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Gestalt und Wandel westlicher und östlicher Entwicklungshilfe | APuZ 4/1965 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 4/1965 Gestalt und Wandel westlicher und östlicher Entwicklungshilfe

Gestalt und Wandel westlicher und östlicher Entwicklungshilfe

Lutz Köllner

Ein kurzer historischer Rückblick

Tabelle I

Entwicklungshilfe und technische Beratung sind zu zwei politischen Ausdrücken unserer Zeit geworden, die die Nationalökonomen jedoch schon seit langem — als ständige internationale Erscheinung mindestens seit dem Beginn der Neuzeit — vor allem im Zusammenhang mit der räumlichen Ausbreitung des kapitalistischen Industrialismus von Europa in überseeische Regionen kennen Wenn die Ökonomen freilich dafür bisher den neutralen Begriff „internationaler Kapitalverkehr" oder „internationaler Transfer" gebrauchten, so bedeutet dies nicht, daß in früheren Zeiten der Wirtschaftsund Sozialgeschichte keine politischen Bedingungen oder politischen Begleiterscheinungen an die zwischenstaatliche Übertragung monetärer Mittel oder technischen Wissens geknüpft gewesen wären. Die Historik kennt eine ganze Reihe von internationalen Transfers, die ausgesprochen politischen Charakter trugen, wie etwa die Ein-fuhr mittelamerikanischen Silbers durch die sogenannte Silberflotte nach Spanien oder umfangreiche Konfiskationen in besiegten Ländern durch Eroberer z. B. während des dreißigjährigen Krieges oder im Verlaufe der spanischen Erbfolgekriege. Auch diese Über-tragung von Geldmitteln von einer Volkswirtschaft in eine andere stellen mögliche Formen des internationalen Transfers dar, nur daß sie meist unfreiwillig, planlos und ohne Rücksicht auf die ökonomischen Konsequenzen in den beteiligten Ländern durchgeführt wurden

Tabelle III

Westliche Wirtschaftshilfe und Hilfe des Ostblocks an Entwicklungsländer 1954— 1962 (in Millionen Dollar)

Selbst technische Hilfeleistungen sind im internationalen Austausch an sich keine gänzlich neue Erscheinung. Englische Textilingenieure z. B. halfen zu Beginn des 19. Jahrhunderts beim Aufbau der kontinentaleuropäischen Textilindustrien beratend mit (freilich ohne damit irgendein Regierungsprogramm zu erfüllen) und militärische Dienstleistungen durch Offiziere und Festungsbauer finden sich als Frühformen internationaler Hilfe vor allem im 17. und 18. Jahrhundert, wobei die Kosten derartiger Leistungen als Kredit meist von den daran interessierten Herrschern vorgeschossen wurden. In keinem dieser Fälle allerdings kann man von einem Programm internationaler Hilfe sprechen, wie sie heute verstanden wird. Vielmehr waren es die Belange einer engmaschigen politischen und militärisch-strategischen Bündnispolitik, die derartige Kreditbeziehungen von Land zu Land schufen, die häufig wegen ihrer ökonomisch geringen Bedeutung den Namen Volkswirtschaften auch noch gar nicht verdienten.

Tabelle IV

Einsatz von Technikern und Facharbeitern des Ostblockes in Entwicklungsländern

Nach H. Bräker.

In der Hauptsache stellt der internationale Kapitalverkehr eine Erscheinung des übernationalen kapitalistischen Industrialismus dar, der sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst in England, dem ursprünglichen Kernland des Systems, dann in Europa, später in Nordamerika und schließlich in der europäischen Sowjetunion und an der Peripherie der bisherigen traditionellen Weltwirtschaft, eben im Gürtel der Entwicklungsländer von Mittel-und Südamerika über die bewohnten Teile Afrikas, den Nahen und Mittleren Osten über Indien bis nach Ost-und Südostasien ausbreitete. Die japanische Entwicklung im Fernen Osten stellt insofern eine Sonderentwicklung dar, als das Land der ausgehenden Sonne im Zuge der Reichsreformen im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts einen unerwarteten staatlichen und ökonomisch-gesellschaftlichen Fortschritt erlebte, der neben der Erneuerung der Verfassung und der sozialen Struktur im Inneren wahrscheinlich den imponierendsten Fall der Übernahme eines zunächst fremden Wirtschaftsund Sozialsystems durch eine kulturell, ethnisch und sozioökonomisch gänzlich anders eingestellte Gesellschaft von außen darstellt. Japans Industrialisierung während nur zwei oder bestenfalls drei Generationen wird immer ein Sonderfall bleiben, und es wäre aus verschiedenen Gründen verfehlt, für andere Entwicklungsgebiete heute eine ähnlich schnelle Entfaltung der ökonomischen und sozialen Initiative wie in Japan zu erwarten

Entwicklungshilfe der Bundesrepublik 1950 bis 1961 ) * (in Millionen DM)

*) Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums.

Während England (oder, um den richtigen, staatsrechtlichen Ausdruck zu gebrauchen, das Vereinigte Königreich) als erstes Industrie-land der Erde noch gänzlich ohne ausländische Kapitalhilfe seine industrielle Entwicklung in Gang setzte, lassen sich (wenn auch umfangmäßig mit heutigen Maßstäben gemessen vergleichsweise geringe) internationale Kapitalbewegungen bereits zwischen Großbritannien und dem sich industrialisierenden europäischen Kontinent während der ersten Jahre des 19. Jahrhunderts nachweisen. Deutschland, die Schweiz, Belgien, Frankreich waren die ersten Empfänger ausländischer

Kredite, in der damals üblichen Form des privaten Lieferanten-und Kontokorrentkredites und gelegentlich auch schon in Gestalt einer verbrieften Anleihe, jedenfalls aber immer als privates Geldgeschäft. Die liberale englische Wirtschaftsverfassung duldete keine staatlichen internationalen Kredite, die heute überall in der Welt entscheidend nicht nur das Geschehen an den internationalen Kapitalmärkten, sondern auch im internationalen Handelsgeschäft spielen Denn neben dem internationalen Austausch von Gütern und Dienstleistungen, die Gegenstand des Außenhandels der Volkswirtschaften sind, erlebte auch der internationale Kapitalverkehr vornehmlich seit den Ereignissen der Weltwirtschaftskrise der Jahre zwischen 1928 und 1933 mannigfache Wandlungen seiner Formen, seines technischen Ablaufes und seiner Zielsetzungen. Die internationale Entwicklungshilfe bildet selbst den bedeutsamsten und tiefgreifendsten Gestaltwandel im übernationalen Kredit-und Kapitalverkehr, wie ihn der Ökonom sieht. Selbstverständlich bedeutet Entwicklungshilfe jedenfalls mehr als nur ein ökonomisches Ereignis. Dennoch werden sich unsere Ausführungen in erster Linie mit den wirtschaftlichen und kapitalmäßigen Problemen der Entwicklungshilfe beschäftigen, die freilich niemals zusammenhanglos von den Geschehnissen in der internationalen und nationalen Politik sowie ohne Berücksichtigung vieler anderer Faktoren gedacht werden können

Raumwirtschaftlich betrachtet stellen internationale Kredite größeren Stils stets die leihweise Überlassung von Kaufkraft eines Landes mit fortgeschrittenerer Industrialisierung und damit zumeist auch höherem durchschnittlichen Lebensstandard in Gebiete dar, deren wirtschaftlich industrielle Entwicklung weniger weit fortgeschritten ist und in denen die durchschnittliche Lebenshaltung niedriger liegt als in den Gläubigerstaaten. Relative Kapitalüberschüsse werden exportiert und entweder (nach privatgeschäftlichen Usancen) in vereinbarter Frist zurückgezahlt oder als Geschenke oder „ewige Kredite" gewährt, wie es gerade im Zuge der internationalen, speziell der nordamerikanischen Entwicklungs-und Auslandshilfe üblich geworden ist. Es läßt sich wirtschaftshistorisch ein Trend internationaler Kapitalbewegungen nachweisen sowohl innerhalb der sich industrialisierenden europäischen Volkswirtschaften als auch von diesen in die Vereinigten Staaten, von der Schweiz nach Norditalien, von dort später nach Mittel-und heute auch nach Süditalien, in den Nahen Osten, in die früheren Kolonialgebiete und schließlich von den Vereinigten Staaten zurück nach Europa und in die Randzonen der Weltwirtschaft Eine Sonderstellung nimmt die Sowjetunion bis etwa zur Mitte der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts ein, indem sie ihre Industrialisierung zwar keineswegs ausschließlich, aber doch weitgehend durch einen jahrzehntelangen strengen Konsumverzicht ihrer Bevölkerung und einen betonten Aufbau ihrer Schwerindustrie und ihrer Infrastruktur (Verkehrswege, Bewässerung, aber auch Schulwesen und Gesundheitsfürsorge usw.) finanzierte, aber sowohl während des Zweiten Weltkrieges in Form der amerikanischen Pacht-und Leih-lieferungen als auch nach dem Kriege in Gestalt von Reparationen, vor allem aus Mittel-deutschland, beträchtliche Sachlieferungen einführte, sich aktiv aber bis dahin nur zögernd am internationalen Kreditgeschäft beteiligte. So hat sich jahrelang die Sowjetunion z. B. geweigert, dem Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen Gelder zur Verfügung zu stellen, weil dessen Verteilungsgrundsätze verständlicherweise der sowjetischen Ideologie der Weltrevolution und einer allerorten nach gleichen Gesetzen ablaufenden industriellen und proletarischen Revolution widersprechen. Japan hat erhebliche Kapitalien auf dem fernöstlichen Festland — u. a. auch in der Mandschurei und auch in Südostasien — investiert; Anlagen, die im Laufe des Zweiten Weltkrieges alle verloren gingen. Auch heute leistet Japan neben seiner Entwicklungshilfe vor allem für die ihm räumlich benachbarten Regionen noch Reparationsleistungen

Während im Jahre 1914 Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Belgien die wichtigsten Gläubigernationen im internationalen Kreditgeschäft waren, was dem vergleichsweise hohen Stande der-Industrialisierung dieser Länder entsprach, entwickelten sich durch die Kriegsereignisse sowie infolge der mit dem Kriege verbundenen weltwirtschaftlichen Wandlungen die Vereinigten Staaten von der Schuldner-zur großen Gläubigernation Diese Position verstärkte sich noch, als nach dem Ersten Weltkriege die USA zum ersten-mal daran gingen, Europa und vor allem Deutschland mit Krediten zu helfen (DawesPlan, Young-Anleihe, kurz-und mittelfristige Kredite an Kommunen und private Unternehmen). Im Zweiten Weltkrieg errangen die USA erneut einen weiteren Ausbau ihrer Gläubigerposition. Sie wurden nicht nur zum Hauptlieferanten von Kriegsmaterial für die damaligen Alliierten, über das Pacht-und Leihgesetz (das freilich zunächst als Hilfe auf Gegenseitigkeit entworfen worden war) sowie über vielfache wirtschaftliche Nachkriegshilfen bestätigten die USA ihre Stellung als Welt-gläubiger Nummer eins, eine Stellung, die sie bis heute innehaben, vor allem, wenn man berücksichtigt, daß die Mittel aus internationalen Fonds, von denen noch die Rede sein wird, oft zu mehr als zwei Dritteln aus amerikanischen Quellen stammen.

Gegenwärtig stellt die internationale Entwicklungshilfe in jeglicher Gestalt nicht nur einen integralen Bestandteil des internationalen Kapitalverkehrs überhaupt dar, sie hat auch eine ganze Reihe neuartiger ökonomischer und politischer Fragen aufgeworfen, die wir im Folgenden zu behandeln versuchen. Eine Reihe von Kultur-und Wirtschaftsanalytikern geht heute so weit, zu vermuten, die internationale Entwicklungshilfe stelle einen vollkommenen Wandel in den überlieferten internationalen ökonomischen Beziehungen dar und ein neues Zeitalter der Hilfe-und Hingabewirtschaft sei angebrochen Derartigen optimistischen Prognosen, die eine Variation der bekannten, vielgestaltigen Kritik am industriellen Kapitalismus darstellten und die zugleich den Anbruch eines neuen Zeitalters jenseits aller bisher herrschenden Ideologien behaupteten oder erhofften, steht die nüchterne Tatsache gegenüber, daß Entwicklungshilfe heute sowohl in privat-als auch in staatskapitalistischer Form und nur daneben zusätzlich als internationale Schenkung gewährt wird. Die Vielgestaltigkeit besonders der westlichen Entwicklungshilfe rechtfertigt einmal mehr die Annahme, daß eine pluralistische Gesellschaftsverfassung auch verschiedene Möglichkeiten internationaler ökonomischer Beziehungen kennt und daß es keinen Grund für die Annahme gibt, der Kapitalismus habe sich von Grund auf gewandelt. Im Gegenteil, gerade das Beispiel der wirtschaftlichen Gesundung Westdeutschlands nach den Grundsätzen einer liberalen kapitalistisch-industriellen Ordnung (wenn auch, wie anderswo, mit starken sozialpolitischen und wohlfahrtsstaatlichen Zügen durchsetzt, die vor allem auf die Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskirse und ihren weitgehenden wirtschaftlichen und politischen Konseguenzen zurückzuführen sind) stützt die Behauptung, daß eine neuerliche Stärkung der kapitalistischen Wirtschaftsweise in der alt-industrialisierten Welt Europas und Nordamerikas die gegenwärtige Entwicklungshilfe in ihrem wahrhaft gigantischen Umfange überhaupt erst möglich gemacht hat. Diese Auffassung wird auch durch die steigende Hilfe des Ostblockes an wirtschaftlich schwache Länder nicht aufgehoben, weil rückblikkend die östliche und vor allem die sowjetische Entwicklungshilfe sich immer mehr als eine Reaktion auf die westliche Entwicklungsförderung erweist. Jedenfalls aber ist es sinnvoll, die heutige Entwicklungshilfe der industrialisierten Länder in die wirtschaftlich unentwickelten Gebiete der Weltwirtschaft nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Geschichte des internationalen Kapitalverkehrs und mit der politischen Entwicklung in der Welt mindestens in den letzten 35 Jahren zu sehen

Anfänge der Entwicklungshilfe

Anteil der militärischen Hilfe am amerikanischen Bundeshaushalt 1951 bis 1960 (in Milliarden Dollar) nach Draper-Report.

*) Geschätzt.

Mit Recht wird zwar das amerikanische Punkt-Vier-Programm der Regierung Truman als der eigentliche Beginn der amerikanischen und auch der übrigen westlichen Entwicklungshilfe angesehen, dennoch sollte man nicht übersehen, daß England und Frankreich in ihren Kolonien und Dominien in der Zeit vor dem Zweiten Weltkriege erhebliche Beträge investierten. Die Bedeutung dieser Investitionen wird heute nicht nur von den jungen, oft nationalistischen Regierungen der Entwicklungsländer, sondern auch von weiten Kreisen in den Kapitalexportstaaten unterschätzt. Zwar lassen sich statistisch einwandfrei weder die investierten Beträge noch die reinvestierten Gewinne (sofern es diese gab) noch die transferierten Beiträge heute noch mit befriedigender Genauigkeit nachweisen, dennoch zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung Indiens, Indonesiens oder Indochinas sowie des ehemals belgischen Kongos (der lange Zeite zu Recht als Musterkolonie galt), daß die Mutterländer beträchtliche Mittel aufgewandt hatten Auf der Basis dieser kolonialen Investitionen vollzieht sich heute die Industrialisierung in weiten Gebieten der Welt. Nicht die Tatsache, daß die kolonialen Mutterländer keinerlei Geldmittel ihren abhängigen Gebieten zur Verfügung stellten, sondern die Tatsache, daß durch erste Investitionen im Eisenbahnwesen, in der Agrar-wirtschaft, im Städtebau und in der Verwaltung das Gefälle des Lebensstandards zur alt-industrialisierten Welt überhaupt erst für die Eingeborenen sichtbar wurde, hat den bekannten „Demonstrationseffekt" ausgelöst und die Bestrebungen der einheimischen Bevölkerung angeregt, ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung zu forcieren. Daß dieser Prozeß sich als emotionelle, nationalistische und antikoloniale Bewegung abspult, ist eine sozialpsychische Besonderheit wirtschaftlicher Entwicklung in überseeischen Entwicklungsregionen, die nichts an den bekannten ökonomischen Notwendigkeiten und inneren Gesetzmäßigkeiten jedes Industrialisierungsprozesses, wie etwa zwischen dem volkswirtschaftlichen Sparprozeß und dem Tempo der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung, ändert.

Großbritannien, das während des Zweiten Weltkrieges infolge seiner Kriegsanstrengungen in ernste Zahlungsbilanzschwierigkeiten geriet, versprach seinen abhängigen Gebieten weitgehende wirtschaftliche Hilfe für die Zeit nach dem Kriege — ein Versprechen, das freilich nur begrenzt eingelöst werden konnte, da das Mutterland zunächst durch amerikanische Kredite (die umfangreichsten Tranchen, die jemals in einer Summe von einem Land in ein anderes transferiert wurden) das britische Pfund stützen lassen mußte, weil auch eine gemeinsame Verwaltung der Devisen der britischen Kolonien in London ebenso wie die Schaffung eines Devisenausgleichsfonds nicht genügt hatten, die schon aus der Zeit der großen Krise vom Beginn der dreißiger Jahre ausgelaufenen internationalen Verpflichtungen Großbritanniens aufzufangen.

Es darf nicht übersehen werden, daß schon in den zwanziger Jahren eine erste Industrialisierungswelle die heutigen Entwicklungsländer erfaßt hatte, was unter anderen zum Aufbau einer Textilindustrie in Indien und verschiedener Industriezweige in Südamerika, Südafrika und — wenn auch begrenzt — im Nahen Osten geführt hatte (vornehmlich Ölgesellschaften in ausländischem Besitz, die erhebliche Konzessionsgebühren an die jeweiligen arabischen Scheichtümer zahlen, die nicht immer nur konsumtiv oder im westlichen Aus-lande angelegt wurden, sondern die auch dazu dienten, den Lebensstandard und die allgemeine Sozialfürsorge im Lande zu heben, so z. B. in Kuweit). Auch während des Zweiten Weltkrieges konnten viele Entwicklungsregionen ihre Industrialisierung und Modernisierung ihrer Agrarwirtschaft sprunghaft vorantreiben, wobei ihnen die Drosselung des Welthandels, die weltweite Devisenbewirtschaftung und die Unmöglichkeit, stehengebliebene Gewinne ausländischer Firmen im eigenen Lande nach Europa oder Nordamerika zurückzutransferieren, zugute kamen

Natürlich hat diese hinter verzerrten, kriegs-bedingten weltwirtschaftlichen Verhältnissen sich abspielende Industrialisierung nachteilige Wirkungen für die gesamte Weltwirtschaft und für alle an ihr beteiligten Länder gezeitigt, als der Krieg vorüber war und die devisenpolitischen und allgemeinen außenhandelspolitischen Beziehungen sich bei zunehmender Liberalisierung des Welthandels und wachsender Konvertibilität der wichtigsten Hartwährungen der Welt zu normalisieren begannen und die volks-wie weltwirtschaftlichen Nachteile einseitiger Industrialisierungsprozesse (ganz deutlich sichtbar wurde dies z. B. in Argentinien, in Mittelamerika und in Pakistan) erkennbar wurden und ihre „Kosten" weltwirtschaftlich verteilt werden mußten. Dies alles ändert nichts an der Tatsache, daß vom Standpunkt des internationalen Kapital-und Kreditverkehrs die heutigen Entwicklungsländer auch schon während des Zweiten Weltkrieges — wenn auch oft genug unfreiwillig — Mittel zur Verfügung bekamen, die sie für den wirtschaftlichen Aushau ihrer Länder zu nutzen versuchten.

Deutschlands internationale Kapitalverflechtung hat sich nach dem Ersten Weltkrieg ebenso wie nach dem zweiten zunächst fast völlig aufgelöst. Vor 1914 hatte sich Deutschland vor allem in Südosteuropa und im Vorderen Orient finanziell engagiert (Bagdad-bahn!). Kriegsfolgen, Reparationslasten, Konfiskationen und devisenpolitische Schwierigkeiten haben die Stellung Deutschlands an den Weltkapitalmärkten zwischen den beiden Kriegen stark geschwächt. Nach 1945 wurde das deutsche Auslandsvermögen weitgehend beschlagnahmt und ist auch heute noch nicht in allen Gebieten wieder freigegeben. Dies fällt deshalb besonders ins Gewicht, weil die bisherige Behandlung ausländischen Vermögens durch die Entwicklungsländer nicht nur eine wichtige Voraussetzung darstellt für weitere private Investitionen in diesen Gebieten, sondern weil Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg teils direkt, teils über Schweizer und Londoner Banken auch am Aufbau der amerikanischen Wirtschaft, vornehmlich des amerikanischen Eisenbahnwesens, beteiligt gewesen war

Diese flüchtige und unvollkommene Skizze der jüngsten Geschichte der internationalen Kapitalverflechtung sollte deutlich machen, daß die heutige Entwicklungshilfe keineswegs der erste Beitrag der altindustrialisierten Welt für die überseeischen Entwicklungsregionen darstellt, wenn auch frühere Leistungen unter gänzlich anderen politischen, sozialen und auch banktechnischen Bedingungen gewährt wurden.

Die Organisation der amerikanischen Auslandshilfe

3. Gesamtbeträge militärischer und wirtschaftlicher Hilfe der Vereinigten Staaten 1945 bis 1963 in Millionen Dollar

(nach R. Adam).

Als sinnvollen Beginn der nordamerikanischen Auslandshilfe darf man das Jahr 1948 ansehen. Bis dahin, d. h. bis zur Verkündigung des sogenannten Punkt-Vier-Programms durch Präsident Truman (der Name wurde gebräuchlich, weil die Auslandshilfe den vierten Punkt einer umfassenden Erklärung Trumans zur Politik der Vereinigten Staaten darstellte), wurden zwar auch bereits amerikanische Mittel verteilt, die sich aber in der Hauptsache entweder auf karitative Schenkungen (Care, Cralog) oder auf die Rest-und Ausverkäufe amerikanischen Heeresgutes in Europa beschränkten, wovon die STEG-Orga-nisation auch in Westdeutschland weithin bekannt wurde. Bis 1947 leisteten die USA auch im Zuge der Unterstützung der UNRRA (UN-Relief and Rehabilitation) Kapitalhilfe an verschiedene, vom Kriege besonders betroffene Länder. Die Philippinen, China, Griechenland und die Türkei erhielten vor Inkrafttreten des Marshall-Planes amerikanische Anleihen überwiesen. Der Marshall-Plan selbst, der sich zunächst auch an die osteuropäischen Staaten einschließlich der Sowjetunion wandte, bedeutete die bisher in der Wirtschaftsgeschichte größte Kapitalhilfe einer Volkswirtschaft an einen ganzen Kontinent. Daß auch die besiegten Länder in das umfangreiche Hilfsprogramm einbezogen wurden, stempelt es einmal mehr zur politischen Novität im internationalen Kapitalverkehr

Mindestens bis zum Jahre 1952, als die kriegs-bedingten amerikanischen Hilfsprogramme ausliefen, stellte die US-Auslandshilfe ein selbst für den Fachmann fast unübersehbares Geflecht von Institutionen, Programmen und Gesetzen dar. Lange Zeit liefen demzufolge in verschiedenen Entwiklungsländern mehrere Hilfsprogramme nebeneinander her, und wiederholt kam es zu Kompetenzstreitigkeiten nicht nur in der exekutiven Apparatur, sondern auch bereits bei der gesetzgebenden Beschlußfassung. Von vorneherein haben die Vereinigten Staaten auch die internationalen Finanzierungsinstitute, allen voran die Weltbank (der Weltwährungsfonds gebraucht seine Mittel in erster Linie, um kurzfristige Zahlungsbilanzstörungen auszugleichen), die International Finance Corporation (IFC) und neuerdings auch die International Development Agency (IDA), daneben eine Reihe regional tätiger Institute, wie etwa die interamerikanische Entwicklungsbank, maßgeblich unterstützt, so daß stets unterschieden werden

muß zwischen der privatwirtschaftlichen amerikanischen Entwicklungshilfe durch Großfirmen, Banken und Unternehmen, der staatlichen Entwicklungshilfe durch die Regierung, der mittelbaren Hilfe durch amerikanische Beiträge an internationale Finanzierungsinstitute.

Die institutionelle Apparatur der amerikanischen Auslandshilfe ist sehr unübersichtlich.

Mindestens sechs Institutionen beschäftigen sich mit ihr, wobei sie teilweise dem Außenministerium, dem Verteidigungsministerium oder dem Landwirtschaftsministerium unterstehen, denn innerhalb der amerikanischen Hilfe haben die (kreditierten) Verkäufe von agrarischen Überschüssen immer eine beachtliche Rolle gespielt. Die USA haben auf diese Weise versucht, ihre eigene Agrarpolitik mit der Hilfe für fremde Nationen zu verbinden, was natürlich die marxistischen Wirtschaftswissenschaftler und Ideologen in der Annahme bestärkt hat, daß die USA einen wachsenden Umfang an Entwicklungshilfe dringend brauchen, um im eigenen Lande die wirtschaftliche Ordnung sowie die Vollbeschäftigung zu erhalten und einer allgemeinen Stagnation des amerikanischen Geschäftslebens vorzubeugen. Diese imperialismustheoretischen Ansichten, die als ein bedeutendes Teilstück der marxistischen Ökonomie und Ideologie zur Erklärung der Ökonomie im kapitalistischen System (wie sie es verstehen) dienen, haben die kommunistischen Politiker freilich nicht daran gehindert, wiederholt selbst amerikanischen Weizen anzukaufen, ebenso wie sie keine Hemmungen hatten, während des Zweiten Weltkrieges sehr bedeutende amerikanische Kriegslieferungen anzunehmen (etwa 11 Milliarden Dollar), die sie bis heute so gut wie nicht zurückgezahlt haben

Ein Überblick über die amerikanische Auslandshille wird noch erschwert dadurch, daß die mit der Durchführung der Auslandshilfe betrauten Dienststellen und Banken (allen vor-an die amerikanische Export-Import-Bank, die schon seit über 30 Jahren besteht) keineswegs identisch sind mit den von der Legislative entworfenen und zum Gesetz erhobenen Programmen für einzelne Projekte und Länder. In Europa hört man nur immer von den jährlichen Haushaltshilfsprogrammen der USA, die meist erheblichen Kürzungen im Kongreß unterliegen, ehe sie ausgeführt werden können. Tatsächlich verbirgt sich hinter einer Gesamt-etatsumme von z. B. 3, 2 oder 4 Milliarden Auslandshilfe jährlich eine Fülle von Titeln und Programmen, die an dieser Stelle aufzuführen zu weit gehen würde. Kritiker der amerikanischen Hilfe haben diese Zersplitterung oft als entscheidenden Mangel herausgestellt. Ein differenziertes Hilfsprogramm ist aber nicht nur für die ganz unterschiedlichen Aufgaben, die es in den Entwicklungsländern zu bewältigen gilt, erforderlich, es stellt vielfach auch das Ergebnis parlamentarischer Kompromisse oder taktischer Überlegungen des amerikanischen Präsidenten gegenüber den verfassungsmäßigen gesetzgebenden Körperschaften dar.

Als der Marshall-Plan, der in der Hauptsache für die westeuropäischen, aber auch die süd-und südosteuropäischen Staaten in Szene gesetzt worden war, auslief, begann man, die vielfältigen Programme zu vereinen. So wurden 1952 das Punkt-Vier-Programm, die restlichen Mittel des Marshall-Planes und das Mutual Defense Aid Program (MDAP) zum einheitlichen Mutual-Security-Program zusammengeschlossen. 1954 trat der sogenannte Plan 480 hinzu, der dem schon erwähnten Verkauf landwirtschaftlicher Überschüsse dient

Die amerikanische Export-Import-Bank, die im Zusammenhang mit der Auslandshilfe immer wieder erwähnt wird, ist im strengen Sinne keine Institution der Entwicklungshilfe. Sie wurde in der ersten Präsidentschaftszeit Roosevelts noch während seiner Bemühungen um die Überwindung der Weltwirtschaftskrise und der sich abzeichnenden Desintegration im internationalen Handel schon 1934 gegründet. Sie erhält ihre Mittel nach Beschlußfassung im Kongreß durch das Schatzamt, und mindestens bis vor einigen Jahren war die Förderung der amerikanischen Ausfuhr ihre Hauptaufgabe. Diese Institution hatte schon bis 1960 etwa sieben Milliarden Dollar Kredite vornehmlich an Exporteure gewährt, die bis dahin etwa zur Hälfte auch schon zurückgezahlt worden waren.

In den vergangenen Jahren hat die Export-Import-Bank zunehmend Kredite auch an Entwicklungsländer vergeben, zeitweise jährlich um eine Milliarde Dollar. Derartige Kredite galten entweder der Beseitigung von kurzfristigen Zahlungsbilanzstörungen oder sie wurden mit bestimmten Auflagen verbunden, wie etwa der, bestimmte technische Anlagen und Investitionsgüter in den USA zu kaufen. Diese Kredite werden an private Schuldner gewährt, fast immer ohne staatliche Bürgschaft. Die Bank hat es sich zur Aufgabe gemacht, die einseitige räumliche Streuung des amerikanischen Kapitals im Auslande aufzulockern. So hat sie folgerichtig auch asiatischen Entwicklungsländern Kredite gewährt, die US-amerikanisches Kapital bisher nur in geringen Mengen erhielten. Der ständige Rückfluß von Krediten und Zinsen, deren Höhe seit Gründung der Bank auf mehr als eine Milliarde Dollar angestiegen sind, versetzt die Export-Import-Bank in die Lage, vergleichsweise flexibel zu operieren und innerhalb eines gewissen Spielraumes auch unabhängig von legislativen Entscheidungen über die jährliche Höhe der Auslandshilfe zu sein.

Die große Zahl der Länder, die amerikanische und westliche Auslandshilfe erhalten (vgl. die statistischen Übersichten im Abschnitt „Vergleiche ...", S. 25 ff.), darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es gewisse Schwerpunkte der gesamten westlichen Entwicklungshilfe sowie der einzelner Hauptgläubigerländer gibt. Amerikanisches Kapital hat (neben den privaten Investitionen in Europa) stets den mittel-und südamerikanischen Raum bevorzugt. Seit 1958 erhielten auch viele kleinere Länder Afrikas sowie des Nahen Ostens materielle Hilfe. In Indien liefen zeitweise wegen des komplizierten, mehrstufigen und ineinander verschränkten institutionellen Apparates der US-amerikanischen Hilfe gleichzeitig sechs amerikanische Hilfsprogramme nebeneinander. Seit dem „großen Kreditstoß" der sowjetischen Hilfe 1959 wurden besonders die amerikanischen Mittel stärker reaktiv nach strategischen Gesichtspunkten verteilt. In Ostasien haben sich die Amerikaner auffälligerweise kaum finanziell engagiert, wohl hingegen die deutsche Bundesrepublik, die neben den internationalen Finanzierungsinstituten auf diese Weise eine wesentliche Lücke im westlichen Auslandshilfsprogramm schließt. Verständlicherweise geht ein beträchtlicher Teil der englischen sowie der französischen Auslandshilfe in derzeitige und in ehemalige Kolonien, nach Nord-und Zentralafrika, auf eine Reihe von überseeischen Inselbesitzungen sowie nach Indien, Pakistan, Afghanistan usw. Die Bundesrepublik wiederum bevorzugt mit privaten " Direktinvestments" vor allem in Südamerika (Aufbau von Automobilwerken, Kraftwerken und Maschinenfabriken usw.)

eine Entwicklung, die durch die Reise von Bundespräsident Lübke 1964 in die Haupt-städte mehrerer südamerikanischer Länder noch gefördert worden sein dürfte. Aber auch die westdeutsche Entwicklungshilfe zeigt im ganzen gesehen eine starke Zersplitterung, wie sie auch für die übrige westliche Auslandshilfe typisch ist und wie sie dem Ausland zum Teil unbekannt blieb. Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich in Zukunft eine straffere organisatorische und auch bankgeschäftliche Koordination der westlichen Hilfe, als es gegenwärtig der Fall ist. Selbst einer zusammengefaßten europäischen Entwicklungshilfe steht der große Block amerikanischer Hilfe gegenüber, die — im privaten Sektor — sich z. B. im Erdölgeschäft des Nahen Ostens stark engagiert hat Weitere Einzelheiten über die räumliche Streuung der westlichen Auslandshilfe können den Tabellen auf Seite 25 ff. entnommen werden.

In einem späteren Kapitel werden die Quantitäten der amerikanischen und der östlichen (speziell der sowjetischen) Entwicklungshilfe noch eingehend verglichen. Mit dem Voranschlag Präsident Johnsons für das Haushaltsjahr 1964/65, für das weitere 3, 5 Milliarden Dollar beantragt, die inzwischen allerdings gekürzt wurden, hat die gesamte amerikanische Auslandshilfe seit 1945 eine Höhe von über 100 Milliarden Dollar erreicht — Grund genug, sich mit einigen der wichtigsten Positionen schon an dieser Stelle auseinanderzusetzen. Kernstück der amerikanischen Auslandshilfe war nach der Zusammenlegung verschiedener Programme 1952 das Mutual-Security-Pro-gram. Es wurde in den Jahren zusammengestellt, in denen sowohl die NATO als auch die westeuropäische Verteidigungs-und Wirtschaftsgemeinschaft noch keine festen Konturen angenommen hatten. Das MS-Programm umfaßt militärische und nicht-militärische Hilfe, wobei der Begriff der militärischen Hilfe nicht zu engherzig verstanden werden darf. Zu ihr zählen nämlich u. a. auch die technische Hilfe sowie einige Mittel, die nicht ausschließlich militär-strategischen Zwecken, sondern „der allgemeinen Entwicklung" dienen. Die wichtigste Entwicklung innerhalb des MS-Programms war zweifellos die wachsende Überzeugung, daß Anleihen besser seien als Geschenke — und dies nicht etwa nur aus ökonomischen, sondern vor allem auch aus psychologischen und taktischen Gründen. Der Kreis der Empfängerländer ist sehr groß. Zeitweise erhielten mehr als 50 Nationen Gelder aus dem MS-Programm, was wiederum die Kritiker der amerikanischen Auslandshilfe auf den Plan rief, die eine stärkere Massierung der Entwicklungsund Hilfsgelder fordern. Wenn in den Statistiken gelegentlich die jährlichen Ausgaben gerade innerhalb dieses Programms höher oder niedriger erscheinen als die im betreffenden Haushaltsjahr bewilligten Mittel, so liegt dies vornehmlich daran, daß nicht immer alle Beträge abberufen werden, mithin am Ende des in den USA am 1. Juli beginnenden Haushaltsjahres Überschüsse entstehen. Uber mehrere Jahre hinweg gesehen gleicht sich dieser statistische Fehler naturgemäß wieder aus. Die Grenze zwischen militärischer und wirtschaftlicher Hilfe ist flüssig. So werden z. B. im Rahmen des militärischen Hilfsprogramms auch gelegentlich Gelder zur Verfügung gestellt, die zum Ankauf von aus amerikanischen Textilien angefertigten Uniformtuchen ausgegeben werden müssen. Durch diese und andere Zweckbindungen ist man bemüht, die einzelnen Hilfsund Entwicklungsprogramme in den USA mit gemeinsamen volkswirtschaftlichen, vorwiegend konjunkturpolitischen Absichten zu verbinden.

Der Kreis der Länder, die US-amerikanische technische Hilfe erhalten, ist seit jeher besonders groß. Innerhalb der Organisation der amerikanischen Auslandshilfe hat sie von vor-

neherein entsprechend der angelsächsischen Mentalität eine große Rolle gespielt. Das " know how" der wirtschaftlichen Entwicklung, die Programmierung von Ingenieurleistungen und Beratungen verschiedener Art entsprechen weitgehend der (durchaus diskutablen und auch nicht unkritisiert gebliebenen) amerikanischen Einstellung, daß wirtschaftliche und soziale Entwicklung ein historisch wiederholbarer Prozeß sei. Diese Auffassung, die von allen Kultursoziologen und auch von den weiterblickenden Nationalökonomen bis heute zu Recht immer wieder kritisiert worden ist, hat einige Jahre ziemlich schematisch die Or-ganisation der amerikanischen Auslandshilfe beherrscht. Inzwischen haben sich die Absichten, Methoden und Vorstellungen der für die Entwicklungshilfe politisch und verwaltungstechnisch Verantwortlichen beträchtlich verfeinert. Vor allem unter der Regierung von Präsident Kennedy hat sich ein Stilwandel der US-amerikanischen Auslandshilfe insofern vollzogen, als man die Quantitäten der gewährten Kredite seit einigen Jahren nicht mehr als allein entscheidend ansieht, sondern einen wohlüberlegten, politisch wie wirtschaftlich und militärisch abgewogenen Plan für jedes einzelne Land und jede Region der Weltwirtschaft vorzieht.

Betrachtet man in großen Zügen das Verhältnis von Aktion und Reaktion in der Gewährung von Auslandshilfe zwischen dem Ostblock und den USA sowie der übrigen westlichen Welt, so darf man feststellen, daß in den ersten Jahren die Entwicklungshilfe geradezu als ein Primat der Freien Welt erschien. Ebenso wie die Gründung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) des Ostblockes als eine Reaktion auf die Einigungsbemühungen Westeuropas angesehen werden kann, stellt die östliche Entwicklungshilfe, die, abgesehen von den internen russisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, erstmals um das Jahr 1955 weltwirtschaftlich und weltpolitisch bedeutsam in Erscheinung trat, zweifellos eine Reaktion dar auf die bis in die Mitte der fünfziger Jahre stetig anschwellende US-amerikanische Hilfe Die Liquidierung des französischen Kolonialreiches, der die Aufgabe der niederländischen Besitzungen in Südostasien sowie starke Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb des britischen Commonwealth folgten, die wirtschaftliche Wiedergesundung der Bundesrepublik, die zunehmende Konvertierbarkeit der wichtigsten Weltwährungen in der westlichen Hemisphäre sowie eine zunehmende Liberalisierung des Außenhandels haben seit der Mitte der fünfziger Jahre die US-amerikanische Auslandshilfe verändert. Durch den Beitritt der Bundesrepublik zu den internationalen Finanzierungsinstitutionen von Bretton-Woods, durch ihre hohen Devisenreserven von zeitweise bis zu 30 Milliarden DM sowie eine erst langsame, dann wachsende Zunahme der westdeutschen Kapitalexporte wurden die Amerikaner angeregt, eine stärkere Beteili-gung eines sich wirtschaftlich, politisch und sozial integrierenden Europas an der westlichen Entwicklungshilfe zu fordern. Dieser Gedanke wurde der deutschen Bundesrepublik erstmals durch einen Besuch des Finanzexperten Douglas Dillon im Jahre 1960 unterbreitet. Er stand im engen Zusammenhang mit der seit Kriegsende in Europa nicht immer deutlich genug gesehenen Folgerichtigkeit der amerikanischen Außenpolitik, einen wesentlichen Teil der durch die politischen Ereignisse seit der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkriege unfreiwillig übernommenen weltwährungspolitischen Verantwortung wieder an Europa zurückzugeben — eine Absicht, die besonders Präsident Kennedy fest ins Auge genommen hatte. Die amerikanische Zahlungsbilanzsituation, die sich seit 1957/58 zu verschlechtern begann (wenn auch rückblickend die Pessimisten in ihren Prognosen über den erwarteten Umfang dieser Verschlechterung nicht recht behielten), hat ein übriges dazu getan, die amerikanische Auslandshilfe von Jahr zu Jahr einer strengen Prüfung zu unterziehen, so daß im ganzen gesehen ihre Wachstumsrate nicht nur geringer wurde, ihr Anteil am amerikanischen Nationaleinkommen und auch am amerikanischen Budget sogar fiel.

Das Programm 480 als dritter Teil des MS-Programms hat zeitweise eine hervorragende Rolle gespielt. Gerade an diesem Programm kann man die für ein auf privatkapitalistischer Basis arbeitendes Land typische Gestalt der Entwicklungshilfe erkennen, wobei der Staat die Rolle des zeitweisen Kreditgebers und Vermittlers spielt. Die Stützung der amerikanischen Farmereinkommen gehört seit den Tagen des New Deal F. D. Roosevelts zu denjenigen innenpolitischen Aufgaben, die — nicht nur in Wahljahren — die Aufmerksamkeit der Bundesregierung in Washington fesseln. Dementsprechend bildet der Verkauf bzw. das Verschenken von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auch in der Entwicklungshilfe eine bedeutende Rolle. Die Beträge des Programms 480 werden von der Commodity Credit Corporation verteilt. Landwirtschaftliche Überschüsse flossen bisher in mehr als 40 Länder. Mit der Preisstützung im Inland verbindet sich die Absicht, neue Märkte zu erschließen und so-genannte „kritische Rohstoffe" sinnvoll in der Welt zu verteilen. Die CCC erhält die Mittel für kreditiert gelieferte Agrarprodukte (vornehmlich Weizen und Mehl, aber auch Baum-wolle) vom Staat, ebenso die Mittel für denAnkauf von agrarischen Überschüssen. Ihre Mittel gibt sie (ähnlich der Doppelfunktion des ERP-Fonds in Europa) wiederum für Entwicklungsanleihen aus, gegen Zinsen nach amerikanischen Kapitalmarktverhältnissen. Ausgaben für kulturelle Zwecke wie Schulen, Bildung oder Bibliotheken spielen innerhalb dieses Programms nur eine untergeordnete Rolle.

Dieser kurze, keineswegs vollständige Über-blick über die Organisation der amerikanischen Auslandshilfe soll genügen. Die Zahl der Hilfsprogramme ist sehr groß, wenn auch inzwischen eine gewisse institutionelle Vereinheitlichung der Auslandshilfe erreicht wurde. Während ihre Intentionen in der ersten Nachkriegszeit noch auf die Wieder-errichtung der im Kriege zerstörten Produktions-und Wirtschaftskörper in der altindustrialisierten Welt gerichtet waren, so verbanden sich seit 1948 ökonomische Absichten zunehmend mit außenpolitischen Leitvorstellungen. In der Ära Dulles mit ihrer Außenpolitik der Eindämmung des Kommunismus wurden zunehmend strategische Vorstellungen verfolgt. Als man die Möglichkeiten des Ostblok-kes und gleichzeitig seine Grenzen für eine weltweite Entwicklungshilfe erkannte, unterzog man die jährlichen Auslandshilfegesetze einer genaueren Prüfung. Die vorherrschende Tendenz in den legislativ und exekutiv für die US-amerikanische Hilfe heute entscheidenden politischen Kreisen ist die, die amerikanische Auslandshilfe den veränderten wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen innerhalb der von Präsident Kennedy beschworenen atlantischen Wirtschaftsgemeinschaft anzupassen und sich nicht mehr dazu verleiten zu lassen, wegen einer historisch einmaligen Gläubigersituation, wie sie der Zweite mehr noch als der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte, eine quantitativ unkontrollierte Entwicklungshilfe zu leisten. Die Truman-Doktrin hatte zunächst eine Belebung des Welthandels im Auge, und die Auslandshilfe wurde als ein Instrument verstanden, vornehmlich die weltwirtschaftliche Desintegration der dreißiger Jahre zu überwinden. Unter Präsident Eisenhower wurde die Entwicklungshilfe der Vereinigten Staaten mehr und mehr mit militär-strategischen Absichten durchsetzt, was unter anderem im Anteil der jährlichen militärischen Hilfe zum Ausdruck kommt. Unter Präsident Kennedy wurde eine neue Politik eingeleitet, als man dazu überging, die wachsenden Verpflichtungen der USA, die es im Interesse der politischen wie militärischen Sicherheit auch für die übrige westliche Welt übernommen hatte, neu zwischen Europa und den Vereinigten Staaten aufzuteilen. Die Folgen dieser letzten Wandlung im Stile der amerikanischen Hilfe, die auch organisatorische und institutioneile Änderungen im Gefolge hat, sind heute noch nicht zu übersehen. Ohne Zweifel werden die politischen und ideologischen Auseinandersetzungen im Ostblock ebenso wie das Verhältnis zwischen Moskau und Peking in Zukunft Umfang, Richtung und Absichten der amerikanischen Auslandshille beeinflussen

Internationale Finanzierungsinstitute

Abbildung 4

Obwohl die Institutionalisierung des internationalen Kapitalverkehrs einen durchaus eigenständigen Entwicklungszug innerhalb der mannigfachen Entwicklungstendenzen des internationalen Kapitalverkehrs, vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkriege, darstellt, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der räumlichen Verteilung, besonders der privaten westlichen Entwicklungshilfe, und der Verteilung von Entwicklungskrediten durch übernationale Instanzen. Die Institutionalisierung des internationalen Kapitalverkehrs begann schon während der zwanziger Jahre hauptsächlich durch die bis heute in Basel ansässige Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die vornehmlich für die finanzielle Regelung der deutschen Reparationslasten nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat dieses Institut wichtige Aufgaben der banktechnischen Abwicklung volkswirtschaftlicher Saldenverrechnungen übernommen; es war neun Jahre lang Agent der Europäischen Zahlungs-Union, die ihrerseits für Europa die wichtigste übernationale Finanz-instanz war. Auf nationaler Ebene haben Devisenausgleichsfonds schon in den dreißiger Jahren sich darum bemüht, heftige Störungen im internationalen Transfergeschehen auszugleichen, die im Zuge der Weltwirtschafts- krise und des mit ihr in einem engen Zusammenhänge stehenden Zerfalls der internationalen Währungsordnung aufgetreten waren. Und eben die Transferschwierigkeiten, die hauptsächlich durch die deutschen Reparationszahlungen und durch den Abgang vom Goldstandard Ende der zwanziger Jahre heraufbeschworen worden waren, sollten die beiden zuerst gegründeten übernationalen Finanzierungsinstitutionen des Abkommens von Bretton-Woods vom Sommer 1944 nach dem Zweiten Weltkriege vermeiden helfen. Das Bretton-Woods-Abkommen stellte einen Teil der Initiative dar, die Präsident F. D. Roosevelt im letzten Jahr des Krieges, das zugleich sein letztes Lebensjahr war, entfaltet hat, um eine neue internationale Völkergemeinschaft, die Vereinten Nationen, zu begründen

Hatte man zuerst daran gedacht, die Weltbank (weniger den Internationalen Währungsfonds) zum Zwecke der Vermeidung internationaler Spannungen im Transferprozeß zu entwerfen und zu verwalten, so trat später die Vermittlung von Entwicklungskrediten als inzwischen wichtigste Aufgabe dieser übernationalen Bank hinzu, die sich aus nach bestimmten Grundsätzen festgelegten Mitgliedsbeiträgen, die tranchenweise oder auf Abruf eingezahlt werden müssen, finanziert. Da Goldvorräte, Größe des Sozialproduktes sowie der Umfang des Außenhandels eine Rolle bei der Festsetzung der Weltbankmitgliedsquoten spielen, waren es aus den beiden zuerst genannten Gründen vor allem die USA, die der Weltbank Mittel zur Verfügung stellten, wenn diese auch erst einige Jahre nach ihrer Gründung mit ihrer praktischen Tätigkeit in wirklich nennenswertem Umfange zu arbeiten begann. Die Weltbank vermittelt Kredite, im Gegensatz zu der später als Ergänzungsinstitut gegründeten International Finance Corporation, nur an Regierungen bzw. die Notenbanken in den Schuldnerländern. Der multilaterale Zahlungsverkehr soll gefördert werden. Zweckbindungen gibt es bei Weltbankkrediten im Gegensatz wiederum zu den Praktiken der privaten amerikanischen Entwicklungshilfe nicht. Der Weltbank gehören 69 Mitglieder an, die 20 Prozent ihrer Quote einzahlen und ihren übrigen Anteil auf Abruf bereithalten müssen. Ihr Grundkapital beträgt 21 Milliarden Dollar.

Die Weltbank stellt innerhalb der übrigen amerikanischen und westlichen Entwicklungshilfe eine Sonderinstitution dar, zumal Welt-bankkredite immer nur dann gewährt werden, wenn der Schuldner zwingend nachweist, daß er zu Kapitalmarktbedingungen einen Kredit nicht bekommen kann. Die Projekte, die die Weltbank finanziert, werden durch einen Sachverständigenausschuß sorgfältig geprüft. Namhafte Nationalökonomen, Professoren und erfahrene Bankpraktiker leiten dieses Institut Zins-und Amortisationshöhe richten sich nach den Eigenarten des finanzierten Projektes (für den Bau eines Staudammes etwa müssen längere Raten vereinbart werden als für ein Industriewerk, das schon ein oder zwei Jahre nach dem Baubeginn zu produzieren beginnt) und den wirtschaftlichen, speziell den zahlungsbilanzpolitischen Verhältnissen des Schuldnerlandes. Wiederaufbau-und Entwicklungsprojekte sollen in erster Linie finanziert werden. Gegenüber anderen Banken übernimmt die Weltbank auch besondere Risiken, z. B. für weltwirtschaftliche konjunkturelle Störungen und unter bestimmten Umständen auch das Risiko einer begrenzten kriegerischen Auseinandersetzung — das alle Geschäftsbanken der Welt verständlicherweise ablehnen. So wird deutlich, daß die Weltbank solche Projekte finanziert, die den Rahmen der privaten Entwicklungshilfe übersteigen und die auch durch nationale Regierungskredite nicht immer finanziert werden können. Bis 1954 hatte die Weltbank 100 Großkredite an 34 Länder vergeben in einer Gesamthöhe von etwa 1, 4 Milliarden Dollar; dazu kamen 0, 4 Milliarden Dollar Zusagen. 1957/58 waren es bereits 3, 8 Milliarden Dollar, die die Weltbank ausgeliehen hatte, und bis heute dürfte sich der Gesamtkreditbetrag auf ungefähr 8 Milliarden Dollar belaufen. Von allen weiteren Einzelheiten abgesehen, darf die Weltbank als eine Schrittmacherin des internationalen Kapitalverkehrs und der westlichen Entwicklungshilfe, vornehmlich auf dem Gebiete der Finanzierung einzelner Großprojekte und Sonder-vorhaben, gewertet werden, für die eine reguläre Finanzierung unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen meist kaum möglich ist. tisch sind diese Probleme im Rahmen der für solche Untersuchungen entworfenen Modell-

Überlegungen seit langem bekannt und auch bis zu einem gewissen Ende durchdiskutiert worden. Man glaubt mithin, sowohl die Vorzüge als auch die Nachteile einer koordinierten Entwicklungshilfe wenigstens theoretisch zu kennen. Tatsächlich können sowohl über eine räumlich unterschiedliche Aufbringung und einen geplant zeitlich gestaffelten Einsatz die Kapitalexporte in Entwicklungsländer konjunktursteuernde Funktionen in den alten Industriestaaten übernehmen, vor allem, wenn es sich um die Auslagerung zeitweise überschüssiger Kaufkraft oder um die Schaffung neuwertiger Kaufkraft zur Stimulierung des allgemeinen Wirtschaftskreislaufes handelt.

Allerdings sollte man die Entwicklungshilfe gleichsam als Kapitalexport und Lebensretter für die Stabilität der Wirtschaftstätigkeit in den älteren Industriestaaten nicht allein unter diesem Gesichtswinkel betrachten, nicht freilich, weil eine solche Betrachtung den herkömmlichen Argwohn der marxistischen Theoretiker und Ideologen hervorruft, sondern weil eine in den Rahmen der gesamten Wirtschaftspolitik einbezogene Entwicklungshilfe auch ein Instrument der Fiskal-, Außenhandels-, Devisen-oder allgemeinen Marktpolitik sein kann Es gibt kaum einen Aspekt des Wirtschaftslebens, der nicht wirtschaftstherapeutisch von der Entwicklungshilfe berührt würde. Wenn auch eine tatsächliche Koordination noch in weiter Ferne liegen dürfte, so darf doch als sicher gelten, daß eine Koordination der westlichen Entwicklungshilfe auch eine bewußte Pflege des internationalen Kapitalmarktes darstellen kann, wie man sie in dieser Form bisher nicht kennenlernte. Unterschiedliche Techniken der Aufbringung, der Verteilung wie der Rückzahlung der Entwicklungshilfe können zu wertvollen Instrumenten einer auch regional differenzierten Konjunktur-und Wachstumspolitik werden, wie sie die weitere wirtschaftliche Integration Europas ohnehin erfordert. Auch kann eine Koordination der westlichen Entwicklungshilfe die Schaukelpolitik der Entwicklungsländer gegenüber einer Vielzahl von tatsächlichen oder potentiellen Gläubigern in die Schranken weisen

Die International Finance Corporation gewährt auch Kredite an Private und ergänzt so das Programm der Weltbank. Vor allem verarbeitende Industrien sind die Empfänger von IFC-Krediten. Ihre Zinsen liegen mit 6— 10 Prozent um das Doppelte höher als die Zinsen, die die Weltbank verlangt, da sie weitgehend die Risiken der Investitionen in Übersee tragen muß. Quantitativ waren die IFC-Kredite in den ersten Jahren noch gering. Ein weiteres Institut der Bretton-Woods-Vereinbarungen ist die International Development Association, die vornehmlich Investitionen ohne privatwirtschaftliche Rendite finanziert. Dementsprechend werden keine Zinsen, sondern nur Provisionen berechnet. Die Entstehungsgeschichte der IDA hängt eng zusammen mit dem Anwachsen der sowjetrussischen Kredite seit Mitte der fünfziger Jahre. Die hohen Weltbankzinsen und die noch höheren der IFC hatten verschiedene Entwicklungsländer veranlaßt, sich an die Sowjetunion mit der Bitte um Entwicklungshilfe zu wenden. Die Finanzierungsstruktur der Bretton-Woods-Institute hat sich in den vergangenen zehn Jahren verschoben, als vor allem auch die Bundesrepublik als europäisches Industrieland wachsende Quoten einzahlte und damit über diese internationalen Finanzierungsinstitutionen zur international institutionalisierten Entwicklungshilfe der westlichen Welt beiträgt.

Die Frage der künftigen politischen wie ökonomischen Bedeutung der internationalisierten Entwicklungshilfe (zu der hier die verschiedenen Hilfs-Organisationen und -Programme der UN nicht hinzugezählt wurden) hängt eng zusammen mit der Frage einer künftigen Koordination der westlichen Hilfe überhaupt. Während man eine Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Entwicklungshilfe bisher besonders unter dem Gesichtspunkt eines stärker als bisher massierten Einsatzes der von Europa und Nordamerika zur Verfügung gestellten Gelder gesehen hat, wird neuerdings auch die mindestens ebenso wichtige Frage diskutiert, welche Hoffnungen man für den Ablauf der Konjunktur, das allgemeine wirtschaftliche Wachstum sowie die Forcierung und Steuerung des internationalen Handels von einer koordinierten Entwicklungshilfe erwarten darf. Wirtschaftstheore~

Formen und Gestaltwandel der westlichen Entwicklungshilfe

4. Einsatz amerikanischer Techniker und im Ausland

Seit jeher zeichnet sich die westliche Entwicklungshilfe durch einen der östlichen Entwicklungshilfe stets unbekannt gebliebenen Formenreichtum aus Dies entspricht sowohl den Grundsätzen einer liberalen Wirtschaftsführung als auch dem Dualismus von freier Wirtschaft und staatlicher ökonomischer Initiative in der westlichen Welt, während die zentralverwaltungswirtschaftlich geführten Volkswirtschaften des Ostens meist nur eine oder wenige Formen der Entwicklungshilfe kennen. Ebenso wie an den freien internationalen Kapitalmärkten haben sich in den zwei Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Wandlungen abgespielt, die zum Teil auf ökonomische Gründe, zu einem anderen Teil auf politische Ursachen zurückgeführt werden können. Dabei muß man sich stets vor Augen halten, daß sich der freie internationale Kapital-und Kreditmarkt erst zu Beginn der fünfziger Jahre wieder zu liberalisieren begann und parallel zur Entwicklungshilfe auch die übrigen internationalen Kapitalverflechtungen langsam erst wieder aufgebaut werden mußten. Die Entwicklungshilfe der westlichen Welt stellt mithin — historisch betrachtet — nicht etwa einen abgezweigten Teil der übrigen und allgemeinen internationalen Kapitalverflechtung dar, sie ist vielmehr zusammen mit dem Aufbau eines privatwirtschaftlichen internationalen Kreditmarktes gewachsen, wobei zweifellos zeitweise staatliche Entwicklungsgelder auch die normale Investitionstätigkeit europäischer oder nordamerikanischer Investoren in den Entwicklungsgebieten angeregt haben, was auch zu den erklärten Zielen der staatlichen Entwicklungshilfe vor allem in den letztvergangenen Jahren zählt

Ebenso wie der übrige Kapitalmarkt auf internationaler Ebene spiegeln auch die heute üblichen Formen der westlichen Entwicklungshilfe wesentliche Wandlungen in der Struktur und der Intensität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen wider. Völlig unabhängig davon, ob diese Entwicklungen zu begrüßen oder zu bedauern sind und wie sie von weltwirtschaftlichen Gesichtspunkten oder vom Standpunkt des internationalen Wohlfahrtszuwachs zu beurteilen sind, muß dabei der allgemein erkennbare Rückgang des internationalen Risikokapitals in der Welt gewertet werden. Inflationen, Kriege, Kriegsfolgen und die schon erwähnte Desintegration der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung — schon allein infolge der weltweiten Wirkungen der Weltwirtschaftskrise — haben viele neue Formen nicht nur der Sicherung einmal geliehenen Kapitals etwa durch staatliche Bürgschaften, hohe Zinsen, elastische Rücktransferbestimmungen usw. herbeigeführt, sie haben darüber hinaus die Gestalt der internationalen Kapitalverflechtung zum Teil gänzlich verändert. Während vor dem Ersten Weltkriege etwa die internationale, von Banken und privaten Schuldnern aufgelegte Anleihe, die ebenfalls durch Banken und durch private Sparer in den Gläubigerländern aufgebracht wurde, das Bild der internationalen Kreditmärkte entscheidend bestimmte, fehlt diese Form der Entwicklungshilfe zwischen der alt-und der neuindustrialisierten Welt heute fast völlig. Die stürmische Industrialisierung in Übersee mit ihren emotionell bedingten nationalistischen und chauvinistischen Begleiterscheinungen — etwa in Gestalt von Enteignungen, Devisenbeschränkungen, Zinsentransferverboten und anderem — haben die Bereitwilligkeit privater Anleihezeichner in den Gläubigerstaaten recht negativ beeinflußt — ein Problem, das immer wieder, auch im Interesse der Entwicklungsländer, auf internationalen Konferenzen diskutiert wird. Eine bedeutende Rolle spielen heute staatliche Kredite oder staatlich verbürgte Kredite, die vor 1914 nicht zum Bilde der internationalen Wirtschaftsordnung gehörten. Im Durchschnitt aller westlichen Länder werden heute mindestens ein Drittel bis zur Hälfte der westlichen Entwicklungshilfe in Form von Staatskrediten gewährt; in manchen Ländern liegt der Prozentsatz noch höher. Innerhalb der Staats-kredite wiederum spielen Schenkungen (grants) eine erhebliche Rolle. Genaue Angaben über den Umfang der Schenkungen sind schon deshalb schwierig, weil viele zunächst regulär gewährte Kredite erst später zu Schenkungen erklärt werden, entweder unter dem Druck der Zahlungsunfähigkeit der Empfängerländer oder als Belohnung für eine ökonomisch oder politisch sinnvolle und erfolgreiche Verwendung der gewährten Kredite. In der Gruppe der privaten Kredite spielen heute langfristige Lieferantenkredite mit Re-finanzierungsmöglichkeiten in den Gläubiger-staaten ebenfalls eine weitaus größere Rolle, als es früher am internationalen Kapitalmarkt üblich war Auch darin kann man eine Skepsis vieler Gläubiger gegenüber den Entwicklungsländern sehen sowie eine gewisse Unsicherheit internationalen Geschäften und Verpflichtungen gegenüber, die nicht zum traditionellen Bereich des zwischenstaatlichen Handels gehören. Vor allem aber sind es die vielgenannten direkten Investitionen (Zweig-werke von Industriebetrieben, Beteiligungen an Unternehmungen in den Entwicklungsländern usw.), die dem privaten Kapitalexport in die überseeischen Entwicklungsregionen jene Sicherheit bieten, die der Gläubiger braucht. Er nimmt auf diese Weise nicht nur Einfluß auf die Investition selbst, sondern übt auch einen entscheidenden Einfluß aus auf die Geschäftsführung, die Gewinnverteilung, und er entscheidet ausschließlich oder stimmberechtigt darüber, wieviel vom Gewinn reinvestiert und wieviel in das Mutterland retrans-feriert werden soll. Devisenpolitische Bestimmungen kann er auf diese Weise besser umgehen und bis auf den Fall der Enteignung, die aber in der Regel einen sofortigen Stop des Zuflusses an weiterem Kapital hervorzurufen pflegt, ist sein Kapital produktiv und vergleichsweise sicher angelegt. Infolge der meist noch mangelhaften gesellschaftsrechtlichen und wertpapierrechtlichen Bestimmungen in den Entwicklungsländern haben Wertpapieremissionen der Entwicklungsländer in den Gläubigerstaaten oder am internationalen Kapitalmarkt (eigene Kapitalmärkte gibt es in den Entwicklungsländern kaum) bisher keine besondere Bedeutung erreicht. Neben diesen wichtigsten Formen des Kapitaltransfers in Entwicklungsländer hat die Bedeutung der technischen Beratung und der Übermittlung technischen Wissens ständig zugenommen. Zwar ist meist nur von technischer Beratung und militärischer Hilfe die Rede, die kulturelle Hilfe spielt aber eine ebenso wichtige Rolle; vor allem einige Zweigorganisationen der UN haben sich ihrer angenommen

Im ganzen gesehen wird man sagen dürfen, daß Regierungskredite und staatlich durch Bürgschaften abgesicherte Kredite sowie die direkten Investitionen mindestens die Hälfte der allgemeinen westlichen Hilfe an Entwicklungsländer bestreiten, der Rest entfällt — wiederum im groben Durchschnitt gesehen — auf die übrigen Formen der Kapitalhilfe, die keinesfalls mit den Zwecken der Entwicklungshilfe verwechselt werden dürfen, wie sie in einem späteren Abschnitt statistisch dargestellt werden. Üblicherweise ist es der Sinn staatlicher Hilfe, daß die private Entwicklungshilfe nachfolgt. Darunter ist nun in einem weiteren Wortsinne auch der freie private Kapitalverkehr unter normalen kaufmännischen Gesichtspunkten zu verstehen; denn Regierungskredite sollen die Rolle einer Initialzündung übernehmen, was freilich fast immer nur gelingen kann, wenn auch eine Aufsicht über die Verwendung der Gelder getroffen und durchgeführt werden kann. Oft genug wurden Hilfsgelder nicht investiv, sondern konsumtiv verbraucht oder, wenn eine Investition durchgeführt wurde, geschah es häufig nach einseitigen Gesichtspunkten, so daß ungleichgewichtige volkswirtschaftliche Strukturen sowie volkswirtschaftliche Fehlinvestitionen die Folge waren. Diese Gefahr ist naturgemäß bei direkten Investitionen weitaus geringer, da ein privates Rentabilitätsstreben dafür sorgt, daß keine überflüssigen Investitionen vorgenommen werden

Betrachtet man die westliche Entwicklungshilfe — unabhängig von ihrem Umfang und den im einzelnen gewährten Quantitäten — unter dem Blickwinkel ihres Gestaltwandels noch einmal als Ganzes, so wird man sagen dürfen, daß seit etwa drei Jahren die Bedeutung der staatlichen Regierungskredite abzunehmen beginnt, während die privaten Investitionen zunahmen. Natürlich liegen die Gründe für bestimmte Formen und ihre wechselnde Bedeutung im Rahmen der gesamten Entwicklungshilfe nicht allein bei den Entwicklungsländern selbst. Steuerpolitische, devisen-politische, außenhandelspolitische und eine Reihe institutioneller Tatsachen in den alten Industrieländern haben Umfang, Richtung und Struktur der westlichen Entwicklungshilfe ebenso mitgeprägt. Die Vereinigten Staaten haben z. B. schon seit den Tagen des Pacht-und Leihgesetzes sorgfältig auch immer die Folgen berücksichtigt, die der Retransfer der Auslandshilfe für die amerikanische Binnen-konjunktur besitzt. Denn ebenso wie die Aufbringung der Mittel (über den Fiskus, den Bankenapparat oder unmittelbar beim privaten Sparer oder durch die Notenbank im Wege der Geldschöpfung) müssen auch beim Retransfer eine ganze Reihe von volkswirtschaftlich bedeutungsvollen Phänomenen berücksichtigt werden, die auf den Wirtschaftskreislauf der Gläubigerstaaten zurückwirken. Völlig im Gegensatz zu den Thesen der marxistischen Imperialismustheorie — die behauptet, der „kapitalistische Westen" (den es in dieser idealtypischen Form ohnehin nicht gibt) müsse zur Erhaltung seines Lebensstandards, seiner nationalen Beschäftigungsmenge und letztlich im Interesse seiner sozialen Ordnung unter dem Vorzeichen der Vorherrschaft des Besitzbürgertums jedenfalls Kapital exportieren, schon um die privaten Profitraten nicht dauerhaft fallen zu sehen — ist sowohl wirtschaftstheoretisch als auch wirtschaftsempirisch mehrfach überzeugend gezeigt worden, daß es der Entwicklungshilfe als Stimulus für die privatkapitalistische Wirtschaftswelt moderner Prägung nicht bedarf Eine wichtige Aufgabe der Wirtschaftspolitik in den Gläubigerstaaten besteht vielmehr darin, zu erreichen, daß die zum Teil beträchtlichen jährlichen Rückflüsse keine nachteiligen Wirkungen auf das allgemeine Wirtschafts-und Sozialniveau nehmen. Eine gewisse Notwendigkeit zum Verschenken scheint nur bei den landwirtschaftlichen Über-schüssen der USA vorzuliegen; aber auch hier könnte eine staatliche Valorisationspolitik den gleichen Erfolg erzielen. Gerade in der amerikanischen Entwicklungshilfe zeigt sich eine enge Nachbarschaft zwischen Ökonomie und politischer Mission in einem allgemeinen Wortsinne. Schließlich bildet die heutige Entwicklungshilfe — man denke nur an die Quäkerstiftungen und Hoover-Speisungen schon der zwanziger Jahre — nicht die erste Form der Hilfeleistung des materiell reichsten Landes der Welt an ärmere Völker.

Sozialpsychologen haben gelegentlich darauf hingewiesen, daß das private amerikanische Stiftungswesen und die typische amerikanische Hilfe-und Geschenkgesinnung auch als sozial-und individualpsychische Kompensation eines sonst harten und nur auf den eigenen Profit gerichteten Geschäftslebens aufzufassen sei — eine Auffassung, die naturgemäß in der Nähe marxistischer Kritiken an der westlichen Entwicklungshilfe liegt. Dennoch scheint es so zu sein, daß mindestens ebenso stark die puritanische Missionsgesinnung, der stille Wunsch, amerikanisches Lebensgefühl als beglückendes soziales Ereignis auch anderenorts einzuführen, den Grundgedanken der amerikanischen Entwicklungshilfe mitbestimmt, so wie auch der Marshallplan nach dem letzten Kriege nicht ausschließlich als ein Instrument eines außen-politischen Antikommunismus aufzufassen war Selbstverständlich kann man konsequent auch ein mitschwingendes religiöses Moment in der amerikanischen Entwicklungshilfe sozialpsychologisch deuten. Für die Ökonomie im engeren Sinne aber bleibt das ohne Bedeutung. Tatsache bleibt, daß der Formen-reichtum der Entwicklungshilfe der westlichen Welt ein Spiegelbild sehr vielfältiger, multilateraler Beziehungen zwischen den alt-und den neuindustrialisierten Ländern ist, wobei die große Bedeutung der staatlichen Kredite von allen Vertretern einer freien Wirtschaftsordnung sehr kritisch betrachtet wird.

Nach der Konferenz von Bandung gelang es einer Reihe von Entwicklungsländern im Zuge internationaler Spannungen Gläubigerregierungen lautlos zu erpressen, so auch die Bundesrepublik, teilweise unter Ausnutzung der durch die Hallstein-Doktrin festgelegten deutschen Außenpolitik, teils unter Ausnutzung der Tatsache, daß sich seit 1955 ohnehin für manche Entwicklungsländer die Alternative bot, westliche oder östliche Hilfe anzunehmen.

Längere Zeit haben die Entwicklungsländer, politisch nur scheinbar geeinigt, auf ihren Konferenzen in Kuala Lumpur, Bandung, in Kairo und Belgrad versucht, als geschlossener „Block der Neutralen" zu erscheinen und die Bedingungen der Entwicklungshilfe von sich aus zu beeinflussen. Besonders Ägypten ist das zeitweise mit der lange umstritten gebliebenen Finanzierung seines größten Entwicklungsprojektes im Niltal, dem Assuan-Damm, auch gelungen. Aber während die blockfreien Entwicklungsländer in Belgrad im Herbst 1961 tagten, erhielten sie von dem damals scheidenden Präsidenten der IFC, Garner, eine glatte Absage an ihre Schaukelpolitik, mit der sie nationalistischen Stolz mit den Notwendigkeiten ihrer Schuldnerposition zu vereinbaren trachteten. Garner warnte die Regierungen der Entwicklungsländer vor einer Politik der Inflation und er forderte sie auf, sorgfältiger mit den ihnen zur Verfü-gung gestellten Krediten zu verfahren. Fast gleichzeitig kündigte sich ein Wandel in der amerikanischen Auslandshilfe an. Unter Präsident Kennedy vollzog sich ein Umschwung in der Einschätzung der politischen Kraft und der ökonomischen Möglichkeiten der Entwicklungsländer, auf den Umfang und die Gestalt der westlichen Entwicklungshilfe entscheidenden Einfluß zu nehmen. Mehrere Kreditgesuche von Entwicklungsländern wurden abschlägig beschieden, vor allem, wenn der Verdacht bestand, daß gleichzeitig Verhandlungen mit Ländern des Ostblocks geführt wurden. Man wollte sich im Westen nicht mehr erpressen lassen, und diese Politik der amerikanischen Auslandshilfeorganisation hat sich durchaus bewährt. Die Zeiten der Erpressung durch Entwicklungsländer, die latent oder offen damit drohten, Kredite im Osten aufzunehmen, waren sehr schnell vorbei; denn die Entwicklungsländer hatten nicht nur ihr eigenes außenpolitisches Gewicht überschätzt, sie hatten auch die Möglichkeiten der östlichen Entwicklungshilfe zu hoch veranschlagt. Der damalige Ministerpräsident Chruschtschow konnte nicht gleichzeitig eine laufende Erhöhung des sowjetischen Lebensstils auf amerikanisches Niveau versprechen und eine Entwicklungshilfe leisten, die an Umfang, Qualität und Vielgestaltigkeit der westlichen Hilfe vergleichbar war. Auf diese Schwierigkeiten, die später den Sturz Chruschtschows mit herbeiführten, haben verschiedene Nationalökonomen vorzeitig wiederholt aufmerksam gemacht, ohne daß ihre Hinweise von politischen Kreisen immer hinreichend beachtet worden wären, sonst hätte der Sturz Chruschtschows, der sich schon allein aus der Widersprüchlichkeit seiner wirtschaftspolitischen Zielsetzungen lange angebahnt hatte, nicht ein solches Erstaunen in der westlichen Welt ausgelöst, wie es im Herbst 1964 dann tatsächlich geschah. Die Sowjetunion hat niemals eine reale Chance besessen, im internationalen Kapitalverkehr eine Position ein-

zunehmen, die der der westlichen Welt auch nur annähernd vergleichbar gewesen wäre. Die Zahlen über die bisherige westliche und östliche Entwicklungshilfe beweisen es, vor allem wenn man berücksichtigt, daß die Entwicklungshilfe nur einen Teil der westlichen internationalen Kapitalbeziehungen darstellt, während der Ostblock neben seiner Auslandshilfe, die noch dazu weitgehend naturalwirtschaftlich im Wege des zweiseitigen kompensatorischen Handelsvertrages abläuft, einen monetären zwischenstaatlichen Kapitalverkehr kaum kennt

Es gehört zu den großen Verdiensten Präsident Kennedys, daß er die Entwicklungsländer entgegen deren Absichten vor die Alternative: entweder keine Entwicklungshilfe oder aber eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gestellt hat. Gewiß konnte diese Politik schon infolge der langen Laufzeiten bereits eingeleiteter Entwicklungsvorhaben nicht überall konsequent durchgeführt werden, dennoch ist erkennbar geworden, daß eine starke Haltung der USA in der Frage der Auslandshilfe, der sich die europäischen Industriestaaten erst zum Teil anschlossen, den Kampf zwischen unkontrollierten politischen Emotionen und einer nach rationalen Gesichtspunkten geführten Außenpolitik in den Entwicklungsgebieten beeinfhußt und abgekürzt hat, was freilich nicht bedeutet, daß er bereits überall gewonnen wäre Dennoch breitet sich in vielen Entwicklungsländern nach ersten Jahren mit ihren wahrscheinlich unumgänglichen sozialen und ökonomischen Umbruchserscheinungen — wie Enteignungen, konfiskatorischer Besteuerung, Devisen-und Außenhandelskontrolle und einem allgemeinen politischen Druck auf die bisher führenden Schichten — die Vorstellung aus, daß auf die Dauer sie selbst durch ein rationales Verhalten die Grenzen mitziehen, die für die Zukunft die Praktiken der westlichen Entwicklungshilfe bestimmen werden Schließlich hat die öffentliche Meinung, auch in der Bundesrepublik, in der Frage der Entwicklungshilfe in den letzten Jahren einen Wandel erfahren. War man zunächst aus verschiedenen, auch sozialpsychischen Gründen, die hier unerörtert bleiben sollen, noch bereit gewesen, fast jeden Umfang einer europäischen und westdeutschen Entwicklungshilfe gutzuheißen, so ist auch hier eine ruhigere Haltung eingetreten. Vor allem sind die Prüfungen der einzelnen Entwicklungsprojekte strenger geworden; man verlangt mehr Einfluß auf die gesamte volkswirtschaftliche und institutioneile Planung in den Entwicklungsländern, und Regierungsgelder werden mehr und mehr nur noch als Initialzündung für nachziehende private Investi-tionen verstanden. Diese Ernüchterung auf beiden Seiten, die naturgemäß sowohl von den Ökonomen als auch von den Politikern begrüßt wird, ist zweifellos eine gute Voraussetzung für eine künftige Koordination der westlichen Entwicklungshilfe, die aber zum Teil noch mit vorgeformten Beziehungen aus der Kolonialzeit belastet ist. Jedenfalls treten für Großbritannien und Frankreich bei einer künftigen Koordination der westlichen Entwicklungshilfe zusätzliche Probleme auf, die sich noch immer aus laufenden Beziehungen und Verpflichtungen zu den Kolonialgebieten und assoziierten Regionen ergeben Eine koordinierte westliche Entwicklungshilfe stellt ein Korrelat dar zu den ökonomischen Integrationsbemühungen innerhalb Europas und innerhalb der freilich nur erst in schwachen Konturen konzipierten atlantischen Wirtschaftsgemeinschaft. Sie ist ebenso notwendig, um weltwirtschaftliche Doppel-und Fehlinvestitionen zu vermeiden, wie sie eine Bewährungsprobe der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit der älteren Industriestaaten darstellt. Die Bedeutung der technischen Hilfe und Beratung ist in Amerika früh, in Europa hingegen vergleichsweise spät erkannt worden. Die volkswirtschaftliche Produktivität nahezu aller Investitionen hängt entscheidend von der richtigen Anlage der Entwicklungskredite und einer sinnvollen Installierung maschineller Anlagen ab. Wegen des weit verbreiteten Analphabetentums und des allgemein niedrigen Standes im technischen Wissen in nahezu allen Entwicklungsregionen kann ein einziger geschulter Berater nicht nur volkswirtschaftliche Fehlinvestitionen verhindern helfen, er kann darüber hinaus auch die vorsichtig kalkulierte Effizienz einer Neuinvestition steigern helfen. In der Bundesrepublik werden inzwischen auch Berater und Helfer für Entwicklungsländer ausgebildet; die Zahl der hochqualifizierten deutschen Techniker in den Entwicklungsländern ist jedoch noch verhältnismäßig gering. Die in Berlin tätige Deutsche Stiftung für Entwicklungshilfe sorgt unter anderem dafür, führenden Vertretern der Entwicklungsländer in Seminaren und Kursen Einblicke in alle Fragen zu vermitteln, die mit der Einführung eines neuen Wirtschafts-und Gesellschaftssystems verbunden sind

So wichtig aus ökonomischen Gründen die technische Hilfe auch sein mag, sie ist vor allem von kultursoziologischer und kulturmorphologischer Seite nicht unwidersprochen geblieben Die hohe Bedeutung der technischen Hilfe darf in der Tat nicht den Eindruck entstehen lassen, als sei wirtschaftliche Entwicklung ein jederzeit gleichsam mechanisch und unabhängig von allen übrigen sozialen, kulturellen, ethnischen oder historischen Bedingungen vollziehbarer Prozeß, wie es eine oberflächliche Betrachtung der volkswirtschaftlichen Kreislauf-und makroökonomischen Entwicklungstheorie erscheinen läßt. Zu den künftigen Aufgaben der technischen Beratung und der kulturellen Hilfe gehört es vornehmlich, gerade die Besonderheiten in den sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen einzelner Länder herauszuarbeiten und historische wie kulturelle Sondererscheinungen in einzelnen Ländern für eine positive Entwicklungspolitik nutzbar zu machen. Gerade der Westen darf sich durch seine immaterielle Hilfe (die Kosten der technischen Beratung und kulturellen Hilfe sind gering im Vergleich zu den für Investitionszwecke gewährten Krediten) nicht in einen Gegensatz stellen zu seinem vornehmsten politischen Grundsatz, nämlich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Ubersee nicht nach einem einheitlichen Schema gestalten zu wollen, was, geschähe es, ohnehin nach mehr oder weniger langer Zeit unkontrollierbare Sonderentwicklungen hervorrufen würde Nicht nur dem politischen Kommunismus unserer Jahre, sondern überhaupt jedweder nivellierenden Gesellschaftspolitik sollte ein Riegel vorgeschoben bleiben. Die Übertragung des amerikanischen Lebensstils bedeutet ebenso eine wirkliche nachhaltige Entwicklungshilfe wie die Betrachtung der Entwicklungsländer als Experimentierfelder für mathematische, makroökonomische, nationalökonomische Entwicklungsmodelle. Das schließt natürlich nicht aus, daß die Entwicklungsländer gewisse Vor- aussetzungen für eine gelingende wirtschaftliche Entwicklung anerkennen (produktive Arbeit, Kapitalakkumulation, Reinvestierung von Gewinnen, Konsumverzicht und volkswirtschaftlicher Sparprozeß, Produktivitätssteigerung usw.), ohne deren Berücksichtigung langfristig wirtschaftliches Wachstum nicht möglich ist. Ebenso müssen die Entwicklungsländer anerkennen, daß bestimmte ökonometrische Entwicklungsmodelle weit besser geeignet sind, eine Grundlage für ihre Entwicklungsplanung zu bilden, als ihre eigenen oft diffusen, widersprüchlichen, übersteigerten oder emotionell gefärbten Entwicklungspläne. Die mehr und mehr üblich werdende Programmierung wirtschaftlicher Entwicklungsziele auf wissenschaftlicher Basis sollte aber gleichzeitig die Einsicht erhöhen, daß immer nur ein Ausschnitt der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung vorhergesehen werden kann und daß das Ziel jeder freiheitlichen Entwicklungshilfe nur darin liegen kann, den Empfängerländern gewisse Chancen zu bieten, die sie dann entsprechend ihren verschiedenen Veranlagungen und Voraussetzungen sinnvoll nutzen sollten. Die Kritik an der westlichen Entwicklungshilfe, sofern diese tatsächlich eine einseitige und schematische zivilisatorische Ausbreitung eines „american way of life" beabsichtigt oder unbeabsichtigt betreibt, muß jedenfalls sehr ernst genommen werden, auch und gerade, wenn sie nicht von fachökonomischer Seite vorgetragen wird

Die Entwicklungshilfe des Ostblockes

Tabelle II 1. DIE AUSLANDSHILFE DES OSTBLOCKES

Nach H. Bräker, a a O.

Betrachtet man die Entwicklungshilfe des Ostblockes also vor allem die der Sowjetunion (einige kleinere Kapitalexporte sowohl der osteuropäischen Volksdemokratien als auch Rotchinas lassen wir bewußt aus unseren Betrachtungen heraus), so muß man, auch wenn man keine unmittelbaren Vergleiche mit der westlichen Auslandshilfe anstellen möchte, folgende Besonderheiten von vorneherein beachten: 1. Die östliche Entwicklungshilfe stellt weitgehend sachlich etwas anderes dar als die finanziellen Hilfen der westlichen Welt. 2. Im Zusammenhänge mit Punkt 1 gilt, daß monetäre Vorstellungen im Rahmen östlicher Hilfsprogramme keinen Vorzug genießen. 3. Die beratende und die unsichtbare kulturelle wie propagandistische Hilfe ist unwägbar, ihr Einfluß war aber, mindestens bis in das letzte Jahr der Regierungszeit Chruschtschows, sehr hoch. 4. Die statistischen Angaben müssen trotz der gegenüber der Stalin-Zeit insgesamt publikationsfreudigeren offiziellen Stellen noch immer mit Vorsicht verwandt werden.

Sowohl innerhalb des Ostblockes als auch zwischen diesem und dem Kranz der Entwicklungsländer spielen seit jeher bilaterale Außenhandelsbeziehungen auf der Basis des kompensatorischen Güteraustausches eine besondere Rolle Die sowjetische und östliche Vorliebe für Handelsabkommen entspringt einmal sachlichen Erwägungen, die eine Zuordnung der Außenwirtschaftsbeziehungen des Ostblockes zu den Belangen der binnenwirtschaftlichen zentralen Wirtschaftsplanung sinnvoll und erstrebenswert erscheinen lassen. Daneben spielt die marxistische ökonomische Philosophie eine bedeutungsvolle Rolle, die im Gelde eine vornehmlich kapitalistische Erscheinungsform sieht, die beim Übergang zum Sozialismus und Kommunismus absterben und keine Rolle mehr spielen wird. Eine Beteiligung am internationalen monetären Kapitalverkehr widerspricht zutiefst den marxistischen monetären Vorstellungen, die im Netzwerk des internationalen Kapitaltransfers in erster Linie den Versuch der profitgierigen Bourgeoisie sieht, ihre Herrschaft über den ganzen Erdball auszudehnen, wie es bereits bildhaft im kommunistischen Manifest von 1848 beschrieben wird. Bilaterale Abkommen, bei denen sowohl die gestundeten Leistungen als auch die Rückzahlungen von vornherein naturalwirtschaftlich festgelegt werden, fügen sich besser in ein zentralplanwirtschaftliches System ein als multilateral monetäre internationale Beziehungen, die nicht nur ein gewisses Vertrauen in die Funktionsfähigkeit internationaler Mechanismen nach anerkannten Spielregeln erfordern, sondern die darüber hinaus insofern ungewiß sind, als niemals von vorneherein feststeht, wer der Lieferant eines multilateral verwertbaren Kredites sein wird. Die Überschaubarkeit ihrer Außenwirtschaftsbeziehungen stellt der Ostblock vor alle anderen Überlegungen, die der Förderung seiner Auslandshilfe dienlich sein können. Dieses dürfte der wichtigste Grund für die Tatsache sein, daß die monetäre Auslandshilfe des Ostblockes stets vergleichsweise klein blieb und recht eigentlich mit der des Westens kaum verglichen werden kann. Da die östlichen Machthaber jedoch, entgegen ihren stillschweigenden ideologischen Absichten, die Entwicklungsländer vornehmlich durch die alten Industrieländer sich wirtschaftlich entwickeln zu lassen, dennoch aus propagandistischen Gründen mit dem Westen konkurrieren wollen, rechnen sie zu den von ihnen gewährten Entwicklungshilfen auch vielfach zwischenstaatliche Vereinbarungen hinzu, die man im Westen als reguläre internationale Handelsverträge ansieht und die in westlicher Sicht keine Entwicklungshilfe darstellen, weil ihnen das Moment des monetären Kredites fehlt. Derartige Verträge gehören in die Handels-und Dienstleistungsbilanz einer Volkswirtschaft; sie lösen keine entsprechende Gegenbuchung in der Bilanz der Kapitalexporte oder -importe einer Volkswirtschaft aus.

Wenn auch inzwischen gegenüber den Verhältnissen in der Stalin-Ära die Publikationsfreudigkeit der östlichen Statistiken erheblich gewachsen ist, so dürfen sie doch keineswegs als generell zuverlässig gelten. Auch werden propagandistisch einzelne Entwicklungsvorhaben durch häufiges Erwähnen in der Presse und in offiziellen Verlautbarungen gelegentlich immer noch überhöht dargestellt. Das rechtfertigt die allgemeine Skepsis, die östlichen Statistiken auch heute noch vielfach entgegengebracht wird. Die propagandistische Begleitmusik war vor allem in den ersten Jahren der östlichen Hilfe für Entwicklungsländer besonders laut. Später, als die Regierungen dieser jungen Staaten anfingen, Vergleiche zu ziehen, wurden die Sowjets und die übrigen Ostblockländer gezwungen, konkrete

Angaben über ihre Entwicklungshilfe zu veröffentlichen. Dabei tauchten dann auch besondere statistische und methodische Schwierigkeiten des Vergleiches zwischen der östlichen und der westlichen Entwicklungshilfe auf, die in der Hauptsache durch fehlende multilaterale Verrechnungskurse, durch eine nur de facto-

Anlehnung des Rubels an den internationalen Goldpreis sowie durch äußerst schwierige Preisvergleiche der ausgetauschten Güter hervorgerufen wurden. Die sowjetische Entwicklungshilfe schlägt sich nicht in der Kapitalverkehrsbilanz nieder oder tut es nur zum Teil.

Damit gibt es auch kein eigentliches Retransferproblem, sondern nur von vorneherein ausgehandelte naturale Rückzahlungen innerhalb der Handelsbilanz. Auf diese Weise fehlen natürlich auch die typischen Störungen, die ein unzeitgemäßer und unkontrollierter Retransfer auf die binnenwirtschaftliche Entwicklung eines Landes nehmen kann, eine Lage, die auch durch das amerikanische Pacht-

und Leihgesetz aus dem Zweiten Weltkriege vermieden werden sollte. (So etwa soll der Indien gewährte Kredit für den Aufbau eines Stahlwerkes in Bhilai in Stahlprodukten zurückgezahlt werden.) Man schätzt, daß die monetären Rückzahlungen aus gewährten Entwicklungskrediten bisher die Summe von jährlich 250 Millionen Rubel nicht überschritten — eine vergleichsweise recht geringe Summe. Da aber selbst naturale Kompensationsabkommen gelegentlich jährliche Fehlbeträge hinterlassen, mußten mehrfach neue Lieferfristen und neue naturale Rückzahlungsbedingungen selbst in einer solchen Situation ausgehandelt werden, ohne daß monetäre Kredite eingesetzt, worden wären. Die gegenseitige Verrechnung auf Warenkonten stellt nach wie vor die wichtigste Technik der sowjetischen und der östlichen Außenwirtschaftsbeziehungen dar, worin wiederum die Idee von einer geldlosen Zukunftsgesellschaft zum Ausdruck kommt. Freilich sollte man keinesfalls übersehen, daß die Verrechnungstechnik der östlichen Länder inzwischen einen hohen Stand erreicht hat

Die Sowjetunion legt immer wieder großen Wert auf die Feststellung, daß ihre Kapital-exporte etwas gänzlich anderes darstellten als westliche Anleihen oder Geschenke. Nicht nur könne sie „günstige" Verträge zum Vorteil aller Beteiligten (hier wird ein klassisches Argument der liberalen englischen Freihan-deislehre vorgeschoben) anbieten, die sowjetische Hilfe sei entgegen der der westlichen Welt auch nicht Ausdruck expansiver imperialistischer Bestrebungen und einer infolge der Herrschaft des Monopolkapitals bei einer eigenen verarmten Bevölkerung nicht mehr absetzbaren Überproduktion, sondern sie sei vornehmlich Ausdruck der Souveränität der politischen Selbständigkeit der Entwicklungsländer. Diese und ähnliche Formeln sind naturgemäß besonders geeignet, die Regierungen in den Entwicklungsländern für die sowjetische Hilfe einzunehmen. Die Sowjets betonen auch heute noch in ihrer Entwicklungshilfe-propaganda, obwohl sich diese — insgesamt gesehen — abgeschwächt haben mag, daß man keine Wucherzinsen nehme und daß man auch nicht darauf aus sei, die Entwicklungsländer möglicherweise für eine ganze Generation durch Rückzahlungsklauseln finanziell zu verpflichten. Tatsächlich liegen die Zinsen für östliche Kredite insgesamt niedriger als die für westliche Gelder, nämlich bei etwa 2— 3 Prozent. Rotchina erhielt sogar einmal einen Kredit für einen Zins von nur 1 Prozent — ein in der Geschichte des internationalen Transfers einmaliger Fall. Die psychologische Wirkung dieser ideologischen Ummäntelung der sowjetischen Entwicklungshilfe war besonders in den ersten Jahren nach 1955, dem Beginn der östlichen Wirtschaftsoffensive in den Entwicklungsregionen, die durch Chruschtschows und Bulganins Reisen wirkungsvoll eingeleitet worden war, erheblich. Inzwischen mag sie an Zugkraft abgenommen haben, da sich die Beziehungen der Entwicklungsländer zum Westen wie zum Osten unter dem Druck weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Tatsachen zusehends rationalisierten. Jedoch durchschauen viele Entwicklungsländer die Propagandatricks der Sowjets noch nicht, so daß die Sowjets lange Zeit auch vor den Augen der Weltöffentlichkeit einen unbestimmten Eindruck erzeugen konnte, als trügen sie allein z. B. die Finanzierungskosten des Assuan-Dammes

(Die tatsächlich von den Sowjets vorgelegten Pläne zum Bau des Dammes stellten aber bereits eine bescheidenere Kompromißlösung dar.)

Von Anfang an haben die Sowjets großen Wert darauf gelegt, ihre Entwicklungshilfe psychologisch gesteuert und räumlich wie sachlich massiert einzusetzen Sie haben damit beachtliche Erfolge erzielt in den von ihr belieferten Ländern. Als sie sich nach der Konferenz von Bandung entschlossen, den Entwicklungsvölkern materiell zu helfen, geschah dies in der Absicht, den neutralen Block politisch zu stützen und ihm auch in der UN mehr Gehör als bisher zu verschaffen. Eine ideologische Schwierigkeit entstand dabei insofern, als die Sowjets es innerhalb ihrer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen immer wieder abgelehnt hatten, Entwicklungskredite zu befürworten, die nicht ausschließlich für den Aufbau der Schwerindustrie bestimmt waren. Man überbrückte diese Situation, indem man die Entwicklungsländer über die Entwicklungshilfe praktisch an den sowjetrussischen ökonomischen Befehlsapparat anschloß, theoretisch-ideologisch aber weiterhin von der Freiheit der Entwicklungsländer sprach. Diese instabile Situation wird die Sowjetunion in den folgenden Jahren möglichst aufrecht zu erhalten versuchen, obgleich sie gewiß dazu beitrug, Chruschtschow in einen Gegensatz zu den offiziellen — und wie man sieht auch mächtigen — Parteiideologen im eigenen Lande zu stellen. Das Beispiel Jugoslawien, das zunächst sowjetische Hilfe erhalten hatte, die dann aber unvermittelt eingestellt wurde, als sich Tito der sowjetrussischen Vorherrschaft nicht mehr beugen wollte, und das Beispiel des Verhältnisses zu China zeigen deutlich, daß in entscheidenden Augenblicken die Sowjets bereit sind, gewährte Zusagen und selbst langjährige Entwicklungshilfen schnell zurückzuziehen. Dabei hat sich die Entsendung von Technikern und Beratern als ein besonders flexibles Instrument der östlichen Entwicklungshilfepolitik erwiesen

Neben den meist auf 25 Jahre gewährten Entwicklungskrediten in monetärer Form (siehe Tabellen auf S. 26 f.) wird technische Hilfe vor allem in folgenden Formen gewährt

1. Allgemeine Ausbildung von Technikern und Ingenieuren in der UdSSR. 2. Projektgebundene Ausbildung von Arbeitern sowie technischen und wirtschaftlichen Führungskräften im Entwicklungsland.

3. Projektgebundene Ausbildung wie unter 2., aber in der Sowjetunion. 4. Ausbildung von Studenten an den Hochschulen der UdSSR sowie an anderen Hochschulen des Ostblockes (Universität der Völkerfreundschaft). 5. Projektgebundene Ausbildung von Technikern und Ingenieuren in der UdSSR.

Unter projektgebundenen technischen Beratungen und Hilfen sind u. a. zu verstehen die Ausbildung von Facharbeitern und technischen Spezialisten. So wurden allein für das in Indien errichtete Stahlwerk Bhilai fast 5 000 Arbeiter in mehrmonatigen Kursen auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Außerdem erhielten 300 Facharbeiter eine Spezialausbildung. Uber 20 000 Monteure sollen die Sowjets inzwischen in Indien im Zusammenhänge mit der Errichtung des technischen Institutes Bhilai ausgebildet haben. Hunderte von indischen Ingenieuren wurden in russischen Stahlwerken ausgebildet. Ähnlich intensiv war die Schulung von Spezialisten durch die Sowjets in Afghanistan. Die Entsendung sowjetrussischer Experten nach Kuba hat sich durch die Kuba-Krise vorn Herbst 1962 der Weltöffentlichkeit besonders eingeprägt. Meist wird die Form der Gründung eines technologischen Institutes gewählt, um sowjetisches technisches Wissen in den Entwicklungsländern zu verbreiten. Daneben läuft meist, je nach den wechselnden außen-politischen Absichten der Sowjets, eine intensive ideologische Schulungsarbeit, die durch Schulen, Informationszentren und auch durch versteckte Propagandaeinrichtungen betrieben wird, über 40 Studienzentralen unterhält die UdSSR allein im Nahen und Mittleren Osten. In Äthiopien z. B. finanzierten die Sowjets den Aufbau einer technischen Hochschule. Die Universitäten Kairo und Damaskus erhielten sowjetische Unterstützungen usw. Sowjetische Agentenfirmen, als Vertriebsgesellschaften aufgebaut und deklariert, leisten oft eine erhebliche Propagandaarbeit, oftmals vermischt auch mit Aufgaben der Marktforschung. Eine besondere Rolle spielen auch die Reparaturwerkstätten, die sich in sowjetischer Hand befinden und über die die Sowjets verständlicherweise infolge der allgemeinen Abhängigkeit der Entwicklungsländer von der Technik und den technischen Aggregaten der Lieferländer eine besonders enge Abhängigkeit herzustellen vermögen

In den außenwirtschaftlichen Beziehungen hat die technische Hilfe neben der monetären zwischen der UdSSR und China eine besonders große Rolle gespielt 47a). Innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe hat das kommunistische China vor allem in den ersten Jahren des Bestandes des östlichen Integrationssystems stets nur eine Beobachterrolle gespielt. In die Anfänge der Regierungszeit Chruschtschows fällt die Absicht der Sowjets, China wirtschaftlich besonders zu fördern.

Schon damals, 1955, wurde deutlich, daß man China einen eigenständigen Industrialisierungsprozeß zugestehen mußte. Der sowjetisch-chinesische Handel intensivierte sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zusehends, bis er 1959 die 2-Milliarden-Rubel-

Grenze überstieg. China erhielt materielle und umfangreiche technische Hilfe, die allerdings ohne jede ideologische Begleiterscheinungen geliefert werden mußte, denn in Maos Reich vertrat man einen eigenen ideologischen Standpunkt, der bei der allgemeinen wirtschaftlichen Unterentwicklung des Landes verständlicherweise revolutionärer, klassenkämpferischer, radikaler und ursprünglich leninistischer war als in der Sowjetunion, da China ja gerade erst in jene Phase seiner ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung hinein-wuchs, die etwa der Rußlands zu Beginn der Oktoberrevolution entsprach. Besonders nach einem im Jahre 1958 geschlossenen Rahmenvertrag intensivierten sich die sowjetisch-chinesischen Beziehungen zusehends. 1956 stellte sich für die Sowjetunion der Umschlag von der aktiven zur passiven Außenhandelsbilanz mit China ein. Die ungeprüfte, allgemeine Annahme, daß China der Schuldner der Sowjetunion sei, gilt also nur bis zu diesem Zeitpunkt. Allein 1959 erzielten die Chinesen einen Exportüberschuß gegenüber der UdSSR von etwa einer halben Milliarde Rubel. Er wurde dazu verwandt, frühere Verpflichtungen aus der Entwicklungshilfe der UdSSR gegenüber China zurückzuzahlen. Denn ebenso wenig wie gegenüber anderen Ostblockstaaten hatte sich die Sowjetunion gegenüber China entschließen können, Geschenke oder „ewige" Kredite zu gewähren. Uber die Höhe der Ent-wicklungshilfe der UdSSR an China gibt es widersprechende Auffassungen. Im allgemeinen werden rund 10 Milliarden Rubel angenommen. Unter diesen Umständen müßte China noch viele Jahre Rückzahlungen an die UdSSR leisten. Auffälligerweise kündigte sich der ideologische sowjetisch-chinesische Konflikt zuerst durch eine Rücknahme der sowjetischen Techniker in China an. Nachdem es nicht gelungen war, den chinesischen Wirtschaftsaufbau mit den wirtschaftlichen Integrationsabsichten des übrigen Ostblockes zu koordinieren, und China offensichtlich beabsichtigte, innerhalb des kommunistischen Lagers eine eigenständige Rolle zu spielen, waren die Sowjets nicht mehr bereit, über eine ausgedehnte technische Hilfe (genannt wurde stets eine Zahl von 5 000 sowjetischen Ingenieuren und Fachleuten in China) das chinesische Riesenreich wirtschaftlich zu unterstützen; die sowjetischen Experten wurden zurückgerufen. So wurde deutlich, daß die Sowjets, ebenso wie im Falle Jugoslawien, nicht geneigt waren, ideologische Meinungsverschiedenheiten auch materiell zu unterstützen. Im Gegenteil, ihre Entwicklungshilfe betrachteten sie als ein Instrument ihrer Außenpolitik und ihres Druckes auf andere kommunistische Staaten. Die Floskel von den Gegenseitigkeitsverträgen zum beiderseitigen Vorteil erwies sich in dem Augenblick vollends als Phrase, als Unterschiede in den Meinungen darüber auftauchten, was als Vorteil anzusehen sei. China selbst hat entsprechend leninistischen Forderungen, daß man im Zeitalter des revolutionären Überganges gelegentlich auch die Hilfsquellen der Kapitalisten anzapfen könne, inzwischen erhebliche Getreidelieferungen aus der westlichen Welt auf Kredit-basis bezogen. Das Land, das selbst begrenzt Kredite an Nordkorea, Nordvietnam und die Mongolei gegeben hat, mußte nicht zuletzt infolge seiner Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion sowie infolge des Fortfalls der sowjetischen Entwicklungshilfe seine wirtschaftlichen Entwicklungspläne seit dem Beginn der sechziger Jahre mehrfach umstellen. Der „große Sprung nach vorn" mit Kleinsthochöfen, Volkskommunen und industriellem Schwerpunktprogramm mußte abgeblasen werden, nicht zuletzt, weil sich die sowjetische Hilfe als weniger leicht entbehrlich herausstellte, als man auf chinesischer Seite zunächst angenommen hatte. Chinas Bereitschaft, im kapitalistischen Westen begrenzt Kredite aufzunehmen, dürfte sich in den vergangenen Jahren verstärkt haben. Die Kontaktsuche der Chinesen mit großen Firmen in Westeuropa gerade in den letzten beiden Jahren hat diese Vermutung bereits als richtig erwiesen.

Vergleiche zwischen der westlichen und der östlichen Entwicklungshilfe

2. Die Entwicklungshilfe des Ostblockes 1953 bis 1960

Nach K. Billerbeck. Zahlen aufgerundet.

Vor einigen Jahren noch waren quantitative Vergleiche zwischen der westlichen und der östlichen Entwicklungshilfe sehr beliebt Die schnell anwachsenden Beträge der westlichen Hilfeleistungen forderten derartige Vergleiche auch geradezu heraus. Hinzukam, daß trotz aller Anstrengungen die östliche Entwicklungshilfe zu keinem Zeitpunkt der vergangenen Jahre jemals mehr als 10 Prozent der westlichen Hilfe betrug. Die folgenden Statistiken geben über die quantitative Entwicklung der Auslandshilfe der wichtigsten Gläubigernationen Aufschluß. Bei der Betrachtung der Über-sichten sollte man nicht die vielen bereits angeführten Voraussetzungen, Bedingungen und Unterschiede vergessen, unter denen Vergleiche zwischen der westlichen und der östlichen Hilfe allein sinnvoll sind. Ihrer Struk-tur, ihren Zielen und ihrer technischen Abwicklung nach sind weite Bereiche der beiderseitigen Entwicklungshilfe an sich unvergleichbar. Vergleiche können immer nur gezogen werden im Hinblick auf einen bestimmten Vergleichszweck, wobei die Quantitäten immer nur einen Gegenstand des Vergleiches bilden. Diese Einstellung hat sich in der westlichen Welt nur langsam durchgesetzt. Manche Kritiker der westlichen Entwicklungshilfe gehen in ihrer Kritik aber insofern zu weit, als sie andere Faktoren, wie etwa die volkswirtschaftliche Produktivität der Entwicklungsgelder, die Staffelung ihres zeitlichen Einsatzes, die jeweiligen Kreditbedingungen oder die räumliche Massierung der östlichen Entwicklungshilfe überschätzen. Als sicher darf immerhin gelten, daß der westlichen Welt auf dem Grund ihres allgemeinen Wohlstands-sockels sowie ihres fortgeschrittenen Standes im technischen Wissen und ihrer allgemeinen Industrialisierung die bisherige Entwicklungs-hilfe allgemein leichter fiel als den Ländern des Ostblockes. Mit anderen Worten: die „sozialen Kosten" der Entwicklungshilfe oder der Verzicht auf anderweitige, im eigenen Lande verzehrbare Leistungen waren für die westliche Welt generell geringer als für die östliche, die ja nicht erst durch die Parolen Chruschtschows eine forcierte Industrialisierung mit dem Ziel, den Westen wirtschaftlich entweder im durchschnittlichen je-Kopf-Verbrauch oder in der absoluten Produktion wichtiger Grund-und Rohstoffe einzuholen, gleichzeitig neben ihrer Entwicklungshilfe betreibt, wobei sie auf einem insgesamt niedrigeren Stand der allgemeinen Industrialisierung und wirtschaftlichen Entwicklung steht Nach den vorstehenden Angaben betrug der Anteil der militärischen Hilfe an der gesamten amerikanischen Auslandshilfe knapp ein Drittel, innerhalb der östlichen Hilfe hingegen nur etwa 22 0/0. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die militärischen Aufwendungen der UdSSR in Kuba unberücksichtigt blieben, so daß mit einem höheren Prozentsatz gerechnet werden muß. Tabelle III zeigt die unterschiedlichen räumlichen Schwerpunkte der westlichen und der östlichen Hilfe. Bevorzugte Empfängerländer östlicher Hilfe sind Afghanistan, Kuba, Indien, Indonesien und Ägypten (VAR). Amerikanische Hilfe erhielten demgegenüber vor allem Brasilien, Indien, Pakistan, die Türkei und Ägypten, das es besonders gut verstand, beide Seiten für sich zu gewinnen; auf Weltbankkredite mußte die VAR freilich bisher verzichten.

Die vorstehenden Tabellen enthalten für die westliche Welt nur die amerikanischen Hilfsgelder. Hinzugezählt werden müssen noch die Entwicklungshilfe der anderen Industriestaaten, also besonders die Großbritanniens und Frankreichs, ferner die der Bundesrepublik, die seit 1955 konsequent in die Reihe der großen Gläubigernationen aufgerückt ist, nachdem sich ihre in den ersten Nachkriegsjahren chronisch passive Zahlungsbilanz seit Mitte der fünfziger Jahre in eine Außenbilanz mit jährlichen hohen Devisenüberschüssen verwandelt hat.

Ebenso wie über die Höhe der amerikanischen und der östlichen Entwicklungshilfe gibt es auch unterschiedliche Auffassungen über die Höhe der bisherigen westdeutschen Leistungen an Entwicklungsländer. Entscheidend ist wiederum die Definition des Begriffes Entwicklungshilfe sowie die statistische Praxis. Für die folgenden Angaben gilt ebenso wie die vorausgegangenen, daß die Werte für die westliche Entwicklungshilfe eher zu niedrig und die für die östliche Hilfe eher zu hoch angesetzt wurden. Bis Mitte 1964 hat die Bundesrepublik Deutschland den Entwicklungsländern etwa 23 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, wovon an internationale Institutionen etwa 4, 3 Milliarden DM gezahlt wurden. Unterschiedliche Angaben in einzelnen Statistiken zum bisherigen Umtang der westdeutschen Entwicklungshilfe erklären sich vornehmlich durch Differenzen zwischen sogenannten Rahmenzusagen und den tatsächlich abgeschlossenen Kreditverträgen sowie durch eine unterschiedliche statistische Behandlung staatlicher Gewährleistungszusagen

Rechnet man zu den verhältnismäßig genau erfaßbaren Angaben über die westdeutsche Entwicklungshilfe noch diejenige der Weltbank und der übrigen internationalen Finanzierungsinstitute hinzu (IFC und IDA), die sich auf mindestens 9 Milliarden Dollar beläuft, so erhält man zusammen mit der amerikanischen Entwicklungshilfe einen Gesamtbetrag von rund 118 Milliarden Dollar, der auch allgemein in der internationalen Presse angegeben wird. Hinzu kommen noch die Entwicklungshilfen von Großbritannien und Frankreich, die für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit einigen kleineren Positionen anderer westeuropäischer Staaten auf ungefähr 26 Milliarden Dollar geschätzt wird, ein Betrag, der aber möglicherweise zu hoch ist, zumal verschiedene Kapitalexporte in die selbständig werdenden Kolonialgebiete nach 1945 nicht als Entwicklungshilfe im heute verstandenen Sinne aufzufassen sind. Dennoch wird man selbst bei vorsichtiger Schätzung mit bisher mindestens 140 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe der westlichen Welt rechnen dürfen, denen selbst bei großzügiger Schätzung nur rund 6, 5 Milliarden Dollar des Ostblockes gegenüberstehen. Die Entwicklungshilfe des Ostblockes betrug mithin in der gesamten Nachkriegszeit selbst bei Berücksichtigung aller Vorbehalte, die im vorangegangenen Text genannt wurden, bestenfalls knapp 5 Prozent derjenigen der westlichen Welt.

Hatte man sich bis zum Ausgang der fünfziger Jahre im Westen unter Hinweis auf die materielle und quantitative Überlegenheit der westlichen Hilfe gegenüber dem langsamen, aber stetigen Anwachsen der östlichen Hilfe beruhigt, so setzte anschließend eine Periode ein, die durch eine permanente Überschätzung der Zugkraft der östlichen Entwicklungshilfe gekennzeichnet war. Ehe es zur Reorganisation der amerikanischen Hille unter der Kennedy-Administration kam, konnten die Sowjets zweifellos manche Erfolge ihrer Entwicklungshilfe buchen, die vor allem auf den ausgewählten und massierten Einsatz ihrer kreditierten Leistungen im Zusammenhang mit propagandistisch wirksamen Parolen zurückgeführt werden müssen. Gerade für chauvinistische Regierungen in den Entwicklungsregionen wurden offensichtliche qualitative Unterschiede der östlichen Hilfe im Verhältnis zur westlichen auf diese Weise übermalt. Die sowjetische Propaganda hat die eigenen Hilfsleistungen stets überhöht der Weltöffentlichkeit vorgeführt. Die enge Verbindung zwischen Hilfe und unmittelbarer ideologischer Beeinflussung hat vor den Augen der Welt die östliche Hilfe zeitweise als eine weltpolitische Gefahr erscheinen lassen, die sie bei nüchterner Betrachtung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht darstellt. Natürlich gibt es auch eine ideologische Beeinflussung der Empfänger westlicher Hilfeleistungen; sie wird aber, von Ausnahmeerscheinungen der Ära Dulles abgesehen, nicht unmittelbar angeboten, sondern sie liegt, nur für wenige erkennbar und auch nur langfristig wirksam, in der Verbindung zwischen Entwicklungshilfe und bestimmten westlichen Denk-und Vorstellungsgewohnheiten, die bei näherer Prüfung nicht zum Schema und zur Praxis einer rationalen Auslandshilfepolitik passen. Dieser ideologische Einfluß des Westens auf die Empfänger von Entwicklungshilfen bleibt jedoch weitgehend unvergleichbar mit der direkten propagandistisch geförderten ideologischen Beeinflussung durch die östlichen Geldgeber, obwohl viele Intellektuelle in manchen Entwicklungsregionen neben der westlichen Hilfe auch durchaus westliche Ideologien importieren möchten.

Es liegt in der Struktur der in einem sozialen Umbruch lebenden Entwicklungsländer, daß sie lauten Propagandaversprechungen durch geschulte Ideologen mehr Gehör entgegenbringen als einer eingespielten, rationalisierten wirtschaftlichen Apparatur, wie sie der Westen anzubieten hat. Gerade weil der Westen meist nicht mit Propagandathesen arbeitet, macht er sich den ohnehin stets mißtrauischen Entwicklungsvölkern verdächtig. Sie vermuten bei der westlichen Entwicklungshilfe meist noch einen nicht überschaubaren und nicht einsehbaren Trick, eine neue Form der Ausbeutung oder kolonialen Vorherr-schäft, eine Vorstellung, die ihnen von östlicher Seite noch ständig eingeredet wird. Die Tatsache etwa, daß der Osten weitgehend Handel mit den Entwicklungsländern treibt, wird meist von diesen lobend vermerkt. Der unmittelbare Güteraustausch erscheint ihnen korrekter und übersichtlicher als langfristige Kredite, hinter denen sie neue Formen der alten kolonialen Abhängigkeit vermuten. Wiederum ist es neben der technischen Produktivität und neben der wirtschaftlichen Rentabilität die soziale Effizienz, die bei der Beurteilung der westlichen wie der östlichen Hilfe mit herangezogen werden muß. Mindestens bis vor zwei oder drei Jahren, etwa bis zur Konferenz von Belgrad mit ihren für die Außen-und Entwicklungspolitik der jungen überseeischen Industrienationen ernüchternden Ergebnissen, war die soziale Effizienz der östlichen Hilfe bei gleichen Quantitäten und unter sonst gleichen Bedingungen meist größer als die der westlichen Hilfe. Der Abbau von Irrationalismen ebenso wie die Überführung charismatischer und revolutionärer Herrschaftsformen in rationale Regierungspraktiken und damit auch eine stärker als bis dahin betriebene rationale Behandlung der ökonomischen wie außenpolitischen Probleme und Zusammenhänge durch die Regierungen der Entwicklungsländer haben diese erhöhte soziale Effizienz der östlichen Hilfe inzwischen weitgehend abgebaut. Hinzu kommen nüchterne Erfahrungen mit der östlichen Hilfe. Einige Entwicklungsländer, z. B. Burma, wurden zeitweise zu Kreditgebern der Sowjetunion, als diese, wie handelsvertraglich vereinbart, burmesische Erzeugnisse abnahm, mit den eigenen Lieferungen aber im Verzüge blieb. Auch die früher von vielen Entwicklungsländern geschätzte Bilateralität (Zweiseitigkeit) der Hilfe-leistungen wird inzwischen nicht mehr überall nur als Vorteil gewertet. Man erkennt, daß multilaterale Leistungen ganz andere Möglichkeiten bieten, auf einem freien Weltmarkt einzukaufen und als gleichberechtigter Partner die Bedingungen des Geschäftes mit zu beeinflussen. Auch diese Entwicklung bedeutet einen Rückgang in der einst höheren sozialen Effizienz der östlichen gegenüber der westlichen Hilfe.

Schon infolge ihres planwirtschaftlichen Denkens lieben die östlichen Gläubigerländer einen massierten Einsatz ihrer Kredite und Leistungen. Die Folge ist oft eine schneller sichtbare und auch tatsächlich höhere Produktivität wenigstens auf dem jeweils bevorzugten Sektor. Aus propagandistischen Gründen verzichten dabei die östlichen Geldgeber gelegentlich auch auf eine wirtschaftliche Rentabilität, so daß auch technische Verfahren angewandt werden können, die ein privatwirtschaftlicher Einsatz von Entwicklungskrediten nicht zuläßt. Produktivität und Rentabilität spielen als ökonomische Begriffe in der östlichen Hilfe eine andere Rolle als in der westlichen. Der Hauptgrund ist, daß die politische neomarxistische Ökonomie die ideologische Beeinflussung ihrer Schuldner in alle ihre Überlegungen und Handlungen einbezieht, während sich der rechnerische „kapitalistische" Geist des Westens naturgemäß fast ausschließlich auf ökonomische Überlegungen beschränkt. Der Bezirk des Vergleichbaren erweist sich also bei näherer Betrachtung als verhältnismäßig klein. Schließlich entspringt die östliche Entwicklungshilfe einer ganz anderen Intention als die westliche. Während die westliche Welt sich auf verschiedene wirtschaftliche, politische, kulturelle, religiöse und auch philantropische Motive ihres Handelns berufen darf (auch und gerade wenn man die ideologischen Verkleidungen durchschaut), so nimmt die östliche Hilfe im außenpolitischen Konzept des Ostblockes einen festen Platz ein, der auch in Zukunft verhältnismäßig unbeweglich sein wird. Die sowjetischen Ideologen und Wirtschaftspolitiker betrachten die westliche Entwicklungshilfe entsprechend ihrer Vorstellung vom kapitalistischen Imperialismus im Zeitalter der Herrschaft des Monopolkapitals als eine Erscheinung, die für die westlichen Länder lebensnotwendig ist, während sie gleichzeitig über eine beschleunigte Industrialisierung dafür sorgt, daß die proletarisierten Entwicklungsregionen in den Strudel der Weltrevolution geraten. Es gibt taktische Unterschiede in der Behandlung der Entwicklungsländer durch die Sowjets (man denke etwa an die schnellen Zurücknahmen von Krediten an Jugoslawien, als dieses Land sich sowjetischen Wünschen nicht mehr beugen wollte), ihre Strategie ist jedoch überall gleich: durch einen schwerpunktartigen Einsatz der Entwicklungshilfe soll nach ökonomischen oder nach militärischen Überlegungen ein Industrialisierungsstil gefördert werden, der gleichzeitig dem traditionellen Aufbau einer Industriewirtschaft nach sowjetischem Vorbild mit bevorzugten Schwerpunkten in der Grundstoff-und Investitionsgüter-industrie dient und der zugleich dem sozialen Umbruch des Landes mit dem Ziele einer proletarischen Revolution dienlich ist. Gelegentliche Abweichungen von diesem Schema erklären sich durch militärstrategische Über-legungen (wie etwa im Falle Kuba) oder durch eine einseitige sozioökonomische Struktur eines Landes, die zunächst einen begrenzten Aufbau der Konsumgüterindustrien erzwingt, um eine arbeitsfähige Bevölkerung zu erhalten. Die westliche Hilfe zielt dem entgegen auf eine möglichst breite Förderung aller produktiven Kräfte eines Landes ab, wobei — wenigstens im Idealfalle — die vielfältigen Beziehungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, Gesellschaftsbildung und Regierungssystem beachtet werden. Vor allem aus Gründen einer mangelnden politischen Tradition und eines nur gering entwickelten demokratischen Interesses mit seinem notwendigen Verständnis für pluralistische Gesellschaftsformen findet das westliche Entwicklungssystem immer erst nach Überwindung gewisser Widerstände Anklang bei Regierungen und Bewohnern der Entwicklungsländer. Ganz gleich, ob die Skepsis, die tatsächliche oder nur geglaubte ungenügende politische Überzeugungskraft des westlichen Regierungs-und Gesellschaftssystems oder jede Art von emotionellen Aversionen gegen jedwede westliche Hilfe die Gründe für die volle oder teilweise Ablehnung der westlichen Hilfe sind, immer führen diese und andere Gründe zu einer Höherbewertung der östlichen Hilfe in den Augen der Entwicklungsländer, womit freilich die Plattform eines objektiven Vergleiches zwischen der westlichen und der östlichen Hilfe verlassen wird.

Entwicklungshilfe als Neoimperialismus? — Die jüngste Entwicklung

3. Die Auslandshilfe des Ostblockes 1954 bis 1962

Nach H. Bräker.

Ob die westliche Entwicklungshilfe nur eine Form des alten kolonialen Kapitalexportes als Begleiterscheinung eines absterbenden privatkapitalistischen Systems ist, bleibt eine Frage, die neuerdings viel diskutiert wird. Die marxistischen Wirtschaftstheoretiker (auch die im Westen lebenden) sehen in der westlichen Hilfe für Entwicklungsländer in der Tat nur eine Wiederbelebung alter imperialistischer Bestrebungen des Kapitalismus aus der Kolonialzeit und suchen dies wirtschaftstheoretisch mit den Werkzeugen der traditionellen marxistischen Ökonomie zu beweisen. Daß sie dabei nur zu gerne übersehen, daß unter den sozioökonomischen Bedingungen moderner Wohlfahrts-und Seku-ritätsgesellschaften die den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellten Mittel auch der Förderung des eigenen, heimischen Lebensstandards dienen können, sei hier nur am Rande vermerkt. Die gesamte marxistische Theorie des Imperialismus von Hilferding über Lenin bis zu ihrer heutigen Form hat sich als ungenügend erwiesen, die kapitalexportpolitischen Probleme der älteren Industriestaaten sinnvoll und erschöpfend darzustellen. Natürlich schließt das imperialismusähnliche Erscheinungen im Zuge der westlichen Entwicklungshilfe nicht aus, wie u. a. vor einigen Jahren der Krieg in Guatemala, dessen wirtschaftliche Position überwiegend durch amerikanisches Kapital in den Händen der United Fruit Company gestützt wird, bewies. Auf der anderen Seite stellt die sowjetische sowie die übrige östliche Entwicklungshilfe schon in ihrer Intention die möglicherweise massivste imperialistische Bedrohung der Welt dar, die man bisher beobachten konnte.

Die Frage lautet also nicht, wenn man überhaupt den Zusammenhang zwischen Entwicklungshilfe und Imperialismus prüfen will, ob ausschließlich der Westen frühere Formen des Kapitalexportes aus den Zeiten seiner kolonialen Herrschaft neubelebt, sondern sie muß lauten: wie stark sind die imperialistischen Züge innerhalb der Bestrebungen der Entwicklungshilfe im Westen und im Osten.

Historische Kräfte, zumal wenn sie ideologisch verkleidet auftreten, gegeneinander aufzurechnen, bleibt immer ein schwieriges Unterfangen. Mit aller Vorsicht wird man sagen dürfen, daß der imperialistische Anspruch des Ostens derzeit ungleich größer ist als der der vielen nebeneinander agierenden Regierungen des Westens, die zumal ohne geschlossene Ideologie die Entwicklungsländer gerade vom Vorteil der Vielfalt gesellschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten überzeugen möchten. Die Tragik vieler Entwicklungsländer liegt gegenwärtig noch immer darin, daß sie im Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus sich dem politischen System des Ostens ausliefern, das einen kaum verhüllten Anspruch auf Welteroberung stellt, wenn es auch aus taktischen Gründen nach bewährten Lenin’schen Spielregeln die Entwicklungsländer taktisch als neutralen Block behandelt und diesen in seinem Selbstverständnis zu stärken versucht.

Als Ganzes gesehen stellt die Entwicklungshilfe dieser Jahre zweifellos das bedeutsam-ste Ereignis auf den internationalen Kapitalmärkten dar, wobei vor allem hervorgehoben werden muß, daß es gerade die Vielgestalt der westlichen Hilfe ist, die es zu diesem Ereignis stempelt. Ob die Entwicklungshilfe den Auftakt bilden kann zu einer Neuordnung der Weltwirtschaft, die von der alten traditionellen Arbeitsteilung zwischen alten Industriestaaten und überseeischen Rohstoffüberschußgebieten dauerhaft fortführt, und ob und inwieweit sie ein neues Zeitalter der Partnerschaft einleiten wird, dürfte vornehmlich vom Verhalten der Entwicklungsländer selbst und weit weniger von dem der altindustriellen Gläubigernationen abhängen. Experten, unter ihnen Professor Baade vom Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, haben den möglichen Bedarf an Entwicklungshilfe für die kommenden Jahre auf 300 Milliarden Dollar geschätzt — eine respektable Summe, die etwa eine Verdoppelung der bisherigen westlichen Entwicklungshilfe verlangen würde. Bei weiter steigendem Sozialprodukt und unter annähernd friedlichen weltpolitischen Bedingungen dürfte diese Summe, so hoch sie auch auf Anhieb erscheinen mag, aufzubringen sein.

Eine völlig andere Frage hingegen bleibt es, ob die Entwicklungsländer durch das Tempo und die Eigenarten ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie durch ihre außenpolitischen Praktiken ihrem Kapitalimport und ihrer Entwicklungshilfe aus den älteren Industriestaaten nicht vorzeitig engere Grenzen ziehen. Für den Abbau emotionaler Motivationen im Verhalten der Entwicklungsländer gegenüber den Gläubigerländern in Europa und Nordamerika, die imponderabil und störend regelmäßige Kapitalbeziehungen beeinträchtigen werden, einen Zeitraum von zwanzig Jahren anzunehmen, ist gewiß nicht unrealistisch. In weiten Entwicklungsregionen wird dann erst die zweite Generation nach 1945 als gesellschaftspolitischer Bewußtseinskatalysator wirksam werden, wie sie auch als arbeitsfähige Bevölkerung die neue Gesellschaft zu repräsentieren beginnen wird. Gleichzeitig kann der Umbau der Weltwirtschaft mit dem vorläufigen Ziel einer neuen Arbeitsteilung „auf höherer Ebene" bis dahin so weit vollzogen sein, daß die Zahlungsbilanzen der Entwicklungsländer sich nachhaltig tendenziell zu aktivieren beginnen, weil ihr Ausfuhrangebot breiter und elastischer geworden sein wird, eben auch infolge einer erfolgreichen Industrialisierung. Die große Unbekannte in dieser Rechnung bleibt der gleichzeitig steigende Lebensbedarf in den Entwicklungsländern, der aufs neue die Außenhandelsbilanzen zu belasten beginnen wird. So sehr die Aufnahmefähigkeit für westliches und östliches Kapital gegenwärtig auch unbegrenzt erscheinen mag, so läßt sich das System der Entwicklungshilfe aus verschiedenen Weltwirtschaften und Nationalwirtschaften auch für sich integrierende Wirtschaftsräume nicht übermäßig strapazieren. Die internationale Liquidität, die politischen Kräfte in West und Ost, die regulierend in die Verteilung der weltwirtschaftlichen Wohlstandszuwächse immer wieder eingreifen, sowie die Bereitschaft der Entwicklungsländer, sich auch in Zukunft einer weltweiten Arbeitsteilung anzupassen, die auf Grund des permanenten technischen Fort-schrittes auch in Zukunft von den älteren Industrienationen geprägt werden wird, spielen dabei ausschlaggebende Rollen. Schon jetzt gibt es Anzeichen für die Berechtigung der Annahme, in Zukunft Zug um Zug neben die Entwicklungshilfe eine Ausweitung des internationalen Handels mit den Entwicklungsländern treten wird, die eine Bestätigung der früheren amerikanischen These " trade is better than aid" ist. Die Hoffnungen derjenigen, die in der Entwicklungshilfe einen Umbruch des gesamten weltwirtschaftlichen Systems herkömmlicher Spielart zugunsten einer weltweiten Hingabewirtschaft erblicken zu können glauben, dürften sich freilich kaum erfüllen. Realistischer dürfte es sein, in der Entwicklungshilfe dieser Jahre den Übergang zu einem neuen internationahen Netz von Kapitalbeziehungen zu erblik-ken, das in vielfacher Gestalt und mit vielen Verknüpfungen den Welthandel beleben und die Weltwirtschaft in eine neue Phase eines intensiven Güter-und Dienstleistungsaustausches hineinführen wird.

Welche Gestalt auch immer dieser Prozeß annehmen wird und unter welchen Bedingungen er sich auch abspielen mag, vom heutigen Standpunkt darf unter nüchterner Einschätzung der weltpolitischen Kräftekonstellation gesagt werden, daß der Westen seine Chancen, gerade durch eine differenzierte und überlegt eingesetzte Entwicklungshilfe, noch nicht im entferntesten genutzt, ja streckenweise nicht einmal erkannt hat. Je stärker dabei auch die sozialpsychischen Belange der Entwicklungsländer neben ihren ökonomischen und technischen Notwendigkeiten berücksichtigt werden, um so größer werden diese Chancen sein — vollends, wenn die ökonomische Ideologie und die Strategie der außenpolitischen Praxis des Ostblockes sich weiterhin nur langsam wandeln sollten. Unter der Oberfläche der äußeren Erscheinungen der westlichen wie der östlichen Entwicklungshilfe liegen andere, vornehmlich sozial-psychische Schichten, die untergründig die Entwicklungshilfe der Gegenwart kennzeichnen als einen Prozeß, der nicht nur mit politischen und auch nicht ausschließlich mit ökonomischen Kategorien gedacht werden kann

Fast scheint es, als spiele dabei die Kompensation sozialer Minderwertigkeitsvorstellungen eine erhebliche Rolle, wenn dies auch unterschiedlich motiviert und verschiedenartig vorgenommen wird. Soweit die Sowjets nämlich Entwicklungshilfe nicht nur aus taktischen Gründen im Sinne der kommunistischen Weltrevolution betreiben, sind sie analog zu ihrem Wettlauf um das höchste Sozialprodukt (noch vor den Vereinigten Staaten) auch bei der Gewährung von Entwicklungshilfen, wenn auch nicht quantitativ, so doch emotionell und ambitionell in einen Wettkampf mit den USA eingetreten, der von einem Gefühl einer historisch-sozioökonomischen Unterlegenheit gegenüber der altindustrialisierten westlichen Welt getragen wird. Der Westen hingegen scheint sich — wenigstens zeitweise — durch eine intensive Entwicklungshilfe vom weltgeschichtlichen Vorwurf der kolonialen Ausbeutung freimachen zu wollen, unabhängig davon, daß dieser Vorwurl durch mannigfache Ideologien längst ein Gewicht gewonnen hat, das den tatsächlichen Ereignissen nicht zukommt. Aber die Mechanik der Sozialseele reagiert nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf durch Ideologien induzierte Gefühle. Damit wird die Entwicklungshilfe zu einem Ereignis, dessen Bedeutung sich weder in einer neuen Ökonomisierung der Welt noch in einer vollständigen Politisierung der bisherigen internationalen Kapitalbeziehungen zwischen Volkswirtschaften und Wirtschaftsblöcken erschöpft. Der sozialpsychologische Gehalt der Entwicklungshilfe wurde bisher überhaupt noch nicht voll erkannt, geschweige denn ausgeschöpft. Während der Typ des ewigen Kriegers, wie ihn Josef Schumpeter für seine geniale Deutung des Imperialismus formuliert hat, ohne Zweifel archetypischen und, wenn man so will, inhumanitären Charakter zeigt, so läßt sich ein Typ auch des permanenten Friedensstifters denken, der, freilich im Gegensatz zur Figur des Kriegers, keine atavistische Gestalt ist, die Gefühlsgewohnheiten einer überholten Epoche der Menschheitsgeschichte konserviert. Sie stellt im Gegenteil eine neuzeitliche, humanitäre und höherentwickelte Form menschenpolitischen Handels dar als alles, was man bisher kannte. Es ist verständlich, daß dieser Zug in der Entwicklungshilfe, der verständlicherweise in der westlichen Welt auf Grund ihrer spezifischen geistes-und philosophiegeschichtlichen Vergangenheit der letzten beiden Jahrhunderte stärker in Erscheinung tritt als im revolutionären Osten, der sich allein auf eine materialistische Ökonomie und Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts beruft, das besondere Interesse aller Kulturwissenschaftler hervorruft. Dieses Phänomen sollte man stets im Auge behalten, auch wenn zeitweise und über Jahre hinweg die enge Verbindung zwischen Ent-

wicklungsförderung und Außenpolitik im Verhältnis zwischen den großen Machtblök-ken in der Welt an Bedeutung wieder verlieren sollte, wie es infolge der jüngsten Ereignisse nach dem Sturz Chruschtschows in der UdSSR den Anschein hat, und sich erkennen läßt, daß wiederum die binnenwirtschaftliche Entwicklung des „ersten sozialistischen und kommunistischen Landes der Erde" im Vordergründe aller wirtschaftspolitischen Überlegungen der Sowjets steht. Auch deutet manches darauf hin, daß in Zukunft der außen-politische Kampf um die Gunst der Entwicklungsländer nicht ausschließlich mit Quantiteten geführt werden wird, sondern daß gezielte, wohlüberlegte und dosierte Entwicklungskredite eine zunehmende Rolle spielen werden. Die durch den Prozeß der sozialökonomischen Entwicklung selbst herbeigeführte Bewußtseinsbildung in den Entwicklungsregionen, die das Erkennen und die Verarbeitung von Ideologien jeglicher Art einschließt, wird entscheidend dazu beitragen, die Frage zu beantworten, inwieweit die Entwicklungsländer Spielball oder gestaltender Faktor des weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Geschehens der Zukunft sein werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zu diesem Beitrag auch: Hermann M. Görgen, Entwicklungsländer in der Entscheidung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 25. 3. und 1. 4. 1964. Unsere Abhandlung beschäftigt sich ausschließlich mit einigen Fragen der Entwicklungshilfe, nicht mit grundlegenden ökonomischen oder sozialen Problemen der Entwicklungsländer selbst. Die Literatur gerade zu diesem Gebiet ist in den vergangenen Jahren unübersehbar angewachsen. Dennoch gibt es nur wenige wissenschaftlich brauchbare Werke, die sich eingehend mit den Fragen der Entwicklungshilfe beschäftigen, wenn auch die Bibliographien zum Teil 2000 und mehr Titel anführen. Dem interessierten Leser wird empfohlen: W. Guth, Kapitalexport in wirtschaftlich unterentwickelte Länder, Basel-Tübingen 1957; Artikel über Entwicklungsländer im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Göttingen 1953 ff.; G. Myrdal, Ökonomische Theorie und unterentwikkelte Regionen, Stuttgart 1959; H. Jürgensen und R. Meimberg, Probleme der Finanzierung von Investitionen in Entwicklungsländern, Berlin 1959; K. Billerbeck, Möglichkeiten eines westdeutschen Beitrages für die Entwicklungsländer, Hamburg 1957; L. Köllner, Probleme der Inflation in Entwicklungsländern, Baden-Baden 1964; ferner das von H. Rieber herausgegebene Handbuch der Entwicklungshilfe sowie die dazugehörige Schriftenreihe der Entwicklungshilfe. Als Bibliographie sei genannt: H. und D. Danckworth, Entwicklungshilfe — Entwicklungsländer, hrsg. von der Carl Duisberg-Gesellschaft, Köln 1960. Im Rahmen dieser Bibliographie sei besonders aufmerksam gemacht auf die Beiträge von W. Röpke, R. F. Behrendt, K. Hesse, M. Schmitt, R. Nurkse, A. Jacobs, E. Hickmann, FI. Bräker und W. G. Hoffmann. Einen Überblick über die Literatur über Entwicklungsländer und Entwicklungshilfe hat der Verfasser zu zeichnen versucht in seinem Beitrag: Entwicklungstheorie und Entwicklungswirklichkeit, Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Göttingen 1964/1.

  2. Hierzu sowie zu einigen späteren Abschnitten vgl. L. Köllner, Der internationale Kapitalverkehr seit dem letzten Kriege, Frankfurt/M. 1963.

  3. K. Hax, Japan, Wirtschaftsmacht des Fernen Ostens, Opladen 1961, und H. Kahmann u. L. Köllner, Japans Stellung in der Weltwirtschaft, in: Europa-Archiv 20/1955.

  4. W. G. Hoffmann, Typen und Stadien der Industrialisierung, Jena 1932.

  5. U. Papi, Eine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung rückständiger Gebiete, in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Wien 1954/14; R. F. Behrendt, Die wirtschaftliche und soziale Revolution in den Entwicklungsländern, Bern 1954.

  6. A. Predöhl, Außenwirtschaft, Göttingen 1949; F. Vöchtinq, Die italienische Südfrage, Berlin 1951.

  7. M. Schwind, Japanische Reparationsleistungen als Entwicklungshilfe, in: Überseerundschau, Juli 1961; K. K. Kurihara, Observations on Japan’s Ten Year Plan, Kyklos, 4/1962.

  8. Vereinte Nationen, International Capital Move-ments during the Interwar-Period, New York 1949.

  9. Hierhin gehört auch die Kritik der herkömmlichen liberalen Freihandelslehre und Außenwirtschaftstheorie. Vgl R. Alemann, Theorie der peripheren Wirtschaft, in: Weltwirtschaftliches Archiv.

  10. K. Mandelbaum, The Tndustrialization of Backward Areas, New York 1945.

  11. K. Hesse, Entwicklungsländer und Entwicklungshilfen an der Wende des Kolonialzeitalters, Berlin-München 1962.

  12. Vgl. hierzu die Bibliographie der Vereinten Nationen, Bibliography on the Process and Problems of Industrialization in Underdeveloped Countries, New York 1954.

  13. A. Predöhl, Deutschlands Weg in der Weltwirtschaft, in: Deutschland und die Weltwirtschaft, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Berlin.

  14. L. Köllner, Die Auslandshilfe der Vereinigten Staaten, in: Europa-Archiv, 11/1960.

  15. Siehe die Berichte zur Durchführung des Marshall-Planes, erstattet vom Bundeswirtschaftsministerium, Nr. 1— 11, 1949 bis 1952.

  16. Composite Report of The President’s Committee to the Study of the United States Military Assistance Program, Vol. I und Vol. II, Washington, D. C., 17. Aug. 1959; im folgenden, auch für die späteren Tabellen, , Draper-Report'.

  17. Einzelheiten bei L. Köllner, Der internationale Kapitalverkehr ..., a. a. O., S. 190 ff.

  18. L. Köllner, Zinshöhe und Kapitalexport in Entwicklungsländern, in: Konjunkturpolitik, 6/1961.

  19. G. Colm und J. Darmstädter, Analyse der sowjetischen Wirtschaftsbedrohung, in: National Planing Association, September 1959.

  20. H. Steinitz, Zickzackkurs in der amerikanischen Außenhandelspolitik, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 1/1959.

  21. E. Tuchtfeld, Weltbank und Weltwährungs-fonds, in: Wirtschaftsdienst, Juni 1951; H. Bach-mann, Angelsächsische Vorbereitungen und Pläne für die Nachkriegszeit, St. Gallen 1944; G. Haberler, Betrachtungen über die Zukunft des Bretton-Woods-Systems, in: Wirtschaftsdienst, Hamburg 2/1953; A. Cairncross, The International Bank for Reconstruction and Development, Princeton 1959.

  22. B. Tew, The International Monetary Fund, its Present Role and Future, Princeton 1961.

  23. L. J. Zimmermann und F. Grumbach, Saving Investment and Imperialism, in: Weltwirtschaftliches , Archiv, Bd. 71, 1953.

  24. Vgl. die Beiträge des Verfassers in der Wochenzeitung Die Zeit Nr. 43/1961 und Nr. 22/1962.

  25. L. Köllner, Die Politisierung des internationalen Kapitalverkehrs, in: Außenpolitik 1962/9.

  26. Entwicklungsländer, Wirtschaft und Außenpolitik, in: Außenpolitik 5/1963.

  27. W. Guth, a. a. O.

  28. R. König, Einleitung zu einer Soziologie der sogenannten rückständigen Gebiete, in: Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1/1955.

  29. H. Jürgensen, und R. Meimberg, a. a. O.

  30. L. Köllner, Der Imperialismus in marxistischer Sicht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 22. 7. 1964; dort weitere bibliographische Angaben.

  31. E. Achterberg, General Marshall macht Epoche, Berlin 1964.

  32. H. Bräker, Politische Zielsetzungen der östlichen Entwicklungshilfe, in: Ost-Europa-Wirtschaft, 3— 4/1963.

  33. R. Adam, Die Auslandshilfe der Vereinigten Staaten, in: Außenpolitik, 8/1964.

  34. L. Köllner, Zur historisch-sozialen Morphologie von Entwicklungsländern, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 13, Heft 1.

  35. M. Schmitt, Die befreite Welt, Baden-Baden 1962; dort auch eine ausführliche Bibliographie.

  36. R. F. Behrendt, Eine freiheitliche Entwicklungspolitik für materiell zurückgebliebene Länder, in: ORDO, 8/1956.

  37. Frühzeitig z. B. durch Arnold Toynbee an mehreren Stellen seines wissenschaftlichen und publizistischen Werkes.

  38. Dieses Problem hängt natürlich aufs engste mit der Frage zusammen, was unter einem Entwicklungsland zu verstehen ist, eine Frage, die in unserem Rahmen bewußt nicht erörtert wird. Vgl. hierzu H. M. Görgen, Entwicklungsländer in der Entscheidung, a. a. O. Weitere Beiträge zu dieser Frage stammen aus der Feder von H. Maier, P. T. Bauer, U. Papi, E. Salin (aus der Sicht der List’ sehen politischen Ökonomie), S. Lorenz und vom Verfasser; vgl. Entwicklungstheorie und Entwicklungswirklichkeit, a. a. O., S. 42.

  39. W. G. Hoffmann, Unterentwickelte Gebiete und ökonomische Integration, Festschrift für Karl Arnold, Köln und Opladen 1955; vom gleichen Verfasser: Wachstumsnotwendige Wandlungen in der Sozialstruktur der Entwicklungsländer, in: Kyklos 1/1962.

  40. Zu diesem Abschnitt vgl. u. a. K. Müller, Sowjetische Politik in Entwicklungsländern, in: Neue Gesellschaft 4/1961; L. Köllner, Sowjetischer Kapitalexport in Entwicklungsländer, in: Europa-Archiv, 2/1957; Einzelprobleme werden behandelt in der Zeitschrift Ost-Europa-Wirtschaft.

  41. Hierzu: H. Bräker, Die Wirtschaftsbeziehungen der Sowjetunion zu Süd-und Südostasien, in: Osteuropa 5/1955.

  42. J. S. Berliner, Soviet Economic Aid, The New Aid and Trade Policy in Underdeveloped Countries, New York 1958.

  43. D. Dillon, Economic Activities of the Soviet Bloc in Les Developed Countries, in: The Department of State Bulletin, März 1958, Nr. 978 und Nr. 1025.

  44. A. Z. Rubinstein, Soviet Policy Toward Un-derdeveloped Countries, in: International Organisation, Mai 1955, Nr. 2.

  45. E. Boettcher, Die sowjetische Wirtschaftspolitik am Scheidewege, Tübingen 1959.

  46. L. Köllner, Einige Bemerkungen über den Kapitalbedarf in Entwicklungsländern, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Juni 1962.

  47. Vgl. Der internationale Kapitalverkehr seit dem letzten Kriege, a. a. O., S. 236 ff. 47a) O. Hoeffding, Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und China, in: OstEuropa-Wirtschaft, 1/1961.

  48. Hierzu u. a. H. Bräker, Politische Zielsetzungen der östlichen Entwicklungshilfe, in: Ost-Europa-Wirtschaft, 3— 4/1963; R. Adam, Die Auslandshilfe der Vereinigten Staaten, in: Außenpolitik, 8/1964.

  49. L. Köllner, Gesellschaftsstruktur und Finanzierung des wirtschaftlichen Fortschrittes in Entwicklungsländern, in: Schmöllers Jahrbuch, Berlin 1964, 84. Jahrg., 4. Heft.

  50. Genauere Angaben über die westdeutsche Entwicklungshilfe finden sich u a in den Jahresberichten der Deutschen Bundesbank sowie in denen der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

  51. Hierzu die aufschlußreiche Analyse von H. Danckworth, Die Entwicklungshilfe in der öffentlichen Meinung, in: Die Neue Gesellschaft 4/1961.

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Lutz Köllner, Dr. rer. pol., DiplomVolkswirt, geb. 3. September 1928 in Wernige-rode/Harz, wissenschaftlicher Assistent an der Rechts-und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, widmet sich in seiner wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspublizistischen Arbeit vornehmlich den Grenzgebieten zwischen Ökonomie und Politik. Er ist Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften, Zeitungen und wissenschaftlicher Enzyklopädien. Wichtigste Veröffentlichungen: Japan, Wirtschaft und Wettbewerb (Mitverf.), Münster 1955; Europäische Wirtschaftspolitik, Münster 1957; Der internationale Kapitalverkehr seit dem letzten Kriege, Frankfurt 1963; Probleme der Inflation in den Entwicklungsländern, Baden-Baden 1963; Europäische Währungspolitik (Mitverfasser und Redakteur), Baden-Baden 1964; in Vorbereitung befinden sich eine Textsammlung über die marxistische Imperialismustheorie und ein umfangreiches Werk über die Ökonomie des Marxismus.