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Amerikas Freunde und Verbündete | APuZ 44/1962 | bpb.de

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APuZ 44/1962 Amerikas Freunde und Verbündete Gesichtspunkte zur Didaktik und Methodik der Behandlung von Ostfragen

Amerikas Freunde und Verbündete

McGEORGE BUNDY

Zum 40jährigen Bestehen bringt die amerikanische Vierteljahreszeitschrift FOREIGN AFFAIRS in ihrem Oktober-Heft eine Reihe bedeutender Beiträge. Wir veröffentlichen daraus mit Genehmigung des Amerika-Dienstes den Artikel des Sonderreferenten für Sicherheitsfragen Präsident Kennedys.

Wolfgang Mitter I Gesichtspunkte zur Didaktik und Methodik der Behandlung von Ostfragen Seite 554)

Die amerikanische Außenpolitik hat sich gewandelt Die Zeitsdirift „Foreign Affairs" (Außenpolitik) ist vierzig Jahre alt — und die moderne Außenpolitik der Vereinigten Staaten ist noch nicht einmal zehn Jahre älter. Unsere heutigen Probleme — Probleme der Technik, der Interessen-gegensätze, der Bündnisse und der Hoffnung -stehen kaum noch in irgendwelcher Beziehung zu denen der Zeiten der Gründerväter, der Bewährungsprobe eines Lincoln und selbst denen der Tage des Werdens eines Cleveland, McKinley und Theodore Roosevelt. Der August des Jahres 1914, in dem ein neues Blatt der Geschichte in bezug auf die Aufgaben der Diplomatie und den unermeßlichen Schaden aufgeschlagen wurde, den normale, gebildete Menschen anrichten können, erinnert uns daran, daß Woodrow Wilson an seiner Schreibmaschine und alle seine Amtsnachfolger angesichts weltweiter Gefahren, weltweiter Macht und damit auch weltweiter Verantwortung leben mußten.

Viele Kräfte haben Anteil an dieser revolutionären Entwicklung; eine aber unter diesen, die auf den Betrachter unserer Geschichte eine besondere Faszination ausübt, ist unsere plötzliche und mannigfaltige Konfrontierung mit einer Schar von Freunden. In herkömmlichen Begriffen besteht die bemerkenswerte Wandlung unserer auswärtigen Beziehungen darin, daß wir heute förmliche Bündnisse mit 42 Ländern unterhalten. Überdies handelt es sich dabei meist nicht lediglich um formelle Bindungen in Gestalt bestimmter Eventualverpflichtungen, sondern um wichtige, von Tag zu Tag in Funktion befind-lichen Verbindungen Neben diesen Bündnissen pflegen wir ferner wichtige Arbeitsbeziehungen, vor allem in Afrika und Asien, zu Dutzenden von Nationen, mit denen wir befreundet, wenngleich nicht verbündet sind. 42 verbündete Nationen haben verschiedene Interessen Das Zentralproblem liegt bei all diesen Beziehungen in der Herstellung der Wechselseitigkeit Wir haben eine einzigartige Position in der nichtkommunistischen Welt mit unserer Stärke und unserem Reichtum Einzigartig ist auch das Register der Hilfeleistung, die wir nahezu jedermann gewährt haben. Es war dies unser freier Wille Unsere Hilfe für andere zielte darauf ab, unseren eigenen weitgespannten Interessen zu dienen, und sie hat dies auch, von einigen Ausnahmen abgesehen, getan Was wir aber nach 1945 für so viele tun mußten, das sollten wir Copyright 1962, Council an Foreign Relations, Inc. jetzt für viele Länder nicht mehr allein — und für manche Länder überhaupt nicht mehr — tun müssen. Gleichzeitig müssen wir den Bedürfnissen anderer Länder innerhalb und außerhalb der westlichen Hemisphäre Rechnung tragen, die im ersten Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg nicht auf unserer Dringlichkeitsliste standen. Wir sind somit gezwungen, zu neuen Beziehungen des gegenseitigen Respektes und des gemeinsamen Handelns auch mit denjenigen zu gelangen, denen wir traditionsgemäß verbunden sind.

Einige unserer ältesten Freunde erheben, zu neuer Stärke gelangt, glücklicherweise ihre Stimme wieder lauter in der Weltpolitik — und dort, wo ihre Anstrengungen ihren Ansprüchen gleichkommen, ist eä 'nicht nur notwendig, sondern erfüllt es uns auch mit Befriedigung, ihren Wünschen nachzukommen. Andere wiederum haben sich, so stolz und tapfer sie auch sind, daran gewöhnt, nicht nur unsere Stärke, sondern auch unseren Reichtum in einer Art und Weise hinzunehmen und sich darauf zu stützen, die zu nichts Gutem führen kann, wenn nicht entsprechende Anstrengungen ztif Selbsthilfe hinzukommen Dabei ist keiner unserer Bundesgenossen unwichtig für uns H keiner, der nicht Anspruch hätte, von uns iri angemessener und produktiver Weise unterstützt zu werden Unsere Aufgabe ist es nun, unser Verhalten so einzurichten, daß wir unsere Verpflichtungen erfüllen, unsere Verbindungen aufrechterhalten, die Selbsthilfe fördern können, und zwar immer auf der Basis der Wechselseitigkeit. Das ist nicht einfach.

Das halbe Dutzend der Bündnisse, in denen diese über vierzig Partner vereinigt sind, ist hinsichtlich der formalen Bestimmungen durch eine Familienähnlichkeit gekennzeichnet, die die große Mannigfaltigkeit der vorliegenden realen Beziehungsverhältnisse verdeckt. Der leidenschaftliche Drang nach solchen Verträgen, der die Mitte der fünfziger Jahre kennzeichnete, rührte von einer ziemlich einfachen Reaktion auf den Korea-Krieg her. Wir haben gelernt, daß es auch angesichts des Bestehens der Gefahr einer solchen direkten Aggression noch andere Gefahren gibt, gegen die ein Pakt keine automatische Sicherheit bietet. Die Zeit hat jedoch deutlich werden lassen, was die Formen verdeckten, und wir erkennen heute, daß die SEATO nicht dasselbe wie die NATO ist; nicht alle ihre Mitglieder haben gemeinsame Interessen oder Zielsetzungen, die nach Gewicht und Wesen jenen entsprächen, welche das Atlantische Bünd-nis zusammenhalten. Als zentrale Macht dieses Bündnisses unterhalten wir echte und bedeutsame Beziehungen zu allen seinen Mitgliedern — doch ist die Bedeutung unserer eine Schlüsselposition einnehmenden Beziehungen zu einem Land wie Thailand in diesem Bereich verschieden von der Bedeutung unserer Beziehungen zu einigen anderen weniger exponierten Ländern; wenn derselbe Vertrag dazu benutzt wird, alle zu erfassen, dann muß man vom Papier wegsehen und den Blick auf die Tatsachen richten. Selbst in der NATO besteht eine dauernde Spannung zwischen der formalen Identität der gegenseitigen Garantien und den realen Beziehungen der Mitglieder untereinander. Das Bündnis ist nicht nur durch seine in Funktion befindlichen Paragraphen definiert, ebensowenig wie es nur durch die ihm formell zugewiesenen Streitkräfte definiert ist. Es ist nicht einmal restlos definiert durch das volle Maß der Beziehungen, die alle seine Mitglieder untereinander unterhalten. Die Sicherheit Schwedens oder Österreichs ist aufs engste verquickt mit dem, was die NATO ist und tut. Die NATO ist notwendig Nordamerikas. Es ist gefährlich zu glauben, die ganze Bedeutung dieser großen Allianz beruhe auf einem Einzelelement ihrer Existenz, und in diesem Punkt kann man General de Gaulle beipflichten, wenn er betont, daß die Organisation und das Bündnis nicht dasselbe seien. Seine eigene Vorstellung von den richtigen Verhältnissen mag nicht die unsere sein, aber er hat recht, wenn er uns daran erinnert, daß keine so wichtige Sache ganz und gar in den Begriffen bestimmter, gegebener Verfahren definierbar ist. In allen unseren Bündnissen, mögen sie auch der Form nach multilaterale Bündnisse sein, sind die bilateralen Linien von und nach Washington von besonderer Bedeutung. Selbst in der NATO, die noch andere wichtige Mächte umfaßt und wo man allgemein hofft, daß ein neues Europa eine Partnerschaft auf neuer Ebene mit uns einzugehen vermöchte, ist den Linien von London oder Bonn nach Washington große Bedeutung beizumessen. Falls Frankreich und die USA einen Ausweg aus ihren achtbaren Differenzen finden — den zu suchen sich die gegenwärtige Regierung in Washington größte Mühe gibt —, werden andere klarer erkennen, daß die Linie Paris—Washington ebenfalls eine entscheidende Kraftlinie ist. Die Bedeutung dieser Linie ist freilich auch offenkundig, wenn sie — wie gegenwärtig — vorübergehend und teilweise gestört ist. Beide Länder bleiben einander verbunden durch gemeinsame Interessen, neben denen ihre Differenzen gering erscheinen, und die vorhandenen Meinungsverschiedenheiten hindern die USA bestimmt nicht daran, Frankreich und seinem Präsidenten große Hochachtung entgegenzubringen. Die aufrichtige Anerkennung solcher Differenzen kann sogar ein Schritt zu einem besseren Verständnis sein. Sie ist jedenfalls mehr wert als die leichtfertige Annahme, daß eine Einigung sich immer finden lasse, wenn man bloß auf die unausgesprochenen Wünsche oder Forderungen der anderen eingeht.

Die amerikanische Atommacht schützt alle Die Störung unserer Beziehungen zu Frankreich führt von selbst zu der Frage der Nuklearbeziehungen zwischen den Verbündeten. Von vordringlicher Wichtigkeit ist hier nicht die Frage, welche Rolle die Europäer möglicherweise einmal spielen werden. Das ist wohl ein bedeutsames und überaus schwieriges Problem, das jedoch nüchtern durchdacht und diskutiert werden muß, was wahrscheinlich noch lange Zeit in Anspruch nimmt. In einer solchen Diskussion werden die Vereinigten Staaten bestrebt sein, sich als aufgeschlossener Partner zu zeigen.

Worum es aber heute geht, hat unser Präsident wiederholt und mit Nachdruck klargestellt. Es geht darum, daß wir uns verpflichtet haben, jetzt, und soweit wir in die Zukunft blicken können, das Bündnis mit unserer Kernwaffen-macht zu unterstützen. Wir haben die Verpflichtung zur Verteidigung Europas weder leichtfertig noch mit einem Vorbehalt übernommen. Zur Erfüllung unserer überaus feierlichen und wohl-überlegten Verpflichtungen kommt unsere ganze Macht dem gesamten nordatlantischen Raum zugute. Das ist zugleich ein Grundprinzip, ein Dispositionsfaktum und eine zwingende Forderung der nuklearen Strategie.

Angesichts dieser Realität ist ein Großteil der jüngsten dialektischen Diskussionen über Details der Kemwaffentaktik geschwollener Unsinn. Wo und wie die nukleare Abwehr der NATO bereitgestellt und eingesetzt werden soll, ist natürlich wichtig; aber diese Fragen sind völlig der Realität untergeordnet, daß die gesamte Stärke der USA einschließlich ihrer gesamten Kernwaffen-macht für die Freiheit Europas eingesetzt ist — und das ist nur eine Umschreibung der Binsen-wahrheit, daß sie für unsere eigene Freiheit eingesetzt ist. Und dabei handelt es sich nicht um eine für einen bestimmten Augenblick oder von einer bestimmten Regierung ausgesprochene Zusage. Das ist die Zusage eines Volkes, die es klar und deutlich gegeben hat nach gründlichem Überdenken eines halben Jahrhunderts unserer Geschichte, das wegen der Ungewißheit über eben diesen Punkt so schmerzlich verlaufen ist. Noch ein weiterer Grund verlangt Klarstellung dieses Punktes: die Welt kann das Risiko eines Mißverständnisses auf der anderen Seite der Mauer nicht eingehen. Die Zwillingsgefahren des Atomzeitalters sind Unentschlossenheit und Waghalsigkeit. Wir haben unter drei Regierungen versucht, beide Gefahren zu vermeiden.

Durch die Klarheit ihrer Selbstverpflichtung zur Wahrnehmung evident lebenswichtiger Interessen und ihre uneingeschränkte Ablehnung jeglicher nuklearen Abenteuerpolitik wollen die USA ein Beispiel geben, das uns alle, falls es anderswo Schule macht, vor dem Kernwaffen-krieg zu behüten vermag. Dabei kann es uns nicht helfen, wenn in besonderer Absicht Zweifel von jenen zum Ausdruck gebracht werden, deren Sicherheit unter unserem Kernwaffenschirm aufs eindeutigste garantiert ist.

USA und bündnisfreie Staaten sollten einander respektieren Viele unserer Freunde sind Verbündete, während andere von dieser Form der Bindung Abstand nehmen. Es wäre jedoch keineswegs folgerichtig, unsere ungebundenen Freunde immer gegenüber unseren Verbündeten zurüdezusetzen. Wir haben in unserer Geschichte selbst lange genug die Neutralität gewählt, um eine ähnliche Wahl anderer Länder anzuerkennen und zu respektieren — und keiner unserer Verbündeten hat sich uns anders denn aus freien Stücken angeschlossen. Wir nehmen innigen Anteil an den Bemühungen um eine stabile und fortschrittliche freiheitliche Ordnung, die zur Zeit in kleinen Staaten und großen Subkontinenten so tapfer vorangetrieben werden. Diese Anteilnahme wird nicht durch das Fehlen eines förmlichen Bündnisses aufgehoben — ebensowenig wie das begründete Bestehen eines Bündnisses jene zu abwegigen Verdächtigungen berechtigt, die ihm nicht beitreten wollen.

Die Bedingung der Wechselseitigkeit ist jedoch ebenso wichtig für die ungebundenen Freunde wie für die engagierten Freunde. Einige der ersteren neigen dazu, unser Wohlwollen als sicher vorauszusetzen und anzunehmen, daß sie in der Vertretung ihrer besonderen Interessen und Vorstellungen uns gegenüber demgemäß bis an die äußerste Grenze gehen könnten. Doch selbst wenn man die Sonderprobleme und Sonderanliegen der stürmischen neuen Nationen in aller Einsicht und Großzügigkeit in Rechnung stellt, so haben wir es immer noch mit einer weltumspannenden Gemeinschaft zu tun, in der die Interessen aller — auch der reicheren, über mehr militärische Macht verfügenden Staaten — Respekt verdienen. Es ist enttäuschend, daß ein paar Leute, die selbst überaus empfindlich sind, sich anscheinend ein Vergnügen daraus machen, uns die niedrigsten Motive zu unterstellen. Man kann nur hoffen, daß amerikanische Journalisten aufhören sich zu entschuldigen, wenn sie solchen sensiblen Politikern faire Fragen stellen.

Glücklicherweise sind die meisten unserer neutralen Freunde wirkliche Freunde. Wir werden festhalten an unserer Achtung ihrer Neutralität, an unserer Anteilnahme an ihrer Weiterentwicklung, an unserem Glauben, daß ihr selbständiger Fortschritt zutiefst im gemeinsamen Interesse der Menschheit liegt. Weil wir selbst ein junges Volk, ein neues Kapitel der ausgezeichneten Menschheitsgeschichte sind, können wir den Stolz und das Wollen der neuen Länder nachempfinden und tun es auch in plötzlichem Innewerden. Sie haben ebensowenig wie wir die neue Aufgabe schon gelöst, die vernünftigen Bedingungen einer Zusammenarbeit für ihre Entwicklung und den gemeinsamen Frieden festzulegen. Selbst unsere kurze Erfahrung gestattet den Schluß, daß einfache Formeln wahrscheinlich falsch sein werden und daß in dieser neuen Beziehung weder die Politik noch die Wirtschaft im Sinne ihrer normalen Begriffsbestimmung Anspruch auf eine ausschließliche Vorrangstellung haben. Wir brauchen uns nicht zu entschuldigen, wenn wir solchen bemerkenswerten Ländern wie Indien und Pakistan und den Bestrebungen und Problemen unserer Nachbarn in Lateinamerika eine besondere Wichtigkeit beimessen. Unter einem ganz anderen Gesichtspunkt müssen wir anerkennen — und wir tun dies auch tatsächlich —, daß was mit einigen wichtigen Handelswaren geschehen wird, die das Frühstück in aller Welt ausmachen, für viele junge Volkswirtschaften wichtiger ist als die langfristigen Kredite, die Washington mühsam zuwege bringt.

Tatsächlich können die Schwierigkeiten dieser neuen Beziehungen leicht zu Enttäuschung und Zynismus führen. Wir dürfen nicht vergessen, wie ungewöhnlich es ist, daß unabhängige Staaten eine echte wirtschaftliche Zusammenarbeit untereinander anstreben, und wie wenig geschichtliche Erfahrung uns auf beiden Seiten als Richtschnur dient. Wir sollten beiderseits den Preis eines Versagens im Auge behalten. Lind wir sollten einsehen, daß in einer Gesellschaft, die ihre Energien und ihr Gewissen lebendig erhält, immer neue Aktionsmittel ins Treffen geführt werden. Das Friedenskorps hat gegen mehr Skeptizismus, als viele heute wahrhaben möchten, eindeutig bewiesen, daß eine gute Idee, von guten Männern und Frauen ins Werk gesetzt, noch immer zählt.

Ein merkwürdiges und besonderes Problem unserer Beziehungen mit den vielen neuen Staaten liegt in unseren etwas divergierenden Ansichten über die Vereinten Nationen begründet. Für uns sind die Vereinten Nationen sowohl eine große Hoffnung als auch eine unerläßliche Realität; sie sind auch eine Kraft, für die unsere ständige Unterstützung von Anfang an lebenswichtig war. Wir schließen aus dieser Tatsache keineswegs, daß die UN nur tun müßten, was wir wollen; unser New Yorker Führungszeugnis sucht, was das Eingehen auf die Interessen anderer betrifft, seinesgleichen Unser unablässiges Beharren auf der Bedeutung der UN als Gesprächsforum und als Handlungsrahmen hat uns gelegentlich in Gegensatz zu wichtigen Verbündeten gebracht.

Diese langjährige politische und wirtschaftliche Unterstützung der UN hat uns aber gelehrt, daß sie wie andere nur von Menschen geschaffene Institutionen immer dann am besten funktioniert, wenn sie in der Tatsachenweit funktioniert. Wir können sie nicht lediglich als eine Abstimmungsmaschine betrachten, die dazu dient, einfache Gefühle auszudrücken. Die berechtigten Aspirationen aller Menschen ent-sprechen nicht den derzeitigen faktischen Möglichkeiten eines jeden abhängigen — oder erst seit kurzem unabhängigen — Gebietes. Und die natürlichen Gefühle derjenigen, die den Kolonialismus als das einzige große Übel ansehen, sind nicht immer die beste Richtschnur, wenn es zu handeln oder abzustimmen gilt Die Vereinten Nationen vermögen viel, doch können unverantwortliche Voten sie teuer zu stehen kommen. Unsere eigenen Bemühungen werden nach wie vor darauf gerichtet sein, alles nur mögliche zu tun, um eine vernünftige Weiterentwicklung zu begünstigen und eine Schädigung der Vereinten Nationen durch Mißbrauch ihres Forums zu verhüten. Wir werden aber weiterhin einen Platz in der ersten Reihe derer anstreben, die den friedensfördernden Einfluß der UN sowohl zum Ziel als auch zum Mittel der Politik erheben.

Realistische Einschätzung der kommunistischen Gefahr Auf diese oder jene Weise erhalten alle unsere Militärbündnisse ihre gegenwärtige Bedeutung hauptsächlich durch ihre Bedrohung, die das kommunistische Expansionsstreben darstellt. Sie sind nämlich defensiv, und es ist eindeutig die kommunistische Macht, gegen die sie sich heute zur Wehr setzen müssen. Mit Ausnahme unserer Bindungen innerhalb der eigenen Hemisphäre hat ja die kommunistische Gefahr diese Bündnisse notwendig gemacht Aber weil wir so zahlreich und vielgestaltig sind und weil wir von den verschiedenen Zentren der kommunistischen Aggressionsunternehmungen verschieden weit entfernt sind, haben wir von der kommunistischen Gefahr nicht alle dieselbe Vorstellung. Für die Vereinigten Staaten hat sie eine besondere und einzigartige Bedeutung, sei es auch nur, weil die Kommunisten ohne uns überall unwiderstehlich wären Es trifft sich deshalb günstig, daß unter den Ansichten der 42 Verbündeten die unsrige etwa die Mitte hält.

Wir sind — außer in den vorübergehenden und unrühmlichen Ängsten, die mit dem Namen Joseph McCarthy verknüpft sind — nicht der Idee verfallen, daß leidenschaftlicher Antikommunismus die einzige politische Richtschnur sein müsse. Als Volk haben wir vielmehr nie aufgehört, eine zuverlässige Besserung unserer Beziehungen zur Sowjetunion zu erhoffen und vorzugsweise zu erstreben. Diejenigen unter uns, die aus blankem Haß Politik machen möchten, waren in beiden Parteien nie mehr als eine Minderheit Der Sieg, den wir erstreben, ist nicht ein Sieg der bösen Worte — und noch weniger ein Sieg des sinnlosen Infernos.

Gleichzeitig haben wir uns seit dem zweiten Weltkrieg nicht den angenehmen Luxus geleistet, zu glauben, der Bär werde sich in einen hilfsbereiten Bernhardiner verwandeln, wenn wir ihn nur freundlich behandeln Wir finden keinen naturgegebenen guten Willen in den Annalen, die noch immer als unausweichliche Tatsachen die Schließung des Eisernen Vorhangs und den Tod der freien Tschechoslowakei verzeichnen, die Berliner Blockade und den Überfall in Korea, das Blutbad von Budapest und die Unmenschlichkeit der Mauer. Es ist vielleicht nicht zu ändern, daß es unter unseren Freunden einige gibt, die aus jedem neuen Sowjeträtsel eine Reform herauslesen; aber es ist auch gut. daß wir skeptisch sind.

Unter den Alliierten gehören wir also zu den Gemäßigten Wir betrachten die Sowjetmacht als eine große Realität, die unbestimmt aber eng mit dem rotchinesischen Ungeheuer verflochten ist Gemeinsam mit unseren Verbündeten müssen wir verhindern, daß diese Macht in Versuchung geraten könnte, sich durch offene Aggression auszubreiten Wir müssen uns ihren andauernden Bemühungen widersetzen, durch Verschwörungen und Täuschungen Boden zu gewinnen; wir können und wollen nicht danach streben, sie durch Krieg zu bezwingen. Wir werden in unserer Bereitschaft zur Abwehr von Angriffen nicht hinter anderen zurückstehen — aber im Streben nach einem redlicheren Austausch, einer gleichmäßigeren Kommunikation und einer klareren Anerkennung der Tatsache, daß der Frieden im gemeinsamen Interesse liegt, müssen wir immer die ersten bleiben.

Freilich ist dabei stets im Auge zu behalten, daß diese Politik durch Fehleinschätzungen oder Provokationen seitens der Kommunisten in Frage gestellt werden kann Fortgesetzte und unmotivierte Verleumdungen im Zuge eines Krieges mit Worten, der die verbindlichen Töne zunehmender diplomatischer Höflichkeit Lügen straft, können den Frieden gefährden. Noch gefährlicher ist mit Drohungen gepaarter Druck, der sich gegen einwandfreie, wohlgesicherte Rechte richtet. Unsere Stärke und unsere Entschlossenheit sind solchen Herausforderungen gewachsen, aber die Geduld selbst der vorsichtigsten Demokratie ist niemals grenzenlos. Wir werden uns auch weiter beharrlich weigern, mit gleicher Münze zurückzuzahlen, aber wir werden auch weiterhin beharrlich darauf hinweisen, daß eine solche einseitige Abenteuerpolitik sowohl einer echten Großmacht schlecht ansteht als auch unweigerlich Gefahren heraufbeschwört.

Mit dieser entschlossenen, aber gemäßigten Haltung sind viele unserer Verbündeten zufrieden, einige sind bemüht, uns Zügel anzulegen, einige andere sind dagegen wegen unserer Zurückhaltung besorgt Wir stehen zwischen diesen verschiedenen Verbündeten — und doch halten wir auch mit ihnen allen zusammen. Denn letztlich steckt eine Realität in allen unseren Bündnissen und in unserer Rücksichtnahme auf alle unsere Verbündeten.

Das ist auch der Grund, weshalb wir bei der Diskussion über unsere zahlreichen Freunde die letzten Anmerkungen unseren Verbündeten widmen müssen. Es besteht Gefahr, und zwar eine handgreifliche Gefahr. Diejenigen, die diese Gefahr erkennen und darauf durch kluges, aber entschiedenes Handeln reagieren, haben ihre Wahl getroffen, nicht abseits zu stehen und nicht so zu tun, als ob die beiden Großmächte, weil es nur zwei davon gibt, einander (in irriger Logik) irgendwie gleichen müßten. Wir achten diese Wahl, und ihretwegen haben wir wechselseitige Verpflichtungen eingelöst und werden ihnen weiter nachkommen.

Das Risiko ist unteilbar Schließlich kommen wir zu der Frage, was wir selbst von unseren Freunden verlangen können. Sie wird allzuhäufig übergangen aus gewissenhafter, aber unvollständiger Sorge um das, was die anderen denken und wünschen. Sowohl von den Neutralen als auch von den Verbündeten dürfen wir rechtens dasselbe erwarten, was sie von uns verlangen: Verständnis dafür, daß wir eine eigene Rolle zu spielen und eigene Interessen zu vertreten haben. Unsere Macht und Verantwortung sind jetzt so augenfällig — so ganz und gar selbstverständlich geworden —, daß man leicht vergißt, was sie für uns bedeuten. So kommt es, daß enge Verbündete in seelenruhigem Vertrauen auf unser Fähigkeit, den Kernwaffenschild hochzuhalten, leicht die Kosten und Mühen dieser Aufgabe außer acht lassen. Das Urteil über die Vor-und Nachteile von Kernwaffenversuchen und Testverboten, die wir vollverantwortlich zu wägen haben, können andere mit unbekümmertem Optimismus fällen, weil sie sich auf uns verlassen. Die Abrüstung ist einfach für den, der sich frei von Verantwortung fühlt.

Noch einschneidender und für alle Beteiligten noch schwerer zu verstehen ist die Tatsache, daß wir uns jetzt ebenfalls in der vordersten Gefahrenzone befinden. Altgewohnte, tiefeingewurzelte geographische Vorstellungen weichen nicht ohne weiteres dem Faktum der Gegenwart auf beiden Seiten des Atlantiks; aber vielleicht haben wir die neue Realität klarer erfaßt als einige unserer europäischen Freunde. Der allgemeine Kernwaffenkrieg, den die Welt fürchtet, wäre eine Katastrophe für das Menschen-geschlecht. Über den stärksten Mitgliedern der beiden mächtigen, einander gegenüber stehenden Allianzen würden sich seine Schrecken mit größter Sicherheit entladen. Die gegenwärtige Gefahr nimmt keines der beiden Gestade des Atlantiks aus und macht auch keinen Unterschied zwischen Hamburg und San Franzisko. Wir können den Wunsch einiger verstehen, mit den prometheischen Kräften der Kernwaffen nichts zu tun zu haben, ebenso wie den anderer, ihren Schutz zu genießen, ohne das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen. Und während wir auf Grund unserer Erfahrungen mit den Kosten und Lasten der echten Mitgliedschaft im Klub der Kenwaffenmächte meinen, daß sich jene Länder weise verhalten, die nicht ihre Aufnahme betreiben, müssen wir voll anerkennen, daß es nicht unsere Sache ist, diese souveräne Entscheidung für andere zu treffen. Aber wir dürfen vernünftigerweise auch Verständnis dafür erwarten, daß unser eigener Platz im Zentrum der Kernwaffenkonfrontation unausweich-lieh festgelegt ist.

Aus dieser Konfrontation erwachsen uns sowohl Verantwortung als auch Sorgen. Gerade die Ernsthaftigkeit unserer NATO-Verpflichtungen hat somit zur Folge, daß wir uns über die Leichtfertigkeit wundern, mit der diese Verpflichtungen aus geringem Anlaß in Frage gestellt werden. Ähnlich ist es unsere Kenntnis der Kernwaffengefahren, die uns zu einem zweigleisigen Vorgehen veranlaßt, was aber wiederum einigen Verbündeten, ehrliche, aber in Mißverständnissen begründete Sorgen bereitet. . In erster Linie suchen wir beharrlich nach der besten und wirksamsten Regelung sowohl in technischer Hinsicht als auch in bezug auf die militärische Disziplin, um sicherzustellen, daß die Kernwaffen dann — aber nur dann — eingesetzt werden, wenn die Zentrale den Befehl dazu gibt. In zweiter Linie bleiben wir unermüdlich bestrebt, ir gendein praktikables und zuverlässiges Übereinkommen zu treffen, das die allgemeine Kernwaffengefahr einschränkt und der Welt größere Sicherheit gewährt.

Wir wissen besser als jede andere Nation, wie wenig ernsthaftes Entgegenkommen die Sowjetunion bisher in Wort und Tat gezeigt hat. Aber wir werden die vernünftige, notwendige menschliche Suche nach einem brauchbaren Übereinkommen nicht aufstecken. Darüber hinaus werden wir immer die Risiken des uneingeschränkten Wettbewerbs messen, und wir gedenken nicht, uns von diesem Kurs durch Leute abbringen zu lassen, die auf dieser oder jener Seite der Auseinandersetzung die eine Gefahr herausstreichen und die andere ignorieren.

Gegenseitiges Verständnis der Verbündeten ist ertorderlich Außerhalb des nuklearen Bereichs, in dem das gegenseitige Verständnis auch die bestehende Tatsache unserer besonderen Verantwortung einschließen muß, lassen sich unsere Ansprüche an unsere Freunde auf die Formel der Wechselseitigkeit bringen. Was wir an Respekt vor unseren Überzeugungen und an Rücksichtnahme auf unsere Besonderheiten verlangen, müssen wir auch bereitwillig anderen entgegenbringen. In einer weiteren Beziehung dürfen wir vielleicht besonderes Verständnis beanspruchen: da wir die meiste Macht besitzen, haben wir auch die meisten Bindungen — und daraus ergeben sich für uns besonders zahlreiche Interessenkonflikte. Interessen und auch Sympathien können uns in zwei und mehr Richtungen ziehen. Wer eine solche Wahl für leicht hält, dürfte sich irren, und unsere Politik wird uns oft zu Stellungnahmen veranlassen, die beide Seiten mißbilligen. Es kommt uns zu, diese Verantwortung kühl auf uns zu nehmen — so wie wir dies in den letzten Jahren in unterschiedlicher Weise im Kongo, in West-Neuguinea, in der Dominikanischen Republik und im Mittleren Osten versucht haben. Es ist ebenso billig, daß wir allgemeines Verständnis für diese unsere Lage verlangen, wie es töricht wäre, den Beifall der jeweils interessierten Parteien in jedem Einzelfall zu erhoffen.

Und schließlich sind da die Dinge, die uns als Volk besonders zu schaffen machen. Nationen haben genau wie Einzelmenschen ihre Überzeugungen, die zu bestimmten Zeiten nicht diskutabel sind. Die unsrigen sind begrenzt, aber real. Sie mögen vielleicht nicht universale Billigung finden, doch täte man gut daran, sie verstehen zu lernen. Unsere Ansichten über Rotchina und Kuba zum Beispiel sind unseres Erachtens samt und sonders stichhaltig begründet. Wir verlangen nicht, daß andere, die dem nicht beipflichten, ihre Meinung ändern oder auf unsere Freundschaft verzichten. Aber sie sollten einsehen, daß es der internationalen Verständigung nicht förderlich ist, mit bequemer Selbstgerechtigkeit zu versichern, solche Vorstellungen seien „völlig abwegig“. Wir hegen sie jedenfalls. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, unsere Gründe zu prüfen und unsere Überzeugungen zu respektieren. Die angemessene Betonung der eigenen nationalen Interessen darf uns — und ebensowenig unsere Freunde — freilich nicht blind machen für weiter ausgreifende Anforderungen. Die sich abzeichnende Gesellschaft freier Nationen kann und soll nach unserer Ansicht eine solche Gestalt annehmen, daß dabei den Lebensinteressen aller Beteiligten gemeinschaftlich gedient wird. Wir versuchen nicht, für uns zu gewinnen, was wir anderen verweigern würden. Selbst bei der makabren Aufgabe der nuklearen Abschreckung können wir teilen, sofern bei einer solchen Teilung Gleichheit herrscht. Und am erfreulicheren Ende des Spektrums der gegenwärtigen Situation liegt uns nichts mehr am Herzen, als daß alle Völker einen Weg zu Gesittung und Hoffnung im rein Menschlichen finden werden. Unbeschadet aller unserer nationalen Schwächen scheuen wir keinen Vergleich hinsichtlich der Tiefe und Lauterkeit unserer Hingabe an diesen Vernunfttraum.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung: McGeorge Bundy, Sonderreferent für Sicherheitsfragen des Präsidenten der Vereinigten Staaten Amerikas.