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Indien heute | APuZ 38/1961 | bpb.de

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APuZ 38/1961 Gesellschaftliche Probleme der sowjetischen Erziehung Indien heute

Indien heute

INDIRA GANDHI

Das Thema dieses Beitrags heißt Indien — nicht das Indien der Maharadschas und der märchenhaften Juwelen und nicht das Indien des Aberglaubens, sonderbarer Vorgänge und der Tabus. Hier handelt es sich vielmehr um das neue, sich wandelnde Indien und um Pläne für Fortschritt und Entwicklung. Es ist ein neues Indien, das jetzt im Entstehen ist — ein Indien, das tief in der altherkömmlichen Tradition und in seiner kulturellen Erbschaft verwurzelt ist. Dieses neue Indien begann nicht etwa erst vor 14 Jahren, als wir unsere Unabhängigkeit gewannen, sondern bereits damals, als unser Kampf für unsere Freiheit einsetzte. In Wahrheit wurde dieses neue Indien in dem Augenblick geboren, als ein kleiner, unansehnlicher Mann aufhörte lediglich ein gewöhnlicher Mr. Gandhi zu sein, sondern zum Symbol und zur Verkörperung des Elends und der Sehnsucht von Millionen einfacher, ungebildeter Massen des indischen Volkes wurde. Das indische Volk nennt ihn den Mahatma, „die große Seele“, weil er es verstand, den tiefsten Bedürfnissen seines Volkes Ausdruck zu verleihen und das sagte, was diese Menschen bisher vergeblich versucht hatten auszusprechen. Nadi den Worten eines heiligen Dichters aus Bengal war Gandhi „der Kamm einer Welle", — aber die Welle selbst war das Volk. Diese Worte kennzeichnen am besten die Bedeutung, die Gandhi für das Leben des indischen Volkes zukommt.

Gewaltlosigkeit als politische Waffe

Die britische Herrschaft in Indien hatte vom Beginn an den Samen für die eigene Auflösung gesät. Politische Unterdrückung, wirtschaftliche Herabwürdigung und soziale Demütigung schufen ein tief verwurzeltes, weit verbreitetes Empfinden des Widerstands und weithin Elend unter den Massen, während gleichzeitig liberale westliche Ideen eindrangen und die Vision der Freiheit deutlich aufleuchten ließen. Lange schon vor der sogenannten „Mutiny“ von 1857 war es zu bewaffneten Revolten gekommen, die jedoch erfolglos blieben. Seitdem nahm, abgesehen von einzelnen Terrorakten, der Kampf um die Unabhängigkeit einen vollständig anderen Charakter an. Der „Indian National Congress“ zeichnete sich als die erste verfassungsmäßige Manifestierung dieses Kampfes um die Unabhängigkeit aus. Der Nationalkongreß wurde im Jahre 188 5 zunächst mit einer kleinen Mitgliederzahl von Engländern und anglisierten Indern gebildet. Aus geringen Anfängen erwuchs dann eine gewaltige Massenorganisation, die im Laufe der weiteren Entwicklung alle Aspekte des indischen Lebens erfassen, das Herz jedes Inders berühren und schließlich zu einer Erschütterung der Grundlagen des Britischen Weltreiches führen sollte. Aus einem bescheidenen Programm anfänglicher Forderungen entstand eine organisierte Agitation, die schließlich zu der passiven Resistenz, der Non-Cooperation, und der zivilen Gehorsamsverweigerung und endlich im Jahre 1942 zu der gewaltigen Aufstandsbewegung führte, die in die Geschichte als die „Quit India Movement“ eingegangen ist.

Ganz offensichtlich handelt es sich hierbei um einen politischen Kampf. Dennoch ging das Ziel dieser Massenbewegung wesentlich darauf aus, eine neue, bessere wirtschaftliche und soziale Ordnung zu schaffen. Die politische Unabhängigkeit bildete hierbei nur das unerläßliche Tor, durch das der Weg in die Freiheit führte. Die Anwesenheit einer fremden Regierung auf indischem Boden bildete das große Hindernis, das den Weg zum Fortschritt blokkierte und daher beseitigt werden mußte. Unsere Waffe in diesem Kampf war neuartiger Natur — es war die Waffe der Gewaltlosigkeit und die Absage an Haß und Furcht. Diese Waffe bildete der Konzeption nach eigentlich nichts Neues. Religiöse Lehrer und große Männer haben bereits in früheren Zeiten auf der persönlichen menschlichen Ebene ein solches Konzept vertreten. Aber es war das Genie Gandhis, das nun diese Konzeption auf die Ebene des Masseneinsatzes erhob und sie als Methode der politischen und sozialen Revolution in die Tat umsetzte.

Gandhi hat immer wieder die alten Wahrheiten unserer überlieferten Schriften zum Ausdrude gebracht. Indem er sie im täglichen Leben wahrhaft lebte, verlieh er ihnen eine so einmalige Bedeutung, daß auch der Geringste unter uns zu begreifen vermochte, welche Bedeutung diesen alten Wahrheiten zukommt. Der „Indian National Congress“ — dies war der offizielle Name unserer Partei — war nicht lediglich eine politische Partei in dem hergebrachten Sinn. Der Kongress war vielmehr von Anbeginn an eine Bewegung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbaues. Die Mitgliedschaft dehnte sich weit aus im ganzen Lande, bis zu den entferntesten Dörfern, und umfaßte Menschen aller Klassen, Religionen und Kasten. Gleich zu Beginn sah das Programm unserer Partei an der politischen Front die Beseitigung aller Titel und Ehren vor, die die britische Regierung verliehen hatte, in gleicher Weise wie auch den Boykott der von der Regierung errichteten Schulen und Colleges, ferner das britische System der Rekrutierungen und der politischen Wahlen. Darüber hinaus führte das Programm unserer Partei gleich im Anfangsstadium zu einem Bruch mit allen Gesetzen und Verordnungen, die nach unserer Auffassung ungerecht und im Kern ungeeignet waren. Unsere Haupt-sorge war jedoch von Anbeginn an die Land-reform, die unser erstes konstruktives Ziel darstellte.

Agrarreform an erster Stelle

Die breite Mehrheit der Bevölkerung Indiens lebt auf dem Land. Das Elend und die Hilflosigkeit der indischen Bevölkerung geht über alle Vorstellungen hinaus. Es hat in Indien Hunger-perioden gegeben, in denen mehr als eine Million Menschen zugrunde gingen, und zwar über die normale Sterberate hinaus, die bisher eine der höchsten Ziffern in der Welt erreicht hatte.

Es war daher durchaus naheliegend und notwendig, daß die Agrar-Reform die Grundlage der Wirtschaftspolitik der Kongreß-Partei bil-dete. Die übrigen Programmpunkte der Partei sahen den Boykott britischer Waren, insbesondere der Textilien vor. Auf der anderen Seite sollte die Kunst der Handweberei von neuem entwickelt werden, um der großen Armee der Freiheitskämpfer die notwendigen handgewebten Bekleidungsstoffe liefern zu können. Gleichzeitig damit bot die Handweberei den Bauern die Möglichkeit, ihre freie Zeit nutzbringend zu verwenden. Auf der sozialen Ebene sah das Programm unserer Partei das Alkoholverbot (Prohibition), den Kampf gegen die Kastenverfassung, insbesondere gegen das Übel der „unberührbaren Kaste“, die Gestaltung fruchtbarer Gemeinschaften sowie schließlich die Emanzipation der Frauen vor.

Diese Programmpunkte waren von so weitreichender Natur, daß damit tatsächlich das Familienleben der indischen Menschen unmittelbar berührt wurde. Die Zugehörigkeit zur Kongress-Partei bedeutete daher für uns alle nicht weniger als das Beschreiten eines neuen Lebensweges.

Gandhi hatte stets ein sicheres intuitives Gefühl für die Richtigkeit des einzuschlagenden Weges. Gandhi hat niemals die Bedeutung und den Einfluß der Frauen unterschätzt. Er suchte mit allen Kräften die ängstlichen, unterdrückten Frauen nicht nur aus der Geborgenheit des eigenen Heimes herauszuholen, sondern sie sollten darüber hinaus im Kampf um die Freiheit die schwierigsten, härtesten Aufgaben übernehmen. Hierzu gehörte u. a. die mit Tod und Gefängnis bedrohte Aufgabe, das Betreten von Textil-oder Getränkeläden zu verhindern. Einmal im Einsatz auf dem Felde der Aktion, setzten uns alle die Frauen in Erstaunen durch ihren Mut und ihre Ausdauer, durch ihre Fähigkeit zur Führerschaft und zum organisatorischen Aufbau. Es waren dies meistens völlig ungebildete Frauen, die die Vorhut der Frauenbewegung bildeten und auf dem langen Wege zur Emanzipation der indischen Frau entscheidende, geradezu gigantische Schritte vollführten.

Ich habe mich so eingehend hier mit der Person von Gandhi befaßt, weil tatsächlich unsere heutige politische Führung noch immer wesentlich auf den Grundlagen beruht, die er damals legte. Nach der Erreichung der Unabhängigkeit bezeichneten nun die Annahme der Verfassung und die Schaffung bestimmter notwendiger Maßnahmen wie freie gleiche Wahlen, die Freiheit der Rede und ähnliche Maßnahmen den Fortschritt, den wir auch in der Richtung auf die von uns angestrebten Ziele erreichen konnten. Auf der sozialen Ebene besteht somit bei uns in Indien gemäß der Verfassung die Gleichberechtigung für alle Staatsbürger. Besondere gesetzliche Anordnungen gelten für alle diejenigen, die sich als unterstützungsbedürftig empfinden. Hierzu gehören die „Harijans“

(Kaste der Unberührbaren), ferner die rückständigen Schichten des Volkes, bestimmte Volks-stämme und alle diejenigen, die unter dem Begriff der Hilfsbedürftigkeit zusammengefaßt werden können. Die von uns geschaffenen neuen Gesetze über das Erbschafts-, Ehe-und Scheidungsrecht haben wesentlich dazu mitgeholfen, die Stellung der Frau im öffentlichen Leben zu festigen.

Ungelöstes Problem der Armut

Aber das größte Problem, das den Horizont unseres nationalen Lebens verdüstert und schwere Schatten auf die Zukunft wirft, bleibt weiterhin ungelöst — das Problem der Armut mit seiner traurigen Begleiterscheinung der Arbeitslosigkeit. Von dem angestrebten Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit sind wir noch weit entfernt.

Noch bevor die Unabhängigkeit Indiens erklärt wurde, erkannte die Kongress-Partei die dringende Notwendigkeit, grundlegende neue Pläne für den Wiederaufbau der nationalen wirtschaftlichen Ordnung aufzustellen. Zu diesem Zweck wurde ein Planungsausschuß gebildet. Im Jahre 1950 begann die Regierung Pläne für den wirtschaftlichen Wiederaufbau aufzustellen, und zwar in der Annahme, daß voraussichtlich 30 Jahre stärkster nationaler Bemühungen notwendig sein würden, bevor das indische Volk als Ganzes eine spürbare Besserung in der individuellen wie der gemeinsamen Lebenshaltung empfinden werde. Von Anbeginn an wurde von Seiten der Regierung mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß das Ziel einer planvoll geleiteten Entwicklung nicht allein dahingehe, die landwirtschaftliche und industrielle Produktion zu erhöhen und eine Steigerung der Lebenshaltung der Massen zu erreichen, sondern darüber hinaus vor allem eine soziale und wirtschaftliche Ordnung zu sichern, die auf den ewigen Werten der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Demokratie beruht. Da bisher nur die kommunistisch geleiteten Staaten eine Planwirtschaft besitzen, besteht vielfach die irrige Auffassung, daß Planwirtschaft eine kommunistische Erfindung sei und nur kommunistisch geleitete Staaten erfolgreich wirtschaftlich zu planen fähig wären. Wir in Indien sind entschlossen, daß unser Sozialismus auf verfassungsmäßiger Grundlage beruhen soll und nach demokratischen Methoden durchzuführen sei. Vor allen Dingen aber sind wir der Ansicht, daß unser Sozialismus tief in unserer eigenen Kultur und unseren Traditionen verwurzelt sein müsse. Das Wesentliche unserer wirtschaftlichen und sozialen Planung geht dahin, alle verfügbaren Hilfsquellen wie die Arbeitskraft, die Währung und andere Hilfskräfte voll aus-zunützen, während das Wesen des freien Unternehmertums darauf abzielt, die Entwicklung mehr oder weniger einen zufälligen Gang gehen zu lassen. Unsere Kongreß-Partei hat sich grundsätzlich für das Programm des demokratischen Sozialismus und des geplanten Wirtschaftssystems erklärt. Es gibt Menschen, bei denen der Begriff „Sozialismus“ Schrecken auslöst. Wir aber benutzen diesen Begriff, weil er dem am nächsten kommt, was wir glauben aussagen zu wollen. Wir sind keineswegs an doktrinäre Erwägungen gebunden oder Gefangene irgendeiner Ideologie. Wir haben den Sozialismus für uns akzeptiert gerade als das für uns geeignete Werkzeug des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaues.

Noch kein soziales Gleichgewicht

Unserer Gesellschaftsordnung fehlt — darüber sind wir uns völlig im klaren — heute noch das rechte Gleichgewicht. Es gibt in unserem Lande noch immer extreme Gegensätze von Reichtum und Armut. Unser Vizepräsident — ein religiöser Mensch — schrieb einmal: „Die Macht korrumpiert einige wenige. Aber Armut korrumpiert Millionen. Wenn die Armen die geltende Gesellschaftsordnung in Frage stellen, so tun sie das nicht aus Bosheit oder aus Gier, sondern allein aus dem Empfinden der Hilflosigkeit und des mangelnden Ausgleichs wie in der Überzeugung, daß die geltende soziale Ordnung keineswegs unvermeidbar, sondern sogar zu verändern ist. Die gesellschaftliche Ordnung stellt ein geschlossenes Ganzes dar. Wenn ein Teil der Gesellschaft den anderen Teil ausbeutet, so leidet dadurch das Ganze. Aus diesem Grund muß unsere Demokratie sozialistisch werden, wenn sie sich selber retten will."

Wenn wir uns nicht als fähig erweisen, eine wesentliche Besserung in der materiellen Lebens-haltung der Massen des Volkes zu erreichen, ist die Zukunft unserer Demokratie in Gefahr. In Indien bedeutet das Wort „Sozialismus” lediglich den generellen Ausdrude der Forderung des Volkes nach größtmöglicher Produktion und die möglichst gerechte Verteilung der Produk-tionsgüter in demokratischem Geiste. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns mit allen Kräften für die Errichtung neuer sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen einsetzen und damit notwendigerweise bestimmte Wandlungen sowohl in dem Prozeß der Herstellung wie der Verteilung der Güter schaffen. Dies ist es, was die Führer unserer Kongress-Partei erklären. Sie geben den wahren Interessen des Volkes Ausdrude, wenn sie für schleunigste soziale und wirtschaftliche Reformen eintreten.

Staatliche Lenkung neben privater Initiative

Es ist allgemein anerkannt, daß die Entwidclungsrate im wirtschaftlichen Produktionsprozeß gerade für die Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung ist. Einzelne Unternehmer verfügen in Indien weder über das Kapital noch über die technischen Mittel, um im Sinne einer beschleunigten Entwicklung unserer Wirtschaft die notwendigen Investierungen vornehmen zu können. Unsere Wirtschaft kann sich aber auf der anderen Seite ohne Hilfe nicht entwickeln. Der Staat muß daher aus offensichtlichen Gründen hier ergänzend eingreifen. Es folgt daraus der Schluß, daß ein Wirtschaftssystem, das zugleich auf der Hilfe des Staates wie auf der freien Initiative beruht, den besten Weg darstellt, um das Problem des Wachstums der nationalen Wirtschaft zu lösen. Es ist völlig irrig anzunehmen, daß in unseren Plänen die gesamte wirtschaftliche Initiative allein beim Staat liegt. Im Gegenteil — das Feld der privaten wirtschaftlichen Unternehmungen ist ein weites, und es gehört zum Wesen einer planmäßig geleiteten Wirtschaft, den öffentlichen wie den privaten Sektor des wirtschaftlichen Lebens in harmonische Übereinstimmung zu bringen. Das Gebiet des staatlichen Sektors ist auf die Schwer-und Grundindustrien, auf das Transport-und Verkehrswesen, auf die EnergieErzeugung, auf Projekte mit vielgestaltigen Zweckbestimmungen sowie auf die strategische Kontrolle begrenzt, während die Produktion der Verbrauchsgüter sowie der Sektor der Landwirtschaft für private Unternehmungen offen-steht. Immerhin — wenn und sofern die staatliche Kontrolle der Wirtschaft über die Grenze einer Förderung der Entwicklung hinausgeht und die privaten Unternehmungen erdrückt, dann werden Berichtigungen in der politischen Führung notwendig und ratsam sein. Eine „Mixed economy" bedeutet nach unserer Meinung, daß das Gleichgewicht zwischen dem staatlich kontrollierten Sektor und den privaten Unternehmungen, zwischen der Schwerindustrie und der mittleren-und Hausindustrie gewahrt werden muß. Auf diese Weise kann eine volle Verwendung der Arbeitskräfte in den Dörfern parallel gehen mit größeren Plänen der Industrialisierung.

Erfolg des Ersten Fünfjahresplanes

Unser Erster Fünf-Jahresplan führte zu einem gewaltigen Erfolg. Die lange Periode der Stagnierung der Wirtschaft wurde überwunden. Der erste wirksame Einbruch in die Mauer der Armut wurde auf der Ebene des nationalen Einkommens und des Einkommens pro Kopf der Bevölkerung erreicht. Dieser Erfolg veranlaßte uns, den Zweiten Jahresplan in einem größeren und kühneren Rahmen aufzustellen. Hierbei wurden drei langfristige Zielsetzungen festgelegt. Das erste Ziel, das mit dem Zweiten Jahresplan erreicht werden sollte, war die Verdoppelung des nationalen Einkommens für die Periode von 1950/51 bis 1967/68. Das zweite Ziel war die Verdoppelung des Einkommens pro Kopf der Bevölkerung für die Zeit von 1950/51 bis 1973/74. Zu diesem Zeitpunkt soll der Fünfte Jahresplan einsetzen. Unser drittes Ziel bestand nun darin, das Verhältnis zwischen der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung bis zum Ende des Fünften Jahresplanes von 70 Prozent auf 60 Prozent herabzusetzen.

In der Durchführung des Zweiten Jahresplanes ergaben sich nun einige Mängel und Fehler. Es stellte sich heraus, daß die Anforderungen ausländischer Währungen in bedauerlicher Weise unterschätzt worden waren. Jedoch war das Ergebnis dieses Zweiten Jahresplanes durchaus ermutigend. Unabhängige Kritiker unserer Planung erkennen jetzt an, daß einige der entstandenen Mängel unserer Planung tatsächlich nur den Ausfluß des geltenden demokratischen Systems darstellen und daß unsere Pläne offensichtlich keineswegs darauf hinzielen, die gesamte wirtschaftliche Aktivität der Nation regeln zu wollen. Welches immer nun die aufgetretenen Widersprüche in unserer Planung sind, so zeigte sich doch eindeutig, daß das wirtschaftliche Leben Indiens Vervielfältigung erfahren hatte. Eine breite produktive Leistungskapazität war geschaffen worden, deren Erträgnisse weiter im Laufe des Dritten Jahresplans anwachsen werden. Die Bewässerung trockener Land-gebiete, die Energie-Erzeugung und das Transportwesen konnten in erheblichem Ausmaße ausgedehnt werden, die technische und administrative Leistung öffentlicher Unternehmungen waren stark verbessert worden.

Fortschritte auf dem Gebiet der Erziehung und der Volksgesundheit

Auf der sozialen Ebene konnten Fortschritte auf dem Gebiet der Erziehung, der Volksgesundheit, der Planung für das Familienwesen, Erleichterungen im Reiseverkehr, das Anwachsen der städtischen Industrialisierung und Besserung des landwirtschaftlichen Maschinenwesens erreicht werden. Ein bedeutsamer Fortschritt wurde auf dem Gebiet des Gesundheitswesens unseres Volkes erreicht. In weiten Gebieten wurde die Malaria ausgerottet. Viel wurde geleistet, um die Tuberkulose, Lepra und andere Krankheiten einzudämmen. Die Sterblichkeitsziffer senkte sich schnell: eine hoffnungsvolle Zuversicht in das Leben wuchs im Volk. Das durchschnittliche Sterbealter, das vor der Unabhängigkeitserklärung bei 27 lag, ging auf 42 herunter. Die Folge war ein Anwachsen der Bevölkerung. Die Bemühungen der Regierung konnten sich damit einem anderen Problem zuwenden. Die Planung für die Regelung des Familienwesens ist stets eine schwierige Angelegenheit und zwar gerade in derjenigen Bevölkerungsschicht, die eine Regelung am meisten benötigt. Denn Kinder sind nicht nur ein Gegenstand der Liebe, sondern gleichzeitig bedeuten sie eine wesentliche Hilfe für die Familie. Dennoch gewinnt diese Bewegung fortgesetzt im Volke an Boden. Es gibt heute in Indien zweimal so viele Menschen mit einer abgeschlossenen Schulbildung als im Jahre 1947. 45 Millionen Knaben und Mädchen sind heute in unseren Schulen eingeschrieben. Colleges und technische Hochschulen gedeihen. Bei unserer Volkszählung im Jahre 1951 betrug die Zahl der Frauen mit einer schulmäßigen Bildung 7 Prozent. Nach Untersuchungen, die im vorigen Jahre vorgenommen wurden, ist diese Zahl jetzt auf 28 Prozent gestiegen. Audi auf anderen Gebieten haben die Frauen gewaltige Fortschritte erzielen können. Heute gibt es bei uns in Indien Frauen, die in der Verwaltung, im geschäftlichen Leben, im Rechtswesen und anderen Berufen Stellungen einnehmen. Posten von Gouverneuren, Ministern, Richtern und Bürgermeistern sind heute bereits auch mit Frauen besetzt. Aber uns geht es nicht darum, daß einige wenige Frauen hohe Stellungen im öffentlichen und beruflichen Leben erreichen, uns geht es darum, daß der Status der durchschnittlichen Frau gehoben wird. Bedauerlicherweise werden ihr noch immer die Rechte, die ihr nach dem Gesetz zustehen, von einer unwissenden Öffentlichkeit vorenthalten. Vieles muß noch getan werden, um auf diesem Gebiet das öffentliche Gewissen wachzurütteln.

Ausbreitung modernen Denkens

Langsam, in wachsendem Maße schwinden nun soziale Gepflogenheiten und irrige Auffassungen dahin und räumen den Platz Maßnahmen, die dem modernen Denken entsprechen. Reisende, die nach mehrjähriger Abwesenheit heute Indien besuchen, erklären uns, daß offensichtlich die Bewegung zu einem Ausgleich der gesellschaftlichen Gegensätze, zu einem größeren inneren Zusammenhalt und innerer Integration feststellbar ist. Aber der bedeutungsvollste Wandel, der sich vollzogen hat, ist nicht ohne weiteres offensichtlich feststellbar. Dies ist der Wandel in der allgemeinen Betrachtungsweise. Dieser Wandel ist nur dann richtig einzuschätzen, wenn man sich die Situation in der Zeit vor der Erringung der Freiheit mit allen ihren feudalen Merkmalen, harten Einschränkungen und Begrenzungen vor Augen hält. Wir haben bei uns zu Hause einen alten, völlig ungebildeten Gärtner. Als ich ein kleines Mädchen war und zur Schule ging, unternahm ich mehrfach den Versuch, ihm ein Mindestmaß an Schulbildung beizubringen. Nach einigen Monaten zeigte sich jedoch, daß er die ihm beigebrachten Buchstaben bereits wieder vergessen hatte. So gab ich meinen Versuch auf. Aber sein Sohn studiert jetzt an einer Handelshochschule. Dies ist nur ein kleines Beispiel. Es gibt deren Tausende. Es ist dies die Geschichte eines Volkes, das jetzt entdeckt, daß sie auch Menschen sind. Wiederholt ist Kritik geübt worden an unserem Programm der Bildung von genossenschaftlichen Gemeinschaften (Community Development Program). Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese Gemeinschaften in den Agrargebieten neues Leben geschaffen haben — und in dieser bisher apathischen Bevölkerung das Bedürfnis nach besseren Methoden der landwirtschaftlichen Produktion hervorgerufen und das Bewußtsein der Notwendigkeit von Bildung, sanitären Anlagen, gesundheitsfördernden Maßnahmen usw. wachgerufen haben. Es ist nicht lange her, daß wir bei uns zum Gedächtnis an meine verstorbene Mutter ein Hospital für Frauen errichteten. Monatelang blieb das Hospital leer. Die Menschen im Dorf waren nicht dazu zu bewegen, von diesem Hospital Gebrauch zu machen. Heute ist die Lage die, daß das Hospital dreimal erweitert werden mußte und selbst dann noch nicht ausreicht, um all die Patienten aufzunehmen, die in dem Hospital Behandlung suchen. Im ganzen Land wächst jetzt der Wunsch nach Polikliniken und Apotheken.

Die verschiedenen Aufgabengebiete werden auf der Ebene des Dorfes in Indien aufgeteilt zwischen den landwirtschaftlichen Genossenschaften auf der einen Seite und den „panchayat" auf der anderen Seite. Die panchayats sind eine der ältesten Institutionen Indiens. Sie tragen politischen und sozialen Charakter, während die landwirtschaftlichen Genossenschaften allein wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen haben. In den vergangenen Jahrhunderten befanden sich die Dörfer weit entfernt von den verwaltungsmäßigen Zentren der Regierungsgewalt. Das Vorhandensein einer Regierung wurde in den Dörfern eigentlich nur in den Zeiten von Kriegen oder bei der Einsammlung von Steuern gespürt. Könige kamen und Könige gingen, aber die Dorfrepubliken blieben, was sie waren. Sie regelten ihre Angelegenheiten nach eigenem Gutdünken und bildeten in sich geschlossene, selbstgenügsame Einheiten. In der Zeit der britischen Herrschaft verloren die panchayats ihre Bedeutung und verschwanden langsam aus dem Leben der Dörfer. Gandhi dagegen war von der Idee der Dorfrepubliken, der Selbstverwaltung der Dörfer, in hohem Maße überzeugt. Heute ist die dörfliche Selbstverwaltung in der Verfassung Indiens verankert. Nach dem jetzt geltenden System wird der panchayat, die Spitze der dörflichen Selbstverwaltung, von der gesamten Dorfgemeinschaft gewählt. Auf diese Weise dringt die demokratische Lebensform in die Dörfer ein, vermittelt der dörflichen Bevölkerung das Bewußtsein der eigenen Verantwortlichkeit. Wir sind alle der Auffassung, daß auf diesem Wege die Initiative für die örtlichen Aufgaben gestärkt und die landwirtschaftliche Produktion erhöht wird.

„Demokratische Dezentralisierung"

Die landwirtschaftlichen Genossenschaften haben nun ihrerseits die Aufgabe, das wirtschaftliche Leben des Dorfes zu regeln. Man knüpft an dieses System des dörflichen Lebens die Hoffnung, daß dadurch die Zusammenfassung der örtlichen wirtschaftlichen Kräfte gestärkt wird und damit die Mittelsmänner, die früher sowohl die landwirtschaftlichen Produzenten wie die Käufer zum eigenen Nutzen auszubeuten verstanden, verschwinden werden. Wir sind der Ansicht, daß die Menschen ein richtiges Verständnis für das Wesen und die Bedeutung der Demokratie nur dann gewinnen können, wenn sie fortlaufend auf den verschiedensten Gebieten der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgaben der Gemeinschaft mitwirken. Dies ist nun das Ziel unseres Programms für die Entwicklung des dörflichen Lebens, das wir mit dem etwas schwerfälligen Namen „Demokratische Dezentralisierung“ bezeichnen. Man kann sich kaum eine Vorstellung machen, wie schwierig es für den einfachen Bauern im Dorf ist, sich ein Bild von dem abstrakten Terminus „Demokratie“ zu machen. Vor einigen Jahren sollten ein Führer der Opposition und ich gemeinsam auf einer Versammlung sprechen. Naturgemäß vertraten wir in unseren Reden gegensätzliche Auffassungen. Nach der Versammlung kamen die Ältesten der örtlichen Dorfgemeinschaft zu mir und richteten an mich mit Zeichen sichtbarer Verwirrung die Frage: „Warum läßt der Kongreß, der doch die Macht hat, es zu, daß dieser Mann offenkundig uns die Unwahrheit sagt? Warum darf dieser Mann zu uns sprechen?“ Alle unsere Versuche, ihnen zu erklären, was Redefreiheit und die Verantwortung jedes Redners, der zum Volke spreche, seine Worte sorgsam abzuwägen und allein über seine Ausführungen zu entscheiden, bedeute, blieben ohne jeden Eindruck. Die Männer des Dorfes verstanden in keiner Weise, was diese erklärenden Worte eigentlich bedeuten sollten. Hier zeigt sich von neuem deutlich gerade jene Situation, die durch das panchayat-System beseitigt werden soll. Auf der Debet-Seite unserer staatlichen Bilanz steht die schwerwiegende Erschöpfung unserer Reserven an ausländischen Währungsmitteln. Die für den Aufbau der Verteidigung benötigten Haushaltsmittel sind in gleicher Weise angestiegen wie die Budget-Beträge, die für die Verwaltung und die anderen Zweige des Regierungsprogramms benötigt werden. Leider sind demgegenüber die Preise weiter gestiegen, und die Arbeitslosigkeit konnte nicht in dem Maße herabgesetzt werden, wie wir das gehofft hatten.

Streben nach höchstmöglicher Wachstumsrate

Im nächsten Jahre beginnt nun bei uns in Indien der Dritte Jahresplan der Regierung. Der Entwurf zu diesem Plan ist bereits veröffentlicht worden und wurde im Parlament sowie in den verschiedenen Sektoren der öffentlichen Meinung erörtert. Im Verhältnis zu den tatsächlichen Anforderungen, mit denen die Regierung zu rechnen hat, ist dieser dritte Plan keineswegs ein besonders anspruchsvolles Dokument. Wir sind uns aber bewußt, daß nur mit einer äußersten Anstrengung der Teufelskreis von Armut und industrieller Rückständigkeit durchbrochen werden kann.

Die Wachstumsrate der wirtschaftlichen Produktion, auf die der Plan hinzielt, ist für uns nicht eine Frage der Wahl, sondern eine harte Notwendigkeit. Man kann einen Graben nicht mit zwei kurzen Sprüngen überwinden. Professor Kaldor vertritt die Auffassung, daß „ein wirtschaftlicher Plan, der auf einer langsamen Wachtumsrate aufgebaut ist, mit einem Flugzeug zu vergleichen sei, von dem man erwartet, daß es beim Abflug auf der Startbahn nur langsam sich vorwärts bewegt, weil angeblich ein schneller Anlauf gefährlicher sein könnte, während tatsächlich ein Flugzeug, das beim Anlauf auf der Startbahn nicht bereits größte Geschwindigkeit entwickelt, sich niemals vom Erdboden erheben kann.“

Die Lebenshaltung der breiten Massen der Bevölkerung in Indien liegt heute immer noch so niedrig, daß selbst bei einer Verdoppelung des nationalen Einkommens pro Kopf der Bevölkerung Indien auch weiterhin eines der ärmsten Völker der Welt sein würde. Bei einem Bevölkerungszuwachs von fast 2 °/o im Jahr bedeutet ein Ansteigen des nationalen Einkommens, das nicht eine genügend breite Marge für Kapitalinvestierungen offenläßt, tatsächlich nichts anderes als eine Fortdauer der gegenwärtigen Situation für einen unabsehbar andauernden Zeitraum hinaus. Aber die Frage, die sich stellt, ist nun, ob die Geduld des Volkes noch so lange herhalten wird. Eine Situation der Unterdrückung, wirtschaftlichen Unterentwicklung und großer sozialer Gegensätze bilden die besten Bedingungen, um die kommunistischen Parteien stark werden zu lassen.

Es herrscht heute bereits bei uns ein gewisses Gefühl der Enttäuschung, daß wir nicht schnell genug im Wiederaufbau unseres Volkes vorwärts schreiten. Armut ist für Indien keine neue Erscheinung. Lange Zeit hindurch lebten die Menschen bei uns in größtem Elend. Sie trugen ihr Schicksal mit Resignation und dachten niemals daran, gegen dieses Schicksal zu protestieren. Aber jetzt hat sich die Lage insofern geändert, als unsere nationale Erneuerungsbewegung, die Erringung der Freiheit, die Proklamierung des allgemeinen Wahlrechts, die vielen Programme, die den Massen ein besseres Leben bereiten sollen, nun tatsächlich in gewissem Ausmaße Ungeduld und neue wachsende Forderungen hervorgerufen haben. Aus dieser Situation heraus ergeben sich nun tatsächlich für uns politische Probleme, die zu lösen größte Anforderungen an uns stellen.

So sehr uns daran liegt, alle Anstrengungen jetzt auf den wirtschaftlichen Ausbau zu rihten, so ist es doch gerade vom Standpunkt der Demokratie aus nicht möglich, ein solches Vor-haben auf Kosten des Volkes durchzuführen. Der Präsident der Weltbank, Mr. Black, hat eine Liste solcher Projekte aufgestellt, die un-wirtschaftlich sind und daher nicht in Angriff genommen werden dürfen. Hierzu gehört eine Lohnpolitik, die nicht im Einklang mit der nationalen Produktion steht, ferner eine harte Besteuerung der hohen Einkommen zum Ausgleich der sozialen Gegensätze sowie die Aufteilung des Grundbesitzes zugunsten der Bevölkerung, die keinen Grund und Boden besitzt. Derartige Maßnahmen würden die wirtschaftliche Entwicklung am Wiederaufbau hindern, obwohl tatsächlich solche Maßnahmen zu einer größeren Gleichstellung der Bevölkerungsschichten, größerer sozialer Gerechtigkeit und vermutlich seltener auftretenden revolutionären Bewegungen führen würden. Es stellt sich immer wieder die Frage, weihe Methoden man nun am besten anwenden kann, um die Menschen von notwendig gewordenen Maßnahmen zu überzeugen. Es zeigt sich als unerläßlich, gewisse Anforderungen zu erfüllen, um demgegenüber andere Forderungen wieder abweisen zu können. Das demokratische Regierungssystem läßt es nun leider zu, daß Enttäuschung und Unzufriedenheit von gewissen Kreisen zum eigenen Nutzen ausgebeutet werden. Um einen Ausgleich bei ausbrechenden Meinungsverschiedenheiten und Gegensätzen, die auf lokaler Ebene in einzelnen Gebieten durch die Agitation politischer Gegner ausbrechen, zu erreihen, ist der Einsatz von Geld und Energie immer wieder notwendig.

Freiwillige Einschränkungen notwendig

Wir haben in Indien eine Anzahl politischer Parteien. Es gibt Menschen, die sich gegen den Grundgedanken in unserer wirtschaftlichen Planung wenden und unseren Dritten Jahresplan von Grund auf mit der Begründung ablehnen, daß durch diesen Plan die Freiheit des Individuums eingeschränkt werde. Aber diese Menschen haben selber keinerlei Antwort und bieten keine Lösung für die verzweifelten Nöte unseres Volkes. Was soll man nun mit all den vielen in Armut und Elend lebenden Menschen machen? Die einzige Freiheit, die sie haben, besteht in der Freiheit zu verhungern, und diese Menschen bilden die überwiegende Mehrheit unseres Volkes. Eine Demokratie kann in einem Volke nur dann auf die Dauer existieren, wenn freiwilliger Verzicht und freiwillige Einschränkungen der einzelnen zugunsten der wirtschaft-liehen Notwendigkeiten des ganzen Volkes bestehen. Keine politische Partei wird auf die Dauer bestehen können, wenn sie nicht Rücksicht nimmt auf die Meinung der großen Zahl der mittellosen Menschen, der Menschen, die keinen Grund und Boden besitzen, die keinen festen Beruf haben, die in ihrer Arbeit unter-bezahlt sind. Diese Bevölkerungsschichten erkennen, daß kein Mensch das Recht hat, für sich eine Lebenshaltung nur nah den eigenen Wünshen in Anspruh zu nehmen rd daß weiterhin kein Mensh das Reht hat, für sih einen Platz an der Sonne zu fordern, ohne hier-bei Rücksicht auf die Bedürfnisse seines Nähsten zu nehmen.

Auf der anderen Seite hat sih nun bei uns die sogenannte „Gandhi-Lösung“ gebildet, die in besonderem Maße geeignet ist, gerade die Hausindustrie zu entwickeln und bestimmte Werte zu sihern: jedoh ist dieser Weg niht geeignet, den Bedürfnissen einer modernen Industriegesellshaft zu entsprehen. Eines der Hauptziele des Dritten Jahresplanes der Regierung besteht nun darin, entsheidende Fortschritte auf dem Wege zu der Siherung einer möglichst sich selbst genügenden Wirtschaftsform zu erreichen. Ein solches wirtschaftliches Wachstum bedeutet, daß Ersparnisse und Kapitalinvestierungen in einem derartigen Ausmaße vorgenommen werden, daß eine höhere Wachstumsrate des nationalen und des individuellen Einkommens auf einer dauerhaften Grundlage gesichert ist. Die in unserem Jahresplan vorgesehene Bildung von Kapitalgütern und der notwendigen technisdien Ausrüstungen, die die Investierung ermöglichen, müssen von dem Land, von uns selbst geschaffen werden. Eine sich selbst genügende Wirtschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Gleichgewicht entsteht sowohl in der Landwirtschaft wie in der Industrie. Nach den Erfahrungen, die wir mit dem Zweiten Jahresplan gemacht haben, fußt jetzt der Dritte Jahresplan wesentlich auf der Grundlage eines Aufbaues und Stärkung der Landwirtschaft. Zweifellos ist es richtig, daß Einkommen und Beschäftigung nur nach Maßgabe der Industrialisierung steigen können, aber andererseits kann die industrielle Produktion nicht erhöht werden ohne Ausbau der landwirtschaftlichen Produktivität.

Ziele des Dritten Jahresplanes

Die Ziele des Dritten Jahresplanes der Regierung und nun folgende: 1. Während der Dauer des Planes soll das nationale Einkommen um 5 °la im Jahr ansteigen. 2. Ansteigen der landwirtschaftlichen Produktion in einer solchen Höhe, um den Anforderungen der Industrie und der Ausfuhr genügen zu können, mit eigener Bedarfsdekkung der Getreideversorgung.

3. Ausbau der Grundindustrien wie Stahl, Kohle und Energie-Erzeugung.

4. Volle Ausnützung der Arbeitskräfte des Landes und weiterer wesentlicher Ausbau der vorhandenen Arbeitsplätze.

5. Herabsetzung der Ungleichheiten im Einkommen und im Vermögen mit dem Ziele, eine gleichmäßige Verteilung der Wirtschaftskraft des Volkes zu erreichen.

Diese Ziele des Dritten Jahresplanes bedeuten im wesentlichen eine Ausweitung der bereits in Zweiten Jahresplan angestrebten Ziele, aber diesmal wird besonderes Schwergewicht auf die eigene Bedarfsdeckung in der Getreideproduktion gelegt. Bei der Aufstellung dieses Planes wurden Landwirtschaft und Industrie als zwei gleichbedeutende integrale Teile des gleichen wirtschaftlichen Prozesses betrachtet. Gegenwärtig ist bei uns in Indien ein Zustand erreicht, wo der weitere Fortschritt in der Landwirtschaft zu einem erheblichen Ausmaße davon abhängt, daß der Aufbau der Industrie in einer neuen wissenschaftlichen Weise erfolgt. Denn ohne industriellen Fortschritt wird es auf die Dauer nicht möglich sein, der Landwirtschaft all die Hilfsmittel wie landwirtschaftliche Maschinen, Kunstdünger, elektrischen Strom usw. zu liefern, die sie lebenswichtig für den Aufbau braucht. In der gleichen Weise hängt jetzt das Wachstum der Industrie und der Wirtschaft als ein Ganzes wesentlich von dem Ansteigen der landwirtschaftlichen Produktion ab. In dem Dritten Jahresplan wird nun das besondere Schwergewicht auf den Ausbau der menschlichen Arbeitskräfte gelegt. Das hat eine Reihe von Maßnahmen zur Folge, die darauf hinzielen, das Niveau der Produktionskräfte der Nation als Ganzes zu heben und technische und wissenschaftliche Kenntnisse und Befähigung soweit als möglich im Volke zu verbreiten. In diesem Sinne schafft der Dritte Jahresplan neue Erleichterungen für eine freie und allgemeine Erziehung aller Kinder in der Altersklasse von 6 bis zu 11 Jahren. In den kommenden beiden Jahresplänen werden Maßnahmen enthalten sein, um die allgemeine Erziehung der Kinder bis zum Alter von 14 Jahren zu sichern. In dem gegenwärtigen Jahresplan sind bestimmte minimale Ameliorationen in den landwirtschaftlichen Distrikten vorgesehen: so der Bau von Straßen, die die einzelnen Dörfer mit der nächsten Hauptstraße oder Eisenbahnstation verbinden, ferner der Bau von Schulgebäuden in den Dörfern, die gleichzeitig als Gemeinschaftszentren des Dorfes dienen sollen. Soweit als möglich suchte dieser Plan ferner die einfachsten grundlegenden Notwendigkeiten für den einzelnen Staatsbürger sicherzustellen und zwar in erster Linie die Nahrung, ausreichende Versorgung mit Trinkwasser, Bekleidung, elementare Schulbildung, Gesundheits-und Sanitätswesen, Haus-bau und in fortschreitendem Maße möglichst Arbeit für jedermann.

In dem Dritten Jahresplan ist versucht worden, die vorhandenen Arbeitsplätze weiterauszubauen und besonders die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in der richtigen Weise einzusetzen. Aber immer noch entsprechen die verfügbaren Arbeitsplätze in keiner Weise den vorliegenden Anforderungen. Die Zahl der Anwärter für den Arbeitseinsatz liegt nach den bisherigen Schätzungen bei ca. 15 Millionen, während die verfügbaren Arbeitsplätze bisher auf 14 Millionen geschätzt werden. Es entsteht somit ein Überschuß an Arbeitskräften in Höhe von ca. einer Million. Aus diesen Angaben geht hervor, daß die Ziele des Dritten Jahresplanes im Verhältnis zu den vorliegenden Bedürfnissen durchaus vielgestaltiger Art sein müssen. Jedoch darf nicht unterschätzt werden, welche gewaltige Anforderungen nötig sind, um auch nur diesen begrenzten Plan durchführen zu können. Auf verschiedenen Gebieten sucht der Dritte Jahresplan die bereits im Zweiten Jahresplan eingesetzten Bemühungen praktisch zu verdoppeln. So wird auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Produktion eine durchschnittliche Wachstumsrate von 6 °/o und in der Industrie eine Wachstumsrate von 10 % der Produktion verlangt. Der Plan verlangt ferner ein Anwachsen der Rate der Ersparnisse von 8 °/o des nationalen Einkommens auf ungefähr 11 o/o. Nach unserer Auffassung ist dieser Plan jedoch nicht wirklich erfüllt, solange nicht die Entwicklung zum Aufbau in fortschreitender Weise immer intensiver wird und die im Plan gestellten Ziele in der Praxis tatsächlich sogar überschritten werden.

Von einigen Seiten ist Kritik an den Maßnahmen des Planes hinsichtlich des Aufbaues der Stahl-und Maschinenbau-Industrie sowie der Öl-und Energie-Erzeugung geäußert worden. Wenn man aber objektiv die heutige Lage betrachtet, so muß man zugeben, daß die in dem Jahresplan festgelegten Richtlinien keineswegs zu niedrig gehalten sind. Der Jahresplan sieht eine Leistungskapazität der Stahlindustrie von 10, 2 Millionen t Stahl für das Jahr 1965/66 vor gegenüber der bisherigen Produktion von 9, 7 Millionen t. Das Maschinenbauprogramm befindet sich augenblicklich im Zustand der vollen Durchführung und ist durch die notwendigen auswärtigen Kredite im Fortgang gesichert. Ausländische Währungen sind nur in einem verhältnismäßig geringen Ausmaße zur Durchführung dieses Programms erforderlich geworden. Der Aufbau der Maschinenbau-Industrie bedeutet tatsächlich den entscheidenden Schritt zur Industrialisierung des Landes und ist durchaus sowohl von wirtschaftlichen wie von verschiedenen anderen Gesichtspunkten aus begründet. Hinsichtlich der Energie-Erzeugung besteht im ganzen Land ein wachsendes Bedürfnis. Die Energie-Erzeugung bildet in jedem Land einen äußerst wichtigen Faktor und gleichzeitig die notwendige Voraussetzung für schnelles wirtschaftliches Wachstum. Nach dem vorliegenden Programm der Energie-Erzeugung, den die Planungskommission aufgestellt hat, ist in langsichtiger Planung für das Ende des Fünften Jahresplanes eine Produktionskapazität von 30 Millionen kW vorgesehen.

Der schleunige Fortschritt der Industiialisierung und der Verstädterung, der Ausbau der Landwirtschaft, insbesondere der Milchwirtschaft, haben nun in Verbindung mit der zunehmenden besseren Ernährung der Bauern und der Arbeiter zu einem Anwachsen der Anforderungen nach Brotgetreide geführt. Diese Anforderungen werden vermutlich in der nächsten Zeit weiter anwachsen. In dem Jahresplan ist als Ziel eine Minimalproduktion von Brot-getreide mit 100 Millionen t festgesetzt, wobei gleichzeitig versucht wird, möglichst eine Produktionshöhe von 105 Millionen t zu erreichen. Die Preispolitik der Regierung wird, wie wir hoffen, zu einem scharfen Rüdegang der landwirtschaftlichen Preise als Folge der Überproduktion führen.

Der Dritte Plan sieht weiter eine Erhöhung der Investierung von dem gegenwärtigen Niveau von 11 ’/o des nationalen Einkommens auf 14 °/o vor. Nur wenn die Investierungen ein solches Ausmaß annehmen, kann das nationale Einkommen in einem Ausmaß von 5 % im Jahre ansteigen. Daraus ist zu folgern, daß die notwendigen Verbindungen für die Kapitalinvestierungen geschaffen werden müssen. Die Lage ist auf diesem Gebiet im Dritten Jahres-plan günstiger als im Zweiten. Mehrere unserer industriellen Projekte, die sich bisher im Zustand des Aufbaues befanden, fangen jetzt bereits an, Überschüsse abzuwerfen; eine weitere günstige Entwicklung ist zu erwarten. Eine andere Methode, um die notwendigen Mittel für Investierungen zu schaffen, besteht in öffentlichen Anleihen sowie in den eigenen Ersparnissen, die nach den bisherigen Vorschlägen von 8 % auf 11 °/o erhöht werden sollen. Die Finanzierung des Haushaltsdefizits ist in Angriff genommen worden. In dem Dritten Jahres-plan ist das Defizit weit geringer als in dem Zweiten Plan.

Auswärtige Hilfsquellen können durch ansteigende Ausfuhr und damit wachsenden Zufluß auswärtiger Währungsmittel erreicht werden. Jedoch besteht hier eine gewisse Grenze.

In dem gegenwärtigen Zeitraum sind wir noch nicht in der Lage, genügend Maschinen-und technische Ausrüstungen für den Aufbau unserer eigenen Industrie herzustellen. Wir streben daher an, die gegenwärtige Periode der Abhängigkeit von ausländischer Hilfe möglichst herabzusetzen, obwohl in dem gegenwärtigen Zeitabschnitt wesentliche auswärtige Hilfe unumgänglich ist. In der Vergangenheit haben internationale Institutionen wie insbesondere die Weltbank in der Hilfeleistung für Indien eine bedeutungsvolle Rolle gespielt. Weitere Hilfe ist uns aus dem Colombo-Plan erwachsen. Wir haben ferner Unterstützung von den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Westdeutschland und der Sowjetunion erhalten.

Die finanziellen Anforderungen, die aus dem Dritten Jahresplan entstanden sind, sind höher und drängender als die der vorhergehenden Jahrespläne. Ein New Yorker Bankier bezeichnet unser neues Entwicklungsprogramm als „eine der kühnsten Operationen der Welt". Mr. E. G. Schuyten, der stellvertretende Vizepräsident der American Expreß Company’s Overseas Banking Department erklärte, daß die wirtschaftliche Entwicklung Indiens nicht nur Milliarden von Dollar, sondern auch die koordinierte Unterstützung der indischen Freundschaft gegenüberstehenden Nationen erforderlich mache. Die Weltbank hat in den Unterstützungsmaßnahmen für Indien die Führung übernommen und handelt gegenwärtig als Verbindungsglied zwischen den Vertretern der die Anleihen gewährenden Institutionen sowie zu der indischen Regierung und den auf dieser Ebene mitarbeitenden Nationen wie auch den Geschäftsführern und den Bankiers mit dem Ziel, die finanziellen Hilfsmaßnahmen zu koordinieren und einen maximalen Nutzen zu sichern. Es ist gegenwärtig erforderlich, alle verfügbaren industriellen und finanziellen Kräfte für die Ziele des Aufbaues gemeinsam einzusetzen. Ein führendes britisches Blatt schrieb kürzlich: „Der Weg Indiens zu dem ausländischen Kapitalmarkt trägt praktische Züge und unterliegt, wenn er einmal in Indien zugelassen ist, keinerlei diskriminierenden Bestimmungen gegenüber den indischen öffentlichen oder privaten Unternehmungen. Die Männer, die in In dien die neuen Aufbaupläne erstellen, sind hierbei keineswegs von Erwägungen eines engen Nationalismus bestimmt. Sie sind darauf ausgerichtet, ausländische Partner für das Abenteuer des Aufbaues von Indien zu gewinnen — ein Abenteuer, das vielleicht eines Tages sich letztlich vorteilhaft nicht nur für Indien, sondern auch für die ganze Welt auswirken wird.“

Jedenfalls wird es für uns ohne ausländische Hilfe auf die Dauer außerordentlich schwierig werden, die gestellten notwendigen Ziele zu erreichen.

Große Schwierigkeiten, aber auch Zuversicht

Wenn ich in diesem Beitrag so lange mich mit den bereits erreichten Leistungen beschäftigt habe, so bedeutet dies nun keineswegs, daß ich unsere Fehler und unser Mißlingen übersehe oder zu ignorieren suche. Wir in Indien haben durchaus eine Neigung zu Selbstkritik und Selbstprüfung. Zweifellos gibt es vieles bei uns, was zu bedauern und zu kritisieren ist. Aber wir müssen hierbei doch immer wieder die gewaltigen Schwierigkeiten mit in Rechnung stellen, mit denen wir zu kämpfen haben. Die Jahre der Unterdrückung und der politischen Versklavung haben Spuren in unserem Lande hinterlassen. Überbleibsel der früheren feudalen Denkungsweise sind immer noch spürbar. Obwohl die bisherigen traditionellen und sozialen Lebensformen in Auflösung begriffen sind, bilden sich neue Formen nur langsam heran Jedes neue Problem und jedes noch so geringe Programm unserer Aufbau-Arbeit wird eine wesentliche Erschwerung durch die Weite unseres Landes, die Verschiedenheit der Kulturen und der Sprachen, der Kleidung und der Ernährung und durch den verschiedenartigen Status der Entwicklung in unserem Volke . erfahren. Trotz der vielfachen Differenzen, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen Einzel-gruppen in einem der Staaten Indiens oder zwischen zwei Staaten besteht dennoch ein starkes Band der Gemeinschaft, das wir aus den vergangenen Zeiten übernommen haben und das uns eint. Unabhängig von den Hunderten von kleinen Königreichen und Fürstentümern, die in den früheren Jahrhunderten bestanden, kommt in unseren alten Sagen und epischen Dichtungen immer wieder nur Indien als ein einheitliches Land zum Ausdruck. Durch die vielen überkommenen Legenden und durch die vielen Stätten religiöser Lehren in allen vier Ecken unseres Landes und durch die vielen religiösen Pilgerzüge, denen jedes Jahr nach wie vor Millionen von Menschen folgen, wird immer wieder die Einheit Indiens proklamiert. In gleicher Weise lehren uns die Vedas — die ältesten Schriften der Welt — den Wandel als ein Gesetz des Lebens anzunehmen. Diese Schriften lehren uns ferner, die Vielgestaltigkeit der Wahrheit zu achten und die Würde des Individuums anzuerkennen. Infolge der Gebrechlichkeit des menschlichen Wesens weichen wir zwar oft von unserem hohen Ideal ab. Wir zeigen ein soziales Verhalten, das eine Absage an diese Prinzipien bedeutet. Dies ist die Ursache vielfacher Leiden unter uns. Konfutius sagt: „Unser größter Ruhm liegt nicht darin, daß wir niemals fallen, sondern daß wir jedesmal wieder aufstehen.“

In dem heutigen wiedergeborenen Indien kämpfen wir im modernen Leben von neuem, unsere überkommenen Symbole zu verwirklichen.

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Arnold Bergstraesser: „Erwachsenenbildung als politische Aufgabe"

Gustavo Costa: „Die kommunistische Presse Italiens"

Frederic Lilge: „Makarenko“

Golo Mann: „Bismarck"

Otto Schiller: „Das Wesen der kommunistischen Gefahr — Die . Verbürgerlichung'in der Sowjetunion"

Karl Seidelmann: „Der Generationsprotest der Jugend-bewegung in gegenwärtiger Betrachtung"

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil) ***,: „Berlin. Deutschlands Hauptstadt“ ***,: „Fridtjof Nansen"

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