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Die Entwicklung der deutschen Selbstverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg | APuZ 18/1965 | bpb.de

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APuZ 18/1965 Verlorener Sieg? Das Problem der „Behandlung Deutschlands" Umrisse eines Schlagwortes des Epochenjahres 1945 Die Bedeutung der Besatzungszeit 1945 -1949 Die Entwicklung der deutschen Selbstverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Entwicklung der deutschen Selbstverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg

James K. Pollock

Nach der Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 7. und 8. Mai 1945 übernahmen die siegreichen Alliierten am 5. Juni „die oberste Regierungsgewalt in Deutschland einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Landes-, Stadt-und Gemeindeverwaltungen". Da es keine zentrale Regierung oder Behörde in Deutschland gab, die die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung übernehmen konnte, mußte die Verwaltung des Landes notwendigerweise in die Hände der vier Militärmächte übergehen, die Deutschland gemeinsam besiegt hatten. Diese Aufgabe wurde ursprünglich in jeder Zone so erfüllt, wie es die jeweilige Besatzungsmacht für richtig hielt. Nach der Errichtung des Alliierten Kontrollrats im Juli und der Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens im August bestimmten die vier Besatzungsmächte, die den Wiederaufbau und die Entwicklung Deutschlands in den Jahren unmittelbar nach dem Kriege beaufsichtigen sollten, die Politik und den Apparat, durch den sie verwirklicht werden sollte.

Nach dem Potsdamer Abkommen gehörte es zu den Zielen der Besetzung, „die endgültige Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage" vorzubereiten und die Verwaltung Deutschlands „in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und der Entwicklung einer örtlichen Selbstverantwortung" durchzuführen. Zu diesem Zwecke sollte „die lokale Selbstverwaltung ... in ganz Deutschland nach demokratischen Grundsätzen, und zwar durch Wahlausschüsse (Räte), so schnell wie es mit der Wahrung der militärischen Sicherheit und den Zielen der militärischen Besatzung vereinbar ist, wiederhergestellt" werden. Ferner sollte „der Grundsatz der Wahl-vertretung ... in die Gemeinde-, Kreis-, Provinzial-und Landesverwaltungen, so schnell wie es durch die erfolgreiche Anwendung dieser Grundsätze in der örtlichen Selbstverwaltung gerechtfertigt werden kann, eingeführt werden". Eine Zentralregierung sollte bis auf weiteres nicht errichtet werden, dafür aber „einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen". Bedauerlicherweise gelang es den vier Mächten im Alliierten Kontrollrat in Berlin nicht, sich über die Durchführung dieser konstruktiven Maßnahmen zum Wiederaufbau der deutschen Selbstverwaltung zu einigen. Die verschiedenen Militärregierungen in den vier Besatzungszonen sahen sich daher gezwungen, ihre eigenen Wege zu gehen und eigene Zeitpläne aufzustellen. In der britischen und in der russischen Zone wurden zonale Verwaltungen für Lebensmittelversorgung, Verkehrs-und Finanzwesen usw. von den Militärregierungen geschaffen, um zu versuchen, das Vakuum, das der Zusammenbruch der deutschen Regierung hinterlassen hatte, auszufüllen. Im Juli und August 1945 bemühte sich die amerikanische Militärregierung, den Kontrollrat dazu zu überreden, bestimmte zentrale deutsche Verwaltungen zu errichten, um dem Chaos, das zu dieser Zeit auf dem Gebiet des Verkehrs, des Post-und Fernmeldewesens, des Außenhandels, der Industrie und der Finanzverwaltung bestand, ein Ende zu setzen.

Aber der französische und der russische Militärgouverneur weigerten sich, diese und andere Vorschläge in die Tat umzusetzen, die notwendig gewesen wären, um eine normale Verwaltungstätigkeit wiederherzustellen, und so mußte diese Aufgabe zonenweise durchgeführt werden. Als der gemeinsame alliierte Apparat immer weniger funktionierte, mußte jeder Militärgouverneur auf eigene Weise versuchen, nicht nur Leben und Ordnung zu erhalten, sondern auch den Wiederaufbau einer demokratischen Ordnung in Deutschland zu fördern.

Die ersten Schritte in dieser Richtung wurden von den Amerikanern unter General Clay unternommen. Trotz der ungewöhnlichen Verwaltungsstruktur der amerikanischen Zone wurden so rasch wie möglich Länder gebildet und deutsche Politiker mit ihrer Verwaltung betraut. Das geschah auf Grund der Proklamation Nr. 2 der amerikanischen Militärregierung vom 19. September 1945, durch die Bayern, Hessen und Württemberg-Baden als Länder geschaffen wurden. Die Freie Hansestadt Bremen wurde offiziell erst 1947 als Land gebildet, nachdem die verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten mit der die Stadt umgebenden britischen Zone beseitigt worden waren, wurde aber schon vorher als Land behandelt. Auf diese Weise setzten die Amerikaner nur wenige Monate nach der Kapitulation die deutsche Selbstverwaltung auf Länderebene wieder ein. Die Russen hatten inzwischen in ihrer Zone fünf Länder gebildet, die jedoch der Aufsicht von elf zentralen Zonenverwaltungen unterstanden.

Kurz danach, am 17. Oktober 1945, wurden die drei Ministerpräsidenten der amerikanischen Zone zusammen mit dem Bürgermeister von Bremen nach Stuttgart gerufen, wo sie mit der Billigung General Clays den Länderrat gründeten.

Bei dieser Zusammenkunft der vier Ministerpräsidenten sagte General Clay: „Vier Länder stehen unter Ihrer Verantwortlichkeit ... Eine Koordination dieser vier Länder ist aber notwendig; sie zu schaffen ist Ihre Aufgabe. Wir haben die Ministerpräsidenten dieser Länder zusammengerufen, um ein solches Instrument für Zusammenarbeit zu schaffen, und zwar mit dem Sitz in Stuttgart . .. Wir wollen, daß Sie in dieser Konferenz eine Geschäftsordnung aufstellen ... Wir wollen Ihnen behilflich sein, die Ihnen übertragenen Aufgaben durchzuführen. Aber die Verantwortlichkeit liegt bei Ihnen.“ Zum Schluß seiner Ausführungen erklärte er: „Die heutige Konferenz ist ein großer Schritt vorwärts, um die Verantwortlichkeit in die Hand der deutschen Regierungen zu legen und die Koordinierung der einzelnen Länder zu gewährleisten."

In der Zeit von 1945 bis 1948 hatte der Länder-rat, der seinen Sitz in der Villa Reitzenstein in Stuttgart hatte, beachtlichen Anteil am Wiederaufbau der notwendigen deutschen Institutionen. Es gelang ihm, Männer wie Heuss, Erhard und Schmid als Mitarbeiter zu gewinnen, die neben den sehr aktiven und bedeutenden Ministerpräsidenten der Länder nach der Gründung der Bundesrepublik noch eine wichtige Rolle spielen sollten. Außerdem diente der Länderrat als Zentrum, in dem deutsche führende Persönlichkeiten aus anderen Zonen, darunter Adenauer, Kopf und Schumacher, zu Diskussionen und Besprechungen zusammenkamen. Damit wurde er zum Sammelpunkt, um den sich konstruktive Bemühungen um den Wiederaufbau des deutschen Staates kristallisieren konnten; er stellte politische Richtlinien auf und brachte die Menschen zusammen, die zur Bewältigung der ungeheuren Aufgaben gebraucht wurden. Der Länderrat stellte in der Tat den ersten echten Schritt vorwärts beim Wiederaufbau der deutschen Verwaltung dar; seine Leistungen flößten einem Volk, das sich am Rande der Verzweiflung befand, neue Hoffnungen ein.

Rückblickend kann man heute auch sagen, daß der Länderrat die Keimzelle für weitere bedeutsame Entwicklungen war, denn aus ihm ging erst die Bizone und schließlich die Trizone — die heutige Bundesrepublik Deutschland — hervor. Wie Hermann Dietrich bemerkt: „In diesem Länderrat ist die Keimzelle zur Wiedererstehung eines deutschen Staates und Reiches zu sehen." So arbeitete diese erste deutsche gemeinschaftliche Selbstverwaltungseinrichtung erfolgreich an der Weiterentwicklung der amerikanischen Zone; darüber hinaus wurde sie zu einem Zentrum der Arbeit, des Meinungsaustausches und des Ansporns für umfassendere Bemühungen der Deutschen um die Entwicklung eines neuen demokratischen Systems. Die Worte, die Professor Dr. Geiler, der erste Ministerpräsident Hessens, bei der ersten Sitzung des Länderrats aussprach, hatten prophetischen Charakter: „So steht über unseren Verhandlungen und Beratungen ein doppelter Gedanke. Der eine ist die Förderung des Wohles des einzelnen Landes, der andere der darüber hinausgehende feste Wille, durch eine weitgehende Rechts-angleichung die Länder der amerikanischen Zone und möglichst auch die anderen Länder zu Pfeilern zu machen, auf denen, wenn die Zeit gekommen ist, über all den Trümmern und Ruinen, in denen das so schmählich zusammengebrochene Nazisystem unser armes Deutschland zurückgelassen hat, der Neuaufbau des Reiches auf demokratischer und rechtlicher Grundlage erstehen kann."

Gleichzeitig mit diesen Vorgängen auf höchster Ebene ordnete General Clay im September 1945 in der amerikanischen Zone Wahlen in den Gemeinden und Ländern an, damit die deutschen Wähler ihre Beamten, die bisher von der Militärregierung ernannt worden waren, selber wählen konnten. Hiermit wurden die grundlegende amerikanische Direktive JCS 1067 sowie das Potsdamer Abkommen verwirklicht. Diese ersten Wahlen nach dem Kriege fanden von Januar bis Juni 1946 statt und führten bis zum Ende des Jahres schließlich zur Annahme neuer Länderverfassungen sowie zur Einsetzung gewählter Repräsentanten auf allen Ebenen. Nach der langen Zeit der nationalsozialistischen Diktatur waren die Deutschen nun, von einer allgemeinen Kontrolle durch die Besatzungsbehörden abgesehen, wieder „Herr im Hause". In der Verwaltung der Länder, Landkreise und Städte waren gewählte Repräsentanten im Amt und arbeiteten in einem verfassungsmäßigen Rahmen. In der amerikanischen Zone wurden die Dienststellen der Militärregierung bis auf Reste abgebaut.

Die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Russen und den drei Westmächten über die deutsche Frage wurden von den beiden Außenministerkonferenzen des Jahres 1947 in Moskau und London beleuchtet und unterstrichen. Nach diesen Konferenzen gaben die Franzosen die Hoffnung, zu einem Übereinkommen mit den Sowjets zu gelangen, endgültig auf und erklärten sich bereit, mit den Engländern und Amerikanern zusammenzuarbeiten, damit wenigstens Westdeutschland eine eigene Regierung erhielt. Als die drei Westmächte im Februar 1948 in London zu einer Konferenz zusammenkamen, war die deutsche Selbstverwaltung in den drei westlichen Zonen schon weitgehend Tatsache geworden. Die Sowjets hatten zwar Wahlen abgehalten, aber das Ergebnis kann kaum als demokratisch bezeichnet werden.

Einen anderen Aspekt der Entwicklung der deutschen Selbstverwaltung nach dem Kriege stellt die Gründung der Bizone dar. In diesem wirtschaftlichen Zusammenschluß der amerikanischen mit der britischen Zone — Rußland und Frankreich weigerten sich, ihre Zonen anzuschließen — standen deutsche Vertreter der beiden Zonen an der Spitze eines komplizierten Verwaltungsapparates. Da die Engländer den Ländern ihrer Zone zu dieser Zeit noch keine umfassenderen Befugnisse gewährt hatten, wurde die britische Zone durch die deutschen Leiter der zentralen Zonenverwaltungen vertreten, während der Länderrat die deutschen Vertreter der amerikanischen Zone ernannte.

Die Arbeit in der Bizonenverwaltung, obwohl in mancher enttäu Hinsicht schwierig und - schend, ermöglichte es den deutschen Verwaltungsbeamten, weitere gründliche Erfahrungen zu sammeln, während die häufigen Konferenzen der Ministerpräsidenten, denen der Länderrat als Vorbild diente, ein verantwortungsbewußtes Gremium für die Erörterung der weiteren Entwicklung bildeten.

So kam es dazu, daß die drei Westmächte die Ministerpräsidenten der Länder als die legitimen Vertreter des Volkes betrachteten und sie mit den Vorbereitungen für den Entwurf einer Verfassung für alle drei westlichen Zonen beauftragten. Der Länderrat in Stuttgart, die Wahlen in den Gemeinden, Kreisen, Städten und Ländern, die Bizone und schließlich die Wahlen in der Trizone und der Parlamentarische Rat — das alles sind Stufen einer folgerichtigen Entwicklung, die 1949 in der Gründung der Bundesrepublik gipfelte.

Das Potsdamer Abkommen hatte eine demokratische Selbstverwaltung in Deutschland vorgesehen, aber Methode und Verlauf ihrer Verwirklichung in einem Teil des Landes hätte man 1945 nicht voraussehen können. Manchmal schien alles ganz hoffnungslos zu sein.

Aber weder die Starrköpfigkeit der Russen und die Tatsache, daß sie ihre Verpflichtungen nicht einhielten, weder das langsame Tempo und die Skepsis der Franzosen noch die nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, unter denen die Verwaltung auf allen Ebenen arbeiten mußte, konnten die Westdeutschen und die alliierten maßgebenden Persönlichkeiten daran hindern, den heutigen westdeutschen Staat zu gründen.

So hat sich aus dem Chaos, in das der Krieg Deutschland gestürzt hatte, eine auf der Zustimmung des Volkes beruhende demokratische Republik entwickelt. Zwar ist Deutschland auf Grund der Meinungsverschiedenheiten mit den Sowjets leider noch immer geteilt; aber es ist wenigstens zu zwei Dritteln frei und demokratisch, und die drei westlichen Alliierten sind noch immer verpflichtet, sich für die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit einzusetzen. Ohne die hier knapp umrissenen Vorgänge hätte die Entwicklung sehr wohl zu einer Katastrophe für Deutschland — und für die Welt — führen können.

Bibliographie:

Pollock and Meisel, Germany Under Occupation, Ann Arbor 1947.

Lia Härtel, Hrsg., Der Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebiets, Stuttgart 1951.

W. Friedmann, in Allied Military Government Germany, London 1947.

Robert Miller, The South German Länderrat: the Origins oi Post-War German Federalism, Dissertation, University of Michigan 1960. Lucius D. Clay, Decision in Germany, New York 1950.

Reinhold Maier, Ein Grundstein wird gelegt, Tübingen 1964.

Hermann Dietrich, Auf dem Wege zum neuen Staat, Stuttgart 1951.

Fussnoten

Weitere Inhalte

James K. Pollock, o. Professor für Politische Wissenschaften an der Universität von Michigan (Ann Arbor), geb. 25. Mai 1898 in New Castle, Pa., zwischen 1945 und 1950 Berater der Amerikanischen Militärregierung bzw.des amerikanischen Hochkommissars in Deutschland. Veröffentlichungen u. a.: German Flection Administration, 1934; The Government of Greater Germany, 1938; What Shall Be Done with Germany?, 1944; Germany in Power and Eclipse, 1952; German Democracy at Work, 1955; Germany under Occupation (mit Meisel u. Bretton), 1960.