Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die sowjetkommunistische Regionaltaktik für Westeuropa Zur Problematik politökonomischer Analysen | APuZ 37/1968 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 37/1968 Die Tschechoslowakei und der sozialistische Internationalismus in Aktion Die sowjetkommunistische Regionaltaktik für Westeuropa Zur Problematik politökonomischer Analysen

Die sowjetkommunistische Regionaltaktik für Westeuropa Zur Problematik politökonomischer Analysen

Hans Lades

In kommunistisch regierten Ländern, aber auch bei den größeren nichtregierenden kommunistischen Parteien, gehören die Beobachtung und die Analyse westlicher Industriegesellschaften zur Aufgabe der Politökonomen. Partei-eigene Forschungszentren, in denen die Beschäftigung mit der sogenannten politischen Ökonomie des Kapitalismus eine wichtige Rolle spielt, können seit einiger Zeit als eine Art Instituts for Strategie studies gewertet werden. Ob solche Analysen gut oder schlecht ausfailen — ihre Bedeutung für die politischen Führungen ist traditionell groß. Streiflichter sollen einige Momente des vielschichtigen Problems sichtbar machen.

I. ökonomische Fehlprognosen und der Beginn des amerikanisch-sowjetischen Konflikts

INHALT I. Ökonomische Fehlprognosen und der Beginn des amerikanisch-sowjetischen Konflikts II. Die „dritte Etappe" der allgemeinen Krise des Kapitalismus und die „friedliche Koexistenz"

III. „Staatsmonopolistischer Kapitalismus"

im Westen — ökonomische Reformdiskussion im Block — Konvergenztheorie IV. Eine neue Regionaltaktik für Westeuropa 1. Die Taktik des „Dialogs" in Italien und das internationale Marxisten-Kolloquium in Rom (Juni 1965)

2. Die Taktik des „Dialogs" in Frankreich und die inter

Ein spektakuläres Beispiel ökonomischer Fehl-prognosen spielt in die Formierung der amerikanisch-sowjetischen Konfliktbeziehungen am Ende des Zweiten Weltkrieges hinein.

Der Konjunkturzyklus wird abgeflacht Bild 5 Das „kapitalistische System“ — unangreifbar? Regulierungsapparat des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ Die „Flut-Periode der Revolution" verschwindet.

Nach dem Tode Roosevelts war der amerikanische Botschafter in Moskau, Averell Harriman, zur Berichterstattung nach Washington gerufen worden. Die noch in den letzten Lebens-wochen Roosevelts aufgetretenen Spannungen wegen der Behandlung Polens bildeten das erste große Problem, dem sich Truman konfrontiert sah. Die Sowjetführung schien nicht geneigt, die Beschlüsse der Jalta-Konferenz zur Herbeiführung demokratischer Verhältnisse in den befreiten Ländern zu respektieren. Der von Truman übernommene alte Beraterstab Roosevelts glaubte, daß man in dem Angebot enger ökonomischer Zusammenarbeit oder aber in dem Versagen amerikanischer Unterstützung zur Behebung der riesigen sowjetischen Kriegsschäden ein Mittel besitze, mit dem man das politische Verhalten der Sowjetführung beeinflussen könne.

Regulierungsapparat des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ Bild 6 Forcierte Konzentration von Kapital und Produktion Der „Ausbeutungsmechanismus“ des „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“

Erstaunlicherweise berichtete Harriman jedoch, hohe Funktionäre in Moskau seien der Ansicht, daß großzügige amerikanische Lieferungen an die Sowjetunion eine Frage auf Tod und Leben sei — nicht für die Sowjetunion, sondern für die Vereinigten Staaten. Niemand in Washington wußte sich darauf einen Vers zu machen.

Arbeiter u. Angestellte Bauern Bild 7 „Antimonopolistische Koalition“ durch „Taktik des Dialogs“ Regulierungsapparat des „staatsmonpolistischen Kapitalismus“ Forcierte Konzentration von Kapital und Produktion Abwälzung der Kosten auf die „nicht-monopolistischen Schichten“ Der Widerstand der „nicht-monopolistischen Schichten“ beginnt Mittelstand Intelligenz Nichtmonopolistische Kapitalisten Bildung einer „antimonopolistischen“ („antiimperialistischen“, „demokratischen“ usw.) Front durch die „Taktik des Dialo

Diese Ansicht der sowjetischen Funktionäre wird nur dann verständlich, wenn man ihr die ideologische Einschätzung der Ökonomie der westlichen Führungsmacht zugrunde legt:

Bild 8 „Reform als Form der Revolution“

Die USA würden den Übergang von der Kriegs-wirtschaft zur Friedenswirtschaft nicht meistern; eine gewaltige Überproduktionskrise sei unvermeidlich. Die „allgemeine Krise des Kapitalismus" werde in den USA einem neuen Höhepunkt zutreiben analog der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933. Diesen Funk-tionären mußte die Übernahme großer amerikanischer Lieferungen seitens der Sowjetunion geradezu als eine dem Kapitalismus gewährte Gnadenfrist erscheinen. Stalin konnte sich ungerührt in Ost-und Mitteleuropa seine Knochenbrechertaktik leisten und noch darauf spekulieren, daß das wirtschaftlich und sozial zerrüttete Resteuropa über kurz oder lang eine sichere Beute sein werde.

Washington hätte auf eine solche Haltung nicht unvorbereitet sein müssen. Der damalige Charge d'affaires an der amerikanischen Botschaft in Moskau, George F. Kennan, hatte gewarnt: Die Befehlsstruktur der sowjetischen Wirtschaft werde es der Sowjetführung gestatten, nach dem Kriege nicht nur die stärkste Armee der Welt zu unterhalten, sondern auch — auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung — auf Außenhandel notfalls ganz zu verzichten. Sie würde nie eine ökonomische Zusammenarbeit mit den USA durch politisches Wohlverhalten honorieren. Im Gegenteil — weigere sich der Westen, zur Konsolidierung der neugewonnenen sowjetischen Macht in Ost-und Mitteleuropa beizutragen, so müsse er mit dem „Ausstrecken der Krallen" („baring of the fangs") rechnen. „Aber niemand in Moskau glaubt, daß die westliche Welt in der Lage wäre, standhaft zu bleiben, wenn sie einmal dem Wolf des sowjetischen Mißbehagens in voller Lebensgröße gegenüberstünde, wie er an dei Tür steht und droht, das Haus einzuschlagen. Und es ist dieser Un-glaube, auf den die globale sowjetische Politik gegründet ist."

Zwar waren die Meinungen in Moskau nicht einhellig. Ausgerechnet Stalins bisheriger ökonomischer Chefberater, der aus Ungarn stammende Professor Eugen Varga, schloß zu dieser Zeit eine Arbeit über „Veränderungen der kapitalistischen Wirtschaft im Gefolge des Zweiten Weltkrieges" ab. Das Buch, das 1946 erschien, sagte den erfolgreichen Einsatz des amerikanischen Potentials für die ökonomische Rekonstruktion Europas und einen konjunkturellen Aufschwung der westlichen Länder für das nächste Jahrzehnt voraus. Die „Krise des Kapitalismus" wurde um zehn Jahre hinausgeschoben.

Diese Prognose paßte so wenig in die unter dem maßgeblichen Einfluß der Shdanow-Wossnessenskij-Gruppe zustande gekommene und auf einen baldigen Kollaps des Kapitalismus ausgerichtete politische Konzeption der Sowjetführung, daß Eugen Varga auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Moskau (7., 14.

und 21. Mai 1947) stark kritisiert und anschließend seiner Funktion enthoben wurde. Das bis dahin von ihm geleitete „Institut für Weltwirtschaft und Weltpolitik" wurde aufgelöst. Varga, der auf die neuartige ökonomische Führungsrolle des Staates in der westlichen Industriegesellschaft hingewiesen hatte, übte Selbstkritik und schrieb seine politische Ökonomie des Kapitalismus um: Es entstand ein langweiliges Opus, das bei weitem nicht dem Rang dieses sonst so originellen Marxisten entsprach.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob die Spannungshöhe der Konfliktbeziehungen, die man dann etwas unscharf und emotional als „Kalten Krieg" bezeichnete, auf einem mittleren Niveau hätte gehalten werden können, wenn die amerikanische Politik sich schon früher an die Prognose Kennans und die sowjefische Politik sich überhaupt an die Prognose Vargas gehalten hätte.

Als jedenfalls mit Truman-Doktrin und Marshallplan (dessen Vorbereitung Kennans erste Leistung als Chef des politischen Planungsamtes im State Department war) die fast schon sichere Beute „Resteuropa" der Sowjetunion entzogen wurde, erfolgte jenes „baring of the fangs", zu dem die Verketzerung Vargas den ideologischen Auftakt bildete und das sich dann in der Gründung des Kominformbüros, der Zweilagertheorie Shdanows, im Prager Staatsstreich und der Berlin-Blockade manifestierte.

II. Die „dritte Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus und die „friedliche Koexistenz"

Aufschwung Hoch-Konjunktur Bild 1 „Klassischer“ Konjunkturzyklus Abschwung Depression

Stalin selbst hinterließ seinen Nachfolgern eine geänderte Anleitung zum Handeln. In seinen „Ökonomischen Problemen des Sozialismus in der UdSSR" spendete er ihnen den Trost, daß die so wohlgeordnet erscheinende und zur Einheit provozierte westliche Welt sich über kurz oder lang abermals entzweien werde. Sein eigener Versuch von 1952, in der Deutschlandfrage den Hebel anzusetzen, wurde zwar, weil seine westlichen Kontra-henten auf sein Angebot nicht eingingen, zu einer „verpaßten Chance" für ihn. Doch seiner Prognose des Zerfalls des westlichen Lagers entsprach die Intention, die Chruschtschow mit der These von der „friedlichen Koexistenz zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsund Wirtschaftsordnungen, die günstige Voraussetzungen für den weltweiten Klassenkampf schafft", verfolgte. Diese These gewann noch dadurch an Glaubwürdigkeit, daß sie mit Anti-Stalin-Kampagnen verbunden wurde.

Varga wurde schon ein Jahr nach Stalins Tod durch die Verleihung des Leninordens und des Stalinpreises rehabilitiert; das 1947 aufgelöste Institut wurde 1956 mit leicht verändertem Namen als „Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen" wieder eröffnet. Varga selbst war schon zu alt, um die Leitung noch einmal zu übernehmen. Seine Vorstellungen von den Veränderungen des Kapitalismus befruchteten aber allmählich die Arbeiten seiner Nachfolger. Allerdings ging es dabei nicht ohne größere Schwierigkeiten ab.

Averell Harriman, der auf einer Reise durch die Sowjetunion im Frühjahr 1959 die seit seiner Botschafterzeit vor sich gegangenen Änderungen beobachten konnte, besuchte auch dieses Institut. In seinem Bericht („Frieden mit Rußland?", 1959) bezeichnete er es als „eine Einrichtung, die die wirtschaftlichen Bedingungen auf der ganzen Erde beobachtet und die statistischen Daten beschafft, mit denen Chruschtschow und seine Kollegen den künftigen Kurs der Weltgeschichte in Übereinstimmung mit Karl Marx bestimmen können. sch fragte Professor Arsumanjan, den Leiter des Instituts, wie er die Voraussagen Karl Marx'über den Verfall des Kapitalismus mit den Realitäten des amerikanischen wirtschaftlichen Lebens vereinbaren könne. Er entgegnete, daß sich die Voraussagen planmäßig erfüllt hätten, und seine dreißig oder vierzig Kollegen, die sich zu der Zusammenkunft in seinem Büro versammelt hatten, murmelten warmen Beifall. Er hielt dann eine Rede über die Verlangsamung der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung und behauptete, daß das schließlich zur Stagnation und zur Fäulnis bei wachsender Arbeitslosigkeit führen werde. . . . Die nachfolgende Diskussion, an der auch andere Mitglieder des Instituts teilnahmen, zeigte einen solchen Mangel an Verständnis für Amerikas wirtschaftliche Tatsachen, daß ich schließlich vorschlug, die Angehörigen des Instituts sollten ihre Urteile sorgfältiger überprüfen, damit sie nicht, wie andere sowjetische Wirtschaftswissenschaftler vor ihnen, ihre Posten wegen falscher Voraussagen über die amerikanische Wirtschaft verlören.

Chruschtschow gebrauchte die gleichen Zahlen wie diese Wirtschaftler. . . . Ich sagte ihm warnend, daß seine Wirtschaftler sich in ihrer Fehleinschätzung unseres zukünftigen Wachstums gefährlich irrten. Chruschtschow machte dagegen heftigste Einwendungen, und Mikojan unterstützte ihn. Sie behaupteten, daß sie mit der marxistischen Doktrin die amerikanische Zukunft besser analysieren könnten als wir."

Die ideologischen Hemmungen, unter denen die Arbeiten des Instituts standen, erklären sich auch daraus, daß Chruschtschow — unter dem Vorzeichen der friedlichen Koexistenz — eine neue Offensivstrategie entwickeln wollte. Seine Ideologen und Politökonomen hatten ihm für diesen Entwurf die begründenden Theorien zur Verfügung zu stellen.

Wenn man diese Theorien eindampft und kondensiert, dann kommt ein Bild heraus, in dem das gegenwärtige Welttheater sich in ein Drei-Strom-Land verwandelt: Der weltrevolutionäre Prozeß wird nach wie vor als die umgestaltende Krall, des Zeitalters verstanden. Aber er hat sich in drei Ströme geteilt. Der erste Strom geht wie in Nilstroni durch die sozialistischen Länder, befruchtet sie und macht sie reif für den Übergang zur kommunistischen Gesellschaft. Der zweite Strom, noch einigermaßen unreguliert, geht durch die Länder der Dritten Welt, ruft dort die nationalen Befreiungsrevolutionen hervor und veranlaßt beireite Länder, den nichtkapitalistischen Weg zu wählen. Der dritte Strom braust sozusagen unterirdisch in den Ländern der kapitalistischen Welt und entfaltet dort eine Kraft der Erosion von unten her.

Diese drei Perspektiven wurden in immer neuen Schattierungen abgewandelt, von den Moskauer Erklärungen der kommunistischen und Arbeiterparteien von 1957 und 1960 über den XXII. Parteitag 1961 bis zu einer gewissen Zäsur im letzten Drittel des Jahres 1962.

Uni das Wunschbild von einer fortschreitenden Erosion der kapitalistischen Welt möglichst phantasievoll auszugestalten, bereicherten Chruschtschows Ideologen die Vorstellung von der „allgemeinen Krise des Kapitalismus" um eine neue Etappe. Die erste Etappe datierte man auf das Ende des Ersten Weltkrieges, als durch die Oktoberrevolution Rußland aus der „Kette der imperialistischen Staaten" herausgebrochen worden sei. Die zweite Etappe datierte man auf das Ende des Zweiten Weltkrieges, als — zufolge des Sieges der Roten Armee — weitere Kettenglieder heraus-gebrochen wurden.

Um die Möglichkeit einer neuen offensiven Politik gegenüber der westlichen Welt zu begründen, ließ man eine „dritte Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus" Mitte der fünfziger Jahre beginnen — diesmal jedoch ohne Krieg. Da das Atomzeitalter einen Weltkrieg ausschloß, mußte man begründen, warum der Westen ohne großen Krieg sogar noch vorteilhafter bekämpft werden könnte. (Hierin liegt eine der Wurzeln für den Konflikt Moskau — Peking.) Man nahm an, daß drei Faktoren die „dritte Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus" herbeigeführt hätten:

1. Der ökonomische Wettbewerb des sozialistischen Lagers gegen das kapitalistische. „In historisch kürzester Frist" werde man den Kapitalismus „einholen und überholen". Hierin gründen die großen ökonomischen Euphorien, die allesamt in Enttäuschung und Ernüchterung endeten.

2. Der Prozeß der Entkolonialisierung. Er wurde als vom sozialistischen Weltlager erzwungen dargestellt; er würde unaufhörlich zu einer weiteren Schwächung des „imperialistischen Lagers" beitragen. Die Sowjetunion lehne zwar einen „Export der Revolution" ab (hierin liegt ein weiterer Anlaß für den Konflikt mit den Chinesen); wenn jedoch in einem Land eine nationale Befreiungsrevolution ausgebrochen sei, dann werde das sozialistische Lager den „Export der Konterrevolution" verhindern. (Hier der ideologische Ansatzpunkt für die späteren Kampagnen der Sowjets gegen die USA in der Vietnamfrage.) 3. Veränderungen in der kapitalistischen Welt selbst. Hier setzte man den Übergang vom „Monopolkapitalismus" zum „staatsmonopolistischen Kapitalismus" ein, wobei auch einige der Vorstellungen Vargas verarbeitet wurden.

Zunächst war der Begriff des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" nichts anderes als eine von außen herangetragene Leerformel, für die man auf einige Äußerungen Lenins zurückgreifen konnte. In der Vorbereitung des XXII. Parteitages gab es einige Bemühungen, den Begriff mit Inhalt zu füllen. Aber erst vom letzten Drittel des Jahres 1962 an begann man sich intensiver und auf eine neue Art mit dem westlichen Industriestaat auseinanderzusetzen.

III. „Staatsmonopolistischer Kapitalismus" im Westen — ökonomische Reformdiskussion im Block — Konvergenztheorie

1 Einschränkung der Über-2 Dämpfung der Hoch-3 Bild 2 Regulierungsmaßnahmen im „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ Hemmung des Ausbruchs 4 Abschwächung der Krise An die Stelle der heftigen Pendelausschläge des alten Zyklus tritt ein abgeflachter Zyklus 5 Forderung des Austritts aus

Den Markstein bildete die vom Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau vom 27. August bis 3. September 1962 veranstaltete wissenschaftliche Konferenz über den „staatsmonopolistischen Kapitalismus" und eine neue Taktik der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern. Das Grundsatzreferat hielt Prof. Arsumanjan (inzwischen verstorben).

Das nun zunehmende Engagement an dieser Thematik ist aber nicht nur aus dem Interesse zu erklären, eine bessere Grundlage für die ideologische Auseinandersetzung mit dem Westen zu gewinnen. Es wirkten auch andere Momente mit:

1. Die Notwendigkeit, endlich die Steigerung der ökonomischen Effizienz des eigenen Systems ernstlich ins Auge zu fassen, statt sich weiterhin im ökonomischen Wunschdenken zu ergehen. Es ist hierfür bezeichnend, daß kurz nach der Konferenz der bis dahin völlig unbekannte Charkower Professor Liberman jenen Artikel in der „Prawda" veröffentlichte, der dann in den westlichen Ländern so sensationell wirkte, weil mit ihm die ökonomische Reformdiskussion im Ostblock eröffnet wurde. Die Polemik gegen den „staatsmonopolistischen Kapitalismus" bot einen geeigneten Anlaß, das Funktionieren des westlichen Industriesystems zum eigenen Nutzen besser zu studieren. 2. Die Misere des Comecon. Der Wunsch, die ökonomische Effizienz der sozialistischen Volkswirtschaften zu erhöhen, ließ es als peinlich empfinden, daß das sozialistische Gegenstück zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshiile" (Comecon), so schlecht funktionierte. Die sowjetischen Führer hatten die EWG bisher überhaupt nicht ernst genommen. Noch im Sommer 1962 erklärte Chruschtschow seinem Besucher Fanfani: „Dieser Baum wird verdorB ren, noch ehe er Früchte getragen hat." Jetzt aber wurde inan in Moskau — und zwar zuerst auf der Seite der Wirtschaftswissenschaftler -geneigt, aufmerksamer aut die italienischen Genossen zu hören, die schon lange wieder den dogmatischen Stachel gelökt hatten. Nicht zuletzt sie brachten die Sowjets zu der recht unbequemen Einsicht, daß die EWG funktioniere, offensichtlich besser als der Comecon. Das war ein Grund mehr, die Anstrengungen zu verstärken, in den Wirkungsmechanismus des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" einzudringen, und zwar hinsichtlich seiner übernationalen Integrationsmöglichkeiten. 3. Die Kuba-Krise und ihre Nachwirkungen steigerten das Interesse an der systematischen Auseinandersetzung; sie schärfte nämlich auch den Blick der beamteten Ideologen für die westliche „Strategie des Friedens". Diese Friedensstrategie war durch wissenschaftliche Analysen westlicher Sowjetologen und Wirtschaftswissenschaftler über das Sowjetsystem längst vorbereitet; sie war 1960 formuliert und wurde von Kennedy mit Beginn seiner Präsidentschaft übernommen. Nach der KubaKrise kam sie erst recht zur Auswirkung. Vor allem war es die von westlichen Wissenschaftlern entwickelte Konvergenztheorie, nach der sich die beiden gesellschaftlichen Systeme langfristig aufeinander zubewegen würden, die den sowjetischen Funktionären und Wissenschaftlern zu schaffen machte und sie zu lebhaften Protesten veranlaßte. Die Betroffenheit war um so größer, als bei der Vorbereitung der ökonomischen Reformexperimente und den ersten Schritten zu ihrer Verwirklichung von den kommunistischen Parteiführungen selbst die Losung „den Kapitalismus einholen und überholen" durch die Parole „von den Kapitalisten lernen" ersetzt worden war.

Deshalb nahm die Ausarbeitung der Analysen über den „staatsmonopolistischen Kapitalismus" allmählich auch einen apologetischen Zug an. Nicht der Sozialismus konvergiere zur Marktwirtschaft, sondern der „staatsmonopolistische Kapitalismus" nehme bereits teilweise sozialistische Planung vorweg. Der westlichen Konvergenztheorie über den Sozialismus wurde eine östliche Konvergenz-theorie über den Kapitalismus gegenübergestellt.

IV. Eine neue Regionaltaktik für Westeuropa

nach der alten Revolutionslehre Hoch-Konjunktur Bild 3 „Klassischer“ Konjunkturzyklus und Zyklus der revolutionären Bewegung Flut-Periode der Revolution

Der Sturz Chruschtschows wirkte keineswegs hemmend. Die Arbeit der Parteiwissenschaftler intensivierte sich. Man gewinnt sogar den Eindruck, daß die neue Führung in Moskau, aber auch andere Parteiführungen, die neuen Analysen über den westlichen Industriestaat in ihr Lagebild mehr und mehr einbezogen, um daraus zu Schlüssen für Aktionen auf der gesellschaftlichen, aber auch der staatlich-diplomatischen Ebene zu kommen. Begünstigt durch weltpolitische Veränderungen (Auswirkungen der Eskalation in Vietnam, Sonder-kurs de Gaulles) entsteht nun eine neue Regionaltaktik für Westeuropa. Sie ist durch drei Elemente bestimmt:

— Die Theorien über den „staatsmonopolistischen Kapitalismus", •— die „Taktik des Dialogs" zur Vorbereitung „antimonopolistischer Koalitionen", qualitätsmäßig verbesserter Volksfronten in einzelnen Ländern und, die territorialen Aktivitäten übergreifend, — die sowjetische Konzeption eines europäischen Sicherheitssystems ohne die USA.

Waren es bis 1962 die Italiener, die auf eine neue Linie gedrängt hatten, so traten nun auch Ost-Berlin und die KP Frankreichs als Zentren eigener analytischer Arbeiten und besonderer Aktionen hervor.

Diese regionalen Aspekte verdienen Beachtung, wobei auch die Rolle der parteieigenen Forschungszentren zu berücksichtigen ist. Es sind dies in Rom das Gramsci-Institut, in Paris das Maurice-Thorez-Institut und in OstBerlin, wo sich mehrere Institutionen mit der Observation der Bundesrepublik befassen, vornehmlich das Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. 1. Die Taktik des „Dialogs" in Italien und das internationale Marxisten-Kolloquium in Rom (Juni 1965)

Die Kommunistische Partei Italiens hatte in den letzten Jahren längst nicht mehr die prinzipiellen Schwierigkeiten wie z. B. die KP Frankreichs zu überwinden. Ihre Abkehr vom dogmatischen Kurs setzte früh ein. Der Paukenschlag, mit dem Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 die Entstalinisierung einleitete, bedeutete für den damaligen Führer der KP Italiens, Togliatti, einen Schock. In einem Presseinterview bekannte er ollen, daß die Sowjetunion kein brauchbares Modell mehr für westliche kommunistische Parteien sei. Aus dieser Einsicht formulierte er für die kommunistische Weltbewegung die Konzeption des Polyzentrismus, wonach es künftig mehrere Zentren geben werde. Für den italienischen Gebrauch konzipierte er ein Programm „struktureller Reformen". Die Kommunisten Italiens sollten sich als eine progressive Kraft erweisen, indem sie praktikable Vorschläge zur Diskussion stellten, z. B. strukturelle Reformen für den wirtschaftlich unterentwickelten Süden Italiens, strukturelle Verbesserungen im italienischen Dorf usw. Damit sollte die KP Italiens aus der Isolierung herauskommen, in der sie sich befand, solange man sie für eine Satellitenpartei Moskaus halten konnte. Sie sollte das politische Kräftespiel wieder mitgestalten können.

Auf dieser Linie einer gewissen Anpassung an die Umwelt setzte sich die KP Italiens allmählich auch mit der Realität der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auseinander. Ursprünglich hatte sie die EWG genau so abgelehnt wie noch lange nachher die KP Frankreichs. Nach dem alten dogmatischen Konzept von der anarchischen Produktionsweise im Kapitalismus und den unüberwindlichen Widersprüchen zwischen den imperialistischen Staaten durfte die EWG gar nicht funktionieren. Aber auf der Suche nach strukturellen Reformen waren die italienischen Kommunisten pragmatisch genug geworden, um einzusehen, daß der westeuropäische Kapitalismus durchaus imstande sei, das Problem zu lösen, wie mehrere nationale Volkswirtschaften ökonomisch integriert werden könnten.

Es gab über diese Fragen lebhafte Kontroversen, nicht nur mit sowjetischen, sondern auch mit französischen Genossen, die ihren Niederschlag auch in den Spalten der in Prag redigierten internationalen kommunistischen Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus" gefunden haben.

Im Jahre 1962 begannen diese Anstöße der italienischen Kommunisten zu wirken. Die vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen vom 27. August bis 3. September 1962 veranstaltete Konferenz über den „staatsmonopolistischen Kapitalismus" und wirksamere Formen des Klassenkamples in den westlichen Ländern brachte den italienischen Thesen eine gewisse Anerkennung. Die KPI selbst aber geriet im Zuge der Veränderungen, die sich im politischen Leben Italiens vollzogen, in eine Situation, in der sich erweisen mußte, ob mit der neuen Theorie über den westlichen Industriestaat, dem Programm „struktureller Reformen" und der Taktik des „breiten Bündnisses", etwas anzufangen sei. Die apertura a sinistra, die Herstellung einer Koalition aus den christlichen Demokraten, den Saragat-Sozialdemokraten und den Nenni-Sozialisten, weckte unter den gespaltenen Sozialisten Italiens die Neigung, die Einheit wiederherzustellen. Die Nenni-und die Saragat-Sozialisten waren gewillt, sich zu fusionieren. Diese Tendenz elektrisierte den neuen Führer der KPI, Luigi Longo, der dem 1964 verstorbenen Togliatti gefolgt war. Er mußte alles daran setzen, daß die KPI an diesem Fusionsprozeß teilnahm, um die große einheitliche italienische Linke herzustellen und damit an die Macht heranzukommen. Um diese Zeit lud das Gramsci-Institut zu einem internationalen Marxisten-Kolloquium über „Tendenzen des europäischen Kapitalismus" ein, das im Juni 1965 in Rom stattfand. Außer Kommunisten kamen auch Führer und Theoretiker weiterer linker Strömungen aus Italien und anderen Ländern. Es gab allerlei Diskussionen über die zu Ende gehende Aufschwungsphase der ökonomischen Entwicklung in Westeuropa, über die zu erwartende Konjunkturverschlechterung, die jedoch, wie man gleichzeitig bemerkte, nicht von katastrophaler Natur sein würde, und auch über die Nichtumkehrbarkeit der wirtschaftlichen Integration Westeuropas. Die lebhafteste Diskussion entbrannte über die Grundfrage der neuen Taktik, wieweit nämlich das Programm der „strukturellen Reformen", also der allmählichen Verwandlung des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" aus sich selbst heraus, mit Unterstützung und Mitwirkung der linken Kräfte überhaupt politische Durchschlagskraft habe. Lelio Basso, einer der Führer der Italienischen Sozialistischen Partei der proletarischen Einheit, meldete erhebliche Zweifel an. Nach seiner Ansicht hatte sich in den kapitalistischen Ländern folgendes Schema eingespielt: „Die Arbeiterklasse stellt eine bestimmte Forderung und kämpft für sie; der Kapitalismus absorbiert diese Forderung; das Ergebnis sind bestimmte Veränderungen im kapitalistischen System". Wo aber bleiben die politischen Folgen? Es wurden konkrete Fälle genannt, die diese Auffassung bestätigten. Die Interpretation läuft darauf hinaus, daß rechtzeitige Reformen im Rahmen des westlichen Industriestaates der Bewegung „von unten" den revolutionären Wind aus den Segeln nehmen. In Rom gab es deshalb nicht wenige skeptische Stimmen, die zwar eine „demokratische Programmierung im Kapitalismus" für möglich hielten, aber davor warnten, sie als „Allheilmittel" bzw. „als Anzeichen einer Erhöhung der sozialistischen Temperatur'des bestehenden Systems anzusehen". Alles hänge davon ab, ob der Kampf auf allen Ebenen gekämpft werde, nicht nur als ökonomischer Kampf in den Betrieben, sondern vor allem als politischer Kampf um die Macht. Dazu erklärte der Führer der italienischen Metallarbeitergewerkschaft, Bruno Trentin, daß „eine langsame und allmähliche Umwandlung des Systems (in den westlichen Industriestaaten) eine illusorische Hoffnung sei, solange eine universelle Strategie fehlt".

Die Vertreter des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau, die an dieser Konferenz in Rom teilnahmen, waren von dieser Art der offenen Diskussion beeindruckt. Der sowjetische Berichterstatter I. Ambarzumow machte jedenfalls das Beste aus der Sache und erklärte, daß „die Konferenz in Rom eine glänzende Widerlegung der bürgerlichen Erfindungen von einem , Schematismus’ des Marxismus" gewesen sei.

Als in Italien klar war, daß sich die Fusion der Nenni-und Saragat-Sozialisten ohne die Kommunisten vollziehen würde, änderte Longo die Taktik. Er rief nun zum großen Dialog mit den Katholiken auf. Eine Ermutigung schöpfte er aus der päpstlichen Enzyklika „Populorum Progressio": Indem Paul VI. das System des Profits und den Rüstungswettlauf verurteilte, bewege er sich bereits auf einem den Kommunisten vertrauten Feld, demjenigen des Kampfes gegen den Imperialismus. Longo gab der Hoffnung Ausdruck, daß das päpstliche Rundschreiben in den Katholiken den antikapitalistischen Geist erwecken werde. Neue und große Möglichkeiten des Dialogs bestünden.

Inzwischen ist dieser „Dialog" zu einem Faktor der italienischen Innenpolitik geworden, von dem einige Bewegung, ja sogar einige Unruhe ausgeht. 2. Die Taktik des „Dialogs" in Frankreich und die internationale marxistische Konferenz in Choisy-le-Roi (26. — 29. Mai 1966)

Bie der Präsidentenwahl Ende 1965 hatte der Sammelkandidat der Linken de Gaulle zu einem zweiten Wahlkampf gezwungen. Nach diesem Erfolg schlug der Führer der KPF, Waldeck-Rochet, auf der „Woche des marxistischen Denkens" in Paris (9. — 15. März 1966) den Sozialisten vor, den „Dialog über die ideologischen und theoretischen Fragen" wiederaufzunehmen. Um ein wesentliches Hindernis zu beseitigen, verzichtete er namens der KPF auf die alte Stalinsche These von der einen monolithischen Partei, die für die Führung des proletarischen Klassenkampfes notwendig sei. Er versprach, daß nach einem eventuellen gemeinsamen Sieg ein sozialistisches Mehrparteiensystem bestehen bleiben werde. Die entscheidende Frage sei dann allerdings, wie man einen kapitalistischen Rückschlag verhindern könne. Als Nahziel deklarierte er den Sieg bei den Parlamentswahlen 1967, um erst einmal das „Regime der persönlichen Macht" — wie die französischen Kommunisten die Regierung de Gaulles nennen — zu beseitigen.

Nachdem den in Aussucht genommenen Bündnispartnern ein Kampfprogramm zugeleitet worden war, lud das ZK der KPF gemeinsam mit der Redaktion von „Economie et Politique" marxistische Wissenschaftler, insonderheit Politökonomen, zu einer internationalen Konferenz vom 26. bis 29. Mai 1966 nach Choisy-le-Roi über „Probleme des staatsmonopolistischen Kapitalismus" ein. Das Politbüro der KPF nahm vollzählig teil. Weil man die Mehrheit der Franzosen für noch nicht reif hielt, für die Verwirklichung des Sozialismus zu kämpfen, war das Interesse für die neuen Analysen verständlich, die zeigen sollten, wie im Rahmen der bestehenden Ordnung der westlichen Industriestaaten und besonders unter den Bedingungen der französischen Planifikation eine Transformation eingeleitet werden könne, welche die Kommunisten zunächst evolutionär ihrem Ziel näher bringt.

Unter Thorez waren seit dem Scheitern der Volksfrontkonzeption nach Kriegsende solche Gedanken nicht üblich. Jetzt konnte sich das ideologische Gewissen bei der Vorstellung beruhigen, daß, je mehr der „staatsmonopolistische Kapitalismus" den objektiven Prozeß der Vergesellschaftung der Produktion beschleunige, desto stärker in seinem Schoße die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für den Übergang zur „antimonopolistischen Demokratie" und zum Sozialismus würden. Es sei deshalb zu gegebener Zeit durchaus möglich, die vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus" hervorgebrachten Formen, nämlich Staatsunternehmung, Planifikation, staatliche Finanzierung der Produktion, Kreditreglementierung, Regulierung der Investitionen, Steuerwesen, direktes Einwirken des Staates auf Lohn, Preis und Gewinn, zu wirksamen Mitteln für zum die -zu machen, den Übergang So zialismus benutzt werden könnten; die vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus" geschaffenen Hebel der staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft könnten gegen die Monopole gekehrt und für den Prozeß des revolutionären Übergangs ausgenutzt werden.

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die unter Thorez als das „Europa der Trusts" bezeichnet und immer abgelehnt worden war, wurde nun, wenn auch mit einigen Vorbehalten, als Realität anerkannt. Man gestand zu, daß in ihr objektive ökonomische Gesetze im Sinne einer „Internationalisierung des Kapitals" wirken. Die wirklich „demokratische Alternative" zur gegenwärtigen Integrationspolitik müsse es jedoch sein, die Grenzen des gemeinsamen Marktes zu überspringen und die Basis für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Staaten Europas, gleich ob kapitalistisch oder sozialistisch, zu schaffen. Die EWG müsse in einen größeren ökonomischen europäischen Verband aufgehen, der auch die sozialistischen Länder einschließe.

Im Dezember 1966 wurde das Wahlbündnis mit der Linksföderation Mitterands geschlossen, das bei den Parlamentswahlen im März 1967 erhebliche Gewinne erzielte und die gaullistische Regierungspartei in eine schwierige Lage brachte. Waldeck-Rochet nannte dieses Bündnis in Karlsbad den „Einheitsvertrag". Allerdings stimmt das nicht so ganz; denn Mitterand hatte nur die eine Hälfte des Vorschlags akzeptiert, sich beim zweiten Wahlgang gegenseitig zu unterstützen. Die für Waldeck-Rochet noch wesentlichere Seite des Vorschlags, ein gemeinsames Regierungsprogramm als „demokratische Alternative zum staatsmonopolistischen Kapitalismus" und zum „Regime der persönlichen Macht" zu vereinbaren, wurde nicht akzeptiert. Aber Waldeck-Rochet denkt weiter. Er setzt auf spätestens 1971/72, wenn de Gaulles Präsidentenschaft ausläuft. Dann hofft er mit Hilfe einer „antimonopolistischen Koalition", einer modernen, offensiven Volksfront, den Durchbruch zu erzielen. Ob aber der Gang der Dinge den Dialog zwischen Kommunisten und Linksföderation bis dahin fördern oder hemmen wird, bleibt abzuwarten. Der Nah-Ost-Konflikt im Juni 1967 wirkte spaltend; er sah die Kommunisten getreu der Linie Moskaus im pro-arabischen Lager, dagegen Mitterand und seine Leute stark pro-israelisch engagiert.

Sommer 1967 Man hat im und im Herbst in einer gemeinsamen Kommission die Punkte der Übereinstimmung und der fortbestehenden Divergenzen zu klären versucht. Nach wie vor unterscheiden sich die Verhandlungspartner vornehmlich in außenpolitischen Fragen. Als Ergebnis der Beratungen wurde am 24. Februar 1968 ein gemeinsames Programm der Kommunisten und der Linksföderation veröffentlicht. Waldeck-Rochet hat es als „akzeptierte Mindestplattform" charakterisiert, nicht jedoch als gemeinsames Regierungsprogramm. Letztlich geht es auch hier um das „Wer — Wen?". Die Dinge sind nach den jüngsten Ereignissen in der Tschechoslowakei sicherlich wieder im Fluß. 3. Die Prager Round-table-Konferenz über den „Platz der Reformen" im Kampf gegen den „staatsmonopolistischen Kapitalismus"

Eine Konferenz, welche die Aufgabe hatte, kleinere nichtregierende kommunistische Parteien für die Taktik des Dialogs auf gesellschaftlicher Ebene auszurüsten, fand für Vertreter aus 16 Ländern am „runden Tisch" der Redaktion der internationalen Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus" vom 1. bis 3. November 1966 in Prag statt.

Die Beiträge aus diesen Ländern waren dementsprechend auf die spezifischen Probleme der dortigen kommunistischen Parteien abgestimmt. Der Generalsekretär der KP Kanadas, William Kashtan, sprach von der Notwendigkeit, den modernen Kapitalismus undogmatisch zu studieren. Nur ein undogmatisches Studium gestatte es, Programme auszuarbeiten, „die von den tatsächlichen Widersprüchen des modernen, nicht aber des gestrigen Kapitalismus ausgehen und durch veraltete Losungen nicht belastet werden".

Man müsse „Zwischenforderungen und übergangsformen des Kampfes festlegen", ja die Partei müsse unter den neuen Bedingungen „ihr Antlitz wandeln". Es sei zwar nicht in der Theorie, wohl aber in der Praxis schwer, den Arbeitern „den Unterschied zwischen unserem Programm der Reformen und dem Re-B formismus deutlich zu machen", dem Reformen Selbstzweck und nicht nur ein „Schritt vorwärts auf dem Wege zum Endziel" sind. „Viele Arbeiter akzeptieren unsere Ideen, aber unsere Partei akzeptieren sie nicht", weil zwar „die Menschen im allgemeinen . . . für radikale Reformen sind, nicht aber für eine Revolution in ihrem klassischen Sinne". Die Frage: „Wie muß eine revolutionäre Partei unter nicht revolutionären Bedingungen arbeiten"? ließ Kashtan unbeantwortet.

Der stellvertretende Vorsitzende der KP Finnlands, Erkki Salomaa, fügte hinzu, daß man sich „nicht allein auf die Verurteilung der kapitalistischen sozialen und ökonomischen Ordnung beschränken" dürfe. „Wir müssen ökonomische Umgestaltungen vorschlagen, die sich im Rahmen dieser Ordnung verwirklichen lassen."

Aber der dänische ZK-Sekretär Ib Nörlund traf den neuralgischen Punkt, indem er sagte: „Entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des Kampfes um die demokratischen Reformen und die Festigung der antimonopolistischen Kräfte hat jedoch die Aktivität der Massen"; denn, und dies ist eine bemerkenswerte Erkenntnis: „ein und dieselben Reformen können eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben, je nachdem, ob sie ein , Geschenk von oben’ oder ein Ergebnis des Kampfes , von unten'sind". Mit anderen Worten, wenn eine Verbesserung der sozialen Situation der Arbeiter z. B. durch eine politische Streikbewegung erzwungen wird, hat dies einen anderen politischen Effekt, als wenn sie aufgrund von Parlamentsbeschlüssen über die soziale Gesetzgebung eintritt.

Der Vertreter der KPD, der ZK-Sekretär Josef Schleifstein, äußerte sich in habituellem Optimismus. Von der Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik erwartete er sich einen allgemeinen „Stimmungsumschwung in der arbeitenden Bevölkerung". Besondere Hoffnungen setzte er auf die „Neue Linke", die sich unter den Studenten und Intellektuellen der Bundesrepublik zu entfalten beginne. Zwar sei diese „Neue Linke" gegenwärtig sowohl von der Sozialdemokratie wie den Kommunisten enttäuscht und suche nach dem „dritten Weg"; eine „positive Beeinflussung dieser sich radikalisierenden Kräfte in der Intelligenz" könne aber durch die „Stärkung unserer theoretischen Arbeit" erreicht werden, „so daß diese intellektuellen Kräfte sich selbst davon überzeugen können, daß ihre Vorstellung von einer dogmatischen, engen, jeder Entwicklung der marxistischen Theorie sich widersetzenden kommunistischen Partei ein von der Propaganda des Gegners übernommenes Vorurteil ist". (Entsprechende Bemühungen in der Bundesrepublik Deutschland gibt es an mehreren Stellen, ohne jedoch das Interesse der Öffentlichkeit bisher erreicht zu haben.) 4. „Imperialismus heute — Der staatsmonopolistische Kapitalismus in Westdeutschland" und das Projekt des Redneraustausches SED — SPD

Im Frühjahr 1966 war das Projekt des Redner-austausches SED—SPD das wichtigste innerdeutsche Ereignis. Auch in diesem Fall spielte auf Seiten der SED die Kombination von theoretischer Arbeit und neuer Taktik eine Rolle. Ulbricht sprach in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Gründung der SED davon, daß die Taktik des Dialogs mit der SPD auf einer neuen „wissenschaftlichen Analyse" der Situation in der Bundesrepublik beruhe.

Geht man vom Frühjahr 1966 in das Jahr 1965 zurück, dann stößt man auf eine ganze Reihe von Konferenzen. Man findet vor allem ein voluminöses Werk „Imperialismus heute — Der staatsmonopolistische Kapitalismus in Westdeutschland", das diese Konferenzen und die Diskussion über das neue Verhältnis von Ökonomie und Politik in „Westdeutschland" auslöste. Verfaßt ist das Werk von einem Autorenkollektiv von fünf Politökonomen des Parteiforschungszentrums der SED mit dem Institutsdirektor, Professor Otto Reinhold, an der Spitze. Es stellt die bisher umfassendste kommunistische Analyse über das Verhältnis von Ökonomie und Politik in westlichen Industrieländern dar. Ein Kernstück der neuen Theorie läßt sich aus der Analyse der OstBerliner Autoren — allerdings in gebotener großer Vereinfachung — gut herauslösen. Für die marxistische „Politökonomie des Kapitalismus" war von jeher der „klassische" Konjunkturzyklus von eminenter Bedeutung. (Siehe Bild 1 S. 28).

Mit den Phasen der ökonomischen Bewegung wurden spezifische Erwartungen hinsichtlich der sozialen bzw. sozialrevolutionären Bewegung verbunden.

Die Theoretiker der SED sagen nunmehr: Aus kleinen Anfängen habe sich in der Mitte der fünfziger Jahre das vollendete System eines „staatsmonopolistischen Kapitalismus" herausgebildet. Die neue Qualität dieses Systems bestehe darin, daß der Staat nicht mehr einfach den Monopolen untergeordnet, also ein Werkzeug der Monopole sei; der Staat selbst ist eine ökonomische Potenz. Der neuen Theorie zulolge hat der westliche Industriestaat ein umfassendes Regulierungssystem zur Steuerung ökonomischer Prozesse entwickelt. Er wendet es mit Erfolg an. Er kann z. B. aktive Konjunkturpolitik betreiben. Man wartet nicht mehr die Überproduktion von Waren ab, sondern schränkt schon früher die Produktion ein. Durch vielfältige Maßnahmen wird versucht, eine Übersteigerung der Konjunktur in der Aufstiegsphase zu bremsen; wenn die Konjunktur „heiß" wird, versucht man, Maßnahmen zur Dämpfung der Konjunktur einzuleiten. Das Hineingleiten in die Krise wird gehemmt, der Ausbruch der Krise wird abgeschwächt und der Austritt aus der Krise gefördert. Dadurch wird der Konjunkturzyklus des Kapitalismus wesentlich verändert. Die heftigen Pendelausschläge verschwinden, die Zyklen werden abgeflacht. Nun hatte die Lehre von den Wirtschaftszyklen im Kapitalismus eine außerordentliche Bedeutung für die kommunistische Lehre von der Revolution. Bisher hieß es: wenn die kapitalistische Wirtschaft in eine Konjunkturphase eintritt, dann sinken die revolutionären Energien der Arbeiterklasse, dann durchläuft die revolutionäre Bewegung eine „Ebbe-Periode“.

Wenn dagegen die kapitalistische Entwicklung in eine depressive Phase eintritt, wenn aus der ökonomischen Depression soziale Krisen entstehen, dann tritt die revolutionäre Bewegung in eine „Flutperiode“ ein, das heißt: nach der klassischen Theorie sind der ökonomische Zyklus des Kapitalismus und der Zyklus der revolutionären Bewegung gegenläufig.

Unter günstigen Umständen kann in der Flut-periode der revolutionäre Durchbruch erfolgen. Dann wird der bürgerliche Staat zerschlagen, die Diktatur des Proletariats errichtet, beginnt die ökonomische und soziale Umwälzung der Gesellschaft hin zum Sozialismus. Diese Theorie gilt nicht mehr. Sie wurde — gegen den Widerstand der Dogmatiker — außer Kurs gesetzt.

Der Widerstand der Dogmatiker ist verständlich. Wenn nämlich der „staatsmonopolistische Kapitalismus" imstande ist, explosionsartige Erscheinungen, tiefe ökonomische Depressionen, wie z. B. die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933, zu verhindern, wenn er imstande ist, die ökonomischen Pendelausschläge abzuschwächen, den ökonomischen Zyklus abzuflachen, wo bleibt dann die Ebbe-und Flut-periode der Revolution?

(Siehe Bild 5 S. 31).

Die neuen Theoretiker können natürlich nicht sagen, daß damit das kapitalistische System unangreilbar wird; sie behaupten vielmehr, daß es mit der Beseitigung der tiefen Abschwünge auch die steilen Aufschwünge verhindert, daß es permanent unstabil wird, sich in einer Krise dauernder Labilität befindet. Sie argumentieren: Der staatsmonopolistische Kapitalismus nimmt durch die Regulierung und Programmierung der ökonomischen Prozesse bereits einen Teil der künftigen sozialistischen Planung vorweg. Dadurch wird der Privatkapitalist zu einer „völlig überflüssigen Figur". Zugleich fördert der Staat auf jede Weise die weitere rasche Konzentration des Kapitals und der Produktion. Damit vermehrt er aber auch auf der anderen Seite die Masse der nichtmonopolistischen Volksschichten. Gleichwohl begünstigt er durch seine Maßnahmen einseitig die Monopole und tut alles, um die „Monopolprofite" zu maximieren. Dieser Staat meistert die wissenschaftlich-technische Revolution und investiert gewaltige Summen in Forschung und Entwicklung. Aber die Kosten hierfür wie auch die Kosten für die Aufrüstung wälzt er auf die „nichtmonopolistischen Volksschichten" ab. Diese reichen bereits von der Arbeiterschaft über Bauern, Mit-telstand, die Intellektuellen, besonders die technische Intelligenz, bis zu den kleineren und mittleren nichtmonopolistischen Kapitalisten.

Das Unbehagen dieser Schichten über das System des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" wird größer. Aber ihre Kräfte sind noch zersplittert. Die Funktion der kommunistischen Parteien in westlichen Industriestaaten besteht jetzt darin, als Katalysator einer „an-timonopolistischen Front" zu wirken. Sie muß, vornehmlich durch die „Taktik des Dialogs", die anderen Kräfte, Sozialdemokraten, Gewerkschaften, progressive Christen, Studenten usw., für eine „antimonopolistische Koalition" gewinnen. Diese „antimonopolistische Front“ zielt selbst nicht auf einen revolutionären Durchbruch, sondern auf „demokratische Reformen", „demokratische Alternativen zum staatsmonopolistischen Kapitalismus". Eine besondere Rolle fällt dabei dem Kampf der Gewerkschaften um betriebliche und außerbetriebliche Mitbestimmung zu. Da die „Macht des Staates" und die „Kraft der Monopole" eng verbunden sind, wird jeder Lohnkampf zugleich zu einem politischen Kampf. Dieser Kampf wird als langwierig und sehr kompliziert angesehen. In ihm geht es darum, die Monopole von außen wie von innen her zu bedrängen, die vorhandenen Machtapparate des Staates personell zu durchsetzen, eine Machtposition nach der anderen zu gewinnen, bis eines Tages diemonopolistische Front des ganzen Vo so stark geworden ist, daß sie den „ staatsmonopolistischen Kapitalismus" schaffenen Regulierungsapparat übernir „Reform wird zu einer Form der Revoluti Jetzt erst ist die Basis für den Übergang Sozialismus geschaffen. „Einschneidende mokratische, antimonopolistische Umge tungen sind eine Art Vorbereitungsperiode sozialistische Wandlungen. Sie ebnen Weg für den Übergang zum Sozialismus helfen, die Massen im Geiste der sozial sehen Ideen zu erziehen." So hat es der Se tär des ZK der KPdSU, B. N. Ponomarew November 1967 formuliert. Im Frühjahr 1966 startete die SED vor dem Hintergrund dieser Konzeption den Dialog mit der SPD. Er zielte auf die Spaltung der Führungsgruppe der SPD und die Mobilisierung ihrer Mitgliedermasse für die Aktionseinheit, auf die Gewinnung der westdeutschen Gewerkschaften und der Intellektuellen. Ulbricht war von dieser Perspektive so fasziniert, daß er längere Zeit die Warnungen einer starken Gruppe im Politbüro überhörte, bis schließlich auch ihm das Risiko zu groß wurde. Die Kader waren den intellektuellen Anforderungen eines Dialogs auf breiter Front nicht gewachsen; die Aussicht auf den Redneraustausch löste eine Welle gesamtdeutscher Emotionen in beiden Teilen Deutschlands aus, die der Kontrolle der SED zu entgleiten drohte. Herbert Wehner hatte dies vorausgesehen. Nachdem sich keine Anfangserfolge für die SED eingestellt hatten und auch die sowjetischen Führer bedenklich geworden waren, wurde die Operation abgebrochen. Die SED trat ihren Juni-Rückzug an.

Uns will scheinen, daß auch die neuen theoretischen Analysen über die Bundesrepublik nur zu einem geringen Teil richtig sind. Worin liegt ihr Hauptmangel? 5. „Was verstellen die Genossen eigentlich unter Monopolen?"

Der Terminus „staatsmonopolistischer" Kapitalismus enthält zwei Bestandteile: Staat und Monopol. Die modernen Theoretiker der SED haben sich bemüht, die wirtschaftspolitischen Funktionen des Staates in einer reifen Industriegesellschaft herauszufinden und sind dar-33 in — im Vergleich zu dem, was Kommunisten früher zu sagen wußten — originell. Unoriginell sind sie, wenn sie von den Monopolen sprechen. Für sie sind Monopole die größten Industrieunternehmen. Sie folgen darin übrigens den sowjetischen Autoren aus dem Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau. Wenn diese etwas über die größten Monopole der Welt sagen wollen, zählen sie auf: General Motors, Standard Oil, Ford, General Electric usw. Was Monopole wirklich sind, darüber fehlt die Aussage. Es findet sich auch keine Auseinandersetzung mit der Definition des Monopols in unserer Volkswirtschaftslehre; diese definiert bekanntlich ein Monopol von der Machtposition auf dem Markt pro Gut. Monopole auf dem Markt sind äußerst selten. In den Bereichen, in denen die größten Unternehmungen angesiedelt sind, herrschen in der Regel Oligopole. Der Wettbewerb unter ihnen pflegt recht wirksam zu sein. Die Generaldirektoren der großen Autowerke, und nicht nur sie, wissen ein Lied davon zu singen. Jahrzehntelang sprechen nun Kommunisten von Monopolen und vom Monopolkapitalismus und seit einem Jahrzehnt bevorzugt vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus". Noch immer erblicken sie in Lenins Gelegenheitsschrift von 1917 über den „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" das klassische Werk über den Monopolkapitalismus.

Aber die Zeiten ändern sich. 1967, im 50. Jahr des Erscheinens dieser Schrift, fand in Moskau eine Konferenz über ihre Bedeutung für die heutige Situation statt. Ein tschechischer Dozent fragte: Wie erklärt es sich eigentlich, daß es dem Kapitalismus gelingt, sich den Erfordernissen der wissenschaftlich-technischen Revolution anzupassen? Wie gelingt es ihm eigentlich, dem raschen wissenschaftlich-technischen Fortschritt den Weg zu bahnen? Ein anderer Dozent aus Prag fragte: Was verstehen denn die Genossen eigentlich unter Monopolen und dem Monopolkapitalismus? Er empfiehlt sogleich ein Forschungsprogramm: Man solle doch einmal die großen Aktiengesellschaften und die Wirtschaftsverbände konkreter analysieren, etwa das Aufeinanderstoßen der Interessen innerhalb dieser Gebilde, den Widerspruch zwischen Aktionären und Managern, zwischen Verwaltung und Gewerkschaften genauer untersuchen. Beschlüsse gingen doch aus einem Miteinanderringen von Interessen innerhalb solcher Gebilde hervor; wenn man das untersuche, dann werde man nicht nur die Monopole, sondern auch den Monopolkapitalismus realistischer beurteilen können. Er schließt die nicht weniger interessante Frage an: Wodurch wird eigentlich der Begriff des Eigentums bestimmt? Er antwortet selbst: Wer die Produktion kontrolliert und die wichtigsten Beschlüsse faßt, der ist der entscheidende Mann, nicht der formelle Eigentümer.

Wahrscheinlich ist es nicht zufällig, daß Tschechoslowaken solche Fragen stellten; denn die CSSR ist unter den sozialistischen Staaten jenes Land, in dem bisher die theoretische Auseinandersetzung mit den ordnungspolitischen Problemen einer modernen Industriegesellschaft am intensivsten betrieben und das Modell einer modernen sozialistischen Industriegesellschaft am ernsthaftesten angestrebt wurde. Andere tschechoslowakische Wirtschaftswissenschaftler entwickelten 1967 Gedanken über Konkurrenz und Monopol im neuen Leitungssystem der CSSR. Da heißt es u. a.: „In der Gegenwart betrachten wir", das heißt die sozialistischen Ökonomen, „die ökonomischen Kategorien des Monopols und der Konkurrenz als untrennbaren Bestandteil jeder Warenproduktion, jedes, also auch eines sozialistischen Marktmechanismus."

Die klassische politische Ökonomie des Marxismus überliefert seit alters her, daß Konkurrenz eines der typischen Kennzeichen des Kapitalismus sei. Jetzt erfahren wir, daß eine sozialistische Wirtschaft, die aus den Fesseln eines unökonomischen, bürokratischen Administrierens herausgelöst und auf die Konsumenten, auf Markt und Gewinn orientiert wird, zugleich auch den ungekünstelten Wettbewerb als Triebkraft des Wirtschaftens kennen und akzeptieren lernt.

Lenin hat verkündet, daß der Kapitalismus auf der Stufe des Imperialismus Monopolkapitalismus werde. Nunmehr wird bei der Umorientierung einer Zentralverwaltungswirtschaft auf marktadäquate Prinzipien entdeckt, daß es auch in einer sozialistischen Wirtschaft Monopole geben kann; wenn in einer Branche nur ein Betrieb vorhanden ist, besteht die Gefahr, daß er wegen seiner „Einzigkeit" weder auf Konsumenten noch auf den Markt Rücksicht nimmt.

Prof. Reinhold und seine Mitarbeiter scheinen sich mit solchen Gedankengängen nicht zu beschäftigen, obgleich sie sich nicht mehr nur mit der „Politischen Ökonomie des Kapitalismus", sondern auch mit der „Politischen Ökonomie des Sozialismus" befassen; das heißt heute: mit den ökonomischen Reformversuchen im eigenen Bereich. Prof. Reinhold ist nicht zufällig nach dem Selbstmord von Erich Apel zu einem Cheftheoretiker des „Neuen /Ökonomischen Systems der Planung und Leitung" (NOS) aufgerückt. Seine Position und seine Fähigkeiten legitimieren ihn somit zum Experten für die Theorie des „Staatsmonopolistischen Kapitalismus" wie auch für die Konzeption des „Ökonomischen Systems des Sozialismus" (OSS).

Eine solche Doppelfunktion könnte einen unvoreingenommenen Vergleich der Elemente der Wirtschaftsordnungen in beiden Teilen Deutschlands nahelegen. Das gelingt noch nicht. Zwar wird die Notwendigkeit nachgewiesen, die sozialistische Ökonomie so umzubauen, daß in ihren Betrieben maximale Gewinne zur Steigerung der ökonomischen Effizienz der gesamten Volkswirtschaft erzielt werden. Für die Wirtschaft der Bundesrepublik, die schon längst nach diesem Grundsatz arbeitet, wird das gleiche Prinzip als „Monopolprofit" angeprangert.

In der Bundesrepublik bestehen verschiedene Eigentumsformen an den Produktionsmitteln, in der DDR herrscht fast ausschließlich Staats-eigentum. Da nicht nur die dominierende westliche Volkswirtschaftslehre, sondern auch sozialistische Wirtschaftswissenschaftler der Auffassung sind, daß die Eigentumsformen nicht die einzigen konstituierenden Faktoren einer Wirtschaftsordnung sind, müßten sich interessante vergleichende Untersuchungen anstellen lassen, wenn nunmehr nicht nur die eine, sondern auch die andere Ordnung auf den Markt, das heißt letztlich auf den Konsumenten orientiert sein soll. Der wissenschaftliche Weg zu solchen Strukturvergleichen ist der anderen Seite noch immer durch ideologische Barrieren blockiert.

Der Beitrag der Theoretiker und Praktiker im anderen Teil Deutschlands zur sozialistischen Wirtschaftstheorie ist unbestritten. Eine Zeit-lang kamen aus den sozialistischen Staaten Delegationen, um die Modernisierungsbestrebungen in der DDR zu studieren. Das ist Vergangenheit. Inzwischen ist die DDR von der CSSR überholt worden. Die Ungarn folgen. Beide Länder tendieren, zumindest der Konzeption nach, auf einen „Konkurrenzsozialismus", auf eine sozialistische Marktwirtschaft mit Staatseigentum an den Produktionsmitteln.

Die Reformbestrebungen in der ÖSSR haben u. a. wohl auch den Sinn, durch Demokratisierung die Hindernisse hinwegzuräumen, welche die Dogmatiker der Wirtschaftsreform in den Weg legen. Die sowjetische Führung verfolgt diese Vorgänge mit wachsamer Sorge. Man könnte sich ein echtes Interesse mancher sowjetischer Theoretiker und Praktiker an dem Fortgang der tschechoslowakischen Reformen vorstellen. Die Sowjetführer sind für ein Riesenreich verantwortlich, in dem die ökonomische Programmierung naturgemäß größeren Schwierigkeiten begegnet. Wenn sie wirklich um der höheren Effizienz willen ökonomische Reformen im eigenen Bereich wollen, könnten sie — auch noch nach den Ereignissen der Augusttage dieses Jahres — daran interessiert sein, daß Partei-und Staatsführungen in kleineren, leichter überschaubaren Bereichen Modellexperimente durchführen. Was jedoch einen Erfolg der übergreifenden Regionaltaktik gegenüber Westeuropa anbelangt, so läßt sich heute schon sagen, daß das gewalttätige sowjetische Auftreten in Prag erhebliche Rückschläge bringen wird.

V. Die zwei Ebenen der Regionaltaktik für Westeuropa

Bild 4 End-Krise des Kapitalismus und revolutionärer Durchbruch zur Diktatur des Proletariats — nach der alten Revolutionslehre Diktatur des Proletariats

Die Karlsbader Konferenz, zu der sich die Spitzen von 24 regierenden und nicht regierenden kommunistischen Parteien aus Westund Osteuropa vom 24. bis 26. April 1967 zusammenfanden, hat mit wünschenswerter Deutlichkeit eine Regionaltaktik für Westeuropa proklamiert, die auf zwei Ebenen wirken soll: 1. Auf der staatlichen Ebene wird ein europäisches Sicherheitssystem ohne die USA angestrebt. Die westlichen Zusammenschlüsse sollen sich dabei auflösen, wodurch nach Ausschaltung des amerikanischen Gegengewichts die Präponderanz in Europa der Sowjetunion zufiele. Deshalb hat sich der propagandistische Hauptstoß in Karlsbad auch gegen den sogenannten amerikanischen „Aggressor" und seinen „europäischen Juniorpartner", die Bundesrepublik Deutschland, gerichtet, die isoliert werden soll. 2. Auf gesellschaftlicher Ebene sollen in den westeuropäischen Staaten vornehmlich mit Hilfe der Taktik des „Dialogs" zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftsmitgliedern, progressiven Christen, Friedens-kämpfern, Intellektuellen, Studenten u. a. Volksfronten von einer neuen Qualität entstehen. Ihnen sind folgende Aufgaben zugedacht: a) Bis 1969, wenn der NATO-Vertrag ausläuft, sollen sie eine breite europäische Massenbewegung, eine „große vereinigende Alternative" entfalten, welche die Fortsetzung der NATO, gleich in welcher Form, verhindert. b) Die zweite Aufgabe hat Breshnew in Karlsbad umschrieben, als er das Problem der europäischen Sicherheit nicht nur als außenpolitisches, sondern auch als „ein überaus wichtiges soziales Problem" bezeichnete, weil „der Zeiger des politischen Barometers bei einer internationalen Entspannung nach links aus-schlägt", während „der Kalte Krieg und die Atmosphäre militärischer Drohungen . . . die Tätigkeit der revolutionären, demokratischen Kräfte ernstlich erschweren". Vor allem könnte „die Aktionseinheit der Kommunisten und Sozialisten eine scharfe Wendung in der ganzen politischen Lage Westeuropas sichern".

Die Aktionseinheit der europäischen Arbeiterklasse, die volksfrontähnlichen „antimonopolistischen Koalitionen" und das sowjetische Sicherheitsmodell für Europa — diese drei Elemente sind in der neuen sowjetischen Regionaltaktik für Westeuropa zu einer Einheit verbunden.

Die nichtregierenden kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens zeigten sich in Karlsbad an der Herausarbeitung der qualitativ veränderten Volksfrontperspektive besonders interessiert. Andere Interessen divergierten. So machte die Karlsbader Konferenz im ganzen einen etwas gequälten Eindruck. Dazu haben beigetragen: die chinesischen Sorgen der sowjetischen Führer, das verhaltene Mißtrauen einiger regierender kommunistischer Parteiführungen gegen eine sowjetische Generallinie und die Frustration der SED seit dem Sommer 1966. Die SED hat damals bei dem Projekt des Redneraustausches nicht das überzeugende Beispiel für die neue Taktik des Dialogs geliefert, das vielleicht nach Frankreich, Italien und Österreich weitergewirkt hätte. Deswegen hat der Juni-Rückzug ihr auch herbe Kritik von seifen der italienischen und der österreichischen Kommunisten eingetragen. Auf die Regierung der Großen Koalition und ihre deutlicher profilierte Ostpolitik hat die SED reichlich nervös reagiert. Sie hat ihre Hilfsbedürftigkeit gegenüber dem von ihr so genannten „Bonner Revanchismus" so deutlich zur Schau getragen, daß sie damit anderen Bruderparteien bereits auf die Nerven fällt. Ungeteilte Zustimmung findet die SED nur noch seitens der derzeitigen Führung der KP Polens; benützt wird sie von der KPdSU als Propagandist gegen die Bundesrepublik Deutschland, die um ihrer Selbsterhaltung willen auf das Bündnis mit den USA nicht verzichten kann.

Die Differenzierung trat noch stärker auf dem Budapester Konsultativtreffen hervor, wobei man den Auszug der Rumänen gar nicht überzubewerten braucht. Auffallender war die beherrschte Haltung, welche die sowjetischen Vertreter damals gegenüber dem Pluralismus in der kommunistischen Weltbe-wegung an den Tag legten. Immerhin hat die KPdSU die Einberufung einer kommunistischen Weltkonferenz durchgesetzt, allerdings, soweit sich das heute sagen läßt, mit eingeschränkter Tagesordnung. Das Kommunigue nennt als wichtigste Aufgaben den Kampf „gegen den Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe und die Aktionseinheit der kommunistischen und Arbeiterparteien, aller antiimperialistischen Kräfte". Damals wurde offenbar die Abneigung noch respektiert, die zahlreiche Parteien gegen ideologisch verbindliche Grundsatzdokumente und gegen die Festlegung auf eine Generallinie (nach dem Muster von 1957 und 1960) bekundeten. Die meisten Parteien •wollten Konsultation und Koordination, nicht jedoch eine Zentralisation.

Das Erreichte könnte der Sowjetunion von heute genügen. Sie hat für sich die Maße einer Weltmacht antizipiert, in die sie hineinwächst. Dies ist ein langwieriger Prozeß. Die sowjetische Führung glaubt, daß Erfolge kommunistischer Parteien in den westlichen Staaten und anderen Kontinenten die Weltmachtstellung ihres Rivalen schwächen. Erfolge verspricht sich die Sowjetunion auch von nichtkommunistischen Regimen, die in der einen oder anderen Weise gegen die USA optieren. Für eine Weltmacht, welche ihre Präsenz in allen Weltgegenden und auf allen Weltmeeren spüren lassen will — und dies unter Vermeidung der direkten militärischen Konfrontation mit dem noch immer mächtigeren Kontrahenten —, werden elastische Methoden und indirekte Einwirkungen zunehmend wichtiger. Das Risiko für eine noch immer totalitär, wenn auch nicht mehr stalinistisch verfaßte Macht liegt darin, daß die erstrebte Ubiquität der Präsenz Rückwirkungen auslöst. Sie werden von den beamteten Ideologen als „ideologische Diversion" und „Versuche zur Aufweichung" seitens des großen Rivalen oder „des Kapitalismus" registriert und bekämpft. Hinter diesen ideologischen Argumenten wird das traditionelle russische Mißtrauen gegen die Umwelt wieder deutlich spürbar. Der Einfluß westlicher Demokratien besteht, wenn auch nicht in der Form der „ideologischen Diversion". Dieser Einfluß der Umwelt auf das sowjetische Reich ist jedoch der Preis, den ein solches Regime dafür zahlen muß, daß es weltweit präsent sein will.

Westliche Beobachter sind einhellig der Meinung, daß auch die derzeitige sowjetische Führung bei dem Streben nach Erweiterung ihrer Einflußsphäre politische Mittel den militärischen Mitteln vorzieht. Man darf mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sowjetkommunistische Planer Situationen durchdenken, in denen Zeit und Umstände es der Sowjetführung gestatten könnten, neue machtpolitische Daten so zu setzen, daß daraus eine Ausdehnung der Einflußsphäre erfolgt. So wird man in der neuen Regionaltaktik für Westeuropa die Absicht sehen dürfen, ein Kraftfeld zu präparieren, in dem sich die sowjetische Präsenz einmal in eine sowjetische Präponderanz verwandelt; sei es, daß die Schaffung einer starken strategischen Position im östlichen Mittelmeer in Richtung Westen eine Kettenreaktion auslöst oder die 6. amerikanische Flotte eines Tages aus dem Mittelmeer abzieht (dies war auch eine Forderung Breshnews in Karlsbad) oder sich die innenpolitische Situation in Italien oder Frankreich unerwartet grundlegend verändert. Als Prämisse ziehen die sowjetischen Führer den schleichenden oder raschen Abbau der amerikanischen Präsenz in Europa ins Kalkül. Für den Raum östlich von Suez ist durch den Rückzug Großbritanniens diese Prämisse bereits gegeben.

Ziehen wir das Fazit: Die Herausforderung durch den industriell noch immer überlegenen Westen war eine der Ursachen für die ökonomischen Reformdiskussionen und -experimente im Osten, wobei von Natur diejenigen Regionen bessere Erfolgschancen haben, die über einen gewachsenen Boden industrieller Zivilisation verfügen. Diese Möglichkeit auch für die DDR voll auszuschöpfen, wird durch die heutige SED-Führung blockiert.

Die gegen die westliche Industriegesellschaft entwickelten Thesen vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus" sind offensiv gemeint, sollen apologetisch wirken und fördern doch gleichzeitig die Rückkoppelung, daß westliche Vorstellungen und Formen im Osten Eingang finden. Allein als Theorien sind diese Thesen für eine offensive Politik unwirksam. Sie können nur in Verbindung mit den entwor37 fenen Aktivitäten auf der gesellschaftlichen und der staatlich-diplomatischen Ebene virulent werden.

Der Westen wird an seiner Politik der Entspannung gegenüber Osteuropa, er wird an der Politik der Friedenssicherung für ganz Europa und möglichst darüber hinaus festhalten. Er muß jedoch wissen, welche Gedanken und Hintergedanken kommunistische Führer haben oder haben können, wenn sie von „Entspannung", „europäischer Sicherheit", „Dialog" usw. sprechen. Dabei sollten wir die Nuancen in den verschiedenen Ländern durchaus sorgsam studieren, die Differenzierungen herausfinden und auch in Rechnung stellen.

Es will scheinen, als ob die „Politik der Entspannung" immer mehr zu einem Ringen zwischen einer westlichen und einer kommunistischen Konzeption von Entspannungspolitik wird. Wir befinden uns bereits in einer Phase des Pokerspiels, nicht nur zwischen den beiden großen Kontrahenten.

Die alte Frage der Kommunisten: „Wer — wen?“ hat ihre Geltung behalten. Nur könnte ihre zeitgemäße Anwendung lauten: Wer verändert wen? Dies müssen wir beachten, vor allem auch im Hinblick auf den Übergang zu den siebziger Jahren, der vielleicht gefährlich werden wird.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans Lades, Dr. phil. Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität in Erlangen und Leiter des Instituts für Gesellschaft und Wissenschaft in Mitteldeutschland in Erlangen, geb. 23. Februar 1908 in Nürnberg.