß sein Name noch immer eine Macht unter den Mohammedanern der kaukasischen Berge sei. Schulenburg hegte aber außer seiner besonderen Kenntnis der Verhältnisse Zweifel darüber, zumal einige Söhne Schamils von den Russen gekauft und andere, die bereits vor fünfzig Jahren nach der Türkei ausgewandert seien, wie der Pascha, in ihrer alten Heimat ganz unbekannt wären. Bericht Schulenburgs; Konsulat Damaskus, 1. Febr. 1918, Ruß-land a. a. O.

  155. Vgl. auch Jäschke a. a. O., S. 16 und Paul Leverkuehn, Posten auf ewiger Wache, Aus dem abenteuerreichen Leben des Max von Scheubner-Richter, (1938), S. 32 ff. Gerhard v. Mende, Der nationale Kampf der Rußlandtürken (1936).

  156. Vgl. Ulrich Gehrke, Persien in der deutschen Orientpolitik während des Ersten Weltkrieges, (1960), I. S. 43 ff.

  157. Vortragsaufzeichnung Woronzow-Daschkow für Nikolaus II., 10. Juni 1914. Russ. Dok. Bd. 3, Nr. 203, S. 188.

  158. Der Rat der 3. Pol. Abt. an den russ. Gesandten in Teheran, 9. Aug. 1914. Russ. Dok. Bd. 6, I, Nr. 40, S. 26.

  159. Der Rat der 3. Pol. Abt. an Botschafter Giers in Konstantinopel, 23. Sept. 1914, Russ. Dok. 6, I, Nr. 298, S. 227 ff. und Tel. Woronzow-Daschkow vom 24. Aug. und 20. Sept. a. a. O., S. 228, Anm. 1 - Zu ihrer Verwunderung wurden die Russen dann bereits im Oktober von den Kurden bei Urmia angegriffen. Woronzow-Daschkow an Sosonow 19. Okt. und Sasonow an Woronzow-Daschkow, 23. Okt., Russ. Dok. II, 6, I, S. 319 und 326.

  160. OstkircBheenrto(l 1d 948S), pSu. le 1r 2, 8 fDf. ie Gegenwartslage der

  161. Kazemdadeh S. 226; Tschalkhouchian s. 14 f. Vgl. auch W. E. D. Allen and Paul Muratoff, Caucasian Battlefields (1953). Danach (S. 242) gab es sim Ausbruch der Feindseligkeiten in der russismen Kaukasusarmee vier armenische Einheiten I shina) von etwa 1 000 Mann und später mehr, P gut. gefochten hätten. Auch zwei georgische reiwiligenverbände werden erwähnt.

  162. Armenier op ™ fand eine freiwillige . Eingeborenendivision'AXendie A vgl. anTdü! rkTenchaalukhfgoercshteiallnt, hSa. tt 2e 6nf. f. Rußland 61, , 51 Woronzow-Daschkow an Sasonow 19. Okt., Rn Sasonow an Woronzow-Daschkow 23. Okt., aa o Dok., 6, I, *S-I 2* 5331* 92* 54und 326. s-auch Gehrke: Quell 1 20 und II. 3 und die dort angeführten Nostenaus: Empire de Perse, Min. d. Aff. Etrang., 1915, (1919) 6, Doa Dipl, 30. Sept. 1914 bis 22. März

  163. Uber die Organisation „Daschnaktsutiun" aae dadeh a. a. O., S. 9 ff., auch Seton-Watson a. a. 0. S. 145 und 215.

  164. Jäschke a. a. O., S. 15 und Kazemdadeh a. a. O.

  165. Sasonow an Ministerpräsidenten Goremykin, 30. Aug. 1914 (Russ. Dok. Bd. 6, Nr. 191, S. 144 und Schreiben des russischen Statthalters im Kaukasus Woronzow-Daschhow an den Katholikos, Anfang Sept. 1914, abgedr. bei Tschalkhouchian, S. 13.

  166. Nicht abgesandter Brief des Rates der 2. pol. Abt. an den Beamten für Grenzfragen beim Siatthalter in Kaukasus. Russ. Akt Bd 6, II, Nr. 647, S. 55 ff. (undatiert, jedoch vor dem 2. Dez. 1914 verfaßt). Dazu präzisierte der Katholikos Ende Dez. in einer Rede die Forderung der Befreiung der türkischen Armenier und Gründung eines autonomen Staates unter russischem Protektorat. Text bei Tschalkhouian, S. 14 f.

  167. Woronzow-Daschkow an Nikolaus II., 10. Okt. 1912 nach Krasny. Archiv. Bd. 26, (1928), S. 118/9 bei Walter Kolarz, Die Nationalitätenpolitik der Sowjetunion, (1956), S. 253. - Es sei erwünscht, »sowohl mit den Armeniern wie mit den Kurden engste Beziehungen zu unterhalten, um sie in jedem gegebenen Moment ausnutzen zu können, wenn ein Bruch mit der Türkei eintritt“. Sasonow an Goremykin. 30. Aug. 1914. a. a. O.

  168. Woronzow-Daschkow an Sasonow 20. Feb. 1915. Russ. Dok. Nr. 231, 7, 1, S. 215 f, sowie der Gehilfe des russischen Außenministers an den Botschafter in London, 10. April 1915. Russ Dok. Bd. 7, II, Nr. 507, S. 508.

  169. Tel. nach Paris und London vom 22. Febr. 1951, ablehnende Antwort Iswolskis vom 2. März. Russ. Dok. 7, 1, S. 216 Anm.

  170. Tel. Generalkonsul Kairo 22. Febr. 1915 und in Sofia von 6. März. 1915. Russ. Dok. 7, 1, S. 215 u. 216.

  171. B. Nikitine, Une petite nation victime de la guerre: Les chaldens, Revue des Sciences Politique, Bd. 44 (1921), S. 602 ff.

  172. Vgl. Leverkühn a. a. O.

  173. Bericht Schulenburgs (Konsulat Damaskus)

  174. Dazu Schreiben Erzbergers an Zimmermann, 24. Sept. 1914, mit Empfehlung von Dr. Schwarz, der besonders geeignet sei, Sabotageakte auf die russischen Ollager in Baku und Batum zu organisieren. Tel. Wangenheim an AA. vom 15. Okt. 1914, auch eine Untenehmung gegen die sibirische Eisenbahn. Sämtlich Wk 11g AA. Vgl. auch Leverkühn S. 22. Es handelt sich um den bekannten späteren deutschen Konsul in New York. Auch Oppenheim empfahl in seiner Denkschrift Anschläge auf die Ölquellen, aber . kurz vor dem Einmarsch der Türken, in der Zeit, zu welcher die Revolution ausbrechen soll'. (S. 55).

  175. Privatbrief des Gesandten in Bukarest v. d.

  176. Tel. Konsul Tjaben (auf Grund von Verhandlungen von L. Roselius) an Ausw. Amt vom 25. Sept. 1914. Es folgen weitere Angebote, dieser Art, die dann aber vom Generalstab abgelehnt werden, z. B. das Angebot eines jüdischen . Fanatikers', gegen Zahlung von 100 000 Rubel sämtliche Eisenbahnen und Brücken Bessarabiens zu sprengen; bei Zahlung weiterer Gelder sei zu erreichen, daß in den Munitionsfabriken von Kiew die Kartuschen nur mit einem Viertel des erforderlichen Sprengstoffes gefüllt würden. (Tel. Tjaben an AA, 17. Okt. 1914). Sämtlich Wk Ila AA.

  177. Abrechnung Rombergs vom 8. Dez. 1914. Wk 11 Allg. AA. Tel. Jagow an Romberg, 26. Nov. 1914 Wk 2 geh. AA.: „Einverstanden mit Entsendung des Rabbi, doch darf er uns keinesfalls kompromitieren oder irgendwie Auftrag *verraten.

  178. Bayimirza Hayit, Turkestan im 20. Jahrhundert, (1956), S. 28. Tegl. A. Zenkowsky a. a. O. und Richard A. Pierce, Russian Asia 1869— 1917, (1960).

  179. Hayit a. a. O., S. 46.

  180. Neben Hayit, Zenkowsky, Pierce jetzt: Die Aufstände des Jahres 1916 in Mittelasien und in Kasachstan, Sammlungen von Dokumenten (Moskau 1960) (russisch).

  181. E. D. Sokol, The Revolt in Russian Central Asia, (1954), S. 75.

  182. S.den bereits oben angeführten zusammenfassenden Bericht über die Organisation zu Revolutionierung feindl. Gebiete in Konstantinopel, von Ernst Jäckh vom 3. Jan. 1915, Wk 11c geh. AA.

  183. Tel. Romberg an Ausw. Amt, 26. Jan. 1915, Wk 11c geh. AA.

  184. Aufz. Taggers, Anlagen zum Bericht Rom-bergs an den Reichskanzler vom 20. Febr. 1915 Wk 11c geh. AA.

  185. Darüber noch in einem späteren Kapitel.

  186. „Überblick" vom 16. Aug. S. Anlage Nr. 13.

  187. Aufz. Taggers a. a. O.

  188. Tel. Zimmermann an Botschaft in Kostantinopel vom 13. März. Wk 11c secr. AA.

  189. Tel.des General-Gouverneurs des Bezirkes Turkestan A. N. Kuropatkin an den Kriegsminister. Russ. Sammlung, Die Aufstände, a. a. O. Das heißt aber keineswegs, daß der Aufstand von 1916 durch die Deutschen entfesselt worden ist (darüber später).

  190. Hierzu und zum Folgenden: Gehorsame Anzeige Wesendonks vom 4. März 1915 11c geh. AA. S. Anlage Nr. 20. über Nikolai Vasilevich Kusnetzow: Olga Hess-Gankin an H. H. Fisher, The Bolsheviks and the World War (1940), S. 790. Danach war K. beim Kriegsausbruch zunächst zur franz. Armee eingezogen.

  191. Darüber in einem folgenden Kapitel.

  192. Bericht Steinwachs vom 25. Jan. 1917 aus Stockholm, und Schreiben von Hülsen, Sektion Politik Berlin des Generalstabes vom 18. Jan. 1917 an das Ausw. Amt, Wk 11c geh. AA.

  193. Tel. Reichenaus vom 28. Dez. 1914 aus Stockholm in Übermittlung eines Telegramms Bernstorffs aus Washington vom 22. Dez. in Übermittlung eines Tel.des Geschäftsträgers in Peking. Wk. 11 m sec AA.

  194. Der russ. Vizekonsul in Hailar an Sasonow, 13. April 1915, Russ. Dok„ II, Bd. 7, 2, S. 518, und ders. an den russ. Gesandten in Peking, 18. Sept 1915, Russ. Dok. II, Bd. 8, 2, S. 672.

  195. Tel. Reichenaus v. 28. Dez. a. a. O.

  196. Tel. Lucius aus Stockholm v. 22. Febr. 1915 in Übermittlung eines Telegramms Bernstorffs aus Washington vom 20. Febr. in Oberm, eines Tel. von Hintze aus Peking. Wk Ilm sec. AA.

  197. Falkenhayn an den Militärattache in stantinopel, Febr. 1915. Wk 11g a A.

  198. Idi verweise auch hierzu auf die als Buch erschienene Dissertation meines Schülers Ulrich Gehrke, Persien in der deutschen Orientpolitik während des Ersten Weltkrieges (1960), Bd. I, S. 2 und S. 318 und Bd. I, S. 56, Bd. II, S. 45.

  199. Denkschr. Oppenheim a. a. O., S. 133/4.

  200. Nadi bei den Akten abgehefteten Zeitungsausschnitten.

  201. Prinz Hohenlohe an den Minister des Ausw. Czernin, 8. März 1917, HHStA. — Als ein Beispiel sei hier angeführt: Ende 1914 drangen Gerüchte über das bevorstehende Eingreifen eines japaniseihen Expeditionskorps auf dem europäischen Kriegsschauplatz nach Berlin. Das Ausw. Amt nahm an, daß diese Truppen auf den kanadischen Eisenbahnen transportiert werden würden. Zimmermann wies deshalb den deutschen Botschafter in Washington an, dies mit Hilfe des Militärattaches nötigenfalls durch Sprengung der kanadischen Bahn zu verhindern. (Tel. Zimmermann an Gesandtschaft Stockholm für Washington, 9. Dez. 1914, vgl. auch Tel. Jagow an diese vom 1. Dez., Wk 11h secr. AA). Washington meldete darauf unter dem 4. Jan., daß die Sprengung der drei kanadischen Bahnen in Angriff genommen sei (Tel. aus Stockholm vom 8. Jan. 1915, a. a. O.) und unter dem 11. Febr. 1915. daß „der frühere Offizier Horn nach Sprengung Brücke Canada Pacific Bahn verhaftet“ sei (Tel. Lucius aus Stockholm an AA vom 13. Febr. 1915, a. a. O.).

  202. Otto Mannesmann, Oberleutnant der Res., reiste bereits am 1. August 14 im Auftrage der Abt. III b (Politik) des Gr. Generalstabes von Berlin ab mnd traf mit einer kleinen Gruppe, der ein ßergwerksdirektor und ein Dolmetscher der Firma Reinhard Mannesmann, seines Bruders, angehörten, am • August in Tripolis ein. Otto Mannesmann fand bei einer späteren Untere mung in Nordafrika den Tod, als er sich der Gefangennahme durch enussikrieger durch eine kühne Flucht entziehen wollte.

  203. Ein deutsches Flugblatt an die Marokkaner hatte auf eine Äußerung tr rt” aWs Bezug genommen, wonach die Verletzung der belgischen Neu-a itat zwar ein Kriegsereignis, aber keine Kriegsursache gewesen sei. In ininerschrift »Winke zur Friedenskonferenz“, deren deutsche Ausgabe 1919 dp nrlin erschien, nimmt Shaw dazu folgendermaßen Stellung: „Ich konnte Sch deutschen Erwägung nicht folgen, die zu dem Schluß kam, ein arabischer üb fikwürde zu den Waffen greifen, weil ein Hund von einem Ungläubigen v er Dinge, die man in Marokko weder interessant finden, noch auch nur ssrrostcehheenn konnte, mit einem andern Hund von einem Ungläubigen ge-dafür aus“ h; aatt. ea.. OA„beSr. 7d 7i. e Deutschen nahmen das an und gaben Geld v Raisuli, Stammeschef und ehemaliger türkischer Gouverneur, wurde °. Mannesmann als die „Seele des Aufstandes in Marokko" angesehen.

  204. 1941; Maritime Weltgeschichte, 1947.

  205. Die Beziehungen zu Sami-Bey wurden von Botschafter Wangenheim In Konstantinopel durch Vermittlung eines hohen Beamten des türkischen Innenministeriums angeknüpft. Die Legationskasse des Auswärtigen Amtes erhielt die Anweisung, ihm die erforderliche Barsumme für ein von ihm vorgeschlagene Reise nach Murzuh und Rhat auszuzahlen (Tel. Nr. 497 u. Antwort vom 18. u. 20. Aug. Wk 11 I AA). Es ist bezeichnend, daß Sami-Bey im Februar 1915 von der Gruppe Tagger-Schimanowski im Zusammenhang mit der für März erwarteten Revolution für eine Reise nach Petrograd bzw. Russisch-Turkestan vorgeschlagen wird; s. oben Anm. 273 und Text.

  206. Die Angabe ist unrichtig. Es handelt sich bei Emir Said nicht um einen Sohn, sondern um einen Enkel ‘Abd el-Kaders. Der junge Emir hatte dem Deutschen Reiche seine Dienste schon am 5. August 1914 angeboten. Der Name des Großvaters muß den Beamten des AA ausreichende Bürgschaft für die Qualität des Enkels gewesen sein, denn man war deutscherseits sofort bereit, Waffen etc. zu liefern. (In Wirklichkeit handelte es sich aber um einen bedeutungs-und einflußlosen jungen Mann, wie auch die ganze weitverstreute Familie 'Abd el-Kaders — er hatte 10 Söhne, die nun in allen möglichen Lagern standen — für eine deutsch-türkische Aktion gegen England und Frankreich unbrauchbar war.) s. unten!

  207. Uber die Tätigkeit des bekannten Orientalisten Max Frh. von Oppenheim im Auswärtigen Amt und seine Planungen s. oben Anm. 229.

  208. Die ägyptischen Nationalisten waren nur durch das Versprechen der Unabhängigkeit zur Mitarbeit zu gewinnen. Die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft machte ein solches Versprechen unmöglich.

  209. Wurde von dem deutschen Oberleutnant Mors, der vor dem Kriege in ägyptischen Diensten gestanden hatte, erfolglos versucht; vermutlich im Auftrage des damals in Konstantinopel lebenden ägyptischen Khediven. Auch Oppenheim hatte seine Hände im Spiel, jedoch wollte das AA mit den Folgen der Verhaftung und Verurteilung des verhinderten Attentäters, den die Engländer schon vor Erreichen Ägyptens mit seiner Kiste Dynamit abgefangen hatten, nichts zu tun haben.

  210. Zu den deutschen und türkischen Unternehmungen in Persien und Afghanistan s. Ulrich Gehrke, a. a. O.

  211. Uber die Entstehung dieses Textes s. oben, Anm. 95 und Text.

  212. Das Schriftstück, das vom Legationssekretär von Prittwitz zusammengestellt worden ist, wurde von Langwerth von Simmern, dem Dirigenten " er politischen Abteilung, in das Gr. Hauptquartier gesandt.

  213. Abschrift an das Auswärtige Amt, pr. 4. Sept. 1914.

  214. Friedemann blieb in Berlin. An seiner Stelle reiste Isaac Straus, der in Amerika enge Beziehungen zu dem deutschen Botschafter Bernstorff unterhielt; s. Anm. 131 und Text.

  215. Die ersten beiden Ausgaben wurden 1914 nach der Räumung Galiziens eingestampft; s. Anm. 154 und Text. In späteren Jahren veröffentlichte das Komitee die anspruchsvollen . Neuen Jüdischen Monatshefte“, an deren Herausgabe auch der Marburger Philosoph Hermann Cohen beteiligt war.

  216. In einer Dokumentenmappe, die der stellvertretende Vorsitzende des . Deutschen Komitees zur Befreiung der russischen Juden“, Bodenheimer. mit Begleitschreiben vom 28. Sept. 1914 an Geheimrat Hammann vom Auswärtigen Amt sandte; pr. 28. Sept 1914, A 24 346.

  217. Das Konzept trägt die Sichtvermerke Bergens und Langwerths.

  218. Im Entwurf lautet dieser Absatz: „Von besonderer Wichtigkeit ersCheint die sofortige Bereitstellung erheblicher Mittel, die von Seiner Majestät, wie dem Generalstab mitgeteilt, unterm 8. d. M. anbefohlen und vom General von Moltke zunächst in Höhe von einer Million zu bewilligen waren . 3 ve 1r

  219. änEdrgigäennzung Zimmermanns:, der mir den Mannes macht". Eindruck eines ruhigen und

  220. Das Folgende bis zum Schluß von Zimmermann handschriftlich dem an dieser Stelle endenden Entwurf angefügt.

  221. Der Botschafter wurde durch Übersendung einer Abschrift dieses Schreibens von Zimmermann informiert.

  222. Giesl kommt in diesem Schreiben zu der Feststellung, daß die ukrainische Bewegung auf das Geschehen in der nächsten Zukunft keinen entscheidenden Einfluß ausüben könne. In einem unmittelbar darauf folgenden Bericht vom 3. Sept, fällt die Bemerkung Giesls von der „Zerstörung mancher Legenden ..., die bisher in den weitesten Kreisen sogar als Axiome galten"; „die Fabel vom Bestände einer irgendwie ins Gewicht fallenden, kaisertreuen Ruthenenpartei" sei „in diesen Tagen in Blut und Rauch aufgegangen" s-Anm. 191 und Text. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse hatte das österreichische Oberkommando die Übernahme von zweitausend ruthenischen Freiwilligen solange verweigert, bis sie sich nach anfänglichem Widerstreben bereitfanden, den österreichischen Landwehr-Eid abzulegen; erst dann erhielten sie Truppenbekleidung und -Verpflegung. Diese Vorgänge veranlaßten Wassilko und Lewicky, in Wien Beschwerde zu führen. Bericht Giesls vom Sept. 1914; sämtliche Schriftstücke PA 1/902 HHStA.

  223. Solchen Argumenten war Giesl nicht unzugänglich. Man solle die ukrainischen Führer auch fernerhin unterstützen, „aber wohl nicht so sehr wegen der von ihnen propagierten ukrainischen Idee als wegen ihrer staats-treuen Gesinnung"; Giesl, 5. Sept., a. a. O.

  224. Das Oberkommando hatte eine Förderung Zalisniaks mit dem Bemerken abgelehnt, daß er bei der gegenwärtigen Kriegslage keinesfalls in die Ukraine gelangen könne; Giesl am 5. Sept. 1914, a. a. O.

  225. Uber die besonderen Umstände dieses persönlichen Einsatzes unterrichtet ein Telegramm Maltzans aus Peking an Zimmermann, das am 14. Nov. von Washington und am 16. Nov. von Stockholm übermittelt wurde: Geheim von Peking für Unterstaatssekretär: Militärattache hatte auf meine Veranlassung ursprüngliche Absicht, Zerstörung persönlich teilnehmen aufgegeben. Unbemerkte Reise allgemein bekannter Persönlichkeit nach russischen Tatort ausgeschlossen. Seine sichre Arretierung hätte inzwischen geglückte einzige Möglichkeit Zerstörung vier Brücken durch bezah. e chinesische Räuberbanden und schwebende größere Vorbereitungen vereitelt. Militär-Attache erblickt in Telegr. Kriegsminister abweichend von mir Vorwurf mangelnder aktiver Beteiligung und beabsichtigt persönlich Exponierung. Für bisherige Zurückhaltung, die im Interesse Endziels auch ferner notwendig, trifft mich alleinige Verantwortung. Jetzt beabsichtigtes persönliches Eingreifen dürfte Aussicht auf Erfolg weiterer Zerstörung vereiteln.

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