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Gandhis Theorie der gewaltfreien Aktion | APuZ 24/1969 | bpb.de

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APuZ 24/1969 Gandhi als Phänomen der indischen Politik Gandhis Theorie der gewaltfreien Aktion

Gandhis Theorie der gewaltfreien Aktion

Theodor Ebert

Der Revolutionär neuen Typs

Die Geschichte der Rezeption von Gandhis politischen Theorien ist eine Geschichte von Mißverständnissen. Der Rädelsführer gewaltfreier Aufstände und der Vorkämpfer eines „gewaltfreien Sozialismus" wurde in der Zeit zwischen den Weltkriegen verstanden als fernöstlicher Messias für das dem Untergang geweihte Abendland, dem er den Weltfrieden verkünde Heute besteht Gefahr, daß sein Name und die Veranstaltungen zu seinem 100. Geburtstag dazu dienen, im Lob auf den „Apostel der Gewaltlosigkeit" mit den Rebellen im eigenen Lande abzurechnen. Die Nachrufe auf den ermordeten Bürgerrechtskämpfer und Gandhi-schüler Martin Luther King gaben hier schon einige aufschlußreiche Beispiele*). Bei Gandhi lassen sich zwar Maßstäbe für eine kritische Auseinandersetzung mit gewissen Verhaltensweisen der außerparlamentarischen Opposition finden, aber eine Orientierung an seiner Theorie und Praxis zwingt auch zu einer so konstruktiven wie radikalen Kritik der offiziellen Innen-und Außenpolitik der Bundesrepublik. Wenn die Besinnung auf Gandhi nicht nur sentimentalen Charakter haben soll, dann müßten seine Gedanken in die Aktionsprogramme und Perspektivpläne der Parteien und sozialkritischen Gruppierungen Eingang finden.

Gandhis politische Theorie ist in erster Linie eine Methodenlehre der Konfliktaustragung. Er wies immer wieder auf den Zusammenhang zwischen der revolutionären Methode und dem mehr oder weniger demokratischen Ergebnis hin: „Ich habe Carlyles , Geschichte der Französischen Revolution'gelesen, während ich im Gefängnis war und Pandit Jawaharlal (Nehru — Th. E. hat mir einiges über die russische Revolution erzählt. Aber es ist meine Überzeugung, daß in dem Maße, wie diese Kämpfe mit der Waffe der Gewalt ausgefochten wurden, sie das demokratische Ideal verfehlten. In der Demokratie, die mir vorschwebt, einer Demokratie, die auf gewaltfreie Weise errichtet wurde, wird es gleiche Freiheit für alle geben. Jedermann wird sein eigener Herr sein."

Gandhi, der Kritiker gewaltsamer Revolutionäre, hatte mit diesen die Zielsetzung, die sie so oft verfehlten, gemein; er nannte sie „Sarvodaya". Die Übersetzung dieses Begriffes mit „Wohlfahrt für alle" paßt etwas zu gut in den Rahmen westlicher Konsumentenideologien. Gemeint ist mit „Sarvodaya" die Aufhebung der Herrschaft des Menschen über den Menschen in einer gewaltfreien Demokratie, die nicht länger dem Trend zur Profitmaximierung und Machtkonzentration folgt, sondern in der allseitigen Entwicklung des Individuums ihr Grundgesetz sieht und die den Dienstleistungen den Vorrang vor dem Konsum gibt „Für Amerika mag das Ziel sein, daß jeder Bürger seinen Wagen hat. Darauf kommt es mir nicht an. Ich will frei sein, meine Persönlichkeit voll zu entfalten. Ich muß frei sein, auf den Sirius zu fliegen, wenn ich das will. Das soll aber nicht heißen, daß die Weltraumfahrt eines meiner echten Bedürfnisse ist."

Der „praktische Idealist" Gandhi hatte mit den idealistischen gewaltsamen Revolutionären aber nicht nur die Zielsetzung gemein. Seine Methode des gewaltfreien Aufstandes hatte dieKritik sozialfriedlicher Verschleierungsideologien und die Analyse von Herrschaftssystemen zur Voraussetzung. Nachdem er während des Zweiten Weltkrieges „Das Kapital" von Marx und auch Schriften von Engels, Lenin und Stalin gelesen hatte distanzierte er sich zwar von deren Kampfmethoden und der damit gekoppelten Theorie des Klassenkampfes, nicht aber von der marxistischen Sozialkritik. Die kolonialistische Ideologie von „des weißen Mannes Würde" hatte er schon früher, so insbesondere im Verlauf der Salzkampagne von 1930/31, entlarvt. Vor deren Beginn schrieb Gandhi am 2. März 1930 an den Vizekönig: „Warum ich das englische Regime als einen Fluch ansehe? Dieses System der fortschreitenden Ausbeutung und der ruinösen Militär-und Verwaltungsausgaben hat zur Verelendung der dumpf dahinvegetierenden Millionen geführt. Es hat uns politisch in den Zustand der Knechtschaft zurückgeworfen. Es hat uns von den Quellen unserer Kultur abgeschnitten."

Um in dieser Lage seine Utopie des „Sarvodaya" zu realisieren, hat er allen gewaltsamen revolutionären Traditionen und allen Sanktionsdrohungen der Herrschenden zum Trotz seine Strategie der gewaltfreien Aktion entwickelt, die mit Hilfe von Protestdemonstrationen, von Nicht-Zusammenarbeit, zivilem Ungehorsam und zivilen Usurpationen an die Stelle der ultima ratio regis, der Macht der Herrschenden und Herrsüchtigen, eine von unten kommende Macht, die gewaltfreie ultima ratio populi, gesetzt. In der organisatorischen und geistigen Entwicklung dieses gewaltfreien Volksaufstandes, im „Dienst an Gott durch den Dienst an den stummen, manipulierten Millionen (dumb millions)" bestand sein Lebenswerk.

Um es zu verstehen, müßte man sich darauf einlassen, Gandhis Praxis im Detail und von Tag zu Tag zu verfolgen, da man ihn sonst leicht vorschnell und eklektizistisch im Rahmen der eigenen, alteingefahrenen Denk-und Handlungsgewohnheiten interpretiert. Ein Essay über Gandhis politische Theorie der gewaltfreien Aktion kann darum nur ein Anreiz zum Studium, allenfalls eine Orientierungshilfe sein, auf keinen Fall aber ein Ersatz für das Monate, Jahre oder ein Leben lang währende Verfolgen und kritische Fortführen seiner „Experimente mit der Wahrheit"

Ein solches intensives Studium von Gandhis Werk ist sehr selten unter Staatsmännern und Revolutionären. Zwei der Ausnahmen sind Kwame Nkrumah und Martin Luther King. Der ghanesische Politiker, der sich nur eklektizistisch seiner Kampftechniken bedient hatte und sich nach ersten politischen Erfolgen von Gandhis Lehren weit entfernte, schreibt in seiner Autobiographie: „Zunächst konnte ich mir keineswegs vorstellen, wie Gandhis Philosophie des gewaltlosen Widerstandes irgendeine Aussicht auf Erfolg haben sollte. Sie schien mir ein äußerst schwaches Mittel, dem jede Hoffnun auf Erfolg abzusprechen war. Die Lösung (Hervorhebung — K. N.) sah, lag in der bewaffneten Erhebung. Aber wie ist es möglich, so fragte ich mich damals, eine Revolution durchzuführen ohne Waffen und ohne Munition? Nachdem ich Gandhis Taktik monatelang studiert und ihre Erfolge genau beobachtet hatte (Hervorhebung — Th. E.), kam ich doch zu der Einsicht, sie wäre möglicherweise eine Lösung des Kolonialproblems, sofern eine starke politische Organisation sie stützte und trug."

Der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King hat im Unterschied zu Nkrumah nie aufgehört, Gandhis Lehren zu untersuchen und weiterzuentwickeln. In seinem autobiographischen Bericht über den Bus-Boykott von Montgomery schreibt er, daß er als Student im Anschluß an einen Vortrag über Gandhi ein halbes Dutzend Bücher über Gandhis Leben und Werk gekauft habe „Wie die meisten Leute hatte ich von Gandhi gehört, hatte ihn aber nie ernstlich studiert. Als ich nun die Bücher las, war ich fasziniert von seinen Feldzügen gewaltlosen Widerstands ... als ich tiefer in die Philosophie Gandhis eindrang, nahmen meine Zweifel an der Macht der Liebe allmählich ab, und ich erkannte zum ersten Mal, was sie auf dem Gebiet der Sozialreform ausrichten konnte. Ehe ich Gandhi gelesen hatte, glaubte ich, daß die Sittenlehre Jesu nur für das persönliche Verhältnis zwischen einzelnen Menschen gelte ... Gandhi war wahrscheinlich der erste Mensch in der Geschichte, der Jesu Ethik von der Liebe über eine bloße Wechselwirkung zwischen einzelnen Menschen hinaus zu einer wirksamen sozialen Macht in großem Maßstab erhob. Für Gandhi war die Liebe ein mächtiges Instrument für eine soziale und kollektive Umgestaltung. In seiner Lehre von der Liebe und Gewaltlosigkeit entdeckte ich die Methode für eine Sozialreform, nach der ich schon so viele Monate gesucht hatte."

Mittel und Ziele

Die Basis von Gandhis politischer Theorie ist: Unrecht, wo immer man es vorfinde, anzugreifen. Dabei sei Gewaltanwendung besser als Feigheit. „Ich glaube, daß ich da, wo nur die Wahl bliebe zwischen Feigheit und Gewalt, zur Gewalt raten würde . . . Dagegen glaube ich, daß die gewaltfreie Aktion der Gewalt unendlich überlegen ist."

Wenn man Menschen, die sich ungerecht behandelt fühlen, und deren Gedanken sich auf einen gewaltsamen Aufstand zu fixieren beginnen, aus diesem Gewaltdenken lösen will, gibt es grundsätzlich zwei Arten der Argumentation, mit der man sich nicht von vornherein desolidarisiert, wie etwa durch die Androhung von Sanktionen oder die Verschleierung der Unrechtsituation. Die erste, vor Gandhi so ausdauernd wie vergeblich gepflegte Art war die religiös-moralische Argumentation. Martin Luthers „Ermahnung zum Frieden" vor dem Bauernkrieg von 1525 dürfte wohl das bedeutendste Beispiel dafür sein, wie durch strenge Interpretation einer theologischen Schrift versucht wurde, potentielle Aufständische von Gewalttaten abzuhalten

Diese Methode des Appells an das Gewissen war Gandhi zwar auch vertraut, durch seinen nahen Umgang mit den jungen indischen Revolutionären hatte er jedoch erfahren, wie wenig Eindruck sie bei den Menschen machte, die zu allem bereit waren, wenn dadurch das revolutionäre Ziel erreicht zu werden versprach. Sie schienen von Leo Trotzkis Grundsatz auszugehen: „Wer ein Ziel anstrebt, darf die Mittel nicht verwerfen."

Gandhi stellte darum bei seiner Argumentation das allen gewaltsamen Aufständen gemeinsame Erfolgsstreben in Rechnung und setzte mit seiner Kritik nicht am sittlichen Wert der Gewalttat, sondern an deren schließlichem Erfolg an. Er hielt den gewaltsamen Revolutionären vor, es gebe ein die Geschichte bestimmendes Gesetz vom Zusammenhang zwischen Mitteln und Zielen: „Die Mittel kann man mit dem Samen vergleichen, das Ziel mit dem Baum, und der Zusammenhang zwischen Mittel und Ziel ist genau so notwendig wie der zwischen Samen und Baum."

Das politische Ziel mußte nach Gandhis Auffassung immer schon in den Mitteln sichtbar werden; ein Ding könne schließlich nur durch dieselben Mittel erhalten werden, mit denen es erlangt wurde. „Ein Ding, das mit Gewalt erlangt wurde, kann nur mit Gewalt erhalten werden." Aus dieser Überzeugung heraus wagte er es beispielsweise, am 28. November 1938 einen zugleich aufmunternden und warnenden Brief an die Juden zu schreiben. „Wenn die Juden das geographische Palästina als ihre nationale Heimstätte ansehen müssen, ist es falsch, es im Schatten der britischen Geschütze zu betreten. Eine religiöse Tat kann nicht mit Hilfe von Bajonetten und Bomben ausgeführt werden. Sie können sich in Palästina nur mit Zustimmung der Araber niederlassen . . ., sie können mit gewaltfreien Aktionen die Herzen der Araber bekehren . . ., sie können klarmachen, daß sie bereit sind, erschossen und ins Tote Meer geworfen zu werden, ohne einen Finger gegen sie zu erheben ... Es gibt Hunderte von Möglichkeiten, mit den Arabern vernünftig zu verhandeln, wenn sie nur auf die Hilfe der britischen Bajonette verzichten." Das waren im Jahre 1938 und in den folgenden Jahren fast zynisch klingende Vorschläge, und doch kann man sich 30 Jahre später angesichts des militärischen Aufmarsches am Mittelmeer fragen, ob Gandhis Strategie nicht schneller und mit geringeren Opfern zu einer konstruktiven Lösung des arabisch-israelischen Konfliktes geführt hätte.

Nicht nur in der Kontinuität einmal begonnener militärischer Auseinandersetzungen und ihren eskalierenden Opfern sah Gandhi einen Grund für die Befürwortung gewaltfreier Kampfmethoden, er meinte auch, einen Zusammenhang zwischen dem Charakter eines Regierungssystems und den Methoden, die zu seiner Errichtung führten, herstellen zu können: „Ich halte fest an der Ansicht, daß die Demokratie nicht mit Zwangsmethoden entwickelt werden kann. Der Geist der Demokratie kann nicht von außen aufgepfropft werden, er muß von innen herauskommen."

Hier ist Gandhi in seinem Denken konkreter als manche Vertreter der weltweiten studentischen Rebellion. Seiner Auffassung nach ist die Unterscheidung von „unterdrückender (repressiver) und befreiender (emanzipierender) Gewalt" die durch Frantz Fanons Schrift über die „Verdammten der Erde" in manchen außerparlamentarischen Oppositionsgruppen populär wurde langfristig gesehen eine Illusion. Diese Unterscheidung meinte im Anschluß an die Osterdemonstrationen 1968 auch ein Berliner Autorenkollektiv treffen zu können: „Einer Gesellschaft, die Erziehung so eng mit Gewalt verkoppelt hat, geben wir, indem wir uns jetzt in der Anwendung von Gegengewalt selbst erziehen, eine Antwort in ihrem eigenen Idiom." Jedoch gerade in diesem Lernprozeß, der mit der Anwendung der angeblich befreienden Gewalt verbunden ist, ist auch die Begründung für Gandhis These von dem Zusammenhang zwischen Zielen und Mitteln zu finden.

Kritik der revolutionären Gewalt

Gewaltanwendung, von welcher Gruppe sie auch erfolgt, bedeutet für diese Gruppe immer, daß sie ihren eigenen Standpunkt als richtig verabsolutiert und in ihr die Willensbildungsprozesse hierarchischer Strukturen folgen. Diese Behauptung widerspricht dem Selbstverständnis gewaltsamer Revolutionäre, aber nicht dem empirischen Befund. Eine spontane oder geplante Gewaltanwendung hat als psychologische Voraussetzung die feste Überzeugung oder doch das starke Gefühl, vollständig im Recht zu sein und einem Gegner gegenüberzustehen, der genauso vollständig im Unrecht und darüber hinaus nahezu unbelehrbar ist. Dies entspricht selten oder nie den tatsächlichen Verhältnissen, und die auf ihr „Bewußtsein" pochenden Revolutionäre müßten sich eigentlich eingestehen, daß man selbst bei sorgfältigstem Bemühen um eine Analyse der Lage im Endergebnis nur über ein partielles Wissen verfügen und damit unvermeidlich auch zu Fehlurteilen kommen kann. Wird erst einmal Gewalt angewandt, wird für deren Träger die Versuchung fast unüberwindlich, auch die sympathisierenden Kritiker dieser Aktio-nen mit eigenen Machtmitteln zum Schweigen zu bringen, was zu pathologischen Lernprozessen in der gewaltausübenden Gruppe führt, weil wichtige Informationen nicht länger ausgenommen werden.

Es sprechen aber nicht nur psychologische Gründe gegen die Hoffnung auf eine befreiende Wirkung der Gewalt. Die Vorbereitung revolutionärer gewaltsamer Aktionen muß auch in formaldemokratisch verfaßten Staaten zum Eingreifen der Behörden oder zur gewaltsamen „Selbstschutzmaßnahmen" konservativer Kreise führen. Diese Reaktion zwingt die Protagonisten gewaltsamer Aktionen zur geheimen Vorbereitung ihrer Unternehmungen und zu Schutzvorkehrungen gegen Spitzel und in der Konsequenz bald zu einer Untergrundorganisation. Alle Erfahrungsberichte aus solchen Organisationen zeigen aber, daß sie ohne eine streng hierarchische Gliederung, ohne strikte Ausrichtung am Befehls-Gehorsams-Verhältnis und ohne ein hohes Maß von Mißtrauen jedes gegen jeden nicht beste-hen und handeln können Eine solche Geheimorganisation, Sabotagegruppe oder Guerilla-Organisation verliert dadurch weitgehend den Kontakt zu denen, für die sie angeblich kämpft, und es wird auch äußerst schwierig, auch nur innerhalb der eigenen Reihen Kritik und Vorschläge von unten nach oben weiterzugeben.

Von den Befürwortern gewaltsamer Revolutionen, also in erster Linie von den Anhängern Mao Tse-tungs und Che Guevaras wird allerdings das genaue Gegenteil behauptet: „Eine Partisanengruppe kommt ohne Hierarchie aus; nicht militärische Ränge, sondern Vertrauen und gegenseitige Hilfsbereitschaft bestimmen das Verhältnis ihrer Mitglieder untereinander. Ihre Disziplin entspringt nicht einer vorgegebenen Autorität; Autorität ergibt sich jeweils aus der Situation und der Entscheidung, wie sie zu bewältigen sei. Eine solche Regelung der menschlichen Beziehungen nimmt bereits das Ziel der Revolution vorweg — eine auf die Maximen der Vernunft gegründete, egalitäre Gesellschaftsordnung. Die führend am Partisanenkampf Beteiligten erfahren dabei eine Einübung in Demokratie, die die Revolution nach dem militärischen Sieg vor einer Entfremdung zwischen Staatsmacht und Volk bewahrt."

Nur empirische Untersuchungen, die vom Studienobjekt her sehr schwierig sind, könnten zu einer Klärung und evtl, zu einer Umfunktionierung dieser angeblichen Maoisten führen, gegen deren Erwartungen von der erzieherischen Funktion einer Partisanenbewegung prinzipiell nichts einzuwenden ist. Gandhi würde diesen Anhängern von Mao und Che nur erwidern, daß ihre Erwartungen allenfalls in einem gewaltfreien Aufstand, nicht aber in einem Guerillakampf realisiert werden könnten. In der algerischen Befreiungsarmee hat es eine klare militärische Hierarchie 'gegeben, in der nationalen Befreiungsfront in Süd-Vietnam gibt es sie heute zweifellos, und selbst in der überschaubaren Kampfgruppe Che Guevaras in Bolivien gab es keine demokratischen Willensbildungs-und Abstimmungsprozesse, sondem Che hatte den eindeutigen Oberbefehl

Auch in gewaltfreien Kampagnen gibt es führende Persönlichkeiten oder Führungsgruppen, aber im Unterschied zu den Autoritäten in Guerilla-Armeen oder Untergrund-Organisationen sind sie durch Beratungen, Abstimmungen und Wahlen einer regelmäßigen Kontrolle von unten unterworfen, und außerdem verfügen sie über keinerlei Sanktionen, um den Austritt Kampfunwilliger aus der Aufstandsbewegung zu unterbinden. Ihre Aktionen sind insofern ein „Plebiscite de tous les jours", was man von Guerillakämpfen auf Grund der gewaltsamen Sanktionen der Guerillas nur mit großen Einschränkungen und nur im Hinblick auf traditionelle militärische Operationen sagen kann Guerilla-Organisationen mögen in ihren Anfangsphasen relativ demokratischer sein als reguläre Verbände, je mehr sie sich jedoch der Phase nähern, in der sie kräftig genug sind, regulär Krieg zu führen und den Gegner in konventionellen Schlachten niederzuringen, desto undemokratischer, das heißt hierarchischer, wird der Willensprozeß in ihnen. Da die USA dem kubanischen Diktator Batista schließlich die weitere Unterstützung versagten, hatten Fidel Castro und seine Guerillos das seltene Glück, diese letzte Phase der regulären Kriegführung nicht durchstehen zu müssen. Man sollte darum aber auch sehr vorsichtig sein, aus der kubanischen Ausnahme allgemeine Schlußfolgerungen abzuleiten. Allgemeingültiger als die relativ günstigen kubanischen Ergebnisse dürfte sein, daß die am Partisanenkampf Beteiligten nicht eine Einübung in Demokratie, sondern in Befehlen und Gehorchen und in der unkritischen Übernahme von Agitprop erfahren. Sollte eine solche hierarchisch gegliederte und im Befehls-Gehorsams-Mechanismus funktionierende revolutionäre Organisation sich militärisch und propagandi-stisch durchsetzen und die politische Führung übernehmen, so werden die Spitzen dieser „Befreiungsbewegung" unkontrollierte Macht in ihren Händern haben. Es ist höchstwahrscheinlich, daß sie unter Berufung auf einen — im Anschluß an gewaltsame Auseinandersetzungen meist vorhandenen — Notstand „vorläufig" die unkontrollierte Macht auch in ihren Händen behalten.

Als Kenneth Kaunda, der spätere Ministerpräsident von Sambia, im März 1963 gefragt wurde, warum er sich den algerischen Befreiungskrieg nicht zum Vorbild nehme, erklärte er: „Wenn wir gewaltsam kämpfen würden und in ein oder zwei Jahren das durchsetzten, was wir wünschten, so hätten wir den Samen des Zweifels in unser Land gesät. Diejenigen, welche nicht mit uns übereinstimmten, hätten ein Vorbild politischen Verhaltens. Sie würden versuchen, einen Umsturz zu organisieren . . . Die Geschichte zeigt zu mehreren Malen, daß die Methode, die einer anwendet, um ein Ziel zu erreichen, oft genau die Methode ist, mit der andere Leute versuchen, ihm die Macht zu entreißen." Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, daß Kaunda sich bis heute das Vertrauen und die Mitarbeit seines Volkes erhalten konnte während Ben Bella von seinen Waffengefährten von der politischen Bühne verdrängt wurde.

Gewaltanwendung und Geheimhaltung führen unweigerlich zu Mißtrauen, Korruption und Brutalität in einer Kampforganisation. Ein wichtiges Zeugnis für solche Prozesse sind die Memoiren von Vera Eigner, einem Mitglied der russischen Terroristenorganisation „Narodnaja Volja", die zwar auf die Solidarität und heroische Opferbereitschaft in kleinen revolutionären Kampfgruppen hinweist, dann aber doch nicht verschweigt: „Gewalt als Mittel des politischen Kampfes ruft Verrohung hervor, weckt Raubtierinstinkte, veranlaßt zu schnödestem Vertrauensbruch." Der farbige Süd-afrikaner Can Themba warnt angesichts der Alternative Guerillakrieg oder gewaltfreie, konstruktive Aktion vor den Spätfolgen revolutionärer Gewaltanwendung: „Das Ungute an der Gewalt ist, daß sie mich selbst brutal macht und dabei gerade das verrotten läßt, was sie erreichen möchte. Und außerdem hinterläßt sie eine blutige Erbschaft. Wenn wir Afrikaner eine Generation unserer Kinder in der Tradition der Gewalt aufziehen, so werden sie innerhalb eines Menschenalters selber wieder zu Urhebern neuer Gewalt. Und sie wird es späteren Generationen schwer machen, den tieferen Wert des Friedens anzuerkennen."

Diese Verlängerung des Blicks in die Zukunft, der Hinweis auf die Neben-und Fernwirkungen gewaltfreier und gewaltsamer Maßnahmen war Gandhis wichtigste pädagogisch-revolutionäre Aufgabe. Sein erzieherisches Ziel war es, möglichst viele Menschen zu gewinnen, sich zunächst versuchsweise auf ein Experiment der gewaltfreien Aktion einzulassen und schließlich einen Bund von Menschen zu bilden, die nicht nur in offensichtlich erfolgversprechenden, sondern selbst in unübersichtlichen, ja verzweifelten Situationen mit gewaltfreien Methoden um eine gerechte Lösung des Konfliktes kämpfen würden; er nannte diesen harten Kern seiner Befreiungsbewegung „Satyagrahis", zu deutsch gewaltfreie Berufsrevolutionäre. Gandhi versprach sich von diesem unbedingten Entschluß, keinem Andersdenkenden gewaltsam zu begegnen, eine die Phantasie befreiende Wirkung. „Ohne ein festes Zutrauen zur gewaltfreien Aktion wird er (der Aufständische — Th. E.) im kritischen Moment nicht fähig sein, einen gewaltfreien Ausweg zu entdecken."

Die psychologische Grundsituation eines Satyagrahi läßt sich wohl am besten placieren zwischen dem Jesus-Wort „In der Welt habt Ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" und den Sgrafitto der Pariser Mai-Revolte des Jahres 1968 „Die Phantasie an die Macht" Die Furchtlosigkeit des gewalt-freien Berufsrevolutionärs sollte in seinem Glauben an die erlösende Kraft freiwilligen* Leidens und sein Wagemut in der Hoffnung auf die unerschöpflichen Möglichkeiten mit gewaltfreien Mitteln „Macht von unten" zu entfalten, gründen. „Ein Soldat kämpft dann mit unwiderstehlicher Kraft, wenn er die Brücken hinter sich gesprengt und die Boote verbrannt hat. Genau so ist es mit dem Soldaten der gewaltfreien Aktion."

Kampfkraft der gewaltfreien Aktion

Wer wie Nkrumah in der gewaltfreien Aktion zunächst nur ein „äußerst schwaches Mittel" sieht, der muß überrascht sein von Gandhis These, daß diese Aktionsform nicht etwa nur eine Vorstufe der gewaltsamen Revolution sei, die häufig schon zum Erfolg führe, sondern „ein vollwertiger Ersatz für den bewaffneten Aufstand" selbst Die unterschiedliche Bewertung der Kampfkraft gewaltfreier Aktionen und deren Unterschätzung in der deutschen Öffentlichkeit rührt daher, daß man sie mit legalen Protestaktionen identifiziert, bei denen die Teilnehmer kein großes Risiko eingehen und die Presse mit „Drei-Zeilen-Meldungen" reagiert Gandhi sah für gewaltfreie Aktionen jedoch eine ganze Eskalationsleiter von Kampfmaßnahmen, die legale und illegale Aktionen einschloß und die von Protestaktionen über die gewaltfreie Nicht-Zusammenarbeit bis zum zivilen Ungehorsam reichte. Einsatzbereitschaft, die Gandhi von Satyagrahis forderte, war zwar wohlkalkuliert, jedoch grundsätzlich grenzenlos; er meinte, ein Satyagrahi müßte seine Leben ein alle Güter und sein -setzen, wenn es um eine gerechte Sache ginge. Diese grenzenlose Einsatzbereitschaft machte Gandhi glaubwürdig; sie war das Motiv für den Respekt, mit dem ihm seine etablierten Gegner und die gewaltsamen Revolutionäre begegneten. Die gewaltfreie Aktion kann nämlich nur dann „ein vollwertiger Ersatz für den bewaffneten Aufstand" sein, wenn ihre Träger den gewaltsamen Revolutionären an Aktivität und Opferbereitschaft in nichts nachstehen. Diese Bedingung war im Unabhängigkeitskampf Indiens erfüllt, und sie ist es in der Bürgerrechtskampagne in den USA, aber bei den Befürwortern der Gewaltfreiheit in der deutschen Demokratisierungsbewegung steht der theoretische Anspruch häufig in einem deutlichen Mißverhältnis zum praktischen Engagement, und die Propagierung gewalt-freier Aktionen wird darum zuweilen zu Recht als Abwiegelungsversuch zu entlarven gesucht.

In gewaltfreien Aufständen, die Ersatz und nicht Vorspiel revolutionärer Befreiungskriege sein wollen, kommen zu den Protestdemonstrationen auch Zwangsmittel wie die organisierte Zusammenarbeit, die von der Niederlegung von Ehrenämtern bis zum Generalstreik oder zum umfassenden Boykott ausgewählter Waren oder bestimmter Geschäfte führen kann. Das stärkste Kampfmittel der gewaltfreien Aktion ist dann der zivile Ungehorsam oder die zivile Usurpation, bei der bestimmte Gesetze einer Regierung oder der Regierungsanspruch überhaupt demonstrativ mißachtet werden. Gandhi nannte hier als „eine der schnellsten Methoden, eine Regierung zu stürzen", die Steuerverweigerung Martin Luther King konzipierte als weiteres Kampf-mittel des zivilen Ungehorsams die Blockierung von Stadtzentren durch Tausende von Sitzstreikenden: „Eine Stadt lahmzulegen, ohne sie zu zerstören, kann wirksamer sein als ein Aufruhr, weil eine solche Lahmlegung länger dauern kann und die Gesellschaft teuer zu stehen kommt, ohne blind zerstörerisch zu wirken .. . Eine sich solcher Methoden bedienende Bewegung würde, ohne ein Streichholz anzuzünden oder einen Schuß zu feuern, wie ein Erdbeben wirken." Während mit Sitzblockaden auch militante Minderheiten Druck ausüben können — und Gandhi war kein genereller Befürworter studentischer Sit-ins — ist der Generalstreik ein Mittel, das der Unterstützung der Mehrheit bedarf. Gandhi hat nur zu eintägigen Generalstreiks (Hartal) aufgerufen, um zu Beginn von großen Kampagnen einen Solidarität demonstrierenden Auftakt zu haben. Im übrigen war er sich darüber im klaren, daß ein Generalstreik — wie vielleicht auch die Lähmung einer Stadt durch eine Sitzblockade — sich gegen die Streikenden selbst wenden kann, die sich und andere von der Zulieferung lebenswichtiger Güter abschneiden.

Um diesen Nachteil auszugleichen, wurden auch schon von Gandhi in indischen Agrarkampagnen, in noch stärkerem Maße aber von Danilo Dolci in Sizilien, in der italienischen und französischen Arbeiterbewegung und zur Zeit in einigen Studentenkampagnen Methoden des „aktiven" oder „umgekehrten" Streiks entwickelt die man auch als „zivile Usurpation" bezeichnen könnte; die Aufständischen legen dabei die bestreikten Institutionen nicht einfach lahm, sondern übernehmen sie mit einem konstruktiven Programm und gemäß demokratischen Verhaltensregeln in eigener Regie. Die zivile Usurpation bedarf jedoch der sorgfältigen organisatorischen Vorbereitung, sonst gleitet sie wie viele studentische „Instituts-und Universitäts-Besetzungen" in Bürgerkriegsspiele ab, in denen „befreite Territorien" gegen den Zugriff der Polizei durch Barrikaden und Wurfgeschosse verteidigt werden Die gewaltfreie zivile Usurpation baut allein auf den Anpassungsdruck, der von den wie selbstverständlich ausgeübten neuen sozialen Rollen ausgeht, und auf die Unmöglichkeit, massenhafte Usurpationen nur durch Sanktionen zu unterdrücken.

Gandhi ist vor radikalen Maßnahmen nicht zurückgeschreckt, hat jedoch seinen Landsleuten eingeschärft, daß nur wirklich „ziviles" Verhalten Überzeugungskraft besitze und den konstruktiven Anpassungsdruck ausübe. Nach der Ermordung mehrerer Polizisten durch aufgebrachte Inder im Februar des Jahres 1922 sah er sich gezwungen, dieses „zivile" Verhalten als „höflich, wahrheitsliebend, bescheiden, klug, hartnäckig, doch wohlwollend, nie verbrecherisch und haßerfüllt" zu präzisieren Die Sit-ins der amerikanischen Neger in rassengetrennten Restaurants, in denen sie Bedienung verlangten, haben sich genau an diese Vorschriften gehalten — und damit auf diesem begrenzten Sektor auch unbestreitbare Erfolge erzielt Wenn die deutschen Studenten sich bei ihren Go-ins in Vorlesungen, Seminaren und Gottesdiensten und bei den Instituts-und Rektoratsbesetzungen genau an Gandhis Vorstellungen eines zivilen Auftretens gehalten hätten, wäre es konservativen Professoren und Pfarrern und der Administration sehr viel schwerer gefallen, die öffentliche Meinung gegen solchermaßen hartnäckige, aber immer höfliche Reformer zu mobilisieren.

Eine zivile Usurpation soll nicht nur das bisherige ungerechte System hindern, weiter zu funktionieren, sondern auch schon sichtbar machen: die gewaltfreien Aufständischen wollen kein Chaos, sie haben vielmehr präzise Vorstellungen einer funktionierenden Alternative. Gandhi hat nachdrücklich vor bloß paralysierenden Kampfmaßnahmen gewarnt: „Der zivile Ungehorsam ist ein Stimulans für die Kämpfer und eine Herausforderung für die Gegner ... Ohne die Mitarbeit von Millionen bei konstruktiven Bemühungen bleibt er jedoch im bloßen Abenteuertum (mere bravado) stecken und ist schlimmer als nutzlos."

Kalkuliertes Leiden

Der Hinweis auf die Kampfkraft gewaltfreier Aktionen wäre realitätsfremd, wenn er nicht durch Überlegungen über die Sanktionen der Gegner und den Möglichkeiten, diesen zu begegnen, ergänzt würde. Der Rechtsanwalt Gandhi hat Mitkämpfern zu Beginn von seinen gewaltfreien Kampagnen immer möglichst präzise „Kostenvoranschläge''zu machen versucht, wobei er grundsätzlich eher dazu neigte, die erforderliche Opferbereitschaft zu hoch als zu niedrig zu veranschlagen. Diese verantwortliche Kalkulation der Risiken vermißt man heute bei den studentischen Aktionen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern — mit Ausnahme der Protestaktionen in den Ostblockstaaten — in der ganzen Welt. Zu vielen der Aktionen der außerparlamentarischen Opposition — insbesondere den sich hart am Rande der Gewalt bewegenden — wäre es nie gekommen, wenn die Sanktionen des „Establishments" richtig einkalkuliert worden wären.

Die Justizapparate, mit denen Gandhi sich in Südafrika und Indien konfrontiert sah, waren noch um einige Grade sanktionsfreudiger und vorbeugegläubiger als die entsprechenden Institutionen in den westlichen Demokratien. Wenn er darum trotz nüchternen Kalküls des Risikos zu illegalen Protestmärschen, zur Steuerverweigerung, zu Streik und zum revolutionären zivilen Ungehorsam aufrief und immer darauf bestand, daß man den Sanktionen sich nicht gewaltsam widersetzen dürfe, hatte das Gründe. In den letzten Jahren wurden diese Gründe nur in der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King oder in der Atomwaffengegnerbewegung um Bertrand Russell reflektiert. In der außerparlamentarischen Opposition der Bundesrepublik und ihrer „Justizkampagne" wurden und werden sie fast nie beachtet. Eine Ausnahme bildete allenfalls der Sitzprotest des „Komitees der 100" vor der Griechischen Militärmission in Berlin am 3. Februar 1968, in dessen Vorankündigung vom 15. Januar davon gesprochen worden war, daß die Teilnehmer bereit sein müßten, „zivilen Ungehorsam zu leisten und notfalls die Solidarität mit Griechenland durch den Gang ins Gefängnis unter Beweis zu stellen" '

Gandhi wie auch Martin Luther King sahen der Konfrontation mit den Sanktionen der Herrschenden in dem entgegen, Bewußtsein daß freiwillige, ohne Haß getragene Opfer der Aufständischen für alle von dem Konflikt Betroffenen eine emanzipatorische Wirkung haben würden. Gandhi hatte die Erfahrung gemacht, daß man als Politiker nicht nur den Verstand, sondern auch das Gefühl ansprechen müsse. So wurde er von den englischen Kolonialherren zwar in vielfacher Hinsicht diffamiert, aber nie kam einer der englischen Vizekönige auf die Idee, ihn als „kaltschnäuzigen Revolutionär“ zu bezeichnen Gandhi wußte um den Wahrheitsgehalt des alten Sprichwortes: „Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt." Er verlangte die nüchterne Analyse eines Konfliktes, aber er wollte auf keinen Fall auf die moralische und emotionale Dimension einer Kampagne verzichten. „Ich habe herausgefunden, daß der bloße Appell an die Vernunft überall da keinen Widerhall findet, wo die Vorurteile jahrhundertealt sind oder auf vermeintlicher Autorität beruhen. Die Vernunft muß durch Leiden gestärkt werden, und Leiden öffnet die Augen zum Verstehen." Diese kalkulierte Leidensbereitschaft wird von gewaltsamen Revolutionären häufig als „Masochismus" abgetan. In Wirklichkeit haben gewaltfreie Aufständische um Gandhi, King oder Russell vor Gericht ihre Handlungsweise höflich und hartnäckig begründet — und von den Richtern und Staatsanwälten die persönliche Unterstützung ihrer Bewegungen gefordert In gewaltfreien Bewegungen wurden auch die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel erschöpft, und nie hat sich ein Angeklagter bemüht, eine hohe Strafe zu provozieren, oder sich hinterher als Märtyrer gebärdet. Durch ihre Bereitschaft, auch ungerechte Sanktionen zu ertragen, wollten sie den Herrschenden und der beobachtenden Öffentlichkeit nur deutlich machen, daß es ihnen nicht um Vergeltung für vergangene Ausbeutung, Unterdrückung oder Bevormundung gehe, sondern allein um ein neues, gerechteres System.

Demonstranten, die bei gewaltsamen Übergriffen der Polizei oder rechts-extremer Gruppen der Bevölkerung nicht von ihrem (oft juristisch schwer nachweisbaren) Notwehrrecht Gebrauch machen, versuchen durch ihre Selbstdisziplin und ihre Opferbereitschaft, einer vielfach manipulierten Bevölkerung zu signalisieren, daß sie keine verantwortungslosen Chaotiker sind, sondern nur die bestehende Ordnung, nicht aber die Ordnung überhaupt, ablehnen. Setzen sich Demonstranten gegen Sanktionen zur Wehr, so ist es bei den Verbindungen zwischen dem Establishment und den Massenkommunikationsmitteln und der oft obrigkeitsstaatlichen Gesinnung weiter Teile der Bevölkerung überaus wahrscheinlich, daß die Öffentlichkeit meint, in den Demonstranten die Angreifer sehen zu müssen. Kündigen Demonstranten dagegen eine unbedingt gewaltfreie, direkte Aktion an, haben nicht sie ihre Notwehrsituation, sondern die Regierenden in der Öffentlichkeit die Verhältnismäßigkeit ihrer Mittel nachzuweisen. Aus diesen Gründen hat Gandhi die Satyagrahis Verpflichtungen zum gewaltfreien Verhalten unterzeichnen lassen, und auch in der Bürgerrechtsbewegung in den USA, in der englischen Atomwaffengegner-Bewegung und im „Komitee der 100" in Berlin wurden solche Verpflichtungen unterschrieben

Diese Bereitschaft zum freiwilligen Leiden, so kalkuliert sie auch sein mag, hat letztlich doch die Überzeugung zur Voraussetzung, daß es besser ist, selbst zu leiden, als andere leiden zu lassen, selbst zu sterben, als andere zu töten. Rational läßt sich eine solche Haltung wahrscheinlich nicht einsichtig machen. Es ist eine existentielle Grundentscheidung, die nur im Wagnis des Glaubens an die erlösende Kraft des Leidens, an die Theologie des Kreuzes erfolgen kann. Häufig halten sich die Sanktionen in Grenzen, so daß diese Entscheidung nicht allen in aller Deutlichkeit abverlangt wird. Gandhi meinte jedoch in späteren Jahren — nach manchen Enttäuschungen —, zwischen der „Gewaltlosigkeit der Schwachen" und der „Gewaltlosigkeit der Starken" unterscheiden zu müssen in deutscher Sprache hat man ein „gewaltfreies" Verhalten von einem „gewaltlosen" abzuheben versucht. Die „Gewaltlosigkeit der Starken" bzw. die „Gewaltfreiheit" basiert auf dem Wagnis des Glaubens an die emanzipatorische Kraft des Leidens; die „Gewaltlosigkeit der Schwachen" dagegen ist situationsbedingt, und sie beruht nicht auf religiösen oder humanistischen Überzeugungen, sondern auf der spontanen Einsicht, daß die Kräfte fehlen, den Gegner gewaltsam niederzukämpfen.

Gandhis Modifizierung des Klassenkampfes

Gandhi hat das Element des Opfers in seinen Kampagnen mehr betont als den Druck, den die gewaltfreien Aktionen der Satyagrahis ausübten. Er wußte, daß seine Gegner durch freiwilliges Leiden allein nicht zu überzeugen waren; durch Nichtzusammenarbeit und zivile Usurpationen mußten erst neue Machtverhältnisse geschaffen werden. Das freiwillige Leiden hatte dann eine doppelte Funktion: Einerseits sollte es beim Gegner emotionale Barrieren gegen eine Veränderung der sozialen Strukturen durchbrechen, und andererseits sollte es emotionale Hemmungen gegen eine volle Anwendung aller Sanktionsmittel aufbauen. Überzeugung (conversion) und Zwang (coercion) sind also beides unverzichtbare Bestandteile einer gewaltfreien Kampagne. Verläßt sich eine Kampagne allein auf das Moment der Über-zeugung, läuft sie Gefahr, das Beharrungsinteresse der Herrschenden zu unterschätzen und in naiven Appellen zu versanden; baut eine Kampagne allein auf die Zwangsmittel der gewaltfreien Aktion, läuft sie umgekehrt Gefahr, unversehens zum Freund-Feind-Denken überzugehen, das die Politik als ein Null-Summen-Spiel begreift. Man nimmt dann an,daß der eigene Vorteil immer einem gleich großen Nachteil des Gegenspielers entsprechen müsse, „überzeugen" heißt aber, ihm klarmachen, daß die konstruktiven Alternativen der Aufständischen auch in seinem Interesse als eines die Emanzipation suchenden Wesens sind.

Mit der Entdeckung des freiwilligen Leidens als Faktor der revolutionären Veränderung hat Gandhi die marxistische Klassenkampftheorie in schöpferischer Weise fortgeführt und überwunden. Er sah die Rollenzwänge, denen die Herrschenden in einer kapitalistischen Gesellschaft ausgesetzt sind; er fixierte sie jedoch nicht auf eine bestimmte historische Charakter-maske. Er haßte seine Gegner nicht, weil er zwischen dem bekämpften politischen System und der geschätzten Person des Gegners zu unterscheiden gelernt hatte. In einem offenen Brief schrieb er im Juli 1921 an die Engländer in Indien: „Ich habe gefunden, daß der Mensch mehr wert ist als das System, das er entwirft. Und so weiß ich denn auch, daß ihr als einzelne genommen unendlich besser seid als das System, das Ihr als Gesamtheit entwickelt ... Hier in Indien gehört jeder einem System an, dessen Niederträchtigkeit gar nicht zu beschreiben ist. Es ist mir deshalb möglich, das System in den schärfsten Ausdrücken zu verurteilen, ohne Euch deshalb für schlecht zu halten und ohne jedem Engländer schlechte Absichten zu unterschieben. Ihr seid ebensosehr Sklaven des Systems wie wir."

Die Strategie Gandhis zielte darauf ab, mit gewaltfreien Kampfmaßnahmen das unrechte System funktionsunfähig zu machen und gleichzeitig eine konstruktive Alternative anzubieten. Die Veränderung der Umwelt durch Nicht-zusammenarbeit und zivile Usurpationen sollte für die angeblichen Charaktermasken neue Rollen schaffen, die sie unter Druck und Appell ergreifen konnten. Daß sich eine solche Umfunktionierung sozialer Institutionen nicht schlagartig, sondern zögernd und in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mit unterschiedlicher Intensität vollzieht, versteht sich von selbst. Diese neue Form des gewaltfreien Klassenkampfes beziehungsweise die Überwindung der Klassengesellschaft ist nicht als ein revolutionärer Coup, sondern als „langer Marsch durch die Institutionen" (Rudi Dutschke) zu begreifen Andre Gorz Knut Nevermann und Ossip K. Flechtheim haben in diesem Sinne eine langfristige Strategie „systemüberwindender Reformen" zu entwickeln gesucht, die durch gewaltfreie direkte Aktionen in Gang gebracht und beschleunigt werden.

Gandhi und die außerparlamentarische Opposition

Die Rebellion der Studenten, Schüler und jungen Arbeiter, die nach dem 2. Juni 1967 so vehement in der Bundesrepublik einsetzte, schwankt in ihren Methoden zwischen Martin Luther King und Che Guevara. Einerseits orientiert sie sich in ihren Kampftechniken an der amerikanischen Bürgerrechts-und Studenten-bewegung die viel von Gandhi gelernt hat, und andererseits versucht sie, diese Kampftechniken im Rahmen der Klassenkampftheorie des 19. Jahrhunderts oder jüngster Guerillakonzepte einzusetzen Werden aber die gewaltlosen Kampftechniken eines Gandhi oder King in den Rahmen gewaltsamer Revolutionstheorien eingefügt, können sie keine Erfolge zeitigen. Da die Wirkung der gewaltfreien Aktion auf der Kombination von Zwang und Über-zeugung beruht, sind die gewaltlosen Techniken ohne den permanenten Versuch zum zuweilen äußerst schwierigen Dialog mit dem Gegner und ohne die Symphathiewerbung in der Öffentlichkeit zum Scheitern verurteilt.

Einzelne Studentengruppen, vor allem aus den evangelischen und katholischen Studentengemeinden, dem Liberalen Studentenbund und dem Sozialdemokratischen Hochschulbund, ha-jen seit dem 2. Juni immer wieder versucht ind versuchen es noch, mit einer bewußt gewaltfreien Strategie soziale Wandlungen hereizuführen. In der Vergangenheit haben sie ich mit ihren Argumenten auch zumindest so veit durchsetzen können, daß die „emanzipaorische Gewaltanwendung" Ausnahmeirscheinung blieb. Dies galt bis zum Attentat luf Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968. lei den dann folgenden Demonstrationen rannten in einigen, keineswegs aber in allen Jtädten der Bundesrepublik die argumentatiren Sicherungen gegen die Gewalt erstmals lurch.

Die Aktionen gegen die Notstandsgesetze waen dann wieder weit disziplinierter als die sterdemonstrationen. Die Enttäuschung über len unzulänglichen Erfolg der Demonstratioen gegen die Notstandsgesetze war groß. Sie nußte es sein, weil die Notstandsgesetze mit Agitprop-Methoden dem Ermächtigungsgesetz [leichgesetzt wurden und weil die Situation ach der Verabschiedung der Notstandsgesetze ron den Chief Whips der Protestierenden nicht jffentlich erörtert worden war

Das Versäumnis der auch vom damaligen Jutizminister Heinemann befürworteten Amnetie, die Erbitterung über die im Herbst 1968 rerstärkt einsetzenden Gerichtsverfahren und ie fehlende Reformbereitschaft an den Univeritäten führten schließlich dazu, daß die gevalttätig-militanten Gruppen auf die Mehreitsverhältnisse in der außerparlamentarichen Opposition und die Unterstützung der liberalen keine Rücksicht mehr nahmen, sonlern isoliert agierten. Das Durchschnittsalter hrer Anhänger lag dann im Winter 1968/69 im etwa drei bis fünf Jahre niedriger als das Alter der Demonstranten beim Trauerzug für Jenno Ohnesorg. iese Entwicklung läßt sich zumindest in Berlin ind wahrscheinlich auch in Frankfurt und einien weiteren Universitätsstädten nicht mehr ückgängig machen. Es dürfte in diesen Städen für Befürworter von Gandhis Strategie der ozialen Veränderung heute, im Frühjahr 1969, iemlich aussichtslos sein, in studentischen Versammlungen oder auf irgendwelchen Kordinierungssitzungen von Organisationen der ußerparlamentarischen Opposition sich für ine Strategie der gewaltfreien, direkten Akion einzusetzen. Auch wenn sie Gehör finden sollten, wird dies doch kaum verhindern, daß bei der nächsten Konfrontation mit der Polizei oder im Anschluß an eine gewaltlose Demonstration die militant-gewalttätigen Gruppen wieder auf eigene Faust handeln und der Presse die Schlagzeilen liefern werden.

Unter diesen Bedingungen ist es für die Befürworter von Gandhis Konzeption der direkten Aktion eine Verschwendung der beschränkten Energien, wenn sie weiter versuchen, auf Demonstrationen und Kampagnen, die gerade auch die militant-gewaltsamen Gruppen anziehen, Einfluß zu gewinnen, um einen gewissen Erfolg zu sichern und „das Schlimmste zu verhüten". In einigen Städten der Bundesrepublik ist es für die gewaltfreien Aktiven notwendig, ihre Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen und dabei den Avantgarde-Mythos des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes auf seinen realen historischen Gehalt hin zu konkretisieren und zu relativieren. Die gewaltfreien Aktiven werden in nächster Zeit gemäß eigenen Analysen und nach eigenen Plänen handeln müssen. Sie werden ferner zu Aktionsformen greifen müssen, die sich von ungebetenen militant-gewaltsamen Hilfsgruppen nicht „umfunktionieren" lassen.

Dieses neue Vorgehen verlangt, daß die gewaltfreien Aktiven vorläufig möglichst wenig auf die Straße gehen, und wo dies unvermeidlich ist, allenfalls ausgesuchte, im gewaltfreien Widerstand trainierte Leute es auf eine Konfrontation mit der Polizei ankommen lassen. Größere Umzüge und Massensitzproteste entfallen vorläufig als Kampfmittel. Bevorzugt können angewendet werden: das direkte Gespräch und die Mahnwache, das politische Happening und auch der Hungerstreik, der in der Bundesrepublik verschiedentlich kurzfristig versucht, aber noch keinem echten Test auf seine Wirksamkeit unterzogen wurde. Auch der zivile Ungehorsam und die zivile Usurpation durch ausgewählte Freiwillige sind möglich. Auf jeden Fall sollten spektakuläre direkte Aktionen durch konstruktive Vorschläge ergänzt werden, also durch Dokumentationen, Gutachten und Pläne funktionierender Alternativen.

Es wird sich beim Aufbau einer Bewegung für eine gewaltfreie, soziale Demokratie des „Sarvodaya" zunächst nur um Kaderaktionen handeln können, die eine hohe Opferbereitschaft vom einzelnen fordern. Auf diese Weise wird langsam eine profilierte gewaltfreie Alternative zu den militant-gewaltsamen Gruppierungen aufgebaut werden müssen. Solange die gewaltfreie Aktion nur theoretisch eine Alter-5 native zu den gegenwärtigen Formen des außerparlamentarischen Protestes ist, bleibt sie praktisch bedeutungslos und ist kaum mehr als ein Alibi für Liberale, die es nicht wagen, sich mit den Herrschenden auf einen Konflikt einzulassen.

Nur wenn die gewaltfreie Alternative sich in Gruppen darstellt, die „militant-gewaltfrei" handeln, kann sie die militant-gewaltsamen Gruppen oder die bislang mit diesen Sympathisierenden überzeugen. Solche militant-gewaltfreien Kader gibt es zur Zeit erst in sehr kleinen Gruppen potentiell sind sie jedoch in den politisch aktiven Gruppierungen der evangelischen und katholischen Kirche, einigen Freikirchen und pazifistischen Organisationen vorhanden, weil hier die Ablehnung der Gewalt und die Unterscheidung zwischen System und Person nicht nur vordergründig pragmatisch, sondern religiös und theoretisch fundiert ist.

Direkte Aktion in der Konsumgesellschaft

Die Orientierung westdeutscher Jugendlicher an dem „halbnackten Fakir" Gandhi, von dem Winston Churchill 1931 verächtlich gesprochen hatte scheint heute fast noch absurder zu sein als in den dreißiger Jahren; er scheint überhaupt nicht in die moderne Industrielandschaft und Konsumgesellschaft zu passen.

Läßt sich sein Modell des genossenschaftlichen Ashrams sinngemäß auf die moderne Industriegesellschaft übertragen?

Eines ist zunächst zweifelsfrei: Gandhi würde noch viel schärfer als Vance Packard oder die Zeitschrift „DM" die Hintergründe des planmäßigen psychologischen „Veraltens" und des gleichfalls planmäßigen frühzeitigen Ausfallens von Konsumgütern bloßstellen. Er würde zu einem massiven Boykott nicht-lebensnotwendiger Güter aufrufen, wie er dies in Indien für Alkohol und Nikotin schon kompromißlos getan hatte.

Gandhi würde aber sicher noch einen Schritt weitergehen: Er würde für Investitionen auf dem Sektor der Sozialleistungen eintreten, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen und die nicht schon wieder eine „Vergeudung" in sich darstellen. Danilo Dolci hat in West-Sizilien im Sinne Gandhis solche staatlichen Fehlplanungen und Versäumnisse aufzudecken gewußt Ausbau der Sozialleistungen als

Vorstufe von „Sarvodaya" würde bedeuten: Förderung von Erziehung und Unterricht, Ausbau der Straßen und Verkehrsmittel, Beseitigung der „Unwirtlichkeit unserer Städte"

In der parlamentarischen Demokratie kann der Bürger eine Verschiebung des Schwergewichts der Investitionen vom Konsum-auf den Sozialleistungssektor auf einem direkten und auf einem indirekten Weg vornehmen. Er kann indirekt etwas zu ändern suchen, indem er auf gut Glück eine von mehreren Parteien wählt, oder er kann direkt von seinem (Aus-) Wahlrecht als Konsument Gebrauch machen. Es mag zwar „geheime Verführer" geben aber damit ist der freie Markt auch am Ende seiner Künste: Ein Staat kann noch so gewaltsam sein, er kann seine Bürger nicht zum Konsum zwingen.

Weigert der Bürger sich als Christ, vor Weihnachten oder Ostern für die Hälfte oder ein Viertel seines Monatsgehaltes Geschenke zu kaufen, und investiert er diese Gelder über „Adveniat" oder „Brot für die Welt“ in die Entwicklungshilfe, so trifft er damit ein Wirtschaftssystem, das die private Profitmaximierung als Grundgesetz hat, empfindlich. Der stockende Absatz zwingt die Regierung, die eine Arbeitslosigkeit vermeiden muß, zu planenden Eingriffen in die „freie Marktwirtschaft" und fast unvermeidlich auch zu Investitionen auf dem Dienstleistungssektor. Sie kann die Wirtschaft wieder beleben, indem sie Schulen und Forschungsinstitute baut, die erforderliche Anzahl von Lehrern und Universitätsdozenten und so viel Polizeibeamte einstellt, die für einen echten Dienst am Bürger erforder-lieh sind. Es gibt auf dem Dienstleistungssektor — selbst ohne die unumgängliche Entwicklungshilfe — ungeheuerliche Aufgaben: moderne, für die Resozialisierung geeignete Gefängnisse, einen umfassenden Gesundheitsdienst durch moderne Krankenhäuser, Kindergärten und Altenheime.

Die Erkenntnis, daß man die Regierung, wenn nicht an der Urne, so doch an der Kasse treffen könne, haben sich nicht nur die Inder um Gandhi mit dem Boykott englischer Baumwolltuche, sondern in jüngster Zeit auch die Neger in den USA und Südafrika zunutze gemacht. In den Südstaaten und in den Gettos des Nordens boykottierten die Neger bestimmte Firmen, um sie zu einer Aufhebung der Rassenschranken bei der Bedienung oder zur Einstellung einer angemessenen Anzahl von Farbigen zu zwingen. In Birmingham war im Jahre 1963 der Boykott der Geschäfte in der Innenstadt für die Kampfkraft der Neger vielleicht sogar noch wichtiger als die spektakulären Proteste in den Straßen. Als Martin Luther King 1965 in Chicago mit Massenmärschen keinen sozialen Wandel erzielen konnte, gelang es ihm und den Pfarrern von Chicago schließlich doch noch durch die „Aktion Brotkorb", eine selektive Boykottbewegung, mehrere weiße Firmen zu veranlassen, Farbige einzustellen In Südafrika, wo nach dem Massaker von Sharpeville die afrikanischen Parteien keinen zivilen Ungehorsam mehr zu leisten wagten, führte ein zweimonatiger Boykott von Kartoffeln, die in Südafrika auf „Gefängnisfarmen" erzeugt werden, zu einer eindrucksvollen Solidarisierung der unterdrückten Neger

In den westeuropäischen Konsumgesellschaften hätte ein Boykott mit der Umfunktionierung vom profitablen Konsum in notwendige Sozialleistungen ein viel weitreichenderes Ziel als bei den Indern oder den Negern, und er wäre auch entsprechend schwerer zu organisieren. Einen sehr günstigen Ansatzpunkt würde aber wahrscheinlich eine langfristig vorbereitete Kampagne „Christliche Weihnacht" bieten, deren Konsumverzicht unmittelbar der Entwicklungshilfe zugute käme. Je sorgfältiger und umfassender die Kampagne vorbereitet wäre, desto überflüssiger wären spektakuläre Aktionen in den Straßen kurz vor Weihnachten. In Schweden wurde 1968 eine solche Kampagne improvisiert; die dortigen Störungen in Kaufhäusern waren Mätzchen, welche die Käufer gegen die Demonstranten in Harnisch brachten; und per Saldo haben sie nicht zu Buche geschlagen Höfliche, flugblätter-verteilende Boykottposten sind nach den amerikanischen Erfahrungen von Birmingham aus dem Jahre 1963 viel erfolgversprechender Die Regierungen haben allerdings eine Möglichkeit, sich der Abstimmung des Bürgers an der Kasse statt an der Urne zu entziehen. Die größte aller Verschwendungsmöglichkeiten, die mit einem am privaten Profit orientierten System durchaus konform geht, ist die militärische Rüstung Wenn Gandhis Gesellschaft des „Sarvodaya" sich nach außen und innen militärisch sichern wollte, wäre sie in sich widersprüchlich. Gandhis Verteidigungskonzept ist darum der entscheidende Schlußstein in seinem Gebäude einer gewaltfreien, sozialen Demokratie.

Gewaltfreier Widerstand als Alternative zur militärischen Verteidigung

Die Unsicherheit der europäischen Pazifisten vor dem Problem, wie sie Gandhis Kampftechniken für ihre Ziele einsetzen könnten, erklärt sich nicht zuletzt auch daraus, daß sich Gandhi darüber lange selbst nicht im klaren war. Bis in die Mitte der dreißiger Jahre gab die Weltlage Gandhi noch keinen direkten Anlaß, über die Verwendbarkeit seiner Kampftechniken gegen eine auswärtige Aggressionsmacht oder einen innerstaatlichen Putschversuch nachzudenken (den Kapp-Putsch und den Ruhrkampf hat Gandhi nie kommentiert).

Die innerstaatliche Unterdrückung und die Expansionsbestrebungen des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus zwangen ihn jedoch, seine zunächst traditionell-pazifistische Friedenskonzeption durch eine neuartige Konzeption der Kriegführung zu ergänzen. Im Oktober 1935 näherte sich Gandhi anläßlich der italienischen Invasion in Äthiopien zum ersten Mal einer gewaltfreien Verteidigungspolitik, als er den Äthiopiern empfahl, nicht den Völkerbund um eine bewaffnete Intervention zu bitten, sondern den Invasoren die Zusammenarbeit zu verweigern

Im Mai 1938 hat Gandhi dann seine damals sich erst entwickelnden Vorstellungen näher ausgeführt, als er gefragt wurde, ob er den pazifistischen Standpunkt teile, daß „die Italiener sich geschämt und ihre Pläne aufgegeben hätten, wenn Abessinien einfach auf jeglichen Widerstand verzichtet und Italien zu allen Schandtaten freie Hand gegeben hätte" In seiner Antwort grenzte Gandhi nun seine Konzeption ganz deutlich von dem pazifistischen Widerstandsverzicht ab. „Ich glaube an den Krieg, aber an den Krieg ohne jede Spur von Gewalt." Vom tapferen gewaltfreien Widerstand versprach er sich Erfolg angesichts auswärtiger Bedrohungen. „Wenn Mussolini auf eine ruhige,. würdige und gewaltfreie Mißachtung seiner Anordnungen gestoßen wäre, ... dann wäre er sicherlich gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen."

In den Jahren 1938 bis 1940 wiederholte Gandhi seine Aufforderung, einer nun von Hitler-Deutschland her drohenden Invasion nicht mit Waffen, sondern ausschließlich mit gewaltfreien Widerstandsmethoden zu begegnen, noch mehrfach. Nach dem Münchner Abkommen (30. September 1938) und noch vor der vollständigen Besetzung der Tschechoslowakei durch Deutschland empfahl Gandhi, sich gewaltfreier Widerstandstechniken zu bedienen. Im Unterschied zu den englischen und französischen Pazifisten glaubte er nicht an den Erfolg der Appeasement-Politik. „Die Tschechoslowakei hat mir und uns in Indien eine Lehre zu erteilen. Die Tschechen haben nichts anderes tun können, nachdem sie sich von ihren beiden mächtigen Verbündeten verlassen sahen. Und doch wage ich die Behauptung, wenn die Tschechen den gewaltfreien Widerstand als Waffe zur Verteidigung ihrer nationalen Ehre anzuwenden gewußt hätten, wäre es ihnen möglich gewesen, der geballten Kraft Deutschlands und Italiens zu begegnen. Sie hätten es England und Frankreich erspart, demütig um einen Frieden nachzusuchen, der gar kein Friede ist."

Den gleichen Vorschlag einer gewaltfreien Verteidigungspolitik machte Gandhi den Engländern sogar noch im Juli 1940: „Ich fordere Euch auf, den Nazismus ohne Waffen zu bekämpfen, oder, wenn ich die militärische Terminologie beibehalten soll, mit gewaltfreien Waffen."

Diese Aufrufe blieben wirkungslos. Es gibt dafür mehrere Gründe, die erkannt werden mußten, bevor eine wirklichkeitsnahe Konzeption der gewaltfreien Verteidigung entwickelt werden konnte.

Die Aufrufe kamen nicht von Seiten der Regierung oder eines großen Verbandes, sondern von einem landfremden Außenseiter. Sie kamen auch so spät, daß zur Vorbereitung des Widerstands keine Zeit blieb. Gandhi, dem das Verständnis für die Unterschiede zwischen dem englischen Kolonialregime und totalitären Herrschaftsformen abging, versäumte es ferner, seiner allgemeinen Aufforderung zur gewaltfreien Verteidigung auch die konkreten, detaillierten Widerstandsvorschläge beizugeben, mit denen er in Südafrika und Indien auch diejenigen überzeugt hatte, die seiner politischen Doktrin skeptisch gegenüberstanden. Aus einigen skizzenhaften strategischen Andeutungen läßt sich sogar schließen, daß Gandhi gedanklich noch nicht scharf genug die gewaltfreie soziale von der territorialen Verteidigung unterschied, und nicht soziale Institutionen, sondern die territorialen Grenzen mit Hilfe des lebenden Walles einer „Friedensarmee" verteidigen wollte. Schließlich hat sich Gandhi mit seinen allgemeinen Ratschlägen zu wenig um die sozialen Strukturen gekümmert, welche die Basis der „sozialen Verteidigung" zu bilden haben. Er gab agrarischen Entwicklungsländern und Industriegesellschaften, sozialen Demokratien und autoritären Regimen untereinander austauschbare Verteidigungsrat-schläge. Durch seine allgemeinen Aufforderungen zur sozialen Verteidigung und durch den Anschauungsunterricht seiner Kampagnen gab Gandhi jedoch die weiterführenden Denkanstöße, welche von dem praktisch viel aufschlußreicheren Widerstand gegen den Kapp-Putsch und Ruhrkampf nicht ausgegangen waren.

Es ist nicht möglich, die vielfältigen Versuche von Pazifisten den Entwurf Gandhis zu konkretisieren, hier zu erörtern. Bedeutsamer als diese verstreuten Zeitschriftenartikel und Broschüren war, daß im Jahre 1957 ein höherer englischer Offizier diese Ideen aufgriff. Commander Sir Stephen King-Hall war bis 1929 bei der Marine in der Spionageabwehr tätig gewesen und hatte sich seitdem als Parlamentarier und BBC-Kommentator Ansehen erworben. In seinem aufsehenerregenden Buch „Defence in the Nuclear Age" schlug er nach einer Analyse der militärischen Verteidigungsmöglichkeiten Englands die einseitige Abrüstung und die Umstellung der Verteidigung auf gewaltlose Widerstandsformen vor; dies sollte nach Möglichkeit im Rahmen einer neuen gewaltlosen europäischen Verteidigungsgemeinschaft geschehen.

King-Hall hatte mit seinem Buch die Forschung nur anregen wollen. Sein Vorschlag, eine Royal Commission zur Erarbeitung eines Gutachtens einzusetzen, wurde von der Regierung jedoch nicht aufgegriffen. King-Hall war es gelungen, die Konzeption der sozialen Verteidigung unter Sozialwissenschaftlern „hoffähig" zu machen, aber die Erarbeitung einer weniger flott skizzierten, dafür aber soziologisch, politologisch, volkswirtschaftlich und psychologisch besser begründeten Konzeption wurde von diesen Wissenschaftlern doch sogleich auch als so vielseitige und langwierige Aufgabe erkannt, daß es jahrelang niemand unternahm, sie ernsthaft aufzugreifen.

In den Jahren 1958 bis 1963 wurden zwar von norwegischen amerikanischen englisehen und deutschen Sozialwissenschaftlern eine Reihe in die Problematik einführende Aufsätze geschrieben, aber dies waren mehr Hinweise auf die Bedeutung dieses Forschungsgegenstandes als in der Konkretisierung der Konzeption weiterführende Beiträge. Um diese Stagnation zu überwinden, trafen sich im September 1964 etwa 25 Spezialisten auf diesem Forschungsgebiet im St. Hilda College in Oxford, England. Neben den meist jüngeren Soziologen, Historikern und Politologen nahmen auch einige bekannte Strategie-wissenschaftler, Totalitarismusforscher und erfahrene norwegische Widerstandskämpfer an der Konferenz teil.

Capt. B. H. Liddell Hart, Lehrmeister der „indirekten Strategie" verglich die Erfahrungen gewaltsamer und gewaltloser Widerstandsaktionen gegen die deutsche Besatzungsmacht miteinander, und unter Berufung auf seine Gespräche mit deutschen Genei alen sprach er letzteren die größere Wirksamkeit und die geringeren Verluste zu. Lord Chalfont, derzeitiger Europaminister der Labour-Regierung und damaliger Militärkorrespondent der Times, zeigte die verschiedenen Formen gewaltsamer Aggressionen auf, denen sich die soziale Verteidigung gewachsen zeigen muß. Major D. J. Goodspeed, der im Auftrag des kanadischen Generalstabs an der Konferenz teilnahm, erörterte auf Grund seiner detaillierten Kenntnisse des Kapp-Putsches die Möglichkeiten des gewaltlosen Widerstandes gegen Staatsstreiche.

Die Forschungen der Oxforder Konferenz wurden in der Bundesrepublik von der Vereinigung deutscher Wissenschaftler im Januar 1966 aufgegriffen und in einer weiteren Fachtagung im September 1967 fortgeführt Der improvisierte zivile Widerstand der tschechoslowakischen Regierung und Bevölkerung nach dem 21. August 1968 weckte dann zum ersten Mal das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an der „Sozialen Verteidigung", die nicht länger Grenzen und Territorien, sondern soziale Institutionen verteidigt. Obwohl das Anwachsen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer nicht auf die Entwicklung dieses Verteidigungskonzeptes zurückgeht, hat es doch auch in diesem Zusammenhang verstärkte Beachtung gefunden

Die verstärkte Beachtung von Gandhis Verteidigungskonzeption und das Anwachsen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer sollte nicht als zufällige und vorübergehende Modeerscheinung abgetan werden. Es sind einige materielle und geistige Entwicklungstendenzen festzustellen, welche der tschechoslowakischen Form der gewaltlosen Verteidigung gegen einen Aggressor Modellcharakter geben.

Die Entwicklung der Technik hat für die Entwicklung der militärischen Verteidigungskonzeptionen eine Reihe von gravierenden Nachteilen gebracht:

a) Die Maximierung der Zerstörungskraft moderner Waffensysteme führt in nuklearen und konventionellen Kriegen zu Kosten, die sie absolut irrational machen.

b) Die Verteidigungsmaßnahmen sind im Kriegsfall unfähig, die Zivilbevölkerung vor den Kriegsauswirkungen zu schützen; es ist sogar anzunehmen, daß die Verluste unter der Zivilbevölkerung größer sein werden als unter den Soldaten.

c) Es gibt praktisch keine Verteidigung von Grenzen mehr; die modernen Trägerwaffen und motorisierten Verbände haben nach Ansicht von John Herz den Territorialstaaten ihre harte Schale genommen d) Die enormen Kosten moderner WaffenSysteme zwingen kleinere Staaten zur Einschränkung oder zur Aufgabe ihrer Souveränität; sie sind gezwungen, sich in die Abhängigkeit von einer Supermacht zu begeben.

Angesichts dieser Entwicklung gewinnt Gandhis konkrete Utopie der gewaltlosen Verteidigung den Charakter des historisch Notwendigen. Es drängt sich die Frage auf, ob die potentiellen Kriegsopfer nicht drastisch zu reduzieren wären durch eine Umstellung auf den zivilen Widerstand, ob man die geschichtlich überholte Trennung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten nicht bewußt aufgeben sollte, ob man statt Territorien nicht von vornherein nur soziale Strukturen verteidigen und nach einer Verteidigungskonzeption suchen sollte, welche souveränes Handeln auch kleineren Staaten wieder ermöglichen würde.

Für diese neue Form der zivilen, gewaltfreien und sozialen Verteidigung sprechen auch eine Reihe weiterer Entwicklungen in der industriellen Produktion im 20. Jahrhundert: a) Die industrielle Spezialisierung und der Ausbau der Bürokratie haben dazu geführt, daß die Inhaber bestimmter Positionen nicht einfach liquidiert und ersetzt werden können. Unter diesen Voraussetzungen wird die Nicht-zusammenarbeit beziehungsweise die „dynamische Weiterarbeit ohne Kollaboration" zur wirksamen Waffe. b) Die Entwicklung der Nachrichtentechnik hat die Voraussetzungen für einen koordinierten Widerstand auf Massenbasis geschaffen

Auf dem Felde des menschlichen Bewußtseins hat sich die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen, die Idee der Volkssouveränität und der „einen Welt" so weit durchgesetzt, daß keine Regierung mehr hemmungslos diskriminieren, auf eine plebiszitäre Legitimation und die Rücksichtsnahme auf internationale Institutionen völlig verzichten kann. Schließlich bildet sich bei der Jugend ein antiautoritäres Bewußtsein heraus, das einen hierarchisch strukturierten Militärapparat und eine ihn ergänzende Notstandsgesetzgebung als Fremdkörper in einer demokratischen Gesellschaft empfindet. Mit dem Entstehen dieser neuen materiellen Bedingungen und Bewußtseinsinhalte ging schließlich — mit der üblichen Verzögerung — auch die Entwicklung der angemessenen gewaltfreien Kampftechniken und ihrer Strategie einher, die erst die maximale Nutzung der neuen sozialen Möglichkeiten angesichts der Kräfte der Beharrung ermöglicht. Gandhi gebührt das Verdienst, der wichtigste Pionier des „Kriegs ohne Gewalt" gewesen zu sein

Alles zusammengenommen scheint mir die Analyse der Entwicklungstrends der Produktivkräfte und der humanen Erwartungen den Schluß nahezulegen, daß Gandhis Konzeption einer zivilen, gewaltfreien und sozialen Verteidigung und deren keineswegs zufällige, spontane Realisierung in der CSSR eine kopernikanische Wende in der Verteidigungsund Sicherheitspolitik eingeleitet hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. M. K. Gandhi, Towards Non-violent Socialism, Ahmedabad 1951 (Textsammlung von Bharatan Kumarappa).

  2. S. Th. Ebert, Gewaltfreiheit: Doktrin oder Kampftechnik? Ein Abriß der Wirkungsgeschichte Gandhis außerhalb Indiens von 1923 bis 1964, „Werkhefte. Zeitschrift für Probleme der Gesellschaft und des Katholizismus", München, 19. Jg. Nr. 2, Febr. 1965, S. 39— 48.

  3. Hans-Jürgen Benedict, Licht und Finsternis. Der Mord an Martin Luther King und seine Folgen im Spiegel der deutschen Publizistik, in: Th. Ebert u. H. -J. Benedict, Hrsg., Macht von unten. Bürgerrechtsbewegung, außerparlamentarische Opposition und Kirchenreform, Hamburg 1968, S. 60— 73.

  4. Rede am 7. 8. 1942 vor dem All India Congress Committee, in: Gandhiji’s Correspondence with the Government 1942— 44, Ahmedabad 1945, S. 142.

  5. M K. Gandhi, Sarvodaya (The Welfare of Ali), Ahmedabad: Navajivan, 1954 (dt.: Sarvodaya. Wohlfahrt für alle, Bellnhausen: Institut für Geosoziologie und Politik, 196?).

  6. Louis Fischer's Interview, „Harijan" 4. 8. 1946, in: M. K. Gandhi, Non-violence in Peace and War, Vol. II, Ahmedabad: Navajivan, 1949, S. 111 (Gandhis Anspielung auf die Weltraumfahrt zum Sirius erklärt sich aus seiner Lektüre Jules Vernes im Gefängnis).

  7. Krishorlal Mashrouwala, Gandhi et Marx, Paris 1957, S. 195.

  8. Zit. nach dem vollständigen Text in: Gene Sharp, Gandhi Wields the Weapon of Moral Power. Three Case Histories, Ahmedabad 1960, S. 61.

  9. Zit. nach dem Motto des Standardwerkes: Pyarelal, Mahatma Gandhi. The Last Phase, Vol. I, Ahmedabad 1956, S. VI (Pyarelal war der Sekretär Gandhis).

  10. So der Untertitel seiner Autobiographie: M. K. Gandhi, Autobiographie. Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit, Freiburg 1960.

  11. K. Nkrumah, Schwarze Fanfare. Meine Lebensgeschichte, München 1958, S. 8.

  12. Martin Luther King, Freiheit. Der Aufbruch der Neger Nordamerikas, München 1968, S. 74.

  13. A. a. O., S. 74.

  14. M. K. Gandhi, Die Lehre vom Schwert, „Young India" 11. 8. 1920, in: Mahatma Gandhi, Jung Indien. Aufsätze aus den Jahren 1919 bis 1922, Zürich 1924, S. 135.

  15. Vgl. Paul Althaus, Luthers Haltung im Bauern-krieg, Darmstadt 1962.

  16. Leo Trotzky, Terrorism and Communism. A Reply to Karl Kautsky, The University of Michigan Press, Ann Arbor, 1961, S. 22.

  17. M. K. Gandhi, Hind Swaraj or Indian Home Rule, Ahmedabad 1939, S. 71.

  18. M. K. Gandhi, Satyagraha in South Africa, Ahmedabad 1950, S. 338.

  19. The Jews, „Harijan" 26. 11. 1938, in: M. K. Gandhi, Non-violence in Peace and War, Vol. I, Ahmedabad 1942, S. 173— 174.

  20. Zit. in: Pattabhi Sitaramaiyya, History of the Congress, Allahabad: All India Congress Committee, 1935, in: N. K. Bose, Selections from Gandhi, Ahmedabad 1957, S. 41.

  21. Autorenkollektiv, Zum Begriff der Gewalt, „konkret", Nr. 6, Juni 1968, S. 25— 26.

  22. F. Fanon, Die Verdammten der Erde, Frankfurt 1966.

  23. A. a. O., S. 26.

  24. Regis Debray nennt als die drei goldenen Regeln des Guerillakrieges „Ständige Wachsamkeit, ständiges Mißtrauen, ständige Beweglichkeit", in: R. Debray, Revolution in der Revolution, München 1967, S. 44— 45.

  25. Bahman Nirumand, Die Avantgarde der Studenten im internationalen Klassenkampf, „Kursbuch" Frankfurt, Nr. 13, 1968, S. 17.

  26. 12. 12. 1966: „Ich sprach zur ganzen Gruppe, indem ich ihnen . reinen Wein einschenkte’, über die Wirklichkeit des Krieges. Ich bestand auf .der alleinigen Befehlsgewalt. Ich habe die Ernennungen durchgeführt." Ernesto Che Guevara, Bolivianisches Tagebuch, München 1968, S. 38.

  27. Wilfried Hofmann, Meinungsbildung durch Terror, „Wehrkunde", München, 17. Jg., Nr. 11, Nov. 1968, S. 569— 571 (Eine Auswertung von persönlichen Eindrücken während des algerischen Unabhängigkeitskampfes).

  28. Vgl. Sebastian Haffner, Der neue Krieg, Einleitung zu: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek 1966, S. 22.

  29. Zur Kritik siehe Mulford Sibley, Violence and Revolution, „Peace News" (Wochenzeitung), London, 30. 4. 1965.

  30. Kenneth Kaunda, The Threat of Violence in Africa (Interview), „Peace News", 5. 4. 1963.

  31. Vgl. auch seine Rede auf der Vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala: K. Kaunda, Die reichen und die armen Nationen, „Junge Kirche", Dortmund, 29. Jg., Nr. 11/1968, S. 618— 631.

  32. V. Figner, Nacht über Rußland. Lebenserinnerungen, Halle 1957, S. 156.

  33. Zur Problematik der gewaltfreien Aktion in Südafrika siehe: Albert Luthuli, Mein Land, mein Leben, München 1963.

  34. C. Themba, Zwielicht, in: Freimut Duve, Hrsg., Kap ohne Hoffnung oder die Politik der Apartheid, Reinbek 1965, S. 150.

  35. „Young India" 27. 6. 1930, zit. in: G. Dhawan, The Political Philosophy of Mahatma Gandhi, Ahmedabad 1957, S. 221.

  36. Johannes 16, 33.

  37. Vgl. Malte J. Rauch u. Samuel H. Schirmbeck, Die Barrikaden von Paris. Der Aufstand der französischen Arbeiter und Studenten, Frankfurt 1968.

  38. So erklärte Martin Luther King am 2. 4. 1967 in einem Interview mit der „New York Times": „Was wir jetzt brauchen, ist Macht von unten, um Druck ausüben zu können, damit diese Programme (sc. zur völligen Gleichstellung der Neger) endlich realisiert werden, damit sie unserem Alltag Wirklichkeit werden, und das nicht nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege. Wir müssen alle nur möglichen Schritte unternehmen, um sie durchzusetzen. Das bedeutet natürlich harte Kleinarbeit. Wir müssen die Mieter organisieren, die Wohlfahrtsempfänger, die Arbeitslosen und die Kurz-arbeiter ..

  39. „Harijan" 24. 6. 1939, zit. in: G. Dhawan, a. a. O., S. 130.

  40. M. K. Gandhi, Constructive Programme. Its Meaning and Place, Ahmedabad 1945, S. 4.

  41. Vgl. Rolf Niemann, Sitzprotest des . Komitees der 100'vor der Griechischen Militärmission, in: Th. Ebert und H. -J. Benedict, Hrsg., Macht von unten, S. 168.

  42. Non-Payment of Taxes, „Young India" 19. 1. 1922, in: M. K. Gandhi, Satyagraha (Non-violent Resistance), Ahmedabad 1951, S. 140.

  43. M. L. King, Die Krise in Amerikas Städten, in: Th. Ebert und H. -J. Benedict, Hrsg., Macht von unten, S. 43— 44.

  44. Joan V. Bondurant, Conquest of Violence. The Gandhian Philosophy of Conflict, Princeton, New Jersey 1958, S. 43.

  45. Ein mustergültiger „aktiver Streik" war die illegale Arbeitsbeschaffung durch Straßenbau in Sizilien im Januar und Februar 1956. Danilo Dolci, Banditen in Partinico, Freiburg 1962, S. 211— 249.

  46. Vgl. Jürgen Habermas, Die Scheinrevolution und ihre Kinder. Sechs Thesen über Taktik, Ziele und Situationsanalysen der oppositionellen Jugend, in: Die Linke antwortet Jürgen Habermas, Frankfurt 1968, S. 12— 15. Die Hoffnungslosigkeit der territorialen Verteidigungstechniken wurde im Januar 1968 beim Kampf um die Universität von Tokio deutlich, auch wenn die Einpeitscher der revolutionären Gewalt im Stil des Nibelungen-liedes von einem „heroischen letzten Gefecht" berichteten: Michael Glaser, Mit Salzsäure gegen Polizisten. Bürgerkrieg an Japans Universitäten, „konkret" Nr. 5, 24. 2. 1969, S. 43— 45.

  47. Das Verbrechen von Chauri-Chaura, „Young India" 16. 2. 1922, in: Mahatma Gandhi, Jung Indien, a. a. O., S. 421.

  48. Th. Ebert, Gewaltfreier Aufstand, S. 238— 246 und S. 306— 310.

  49. M. K. Gandhi, Constructive Programme, a. a. O.,

  50. M. L. King, Warum wir nicht warten können, Frankfurt 1965, S. 41.

  51. Christopher Driver, The Disarmers. A Study in Protest, London 1964, S. 162- 170.

  52. Rolf Niemann, Sitzprotest des . Komitees der 100'vor der Griechischen Militärmission, a. a. O., S. 138.

  53. So Bundeskanzler Kiesinger über die radikalen Studenten vor der CDU-Frauenvereiniung am 17. 1. 1969 in Bad Godesberg, Süddeutsche Zeitung 18. /19. 1. 1969.

  54. „Young India" 19. 3. 1925, in: M. K. Gandhi, Sarvodaya, a. a. O., S. 84.

  55. Emil Roniger, Hrsg., Mahatma Gandhis Leidenszeit, Zürich 1925 (Dokumente zu Gandhis Verhalten vor Gericht und im Gefängnis).

  56. Der häufig in diesem Zusammenhang gebrauchte Ausdruck „Anarchist" ist unangemessen. Das Ziel der Anarchisten ist nicht die Beseitigung von Ordnung und Organisation, sondern die Beseitigung von Herrschaft. Zu den „anarchistischen Elementen in Gandhis politischen Konzeptionen" siehe: J. V. Bondurant, The Conquest of Violence, a. a. O., S. 172— 188. Von den europäischen, organisationsbejahenden Anarchismusinterpretationen kommt Gandhi am nächsten: Daniel Guerin, Anarchismus. Begriff und Praxis, Frankfurt 1967.

  57. R. Niemann, a. a. O., S. 152.

  58. G. Dhawan, The Political Philosophy of Mahatma Gandhi, S. 126— 130.

  59. An die Engländer in Indien (II), „Young India" 13. 7. 1921, in: Mahatma Gandhi, Jung Indien, a. a. O., S. 313.

  60. Vgl. Th. Ebert, Die außerparlamentarische Opposition und die gewaltfreie Macht, in: Th. Ebert und H. -J. Benedict, Macht von unten, a. a. O., S. 124— 130.

  61. Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt 1967.

  62. Knut Nevermann, Zur Strategie systemüberwindender Reformen, in: Sozialdemokratie und Sozialismus heute, Köln 1968.

  63. Ossip K. Flechtheim, Westdeutschland am Wendepunkt, Berlin 1967.

  64. Th. Ebert, Dissonanzen in der Strategie der studentischen Rebellion, „Neue Sammlung", Göttingen, 8. Jg., H. 6, Nov. /Dez. 1968, S. 601— 608.

  65. Sven G. Papke, Che Guevara und die Neue Linke in der Bundesrepublik. Chronik einer psycho-politischen Jüngerschaft, in: Heinz Rudolf Sonntag, Hrsg., Che Guevara und die Revolution, Frankfurt 1968, S. 99— 124.

  66. Th. Ebert, Strategie der außerparlamentarischen ) pposition im Notstandsstaat, „Junge Kirche", 9. Jg., Nr. 9, Sept. 1968, S. 518— 523.

  67. M. L. King sprach in seinen letzten Reden von „militant nonviolent action".

  68. Rainer Herrberg und Hans-Michael Meyer, Ausbildung in gewaltfreier Aktion, „Junge Kirche", 29. Jg., Nr. 7, Juli 1968, S. 435— 439 (Bericht über Arbeitstreffen im Freundschaftsheim in Bückeburg).

  69. Louis Fischer, Das Leben des Mahatma Gandhi, München 1951, S. 290.

  70. Vgl. Vance Packard, Die große Verschwendung, Frankfurt 1964.

  71. D. Dolci, Vergeudung. Bericht über die Vergeudung im westlichen Sizilien, Zürich 1962.

  72. Vgl. Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt 1965.

  73. Vance Packard, Die Geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in Jedermann, Berlin.

  74. Rüdiger Reitz, Die Rolle des Pfarrers in der Bürgerrechtsbewegung in: Th. Ebert und H. -J. Benedict, Macht von unten, a. a. O., S. 54- 56.

  75. Vgl. Th. Ebert, Gewaltfreier Aufstand, S. 202 bis 204.

  76. Der Spiegel, Nr. 52, 23. 12. 1968, S. 112.

  77. Th. Ebert, Gewaltfreier Aufstand, S. 206— 207.

  78. S. Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus. Eine sozioökonomische Analyse des Militarismus in unserer Gesellschaft, Frankfurt 1967 3.

  79. The Greatest Force, „Harijan" 12. 10. 1935, in: M. K. Gandhi, Non-violence in Peace and War, Vol. I, a. a. O., S. 120.

  80. More Posers, „Harijan* 14. 5. 1938, in: M. 'K. Gandhi, Non-violence in Peace and War, Vol. I, S. 153.

  81. A. a. O., S. 154.

  82. A. a. O., S. 153.

  83. Logical Consequence, „Harijan“ 8. 10. 1938, in: M. K. Gandhi, Non-violence in Peace and War, Vol. I, S. 159.

  84. To Every Briton, „Harijan* 6. 7. 1940, in: M. K. Gandhi, Non-violence in Peace and War, Vol. I, S. 297.

  85. Siehe Mulford Q. Sibley, ed., The Quiet Battle. Writings on the Theory and Practice of Nonviolent Resistance, New York 1963, S. 316— 356.

  86. St. King-Hall, Den Krieg im Frieden gewinnen, Hamburg 1958.

  87. Arne Naess, Non-military. Defence and Foreign Policy, in: Adam Roberts et al., Civilian Defence, London 1964, S. 33— 43.

  88. Jerome D. Frank, Sanity and Survival. Psychological Aspects of War and Peace, New York: Vintage, 1968, S. 257— 286 (die hier zusammengefaßten Gedanken hat Frank in Aufsätzen früherer Jahre schon entwickelt). Gene Sharp, Facing Totalitarianism without War, in: Ted Dunn, ed., Alternatives to War and Violence, London: James Clarke, 1963, S. 135— 148.

  89. Ralph G. Bell, Alternative to War, London: James Clarke, 1959.

  90. Gustav Heckmann, Der nichtverletzende Widerstand. Auf der Suche nach einer Alternative zur militärischen Verteidigung, „Frankfurter Hefte", Nr. 12, Dez. 1962, S. 805— 824.

  91. B. H. Liddell Hart, Strategy. The Indirect Approach, London 1955 (dt. Strategie, Wiesbaden o. J.).

  92. D. J. Goodspeed, Verschwörung und Umsturz. Der Staatsstreich im 20. Jahrhundert, München

  93. Die wichtigsten Arbeitspapiere sind neben einer Reihe von Fallstudien zu finden in: A. Roberts, ed., The Strategy of Civilian Defence. Nonviolent Resistance to Aggression, London 1967.

  94. K. Gottstein, Hrsg., Wissenschaftliches Kolloquium über Fragen des Übergangs in die Weltordnung des Atomzeitalters, München 8. /9. Jan. 1966 (Tagungsbericht veröffentlicht im Bertelsmann-Verlag, Gütersloh).

  95. Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, Wissenschaftliche Arbeitstagung über Civilian Defence. Voraussetzungen und Möglichkeiten. Ein neuer Weg zu Abrüstung und Sicherheit?, München 16. bis 17. Sept. 1967 (erscheint im Frühjahr 1969 in Gütersloh).

  96. Siehe den Bericht über die Civilian Defence-Tagung der VDW in „Der Spiegel", 22. Jg., Nr. 37, 9. 9. 1968, S. 36— 49 (mit einem längeren Auszug aus dem Tagungsbericht über „das Planspiel eines DDR-Einmarsches in eine waffenlose Bundesrepublik").

  97. S. Karl-Heinz Janßen, Angriff auf die Kasernen. Das Problem der Kriegsdienstverweigerung, „Die Zeit" 28. 2. 1969, S. 6— 7.

  98. J. Herz, Weltpolitik im Atomzeitalter, Stuttgart 1961, S. 57— 64.

  99. S. Th. Ebert, Soziale Verteidigung — Alternative zur „Vorwärtsverteidigung"? Ein Forschungsbericht, „Gewerkschaftliche Monatshefte", Köln, 18. Jg., H. 2, Febr. 1967, S. 79— 80.

  100. Hans-Peter Heck, Die Geheimsender sind schwer zu fassen, „Stuttgarter Zeitung", 26. 8. 1968.

  101. Diese Interpretation von Gandhis Theorien wurde erstmals vorgetragen von Krishnalai Shridharani, War without Violence. A Study of Gandhi's Method and its Accomplishments, New York 1939.

  102. Th. Ebert, Der zivile Widerstand in der Tschechoslowakei. Eine Analyse seiner Bedingungen und Kampftechniken, „Europa Archiv", 23. Jg., Nr. 23, 10. 12. 1968, S. 865— 874.

Weitere Inhalte

Theodor Ebert, Dr. phil., geb. 1937 in Stuttgart; Studium der politischen Wissenschaft, Geschichte und Germanistik an den Universitäten Tübingen, München, London und Paris, 1965 Promotion mit „Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg", Freiburg 1967; z. Z. Wissenschaftlicher Assistent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin; Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für Frieden und Konfliktforschung e. V. Veröffentlichungen: Macht von unten. Bürgerrechtsbewegung, außerparlamentarische Opposition und Kirchenreform, hrsg. zusammen mit Hans-Jürgen Benedict, Hamburg 1968; mehrere Beiträge zu Adam Robertz, ed., The Strategy of Civilian Defence. Nonviolent Resistance to Aggression, London 1967; Civilian Defence. Gewaltloser Widerstand als Form der Wehrpolitik, hrsg. v. d. Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, Gütersloh 1969.