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Der Lehrgang Politische Weltkunde | APuZ 15/1965 | bpb.de

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APuZ 15/1965 Politische Weltkunde. Der Lehrgang Politische Weltkunde Europa als Problem der politischen Pädagogik an den Gymnasien in der Bundesrepublik

Der Lehrgang Politische Weltkunde

I Zur Begründung des Lehrgangs

Die Aufgabe der Bildung und Erziehung des politischen Menschen, der die Maßstäbe der europäischen Überlieferung festhält und aus ihr handelt, der den Rang einer die einzelnen und ihre Gruppierungen übergreifenden Ordnung zu würdigen vermag und dem daraus die Antriebe für seine Mitverantwortung erwachsen, der die heute gegebenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Bedingungen und Erschwerungen einer Ordnung der Freiheit erkennt und daher früher gültige Ordnungsvorstellungen nicht unbesehen auf die modernen Daseinsformen überträgt — diese Aufgabe ist nach 1945 in ihrer Dringlichkeit erkannt und in wachsendem Maß auch in die Formen und die Sprache der Schule übersetzt worden. In der überlieferten Fächerordnung bot die Ansatzpunkte dafür vor allem der Geschichtsunterricht; seine Gegenstände und Methoden wurden am stärksten berührt, zugleich bedurften nach dem Ende der Diktatur der Geschichts-und der Erdkundeunterricht besonders dringend neuer pädagogischer Begründung.

Der Geschichtsunterricht konnte sich an der Idee des Nationalstaats nach ihrem offenbaren Mißbrauch und in der veränderten weltpolitischen Konstellation nicht mehr orientieren. Der Versuch, ihn zu einer universalen Geistesgeschichte auszuweiten oder auf die Kulturgeschichte einzuschränken, wurde früh als Flucht vor seinem eigentlichen Auftrag erkannt und aufgegeben. Bestrebungen, dem Geschichtsunterricht die Weltgeschichte zur Aufgabe zu machen, kamen zwar aus einer richtigen Analyse der politischen Entwicklung, erwiesen sich aber als unerfüllbar. Ein Unterricht, der sich nicht der Ideologisierung aussetzen will, könnte dieser Forderung beim gegenwärtigen Stand der Geschichtswissenschaft nur durch Addition entsprechen; das bliebe ohne bildende Kraft. Frucht dieser Überlegungen und Versuche ist jedoch die Erkenntnis, daß der Zusammenhang der Welt die geschichtliche Betrachtung bestimmen muß, wo die Sache das gebietet, und daß die Geschichte außereuropäischer Volker dort, wo sie die Geschichte Europas berührt haben, in stärkerem Maß einbezogen werden muß.

Als dringlich und möglich erwies sich die gegenwartskundliche Aufgabenstellung: Der Geschichtsunterricht soll das Verständnis un-serer politischen Welt vorbereiten; er soll den Grundbestand an politischen Kräften und an Möglichkeiten einer politischen Ordnung sichtbar machen, der uns aus der Geschichte überkommen ist und den eine Analyse der Gegenwart nicht ganz zutage bringt; er soll den geschichtlichen Horizont aufklären, den man im Blick behalten muß, wenn man die gegenwärtige Situation begreifen und politische Fehlentscheidungen vermeiden will.

Die Einwände gegen diese gegenwartskundliche Zielsetzung entsprangen der Sorge, der Geschichtsunterricht werde dann nur noch die in unsere Zeit mündenden Sinnlinien nach rückwärts verfolgen und das je Eigene der vergangenen Epochen aus den Augen verlieren. Dabei müßte er das Ziel politischer Bildung verfehlen. Ihr genügt die gegenwartskundliche Ausbeutung der Geschichte so wenig wie die bloße, auf die Vergangenheit gerichtete Neugier. Geschichtliche Bildung kommt nur zustande, wenn das Eindringen in die Geschichte Erinnerung an die Hand gibt und Erkenntnis der guten wie der schlimmen Möglichkeiten des Menschen gewinnen läßt;

was der Mensch ist, erfährt er nicht allein durch die Betrachtung seiner selbst und der Gegenwart, sondern er bedarf dazu der Geschichte. Da Erinnerung nicht aus bloßem Wissen und Kennen besteht, sondern sich aus prägenden Einsichten aufbaut, stellt sich das Problem der Auswahl; es verknüpft sich mit der Frage nach der angemessenen Methodik.

In der lebhaften, nicht auf den Geschichtsunterricht beschränkten Methodendiskussion seit 1945 wurden schon früh die Folgerungen deutlich, die sich besonders für die Primen aus der veränderten Aufgabenstellung ergeben.

Am deutlichsten artikulierte sich die Frage nach dem Bildungssinn der Geschichte in der Diskussion über das exemplarische Lehren und über die Verfahren, den unübersehbar angewachsenen Geschichtsstoff um bestimmte Themen zu kristallisieren, ihn so zu beschränken und zugleich bildender Erkenntnis besser zu erschließen. Aus diesen Erwägungen sind einige unabweisbare Einsichten gewonnen worden:

Der Geschichtsunterricht kann sich nicht auf exemplarische Ereignisse und Situationen stützen, die — wie Erscheinungen der Natur — für andere eintreten könnten, weil sie von einer gemeinsamen, verläßlichen Gesetzlichkeit gesteuert würden. Er muß vielmehr die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit eines historischen Faktums erfahren lassen und den Sinn für die Kontinuität des zeitlichen Ablaufs wecken, in den es eingebettet ist. Beides wird jedoch durch eine streng chronologische Darstellung nur scheinbar verbürgt. Sie zwingt den Lehrer zu einer eiligen Stoffbewältigung, bei der Genauigkeit, Konkretisierung, Individualisierung — also alles, was eine „exemplarische" Erfahrung des Geschichtlichen und die Bildung des historischen Urteils erst möglich macht — notwendig zu kurz kommen. Die Schüler vermögen so kaum zu erfassen, daß die Geschichte keinem eindeutigen Entwicklungsgesetz gehorcht und der ihnen dargestellte Ereigniszusammenhang stets das Ergebnis deutender Ordnung vom eigenen Standort aus ist. Die personale Erfahrung der Geschichte als des Feldes menschlicher Entscheidungen, der Unwiederholbarkeit und fortwirkenden Verkettung geschichtlicher Fakten ist auf diese Weise schwer zu vermitteln; auch die Möglichkeiten des differenzierenden Vergleichs, der kategorialen Erhellung der gegenwärtigen Ordnung und der in ihr wirksamen Tendenzen bleiben gering: der Ertrag an geschichtlicher wie an politischer Bildung bleibt hinter den ehrlichsten Anstrengungen zurück.

Die Erörterung dieser Schwierigkeiten spitzte sich auf die Frage zu, ob an die Stelle des zweiten kursorischen Durchgangs durch die Geschichte auf der Oberstufe nicht eine besonders intensive Beschäftigung mit dem einzelnen Ereignis und den wirkenden Zusammenhängen treten müsse, in denen es steht und die es selbst begründet. Sie ist durch diese Diskussion nicht eindeutig entschieden worden; die Befürchtung, ein Verzicht auf den zweiten Durchgang führe zur Auflösung der Geschichte in Punktualitäten und setze sie „gegenwartskundlichen" Falschdeutungen und Ideologisierungen aus, wog für viele zu schwer. Indes haben Überlegungen über das Verhältnis des Geschichtsunterrichts zu seinen Nachbarfächern und Erfahrungen mit der Neuordnung in einigen Bundesländern gezeigt, daß dieser Verzicht gewagt werden muß und kann.

Die Erwägungen zur Neubegründung und zur Methodik des Geschichtsunterrichts führten schon früh zu der Einsicht, daß er den Aufgabenbereich der geschichtlich-politischen Bildung allein nicht ausfüllen kann. Neben ihn trat, da und dort sogar von Verfassungen gefordert, die Sozialkunde, und im Erdkundeunterricht verstärkte sich das Gewicht der Anthropogeographie. Überschneidungen in der Aufgabenstellung waren unvermeidlich, um so mehr, als das Selbstverständnis der beiden älteren Fächer im Wandel begriffen war und die Sozialkunde das ihre erst finden mußte. So wurde es immer dringlicher, das Verhältnis dieser Fächer, zueinander zu klären und sie im Gefüge der Oberstufe einander besser zuzuordnen. Es erwies sich dabei, daß die Aufgaben der geschichtlich-politischen Bildung in den Primen nicht zu lösen sind, indem man jeweils die benachbarten Fächer als Hilfswissenschaften heranzieht, sondern daß sich ihre verschiedenen Fragestellungen gegeneinander öffnen müssen, sich allerdings nicht vermengen dürfen.

Damit erhielt die seit den zwanziger Jahren immer wieder erhobene Forderung nach stärkerem Ineinandergreifen der Schulfächer neue Aktualität. Sie entspringt der Einsicht, daß Bildung sich mehr als aus fachlich eingegrenzten Fragestellungen aus dem Bemühen um Klarheit in Fragen nährt, die aus dem persönlichen Leben und aus der beunruhigenden Erkenntnis auftauchen, daß auch das Leben und die rechte Ordnung des Gemeinwesens jedem ständig aufgegeben sind.

Bestimmte Fächer in den Primen auf die gemeinsame Arbeit an solchen das Einzelfach übergreifenden Fragen zu verpflichten, ist keine Absage an die wissenschaftliche Prägung des Unterrichts. Aus ihnen schulgerechte Aufgaben zu gewinnen, die Schüler erfahren zu lassen, daß die einzelnen Fächer bestimmte Zugänge zu ihnen eröffnen, verlangt vielmehr vom Lehrer ein höheres Maß an Souveränität in der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Bildungsaufgaben und ein schärferes Methodenbewußtsein als ein an der immanenten Gesetzlichkeit des Faches orientierter Unterricht; in den Schülern bahnt solches Arbeiten die Einsicht an, daß die Methoden der verschiedenen Disziplinen Wegen der Erkenntnis entsprechen, die nicht beliebig gewählt werden können. Es sollte die Lehrer auch nicht irritieren, daß im Unterricht Aufgaben gelöst werden müssen, die nicht schon vorher im Bereich der Wissenschaft volle Klärung gefunden haben. Daß eine pädagogische Aufgabe, hier also: junge Menschen zum Verständnis dieser sozialen und politischen Welt zu führen und sie auf ihre bürgerliche und politische Mitverantwortung vorzubereiten, nicht von der Wissenschaft gestellt wird, son-dem aus der Sorge um die Jugend und das Gemeinwesen kommt, daß zu ihrer Lösung Wissenschaft wie Unterricht gleichzeitig aufgerufen sind, ist kein Novum. Die dadurch entstehende Spannung kann für beide Bereiche fruchtbar werden.

Das Wissenschafts-wie schulgerechte Zusammenwirken verschiedener Fächer an einer politischen Weltkunde setzt allerdings einige Vorklärungen voraus. Die wissenschaftstheoretischen sind im wesentlichen geleistet. Das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft spiegelt das der ihnen zugeordneten schulischen Bereiche genau wider: die eine konzentriert sich auf die res gestae, die andere auf die res gerendae, aber beiden ist mit verschiedenen Mitteln die Erhellung des Gegenwartshorizontes aufgetragen; dadurch sind sie aufeinander bezogen, wie sie überhaupt als eigenständige Wissenschaften in einem Komplementärverhältnis stehen. Die geographische Wissenschaft ist, besonders in ihrem anthropogeographischen Zweig, für sie beide eine unentbehrliche Erkenntnisquelle.

Ebenso sind die Schulfächer Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde mannigfach aufeinander angewiesen, wiewohl sie sich in Gegenstand, Ziel und Methode unterscheiden. Geschichte dient nicht nur dem antiquarischen Interesse, und Sozialkunde erschöpft sich nicht in Gegenwartskunde; die sich ergänzenden Betrachtungsweisen beider Fächer sind unentbehrlich. Das gilt vor allem für das Verständnis jener Epochen der Geschichte und des politischen Denkens, die nicht als abgeschlossen gelten können, sondern die noch immer stark auf unsere Zeit wirken, vor allem also für die Zeit von 1776 an bis zur unmittelbaren Gegenwart. Zudem muß man Erkenntnisse und Fragestellungen der Geographie einbeziehen. Ohne sie kann man kein volles Bild der Bedingtheiten und der Ordnung kleinerer und größerer Räume unserer Welt gewinnen und vermitteln. Ihre Methode der räumlichen Synthese schärft den Blick für das Konditionalgeflecht, das aus der Wechselwirkung von Bedingungen und Kräften der Natur, der Geschichte, der Gesellschaft und Wirtschaft entsteht und die politischen Möglichkeiten in den verschiedenen Erdräumen mitbestimmt.

Wenn also ein tieferes Verstehen unserer politischen Welt nur aus einer Synopse zu gewinnen ist, die von präzisen, ergiebigen, auf Wesentliches gerichteten Fragestellungen ausgeht, dann muß für die Primen nach einer neuen Ordnung des Unterrichts gesucht werden. Dabei gilt es, a) diejenigen für eine politische Weltkunde sachlich und pädagogisch wesentlichen Fragen oder doch Fragenbereiche zu bestimmen, die das Zusammenwirken der verschiedenen Betrachtungsweisen verlangen und fruchtbar machen; b) darauf zu achten, daß die facheigenen Methoden nicht verwischt werden und daß das ihre Art und ihre Aussagegrenzen kontrollierende Bewußtsein wach bleibt, denn die Beiträge der verschiedenen Disziplinen werden um so schlüssiger sein, je strenger die spezifischen Methoden geschieden werden; c) alle künstlichen Formen konzentrierenden Unterrichts zu vermeiden, für die verschiedenen Unterrichtseinheiten soviel Zeit anzusetzen, daß das einzelne Fach seinen Beitrag zu ihnen wirklich leisten kann, und auch Raum für Themen zu lassen, die sich im wesentlichen unter einem Aspekt erschließen.

Solchen Einsichten suchen die folgenden Vorschläge für den Lehrgang Politische Welt-kunde zu entsprechen.

Dieser Lehrgang kann und soll nicht den systematischen Aufbau der beteiligten Wissenschaftsbereiche — auf schulische Möglichkeiten verkürzt — abbilden. Er geht aus auf eine geschichtlich-gesellschaftliche Bildung für unsere Welt, gewonnen aus Erfahrungen und Einsichten, die im Gegensatz zu den mehr stofflich gedachten Lehrzielen am besten als Funktionsziele bezeichnet werden. Es ist kennzeichnend für sie, daß sie sich bei der Lösung von Unterrichtsaufgaben aufdrängen — oder aufdrängen müßten —, wenn der Weg zum Verstehen des Phänomens einmal eingeschlagen ist und der Blick sich auf den Erkenntnisvorgang selbst richtet.

Was sich hierbei ereignet — ereignen müßte —, begründet den eigentlichen Bildungsauftrag des Lehrgangs. Daher lassen sich aus den Funktionszielen Prinzipien für die Auswahl und die Behandlung der Gegenstände und für die Bestimmung des Beitrags der am Lehrgang beteiligten Fächer gewinnen. Die eigenständigen Fächer Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde können außerdem als Wahlleistungsfächer gewählt werden.

II Funktionsziele und Bildungsaufgaben

Der Lehrgang Politische Weltkunde muß so angelegt werden, daß sich folgende Erfahrungen aus ihm ergeben: 1. Die Erfahrung, was alles zum Verstehen eines geschichtlich-politischen Sachverhalts nötig ist, und die daraus hervorgehende Erfahrung vom Zusammenhang der Wissensbereiche: Was müßte alles an natürlichen, räumlichen und ökonomischen Bedingungen, an historischen Ursachen, an gesellschaftlichen Überlieferungen, Gewohnheiten und Institutionen, an wirksamen Ideen und Zielvorstellungen, an unberechenbaren Ereignissen, an denen die Geschichte so reich ist und auf denen ihre Irrationalität beruht, und an psychologischen Voraussetzungen in den Frage-und Wissenshorizont hereingeholt werden, um einem Phänomen voll gerecht zu werden, obwohl es aus vielerlei Gründen, von denen die erkenntnistheoretischen die gewichtigsten sind, nur zum Teil faßbar gemacht werden kann? Eine solche Einsicht, mag sie so bruchstückhaft sein wie immer, ist konstitutiv für den Bildungssinn der fächerübergreifenden Politischen Welt-kunde. 2. Die Erfahrung, daß Beobachtungen aus der Umwelt der Schüler und aus ihren zwischenmenschlichen Beziehungen sich ordnen lassen; daß die Einrichtungen, deren sie sich bisher unreflektiert bedienten, sich begründen lassen, geschichtlich aber auch unmittelbar aus den Bedürfnissen des gemeinsamen Daseins, das ordnender Regelungen im Kleinen wie im Großen bedarf; und daß beides zuletzt zur Einsicht in Grundmuster menschlichen Verhaltens und sozialer wie politischer Ordnungsformen führt. Für sie gibt es weder in der Geschichte noch in der Gegenwart eine einzige Norm, aber Rangordnungen und Wertmaßstäbe. Auf diesem Wege sollte sich die politische Grunderkenntnis einstellen, daß die Ordnung des gemeinsamen Daseins sich nicht von selbst versteht, sondern uns ständig aufgegeben ist.

3. Die Erfahrung, daß politische Strukturen zugleich bedingt sind und offen. Wer die Bedingungen, z. B.den geschichtlichen Horizont, der uns umstellt und innerhalb dessen nicht beliebige Entscheidungen möglich sind, nicht wahrhaben will, ist ein politischer Phantast oder Sektierer; wer den Freiheitsraum für Entscheidungen nicht sieht, stellt sich außerhalb der politischen Verantwortung.

4. Die Erfahrung, was alles zu einem rational begründeten und sittlich verantwortlichen politischen Urteil gehört und wie man zu einer politischen Einsicht kommt. Dabei ist es wichtig zu erkennen, daß jedes politische Urteil auf den Entwurf einer wünschenswerten und möglichen Gesamtordnung zielt und sich von ihm herleitet, daß Politik immer Zukunft meint, auch wenn sie sich auf die Erhaltung der bestehenden Ordnung richtet. Damit muß sich die Einsicht verbinden, daß Friede, Freiheit, Gerechtigkeit Ideen sind, auf die hin eine menschliche Gesamtordnung angelegt sein muß, daß sie aber intolerant mißbraucht, verkehrt und immer nur annähernd verwirklicht werden können und daß die partikularen Interessen stets neu auf das von diesen Ideen bestimmte Gemeinwohl bezogen werden müssen. Ferner, daß es auch bei gleichen ideellen Ausgangsvorstellungen verschiedene Auffassungen über ihre Verwirklichung in der jeweiligen Situation gibt, daß also ein politisches Urteil nur in seltenen Fällen den Charakter einer absoluten Aussage haben kann und Politik notwendig Auseinandersetzung bis zum Kampf um die Macht ist. 5. Die Erfahrung von der gegenwartgestaltenden Wirklichkeit historischer Entscheidungen und Ereignisse, also von der Nähe und Aktualität der Geschichte und ihrem heute wirksamen Aufforderungs-und Entscheidungscharakter. Zu ihr muß ergänzend und korrigierend die Distanzerfahrung treten; sie erfaßt die Einmaligkeit und schwer überwindliche Fremdheit eines geschichtlichen Vorgangs oder einer individuellen Entscheidung. 6. Der Einblick in die Standortgebundenheit des Betrachters und in die Perspektivität des geschichtlichen Bildes, da nur die Erfahrung von den Bedingungen geschichtlicher Erkenntnis dem ahistorischen oder antihistorischen Skeptizismus und Dogmatismus entgegenwirken kann. 7. Das Verständnis dafür, daß wir in der Geschichte — im Gegensatz zu den Naturwissenschaften — nicht von ursprünglichen Phänomenen ausgehen können, da uns keine unmittelbare Anschauung, sondern nur die Quelle zu Gebote steht. Der Regenbogen im stäubenden Wasserstrahl z. B. ist jederzeit voll reproduzierbar, der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist Factum im wörtlichen Sinn, und seine historiographische Rekonstruktion ist nicht nur ein mühsames Werk, sondern kann auch nie zur voll entsprechenden Repräsentation des geschichtlichen Vorgangs gesteigert werden. Die Begegnung mit Quellen rückt also an die Stelle der elementaren Erfahrung in den Naturwissenschaften; Erkenntnis dabei muß bewirkt werden, daß Quellen Chiffren sind, leichter oder schwerer entzifferbare Zeichen für etwas nicht unmittelbar Faßbares, das hinter ihnen steht. 8. Die Einsicht, daß Begriffe, die durch Abstraktion entstanden sind, sich erst aufgreifen und anwenden lassen, wenn man weiß, wie sie gewonnen worden sind, das heißt, wenn ihnen die Vorstellung von konkreten Gegebenheiten entgegenkommt, an denen sie ihren Sinn und ihre Wahrheit immer wieder ausweisen müssen. 9. Die Anschauung davon, wie ökonomische, historische, soziale und politische Ideen und Prozesse im jeweiligen geographischen und geschichtlichen Raum konkret werden und in wie verschiedener Weise. 10. Die Erfahrung, daß die Welt trotz aller ihrer Spaltungen zu ihrer Einheit zusammenwächst. Sie muß in der Erziehung zum verantwortlichen „Weltbürger" gegenwärtig sein, als Objekt der Analyse und als ein Element künftigen Handelns. Da Weltpolitik die Form weltweiter „Innenpolitik" angenommen hat, muß Politische Weltkunde diese Perspektive öffnen; sie führt dadurch das Werk der Aufklärung fort und trägt zu der damit verbundenen heilsamen Entideologisierung der Politik und der Entprovinzialisierung des politischen Denkens bei.

11. Die Einsicht, daß Ausgangs-und Bezugspunkt der Politik der Mensch als Person ist — oder sein müßte; daß er, um sich entfalten und wirken zu können, vielfältiger Ordnungen bedarf und, indem er ihnen dient, auch sich selbst verwirklicht.

Geschichte wie Gegenwart zeigen, daß diese Ordnungen übermächtig werden und den Menschen als bloßes Werkzeug mißbrauchen können. Um solchem Mißbrauch der Person und der aus ihm sich ergebenden Korrumpierung der Ordnungen vorzubeugen, genügt die bloße Orientierung über diese Welt nicht; dazu ist die Orientierung an der großen europäischen Über-lieferung des Denkens über den Menschen in seinen Ordnungen nötig und ein Wissen davon, welches heute die Bedingungen seiner Verwirklichung in den verschiedenen Bereichen unserer Daseinsordnung sind. Für diese Betrachtungsweise der „Philosophie des Gemeinwesens" muß der Primaner wenigstens vorbereitet sein.

III Die spezifischen Beiträge der Fächer

Geschichte Die besondere Bedeutung der Geschichte geht schon aus dem oben formulierten Bildungsauftrag der Politischen Weltkunde hervor. Man kann ihren Beitrag zusammenfassen, indem man folgendes erwägt:

1. Der Geschichte fällt die Aufgabe zu, die Überlieferungen, die für unsere heutige politisch-rechtliche und gesellschaftliche Ordnung konstitutiv sind, sichtbar und das kulturelle Erbe, aus dem wir leben, bewußt zu machen.

2. Der Geschichte ist die Aufgabe anvertraut, eine junge Generation an der „kollektiven Erinnerung" teilnehmen zu lassen. Sie stiftet sie dabei jeweils neu und sichert ihren Bestand. Ihr fällt zugleich die Entscheidung über das „Erinnerungswürdige" zu. Diese Entscheidung darf sich nicht von Zwecksetzungen und politischer Aktualität leiten lassen. Aber Erinnerung umfaßt mit dem Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit immer zugleich das eigene Selbst und seinen ge schichtlichen Standort. Der „Erinnerungswert" der geschichtlichen Phänomene steht also in Relation zur Gegenwart und zu den in ihr sichtbar gewordenen Aufgaben. 3. Die Geschichte stellt mit der Fülle ihrer Anschauungsmodelle der politischen Erziehung das sekundäre Erfahrungsfeld zur Verfügung; das primäre, das Feld des gegenwärtigen politischen Handelns, ist dem Schüler noch nicht voll erschließbar, da er noch nicht in der Verantwortung steht.

4. Sie ermöglicht die Begriffsbestimmungen der Gegenwart, die ohne geschichtliche Relationen keinen Aussagewert und keine Gültigkeit haben. So ist z. B. die industrielle Massengesellschaft nur verständlich vor dem Hintergrund der bürgerlichen Klassengesellschaft und diese in der Gegenüberstellung mit der ständischen Ordnung. 5. Sie muß den Sinn für die Kontinuität des zeitlichen Ablaufs und für seine Gliederung in Epochen wecken und den Heranwachsenden die historische Ortsbestimmung auch von Erscheinungen ermöglichen, die ihnen erst später begegnen werden.

Damit ist die Frage nach der Notwendigkeit eines „Überblicks" angerührt. Man muß ihn fordern, wenn Geschichte sich nicht in Bilder, Probleme und Persönlichkeiten auflösen soll, darf aber den „Überblick"

nicht als eine Summe von Fakten und Daten auffassen — deren Begrenzung sich schwer ausmachen ließe —, sondern als Orientierung im historischen Gelände, die jedem erlaubt, seine Unkenntnis in Einzelheiten an der richtigen Stelle anzumelden.

Erdkunde 1. Die Erdkunde zeigt am natur-und kultur-geprägten Gefüge der Landschaften, welch vielfältiges Wechselspiel von Lage, Natur-ausstattung, geschichtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen und Kräften das menschliche Leben auf der Erde bestimmt. Sie gewährt Einblick in die Vielfalt und Verschiedenheit der Daseins-formen, die in der Auseinandersetzung des Menschen mit den jeweiligen Gegebenheiten der Natur entstanden sind.

Dem Schüler wird so bewußt, welche Vielzahl aufeinander wirkender Faktoren berücksichtigt werden müssen, wenn ein Land nicht nur „oberflächlich" verstanden werden soll; er lernt die Bedeutung naturgegebener Voraussetzungen und räumlicher Relationen für Geschichte und Politik würdigen, erfährt aber dabei, daß sie nicht als unabänderlich hingenommen werden müssen, sondern auch als Herausforderung begriffen und also verwandelt werden können. Zugleich wird ihm erfahrbar, daß die aus der eigenen Umwelt, der eigenen Geschichte und Kultur gewonnenen Maßstäbe für das Verständnis der Welt nicht ausreichen.

Dieser Beitrag der Erdkunde ist besonders wichtig für das Verständnis der Länder und Völker Amerikas, Asiens und Afrikas, in deren Geschichte die Schule nicht hinreichend einführen kann.

2. Die Erdkunde richtet die Aufmerksamkeit auf die vielfältige Verflechtung der Faktoren in der Kulturlandschaft, die wir täglich unreflektiert vor Augen haben, und schärft so den Blick für die komplexe Struktur auch der wirtschaftlichen und politischen Wirklichkeit. Sie verknüpft naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Methoden und bewahrt durch diese Verbindung verschiedenartiger Denk-und Arbeitsweisen die Schüler davor, das politische Denken monokausal zu verengen. 3. Die Erdkunde läßt die Abhängigkeit des Menschen von der Natur erfahren-, so vermag sie die Verantwortung für sie zu wekken. Seiner Verfügungsgewalt steht die Pflicht zur Hut von Natur und Landschaft gegenüber; deren Verletzung kann die menschlichen Existenzbedingungen beeinträchtigen, ja zerstören. Aufgaben wie die Raumplanung, der Natur-und Landschaftsschutz, die Reinerhaltung von Wasser und Luft u. a. weisen auf den letztlich politischen Sinn dieser Zusammenhänge hin.

Sozialkunde Die aus der historischen und der geographischen Perspektive gewonnenen Einsichten in die gesellschaftlich-politische Wirklichkeit bleiben bruchstückhaft ohne die spezifischen Gesichtspunkte und Betrachtungsweisen aus dem Wissenschaftsbereich Politik. In der Schule vermittelt sie im wesentlichen das Fach Sozialkunde. Sein Beitrag zur Politischen Welt-kunde ist: 1. Die strukturanalytische Betrachtung gesellschaftlicher und politischer Sachzusammenhänge. Sie bringt das Wirkungsfeld der Politik in den Blick, indem sie die sozialen und wirtschaftlichen, die kulturellen und die staatlich-rechtlichen Bezüge der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Gegenwart an Beispielen aufzeigt und eine Orientierung über die verschiedenen Gesellschaftssysteme der heutigen Welt vermittelt. So werden die Primaner vertraut mit den Voraussetzungen und der Funktionsweise eines politischen Ordnungs-und Herrschaftssystems, z. B.des gewaltenteiligen demokratischen Rechtsstaats; mit der Funktionsweise von Wirtschaftssystemen in ihrer Zuordnung zu politischen Systemen, z. B.des Privateigentums oder des Staatseigentums an den Produktionsmitteln, bzw.der liberalen Marktwirtschaft oder der totalen Planwirtschaft und den zwischen solchen Extremen sich herausbildenden Ordnungen. 2. Die philosophische Durchdringung der historischen sowie der phänomenologischen und der strukturanalytischen Einsichten. Sie klärt die Bedingungen sinnvollen, menschenwürdigen Daseins, soweit sie in gesellschaftlichen und politischen Ordnungen liegen. 3. Die Überführung gesellschaftlich-politischer Sachverhalte und Sinngehalte aus der bloßen Lehre und Kunde in die Dimension der Aufgabe. Dabei muß deutlich werden, daß Prinzipien und Institutionen im Feld der Politik erst wirksam werden können, wenn aus ihnen konkrete Imperative entwickelt worden sind; daß politischen Entwürfen die Zähigkeit des Bestehenden und die Vielfalt der Interessen entgegenwirkt; daß das Gemeinwohl im einzelnen Fall selten unbestreitbar bestimmt werden kann und sich auch nicht einfach aus dem Parallelogramm der vorhandenen Kräfte ergibt; daß Politik Verwirklichen bedeutet.

Ein Weg zu diesen Einsichten ist das Einüben politischen Urteilens. Die Geschichte als sekundäres Erfahrungsfeld bietet die Möglichkeit kritischen Nachbedenkens früherer Entscheidungen, die Gegenwart Fragestellungen für methodisch kontrolliertes Mit-und Vorausdenken. So können die Schüler — ohne daß man sie auf bestimmte Entscheidungen festlegt — die Komplexität des Vorgangs erfahren, der zu einem besonnenen politischen Urteil führt — samt der Irrtumsmöglichkeit, die in jeder politischen Entscheidung enthalten ist. 4. Die für die Bildung zur Demokratie fundamentalen Einsichten, a) daß die Verschiedenheiten und Gegensätze, vor allem weltanschaulicher Art, zwischen Menschen und Gruppen zwar nicht verkleinert oder gar harmonisiert werden dürfen, aber auch nicht unübersteigbare Hindernisse für eine demokratische Ordnung darstellen, sondern wesentliche Gegenstände des demokratischen Prozesses sind, der einen Ausgleich dieser Gegensätze von Fall zu Fall herbeiführen muß; b) daß solcher Ausgleich notwendigerweise Kompromißcharakter hat, in Konflikten also keine vollkommenen, sondern nur verhältnismäßig beste Lösungen erreichen kann, daß die Bereitschaft dazu aber die Voraussetzung des Gelingens demokratischer Ordnung ist; c) daß politische Aufgaben und Entscheidungen der Macht bedürfen, daß die Macht aber im Dienst des Gemeinwohls zu stehen hat, verliehen ist und abrufbar bleiben, unter Kontrolle gehalten und an bestimmte Aufgaben gebunden werden muß.

Wenn tagespolitische Themen einbezogen werden, dann sollte das in der Absicht geschehen, solche Einsichten nicht abstrakt, sondern an konkreten Fällen zu vermitteln, den demokratischen Prozeß zu illustrieren und zu exemplifizieren und so zur Erkenntnis des spezifischen Charakters der demokratischen Ordnung zu führen, die Unterdrückung und Entrechtung ausschließen und eine für alle zumutbare Ordnung erhalten soll.

IV Zu Aufbau und Organisation des Lehrgangs

Den im Abschnitt II bezeichneten Zielen des Lehrgangs und der Mehrdimensionalität aller wichtigen Gegenstände der Politischen Welt-kunde entspricht der Aufbau des Unterrichts nach Themenkreisen, die von mehreren Seiten anzugehen sind.

In diesen Themenkreisen kann sich keine Vollständigkeit und keine historische, politikwissenschaftliche, geographische Systematik repräsentieren, auch kein Stoffkanon, wie er für die Mittelstufe nötig ist; hier muß das Prinzip der Stellvertretung im wesentlichen gelten. Der Lehrer sollte bei der Auswahl und Behandlung der Themenkreise nicht an stoffliche Forderungen gebunden sein, um so strenger dafür an die von den Funktionszielen bestimmte Aufgabe. Er muß die Möglichkeit haben, seine wissenschaftliche Vorbereitung, auch besondere Fähigkeiten und Neigungen, soweit sie der Aufgabe dienen können, ins Spiel zu bringen, neue Gegenstände im Unterricht zu erproben und sich bei der Wahl der Themen auch der Eigenart und Begabung der Klasse anzupassen. Stoffliche Verzichte müssen in Kauf genommen werden; man kann sich mit ihnen abfinden, wenn man mit der Erkenntnis ernst macht, es sei besser, daß jemand weniges recht tut als vieles halb und wenn er „in dem Einen, was er recht tut, das Gleichnis sieht von allem, was recht getan wird".

Das Gutachten verzichtet darauf, den bereits vorliegenden Themenkatalogen einen weiteren hinzuzufügen; es weist aber auf einige Gesichtspunkte hin, die Auswahl, Abgrenzung und Behandlung der Sachgebiete bestimmen sollten. 1. Die Themen oder Themenkreise der Politischen Weltkunde sollten den Eingang in die Situation oder in die Fragestellung erkennen lassen, die sich an konkrete Erscheinungen des geschichtlich-politischen Lebens anknüpft. Sie sollten nicht dazu verführen, Stoffmassen unter sogenannten Leitideen oder Sammelbegriffen anzuhäufen, wie es bei Längsschnitten oft der Fall ist. Hier besteht gerade für den historisch-geographischen Bereich die Gefahr, daß die verkürzten Ergebnisse der Fachwissenschaften den Zugang zur inneren Vorstellung und zum Verständnis verschütten. Es empfiehlt sich also, nicht „Wirtschaftstheorien und Wirtschaftsformen im Wandel der Zeiten"

abzuhandeln, sondern — um nur ein Beispiel zu nennen — die Industrielle Revolution in einem überschaubaren Raum, etwa in der engeren Heimat, darzustellen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Wirtschaftsformen und Sozialstrukturen, vorausgehenden wie folgenden, schließt sich von selber an. 2. Andererseits sollten Vorgänge, Gestalten und Probleme nicht isoliert und zu psychologischen oder moralischen Exempeln gemacht, auch nicht um des Vergleichs oder der Analogie willen in ein konstruiertes Bezugssystem eingeordnet werden. Von ihrem Hintergrund gelöst und aus den Situationsbedingungen entlassen, verlieren sie ihren Verhältniswert und ihre geschichtliche Relevanz. 3. Die Themen sollten zwar großräumig sein und dem Lehrer Freiheit gewähren, ihn aber nicht in die Gefahr dei Planlosigkeit und Beliebigkeit bei der Auswahl der konkreten Gegenstände bringen. Wo der Anspruch auf Überblick und Wesensschau zugleich erhoben wird (z. B. „Staat — Wirtschaft — Mensch"), entsteht Ratlosigkeit und der Wunsch nach dem Lehrbuch, das solchen Kursus schulgerecht liefert, aber oft, wie die Erfahrung lehrt, als reine Institutionenkunde. Innerhalb von Stichwort-katalogen und Begriffsfeldern („Rechtsstaat —-Verfassungen — Parteien", „Spannungsfelder zwischen West und Ost") lassen sich zwar einschränkende, das Problem konkretisierende Themen ansiedeln; aber man muß sie erst herausfinden, d. h. die dialektische Arbeit, die ein überlegter Themenkatalog schon hätte leisten sollen, muß dann noch getan werden. 4. Fachübergreifende Themen müssen nicht erst eigens ausfindig gemacht werden, sondern die wichtigen Gegenstände der Politischen Weltkunde sind ihrem Wesen nach vieldimensional und müssen innerhalb wechselnder Bezugssysteme interpretiert werden; das heißt, neben den historisch-politischen wollen die soziologischen, geographischen, wirtschaftlichen und psychologischen Faktoren berücksichtigt werden (z. B. bei dem Thema „Der Aufbruch Afrikas"). Junge Menschen erfahren beim Zusammenwirken der Ausgangspunkte und Methoden die offene, in die Zukunft gerichtete Fragestellung und entdecken wie beiläufig Zugänge zu Wissensgebieten, deren Ort man sich merkt, wenn man sie auch noch nicht erobert. 5. Wenn man sich einem Thema zuwendet, das unter den beschriebenen Gesichtspunkten bestimmt worden ist, soll man mit Maßstäben und Methoden arbeiten, die diesem Zeitalter und diesem Fragenkomplex angemessen sind. Es ist nicht ratsam, gleich auf Längs-und Querschnitte, auf Vergleiche und Analogien zu zielen oder sofort mit Fragestellungen und Spekulationen zu kommen, die auf die Gegenwart bezogen sind (vgl. „Staaten in der Bewegung", „Konservative und moderne Lebens-ordnungen", „Die Herrschaftsformen in den Kolonialgebieten", „Demokratie und Despotie im Altertum und in der Gegenwart").

Hier muß das Gewissen des Fachwissenschaftlers sprechen — nicht nur, wo auf Stoffe verzichtet werden muß. 6. Zu warnen ist sowohl vor einem enzyklopädischen Schematismus wie vor der Verknüpfung disparater Gegenstände am Faden des historisch oder politisch Interessanten oder Aktuellen. Wer die schon aufgelokkerte Chronologie, aber immer noch konventionelle Anordnung unserer Geschichtsbücher ganz verläßt, kann in die Gefahr geraten, die Bildungsprogramme von Funk und Fernsehen zum Vorbild zu nehmen. Diese sind aber für ein anderes Publikum entworfen, sie haben eine andere Absicht und eine andere Aufgabe.

In den Lehrgang der Primen gehört die sammelnde und konzentrierte Aufgabe, nicht das weit und flüchtig ausgreifende oder nur orientierende Thema, die zur intensiven Bemühungen auffordernde Fragestellung, nicht die anregend unverbindliche. Ein Thema, das Antworten sammelt, sendet wiederum Fragen aus, deren Richtung und Reichweite nicht von vornherein feststeht, sondern sich aus der Intensität des Wissens-wollens ergibt. Man macht dabei die Erfahrung, daß sich auf diese Weise Gegenstände wieder zueinander ordnen, welche die Chronologie und der fachgebundene Unterricht voneinander getrennt hatten.

Venn Einseitigkeit in der Auswahl oder Diletantismus in der Behandlung der gewählten hemen vermieden werden sollen, wird der ehrgang Politische Weltkunde in den meisten ällen von zwei Lehrern übernommen werden üssen. Ihre Zusammenarbeit kann verschieen geregelt werden. Auf jeden Fall werden ie gemeinsam die Themenkreise auswählen, lie methodischen Zugänge und den Beitrag ler verschiedenen Fächer zu ihnen bestimnen. Sie können dann die Themen so unterinander aufteilen, daß jeder einige von ihnen von einem fachlichen Schwerpunkt aus behandelt. Sie können auch das gleiche Thema nacheinander behandeln und es mit einem Colloquium abschließen, in dem die von den einzelnen Fächern gewonnenen Ergebnisse ineinander verarbeitet oder gegeneinander abgewogen werden. Sie können schließlich gemeinsam unterrichten und ihre Beiträge je nach dem Unterrichtsverlauf geben. Für alle diese — bereits erprobten — Unterrichts-formen gibt es Variationen.

Lehrermangel und Unterrichtstradition begünstigen den getrennten Unterricht, trotz den organisatorischen Schwierigkeiten, die entstehen, wenn mit den Themen auch die Lehrer wechseln sollen. Die verständliche Abneigung vieler Lehrer, ihren Unterricht — und damit das persönliche Element im Bildungsvorgang — mit einem anderen Lehrer zu teilen, wird man im einzelnen Fall respektieren müssen.

Doch sollte man den entgegenstehenden Gesichtskunkt wenigstens genau so ernst nehmen: der deutschen Schule fehlt das intensive Zusammenwirken der Lehrer an einer Klasse, sie ist vom Fachdenken geprägt. Im Lehrgang Politische Weltkunde sind — ähnlich wie im Lehrgang Naturwissenschaft — Aufgaben gestellt, die kooperativ besser erfüllt werden können als von dem einen Lehrer. Es geht nicht nur darum, daß der Lehrer mit den dazu nötigen Lehrbefähigungen noch fehlt, ja daß die ausgewogene und sachlich wohlfundierte Behandlung der verschiedenartigen Gesichtspunkte nur schwer von einem einzigen Lehrer erwartet werden kann, sondern auch darum, daß gemeinsames Unterrichten bei einem solchen Gegenstand, der zur Kooperation drängt, zu einem Exempel dafür werden kann, was Politische Bildung im Geist der Demokratie bedeutet.

Darüber hinaus ist von Fall zu Fall zu bedenken, ob und für welche Lehrgegenstände man Fachleute — Richter, Ärzte, Kommunalbeamte, Parlamentarier, Vertreter der Sozialpartner, Publizisten und andere — heranziehen kann. Sie wirken ja an der politisch-sozialen Erziehung in spezifischer Weise mit und können dem Unterricht anschauliche Erfahrungen zubringen, über die der Lehrer meist nicht verfügt. Allerdings gehören dazu Neigung, Eignung und Takt; man muß den Fachleuten zudem eine genaue Vorstellung vom Sinn ihres Beitrags geben, und ihre Mitwirkung muß mit dem Lehrer so abgesprochen werden, daß sie sich dem Themenkreis wirklich einfügt.

V Zur Ausbildung der Lehrer

Es bedarf keiner Begründung, daß, wie alle in einer Wissenschaft gründenden Fächer der Höheren Schule, sowohl die Sozialkunde wie die Politische Weltkunde Lehrer brauchen, die eine spezifische Ausbildung für ihren schulischen Auftrag an der Universität erhalten haben. Das ist für politikbezogenen Unterricht um so nötiger, als das wissenschaftliche Studium zwar nicht die alleinige, aber doch eine unerläßliche Voraussetzung dafür ist, daß der Unterricht nicht in politische „Schulung" oder gar Propaganda abgleitet. Daraus ergibt sich zunächst, daß die in einigen Bundesländern bereits eingeführte Sozialkunde-Fakultas im Rahmen der Prüfung für das Höhere Lehramt von allen Ländern vorgesehen werden muß. Eine verantwortbare wissenschaftliche Fundierung werden die Sozialkunde und ihr Beitrag zur Politischen Weltkunde erst erhalten, wenn die Fakultas für sie — als Hauptfach, zweites oder weiteres Fach — erworben werden kann. Für den Übergang empfiehlt sich eine Ergänzungsprüfung in der Sozialkunde als Zusatz-fach, für bestimmte Studienrichtungen auch in Form einer Eignungsprüfung für Sozialkunde, die im Studienseminar abgelegt werden könnte.

Da die persönliche Eignung des Lehrers für Sozialkunde sich nicht auf bestimmte Fachrichtungen beschränkt, sollten die Kombinationsmöglichkeiten weit gehalten werden. Auch dem Naturwissenschaftler sollte es möglich sein, sich in der Sozialkunde einen weiteren Schwerpunkt seiner pädagogischen Tätigkeit zu schaffen.

Für die Politische Weltkunde kann es eine einzige Fakultas nicht geben. Die Schwerpunkte liegen auf den Fachbereichen Geschichte und Sozialkunde. Die Universität und die Schulverwaltungen werden also außer auf die Förderung der Kombination von Geschichte und Geographie auf Ausbildungsgänge und Prüfungsbestimmungen bedacht sein müssen, in denen Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft sich treffen; unter deren ordnender Leitung können innerhalb eines solchen Ausbildungsganges die anderen beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen — Geographie, Soziologie, Nationalökonomie, Staatswissenschaft — ihre Beiträge in der nötigen Koordination und Konzentration leisten. Die dazu an der Universität einzurichtenden Lehrveranstaltungen verlangen eine Beweglichkeit, deren Voraussetzungen noch geschaffen werden müssen. Für die Universitätsneugründungen sind Überlegungen dieser Art im Gange.

VI Die Stoffgebiete der Sozialkunde und Gesichtspunkte für ihre Behandlung — ein Exkurs

Die Politische Weltkunde stellt alle an ihr beteiligten Fächer vor neue Aufgaben. Es gilt nicht nur, in den Primen Gegenstände und Methoden auf die Ziele des Lehrgangs abzustimmen. Auch im Mittelkurs werden Auswahl und Gliederung der Stoffe sich ändern müssen, wenn am Ende der Obersekunda der Unterricht in der Geschichte, Geographie und Sozialkunde zu einem ersten Abschluß gebracht und die neue Arbeitsweise der Primen vorbereitet sein soll.

Diese Aufgaben treffen das noch junge Fach Sozialkunde in einer anderen Situation als die Geschichte und die Geographie, die in unserer Schultradition fest verwurzelt sind. Denn der langjährige Prozeß, in dem der wissenschaftlichen Durchleuchtung von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Bildungsmöglichkeiten abgewonnen werden, ist noch nicht abgeschlossen; die didaktische Arbeit für die Politische Weltkunde muß sich also verknüpfen mit den Bemühungen um die wissenschaftliche und pädagogische Konstituierung des Faches Sozialkunde selber. Deshalb folgt den Vorschlägen für die Politische Weltkunde hier ein Abschnitt, in dem die Kenntnisse und Einsichten bezeichnet sind, die in der Sozialkunde vermittelt werden müssen, und der Stoffbereich dieses Faches abgegrenzt wird.

Mehr noch als andere Bildungsbereiche ist die Politische Bildung der Gefahr ausgesetzt, die Wirklichkeit zu verfehlen, indem sie sich an vergangenen gesellschaftlichen und politischen Ordnungsformen — auch innerhalb der Demokratie — oder an Wunschbildern orientiert, indem sie sich auf die Kunde vom statisch verstandenen System der politischen Institutionen beschränkt oder indem sie bei der Lehre von politischen Ideen und Theorien stehen bleibt. Man wendet sich mit Recht gegen den bloßen Aktualismus, der keine bildenden, politisch wirksamen Einsichten am Ursprung aller Politik, also Ordnungseinsichten erbringt; aber in der Aktualität wird doch das eigentlich Politische, die Politik im Akt greifbar. Man wendet sich mit Recht gegen Propaganda für eine bestimmte Partei in der Politischen Bildung; aber in den Parteien vollzieht sich doch zu einem wesentlichen Teil der politische Prozeß in der Demokratie. Man wendet sich mit Recht gegen die Grundsatz-und Ideenlosigkeit sogenannter Realpolitik; aber die Politik ist ein sehr reales Geschäft und hat es mit den wirklichen Menschen, also mit Interessen, mit Macht und Ohnmacht zu tun. Die Politische Bildung darf davon nicht absehen.

Politische Bildung soll zum Verständnis dieser gegenwärtigen Welt, ihrer politischen Gefüge, der darin wirksamen politischen Ideen, ihrer politischen Aufgaben führen und dadurch den Bürger befähigen, seinen politischen Ort selbst zu bestimmen und im Maß seiner Möglichkeiten politisch tätig zu werden. Das kann nur gelingen, wenn die ideellen und realen Voraussetzungen einer demokratischen Ordnung im 20. Jahrhundert sichtbar gemacht und diese Einsichten zugleich ständig in die Bereiche überführt werden, worin sie die Form der Aufgabe erhalten. Der Versuch, Politik allein von der Idealität her verständlich zu machen, führt früher oder später zur Desillusionierung durch die Wirklichkeit und endet in politischer Abstinenz. Die Substanz der Demokratie beruht zwar auf gültigen Erkenntnissen vom Menschen und seinen Ordnungen, die eindrücklich vermittelt werden müssen; politische Vorstellungen von einer wünschenswerten und möglichen Gesamtordnung sind aber nicht absolute Gültigkeiten — von ihnen käme man notwendigerweise zu autoritären Lösungen —, sondern auf Ideen bezogene Entwürfe. Ein nach solchem Entwurf errichteter Bau wird nie dem ursprünglichen Plan voll entsprechen; zuviele nicht vorhersehbare Einwirkungen, Teile aus anderen Ordnungsvorstellungen haben ihn verändert. Die Sozialkunde muß diesen Entwurfcharakter politischer Ordnungsbilder nahebringen, um dem unpolitischen Perfektionismus vorzubeugen, und die Notwendigkeit des Ausgleichs der politischen Differenzen einer demokratischen Gesellschaft von Fall zu Fall einleuchtend machen.

Dieser Forderung stehen zwei Haltungen entgegen: Die eine ist auf den Verfassungstext festgelegt und vernachlässigt die Verfassungswirklichkeit, die doch der geschriebenen Verfassung annähernd sie entspricht oder nur sogar in vielfältigen Wandlungsvorgängen unterlaufen kann; die andere drückt sich pädagogisch im Konstatieren und Beschreiben dessen aus, was ist. Beide Haltungen verstehen die Demokratie nicht als politischen Prozeß; sie übersehen, daß freiheitliche Grundrechte erst dann für alle gesichert sind, wenn sie auch in soziale, wirtschaftliche, bildungspolitische Maßnahmen verwandelt worden sind; sie verkennen den Herrschaftscharakter auch der Demokratie, in der aber Herrschaft nicht Privileg ist, nicht in der persönlichen Verfügungsgewalt des oder der Herrschenden steht, auch nicht „charismatisch" begründet ist, sondern rational; sie unterschlagen die Bedeutung der kritischen Wachsamkeit und die Notwendigkeit, diese Wachsamkeit in politischen Einrichtungen mit wirksamer Kontrollgewalt und in der öffentlichen Kritik — die freilich verantwortungsbewußte und zu verantwortende Kritik sein muß — zu institutionalisieren. Es ist also nötig, Politische Bildung so anzulegen, daß der politisch Gebildete imstande ist, Herrschaftsverhältnisse auf Sinn und Ziel der demokratischen Verfassung hin zu prüfen und zu durchschauen. Er muß sie auf ihre sozialen Voraussetzungen, ihre ökonomischen Grundlagen und gegebenenfalls ihre ideologischen Tarnungen zurückbeziehen können und darf politische Ideen nicht als irreale Utopien oder bloße Ideale verstehen, deren unvollkommene Realisierung dann zu beklagen ist, sondern eben als Entwürfe auf eine zumutbare Ordnung hin. Schließlich ist es auch unumgänglich klar zu machen, daß gerade um der Freiheit des einzelnen willen dem Staat gegeben werden muß, was er braucht, damit er die gesetzte Ordnung erhalten und durchsetzen kann.

Vor allem aber muß eine Politische Bildung, die ihren Ort zwischen der bloßen Idealität und der bloßen Aktualität finden will, auf die Erkenntnis Wert legen, daß es im demokratischen Prozeß fast immer mehrere Lösungsmöglichkeiten gibt, daß man nie sicher im voraus weiß, ob die eigene Lösung sich wirklich als die mögliche und richtige erweisen wird, und daß alle Diktatur im Grunde aus der verführerischen Kraft absolut gesetzter politischer Ideale stammt. Politik ist ein nüchternes Handwerk; Wunschbilder können das Mögliche verhindern. Das Mögliche ist aber unter den Bedingungen einer offenen Gesellschaft sehr oft das demokratisch Richtige, jedenfalls das, womit man sich — wenigstens vorläufig — abzufinden hat, wenn der Friede und die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung es verlangen. Was freilich das Mögliche ist, kann erst in der Auseinandersetzung selbst erfahren werden; ein kluger Politiker kann die Grenzen des Möglichen hinausschieben, die Machtverhältnisse bestimmen sie mit. Politische Bildung darf die Kategorie des Möglichen nicht vernachlässigen, muß aber zugleich deutlich machen, daß der Raum des Möglichen durch die Grundrechte definiert, das heißt begrenzt ist; die Warnung vor Wunschbildern ist also nicht die Empfehlung politischer Grundsatzlosigkeit, die in reinen Machtkampf mündet. Demokratische Macht-anwendung steht unter der Kritik im Blick auf ihren Dienst an der Ordnung des Gemeinwesens. Für diese Ordnung gibt es auch innerhalb der demokratischen Definition konkurrierende Vorstellungen und Entwürfe; die Warnung vor idealistischer Ausschließlichkeit gilt für diese innerdemokratische Konkurrenz. In solchen Erwägungen sind die Formulierungen der Ziele und Aufgaben in Abschnitt II mitbegründet. Aus ihnen ergeben sich auch die Stoffbereiche der Sozialkunde und die Gesichtspunkte für ihre Behandlung. 1. Gegenstandsgemäße Betrachtungsweise, die Möglichkeit zutreffenden Urteilens und richtiges politisches Verhalten setzen ein kritisches Bild von der modernen Gesellschaft und ein geschärftes, auch ethisch-politisch bestimmtes Bewußtsein des eigenen Standortes in ihr voraus.

Das politische Handeln in der Bundesrepublik und in allen Ländern Europas richtet sich auf neuzeitliche Gesellschaftsformen, die dort im Werden und noch offen sind;

die Planung in den Entwicklungsländern zielt auf eine Gesellschaft der Zukunft mit eigenen Strukturen, die aber in Formen der Industriegesellschaften vorgebildet sind.

Wer die fundamentalen Voraussetzungen und die strukturellen Zusammenhänge der modernen Gesellschaft nicht kennt, denkt und handelt politisch blind.

Diese Gesellschaft ist von Arbeit und Wirtschaft in besonderem Maße bestimmt. Wer die Schule verläßt, muß also eine Anschauung und einige Grundbegriffe davon haben, wie die moderne Wirtschaft Bedürfnisse befriedigt und nach welchen Prinzipien die Wirtschaftsgesellschaft geworden ist, was Arbeitsteilung bedeutet und welche Folgen sich aus ihr ergeben, was der moderne Markt und der internationale Wirtschaftsaustausch sind, wie sich im modernen Unternehmen die Technik auswirkt, wie Einkommen gebildet wird und was sich aus alledem für die soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit ergibt. 2. Politisches Urteilen und Handeln setzt die Kenntnis der Formen der Willensbildung und Willensdurchsetzung, also der Herrschaftssysteme voraus. Im geteilten Deutschland und in der geteilten Welt ist der Systemvergleich unentbehrlich. Dabei muß die deutsche Erfahrung deutlich werden, wie tief das jeweilige Herrschaftssystem die seelische und geistige Daseinsform jedes einzelnen und sein persönliches Schicksal bestimmt. Die Kenntnis der Herrschaftssysteme darf sich nicht in Verfassungs-und Institutionenkunde erschöpfen, sondern muß von den Bedürfnissen ausgehen, deretwegen sie geschaffen worden sind, und den kritischen Sinn dafür wecken, ob sie ihren Zweck erfüllen. Sie muß vor allem auch die Erkenntnis herbeiführen, daß ein Herrschaftssystem eines ausgebildeten, unabhängigen Rechtssystems bedarf, wenn die Gefahr gebannt werden soll, daß es zum Mittel bloßer Machtausübung wird. 3. Politisches Urteilen ist heute an die Kenntnis der internationalen politischen Zusammenhänge gebunden, die das eigene Gemeinwesen mitbestimmen. Das beginnt mit der Vermittlung des einfachen Wissens davon, wie in einem anderen Land wirtschaftlich, sozial und kulturell gelebt wird, führt zur Betrachtung der Wege, auf denen dort politische Entscheidungen zustande kommen und verwirklicht werden, und endet bei der Analyse der bestehenden und der möglichen Konstellationen. 4. Das alles kann im Rahmen der bloßen Information bleiben. Sie ist wichtig und darf nicht zu kurz kommen; aber politisch gebildet ist nur, wer erkannt hat, daß jedes politische Urteil auf Werterfahrungen und Wertüberzeugungen ruht, und wer in Kenntnis einer politischen Ideenlehre als konzentrierender Deutung der politischen Grundkräfte fähig ist, sein eigenes politisches Urteil auf normative Grundlagen zurückzubeziehen, nachdem er die ihm zugänglichen Informationen benutzt und gewogen hat.

Die in diesen vier Punkten genannten Stoff-bereiche gelten sowohl für die Mittel-wie für die Oberstufe, jeweils in der der Altersstufe angemessenen Lehrweise. Dabei ist das methodische Prinzip „Vom Nahen zum Fernen", also von der Familie zum Staat, von der Gemeinde zum Bund u. ä., mit kritischem Bewußtsein anzuwenden. Familie und Gemeinde sind politische Modelle und dürfen auch um ihrer selbst willen nicht vernachlässigt werden. Aber die Analogien zu den größeren politischen Bereichen stimmen nicht durchweg, und das räumlich Nahe ist dem Interesse junger Menschen nicht immer das Nächste. Darum ist die Erziehung zum Gemeindebürger eine pädagogische Aufgabe eigenen Gewichts.

Für die Methode wie für die inhaltliche Akzentuierung ist zu bedenken, daß der Generationsunterschied zwischen Schülern und Leh-rern in unserer sich so schnell wandelnden Welt in keinem Bildungsbereich so wichtig ist wie im politischen. Was die Lehrer selbst erlebt haben, ist für die Schüler bereits Geschichte. So wirken die Lehrer der Zeitgeschichte je nach ihrem Alter auf ihre Schüler nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Augenzeugen und mitverantwortliche Zeitgenossen geschichtlicher Ereignisse. Erfahrungen warnen davor, diesen Gesichtspunkt zu vernachlässigen und den Abstand zwischen den Generationen zu übersehen.

Fussnoten

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