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Der Imperialismus in marxistischer Sicht | APuZ 30/1964 | bpb.de

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APuZ 30/1964 Der Imperialismus in marxistischer Sicht Der Imperialismus in marxistischer Sicht Artikel 1

Der Imperialismus in marxistischer Sicht

Lutz Köllner

Vorbemerkungen

Die Bezeichnung der westlichen Welt als „kapitalistisch", „imperialistisch", „monopolkapitalistisch" usw. gehört zu den ältesten und anscheinend unverzichtbaren Gewohnheiten marxistischer Ideologen. Daß dabei das Schwergewicht einmal auf dem einen, zu einer anderen Zeit auf einem anderen dieser und ähnlicher Worte liegt, tut wenig zur Sache und ist meist nur taktisch bedingt. Zum eisernen Sprachschatz neomarxistischer Dogmatiker und Ideologen gehört die Bezeichnung „imperialistisch" für die westliche Welt jedenfalls. In den angedeuteten Wortverbindungen verbirgt sich bei näherem Zusehen mehr als nur eine bloße Ansammlung von deklassierenden Schmähungen für den politischen Gegner: durchaus ernstzunehmende ökonomisch-soziale Entwicklungstheorien stehen hinter den Schlagworten vom „expansiven“, „monopolkapitalistischen", „friedensfeindlichen" westlichen Kapitalismus. Grund genug, sich hinter den Fassaden der Propagandaschlagworte mit einigen grundlegenden Thesen des Marxismus über den Imperialismus zu beschäftigen. Nicht nur die sowjetischen Ideologen, sondern auch weite Kreise der sowjetischen Bevölkerung sehen heute die westliche Welt durch die Brille einer vereinfachten „Imperialismustheorie“. Auch mancher Zug der sowjetischen Außenpolitik kann nur verstanden werden, wenn man die — meist sogar unbewußte — Einschätzung ihrer Imperialismusthesen durch die sowjetischen Ideologen kennt.

Freilich wollen wir dabei nicht in der national-ökonomischen Theoriengeschichte stehen bleiben sondern auch versuchen, einige wesentliche, auch für unsere politische Gegenwart und Zukunft entscheidende imperialistische Züge des militanten politischen Kommunismus aufzudecken. Denn so sehr die marxistisch-kommunistische Propaganda auch den Eindruck erwecken möchte, daß der Imperialismus ausschließlich eine Erscheinung der westlichen Welt sei, die notwendig in der Gesellschaftsordnung, wie sie die kommunistischen Marxisten anstreben, keinen Platz haben können, so sicher ist es doch, daß imperialistische Züge im außenpolitischen Handeln sich auch für die Sowjetunion und andere kommunistische Länder finden lassen. Es geschieht dies nicht in der Absicht, gleichsam imperialistische Sünden in Ost und West zu erkennen und gegeneinander aufzurechnen und einen möglichen Saldo mit einer wertenden Note versehen ins Buch der Weltgeschichte einzutragen. Es kommt uns vielmehr darauf an, zu zeigen, daß Imperialismus und imperialistische Absichten sich keinesfalls auf die westlichen Gesellschaftsordnungen der Vergangenheit beschränken lassen, wie es uns der wissenschaftliche Marxismus und die kommunistische Tagespropaganda immer wieder weismachen möchten. Auf den ersten Blick scheint es zwar immer wieder, als hätten die theoretischen Marxisten die Imperialismus-thesen und -deutungen gewissermaßen in Erbpacht genommen; aber wir dürfen nicht übersehen, daß allein schon viele Formulierungen im kommunistischen Manifest von 1848 und auch der Gedanke einer proletarischen Weltrevolution marxistischer Provenienz Grundformen imperialistischen Verhaltens verraten. Hinzu kommt, daß sich bis in die Sowjetunion eines Chruschtschow unserer Tage hinein panslawistische, altrussische und nationale — hier nicht näher zu charakterisierende — außenpolitische Expansionstendenzen gehalten und gestärkt haben, die schon beim ersten Blick mindestens in der Nähe imperialistischer Verhaltensweisen stehen. Wir verzichten bei der Erörterung dieser Zusammenhänge von vornherein darauf, gleichsam philologisch das Phänomen des Imperialismus zu deuten, wir wenden uns vielmehr im ersten Teil unserer Analyse den wichtigsten Imperialismustheorien zu, die wir aber nicht allein dogmengeschichtlich abhandeln, sondern die wir vielmehr möglichst stets im Zusammenhang mit konkreten politischen Ereignissen sehen wollen.

Wie wichtig neben der notwendigen Auseinandersetzung mit den marxistischen Imperialismusversionen eine Auseinandersetzung mit dem Imperialismus ist, beweist auch die Tatsache, daß im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch zunehmend in populären wissenschaftlichen Enzyklopädien zum Beispiel die ganze Spanne zwischen Französischer Revolution und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges pauschal als das Zeitalter des Imperialismus bezeichnet wird, wobei häufig genug Begriffe wie Imperialismus und Kolonialismus syno3 nym gebraucht werden Ganz sicherlich gibt es hier eine Gefahr, bestimmte Begriffe der Geschichtswissenschaft und der Sozialökono-mie unzulässig zu vermischen und anzuwenden, indem nicht immer klar genug zum Ausdruck gebracht wird, was mit Imperialismus eigentlich gemeint sein soll und wie man ein Zeitalter des Imperialismus gegenüber anderen Etappen der Geschichte begrenzen soll. Denn die Formulierung eines „Zeitalters des Imperialismus" bedeutet ja nicht weniger als bereits die stillschweigende Behauptung, daß der Imperialismus epochal zu verstehen sei, woraus wiederum gefolgert werden kann, daß mit dem Übergang in eine andere Epoche, gleich wie sich dieser Übergang vollzieht (etwa im Sinne einer marxistischen historischmateriellen Dialektik oder evolutionär-pluralistisch), auch der Imperialismus verschwinden müsse, wenigstens in seiner herkömmlichen Gestalt. Wer von einem Zeitalter des Imperialismus spricht, der übersieht mithin leicht, daß er sich bereits zu einer ganz bestimmten Gruppe von Imperialismustheorien bekennt und daß es zum Beispiel imperialistisches Handeln zweifellos auch schon im alten Ägypten, im Rom der frühen Kaiser oder in der explosiven Welteroberung zu Beginn der Neuzeit durch Spanien und Portugal gab Natürlich ist dies zu einem erheblichen Teil auch eine Frage der Definitionen, die wir zunächst kennenlernen müssen, einmal um verschiedene Lager von Imperialismustheoretikern zu unterden, zum anderen aber auch, um verschiedene Typen imperialistischen Handelns herauszuarbeiten. Denn, das beweist schon eine flüchtige Analyse der vergangenen 150 Jahre neuerer Geschichte, imperialistisches Handeln kann verschiedene Formen annehmen, weil es verschiedene Ursachen haben kann, womit die marxistischen Imperialismustheorien, die immer nur einen bestimmten Ursache-Wirkungszusammenhang für imperialistisches Handeln behaupten, nämlich ausschließlich ökonomische Rentabilitätserwägungen einer kapitalistischen Privatwirtschaft, sich von vornherein lediglich als mögliche unter anderen Imperialismustheorien erweisen.

Um erkennen zu können, welche Bedeutung das Imperialismusphänomen besonders im marxistischen Denken einnahm und einnimmt, empfiehlt es sich, sich zunächst mit drei verschiedenen Gruppen von Imperialismusdeutungen vertraut zu machen. Dadurch werden die marxistischen Versionen zusätzlich charakterisiert. Wir müssen dabei freilich anmerken, daß es sich hierbei lediglich um gewisse Schwerpunkte handelt und daß es verschieden gefärbte Übergänge zwischen einzelnen Theoriegruppen gibt.

Verschiedene theoretische Ansätze

Ehe wir die Frage beantworten können, ob und in welchem Maße sowie in welcher Gestalt in der Sowjetunion imperialistische Absichten nachweisbar sind und ob der Marxismus selbst auch imperialistische Züge trägt, muß die Vorfrage geklärt werden, was denn Imperialismus überhaupt ist Eine einheitliche Definition dieses Begriffes gibt es nicht, vielmehr müssen von vornherein mindestens drei Gruppen von Imperialismusdeutungen unterschieden werden, die abwechselnd in der Geschichtswissenschaft, in der Nationalökonomie oder in den Grenzbezirken zwischen Wissenschaft und Weltanschauung ihre Wurzeln und Schwerpunkte haben. Wir nennen sie die national-völkischen, die marxistischen und die konstitutiv-historischen Imperialismustheorien. In der Tagesdiskussion haben die marxistischen Versionen zwar ein besonderes Gewicht, die wissenschaftliche Bedeutung der konstitutiv-historischen Theorien für eine überepochale Analyse des Imperialismusphänomens muß jedoch weit höher veranschlagt werden. Die folgenden Ausführungen werden dies noch im einzelnen zeigen

Die hier national-völkisch genannten Imperialismustheorien sehen die eigentlichen und stets epochal begrenzten Antriebskräfte des Imperialismus im Nationalen oder im Nationalismus Sie sind notwendig zugleich in erster Linie Theorien für den Geschichtsablauf vor allem der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem die industriell expandierenden europäischen Nationen sich ihre Kolonial-reiche schaffen, neue Imperien gründen und in einen Wettlauf um eine letzte Verteilung der nun geographisch endgültig bekannten Welt eintreten. Wir sprechen hier nicht von jenen Ansichten, die diesen Prozeß des Aufbaus weltumspannender Kolonialmächte erklären und gleichzeitig rechtfertigen wollen, indem sie eben auf die nationalen (in Wahrheit aber meist nationalistischen Wurzeln) eines so verstandenen Imperialismus hinweisen und an das nationale Selbstverständnis in Geschichte, Politik und wissenschaftlicher Historik appellieren. Wir dürfen nicht übersehen, daß sich manche Imperialismustheorien dieser Gruppe mit anderen politisch-ideologischen Vorstellungen verbanden, wie zum Beispiel der These von der rassischen Überlegenheit des weißen Mannes gegenüber den farbigen Völkern Afrikas und Asiens oder — gleichsam innerhalb der weißen Rasse nochmals unterscheidend — von einem Vorrecht zum Beispiel der biologisch „starken" Völker vor den „schwächeren", weil rassisch und biologisch unterentwickelten Volksstämmen Die Grenzen zu einem primitiven Sozialdarwinismus, wie ihn schließlich auch Hitler im Exzeß vertrat, sind dabei oft flüssig. Gobineau etwa, der französische Gesellschaftsphilosoph, hatte schon früh auf rassische Komponenten für die territoriale Expansion (und auch deren Rechtfertigung) der europäischen Nationen hingewiesen, und der bekannte englische Romancier Kipling sprach bekanntlich von der Bürde des weißen Mannes und verstand den europäischen Kolonialismus als zivilisatorisch-humane Aufgabe. Wir verzichten an dieser Stelle auf jede nähere Analyse und Prüfung der wissenschaftlichen Haltbarkeit derartiger Theorien. Aber wir dürfen jedenfalls feststellen, daß sich bei der Erklärung des Imperialismusphänomens mancherlei völkische, rassische und nationale Vorstellungen und Gedanken mit einer Erklärung des Kolonialismus verbinden. Es ist übrigens keineswegs so, als würde die breite, pamphlethafte Propaganda der Sowjets gegen den Westen auf derartige Argumente völlig verzichten. Sie garnieren recht gerne ihre eigene Kritik des kapitalistischen, also im Kern ausschließlich ökonomisch gedachten Imperialismus der westlichen Welt mit schar-6) fen Gegenargumenten aus dem Arsenal der national-völkischen Theorien.

Dabei übersehen sie bei aller berechtigten Kritik an den ideologischen Elementen dieser Theorien, die eine Epoche zu ihrer Selbst-bestätigung mannigfach hervorbrachte, daß zweifellos gewisse sozialpsychische Komponenten bei expansiven nationalen politischen Strömungen nachweisbar sind. Rußland selbst bietet hierfür ein einprägsames, wenn auch noch nicht gänzlich geklärtes Beispiel. Der politische Drang der russischen Völker nach Westen ist ja keineswegs nur eine bolschewistische Erscheinung, sondern eine Leitmelodie der russischen Außenpolitik der vergangenen drei Jahrhunderte Man denke nur an die drei Teilungen Polens. Nun ist es freilich eine Sache der Definition, was man als Imperialismus und was als situationsund zeitbedingte einmalige territoriale Expansion bezeichnen will. Kritiker der These von einem überlieferten russischen Imperialismus haben dabei immer wieder darauf hingewiesen, daß zum Beispiel die Russen erst dafür gewonnen werden mußten, Napoleon auch über die Westgrenzen ihres Landes hinaus nach Deutschland hinein zu vertreiben, obwohl sich hier doch zweifellos eine beachtliche Chance bot den russischen Einfluß auf Mitteleuropa auszudehnen. Die These vom untergründigen slawischen sozialpsychischen Minderwertigkeitskomplex gegen der europäischen Kultur-und — später — auch Industriewelt ist zwar noch niemals wirklich überzeugend begründet worden, aber sie konnte ebenso wenig zwingend widerlegt werden, und tatsächlich lassen sich Spurenelemente eines unbewußten sozial-psychischen Kompensationsdranges in der rus-

sischen wie auch in der sowjetischen Außenpolitik nachweisen, ohne damit freilich schon eine komplette Geschichtstheorie russischer Außenpolitik abzugeben

So wenig die sowjetischen Marxisten derartige Erscheinungen in ihrem politischen Handeln anerkennen können, da diese den Grundgedanken ihrer materialistischen Geschichtsauffassung weitgehend widersprechen und zudem die Glaubwürdigkeit der marxistischen Gedankenwelt vor den Augen der übrigen Welt in Frage stellen würden, so wachsam sind sie doch stets gewesen, wenn es galt, rassisch-völkisch-nationale Triebkräfte des Imperialismus bei anderen, besonders bei ihren demokratischen Gegnern festzustellen.

Völlig zu Recht haben die russischen Marxisten verhältnismäßig früh erkannt, welche große Bedeutung das völlig irrationale Moment der nationalsozialistischen These vom Lebensraum im Osten Europas im Denken Hitlers spielte. Diese Irrationalität oder auch ideologische Verkleidung der expansiven militanten Ostpolitik unter Hitler wurde von diesem selbst mehrfach unterstrichen Persönlich teilte er zwar die in der deutschen Mentalität tief verankerte Abneigung gegen die Weiten des Ostens und betonte, es seien lediglich nüchterne (in Wahrheit aber ideologische) Überlegungen, die ihn veranlaßten, im Osten politisch-militärisch Land zu gewinnen. Im Denken Hitlers, der übrigens für die afrikanischen Kolonien wenig Interesse zeigte (auch Bismarck stimmte der deutschen Landergreifung etwa durch Gustav Nachtigall oder Carl Peters ja nur zögernd zu), hat sich die These vom Lebensraum für Deutsche im Osten insofern gegenüber herkömmlichen nationalistischen Begründungen eines deutschen Imperialismus individuell verschoben, als seine Kreuzzugsidee, wie wir heute wissen, den eigentlichen Mittelpunkt seines persönlichen Machtanspruchs darstellte, was schon darin sichtbar wird, daß er die Standardwerke der nationalsozialistischen politischen Philosophie nicht einmal las, geschweige denn sich auf sie berief.

Die jüngste Theorie eines nationalen deutschen Imperialismus stammt von George W. F. Hallgarten Er nimmt an, daß nach 1871, dem Jahr der Reichsgründung, in Deutschland über Bismarck zwei Mächte in die deutsche Außenpolitik eintraten, die ziem-lieh genau der sozialökonomischen Struktur Deutschlands mindestens bis zum Ersten Weltkrieg entsprachen: die Großgrundbesitzer als Vertreter des Adels und damit als Restbestände der zu Ende gehenden feudalen deutschen Wirtschaftsund Gesellschaftsepoche sowie die Vertreter der mächtig wachsenden Industrie. Dieses Bündnis habe wesentlich die verhängnisvolle deutsche Außenpolitik zwischen 1871 und 1914, also den engeren Zeitraum des deutschen Imperialismus, bestimmt. Die Interessen beider Gruppen, so meint Hallgarten, seien nämlich keineswegs gleichgerichtet gewesen. Während die politischen Vertreter des Großgrundbesitzes durch ihre Schutzzollpolitik das politische Verhältnis zu Rußland untergruben, hätte die Industrie die politische Gegnerschaft Englands heraufbeschworen, und beide hätten sich mit dem ohnehin 1870 gedemütigten Frankreich verbunden. Dahingestellt, ob man die deutsche Außenpolitik unter Bismarck und Wilhelm II.

auf solch einen kurzen Nenner bringen kann, dahingestellt auch, ob es sinnvoll ist, diese Politik des „Sowohl-als-Auch" als einzige Triebfeder deutscher imperialistischer Bestrebungen hinzustellen und sie überdies abhängig zu sehen ausschließlich von ökonomischen Tatsachen und Ursachen; für unseren Zusammenhang wichtig ist die Feststellung, daß mit Hallgartens erst vor kurzem erschienener Arbeit die lange Reihe von Imperialismusdeutungen sich fortsetzt, die letzten Endes im Nationalen den Kern imperialistischer Antriebe erkennen zu können meinen Hitler hat offensichtlich die problematische Doppelgleisigkeit der deutschen Vorkriegsaußenpolitik erkannt und sie, wenigstens ideologisch und zur Bemäntelung seiner individuellen Herrschaftsansprüche, zugunsten des deutschen Lebenskampfes im Osten gedanklich zu lösen versucht. Die russischen Marxisten haben diesen Grundzug in Hitlers außenpolitischen Verhalten zweifellos immer klar erkannt, wobei ihre Tagespropaganda aus taktischen Gründen die Verbindung eines deutschen faschistischen Imperialismus mit imperialistischen Absichten anderer Länder als möglich oder sogar tatsächlich vorhanden hinstellt. Da sich aber selbst ihnen Hitlers Verhalten nicht immer eindeutig darstellte (was es ja auch tatsächlich nicht war), sprechen sie der Einfachheit halber von imperialistischen und faschistischen Kräften, die sich seit jeher gegen die Sowjetunion richten, wozu in ihren Augen heute auch die Bundesrepublik zählt. Der Faschismus erscheint den Marxisten ja nicht als das, was er wirklich war, nämlich als ein Anschlag gegen die liberale Demokratie, sondern als deren Begleiter, dessen schwierige begriffliche Bestimmung dadurch umgangen wird, daß man zusammenfassend von imperialistisch-faschistischen Angriffsabsichten spricht und somit dem Faschismus die Rolle einer historischen Sonderkategorie einräumt, die sich, genau besehen, nur sehr schwer in das einfache dialektische Schema der marxistisch-sowjetischen Geschichtsauffassung einfügen läßt. Denn schließlich hatte sich auch der Faschismus ideologisch die Beseitigung der sozialen Klassenkämpfe auf die Fahnen geschrieben, und wir wissen heute überdies, daß Mussolinis und Hitlers Faschismus starke Wurzeln im marxistischen Denken hatte. Grund genug für die neomarxistischen Ideologen, den faschistischen deutschen Expansionsdrang nach Osten in ihre historischen Rubriken nur zögernd einzuordnen und ihn immer wieder als Sonderfall anzusehen. Wir kommen auf einige Fragen, die hiermit im Zusammenhänge stehen, noch einmal zurück. Jedenfalls dürfen wir feststellen, daß auch die marxistische Imperalismustheorie, ähnlich wie die gesamte übrige politische Ökonomie der Marxisten, in erster Linie stets eine Kritik der bürgerlichen Welt und Gesellschaft blieb und keinen Bestandteil einer kritischen Analyse der eigenen historisch-geschichtlichen bildet. Die Imperialismustheorie ist den Marxisten ein mächtiges Instrument im Kampf mit dem ideologischen Gegner und nicht ein Mittel politischer Selbsterkenntnis. Intern betrachtet, ist diese Haltung absolut verständlich. Sie bedeutet freilich auch ein Ausweichen vor einer selbstkritischen Analyse, die freilich notwendig die Kategorien des traditionellen marxistischen Denkens sprengt. Denn jedenfalls ist der Ruf nach Weltrevolution durch die Arbeiterklasse unter der Führung nationaler kommunistischer Parteien imperialistisch in dem Sinne, daß ohne angebbare Grenzen eine Ausweitung der politischen Macht einer sozialen Klasse gefordert wird, freilich nicht um den Selbstzweck des politischen, sozialen oder militärischen Kampfes willen, sondern um den mit Hilfe der dialektischen Methode erkannten Sinn der Geschichte zu erfüllen.

Der Beitrag Schumpeters zur Imperialismusdebatte

Die zweite Gruppe von Imperialismustheorien, von denen wir hier nur die scharfsinnige Analyse Josef Schumpeters heranziehen wollen, sieht den Imperialismus nicht als zeitbedingt oder epochal begrenzt, sondern als einen Grundzug in der Geschichte der Völker an. Für Schumpeter ist Imperialismus die „objektlose Disposition eines Staates zu gewaltsamer Expansion ohne angebbare Grenzen“. Imperialismus ist für ihn ohne eigentlichen Anfang und ohne bestimmbares Ende. Er ist nicht auf das 19. Jahrhundert, das Zeitalter des Kolonialismus im engeren Sinne, beschränkt. Ganz im Gegensatz zur marxistischen Version des Imperialismus, die wir noch näher kennenlernen werden, ist Schumpeter der Auffassung, daß der „reine" Kapitalismus kein Nährboden für imperialistische Machtansprüche sein könne. Im Gegenteil: Die Verfälschungen des ursprünglichen, auf dem Konkurrenzprinzip aufbauenden Kapitalismus sind es nach Schumpeter, die imperialistische Triebe fördern, so etwa mangelnder internationaler Kapitalverkehr und eine mächtige Monopolbildung, vor allem im Exportgeschäft. Hingegen seien freie Konkurrenz und Freihandel von Grund auf antiimperialistische Kräfte. Auch die Schutzzölle des 19. Jahrhunderts haben nach Schumpeters Auffassung einen entscheidenden Anteil am Kolonial-Imperialismus der europäischen Industriemächte

Diesen sieht Schumpeter aber nicht als ausschließlich ökonomisch bedingte Erscheinung, womit er sich in offenen Gegensatz setzt zu den wichtigsten marxistischen Imperialismus-deutungen. Vielmehr greift Schumpeter noch in eine tiefere, metaökonomische Schicht der

Geschichte und glaubt nachweisen zu können, daß schon im Altertum ebenso wie in der neueren Geschichte immer wieder der Typ des „ewigen Kriegers“ aufgetreten sei, der den Kampf um des Kampfes willen geliebt habe, der eine stete Ausdehnung seiner Macht angestrebt habe, ohne daß dafür Notwendigkeit oder Anlaß gegeben wären. Die Verwandtschaft dieser Schumpeterschen Konstruktion des „ewigen Kriegers“ mit den Archetypen der jüngeren Psychoanalytik ist unverkennbar. Immer wieder, so meint Schumpeter, seien in der Geschichte Menschen hervorgetreten, die in mancherlei politischer Gestalt und vielerlei ideologischer Verkleidung jedenfalls eine territoriale Ausdehnung angestrebt hätten, die jenseits aller Rationalität liege. Da für Schumpeter der Kapitalismus zu Recht ein System höchster Rationalität ist, kann er nicht in diesem Sinne in seinem Kern imperialistisch sein. Gewiß sei es möglich, daß der Kapitalismus zugrunde gehe, aber dies geschähe nicht infolge einer von den Marxisten behaupteten inneren Zwangsläufigkeit des Systems, sondern infolge gewisser irrationaler Züge, die im Laufe der Zeit in das ursprünglich rationale kapitalistische System Eingang fänden. Dem Ansturm seiner Gegner, so meint Schumpeter, wird der Kapitalismus unterliegen, und seiner eigenen Irrationalität.

Wir werden noch sehen, daß die Schumpetersehe Version des Imperialismus in einem ganz anderen Bereich des kritischen politisch-soziologischen Denkens steht als die marxistische Auffassung.

Der Grund hierfür liegt vor allem darin, daß, gleichsam unter den einzelnen Epochen der Wirtschaftsund Sozialgeschichte liegend, noch ein zusätzlicher Grundzug der Geschichte angenommen wird, der als latentes, atavistisches, politisch bedeutungsvolles Gefühl auftritt. Die ebenso sozialwie individualpsychologisch wichtige Erscheinung des „ewigen Kriegers“ als eines immer wiederkehrenden Typus in der uns bekannten politischen Geschichte ist naturgemäß eine völlig andere Erklärung des Imperialismus als die durch die Marxisten, die allein die Dialektik und die Materialistik der Geschichte in der besonderen Form des privatwirtschaftlichen Kapitalismus für den Imperialismus verantwortlich ma-chen, wie wir noch sehen werden.

Daß die Marxisten dabei zwischen Imperialismus und Kolonialismus nicht näher unterscheiden, sei nur am Rande vermerkt; für sie ist es die gleiche Erscheinung, was freilich für Deutschland nicht zutrifft, wenn man etwa an die schon erwähnte sehr zögernde deutsche Kolonialpolitik unter Bismarck denkt, die sich eher wie ein Anpassungsprozeß an die außenpolitischen Gewohnheiten der übrigen europäischen Industriemächte des auslaufenden 19. Jahrhunderts ausnimmt und nicht wie eine eigenständige, starke, auf territoriale Expansion um jeden Preis bedachte Außenpolitik. Wenn sich am Ende des Ersten Weltkrieges die beiden entscheidenden Imperialismusdeutungen von Schumpeter und Lenin gegenüberstehen (wobei Lenin sehr stark auf mehreren Vorläufern fußte), so ist es gewiß richtig zu sagen, daß dies auch eine Gegenüberstellung zwischen ursprünglicher marxistischer Geschichtsauffassung und einer methodisch breiter angelegten Geschichtsbetrachtung Schumpeters ist. Schumpeter lehnt die materialistische Methode zwar nicht völlig ab, aber er dogmatisiert sie auch nicht. Er überwindet die Schwächen der nationalen deutschen Geschichtsschreibung, die im 19. Jahrhundert stark vom Erlebnis des preußischen Staates beeinflußt war (natürlich auch bei Hegel, dem Ausgangspunkt des Marx'schen Denkens), indem er den Blickwinkel weitet und jede vorschnelle Geschichtsdeutung an Hand nur äußerer Fakten ablehnt. Schumpeters Geschichtsschau steht außerdem der psychoanalytischen Welt eines Siegmund Freud nahe. Wir sehen hier, daß sich in einer scheinbar zunächst so speziellen Frage wie der nach dem Wesen und den Ursprüngen des Kapitalismus äußerst wichtige Unterschiede eines wissenschaftlichen Weltbildes verbergen. Nur die marxistisch-kommunistische Propagandaarbeit mit ihren vielen unsichtbaren Erfolgen in der stillen Übernahme von Schlagworten selbst durch die erklärten Gegner des Marxismus kann immer wieder Punkte für sich buchen, wenn sie die Menschen glauben machen will, daß Imperialismus eine eindeutig erklärbare Erscheinung nur einer bestimmten Epoche und einer bestimmten Gesellschaftsordnung, nämlich der bürgerlichprivatkapitalistischen, sei

Wir können jetzt sagen, daß die erste Gruppe der Imperialismustheorien nicht zuletzt auch zur Rechtfertigung des Imperialismus entworfen wurden, also ein Ergebnis der ökonomischgesellschaftlichen Basis sind, auf der sie erwuchsen. Natürlich muß man bei manchen Autoren Einschränkungen machen, aber für die Gruppe als Ganzes gesehen stimmt dies. Schumpeters Deutung ist überzeitlich und in ihrem Kern unmarxistisch, da sie eine betont psychologische Komponente herausstellt, nämlich den Typ des „ewigen Kriegers". Klarer noch wird uns diese Theorie, wenn wir uns nun der dritten Gruppe zuwenden, den eigentlichen marxistischen Imperialismustheorien, die wir hier aber nicht ihrer selbst wegen behandeln, sondern sofort im Zusammenhang mit bestimmten Erscheinungsformen der sowjetischen Außenpolitik und der Außenpolitik anderer Ostblockstaaten. Auf diese Weise können wir schon an dieser Stelle die rein gedanklich-theoretische Erörterung des Imperialismusphänomens beenden.

Die marxistische Imperialismusversion

Genau besehen, ist es eine grobe Vereinfachung, von der marxistischen Imperialismusdeutung zu sprechen Ebenso unrichtig oder doch mindestens schief ist es, Lenin als den wichtigsten Vertreter der marxistischen Variante der Imperialismustheorien anzusehen. Seine, 1921 auch in deutscher Sprache erschienene Schrift vom „Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus" wurde lediglich die populärste Schrift über diesen Gegenstand; bei weitem nicht ist sie die originellste In diesem Abschnitt müssen wir demnach von zwei wesentlichen Tatsachen ausgehen, die in der populären Erörterung über Wert oder Unwert der marxistischen Imperialismusdeutung meist übersehen werden:

1. Es gibt verschiedene marxistische Imperialismustheorien,

2. Lenin ist nicht der eigentliche marxistische Theoretiker über den kapitalistischen Imperialismus, sondern lediglich ein wortgewandtes Sprachrohr marxistischer Dogmatik.

Prüfen wir beide Behauptungen näher nach, so wird nicht nur der Gang der bisherigen marxistischen Imperialismusdebatte deutlich, es zeigt sich darüber hinaus zudem, daß innerhalb des marxistischen Lagers zeitweise zum Teil erhebliche Meinungsverschiedenheiten herrschten. Ebenso wie eine genaue Erörterung der verschiedenen Imperialismusversionen marxistischer und nicht-marxistischer Denker grundlegende methodische Probleme der Geschichtsschreibung aufrollt, ebenso enthüllt eine nähere Analyse der marxistischen Imperialismusdebatte tiefgreifende Unterschiede im marxistischen Denken auch der jüngsten Vergangenheit. Die Beurteilung des Imperialismus ist noch heute geradezu ein Prüfstein für die Linientreue konservativer Marxisten, ebenso wie sie den Grad an politisch-ideologischer Abweichung erkennen läßt, deren sich ein marxistischer Denker schuldig machen kann

Für die kommenden Ausführungen müssen wir uns ständig vor Augen halten, daß die vorgebrachten Argumente wechselnd auf verschiedenen Ebenen stehen. Einmal nämlich geht es um die gedankliche Bewältigung imperialistischer Erscheinungen, die marxistisch oder nicht-marxistisch gedeutet werden können. Zum anderen geht es um die Frage, welche imperialistischen Züge in der jüngsten russischen und europäischen Geschichte sich nach Auffassung der einen wie der anderen theoretischen Imperialismusdeutung erkennen lassen. Darüber hinaus muß man verstehen, daß die Theorien über imperialistische Tendenzen im Leben der Völker jedenfalls auch ein Ergebnis der gesellschaftlich-ökonomischen Basis sind, auf denen sie stehen, mithin also immer nur einen historisch bezogenen Wert haben oder, wie es der Geisteswissenschaftler nennt, immanent urteilen können. Dabei wiederum braucht man nicht so weit zu gehen, wie es die Neomarxisten noch immer tun, und die Verbindung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftstheorie als einen Bezirk des geisti-gen Lebens als jedenfalls und einseitig abhängig zu betrachten, wobei die technisch-industriellen Produktionsbedingungen allein die Bewußtseinsinhalte einer Epoche erfüllen. Wir sehen, die Frage nach der Klärung des Imperialismus in marxistischer Sicht führt jedenfalls auch heran an einige andere Fragen der marxistischen Philosophie. Die Imperialismustheorien der Marxisten sind immer auch Prüfsteine ihrer Philosophie gewesen und ohne den gesamten Unterbau der Marx'schen Ökonomie sind sie ohnehin nicht denkbar Die marxistischen Imperialismustheorien, die — wie wir noch sehen werden — keine einheitliche, geschlossene Gruppe bilden, deren Vertreter sich vielmehr zum Teil heftig befehdeten, verdanken ihren Ursprung einem doppelten Mißverhältnis der marxistischen ökonomischen Theorie zur tatsächlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwidc-lung der führenden Industriestaaten Europas bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Karl Marx hat in seinem umfangreichen gesellschaftskritischen Werk über den Kapitalismus den geschichtlich notwendigen Zusammenbruch dieses Systems darzulegen versucht. Zwar hat er keine unmittelbar sogenannte Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus entworfen, aber aus verschiedenen Teilstücken seines Werkes, das wir hier im wesentlichen als bekannt voraussetzen müssen, läßt sich eine komplette Zusammenbruchstheorie der kapitalistischen bürgerlichen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung zusammenstellen und herauslesen.

Die tatsächliche Entwicklung der realen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse verlief jedoch anders, als von Marx prophezeit, und zudem wandelte sich auch innerhalb der revolutionären Führerschaft der Arbeiterbewegung die Auffassung darüber, wann und in welcher Form sich der Zusammenbruch des Kapitalismus abspielen werde. Das erste Mißverhältnis erklärt die Existenz der marxistischen Imperialismustheorien schlechthin, das zweite erklärt die unterschiedlichen Auslegungen, die das Phänomen durch die marxistischen Denker erfuhr. Dahinter steht der bekannte Streit über die Bedeutung und das Primat einer revolutionären oder einer evolutionären historischen Entwicklung, was wir noch näher erläutern werden Karl Marx war kein Pessimist der Gesellschaft oder des sozialen Menschen, wie immer noch fälschlich hier und da vorschnell behauptet wird. Pessimistisch war er nur mit Blick auf die kapitalistische Gesellschaft, die er als ausschließlich bürgerliche Gesellschaft verstand. Nach seiner Auffassung war der Kapitalismus nicht auf die Dauer lebensfähig, trug er doch einen entscheidenden Widerspruch in sich, einen Widerspruch, der in anderer Form auch in früheren Epochen der Wirtschaftsund Sozialgeschichte zu erkennen gewesen war und der stets dafür gesorgt hatte, daß sich einzelne Epochen in einem langen dialektischen Prozeß ablösten und zum Kapitalismus privatwirtschaftlicher Prägung hinführten. Der innere Widerspruch zwischen der Verteilung der Produktionsmittel und der Art der Gütererzeugung und Güterverteilung war für Marx das konstitutive Element in der Geschichte schlechthin. Die Basis, auf der sich alles geschichtliche Sein abspielt, in dem die wirtschaftliche Existenz des einzelnen, sozialer Gruppen und ganzer Völker begründet liegt, wird von Marx materiell vorgestellt: Technik, Produktionsmittel und Produktionsweise bestimmen den Ablauf der Wirtschaft und zugleich das ökonomisch-soziale Bewußtsein. Die Geschichte bewegt sich in einem dialektischen Wechselspiel, dessen Drehmoment soziale Klassenkämpfe sind und deren letzter Sinn darin besteht, daß eine Epoche die nächste im Keim bereits in sich trägt und somit — in Analogie zur organisierten Welt und zur Individualanthropologie — jede Phase des gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens schon bei ihrer Geburt wieder zum Absterben bestimmt ist. So auch der Kapitalismus

Den Grundwiderspruch der kapitalistischen Wirtschaftsweise sah Marx im alles beherrschenden Gegensatz zwischen der Institution des Privateigentums, wie es durch die späte Aufklärung und die französische Gesellschaftsphilosophie sowie die Französische Revolution von 1789 gefordert und verwirklicht worden war, und dem gesellschaftlichen Vollzug einer arbeitsteiligen Produktion. Die Produktionsmittel sind privat verteilt, die Erzeugung der Güter muß aber notwendig in einer arbeitsteiligen Wirtschaft sich gesellschaftlich vollziehen, die eigentumslosen Industriearbeiter können nur ihre Arbeitskraft verkaufen, und sie erhalten dafür einen Gegenwert, der ge-ringer ist als ihr tatsächlicher produktiver Beitrag zur industriellen Gütererzeugung. Die Lehre vom Mehrwert, der dem Arbeiter nicht zuletzt auch auf Grund seiner schwachen marktpolitischen Situation vorenthalten wird, spielt eine sehr große Rolle in der Marx’schen ökonomischen Theorie. Hier genügt es, festzustellen, daß Marx aus der Existenz des Mehrwertes sowie der marktwirtschaftlichen Konkurrenz und dem technischen Fortschritt einen Zwang zur Kapitalakkumulation der Kapitalbesitzer ableitet, was wiederum dazu führt, daß das volkswirtschaftliche Kapital sich in immer wenigen Händen zusammenballt. Die-sen Teil der Marx’schen ökonomischen Theorie nennt man gemeinhin die Akkumulationsund Konzentrationstheorie. Die Konzentration ist der erste Schritt zum Untergange des bürgerlichen Kapitalismus. Tendenziell sinken nach Marx die Profitraten der Unternehmer, die Zahl der Arbeitslosen (die industrielle Reservearmee) nimmt ständig zu; selbst bei langsam sich bessernden Lebensbedingungen für die breite Arbeiterschaft verschlechtert sich jedenfalls ihre Situation im Verhältnis zu den Unternehmern. Diese aber sinken, wenn sie der Konkurrenz der Mächtigen erliegen, in die Gruppe der Lohnarbeiter zurück. Nur wenige kapitalkräftige Kapitalisten bleiben übrig, die sich in einen tödlichen Absatzkampf begeben. Die Herrschaft der Monopole beginnt, und der Umschlag von den bloß quantitativen Veränderungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen ins Qualitative bereitet sich vor: die Arbeiterschaft organisiert sich und die Produktion zur Bedürfnisbefriedigung aller kann sinnvoll nur noch sozialistisch vorgenommen werden. Der Sozialismus löst notwendig aus innerer geschichtlicher Gesetzmäßigkeit heraus den kapitalistischen Prozeß ab. Ebensowenig wie Marx einen Zeitplan für die Entwicklung des Kapitalismus bis zu seinem Untergange entwarf, ebensowenig malte er das Bild der sozialistischen Zukunftsgesellschaft voll aus. Hier liegen die Gründe, warum es später in den Reihen vornehmlich der deutschen Sozialdemokratie der Vorkriegszeit und auch innerhalb des parteikommunistischen Lagers verschiedene Auffassungen über Beginn und Gestalt der sozialistischen Gesellschaft gab Wir brauchen unser einfaches Schema der marxistischen Gesellschafts-und Wirtschaftstheorie an dieser Stelle nicht weiter zu verfeinern, man kann sie in jeder Einführung in das Marx’sche Denken nachlesen. Uns interessieren vielmehr die Lücken und Fehlschlüsse im Marx’schen Denken, die die Imperialismustheoretiker auf den Plan riefen. Dabei müssen wir noch einmal feststellen, daß die ersten grundlegenden Imperialismustheorien nichtvon marxistischer Seite kamen. So war es zum Beispiel der Engländer Hobson gewesen, der um die Jahrhundertwende eine Theorie vorlegte, mit der er erklären wollte, daß der Imperialismus eine Verfälschung des liberalen ökonomischen und staatspolitischen Denkens des frühen 19. Jahrhunderts sei. Liberale Ökonomen und Gesellschaftstheoretiker haben ebenso wie Marx und die Marxisten Entartungen des . reinen* konkurrenzwirtschaftlichen Kapitalismus immer wieder analysiert und kritisiert. Ein Höhepunkt dieser doppelseitigen Kritik des Imperialismus findet sich in den beiden am Ende des Ersten Weltkrieges auch in der breiten Öffentlichkeit zirkulierenden Schriften von Josef Schumpeter und W. I. Lenin, von denen im einzelnen noch die Rede sein wird. Während für Schumpeter der Imperialismus einen Rückfall in politische atavistische Denk-und Gefühlsgewohnheiten darstellt, der unter industriewirtschaftlichen Bedingungen das System der freien Konkurrenz privatkapitalistischer Prägung unterhöhlt und verfälscht, sind es nach Lenin, der sich weitgehend auf frühere Veröffentlichungen stützt, in erster Linie die inneren Gesetze des kapitalistischen Systems und der privatwirtschaftlichen Produktionsweise, die gleichsam als letzten Wachstumsring des Kapitalismus den Imperialismus hervorbringen, ehe dieser notwendig und historisch determiniert auseinanderfallen beziehungsweise in eine neue gesellschattliche Ordnung, den Sozialismus und Kommunismus, übergehen muß.

Lenin ist somit der Prototyp einer spezifisch epochalen Deutung des Imperialismus, während Schumpeter bemüht ist, eine überzeitliche Deutung zu geben, wobei er sich außer gewissen Methoden auch der materialistischen Geschichtsschau (die er selbst einmal ein „machtvolles Instrument der Analyse“ nannte), auch sehr moderner sozialpsychologischer Kategorien zur Erklärung des Imperialismus-phänomens bedient, für die die Marxisten auf Grund ihrer materiellen Philosophie kein Verständnis haben können. Immerhin darf man feststellen, daß es einen gemeinsamen Ursprung der liberalen und der marxistischen Imperialismusdeutungen insofern gibt, als die Vertreter beider Gruppen davon ausgehen, daß der Imperialismus jedenfalls eine Fehlentwicklung der industriellen Gesellschaft ist. Nur behaupten die liberalen Imperialismus-theoretiker, daß der ursprüngliche Kapitalismus, dessen Anfänge sie in die Zeit vor der industriellen Revolution zurückverlegen, jedenfalls lebensfähig sei und durch den Imperialismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewissermaßen nur umgebogen und verzerrt werde, während die Marxisten der Auffassung sind, daß der Imperialismus die letzte Phase des Kapitalismus darstelle, unmittelbar vor seiner Agonie. Bei der Beweisführung darüber, wie der Imperialismus gewissermaßen . funktioniere“, gibt es zwischen den liberalen und den marxistischen Deutungen jedoch beträchtliche Unterschiede.

Zugang zur Kapitalismusforschung des Ostens

Ehe wir die verschiedenen marxistischen Imperialismusversionen im einzelnen betrachten, müssen wir noch einmal erwähnen, daß die Imperialismustheorie auch heute noch in der Sowjetunion, in den übrigen Ostblockländern sowie in China den eigentlichen Zugang bildet zum Verständnis der westlichen kapitalistischen Welt. Die Imperialismustheorie ist der Schlüssel zur Kapitalismusforschung des Ostens. Dies wäre nun freilich nur ein mehr formales und akademisches Prinzip und Problem, wenn es nicht sehr unmittelbare Zusammenhänge gäbe zwischen der marxistischen ökonomisch-gesellschaftlichen Theorie und dem politischen Verhalten des Ostens gegenüber der westlichen Welt. Auch die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen Moskau und Peking läßt sich auf eine unterschiedliche Auffassung über das Wesen des kapitalistischen Imperialismus reduzieren Interessant ist dabei, daß beide Parteien im kommunistischen Lager, sowohl die Chinesen als auch die Russen, sich gegenseitig der Abweichung von ursprünglichen marxistischen Imperialismusthesen bezichtigen und daß sie, mehr noch, sich gegenseitig als Imperialisten beschimpfen Natürlich haben wir es hier mit einem für Diktaturen typischen Vorgang zu tun, bei dem Begriffe aus einer mehr oder weniger mühsam erarbeiteten Ideologie plötzlich in den politischen Tageskampf gerissen und auch dem Verbündeten von gestern vorgehalten werden. Daß es dabei zu so verdrehten Wortschöpfungen kommt wie etwa »chauvinistisch, kleinbürgerliche Nationalisten“ (für die Chinesen) oder . großraumbesessene Handlanger der imperialistischen Kapitalisten“ (für die Russen), zeigt sehr deutlich, wie schnell und wie ungeprüft Marxisten bereit sind, ihren ideologischen Wortschatz auch auf ehe-malige Verbündete anzuwenden und restlos zu verdrehen. Es zeigt sich in solchen Wort-schöpfungen und „Auseinandersetzungen“ in den amtlichen Publikationsorganen der marxistischen Ideologen in Moskau und Peking die ganze Ohnmacht einer Gesellschaftslehre, mit festen Begriffen für eine bestimmte europäische gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung auch die sozial verschiedenen Strukturen und unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Absichten anderer Völker und Zeiten zu charakterisieren. So gesehen, sind die Wortgefechte zwischen Moskau und Peking für den Westen nicht ohne Reiz, schon allein, wenn man nur die Sprache anhört und auf sich wirken läßt. Offensichtlich ist der ursprüngliche Marx'sche Erkenntnisprozeß im dialektischen Verfahren mit den Mitteln der materialistischen Geschichtsauffassung doch nicht so einfach und immer eindeutig, wie es uns in „ruhigen“ Zeiten die marxistischen Ideologen immer weismachen wollten.

Für die Marxisten des Ostens bedeutet unabhängig von internen Auseinandersetzungen im kommunistischen Lager die Imperialismus-theorie die Möglichkeit, Entwicklungsgang und Entwicklungsstand der westlichen Wirtschafts-und Gesellschaftssysteme zu deuten. Der Westen kann wiederum den Osten besser erkennen und verstehen, wenn er dessen Imperialismustheorie gründlich kennt. Aber noch aus einem anderen Grunde ist die Beschäftigung mit der marxistischen Imperialismustheorie für den Westen bedeutungsvoll, worauf zum Beispiel P. Knirsch hinweist Die Marxisten sind stolz darauf, bis heute an den ursprünglichen Lehren des Marxismus festgehalten zu haben. Die Kehrseite dieses Stolzes ist natürlich das Eingeständnis einer unerhörten geistigen Sterilität im Zeitalter des sozioökonomischen dynamischen Denkens. Die Imperialismustheorie, wie sie im Osten gelehrt und geglaubt und in populärer Form breiten Bevölkerungskreisen propagandistisch mitgeteilt wird, bedeutet in der Tat nichts anderes als die Unterordnung der Sozialanalyse unter ein ideologisches Dogma. Die Imperialismustheorie ist tatsächlich ein Musterbeispiel dafür, wie sich eine Lehre in enger Abhängigkeit von grundlegenden gesellschaftswissenschaftlichen Dogmen nur sehr zögernd weiterentwickeln kann. Das zeigt sich zum Beispiel auch, wenn man die Reihe der obersten Staatsführer in der

Sowjetunion seit der Oktoberrevolution betrachtet. Während Lenin wenigstens noch eklektisch und an verschiedene Vorläufer anknüpfend sich richtungweisend für die kommunistischen Ideologen mit der Imperialismus-theorie beschäftigte, stand bei Stalin die Nationalitätenfrage als ideologisches Problem Nummer eins im Vordergründe. Ihr ordnete er andere Fragen wie etwa die der Sprachwissenschaft und ihrer Stellung im materialistisch-dialektischen historischen Prozeß zu. Von Chruschtschow kennen wir keinen eigenen Beitrag zur Ideologie und Theorie des Marxismus, und es sieht nicht so aus, als ob wir ihn noch erwarten könnten. Er ist der Vertreter eines popularisierten Imperialismus-glaubens, der heute weitgehend die sowjetische Einstellung Moskaus gegenüber der westlichen Welt bestimmt, wie etwa in der Außenpolitik, in der Rüstungs-und Abrüstungsfrage, bei der Entwicklungshilfe und bei jedweder Diagnose des wirtschaftlichen Zustandes der westlichen Welt. Das alles unterstreicht noch einmal die hohe Bedeutung der marxistischen Imperialismustheorie für das Selbstverständnis der Sowjets und ihrer monotonen Deutungen der Welt des Kapitalismus. Man hat im Westen diese Situation immer wieder offen oder unausgesprochen bedauert, weil man sich offenbar gedanklich großzügigere und weitherzigere Gesprächspartner wünscht. Man ist immer wieder geneigt zu übersehen, daß zwar der Marxismus sowjetischer Interpretation eine bestimmte historische Entwicklung für den kapitalistischen Westen behauptet, daß er aber nur sehr mühsam infolge der engen Bindung an marxistische Dogmen sein Eigenverständnis erweitert. Allerdings sollte man auch erkennen, daß gerade in der Starrheit der sowjetisch-marxistischen Ideologie auch ein gewisser Sicherheitsfaktor für westliche außenpolitische und diplomatische Überlegungen liegt. Diese Situation wird man wohl letzten Endes darauf zurückführen dürfen, daß der Marxismus immer in erster Linie das war, was Karl Marx seinem drei-bändigen „Kapital" als Untertiel beigab: „Eine Kritik der politischen Ökonomie des Bürgertums“ und nicht eine praktische Lehre vom Aufbau der kommenden sozialistischen Gesellschaft. Die marxistische Imperialismustheorie stellt den Versuch dar, die Marx’sche These vom notwendigen inneren Zusammenbruch des Kapitalismus zu retten und zu erklären, warum der Kapitalismus nicht schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts allenthalben jene Zusammenbruchstendenzen aufwies, wie sie Marx behauptet hatte. Die von Marx prophezeite Konzentration der gesamten industriellen Wirtschaft in den Händen einzelner blieb ebenso aus wie die prophezeite allgemeine massenweise Verelendung der Industriearbeiterschaft und das schnelle und stetige Anwachsen der „industriellen Reservearmee". Aus der absoluten Verelendung wurde eine nur noch relative Verelendung, und keineswegs sank statistisch nachweisbar die Grenzprofitrate in allen Wirtschaftsbereichen, wie Marx es vorausgesagt hatte. In entscheidenden Punkten seiner Analyse des kapitalistischen Wachstumsprozesses hatte Marx jedenfalls die Bedeutung des technischen Fortschrittes und die mit ihm und anderen Ursachen (Bevölkerungswachstum, Mode, Werbung, steigende Realeinkommen usw.) verbundenen Einflüsse unterschätzt, die laufend strukturelle Wandlungen im kapitalistischindustriellen Wirtschaftskörper erzwangen. Da sich vor allem die These nicht halten ließ, daß die Arbeiterschaft ständig, nur von kurzen Scheinblüten unterbrochen, am Existenzminimum dahinvegetiere, mußten die Marxisten notwendig stets die Bedeutung des Einflusses veränderlicher Löhne auf das Wachstum der Wirtschaft verkennen. In ihrer komplizierten Gleichung des kapitalistischen Warenaustausches fehlte die Beziehung eines lang-sam steigenden Lebensstandards auch und gerade für die breiten Massen: Marx hatte lediglich eine glanzvolle Theorie der industriellen Frühzeit geliefert.

Einige Autoren, wie etwa Borkenau gehen so weit, festzustellen, daß Marx selbst diese Entwicklung habe kommen sehen und deshalb mit der Herausgabe des zweiten und des dritten Bandes seines „Kapital“ gezögert habe.

Wie dem auch sei, als sicher darf gelten, daß spätestens seit der Jahrhundertwende die Marxisten sich vor der Notwendigkeit sahen, eine Zusatztheorie liefern zu müssen, die den Grundbestand der Marx’schen Ökonomie unangetastet ließ und das Marx'sche Entwicklungsschema auch für eine gewandelte kapitalistische Welt mit beginnendem Wohlstand (freilich auch mit weiteren beträchtlichen Wohlstandsunterschieden) gültig erscheinen ließ. Man versuchte, zu erklären, warum der Kapitalismus noch eine letzte Chance besäße, seinen eigenen Untergang noch einmal hinauszuschieben und am Leben zu bleiben. Hinzu kam, daß die revolutionäre Arbeiterbewegung in Europa, die sich auf Marx berief, nur begrenzte politische Erfolge für sich buchen durfte. Besonders in Deutschland waren ihr durch das Vorgehen Bismarcks, seine Sozialgesetzgebung und das gleichzeitige Sozia-listenverbot, erhoffte parlamentarische Erfolge versagt geblieben. Der Unterbau, die kapitalistisch-industrielle bürgerliche Gesellschaftsordnung mochte zwar auch den marxistischen Sozialismus als überbau hervorgebracht haben, es fehlte ihm jedoch an Möglichkeiten und Erfolgen bei der Durchsetzung seiner gesellschaftspolitischen Vorstellungen, also auch an Möglichkeiten der rückwirkenden Einflußnahme auf den Unterbau des Gesellschaftskörpers. So wurden paradoxerweise gerade die doktrinären Anhänger der Marx’schen Lehre in die Verlegenheit versetzt, ergänzende und aktuelle Theorien über den Fortbestand eines immer noch starken Kapitalismus zu liefern. Wie wir schon sahen, nahmen sie ihre Argumente zum Teil von liberalen Ökonomen, die ohne den langen Umweg über die komplizierten Wege der Marx’schen Ökonomie sich veranlaßt sahen, eine Kritik des zügellosen Privatkapitalismus und seiner weiteren Folgen zu entwerfen. Während die liberalen Imperialismustheoretiker mithin schädliche Randund Nebenbemerkungen eines grenzenlosen Laisser-faire kritisierten und dadurch ihre gesell-Schaftsund ordnungspolitische Grundhaltung demonstrierten, ging es den Marxisten darum, den Fortbestand des Kapitalismus zu deuten, nicht zuletzt um auch den Fortbestand der revolutionären Arbeiterbewegung zu garantieren.

Die marxistische Imperialismusdiskussion spiegelt einmal den Dogmatismus eines engstirnigen marxistischen ökonomiedenkens wider, dem Marx selbst, trotz aller Sehnsucht nach einem geschlossenen gedanklichen System zur Erklärung der Entwicklung des Kapitalismus, wahrscheinlich nicht verfallen wäre. Sie zeigt aber auch gewisse Grundzüge der politischen Arbeiterbewegung auf und macht verschiedene Spannungen und unterschiedliche Ansichten innerhalb dieser machtvollen politischen Bewegung sichtbar. Dies ist auch der Grund, weshalb man nicht einfach von einer marxistischen Imperialismusversion sprechen darf, denn es gibt deren mehrere, die zugleich eine gewisse fraktionelle Spaltung der marxistischen Arbeiterführer charakterisieren. Dabei ist der Grundgedanke der marxistischen Imperialismusversionen denkbar einfach. Er ergibt sich unmittelbar aus dem Marx’schen Entwicklungsschema selbst. Da der Zusammenbruch des kapitalistisch-industriellen Systems ausblieb und da sich offensichtlich dieses System als lebensfähiger erwies, als ursprünglich erwartet worden war, erklärte man, daß nur durch eine regionale Ausdehnung des Kapitalismus, durch gewaltsame Vorstöße in bis dahin akapitalistische Räume eben dieses Sy-stem weiter am Leben bleiben könne. An die Stelle der ausgebeuteten Lohnarbeiter in den Industrieländern träten die Sklaven und sklavenähnlich ausgebeuteten Eingeborenen in den Kolonien, deren Lebensstandard man nun bewußt niedrig halten könne. Hier verbindet sich die Deutung des Imperialismus mit einer Analyse des Kolonialismus, was unter anderem zu einer in vielen Industrieländern beobachtbaren Ablehnung kolonialer Eroberungen durch sozialistische Parteien im parlamentarischen und im außerparlamentarischen politischen Leben führte.

Da bei relativer Verelendung der „arbeitenden'Bevölkerung (ein Terminus, der nicht soziologisch, sondern nur mit einem Blick auf die enge Verbindung zwischen Marx’scher Wertlehre und der hoch bewerteten proletarischen Gesellschaftsgesinnung im Marx’schen sozialphilosophischen Schema verstanden werden kann und gleichzeitig hoher Produktion einer sich konzentrierenden Industriewirtschaft mit wachsender Massenerzeugung und weiterer Entpersönlichung des Menschen im technozilen industriellen Prozeß notwendigerweise Absatzschwierigkeiten auftauchen, brauche das System eine regionale Ausweitung, ein Vordringen in nichtkapitalistische Bezirke. Das Monopolkapital könne bei sinkenden Profitraten in den älteren Industrieländern auf die Dauer keine rentable Anlage mehr finden und sei daher gezwungen, sich ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen. In den Kolonien sei weitere Ausbeutung möglich, und außerdem führe imperialistisches Streben zwingend zu einer immer schärferen Auseinandersetzung der kapitalistischen Industrieländer unter sich. Der Erste Weltkrieg wird von älteren Marxisten noch immer ausschließlich als eine Auseinandersetzung zwischen Imperialismus aufgefaßt, und neue übernationale Einigungs-und Integrationsversuche werden von vielen Marxisten noch immer gedeutet als ein Versuch einer allerdings zeitlich befristeten Verständigung der Imperialisten unter sich, was zweifellos lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer geringschätzigen und erst später korrigierten Beurteilung der westeuropäischen wirtschaftlichen Einigungsbemühungen im marxistisch-kommunistischen Lager führte.

Die Ursachen der Entstehung und Verbreitung der marxistischen Imperialismustheorie liegen vornehmlich in den Unterschieden zwischen Marx scher kapitalistischer Entwicklungstheorie und der sozioökonomischen Wirklichkeit spätestens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Darüber hinaus wurde das Dogma von der geschichtsdeterminierten, das heißt vorherbestimmten Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft mit unterschiedlichem Gewicht vertreten. Daraus sowie in einigen Schlußfolgerungen für das praktische politische Verhalten der Kommunisten gegenüber dem Kapitalismus erklärt sich das eigenartige Nebeneinander verschiedener marxistischer Versionen des Imperialismusgedankens. Lenins Schrift hieß: „Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus', woraus später wurde „das höchste Stadium des Kapitalismus“, womit die geschichtsdeterministische These noch stärker ausgedrückt war Lenins Schrift war im Grunde genommen wenig originell. Er stützte sich, mindestens gedanklich, auf Hobson und polemisierte gegen Hilferding. Die Fäden, die von der Schrift Bucharins „Imperialismus und Weltwirtschaft“, die kurz vor Lenins Arbeit erschien, zu dieser hinführen, sind noch nicht völlig entwirrt. Gekannt hat Lenin die Arbeit Bucharins zweifellos, denn er schrieb das Vorwort dazu”). In seiner eigenen Arbeit verweist er hingegen nicht auf Bucharin, was wenig für die wissenschaftliche Integrität Lenins spricht. Mit den liberalen Deutungen des Imperialismus hat Lenin vor allem die Kritik an der Erscheinung des Imperialismus im Auge, in der Sache argumentiert er verständlicherweise völlig anders. Für ihn ist der Imperialismus durch mindestens fünf Tatsachen gekennzeichnet: Konzentration der Produktion in den Händen weniger Monopole, Herrschaft des Finanzkapitals (Industriekapital und reines Bankkapital verbinden sich zur Herrschaft), internationale Kapitalverflechtungen entstehen, Entstehung internationaler kapitalistischer Zusammenschlüsse, restlose Aufteilung der Welt unter die Kapitalistenklasse, die jetzt vornehmlich als international wirkende Gruppe auftritt. Diese Lenin sche Version gilt auch heute noch als eisernes Rüstzeug zur Deutung des west-lichen bürgerlichen Kapitalismus in der Sowjetunion Unter dem Eindruck beider Weltkriege, der Weltwirtschaftskrise und verschiedener Integrationsabsichten hat man das Leninsche Schema nur geringfügig erweitern müssent 27). Lenin ging es zunächst um eine Analyse des Imperialismus, seine Schüler nah-men außer den ökonomischen auch noch einige politische Momente hinzu. Auch hat man neuerdings versucht, den Zerfall oder die Aufgabe der Kolonialsysteme mit Hilfe einer erweiterten Imperialismustheorie zu deuten, wobei freilich häufig übersehen wurde, daß es in den Kolonialmutterländern keineswegs nur eine fortschrittliche Arbeiterschaft oder ausschließlich rentabilitätsbesorgte industrieverbundene politische Gruppen waren, die die Aufgabe kolonialer Herrschaftsmethoden forderten. Vor allem wird weiterhin die Notwendigkeit kriegerischer Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe der kapitalistischen Länder hervorgehoben. Staat und Kapital wüchsen zu einer Einheit zusammen, und die Kapitalisten förderten internationale Verwicklungen infolge ihres unbegrenzten Profitstrebens. Da es keine weißen Flecken mehr auf der Erde gibt, kommt es demnach notwendig zu Kriegen und internationalen Konflikten. Alle diese Elemente der heutigen gängigen Imperialismustheorie in der Sowjetunion, und damit des Grundzuges der Kapitalismusforschung schlechthin, finden sich bei Bucharin und Lenin bereits vorgezeichnet

Zusätzliche marxistische Deutungen des Imperialismus

Nach Lenin haben verschiedene marxistische oder marxistisch gefärbte Ökonomen und politische Soziologen zusätzliche Deutungen des Imperialismusphänomens vorgelegt. So etwa Fritz Sternberg, Henry Grossmann, Rosa Luxemburg, Paul Sweezy oder Stefan Varga Sie alle unterscheiden sich gegenüber der Le-nin'schen Version vor allem in einer unterschiedlichen Betonung des geschichtlichen Determinismus und in der Frage der internationalen Konsequenzen, die sich aus dem Imperialismus nationaler ergeben Staaten können Der Gedanke, daß -die kapitalisti sche Welt im Gegensatz zur Konstruktion des Nationalstaates eine fundierte ökonomisch Einheit bildet, wird jedoch von allen Autoren beibehalten. Diese Einstellung ist es übrigens auch, die mit verschiedener Stärke bei einzelnen Autoren den Gedanken stützt, daß es notwendig zu Konflikten zwischen einer weltweiten Macht des Finanzkapitals und den nach nationalen Grundsätzen regierten Staaten kommen muß. So hielt Lenin zum Beispiel schon während des Ersten Weltkrieges die Idee eines vereinten Europa unter kapitalistischer Hesrschaft für eine Utopie, und Stalin beurteilte später wirtschaftliche Zusammenschlußbewegungen in der westlichen Welt als eine zeitlich befristete Übereinkunft kapitalistischer Interessen über gemeinsame Absatzmärkte. Er meinte, daß die inneren Widersprüche im Kapitalismus auf die Dauer jedenfalls stärker sein würden als die Spannungen der kapitalistischen Welt zum Sozialismus, so daß kriegerische Auseinandersetzungen in erster Linie im kapitalistischen Lager selbst erwartet werden müßten

Im Zeichen einer fortschreitenden westeuropäischen wirtschaftlichen und politischen Integration Institut für Weltwirtschaft das Moskauer und internationale Beziehungen 1957 ebenfalls eine düstere Prognose für die Zukunft der westlichen „kapitalistischen“ Welt gestellt Europa könne sich nicht unabhängig machen von den Vereinigten Staaten, so hieß es, im Gegenteil, über den Umweg einer westeuropäischen Integration versuche das amerikanische Monopolkapital seine Stellung und seine Vorherrschaft in Europa zu stärken. Dies sei das bekannte Gesetz, daß der mächtigste Kapitalist über den schwachen herrschen wolle. Europa gerate auf die Dauer jedenfalls in die Abhängigkeit des amerikanischen Monopolkapitals und werde eigenständiger Lösungen wirtschafts-und sozialpolitischer Fragen dauerhaft beraubt. Wie sehr diese Auffassung den in die Zukunft weisenden, sehr nüchternen Absichten und Zielen etwa Präsident Kennedys widersprach, sei hier nur am Rande vermerkt. Kennedys Europa-Politik war ganz darauf ausgerichtet gewesen, dem alten Kontinent vor der zum Teil unfreiwillig übernommenen weltweiten Verantwortung der USA etwas zurückzugeben; anders lassen sich seine handels-und währungspolitischen Empfehlungen nicht deuten. 1958 glaubte man in der Sowjetunion, vor allem in der Akademie für Politökonomie, fest daran, daß die inneren Widersprüche im Kapitalismus die wirtschaftliche Integration des Westens scheitern lassen würden. 1962 hingegen mußten gewisse Fortschritte bei den westeuropäischen Einigungsbemühungen durch die marxistischen Ideologen in der UdSSR festgestellt werden, was freilich mit dem bezeichnenden Hinweis geschah, daß es dank des Kampfes der internationalen Arbeiterklasse gelungen sei, die Löhne in den westeuropäischen Staaten trotz der ökonomischen Integrationsabsichten des Monopolkapitals erkennbar anzuheben. Daß eine Steigerung der Realeinkommen je Kopf der Bevölkerung auch ein Effekt der wirtschaftlichen Integration sein kann, wie es von westlicher Seite auch angestrebt wird, liegt heute nach wie vor völlig außerhalb der Denkweise und der Vorstellungsmöglichkeiten aller marxistischen Ideologen, die an der ursprünglichen und der später erweiterten Imperialismusthese Lenins festhalten. Die marxistische Imperialismus-theorie bildet nach wie vor den Versuch, durch ein analytisches Schluß-und Zusatzstück zur Marx'schen Ökonomie die Entwicklungslehre über den Aufstieg und den Untergang des kapitalistischen Systems am Leben zu erhalten. Sie wird wohl nicht zuletzt deshalb mit einer seltenen Hartnäckigkeit vertreten, weil die tatsächliche Entwicklung des industriellen kapitalistischen Systems unter modifizierenden privatkapitalistischen Voraussetzungen in allen Teilen der Welt einen anderen Weg als den von Marx vorgezeichneten einschlug. Allerdings gibt es innerhalb des kommunistischen Lagers, besonders zwischen Peking und Moskau, gegenwärtig auch einige verhältnismäßig spät zu Tage getretene Unterschiede in der Einschätzung des Kapitalismus. Zwar behaupten sowohl die russischen als auch die chinesischen Kommunisten nach wie vor den endgültigen Zusammenbruch des Kapitalismus. Ein Unterschied liegt aber in einer verschiedenen Einschätzung der politischen und ökonomischen Kraft und Aggressivität, die man dem stets als Einheit begriffenen Monopolkapitalismus des Westens in der höchsten Phase kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung noch zutraut. Die Chinesen sprechen vom „Papiertiger" und schätzen die inneren Widersprüche und internen Zersetzungserscheinungen im von ihnen so verstandenen „kapitalistischen Lager" relativ hoch ein, während die Sowjets, auch durch harte Erfahrungen in der internationalen Politik und Handelspolitik gewarnt, dem „Staatsmonopolismus" noch erhebliche Kraftreserven zumuten und sich dementsprechend auch auf machtvolle Demonstrationen dieser Macht in der internationalen Politik gefaßt machen. Auch schätzen die Sowjets die westeuropäischen Integrationsbemühungen heute anscheinend realistischer ein als noch vor etwa zwei oder drei Jahren. Diese traditionelle Deutung des Gesellschaftssystems des Westens in seiner heutigen Phase hindert vor allem die Chinesen nicht, sich der wirtschaftlichen Hilfe zu vergewissern, die ein leistungs-und lieferungsstarkes kapitalistisches Industrie-und Wirtschaftssystem zu leisten imstande ist. Wenn auch China, ähnlich wie die Sowjetunion (mit der freilich sehr wesentlichen Ausnahme der Pacht-und Leih-lieferungen während des Zweiten Weltkrieges), direkte Entwicklungshilfe und Entwick-lungskredite aus ideologischen Gründen ablehnt, so ist das Land doch bereit, in gewissen Situationen kreditierte internationale Lieferungen in Empfang zu nehmen. Diese Einkäufe im Westen sowie der Versuch, vor allem technische Neuigkeiten in der monopolkapitalistischen Welt einzukaufen, ist natürlich auch ein Ausdruck des ideologischen Konfliktes zwischen Peking und Moskau, dessen Hintergrund unter anderem die Aufkündigung der sowjetischen Hilfeleistungen für China in den vergangenen Jahren bildet. China ist heute, ähnlich wie die Sowjetunion vor 30 Jahren, an einem Handel mit der westlichen Welt interessiert, nicht zuletzt auch, um seine wirtschaftliche Stellung gegenüber der Sowjetunion zu stärken, deren Exportpreise überdies in der Regel über den freien Weltmarktnotierungen liegen. Hier zeigt sich wieder einmal, daß gerade in den ersten Phasen ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung marxistische Politiker immer wieder bereit sind, sich mit dem zum Untergang verurteilten kapitalistischen Westen im Rahmen des internationalen Handels zu arrangieren, wobei sie die Taktik vor die Strategie stellen und der Losung Lenins folgen, beim Aufbau des Sozialismus den absterbenden Kapitalismus auszubeuten, wo immer und wie immer dies auch gelingen könne.

Wenn sich derartige Empfehlungen in neueren marxistischen Arbeiten über den Kapitalismus und Imperialismus auch nicht finden lassen, so zeigen doch die Untersuchungen vor allem von E. St. Varga, daß moderne Marxisten weiterhin an der hohen Bedeutung des Staates im Wirtschaftsleben der westlichen West festhalten und darin einen typischen Zug des neuzeitlichen Imperialismus sehen Sie werden darin vor allem durch die Ereignisse im und nach dem Zweiten Weltkriege bestärkt, der ja in der Tat ein weiteres, beträchtliches Anwachsen der öffentlichen Ausgabentätigkeit mit sich brachte. Neu an den jüngsten marxistischen Imperialismusversionen ist die Tatsache, daß die Entstehung neuer sozialistischer Länder, auch im Gürtel der Entwicklungsregionen der Weltwirtschaft, die territoriale Macht der Monopolkapitalisten einenge, während sie gleichzeitig gezwungen wären, ihre Konflikte auf eingeengtem Raume auszutragen. Die Widersprüche im kapitalistisch-imperialistischen Lager verstärkten sich auf diese Weise noch mehr. Der Imperialismus führe unmittelbar hinein in die große allgemeine Krise des Kapitalismus, die mit dem vollständigen Zusammenbruch des kapitalistischen Systems enden wird. Diese Auffassungen Vargas haben inzwischen auch — wenn auch mit gewissen, zudem zeitlich schwankenden Nuancen — Eingang gefunden in das offizielle sowjetrussische Lehrbuch der politischen Ökonomie, das man in seiner dritten Auflage als die offizielle sowjetische Stellungnahme zur Imperialismus-frage ansehen darf Im Grunde genommen ist die Imperialismustheorie der Marxisten eine sehr konsequente Fortsetzung der Marx'-sehen Ökonomie, blieben doch alle Voraussetzungen des Marx'schen Entwicklungsschemas erhalten. Als einzige Änderung darf man ansehen, daß in der modernen Imperialismus-theorie nicht mehr vollständige Konkurrenz, sondern eben eine allgewaltige Herrschaft von Monopolen angenommen wird.

Die Auseinandersetzung innerhalb der deutschen Marxisten

Entscheidende Unterschiede zwischen einzelnen marxistischen Imperialismusdeutungen werden sichtbar, wenn man Lenins Schrift über den „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" vergleicht mit den Überlegungen, die zum Beispiel Rosa Luxemburg zu diesem Thema angestellt hat. Die Autorin, die der Gruppe der sogenannten Austromarxi-sten angehörte, hatte 1915 in ihrem Buch über die „Akkumulation des Kapitals" eine eigene Analyse des Imperialismus vorgelegt, die im marxistischen Lager unerwarteterweise mit Befremden und Skepsis ausgenommen worden war. Auch sie war der Meinung, daß der Imperialismus eine notwendige Phase des Kapitalismus sei, der dem ökonomischen Fortschritt zuwiderlaufe und — darin lag die Besonderheit der Luxemburg’schen Deutung— Aktionen der Arbeiterklasse gegen die Herrschaft des Kapitals herausfordere.

Die Marx’sche Konzentrationslehre wurde von ihr als zwingendes Zusammenbruchsgesetz aufgefaßt und die von Marx immer wieder herausgestellten Gegentendenzen, die im kapitalistischen Prozeß retardierend wirksam werden können, wurden von ihr gering eingeschätzt oder sogar übersehen. Die Kapital-akkumulation stoße in einem „geschlossenen" kapitalistischen System an Grenzen und deshalb suche sich das System neue Expansionschancen, neue Märkte und neue Ausbeuterpositionen in bisher akapitalistischen Räumen. In der Eroberung der weltwirtschaftlichen Peripherie schaffe sich der Kapitalismus noch einmal eine Chance der Existenzverlängerung. Der Kapitalismus, bei dem es — nach Rosa Luxemburg — um die marktmäßige Realisierung des nicht von den Unternehmern und Kapitalisten konsumierten Teiles des Mehrwertes gehe, kann sich nicht unbegrenzt ausdehnen, weil er neue Gebiete wieder in sein System einbezieht und das alte Spiel der Ausbeutung und der im Vergleich zur Waren-produktion zu geringen Löhne von neuem beginne, wodurch der Kapitalismus seine weitere Expansion selbst behindere.

Es ist hier nicht der Ort, diese Theorie, die wir nur in ihren Grundzügen andeuten, weiter auszumalen. Wir unterlassen auch jegliche Kritik, da diese sofort die gesamte Marx'sche Ökonomie mit einbeziehen müßte. Wir beschränken uns auf die Feststellung, daß die Luxemburg’sche Imperialismustheorie, ähnlich der später von Sternberg entworfenen, ihre grundlegenden Fehler in der ökonomischen Kreislauftheorie Marx’scher Provenienz hat, zumal diese unglücklicherweise mit der ökonomischen Wertlehre verbunden wurde, die keine befriedigende Analyse des gesellschaftlichen Tauschprozesses zuläßt. Ebenso wie die ganze Marx'sche Ökonomie gehen auch sämtliche marxistische Imperialismusdeutungen von der Annahme aus, daß die Löhne der industriellen Arbeiterschaft stets in der Nähe des Existenzminimums verbleiben. Daß selbst langsam steigende Reallöhne der Arbeiter-schäft einen stimulierenden Effekt auf das weitere kapitalistische Wachstum ausüben können, ist den Marxisten ein völlig fremder Gedanke, wenigstens soweit es sich um die Analyse des kapitalistischen Systems handelt.

Für die Analyse und wirtschaftspolitische Steuerung ihrer eigenen Wirtschaftsordnung nehmen sie durchaus und bewußt Überlegungen über eine nachfragebeeinflußte wirtschaftliche Entwicklung hinein, wenn auch stets unter dem für sie typischen Blickwinkel eines volkswirtschaftlichen Gleichgewichts in Gestalt eines güterwirtschaftlichen Tauschprozesses. Rosa Luxemburg war bemüht, die Grenzen der kapitalistischen Expansion aufzuzeigen und sie tat es mit einer für marxistische Denker typischen Vorstellung quantitativer Veränderungen im kapitalistischen Prozeß, bis dieser sich auch qualitativ wandle.

Ihre Theorie fand entgegen ihren eigenen Erwartungen eine nur geteilte Aufnahme bei anderen Marxisten, und gerade darin zeigt sich auch ein lebendiges Abbild der Entwicklung in der deutschen Arbeiterbewegung bis in die ersten Revolutionsjahre in Rußland nach 1917. Sie fand viel Kritik, vor allem durch Otto Bauer sowie durch N. Bucharin, ohne daß wesentliche neue Aspekte zur formalen sowjetischen Imperialismustheorie beigesteuert worden wären Auch erschien Rosa Luxemburgs Schrift anscheinend zu einem Zeitpunkt, da die These vom baldigen Zusammenbruch des Kapitalismus nicht gern gehört wurde. Orthodoxe Marxisten neigen dazu, dem Kapitalismus eine unausgesprochene Lebenskraft immer dann zuzubilligen, wenn sich die Verwirklichung ihrer eigenen revolutionären Absichten noch nicht als historische Tat am Horizont der Geschichte abzeichnet. Otto Bauer versuchte nachzuweisen, daß eine ständige Kapitalakkumulation auch innerhalb eines geschlossenen kapitalistischen Systems möglich sei, eine Frage, die später auch alle übrigen Imperialismustheoretiker, ausgesprochen oder unausgesprochen, beschäftigte. Rosa Luxemburg fürchtete, daß die Ablehnung ihrer Analyse dazu führen würde, daß die Marxisten sich in das Vor-Marx'sche Elends-denken und in eine bloße Milieukritik zurückziehen würden, wenn sie ihre Theorie nicht annehmen würden. Rosa Luxemburg vertraute stärker auf die historische Automatik, wenn sie an den Zusammenbruch des Kapitalismus dachte, während ihre Widersacher im eigenen Lager, vor allem Hilferding und Bauer, auch die organisierte Stärke des kapitalistischen Systems erkannten und betonten, daß es darauf ankäme, die organisierte Arbeiterschaft mit dem Funktionieren der institutionellen Apparatur der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft vertraut zu machen, um auf diese Weise den Sieg des Proletariats vorzubereiten.

Die Schonzeit des Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase begünstige die Ausbreitung des Revisionismus, hat Sternberg später festgestellt. Ehe Lenins Theorie innerhalb des sowjetisch-doktrinären Marxismus zur verbindlichen Leitlinie der sowjetrussischen Kapitalismusanalyse wurde, gab es mithin eine ganze Reihe von marxistischen Imperialismus-deutungen, die sich im wesentlichen in der Frage der Intensität des Klassengegensatzes im Spätkapitalismus und — damit zusammenhängend — auch in der Legalitätsfrage unterschieden. Bis zur Anerkennung der Lenin’schen Theorie zum parteioffiziellen Dogma ging es innerhalb des marxistischen Lagers stets um die Frage, ob die kapitalistische Ordnung von selbst zusammenbrechen werde oder ob dieser Zusammenbruch und inwieweit er durch die politische Kraft der Arbeiterschaft herbeigeführt werden könne. Die Ereignisse in Ruß-land seit 1917 haben diese deutsche Diskussion dann schnell in den Schatten umwälzender weltpolitischer Ereignisse gestellt. Aber man sollte doch erkennen, daß auch in den amtlichen, inhaltlich in Nuancen und Schattierungen wechselnden sowjetrussischen Ansichten über den Imperialismus der westlichen Welt immer wieder einzelne Argumente aus der deutschen Diskussion aus der Zeit des Ersten Weltkrieges auftauchen.

Imperialismustheorie und Entwicklungshilfe

Das zeigt sich unter anderem auch bei näherem Zusehen der offiziellen Stellungnahmen der Sowjets zur westlichen Entwicklungshilfe Obwohl sie pauschal als imperialistische Ab-sicht abgestempelt wird, wechseln doch die Aspekte ihrer Beurteilung im einzelnen. Gewiß ist es richtig zu sagen, daß die Sowjets auch aus ideologischen Gründen ihre Entwicklungshilfe in vergleichsweise recht engen Grenzen halten (aus ökonomischen Gründen müssen sie es ohnehin, und eine Ausweitung der östlichen Kapitalhilfe an Entwicklungsländer auf die Höhe der der westlichen Welt stößt überdies auf zusätzliche Schwierigkeiten, die in der Konstruktion der sowjetischen Planwirtschaft ohne wesentliche monetäre Elemente liegen). Dennoch sollte man nicht übersehen, daß es nicht nur die Auffassung ist, die westliche Welt laufe sich bei der Entwicklungshilfe ohnehin tot und führe durch den Aufbau neuer Industriewirtschaften mit einer proletarischen Bevölkerung dem sozialistischen Lager neue Mitglieder zu, die die offizielle sowjetrussische Stellungnahme zur Entwicklungshilfe der westlichen Welt kennzeichnet. Diese Auffassung, die dem grundlegenden marxistischen Entwicklungsschema am näßesten steht, war offensichtlich in den ersten Nachkriegsjähren die anerkannte russische Einstellung, zumal sie mit der zweifelhaften These Stalins von den beiden Weltlagern, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen habe, weitgehend harmonierte. Als manche Entwicklungsländer jedoch die westliche Hilfe zunehmend annahmen und gegen östliche wirtschaftliche Angebote auszuspielen begannen, holten die Sowjets noch andere Argumente heran

Abwechselnd wurden die notwendigen Widersprüche im kapitalistischen Lager oder die ausbeutenden Bedingungen der Entwicklungshilfe als Gegenargumente bei den Regierungen der Entwicklungsländer vorgebracht und vorgeführt. Die Sowjets hingegen, so hieß es stets in der umständlichen parteioffiziellen Sprache, böten einen Handel zum gegenseitigen Vorteil aller Beteiligten, eine Formulierung, die angesichts der ausschließlich bilateralen Verträge, die die Sowjetunion abschließt und häufig als Entwicklungshilfe ausgibt, etwas absonderlich klingt. Immerhin schätzen die Sowjets nach wie vor die politische und militärische Kraft des imperialistischen Westens offenbar derart stark ein, daß sie sich überhaupt auf die Ebene des Wettkampfes mit der westlichen Entwicklungshilfe gestellt haben. Möglicherweise sprechen hier freilich auch Völker-und sozialpsychische Faktoren mit, die Rußland zur Beteiligung an einem weltweiten ökonomischen Programm beteiligt sehen wollen. Für manche Betrachter liegt hier wohl mit Recht die Grenze, die eine ausschließlich ideologisch erklärbare Haltung der sowjetischen Marxisten trennt von ihrer nationalen russischen Einstellung. Daß darin einmal mehr das Gesicht des russischen Imperialismus selbst sichtbar wird, gehört gewiß zu den Delikatessen der derzeitigen weltpolitischen Analyse, die sich eben nicht auf die von den Marxisten angebotene marxistische Imperialismusdeutung beschränken darf. Ebenso wie bei der Beurteilung der westeuropäischen wirtschaftlichen Integration wird auch in der offiziellen Beurteilung der westlichen Entwicklungshilfe die neomarxistische Imperialismusversion gelegentlich stark strapaziert, da ja stets mindestens zweierlei gleichzeitig erklärt werden muß: der kapitalistische Expansionsdrang in Gestalt der Entwicklungshilfe als nach ihrer Auffassung historisch notwendige Erscheinung und das angebliche Unvermögen der westlichen Welt, sich gütlich über eine Koordination der Entwicklungshilfe zu einigen. Da es sich aber gerade in den letzten Jahren immer mehr zeigt, daß der Westen immer strengere Maßstäbe an Entwicklungsgesuche stellt und keineswegs um jeden Preis Kapital exportiert und andererseits die Koordination der westlichen Entwicklungshilfe immer mehr in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion in Westeuropa und den Vereinigten Staaten rückt, sehen sich die sowjetischen Ideologen immer wieder in der Verlegenheit, tagespolitische Gegensätze zu „grundlegenden Widersprüchen" im kapitalistischen Lager zu stempeln.

Ihre Haltung gegenüber der westlichen Entwicklungshilfe ist dabei noch schwieriger als ihre Einstellung gegenüber der geglückten Analyse der wirtschaftlichen Integrationsabsichten des Westens, weil ja bei der Entwicklungshilfe auch neutrale Staaten, also Dritte, beteiligt sind, die selbst zur Beurteilung der westlichen Entwicklungshilfe in der Weltöffentlichkeit beitragen. Die offizielle marxistische Imperialismusdeutung als gegenwärtig allgemein gültige Kapitalismusanalyse reicht selbst dann nicht aus, wenn die Schwerpunkte der Argumentation abwechselnd von dem einen auf das andere Argument verschoben werden. Hier zeigt sich deutlich, daß die Bindung der sowjetischen Außenpolitik an ein ideologisches Dogma sich auch als eine Beschränkung der außenpolitischen Elastizität der Sowjets erweist, wenn diese Elastizität bei der Persönlichkeitsstruktur Chruschtschows heute auch größer sein dürfte als zu Stalins Zeiten, der sich viel enger an dogmatische Imperialismusvorstellungen hielt. Dennoch sollte man nicht annehmen, daß Chruschtschow und die für die sowjetische Außenpolitik Verantwortlichen lediglich popularisierende Imperialismustheoretiker sind, die tagespolitische Absichten jedenfalls und ständig vor ihre eigene Ideologie stellen. Die Starrheit ihrer Ideologie zwingt sie vielmehr, zwischen begrenzten außenpolitischen Aktionen und einer Kaschie-B rung ihrer unverwandelten Imperialismusdeutung zu wählen, soweit es um ihr Verhältnis zur westlichen Welt geht. Gegenüber den chinesischen Kommunisten müssen sie andererseits fest auf dem Boden ihrer ökono-mischen Ideologie bleiben, wenn sie im kommunistischen Lager als ernsthafte Gesprächspartner anerkannt bleiben wollen. Der Situationswandel gegenüber der doktrinären Stalin-Ara ist unübersehbar.

Kritik und Problematik der marxistischen Imperialismusdeutung

Mehr als einmal waren die marxistischen Ideologen in den vergangenen 40 Jahren in der für sie fatalen Situation, ihre These vom notwendigen und allgegenwärtigen Imperialismus des westlichen, bürgerlichen Kapitalismus mit einer tagespolitischen Tarnfarbe zu überziehen. Im Grund Jahren in der für sie fatalen Situation, ihre These vom notwendigen und allgegenwärtigen Imperialismus des westlichen, bürgerlichen Kapitalismus mit einer tagespolitischen Tarnfarbe zu überziehen. Im Grunde genommen ist dies ein Sonderfall der bekannten Unterscheidung in langfristige Strategie und kurzfristige Taktik politisch aktiver Marxisten. Besonders deutlich zeigt dies die Geschichte der — übrigens uneinheitlichen und wechselvollen — Anpassung und Zurückstellung der Imperialismusthese (und damit unausgesprochen auch der These von der kapitalistischen Einkreisung der Sowjetunion durch die bürgerlichen Demokratien des Westens) hinter taktische, von Moskau diktierte politische Handlungen, wie z. B. kurz vor und während der nicht einmal zweijährigen Dauer des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939. Die im westlichen Europa lebenden und agierenden Marxisten, unter ihnen Walter Ulbricht, schwankten mehrfach zwischen den Prinzipien eines dogmatischen Kampfes um die Sowjetisierung Deutschlands und Frankreichs und einer elastischeren Volksfrontpolitik hin und her 38). Das bedeutete, daß sie sich mehrfach entscheiden mußten für ein Zusammengehen mit den politischen Kräften des „imperialistischen Lagers" gegen den Faschismus, während sie vorher beide gleichzeitig bekämpft hatten. Die ungleiche Allianz gegen Hitler wurde durch den Überfall Hitlers auf die Sowjetunion von 1941 zweifellos geschmiedet, naturgemäß wobei die eine ganze Reihe unausgesprochener politischer Hintergedanken für sich behielten, die auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam 1945 dann prompt auch zutage traten. Man darf aber gewiß nicht übersehen, daß Verbindung die der Sowjets mit ihren ideologischen Gegnern, den westlichen Imperialisten, vor allem angelsächsischer Prägung, auch eine Folge der mißlungenen proletarischen Revolution in Deutschland und anderen Industriestaaten nach dem Ersten Weltkrieg war, auf die Lenin besonders stark gehofft hatte. So verbündete man sich zunächst erst einmal mit denen, die aus ganz anderen Gründen in den Krieg mit Hitler hineingezogen worden waren, um denjenigen zu vernichten, der die proletarische Revolution in Deutschland durch sein diffuses aber politisch sehr wirkungsvolles und suggestives soziales und ökonomisches Programm vereitelt hatte: Hitler 39).

Eine Kritik der marxistischen Imperialismustheorie, gleichgültig, ob es sich um die Versionen der „deutschen Diskussion" im Ersten Weltkriege zwischen Rosa Luxemburg, Hilferding, Lenin, Bucharin, Otto Bauer oder, später, um Fritz Sternberg oder ob es sich um die parteioffizielle dogmatische, nach Lenin orientierte Version der Sowjets handelt, kann in unserem Zusammenhänge nicht gegeben werden. Eine vollständige Kritik der Marx'schen Arbeitswertlehre, der Theorie der sinkenden Profitrate, der Konzentrationstheorie, der Theorie der relativen und absoluten Verelendung, der industriellen Reservearmee sowie der gan-zen Zirkulations-, Absatz-und Konjunktur-und Entwicklungslehre von Karl Marx wäre hierzu erforderlich.

Wir müssen uns mit der Feststellung begnügen, daß die parteiamtliche Imperialismus-theorie der sowjetischen Marxisten weder für eine Analyse der generellen Entwicklung noch für einzelne Abschnitte der gegenwärtigen Entwicklung der von den Marxisten schematisch und typologisch undifferenziert verstandenen kapitalistischen Welt ausreicht 40). Dies liegt nun natürlich in der Hauptsache daran, daß die Marxisten den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozeß außerhalb ihres eigenen Lagers in idealtypischen Formen denken und nur auf diese Weise zu einer Theorie der allgemeinen Krise des Kapitalismus kommen können, die aber selbst mit marxistischen Methoden und Denkprinzipien angezweifelt werden kann, geschweige denn von einem außerhalb der marxistischen Gedankenwelt bezogenen Standort anerkannt zu werden braucht. Diese allgemeinen Fragen einer generellen Marxismuskritik können wir hier nur insofern andeuten, als sie auch für eine kritische Beurteilung der Imperialismus-theorie als des eigentlichen Schlußstückes der marxistischen ökonomischen Theorie von Bedeutung sind.

Auch für die Beurteilung aktueller und zeit-bezogener wirtschafts-und gesellschaftspoli-tischer Entwicklung reicht die marxistische Imperialismusversion nicht aus, gleichgültig, welche Spielart man zugrunde legt. Die breite Verelendung blieb weiterhin ebenso aus wie eine generelle Konzentration der Wirtschaft. Steigende Reallöhne lassen sich seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts in allen europäischen und auch außereuropäischen Industrieländern nadiweisen, und vor allem die Zusammenschlußbewegungen innerhalb der westlichen Welt lassen sich mit Hilfe der marxistischen Theorie, selbst wenn man sie in ihren Grundzügen entgegen der historisch-sozialen Wirklichkeit anzuerkennen bereit ist, nicht hinreichend und befriedigend deuten. Zweifellos bedeutet die Unterlage einer unbefriedigenden ökonomischen Theorie zur Erklärung der wirtschaftlichen und politischen Wirklichkeit eine hohe politische Gefahr für die freie Welt und die Weltpolitik überhaupt.

Spuren dieser Gefahren haben wir im Kalten Krieg kennengelernt und auch bei den europäischen Einigungsbemühungen der letzten anderthalb Jahrzehnte wurden die sowjetischen marxistischen Ideologen mehrfach in eine schwierige Situation gedrängt, die durch ihr starres Festhalten an ihrer Imperialismus-theorie gekennzeichnet ist und die für die übrige Welt äußerst gefährlich ist. So wurde die doppelte Blockbildung in Westeuropa in EFTA und EWG offensichtlich von Moskau zunächst mit unverhohlener Schadenfreude vermerkt, weil man darin eine Bestätigung der Auffassung von den wachsenden Widersprüchen im kapitalistischen Lager sah. Allerdings wandelte sich die offizielle Einschätzung mehrfach und schnell, nachdem es im Rahmen der EWG-Gespräche verschiedentlich zu Meinungsverschiedenheiten zwischen unterschiedlichen Teilnehmerstaaten kam und auch die Rolle Europas, der Bundesrepublik und Frankreichs zu den USA, sich innerhalb der Debatte über die zweckmäßigste Form einer europäischen Integration mehrfach änderte.

Die sowjetrussischen Marxisten betonten das Wiedererstarken der wirtschaftlichen Macht Westdeutschlands in der EWG, wenn es darum ging, vor den angeblichen Gefahren einer westdeutschen militärischen Bedrohung des östlichen Lagers zu warnen. Zu anderen Zeiten versuchten die Sowjets wiederum, Frankreich und die Vereinigten Staaten gegeneinander auszuspielen, weshalb offensichtlich Frankreich auch eine Anfrage um Weizen-lieferungen erhielt, von der von vorneherein feststand, daß sie im Vergleich zu den USA und Kanada gar nicht in dem erwünschten Maße erfüllbar war. Die Teilnahme Englands an der westeuropäischen Integration wird seit jeher unterschiedlich in der Sowjetunion betrachtet. Ein Beitritt Großbritanniens zu einer einzigen westeuropäischen wirtschaftlichen Allianz wird als Beweis für die steigende Zusammenballung wirtschaftlicher Macht angesehen, während ein Fernbleiben Englands von einem ökonomisch und auch politisch integrierten Westeuropa als Beweis für die unausrottbaren Widersprüche im kapitalistischen Lager zu gelten hat.

Chruschtschow, der die Möglichkeiten von Kriegen innerhalb des kapitalistischen Lagers offenbar gering einschätzt und mehr auf die Richtigkeit der These von der gewaltsamen Expansion in akapitalistische Räume und eine wachsende wirtschaftliche Konkurrenz innerhalb des Lagers seiner von ihm so verstandenen politischen und ideologischen Gegner überzeugt zu sein scheint, hat mehrfach und in wechselnder Richtung gegen den Gemeinsamen Markt polemisiert. Da die Sowjets von Zeit zu Zeit auch eine atlantische Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne Kennedys für utopisch halten, offerieren sie der Weltöffentlichkeit ihre eigenen Vorschläge für überregionale wirtschaftliche Allianzen und eine Ausdehnung des internationalen Handels, an dem Sowjetrußland freilich nur mit einem recht geringen Anteil beteiligt ist Nicht zu übersehen ist freilich auch eine gewisse Furcht vor der künftigen wirtschaftlichen Stärke eines ökonomisch integrierten Europas. Hier taucht noch einmal das Motiv der schon aus Lenins Tagen und der Zeit seiner Hoffnungen auf eine gesamteuropäische proletarische Revolution bekannte Gefühl der Haßliebe der sowjetischen Marxisten und gewiß auch mancher Teile der russischen Bevölkerung gegenüber Westeuropa auf.

aller Nachahmung der vorgeschrittenen europäischen Industrialisierung vom Niveau der Jahre vor 1914 ist es den Sowjets bis heute nicht gelungen, mit diesem Gefühl fertigzuwerden. Wenn nicht alles täuscht, ist die Position Chruschtschows an der Spitze der Parteidiktatur und an der Spitze der Sowjetunion nicht ein bloßer Zufall und auch keineswegs nur ein Ergebnis interner Machtkämpfe und Ausdruck eines parteiinternen Machiavellismus. Es scheint vielmehr, als gelange nach der Herrschaft der Ideologen nunmehr wieder und verstärkt das völkische Element in die politische Haltung Rußlands zur europäischen Industrie-und Kulturwelt hinein. Gerade die europäische Integration strahlt eine starke Anziehung aus auf die betont russischen Marxisten. Sollte es sich etwa herausstellen, daß alle Versuche, die kapitalistische Welt auf wirtschaftlichem Felde zu schlagen, am Ende ergebnislos bleiben müssen? Diese Frage scheint bei einigen sowjetrussischen Führern untergründig bereits heranzureifen. Aber selbst wenn man, was viele Nationalökonomen mit sehr ernsthaften Argumenten bezweifeln, annimmt, daß die Sowjets die Vereinigten Staaten oder ein vereinigtes Europa (in geschichtlich absehbarer Zeit aber gewiß nicht beide zusammen) wirtschaftlich, das heißt durch eine materiell meßbare und vergleichbare Produktion einholen, selbst dann bliebe die kulturhistorische Entfernung zwischen Westeuropa und der Sowjetunion noch bestehen, und der Umweg der kommunistischen Industrialisierung würde diese Lücke nicht geringer werden lassen Das führt uns zu der wichtigen Frage hin, wie denn ein sowjetrussischer Imperialismus erkannt und bewertet werden kann, wobei man freilich auf außer-marxistische Vorstellungen zurückgreifen muß.

Sowjetischer Imperialismus

Abschließend müssen wir noch zu der wichtigen Frage Stellung nehmen, ob und wie die sowjetischen Marxisten den unzweifelhaft vorhandenen russischen und sowjetischen Imperialismus sehen und wie die russischen und sowjetischen Imperialismustendenzen gedeutet werden können. Gegenüber imperialistischen Tendenzen der Zarenzeit nehmen die sowjetischen Marxisten eine ähnlich schwankende Haltung ein wie gegenüber ihrer gesamten Geschichte. Soweit sie ihnen Material liefert für die historische Beweisführung der Marx’schen Wirtschafts-und Gesellschaftstypologie sowie für die Marx'sche Entwicklungslehre und Ausbeutungstheorie, bedienen sich die sowjetischen Marxisten vorbehaltlos des Materials aus ihrer eigenen Geschichte. Das erfolgt nun freilich nicht immer mit einer gleichbleibenden Bereitschaft. In Zeiten, in denen der nationale Gedanke besonders gepflegt werden soll, ist man zurückhaltender. So traten z. B. während und nach dem Zweiten Weltkriege Hinweise auf zaristische imperialistische Tendenzen, vor allem auch gegenüber nicht-russischen Völkern, also den nationalen Minderheiten, erheblich zurück zugunsten einer allgemeinen Propaganda für den großen „Vaterländischen Krieg". Andererseits sind einige namhafte Marxisten durchaus bereit, russische Expansionstendenzen in der Geschichte der letzten 250 Jahre zuzugeben, wobei natürlich die Meerengenfrage eine besondere Rolle spielt. Daß die Russen sich dabei weniger auf ihre natürliche geographische Lage berufen, als vielmehr auf eine Gefährdung ihrer politischen und staatlichen Sicherheit durch andere europäische Mächte, von denen sie sich sowohl vor dem Ersten als auch vor dem Zweiten Weltkrieg eingekreist fühlten, steht auf einem besonderen Blatt. Es ändert dies nichts an der Tatsache eines russischen Imperialismus auch schon im 19. Jahrhundert, den bekanntlich Tocqueville bereits zum Ausgangspunkt seiner geopolitischen Weltenschau nahm

Der Kampf der Minderheit der Bolschewisten gegen ihre vielfachen Gegner im eigenen Lande unmittelbar nach der Revolution von 1917 trug zwar weithin sichtbar bürgerkriegsähnliche Züge, enthielt aber auch typische imperialistische Verhaltensweisen, die keineswegs an nationalen Grenzen haltmachten. Lenin und seine Anhänger hatten gehofft, die Oktoberrevolution würde auf das übrige industrialisierte Europa schnell überspringen, was sich alsbald als schwerer Irrtum herausstellte. Die imperialistische Internationale stieß damals an unübersteigbare Grenzen und ihr Wahlspruch „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch" wurde wohl weithin gehört, aber keineswegs überall befolgt.

Die Durchsetzung der sogenannten Stalin’sehen Verfassung von 1936 erfolgte vor allem auch mit dem Hinweis auf die zunehmende kapitalistische Einkreisung, der man einen starken Sowjetstaat gegenüber stellen müsse. Stalin selbst hat weiter durch seine theoretischen wie praktischen Beiträge zur ewig schwelenden Nationalitätenfrage innerhalb der Sowjetunion einen Beitrag zum russisch-marxistischen Imperialismus geliefert. Ausländische Beobachter schwanken freilich auch heute noch, ob sie von einem innerrussischen Imperialismus oder von Russifizierung sprechen sollen, was aber, genau besehen, kein eigentlicher Gegensatz ist, sondern das eine jeweils ein Deckmantel für das andere sein kann. Zwar sollte man nicht übersehen, daß die Ausbreitung der sowjetischen Macht-sphäre den nationalen Minderheiten im russischen Staatsgebiet auch materielle Vorteile und wirtschaftlichen Fortschritt brachte, was aber natürlich für den imperialen Kolonialismus der kapitalistischen Welt erst recht gilt. Wirtschaftliche, soziale und ethnische Unterschiede im eines Gefälles von Weiß-und Zentralrußland in Randbezirke der die UdSSR haben russisch imperialistische Tendenzen auch unter den Sowjets gewiß gefördert. Gewiß ist es auch interessant festzustellen, daß Stalin durch seine sprachwissenschaftliche Spätarbeit einen Beitrag zur Ideologie und Taktik des sowjetrussischen Imperialismus vor allem gegenüber den nationalen Minderheiten im eigenen Lande leistete. Man hat diese Schrift in der westlichen Welt lange Zeit nicht oder nicht richtig verstanden, weil man sich nicht vorstellen konnte, was Stalin zu Fragen der Sprache zu sagen hatte. Selbstverständlich lagen ihm philologische und etymologische Probleme auch recht wenig am Herzen. Vielmehr ging es ihm darum, die Sprache aus dem orthodoxen BasisÜberbau-Schema des doktrinären Marxismus auszuklammern und auf diese Weise die russische Sprache als ein neutrales Verständigungsmittel anzupreisen, das der allrussischen Völkerverständigung dienen könne, in Wahrheit natürlich aber auch den innerrussischen Imperialismus fördern kann

Verständlicherweise verwenden die sowjetischen Marxisten sehr viel Mühe darauf, anderen Ländern imperialistische Handlungen nachzuweisen und die eigenen zu übersehen. Die eigenen, über die nationalen Grenzen hinweggreifenden Bemühungen um territoriale Ausdehnung vor allem in Osteuropa werden in der offiziellen Sprache der Sowjets entweder als Siege des kämpferischen Proletariats in den Nachbarstaaten gefeiert oder als bloße Verwaltungsakte deklariert, sofern sie überhaupt in der offiziellen Geschichtsschreibung erscheinen. Selbstverständlich ist der Zugang zur Ostsee und zum Mittelmeer auch ein erklärtes Ziel der sowjetischen Außenpolitik, was unter anderem auch die Alliierten auf der Konferenz von Teheran sahen und was Winston Churchill veranlaßte, vorbeugend eine zweite Front von Südosteuropa zu fordern, um einem späteren russischen Eindringen nach Mitteleuropa die militärische Kraft und das politische Prestige der Westmächte entgegensetzen zu können. Offensichtlich erscheint gerade in der Meerengenfrage, die eine der klassischen Streitpunkte der Weltpolitik vor 1914 war, die marxistische Ideologie in den Händen der Sowjets als typisch „sekundäres System", das dazu dient, traditionelle Zielsetzungen der zaristischen Politik, ideologisch verkleidet, weiter zu verfolgen.

1939 im Herbst erhielt die Sowjetunion auf Grund des geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt vom August des gleichen Jahres Ostpolen. Im Winterkrieg gegen Finnland annektierte Stalin Teile Finnlands und während des Jahres 1940 griff Stalin nach den drei Ostseestaaten sowie nach Bessarabien und die nördliche Bukowina. Bei diesen territorialen imperialistischen Eroberungen der Sowjets kam es zu Massendeportationen und Menschenvernichtungen großen Ausmaßes, was während des Zweiten Weltkrieges freilich weitgehend unbeachtet blieb. Auf der Konferenz von Jalta, Anfang 1945, meldete Stalin seine Ansprüche und den Verlauf der von ihm entworfenen Grenze an, die die östliche von der westlichen Einflußsphäre trennen sollte. Ostpreußen und die Karpato-Ukraine gelangten unter sowjetrussische Verwaltung. Der zunehmende politische, militärische und wirtschaftliche Einfluß auf die später so genannten Ostblockstaaten der fünfziger und sechziger Jahre ist so sehr eine auch für die politische europäische Gegenwart bestimmende Erscheinung, als daß sie an dieser Stelle noch einmal näher beschrieben werden müßte. Der Kranz der Volksdemokratien, der die Sowjetunion heute im Westen umgibt, kann durchaus als der bedeutsamste Erfolg des sowjetrussischen Imperialismus angesehen werden. Notwendigerweise zerbrach nach dem Kriege die Allianz der Alliierten; die Sowjets gingen aus dem Zweiten Weltkriege als Sieger mit dem bedeutsamsten Gebietsgewinn hervor

Es ist richtig, festzustellen, daß die Sowjets Japan erst in letzter Minute den Krieg erklärten, als die japanische Kapitulation bereits erwartet wurde. Ohne Zweifel hat Stalin diesen für ihn günstigen Zeitpunkt der Kriegserklärung an Japan für sich geschickt ausgenutzt. Man sollte aber doch wohl auch bereit sein, anzuerkennen, daß dahinter sich ein weiterer grundlegender Zug marxistischen Denkens verbirgt. Nicht grundsätzlich durch Kriege erhoffen sich die strenggläubigen Marxisten den Sieg des Proletariats in aller Welt, sondern durch die gesellschaftliche Revolution im Sinne ihrer spezifischen pessi-mistischen Prognose über den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Das mag kriegerische Verwicklungen nicht ausschließen, wie die Geschichte es ja auch beweist. Dennoch sollte man bereit sein, anzuerkennen, daß in der Reihenfolge und Rangordnung der Mittel zur Durchsetzung politischer marxistischer Ziele der Krieg nicht an erster Stelle steht. Das wiederum darf nicht daran hindern, zu sehen, daß die Anti-Kriegs-Propaganda der Sowjets bis an die Grenze der Rührseligkeit und logischen Unglaubwürdigkeit eine große Rolle in der politischen Ideologie der Marxisten spielt, ohne daß man sie in jeder Situation politisch ernst nehmen dürfte. Im Gegenteil, der Vorwurf des kriegerischen Imperialismus gehört innerhalb der Gedankenwelt der marxistischen Ideologen seit jeher zu den im Dauergebrauch befindlichen Waffen im Kampf gegen den politischen Gegner, wobei die Anti-Kriegs-Propaganda ein besonders festes Stück der ideologischen Decke ist, mit der der politische Marxismus sich und seine Absichten umhüllt.

Die Ausführungen der letzten Abschnitte lassen deutlich werden, daß der sowjetrussische Imperialismus unter dem ideologischen Deckmantel bisher territorial gleiche oder ähnliche Ziele verfolgte wie der zaristische Imperialismus früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte. Er läßt aber auch deutlich werden, daß es einer überepochalen Erklärung des Wesens des Imperialismus bedarf, um auch die russischen und sowjetrussischen Expansionsbestrebungen „ohne angebbare Grenzen" erklären zu können. Offenbar handelt es sich beim sowjetrussischen Imperialismus um eine Erscheinung, die mindestens zweischichtig ist und die man nur durch eine genaue Analyse der engen Verbindung zwischen nationalem Gedanken, nationalem Bewußtsein und ideologischer Verkleidung erfassen kann. Es mag durchaus sein, daß die Schumpeter’sche Imperialismusdeutung, der Typ des „ewigen Kriegers", im marxistischen Revolutionär sowjetischer Provenienz eine neue Auferstehung erlebte und sich ein archetypischer Atavismus, eine emotionelle, seit jeher in Rußland gegen den Westen Europas gerichtete expansive Regung hinter dem neueren sowjetrussischen Imperialismus verbirgt. Ebenso spricht einiges dafür, daß es das bekannte, völkerpsychologisch freilich noch nicht voll ausgelotete Minderwertigkeitsgefühl in der russischen Seele ist, dfe auch einen ideologisch-marxistisch und sozial-revolutionär gefärbten Imperialismus fördert. Vielleicht spielt auch das von Oswald Spengler für die großflächige russische Kultur als bedeutsam herausgestellte „Ebene-Denken", das notwendig zu Eroberung und Inbesitznahme verleitet, eine beträchtliche Rolle für die Erklärung auch des gegenwärtigen, expansiven territorialen Ausdehnungsstrebens der Sowjets, auch wenn diese Bewegung infolge verschiedener nationaler Sonder-entwicklungen im eigenen Lande auch scheinbar zur Ruhe gekommen ist.

Jedenfalls ist es ein Zusammentreffen von ethnisch-kulturellen und historisch-politischen Bestimmungsgründen, die im Gegensatz und in Ergänzung zur vergleichsweise einfachen und monokausalen marxistischen Imperialismustheorie (gleich welcher Schattierung) den russischen wie den sowjetischen Imperialismus erklären können. Wahrscheinlich wird es immer mehrere Deutungen dieses Phänomens geben. Die Verbindung eines auf Expansion bedachten nationalen Grundgefühls, gleich welche Wurzeln es besitzt, mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus bedeutet jedenfalls eine zusätzliche Verstärkung der imperialistischen russischen Potenzen, was natürlich nicht zu bedeuten braucht, daß diese jedenfalls weiterhin zum Druchbruch kommen werden. Denn das nationale Element stellt, ähnlich wie in der Kriegs-, Revolutions-und Wirtschaftspolitik, für die sowjetischen Marxisten auch eine Bremse ihrer außenpolitischen Handlungen dar. Diese, sowie die nun weltöffentliche ideologische Auseinandersetzung mit den Chinesen auch über Wesen und Gestalt eines neurussischen Imperialismus lassen vermuten, daß der sowjetrussische Imperialismus wahrscheinlich in Zukunft nach neuen Wegen und nach neuen Formen expansiver politischer Einflußnahme suchen wird. Es ist gerade die eigenartige Vermischung von Marx'scher Sozialphilosophie und ihrer starken Betonung des Proletariers als der bewußt kämpferischen Gestalt gegen die überkommene Welt-und Gesellschaftsordnung mit traditionellen, auch im völkischen verankerten expansiven politischen Kräften in der Sowjetunion, die uns verpflichtet, den Imperialismus Moskaus weiterhin sorgfältig im Auge zu behalten, auch und vielleicht gerade dann, wenn man über die Schwerpunkte seiner analytischen Deutung noch weiterhin verschiedener Meinung sein wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Propyläen Weltgeschichte, herausgegeben von Golo Mann, 8. Band, Frankfurt—Berlin 1960.

  2. Hierzu und für spätere Abschnitte: Josef Schumpeter, Zur Soziologie der Imperialismen, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 46 Bd., 1919.

  3. F Dulberg, Der Imperialismus im Lichte seiner Theorien, Basel 1936.

  4. Artikel Imperialismus im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Stuttgart—Tübingen—Göttingen 1952 ff.

  5. Z. B. hierzu: Hashagen, J., Zur Deutung des Imperialismus, Weltwirtschaftliches Archiv, 26. Bd., 1927, vom gleichen Verfasser: Der Imperialismus als Begriff, Weltw. Archiv, 15. Bd., 1919/20; Sulzbach, Artikel Imperialismus im Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931; O Spann, Artikel Imperialismus im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Ausl., 1926; vor allem aber Gumpert, Erscheinungsformen und Wesen des Imperialismus, Schmöllers Jahrbuch, 74. Bd., 3. Heft, Berlin 1954.

  6. Lutz Köllner, Stand und Zukunft der Imperialis-mustheorie, Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 11, Heft 1, Göttingen, 1960; ein Beitrag über Marx und Schumpeter erscheint demnächst in der gleichen Zeitschrift.

  7. Z. K. Brzezinski, Die Sowjetunion und Europa, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, Nr. 20/64, v. 13. 5. 1964.

  8. H. Seton-Watson, Moskaus Imperialismus, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 18/64, v. 30. 4. 1964.

  9. Ernst Nolte, Das Zeitalter des Faschismus, München 1963.

  10. George W. F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914, München 1963.

  11. Hierzu auch: Schultze-Gävernitz, Amerikas Überimperialismus, in: Die Wirtschaftswissenschaft nach dem Kriege, München—Leipzig 1925.

  12. J. Schumpeter, a. a. O.

  13. Hierzu verschiedentlich: Lenins Theorie der proletarischen Revolution, in: Der Sowjet-Kommunismus, Dokumente, Band 1, Köln 1963.

  14. Gunar Myrdal, Das politische Element in der nationalökonomischen Doktrinbildung, Berlin 1932.

  15. Deutsch, Hamburg 1921, neu erschienen Berlin 1951 und später.

  16. K. Mandelbaum, Die Erörterungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie über das Problem des Imperialismus, 1895 bis 1914, Frankfurt/M. 1926.

  17. G. A. Wetter und W. Leonhard, Sowjetideologie heute, Teil 1 und Teil 2, Frankfurt/M 1962.

  18. Carl Brinkmann, Imperialismus als Wirtschaftspolitik, in: Die Weltwirtschaft nach dem Kriege, München—Leipzig 1925; ferner: Andreas Predöhl, Außenwirtschaft, Göttingen 1949.

  19. Vgl. hierzu die handliche Marx-Ausgabe, ausgewählt und eingeleitet von B. Kautsky, Kröner-Verlag, Stuttgart 1962

  20. Dieter Klink, Die Entwicklung des sozialistischen Denkens von Erfurt 1891 bis Bad Godesberg 1959, Hamburg 1960

  21. Näheres hierzu bei W Leonhard. Der Konflikt im Weltkommunismus, Aus Politik und Zeit-geschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 20/64, v. 13. 5. 1964

  22. Peter Knirsch, Zur Entwicklung der Imperialismustheorie in der Sowjetunion, Ost-Europa-Wirtschaft, Berlin 1/1960; vom gleichen Verfasser u. a. auch: Ideologische Einflüsse auf die Entwicklung der sowjetischen Wirtschaftswissenschaft der Gegenwart, Schmöllers Jahrbuch, 81. Jahrgang, Berlin 1961.

  23. Franz Borkenau (Auswahl und Einleitung), Karl Marx, Frankfurt/M. 1956.

  24. Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 19412

  25. A a O.

  26. Peter Knirsch, Die ökonomischen Anschauungen Nicolai Bucharins, Berlin 1962.

  27. Fritz Sternberg, Imperialismus, Berlin 1926; rezensiert u. a. durch Franz Oppenheimer im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 57, Tübingen 1927; H. Grossmann, Eine neue Theorie über Imperialismus und soziale Revolution, Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Grünberg-Archiv, 13. Jahrgang, Leipzig 1928; Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Berlin 1913; Paul Sweezy, The Theory of Capitalist Development, New York 1942, deutsch: Theorie der kapitalistischen Entwicklung, Köln 1959.

  28. Hierzu u. a. Rolf Sannwald, Die europäische Wirtschaftsgemeinschaft in sowjetischer Sicht, Außenwirtschaft, St. Gallen Sept. 1962; Lutz Köllner, Der internationale Kapitalverkehr seit dem letzten Kriege, Frankfurt/M. 1963.

  29. Hierzu Dokumente, Die Theorie vom Imperialismus und Monopolkapitalismus, in: Dokumente, Bd. I, a. a. O., S. 57 ff. Lenin sah in den kriegerischen Verwicklungen zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten, zwischen England und den Buren, dem russisch-japanischen Krieg sowie der Wirtschaftskrise um 1900 in Europa Anzeichen der herannahenden großen Krise des Kapitalismus. Kriege dienten der Verwirklichung des Sozialismus, ohne daß das klassenbewußte Proletariat an diesen Kriegen teilzunehmen brauchte.

  30. Vgl. Brzezinski, a. a. O., S. 11.

  31. E St. Varga, Veränderungen in der kapitalistischen Wirtschaft im Gefolge des Zweiten Weltkrieges, Berlin 1949.

  32. Paul Zieber, Neue Ausgabe des Lehrbuches für Politische Ökonomie, Ost-Europa-Wirtschaft, IV/1959.

  33. Otto Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, 1907.

  34. Lutz Köllner, Sowjetischer Kapitalexport in Entwicklungsländer, Europa-Archiv, Frankfurt/M. 1958/21.

  35. Hans Bräker, Politische Zielsetzungen der öst3/ 4en Entwicklungshilfe, Ost-Europa-Wirtschaft,

  36. Statistisch-empirische Gegenbeweise von nationalökonomischer Seite wurden verschiedentlich erbracht Ebenfalls wurden verschiedene begrifflich Verfeinerungen vorgeschlagen. Vgl. u. a. Erich Preiset, Kapitalexport oder Vollbeschäftigung, Jahrb. f. Nat und Stat., 162. Bd., 1950, und Zimmermann-Grumbach, Saving, Investment and Imperia-lism, Weltwirtschaftliches Archiv, 71. Bd., 1953.

  37. Klaus Zernack, Das Russische Imperium in der Revolution, in: Sowjetunion, Werden und Gestalt einer Weltmacht. Gießen 1962.

  38. Alexis de Tocqueville, Die Demokratie in Amerika, neu: Frankfurt 1956.

  39. Hierzu auch J. Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Berlin 1953.

  40. Lutz Köllner, Die Politisierung des Weltkapitalverkehrs, Außenpolitik, Stuttgart 1962/9.

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Lutz Köllner, Dr. rer. pol., Diplom-Volkswirt, geb. 3. September 1928 in Wernige-rode/Harz, wissenschaftlicher Assistent an der Rechts-und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, widmet sich in seiner wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspublizistischen Arbeit vornehmlich den Grenzgebieten zwischen Ökonomie und Politik. Er ist Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften, Zeitungen und wissenschaftlicher Enzyklopädien. Wichtigste Veröffentlichungen: Japan, Wirtschaft und Wettbewerb (Mitverf.), Münster 1955; Europäische Wirtschaftspolitik, Münster 1957; Der internationale Kapitalverkehr seit dem letzten Kriege, Frankfurt 1963; Probleme der Inflation in den Entwicklungsländern, Baden-Baden 1963; Europäische Währungspolitik (Mitverfasser und Redakteur), Baden-Baden 1964; in Vorbereitung befinden sich eine Textsammlung über die marxistische Imperialismustheorie und ein umfangreiches Werk über die Ökonomie des Marxismus.