Der Bundesrat Untersuchungen über Zusammensetzung, Arbeitsweise, politische Rolle und Reformprobleme
Heinz Laufer
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Zusammenfassung
Die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Der Bundesrat ist seit Herbst 1969 durch die Divergenz seiner Mehrheitskonstellation und derjenigen im Bundestag in das öffentliche Interesse gerückt wie kaum zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Die vorliegende Analyse setzt bei der Problematik des Föderalismus in der Gegenwart an und untersucht den Bundesrat unter folgenden Aspekten: wer tritt in dieser föderativen Institution als Akteur auf; wie läuft der Entscheidungsprozeß ab; welchen Stellenwert nimmt die Länderkammer im politischen System ein; welche Reformen sind notwendig, wünschenswert und möglich? Die Zusammensetzung des Bundesrates ist wegen der strengen verfassungsrechtlichen Bestimmungen politikwissenschaftlich relativ uninteressant; die wichtigsten handelnden Amtsträger im Bundesrat sind einzelne Ministerpräsidenten, Bevollmächtigte einzelner Länder beim Bund, beonders profilierte Landesminister, der Direktor des Bundes-rates sowie der eine oder andere Ausschußsekretär. Die Ausschüsse des Bundesrates werden in der Regel von Beamten der Landesministerialbürokratie gebildet. Der Entscheidungsprozeß ist im Bundesrat weitgehend formaler Art. Die vielfältigen Kompetenzen im Rechtssetzungsprozeß der Bundesrepublik werden organisatorisch-technisch von den Beamten des Sekretariats, materialiter von den Beamten der Landesministerien und Staatskanzleien, politisch von den Landeskabinetten gehandhabt. In der Regel vollziehen sich die Entscheidungen des Bundesrates außerhalb seiner Organe: in den Kabinettssitzungen der Landesregierungen, in Ad-hoc-Zusammenkünften von Ministerpräsidenten, in Parteigremien, in Landesvertretungen, durch Rund-Telephonate. Die inhaltliche Struktur der Entscheidungen ist vorwiegend korrigierend und konservierend im Sinne eines . bürokratischen Konservatismus'. Nur in Ausnahmefällen werden im Bundesrat politische Entscheidungen gefällt, nämlich dann, wenn durch Verfassungsänderungen das föderativ-politische Machtverhältnis berührt wird oder wenn über die Gestaltung politisch-existentieller Bereiche divergierende parteipolitische Zielkonzeptionen bestehen. Dann besteht auch die — verfassungsrechtlich zulässige — Möglichkeit, den Bundesrat als Instrument der Bundestagsopposition zu verwenden. Arbeitsweise, organisatorische und politische Struktur des Bundesrates geben zu mannigfacher Kritik Anlaß, sie erfordern Reformen verschiedener Art. Die Reformprobleme und die zu ihrer Lösung vorliegenden und diskutierten Modelle, die im einzelnen dargestellt werden, müssen im größeren Kontext einer notwendigen Reform des föderativen Systems der Bundesrepublik gesehen werden, vor allem unter dem Aspekt der Neugliederung des Bundesgebietes.
Einleitung: Die Problematik der föderativen Ordnung heute und der Bundesrat
„The epoch of federalism is over.“ Die von. Harold J. Laski am Vorabend des Zweiten Weltkrieges aufgestellte These, nach der das föderative System als Organisationsprinzip innerpolitischer Ordnung überholt sei, die föderalistische Organisation eines politischen Systems als Anachronismus bezeichnet werden müsse und die sozialen, kulturellen und ökonomischen Regierungsaufgaben mehr und mehr zentraler und konzentrierter Institutionen bedürften, hat seitdem gleichermaßen Gegner des Föderalismus bestärkt wie dessen Verteidiger herausgefordert Gegner wie Verfechter föderativer Organisation politischer Systeme argumentieren sowohl prinzipiell-theoretisch wie konkret-pragmatisch.
Die Gegner sind der Ansicht, das zwingende Gewicht der Technik, der Wirtschaft und des Verkehrs, die gewachsenen Verflechtungen und Interdependenzen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens wie die gestiegenen Planungs-, Lenkungs-und Verteilungsaufgaben, welche dadurch hervorgerufen sind, forderten einen straffen Unitarismus oder Föderalismus sei die institutionelle Sicherung des kapitalistischen Systems und diene ausschließlich spezifischen ökonomischen Interessenlagen, er fördere den Konservativismus und stärke den Legalismus oder vertreten die Auffassung, Föderalismus fördere weder Bürgerrechte noch Demokratie, Werte an sich würden ihm nicht zukommen
Die Verteidiger des Föderalismus machen geltend, er mehre die Mitverantwortung und fördere die Selbstregierung der Bürger er wirke inte 5grierend und schaffe eine gebiets-und funktionsmäßig stärker aufgeteilte soziale und politische Gemeinschaft mit einem neuen Repräsentativsystem in näherer Anknüpfung an das Volk Vor allem aber heben die Vertreter föderativer Organisation dessen Bedeutung als machthemmender Faktor in der vertikalen Gewaltenteilung hervor
Die föderative Organisation und Strukturierung von politischen Systemen ist in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit kontrovers. Dessen muß sich jede wissenschaftliche Beschäftigung mit konkreten föderativen Systemen und deren Institutionen und Verfahrensweisen bewußt sein und sie in ihre Überlegungen und Diskussionen miteinbeziehen. Untersuchungen über den Bundesrat im politischen System der Bundesrepublik Deutschland können demzufolge nicht durchgeführt werden ohne wenigstens diese Kontroversen bewußt und Zweckgesichtspunkte und legitimierende Argumente des bundesrepublikanischen Föderalismus ausfindig zu machen, auf Strukturveränderungen und Entwicklungstendenzen hinzuweisen und mögliche Zukunftsaspekte zu berücksichtigen.
Eine prinzipielle Diskussion pro oder contra föderative Ordnung des politischen Systems der Bundesrepublik wird so gut wie nicht geführt Die Ursache dürfte in der politischen Grundentscheidung des Parlamentarischen Rates zu sehen sein, das 1948/49 neu zu schaffende politische System als Bundesstaat zu konstituieren (Art. 20 Abs. 1 GG), die bundesstaatliche Verfassungsordnung für den zeitlichen Geltungsbereich der Verfassung als unantastbar zu erklären (Art. 79 Abs. 3 GG) und auf dieselbe Weise die Mitwirkung der Gliedstaaten an der Gesetzgebung des Zentral-staates zu sichern (Art. 79 Abs. 3 GG) Diese verfassungsschöpferische Grundsatzentscheidung und ihre einzigartige verfassungsrechtliche Sicherung hat eine relevante öffentliche Debatte über pro und contra Föderalismus in der Bundesrepublik kaum entstehen lassen. Wenn die bundesstaatliche Ordnung und ihre Institutionen zum Gegenstand politischer Diskussion, wissenschaftlicher Untersuchungen und Auseinandersetzungen werden, dann fast stets auf der Basis der genannten Verfa Abs. 1 GG), die bundesstaatliche Verfassungsordnung für den zeitlichen Geltungsbereich der Verfassung als unantastbar zu erklären (Art. 79 Abs. 3 GG) und auf dieselbe Weise die Mitwirkung der Gliedstaaten an der Gesetzgebung des Zentral-staates zu sichern (Art. 79 Abs. 3 GG) 11). Diese verfassungsschöpferische Grundsatzentscheidung und ihre einzigartige verfassungsrechtliche Sicherung 12) hat eine relevante öffentliche Debatte über pro und contra Föderalismus in der Bundesrepublik kaum entstehen lassen. Wenn die bundesstaatliche Ordnung und ihre Institutionen zum Gegenstand politischer Diskussion, wissenschaftlicher Untersuchungen und Auseinandersetzungen werden, dann fast stets auf der Basis der genannten Verfassungsnormen und deren Unantastbarkeit. Selbst behutsam vorgetragene Ansichten zu einer eventuellen Totalrevision des Grundgesetzes scheuen davor zurück, sich über dessen föderatives Grundmuster einfach hinwegzusetzen und für eine unitarische Organisationsstruktur zu plädieren 13). Die föderative Grundordnung der Bundesrepublik wird prinzipiell nicht in Frage gestellt 14).
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Föderalismus des Regierungssystems der Bundesrepublik beschränkt sich auf seine Genesis aus den Direktiven der Besatzungsmacht — ohne zu berücksichtigen, daß trotz des Frankfurter Dokumentes Nr. I und der Interventionen der westlichen Alliierten die überwiegende Mehrheit der Mitglieder des Parlamentarischen Rates eine föderativ strukturierte neue politische Ordnung wollte 15) —; sie konzentriert sich auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 16); sie fragt nach der „Echtheit" der bundesstaatlichen Ordnung oder ihrem „pseudoföderalistischen" Charakter 17); sie beschäftigt sich mit den Strukturwandlungen des Föderalismus in der Bundesrepublik und den seit längerem immer offensichtlicher werdenden unitaristischen Tendenzen 18); sie nimmt sich der Schwerfälligkeit und gelegentlichen Ineffizienz des politischen Entscheidungsprozesses im Bundesstaat an 19); vereinzelt wird vorsichtig gefragt, ob im Zuge der europäischen politischen Integration ein flächenmäßig so kleines Land wie die Bundesrepublik sich eine föderalistische Zersplitterung überhaupt noch leisten könne 20).
Gleichwohl ist es nicht so, daß die Autoren, die sich auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung und Unantastbarkeitsbestimmung mit Problemen der föderativen Ordnung der Bundesrepublik befassen, eben wegen der Verfassungsbasis die prinzipielle Frage völlig vernachlässigen würden. Wenigstens ein Teil der Autoren fragt nach der politischen Legitimierung des föderativen Systems sowie nach den mit ihm ange-strebten Zwecken und seinen Vorteilen für das Gesamtsystem und dessen Mitglieder. Eine Zusammenfassung derartiger Versuche der Rechtfertigung wurde jüngst im Zusammenhang Reformvorschlägen mit für den Bundesrat in der „Zeit" veröffentlicht. Da sie als Consensus omnium in der gegenwärtigen deutschen Föderalismusdiskussion gelten können seien sie im folgenden wiedergegeben: „Das bundesstaatliche Prinzip selber wird nicht in Frage gestellt. Seine Vorteile liegen auf der Hand:
es schafft eine vertikale Gewaltenteilung und dient damit der Rechtsstaatlichkeit;
es gewährleistet eine Vielzahl wirtschaftlicher, politischer und kultureller Zentren und begünstigt eine ausgewogene regionale Struktur der Bundesrepublik;
es ermöglicht eine unterschiedliche politische Zusammensetzung von Bundes-und Landes-regierungen und entfaltet damit Integrationskraft für den pluralistischen Gesamtstaat;
schließlich erhöht es den Bedarf an politischen Kräften und schafft damit eine breite Basis, auf der sich der politische Führungsnachwuchs bewähren kann."
Diese Argumente dienen im allgemeinen der Rechtfertigung für grundsätzliche Beibehaltung der föderativen Organisation des politischen Systems in der Bundesrepublik. Doch man muß fragen, ob sie nicht zu unkritisch tradiert werden und ihren Vertretern jeweils allzu willkommen sind, um einer radikal-kritischen Auseinandersetzung über den Föderalismus aus dem Wege zu gehen. Eine solche Auseinandersetzung kann im Zusammenhang dieses Beitrages nicht geführt werden. Sie ist jedoch notwendig und soll damit angeregt werden, insbesondere im Hinblick auf die künftigen Organisationsmuster des politischen Systems und der Möglichkeit einer wünschenswerten Totalrevision des Grundgesetzes. Besonders die Verfechter der föderalistischen Idee begnügen sich in der Regel mit hergebrachten Argumentationsreihen und sind weder bereit grundsätzlich zu diskutieren noch nach neuen Funktionen, Strukturen und Formen des Föderalismus zu suchen
über Untersuchungen den Bundesrat müssen im Kontext des föderativen Systems gesehen werden — seiner Genesis, seiner verfassungsrechtlichen Grundlage, seiner Strukturveränderungen, seiner Verankerung im gesellschaftlichen Bewußtsein, seiner Funktionalität oder Disfunktionalität und seiner Reformbedürftigkeit. Gleichwohl können solche Untersuchungen konkreter Institutionen eines Regierungssystems nur an der von der Verfassung vorgegebenen Grundentscheidung ansetzen, nämlich an der bundesstaatlichen Organisationsstruktur und an dem Verfassungsorgan „Bundesrat" als dem institutionell wesentlichsten Bestandteil eines solcher Art normierten politischen Systems. Daraus folgt, daß der Bundesrat als die politische Institution, durch die die politischen Subsysteme „Länder" an bestimmten Entscheidungsprozessen des Gesamtsystems beteiligt sind, der primäre Untersuchungsgegenstand ist und als solcher und in seinen Funktionsweisen zunächst grundsätzlich akzeptiert wird.
Die Entscheidung des Verfassungsgebers fiel, nachdem die föderative Ordnung durch Dekret der damaligen Besatzungsmächte und durch mehrheitlichen Willen der Verfassungsschöpfer vorentschieden war, nach ausführlicher Diskussion und scharfen Kontroversen über Bundesrats-oder Senatsprinzip als Kompromiß zwischen den beiden stärksten Fraktionen des Parlamentarischen Rates, SPD und CDU/CSU, für den Bundesrat Auch diese Entscheidung wird als vorgegeben für die nachfolgende Untersuchung akzeptiert, wenngleich auch die Pro-und Contra-Argumente für die zwei grundsätzlich möglichen Institutionstypen im Zusammenhang mit den Reform-überlegungen in die Untersuchung einbezogen werden sollen.
Die nachfolgenden Ausführungen, die Teilergebnisse eines größeren Forschungsprojektes sind, werden sich mit den Amtsinhabern des Bundesrates, den in ihm ablaufenden Entscheidungsprozessen, seiner politischen Rolle im Regierungssystem sowie Reformplänen technischer und grundsätzlicher Art befassen.
1. Die Zusammensetzung des Bundesrates
Abbildung 2
Abbildung 2
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Die Entscheidung des Verfassungsgebers für den Institutionentypus Bundesrat hat dessen personelle Zusammensetzung so präjudiziert und in gewissem Maße formalisiert, daß sie im Vergleich zur Zusammensetzung des Bundestages politisch-soziologisch betrachtet, bei weitem nicht so interessant und für die Beurteilung des politischen Systems weit weniger aufschlußreich ist als diese. Gleichwohl ist sie für die Funktionsweise des Bundesrates im politischen System nicht unwichtig und soll daher im folgenden unter den Aspekten der formellen und materiellen Bedingungen der Rekrutierung der Bundesratsmitglieder, der demokratischen Legitimation, des Erfordernis-ses der einheitlichen Stimmabgabe, der Wahrnehmung verschiedener Funktionen innerhalb des Bundesrates und der funktionalen Ersetzung durch Beamte behandelt werden. 1. 1. 'Die formalen Bedingungen der Mitgliedschaft im Bundesrat über die Zusammensetzung des Bundesrates bestimmt Art. 51 Abs. 1 GG, daß er aus Mitgliedern der Regierungen der Länder besteht, die sie bestellen und abberufen. Damit sind Landesbeamte — wie im Reichsrat der Weimarer Republik — ebenso von der Mitgliedschaft ausgeschlossen wie Landesparlamentarier, die nicht Mitglied der Regierung ihres Landes sind Die Mitgliedschaft im Bundesrat ist beschränkt auf Mitglieder von Landesregierungen.
Wer Mitglied einer Landesregierung ist, richtet sich nach den Verfassungen der Bundesländer. In der Regel bestehen die Landesregierungen aus dem Ministerpräsidenten (Bürgermeister) als dem Regierungschef und den Ministern (Senatoren) Sofern nach Landesverfassungen — wie in Bayern und Baden-Württemberg — auch Staatssekretäre mit Sitz und Stimme Mitglieder der Landesregierung sind können auch sie Mitglied im Bundesrat werden
Die Mitglieder des Bundesrates werden nicht gewählt und haben als Bundesratsmitglieder keine Amtsperioden. Sie werden durch Mehrheitsbeschluß in der Regel für die Dauer der Zugehörigkeit zur Landesregierung bestellt. Scheiden sie aus der Landesregierung aus, erlischt gleichzeitig ihre Mitgliedschaft im Bundesrat. Der Bundesrat ist verfassungsrechtlich gesehen ein „ewiges" Organ; er erneuert sich kontinuierlich, da nach jeder Wahl eines Landesparlaments die neugebildete Landesregierung auch die Bundesratsmitglieder dieses Landes neu bestellt Die Mitglieder des Bundes-rates können nach Art. 51 Abs. 1 Satz 2 GG durch andere Mitglieder der Regierung ihres Landes vertreten werden. Sie sind nach der Geschäftsordnung des Bundesrates den Mitgliedern gleichgestellt (§ 46 GeschOBRat).
Verfassungsrechtlich unterscheiden sich die Mitglieder des Bundesrates von denen des Bundestages dadurch, daß sie — wie noch ausführlich zu behandeln sein wird — in ihrer Stimmabgabe nicht unabhängig sind, daß sie als Mitglieder des Bundesrates weder Immunität noch Indemnität genießen, daß ihnen vermögensrechtliche Ansprüche wie den Bundestagsabgeordneten — mit Ausnahme der freien Benutzung von Bundesbahn und Bundespost — nicht zustehen 1. 2. Die Rekrutierung der Mitglieder des Bundesrates Die Frage nach der Rekrutierung der Mitglieder des Bundesrates ist wegen der Funktionsund Arbeitsweise dieses Verfassungsorgans — wie unten noch zu zeigen sein wird — primär eine Frage nach der Rekrutierung der Mitglieder der Landesregierungen, insbesondere der des Regierungschefs und — soweit vorhanden — der des Landesministers für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes b GeschOBRat).
Verfassungsrechtlich unterscheiden sich die Mitglieder des Bundesrates von denen des Bundestages dadurch, daß sie — wie noch ausführlich zu behandeln sein wird — in ihrer Stimmabgabe nicht unabhängig sind, daß sie als Mitglieder des Bundesrates 40) weder Immunität noch Indemnität genießen, daß ihnen vermögensrechtliche Ansprüche wie den Bundestagsabgeordneten — mit Ausnahme der freien Benutzung von Bundesbahn und Bundespost — nicht zustehen 41). 1. 2. Die Rekrutierung der Mitglieder des Bundesrates Die Frage nach der Rekrutierung der Mitglieder des Bundesrates ist wegen der Funktionsund Arbeitsweise dieses Verfassungsorgans — wie unten noch zu zeigen sein wird — primär eine Frage nach der Rekrutierung der Mitglieder der Landesregierungen, insbesondere der des Regierungschefs und — soweit vorhanden — der des Landesministers für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes beim Bund. Doch hier trifft man auf eine Lücke in der politikwissenschaftlichen Forschung, die zwar seit langem beklagt wird 42), doch der bis heute kaum wirksam begegnet worden ist 43). Noch weniger als für den Bereich der Bundesregierung 44) hat sich die Politische Wissenschaft der Bundesrepublik mit dem Rekrutierungsprozeß der Landesregierungen befaßt. Die Regierungsbildungen in den Ländern, das personelle Reservoir für Mitglieder von Landesregierungen, der Einfluß von Fraktionfen) und Partei(en), die Mitwirkung von Interessengruppen, die Einflußnahme von politischen Kräften des Zentralstaates, Traditionen, Konventionen und Tabus in den einzelnen Bundesländern und ihre Auswirkungen auf die Regierungsbildung — das sind Themen, die der Erforschung durch die Regierungslehre harren, soll diese einer ihrer zentralen Aufgaben gerecht werden 45). Insbesondere wäre zu untersuchen, aufgrund welcher politischen Konstellationen und Motivationen die Regierungschefs der Länder in ihre Ämter gelangen 46), welche Qualitäten die Entscheidungs-gremien für erforderlich oder wünschenswert halten, ob — und wenn in welchem Ausmaß — die politische Tätigkeit im Bund, also in erster Linie im und durch den Bundesrat, bei der Nominierung und endgültigen Bestellung eine Rolle spielt, welche Motive und Intentionen kurz-und langfristiger Art beim Wechsel von der politischen Tätigkeit im Bund zu einer Regierungstätigkeit in einem Land vorliegen.
Nach den bisherigen Beobachtungen des Rekrutierungsprozesses der Landesregierungen spielen mit Ausnahme der Ämter des Ministerpräsidenten und des Ministers für Bundesangelegenheiten Aufgaben im Bund und im Bundesrat keine Rolle. Während beim Bestellungsprozeß für das Amt des Ministerpäsidenten dessen Funktion als „quasi geborenes" Mitglied des Bundesrates als etwaiger Präsident oder Vizepräsident des Bundesrates und damit als möglicher Vertreter des Bundespräsidenten nach Art. 57 GG motivierend sind, bleibt die Mitgliedschaft der anderen Kabinettsmitglieder im Bundesrat bei ihrer Bestellung — von der genannten Ausnahme, auf die noch einzugehen sein wird, abgesehen — außer Betracht. 1. 3. Das Problem der demokratischen Legitimation der Bundesratsmitglieder Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur ein Bundesstaat, sondern ist vor allem eine freiheitliche Demokratie, in der nach Art. 20 Abs. 2 GG „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht". Für die Mitglieder des Bundesrates ist deshalb zu fragen, in welcher Weise und in welchem Maß ihr Amt demokratisch legitimiert ist. Da sie im Gegensatz zu Senatoren nicht durch unmittelbare Volkswählen, sondern durch Beschluß der Landesregierungen bestellt werden, wird ihre demokratische Legitimation zuweilen in Frage gestellt In diesen Zusammenhang gehört auch die Problematik, ob der Bundesrat eine Repräsentativinstitution oder ein Bundes-bzw. Landesorgan sei, seine Mitglieder demzufolge Repräsentanten oder Walter von Organen bzw. Organteilen seien Auf die aus solcher Problemstellung folgende politisch-theoretische und verfassungsdogmatische Diskussion braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, da sie für die Frage der demokratischen Legitimation wenig relevant ist.
Vertritt man nicht den orthodoxen Standpunkt, daß Inhaber politischer Ämter nur dann demokratisch legimitiert sind, wenn sie ihr Amt aufgrund unmittelbarer Bestellungsvorgänge durch die Mitglieder der politischen Einheit oder Teileinheit, für die sie tätig werden sollen, erhalten sondern erkennt man auch mittelbare oder indirekte oder abgestufte Bestellungsvorgänge als dem demokratischen Postulat entsprechend an, dann dürften sich für die Klärung der Frage nach der demokratischen Legitimation der Bundesratsmitglieder nicht allzu viele Schwierigkeiten ergeben.
Die Mitglieder des Bundesrates werden von den Landesregierungen bestellt und abberufen Diese Regierungen sind Bestandteile parlamentarischer Systeme gehen also aus den Landesparlamenten hervor, die selbst wieder aus allgemeinen, gleichen, geheimen und unmittelbaren Wahlen durch die wahlberechtigte Bevölkerung hervorgegangen sind. Deren Wahlentscheidung wird vom Willen, der begünstigten Partei zu einer parlamentarischen Mehrheit zum Zwecke der Regierungsbildung zu verhelfen, motiviert. Die Wähler-entscheidung wird also von der Intention bestimmt, die Regierungsbildung im Land zu beeinflussen. Doch diese Intention ist nicht auf die Landesregierung an sich und den Landesbereich beschränkt, sondern zielt immer auch auf den Bund. Denn seit Schaffung der Bundesrepublik waren die Parteien in Bund und Ländern — unabhängig davon, ob sie jeweils die Regierung stellten oder die Opposition bildeten — daran interessiert, bei Landtagswahlen die Wähler auf die Auswirkungen ihrer Entscheidungen für die Bundespolitik nachhaltig aufmerksam zu machen und ihnen das Bewußtsein zu vermitteln, daß Landtagswahlen stets auch indirekte Bundestagswahlen seien
Diese Bemühungen um politische Bewußtseinsbildung und Entscheidungsmotivierung bei Wahlen zu den Landesparlamenten waren überaus erfolgreich. Wählerentscheidungen bei Landtagswahlen fallen in der Regel auch im Hinblick auf die Zusammensetzung des Bundesrates Die bei der Landtagswahl siegreiche(n) Partei(en) hat (haben) mit dem Votum der Wähler zur Regierungsbildung auch das Votum erhalten, den Bundesrat zu beschicken. Die Entscheidung der Regierungsfraktion(en) des Landtags über den Regierungschef und die Mitglieder der Landesregierung impliziert stets auch die Entscheidung über die Mitglieder des Bundesrates. Diese sind also durchaus als demokratisch legitimiert zu bezeichnen. Daß die Letztentscheidung über die formellen Bundesratsmitglieder die Landesregierung ohne parlamentarische Mitwir-kung trifft, beeinträchtigt diese These nicht; denn wie noch zu zeigen sein wird, spielt die formelle Mitgliedschaft im Bundesrat so gut wie keine Rolle, weil alle politisch einigermaßen relevanten Entscheidungen des Bundes-rates in den Landeskabinetten fallen. Die demokratische Legitimation wird außerdem dadurch intensiviert, daß fast alle Mitglieder der Regierungen aller Bundesländer auch Mitglieder der Landesparlamente sind die Regierungschefs und Minister der Länder mit einiger Regelmäßigkeit — wenn auch mit verschiedener Gewichtung — dem heimischen Parlament über die Bundesratstätigkeit berichten und die Landesparlamentarier jederzeit die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren und so eine parlamentarische Kontrolle auszuüben — was bisher allerdings kaum geschehen ist —, sowie die Landtagsmehrheit zumindest formell die Möglichkeit hat, einen Minister gegebenenfalls wegen nicht akzeptierbarer Bundesratstätigkeit das Mißtrauen auszusprechen. 1. 4. Die Auswirkung des Gebots der einheitlichen Stimmabgabe auf die Zusammensetzung des Bundesrates Die Zahl der formellen Mitglieder der einzelnen Bundesländer im Bundesrat ist nach der Einwohnerzahl der Länder abgestuft. Nach Art. 51 Abs. 2 GG hat jedes Land mindestens drei Stimmen, Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf Stimmen. Durch dieses abgestufte Stimmgewicht der einzelnen Länder soll nach dem Willen der Verfassungsschöpfer einerseits in gewissem Umfang die unterschiedliche Bevölkerungsstärke der Länder berücksichtigt werden, andererseits soll verhindert werden, daß ein oder zwei besonders große Länder die übrigen im Bundesrat majorisieren können Diese mittlere Linie zwischen Senatsprinzip amerikanischer Prägung und Bundesratsprinzip alter Art, über die man kontroverser Meinung sein kann und deren Veränderung bei den Reform-diskussionen eine Rolle spielt, wirkt sich nur bedingt auf die Zusammensetzung des Bundes-rates aus.
Zwar kann nach Art. 51 Abs. 3 GG jedes Land so viele Mitglieder in den Bundesrat entsenden, wie es Stimmen hat, doch diese können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter abgegeben werden. Diese verfassungsrechtlich gebotene einheitliche Stimmabgabe zwingt die Bundesratsmitglieder eines Landes, sich vor der Stimmabgabe über ihr Votum zu einigen. Eine Aufsplitterung der Stimmen hätte deren Ungültigkeit zur Folge Daraus entwickelte sich folgende Praxis der Stimmabgabe im Bundesrat: Erstens werden sämtliche Stimmen eines Landes von einem Mitglied abgegeben, dem soge-nannten „Stimmführer"; zweitens wird über die Stimmführung eines Landes im Bundesrat in der Regel einige Tage vor der Plenarsitzung in den Kabinettssitzungen der Landesregierungen entschieden und den Stimmführern Weisung erteilt, an die sie gebunden sind und von der sie nur in Ausnahmefällen abweichen können; drittens nehmen fast niemals so viele Bundesratsmitglieder eines Landes an den Plenarsitzungen teil, wie das Land Stimmen hat —-sehr häufig werden die Länder nur durch zwei Mitglieder, nicht selten sogar nur durch ein Mitglied im Bundesrat vertreten.
Wir können also feststellen: So wichtig die Stimmenzahl für die politische Rolle des Bundesrates ist — wie unten noch zu zeigen sein wird —, so bedeutungslos ist sie für seine personelle Zusammensetzung. Der Zwang zur einheitlichen Stimmabgabe hat die materielle Entscheidung aus dem Bundesrat in die Landesregierungen verlagert und den „Stimmführer" kreiert, der in der Regel nur noch als „Bote" der Mitgliedsländer fungiert. Dadurch verliert die Frage nach der Zusammensetzung des Bundesrates weitgehend an Bedeutung. Gleichwohl ist es nicht uninteressant zu untersuchen, wer in welchen Bundesratsgremien und bei welchen Entscheidungsvorlagen die Stimmen des Landes im Bundesrat führt bzw. dort handelnd auftritt. 1. 5. Die konkrete Mitgliedschaft im Bundesrat Die Darstellung der konkreten Mitgliedschaft soll sich auf das Plenum, den Beirat und die Ämter erstrecken, die im Bundesrat im Rahmen seines Selbstorganisationsrechts nach Art. 52 GG zu vergeben sind. Die Mitgliedschaft in den Ausschüssen soll im nachfolgenden Abschnitt gesondert behandelt werden. 1. 5. 1. Teilnahme an den Plenarsitzungen Formelle Mitglieder im Bundesrat sind stets die Ministerpräsidenten der Länder die Bevollmächtigten der Länder beim Bund, sofern sie Kabinettsrang haben, Justiz-, Innen-und Finanzminister Die übrigen Mitglieder werden in der Regel zu stellvertretenden Bundesratsmitgliedern bestellt Auf diese Weise können alle Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat tätig werden. Das hat sich wegen der „Boten" -funktion der Bundes-ratsmitglieder einerseits und wegen der sachlichen Vielfältigkeit der Tagesordnungen andererseits als sehr zweckmäßig erwiesen.
Bei Routinesitzungen des Plenums des Bundesrates ist es irrelevant, welches Regierungsmitglied die Stimmen des Landes abgibt. Demzufolge nehmen an den Routineplenarsitzungen kaum einmal die Ministerpräsidenten teil es sei denn, daß sie sich sowieso in der Bundeshauptstadt aufhalten. Entweder gibt der Bevollmächtigte des Landes dessen Stimmen ab oder ein Regierungsmitglied, dessen Ressort häufig von der Tagesordnung tangiert ist, wie Innen-, Finanz-oder Justizminister. Handelt es sich um sachspezifische Vorlagen oder Landesinitiativen, dann nehmen die dafür zuständigen Ressortminister teil, um ihren Voten entsprechende Publikumswirksamkeit zu verleihen. Nur bei politisch brisanten Gegenständen oder beim jährlichen Präsidentenwechsel halten die Regierungschefs ihre persönliche Anwesenheit im Bundesrat für erforderlich. 1. 5. 2. Der Präsident und der Direktor des Bundesrates Die Ministerpräsidenten haben es jedoch seit Errichtung der Bundesrepublik stets für erforderlich gehalten, daß das Amt des Bundesratspräsidenten nur von einem der ihren wahrge -nommen werden darf. Seit dem „Königsteiner Abkommen" im Jahre 1950 wechseln sich die Regierungschefs der Länder jährlich im Amt des Präsidenten des Bundesrates ab mit dem einwohnerstärksten Land beginnend und beim einwohnerschwächsten Land endend. Die kurze Amtszeit der Präsidenten und die Tatsache, daß diese im Hauptberuf Chef einer Landesregierung sind — mit allen daraus resultierenden Nebenverpflichtungen — und nicht selten ein wichtiges Parteiamt im Land oder Bund innehaben, hat das Amt über einen reinen Honoratiorenstatus kaum hinausgelangen lassen. Das gilt in noch stärkerem Maße für die Ämter der drei Vizepräsidenten Demzufolge kann das Präsidium des Bundes-rates nur formell mit dem des Bundestages verglichen werden; seine Einflußnahme auf die Funktionsweise gleicht der des Bundestagspräsidiums in keiner Weise. Denn der Präsident kommt in der Regel nur zu den Plenarsitzungen nach Bonn — die Vizepräsidenten tun selbst das nicht immer. Die Bundesratsgeschäfte, die formell vom Präsidenten abgewickelt werden müssen, werden durchweg vom heimischen Regierungssitz aus erledigt. Auf diese Weise gelangte ein Amt im Bundesrat in eine Position und erhielt dessen Amtsinhaber Einfluß auf die Funktionsweise des Bundesrates, die weit von der Intention der einschlägigen Rechtsnormen entfernt ist: der Direktor des Bundesrates
Nach § 14 Abs. 2 GeschOBRat leitet der Direktor das Sekretariat im Auftrag des Präsidenten und unterstützt ihn bei der Führung seiner Amtsgeschäfte. Er soll also Hilfsfunktionen wahrnehmen und als Beauftragter des Präsidenten wirken. In der Praxis der täglichen Bundesratsarbeit ist der Direktor der eigentliche Herr des funktionalen Geschehens. Er erledigt die gesamte Präsidialkorrespondenz; er allein unterrichtet den Präsidenten über den Stand aller den Bundesrat betreffenden Angelegenheiten; er gibt zu allen bedeutsamen Vorgängen eine Stellungnahme ab; er bereitet mit den Mitarbeitern des Sekretariats die den Plenarsitzungen vor und hält Kontakt zu anderen Verfassungsorganen; in den Plenarsitzungen sitzt er neben dem Präsidenten auf dem Präsidium und überreicht diesem auch die Sprechzettel Der Präsident wäre ohne den Direktor ein bedauernswerter Vollinvalide — um einen Vergleich von Wilhelm Hennis zu übernehmen —, besonders wenn man bedenkt, daß der jetzige Direktor des Bundesrates eine schon mehr als 20-jährige Erfahrung in diesem Amt hat. So dürfte es denn nicht übertrieben sein, wenn man die These aufstellt: der eigentliche Präsident des Bundesrates ist dessen Direktor. 1. 5. 3. Die Bevollmächtigten der Länder beim Bund Sind also die Ministerpräsidenten selbst für das Präsidentenamt bzw. für das Präsidium des Bundesrates nicht allzu bedeutsam — was jedoch bisher kaum nennenswerte Reformvorschläge hervorbrachte —, so gilt das nicht für einen anderen Typus von Bundesratsmitgliedern: den Bevollmächtigten der Länder beim Bund, soweit sie auch Landesminister für Bundesangelegenheiten sind und damit der Landesregierung angehören was bei neun Bundesländern der Fall ist Diese Personengruppe, deren Aufgabe es unter anderem ist, „die Landesregierung bei der Wahr-nehmung ihrer Aufgaben im Bundesrat und in den Ausschüssen des Bundesrates zu unterstützen" und „in den Angelegenheiten des Bundesrates und der bundesstaatlichen Zusammenarbeit mit den übrigen Ländern der Bundesrepublik Fühlung zu halten" wirkt maßgebend mit, wenn im Bundesrat selbst wirkliche Entscheidungen getroffen werden. Sie bilden den Beirat nach § 9 GeschOBRat, der mit dem Direktor die Sitzungen vorbereitet durch Beratung der Tagesordnung, Absprachen und Klärung der Landesinteressen im Bundesrat und vermögen auf diese Weise über die funktionale Gestaltung der Bundesratsarbeit politischen Einfluß zu nehmen.
Die Bevollmächtigten etwa residieren die Hälfte der Arbeitswoche in der Bundeshauptstadt, verfügen dort durch ihre Vertretungen über bürokratische Hilfsmittel, verkehren regelmäßig im Bundesrat, sind über alle politischen Vorgänge des Bundes, die die Interessen der Länder berühren oder für ihre Partei relevant sind, laufend und umfassend informiert, nehmen regelmäßig an den Plenarsitzungen des Bundesrates teil, in denen sie meistens als „Stimmführer" agieren; gleichzeitig sind sie Mitglieder der Landesregierungen und nehmen an deren Kabinettssitzungen teil, sind fast immer Abgeordnete im Landesparlament, somit Mitglieder der heimischen Regierungsfraktion, und meist Inhaber wichtiger Parteiämter im Land Sie können — soweit im Bundesrat die Persönlichkeitsstruktur und die politische Qualität von Mitgliedern relevant ist — als die potentiell wichtigsten Mitglieder dieses Verfassungsorgans bezeichnet werden. 1. 6. Das Problem der Zusammensetzung der Bundesratsausschüsse Der Bundesrat bildet ebenso wie der Bundestag ständige Ausschüsse und kann für besondere Angelegenheiten weitere Ausschüsse bilden Soweit im Bundesrat materiell gearbeitet wird, geschieht dies — wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll — in den Ausschüssen Die Länder sind in jedem Ausschuß durch ein Bundesratsmitglied vertreten. Jedes Land hat eine Stimme. Während die Länder in den sogenannten Politischen Ausschüssen — dazu zählen die Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten, Innerdeutsche Beziehungen und Verteidigung — in der Regel durch die Regierungschefs vertreten sind, entsenden sie in die Fachausschüsse das jeweils fachlich zuständige Kabinettsmitglied. Die Vorsitzenden der Ausschüsse werden vom Plenum jährlich neu gewählt. Während die Vorsitzenden der „Politischen Ausschüsse“ aus den Regierungschefs der Länder nach einer bestimmten Reihenfolge gewählt werden, ist es bei den Fachausschüssen im Interesse der Kontinuität üblich, die Vorsitzenden wiederzuwählen. Die Ausschüsse können aus dem Kreis ihrer Mitglieder stellvertretende Vorsitzende wählen
Für die Zusammensetzung der Ausschüsse ist in unserem Zusammenhang die Tatsache von Bedeutung, daß sich die Mitglieder des Bundesrates in denselben durch „Beauftragte ihrer Regierung" vertreten lassen können. Diese Vertreter sind Landesbeamte aus den Ressorts ordentlicher oder stellvertretender Bundesratsmitglieder; zuweilen kommen sie aus den Landesvertretungen War diese Regelung vom Parlamentarischen Rat als Ausnahme gedacht, um bei terminlichen Überlastungen der Bundesratsmitglieder einem Land trotzdem die Mitwirkung im Ausschuß zu ermöglichen, so ist heute die Vertretung durch Ministerialbeamte zur Regel geworden. Mit Ausnahme des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses und des Finanzausschusses nehmen außer den Ausschußvorsitzenden überwiegend oder gar ausschließlich Landesbeamte an den Ausschußsitzungen teil Sie agieren dann als vollberechtigte Mitglieder an Stelle des Ministers und stimmen für ihr Land ab. So hat bezüglich der tatsächlichen Mitgliedschaft in den Ausschüssen des Bundesrates eine Entwicklung stattgefunden, durch die an Stelle des demokratisch legitimierten und politisch und parlamentarisch verantwortlichen Ministers der Ministerialbeamte getreten ist Diese vom Verfassungsgeber unter historischen Reminiszenzen grundgelegte Entwicklung hat entscheidend dazu beigetragen, daß sich der Bundesrat primär zu einer bürokratischen, anonym arbeitenden Institution entwickelt hat, deren Handeln weniger von politischen Intentionen und Ideen, um so mehr aber von Verwaltungskategorien bestimmt wird Das soll im folgenden Kapitel noch deutlicher herausgearbeitet werden.
2. Arbeitsweise und Entscheidungsprozeß im Bundesrat
Abbildung 3
Abbildung 3
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Die Arbeitsweise des Bundesrates ist trotz zahlreicher Public-relations-Bemühungen des Sekretariats in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Soweit diese über den Geschäftsgang aufgrund der Informationsbemühungen des Bundesrates und der politischen Bildungseinrichtungen unterrichtet ist, kennt sie durchweg nur das formale Procedere, jedoch kaum die tatsächlichen Entscheidungsabläufe und die diese bestimmenden Akteure. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, durch Darstellung der Arbeitsweise des Bundesrates den Prozeß der Entscheidungsbildung in diesem Verfassungsorgan kurz herauszuarbeiten. Die Darstellung wird mit einer Rekapitulation der Kompetenzen des Bundes-rates beginnen und dann den formellen Geschäftsgang skizzieren. Im weiteren Verlauf der Darstellung sollen die Entscheidungsbereiche für die Vertreter der Länderbürokratie sowie die politische Einflußnahme der formellen Amtsinhaber behandelt werden. Abschließend werden einige Einzelprobleme der Entscheidungsbildung umrissen. 2. 1. Die Kompetenzen des Bundesrates Die lapidare Feststellung in Art. 50 GG, daß durch den Bundesrat die Länder an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken, bedarf der Ergänzung durch eine Vielzahl von Kompetenznormen, die verstreut in der Verfassung niedergelegt sind. Da sie dem Interssierten bekannt sein dürften, kann hier eine geraffte Rekapitulation genügen. 2. 1. 1. Die Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung
Der Bundesrat hat nach Art. 76 Abs. 1 GG das Recht der Gesetzesinitiative, von dem er jedoch äußerst zurückhaltend Gebrauch macht In den ersten fünf Legislaturperioden des Bundestages brachte er nur 72 Gesetzesvorlagen gegenüber 1392 aus der Mitte des Bundestages und 2107 der Bundesregierung ein. Erst seitdem die der Oppositionspartei des Bundestages angehörenden Landes-regierungen im Bundesrat über die Mehrheit verfügen, werden Gesetzesinitiativen aus dem Bundesrat häufiger
Die Bundesregierung muß ihre Gesetzentwürfe nach Art. 76 Abs. 2 GG zunächst dem Bundesrat zuleiten, der innerhalb von sechs Wochen dazu Stellung nehmen kann. Bei Eilbedürftigkeit kann die Bundesregierung schon nach drei Wochen ihren Entwurf an den Bundestag weiterleiten und der Bundesrat kann innerhalb der Sechswochenfrist seine Stellungnahme nachreichen In diesem sogenannten ersten Durchgang haben die Vertreter der Länder die Möglichkeit, die Gesetzesentwürfe unter politischen und verwaltungsmäßig-praktischen Gesichtspunkten zu prüfen. Sie können sie vorbehaltlos billigen, sie rundweg ablehnen oder — was die Regel ist — Änderungen Vorschlägen Der Bundesrat muß nach Art. 79 Abs. 2 GG allen verfassungsändernden Gesetzesbeschlüssen des Bundestages mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit (gegenwärtig 28 Stimmen) seiner Mitglieder zustimmen. Er kann demzufolge jede Verfassungsänderung verhindern. Den sogenannten zustimmungsbedürftigen Gesetzesbeschlüssen des Bundestages muß der Bundesrat mit absoluter Mehrheit (gegenwärtig 21 Stimmen) seiner Mitglieder zustimmen Die Verweigerung der Zustimmung läßt kein Gesetz zustande kommen Schließlich kann der Bundesrat nach Art. 77 Abs. 3 GG gegen nicht Gesetzesbeschluß zustimmungsbedürftigen des Bundestages Einspruch einlegen, der jedoch mit der Mehrheit des Bundestages zurückgewiesen werden kann
Zu allen Gesetzesbeschlüssen kann der Bundesrat innerhalb von drei Wochen nach Eingang den Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 GG anrufen Dies geschieht sehr häufig (243 mal in den ersten fünf Legislaturperioden) mit dem Erfolg, daß die scharfen Waffen der , Zustimmungsverweigerung und des Einspruchs relativ selten angewendet werden
Auf die Rechte des Bundesrates im sogenannten Gesetzgebungsnotstand sowie auf die Befugnisse, die ihm die Notstandsverfassung des Grundgesetzes einräumt, sei hier nur hingewiesen 2. 7. 2. Die Mitwirkung des Bundesrates an der Regierung und der Verwaltung des Bundes Der Bundesrat muß nach Art. 80 Abs. 2 GG seine Zustimmung zu Rechtsverordnungen geben über Grundsätze und Gebühren für die Benutzung von Bahn und Post, über Bau und Betrieb der Eisenbahnen, sowie zu Rechtsverordnungen aufgrund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen oder die von den Ländern ausgeführt werden. Da beim Erlaß von Rechtsverordnungen der Bundestag in der Regel nicht mitwirkt, ist die Bundesregierung hier nur der Kontrolle durch den Bundesrat unterworfen Dieser kann ohne zeitliche Beschränkung einer Verordnung zustimmen, er kann sie ablehnen oder ihr unter der Voraussetzung zustimmen, daß die Bundesregierung bestimmte Änderungen vornimmt. Auf diese Weise hat der Bundesrat formell einen außergewöhnlichen Einfluß auf einen immer wichtiger werdenden Rechtssetzungsprozeß im Bereich der Verwaltung In einer Reihe von Fällen kann die Bundesregierung Verwaltungsvorschriften
nur mit Zustimmung des Bundesrats erlassen Mit dieser Regelung wird erreicht, daß die Bundesregierung den Landesbehörden nur dann bindende Anweisungen geben kann, wenn der Bundesrat zugestimmt hat
Der Bundesrat wählt nach Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit § 7 und § 9 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Hälfte der Richter am Bundesverfassungsgericht sowie abwechselnd mit dem Bundestag den Präsidenten und Vizepräsidenten dieses Gerichts In einer Reihe von verfassungsrechtlichen Verfahren kann der Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht als Antragsteller auftreten in vielen anderen Verfahren, besonders bei Verfassungsbeschwerden, ist er äußerungsberechtigt.
Der Bundesrat wirkt ferner mit bei der Bundes-aufsicht nach Art. 84 Abs. 3 und 4 GG, beim Bundeszwang nach Art. 37 GG sowie beim so-genannten inneren Notstand nach Art. 91 Abs. 2 GG Er ist nach Art. 53 GG von der Bundesregierung über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten; er hat nach Art. 114 GG zusammen mit dem Bundestag der Bundesregierung Entlastung bei der Rechnungslegung über Einnahmen und Aus-gaben des Bundes zu erteilen; er wirkt in weiteren Fällen der Haushaltswirtschaft des Bundes mit, z. B. bei der Veräußerung von Bundesvermögen; zur Ernennung des Generalbundesanwaltes und der Bundesanwälte ist seine Zustimmung erforderlich; in zahlreiche Verwaltungsräte und andere Gremien entsendet er seine Vertreter 2. 2. Der Geschäftsgang im Bundesrat Der Geschäftsgang im Bundesrat ist von Neunreither Schäfer und Ziller detailliert beschrieben worden, so daß hier eine skizzenartige Zusammenfassung zum Verständnis der nachfolgenden Abschnitte genügen kann.
Alle beim Sekretariat eingegangenen Vorlagen gelangen über den Präsidenten bzw.den Direktor im Umlaufverfahren an die Ausschußbüros, deren Sekretäre jeweils Wünsche auf Beteiligung äußern können. Der Direktor weist dann im Auftrag des Präsidenten die Vorlage einem oder mehreren Ausschüssen zu. Die als Bundesratsdrucksache gedruckte Vorlage wird an die Mitglieder des Bundes-rates, an die Dienststellen der Länder, an den Bundestag und an die Bundesregierung verteilt.
Für die Beratung in den Ausschüssen werden die Vorlagen von den Ausschußbüros nach Rücksprache mit den Ausschußvorsitzenden und aufgrund der Entscheidung der Ausschußsekretäre zur Tagesordnung zusammengestellt. In den Ausschußsitzungen wird zu jedem Tagesordnungspunkt Bericht erstattet, und zwar entweder von Ausschußmitgliedern oder Landesbeamten, gegebenenfalls auch vom federführenden Bundesminister oder dessen Vertreter oder Beamten. Es folgt eine Aussprache, in der jedes Land befugt ist, Anträge zu stellen. Sie wird mit einer Empfehlung für das Plenum abgeschlossen und geht als „Empfehlungsdrucksache" an die Landesvertretungen und von da an die Staatskanzleien und Ressorts der Länder.
Für die Plenarsitzungen bereitet nach Weisung des Direktors im Auftrage des Präsidenten das Sekretariat die Tagesordnung vor, die etwa zehn Tage vor der Sitzung den Landesregierungen zugestellt wird. Diese befassen sich damit zu Beginn der auf die Ausschußsitzung folgenden Woche Vorher haben sich schon die Referenten und Bundesratsbeamten der Landesressorts mit den für sie einschlägigen Tagesordnungspunkten befaßt, so daß die Kabinettssitzung von weniger wichtigen Bundesratsangelegenheiten entlastet ist und die Landesregierung sich auf politisch relevante oder die Interessen des Landes besonders tangierende Punkte konzentrieren und über die Stimmführung im Bundesratsplenum entscheiden und entsprechende Weisung erteilen kann.
Zwei Tage vor der Plenarsitzung werden die Tagesordnung im ständigen Beirat besprochen und einzelne, besonders wichtige Punkte diskutiert. Die Bevollmächtigten informieren über die Halturg ihrer Regierung zu einzelnen Beratungsgegenständen, klären Standpunkte und treffen gegebenenfalls Absprachen.
Kurz vor Beginn der Plenarsitzung treffen sich deren Mitglieder unter Vorsitz des Präsidenten zu einer letzten Erörterung der Tagesordnung und gegebenenfalls zu Probeabstimmungen über wichtige Gegenstände. In der anschließenden Plenarsitzung berichten zunächst die federführenden Ausschüsse. Daran schließt sich eine Aussprache an, in der die Länder noch einmal Anträge stellen können und gelegentlich die Vertreter der Bundesregierung das Wort ergreifen, mit nachfolgender Abstimmung
Für den Geschäftsgang im Bundesrat sind zwei Faktoren von Bedeutung, die für den Bundestag kaum relevant sind: der Zeitfaktor und die Menge der zu behandelnden Angelegenheiten. Da für den ersten Durchgang eine Frist von maximal sechs Wochen besteht, für den zweiten Durchgang bei Zustimmungsgesetzen von maximal drei Wochen und bei Einspruchs-gesetzen von zwei Wochen, müssen die im und für den Bundesrat Tätigen immer unter Zeitdruck arbeiten. Die Folge ist, daß sich die Mitglieder des Bundesrates kaum einmal der Sache entsprechend intensiv und ausführlich mit den zahlreichen Vorlagen befassen können und deshalb um so stärker auf die Beamten im Bundesrat und in den Landesministerien angewiesen sind. Denn diese wirken notwen110) digerweise selektiv und haben trotz des Fristenproblems immer noch hinreichend Zeit und Gelegenheit — zum Teil schon während der Vorbereitung der Gesetzesentwürfe in den Bundesministerien und während der Beratung im Bundestag —, um sich sachkundig in die Materie einzuarbeiten. 2. 3. Die Einflußnahme der Beamten auf die Entscheidungen des Bundesrates Die gegenwärtige Epoche der parlamentarischen Demokratie scheint nach den kritischen Befunden der wissenschaftlichen Literatur, vor allem der der Politikwissenschaft, durch die Entmachtung der Legislative durch die Bürokratie der Regierungen gekennzeichnet zu sein Was immer die Untersuchungen zu diesem Problem beim Bundestag ergeben mögen, für den Bundesrat trifft diese These von der Beherrschung der parlamentarischen Gremien durch die Bürokratie voll zu. Das ist in seiner Struktur schon angelegt und hat sich in der über 20 Jahre währenden Praxis immer mehr verfestigt, wie im folgenden zu zeigen sein wird. 2. 3. 1. Beamtenentscheidungen in den Ausschüssen Aus dem oben skizzierten Geschäftsgang und der Übersicht im Anhang wird ersichtlich, daß alle Entscheidungen über das Procedere im Bundesrat von den Beamten des Sekretariats getroffen werden. Formell entscheiden zwar Präsident und Ausschußvorsitzende; in der Praxis jedoch wird der Verfahrensablauf vom Direktor, den Ausschußsekretären und den Beamten des Parlamentsdienstes bestimmt. Diese sind in erster Linie am reibungslosen Ablauf der Bundesratstätigkeit interessiert und bemühen sich ehrgeizig, alle organisatorischen Vorbereitungsarbeiten termingerecht und sorgfältig, das heißt technisch-bürokratisch einwandfrei zu erledigen Das hat dazu beigetragen, daß trotz ständiger Terminnöte und der Fülle der zu erledigenden Aufgaben der Geschäftsgang technokratisch höchst effizient abläuft und die Amtsinhaber des Bundesrates mit dem Sekretariat höchst zufrieden waren und sind Mögliche Mißbräuche der formalen Organisationsbefugnisse waren bisher nicht festzustellen.
Das ist anders bei der Erarbeitung der Ausschußempfehlungen und der Vorbereitung der Plenarentscheidungen. Hier ist der Einfluß der Landesbeamten vorherrschend, und die Kernfrage der Regierungslehre, „wer regiert tatsächlich?" kann ziemlich eindeutig beantwortet werden. Wie oben dargestellt, setzen sich die Bundesratsausschüsse in der Regel aus Ministerialbeamten der Länder zusammen. Da die überwiegende Tätigkeit des Bundes-rates — wie aus der Kompetenzverteilung folgt — sich auf das Nachvollziehen, wenn auch mit Korrektur-und Uberprüfungsmöglichkeiten unter Praktikabilitätsgesichtspunkten, erstreckt, kann derjenige den stärksten Einfluß nehmen, der mit der zu regelnden Materie und der Genesis der Entscheidungsvorlage am besten vertraut ist. Das aber sind nicht die formellen Ausschußmitglieder, ihre Beauftragten, die hochspezialisierten Landesbeamten. Diese haben die Entstehung der einzelnen Vorlagen von Anfang an in allen Phasen verfolgt sie sich in -118 kennen der Ma terie aus und haben selbst mehr oder weniger präzise Vorstellungen, wie beim jeweils zu behandelnden Tagesordnungspunkt zu prozedieren
Der Beauftragte eines Ausschußmitglieds — eines Landesministers — wird selbstverständlich nicht gegen den Willen oder auch nur gegen die Intentionen seines Ministers im Ausschuß agieren. Doch was sind Wille und Inten-tionen des Ministers? Die Einflußnahme des Beamtenapparates auf die Willensbildung der Ressortchefs wurde in jüngster Zeit zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung gemacht, so daß es hier genügt, darauf hinzuweisen, in welchem Maße der Wissensvorsprung der Ministerialbeamten, die Vorwegnahme von Alternativen, die Konfrontation mit dem sogenannten Sachzwang die Politik des Ressortministers gestaltet Der beauftragte Beamte im Bundesrat hat zwar innerhalb der „Richtlinien" seines Ministers zu handeln, jedoch allein aufgrund der Quantität ist er schon gehalten, eine Vielzahl von Ehtscheidüngen selbständig zu treffen und bezüglich derministeriellen Entscheidung selektiv zu verfahren. Im ersteren Fall beziehen sich nicht wenige Entscheidungen des Beamten auf Formalien, viele zielen aber auch auf die inhaltliche Gestaltung der Ausschußempfehlung. In diese wird dann in aller Regel die jeweils vorherrschende Verwaltungskategorie einfließen. Doch selbst wenn der Beamte nicht selbständig entscheidet, sondern eine ministerielle Entscheidung herbeiführt, kann er diese maßgebend durch Problemdarstellung und Alternativauswahl aus seiner Sicht beeinflussen, wenn nicht vorwegnehmen. Daraus folgt, daß die Entscheidungsbildung in den Bundesratsausschüssen sich überwiegend unter bürokratischen Aspekten vollzieht 2. 3. 2. Beamteneinfluß auf die Kabinettsentscheidung Aber auch die Entscheidungsbildung in den Landeskabinetten wird durch die Landesbeamten weitgehend antizipiert. Die vollgestopften Tagesordnungen der Plenarsitzungen (bis zu 150 Tagesordnungspunkte) erfordern, daß möglichst viele Gegenstände in den Ressorts behandelt und entschieden werden. So hat sich in den Ländern die Praxis entwickelt, daß in den Ressorts und Staatskanzleien sogenannte Bundesratsreferenten die Entscheidung der Landesregierung im Bundesrat vorbereiten Ihr Ziel ist es, die Kabinettssitzungen weitgehend von Bundesratsangelegenheiten zu entlasten. Sie tagen jeweils am Tag vor der Kabinettssitzung, die der Plenarsitzung des Bundesrates vorangeht, und arbeiten Empfehlungen für die Stimmführung des Landes aus, die in der Regel akzeptiert werden. Nur bei kontroversen Haltungen der Ressorts, bei schon vorher öffentlich kontroversen Gegenständen und bei ihrer Meinung nach politisch brisanten Angelegenheiten überlassen sie die Entscheidung dem Kabinett. Doch auch in diesen Fällen bleibt das Problem, daß die Grundlagen für die Kabinettsentscheidung die von den Beamten vorbereiteten Vorlagen sind. Demzufolge kann auch für die Entscheidung der Landesregierung über ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat gesagt werden, daß sie überwiegend von Beamten unter bürokratischen Aspekten getroffen werden.
Nun wird der Bundesrat nicht selten als Konfrontation der Bürokratie der Länder mit der Bürokratie des Bundes bezeichnet gerade die Ausschußtätigkeit wird unter dem Gesichtspunkt gerühmt, daß dort der Sachverstand der Landesbürokratie vorherrsche er wird als Gegenwirkung gegen die Produktionsfreudigkeit des Bundestages gelobt; in ihm wirke sich die hohe Sachkunde der höheren Ministerialbürokratie der Länder positiv auf die Bundespolitik aus In der Tat ist es nicht zu leugnen, daß der Ministerialbürokratie des Bundes im Bundesrat eine effiziente Gegenkraft in der Ministerialbürokratie der Länder gegenübersteht, der ersteren häufig durch praxisorientierte Sachkunde überlegen. Insoweit haben die Mitglieder des föderativen Gesetzgebungsorgans wesentlich bessere Arbeitsbedingungen als die Mitglieder des Gesetzgebungsorgans des Zentral-staates. Sie sind prima facie nicht wie diese dem Druck der sogenannten Verwaltungserfahrung ausgeliefert, sondern können formell diese für ihre Mitwirkung am Rechtssetzungsprozeß einsetzen. Doch der Schein trügt. Der bürokratische Apparat der Länder ist weniger Instrument der Bundesratsmitglieder, die sich des Sachverstandes bedienen, um politisch entscheiden zu können, sondern die Bundesratsmitglieder sind mehr Vollzugsorgane des bürokratischen Sachverstandes ihrer Beamten So könnte man pointiert formulieren: im Bun-desrat entscheiden Beamte für Beamte Es bleibt zu fragen, welche Entscheidungen in dieser Institution noch von den politisch verantwortlichen Mitgliedern getroffen werden. 2. 4. Politische Einflußnahme auf die Entscheidungsbildung im Bundesrat Aus den voraufgegangenen Ausführungen könnte der Eindruck entstehen, daß die Entscheidungen des Bundesrates materialiter ausschließlich von Beamten getroffen und die politischen Amtsinhaber nur noch als Notare tätig werden. Ein solcher Eindruck wäre perspektivisch verzerrt, wenngleich es sicher richtig ist, daß im Plenum des Bundesrates selbst kaum politische Entscheidungen fallen — es sei denn aus Zufall oder Trotzreaktion —, sondern dort nur staatsnotarielle Funktionen ausgeübt werden Die Mitglieder des Bundesrates überlassen nicht alle Entscheidungen ihren Beamten oder lassen diese alle Entscheidungen so vorbereiten, daß sie selbst nur noch als Ausfertiger fungieren. Es wird im nächsten Kapitel zu zeigen sein, wie die Bundesratsmitglieder die Entscheidungsbildung im Bundesrat politisch beeinflussen. Im folgenden soll das Problem untersucht werden, wie der Prozeß der politischen Entscheidungsbildung abläuft. 2. 4. 1. Politische Entscheidungen bei Gesetzesinitiativen Politische Entscheidungen liegen in der Regel den Gesetzesinitiativen des Bundesrates zugrunde. Sie gehen von politischen Konzeptionen, Reaktionen oder Strategien einzelner Landesminister oder Ministerpräsidenten aus, die jedoch nicht ohne die Unterstützung und den Konsens ihres gesamten Kabinetts handeln, da Initiativanträge fast stets von Landes-regierungen gestellt werden und dann den normalen Geschäftsgang im Bundesrat durchlaufen Die Initiativen sind vom politischen Willen bestimmt, .den Gesetzgebungsprozeß in Gang zu setzen, wobei die Motivationen sehr unterschiedlich sind und gelegentlich auch von nicht-staatlichen politischen Kräften, wie etwa Interessentengruppen, geleitet werden können. In jüngster Zeit sind einige Gesetzes-initiativen von den Konferenzen der Fachminister der Länder ausgegangen An diesen Konferenzen nehmen durchweg nur Landes-minister, im Ausnahmefall Staatssekretäre teil. Wenngleich auch eine wichtige Funktion dieser Konferenzen die der Koordinierung ist, so werden dort gleichwohl für die gleichmäßige Aufgabenerledigung durch die Landesregierungen maßgebende politische Entscheidungen gefällt. Dazu gehören neuerdings auch die Gesetzesinitiativen für den Bundesrat 2. 4. 2. Ausschußberatung und politische Entscheidung Auch die Beratungen in den Ausschüssen können durch politische Entscheidungen der Mitglieder bestimmt werden. Diese nehmen dann jeweils selbst an den Ausschußsitzungen teil, wenn sie auf die Behandlung von Regierungsvorlagen oder Gesetzesbeschlüssen politischen Einfluß nehmen wollen und versuchen, ihre politischen Vorstellungen im Ausschuß durchzusetzen. Sind sie verhindert, an den Ausschußsitzungen teilzunehmen, so geben sie ihrem beauftragten Beamten klare politische Weisung, von der abzuweichen ihm nur nach Rücksprache mit dem Ressortchef möglich ist. Wollen die Regierungsmitglieder in den Bundesratsausschüssen ihre politischen Vorstellungen in die Ausschußempfehlungen einfließen lassen, oder diese gar ausschließlich nach ihren Vorstellungen gestalten, versuchen sie nicht selten, durch Absprachen außerhalb des Bundesratsgremiums Unterstützung zu erhalten mit der Folge, daß wegen der dann meist erforderlichen Kompromisse die politische Entscheidung außerhalb des Bundesrates fällt. 2. 4. 3. Die Bundesratsentscheidung in den Landeskabinetten Die anstehenden Bundesratsentscheidungen der Landeskabinette, die diesen zur Beratung und Entscheidung und nicht nur zur Kenntnisnahme und Akklamation vorgelegt werden, werden auch politisch bestimmt Gelegentlich, müssen politische Kontroversen der verschiedenen Ressorts ausgeglichen oder die Erfolgsaussichten abgewogen werden Parteigesichtspunkte spielen ebenso eine Rolle wie reine Landesinteressen. Audi Interessen von sozialen Gruppen beeinflussen gelegentlich die Entscheidung der Kabinette. Bei parteipolitisch kontroversen Gegenständen kann es geschehen, daß auch die Landesregierungen nur formal über das Abstimmungsverhalten im Plenum beschließen und die politische Entscheidung entweder in Ad-hoc-Zusammenkünften der Ministerpräsidenten, die derselben Partei angehören, herbeigeführt wird oder im Parteigremium oder in Zusammenkünften zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und den der Regierungspartei des Bundes angehörenden Regierungschefs oder Bevollmächtigten der Länder Wo auch immer im konkreten Fall die politische Entscheidung fallen mag, sie fällt nicht in der Institution, in der sie formal getroffen wird, im Bundesrat und seinen Organen.
Zuweilen kommt es vor, daß trotz relevanter politischer Tagesordnungspunkte in den Landeskabinetten keine endgültige Entscheidung oder nur eine Entscheidung unter Vorbehalt getroffen wird und dem Regierungschef bzw.dem Stimmführer ein Entscheidungsbereich eingeräumt wird, in dem er durch Absprache mit anderen Landesvertretern oder Parteifreunden entscheiden kann. Auch ist es möglich, daß zeitliche oder sachliche Faktoren bis unmittelbar vor der Plenarsitzung offen sind, so daß der Stimmführer ebenfalls einen Entscheidungsspielraum erhält. In solchen Ausnahmefällen kann die politische Entscheidung am Tag oder kurz vor der Plenarsitzung oder in der Vorbesprechung fallen. Es geschieht je-12) doch ganz selten und wird fast als Sensation gewertet, daß im Plenum selbst eine politische Entscheidung getroffen wird, die nicht spätestens in der Vorbesprechung feststand und allen Beteiligten bekannt war. 2. 5. Entscheidungsbildung in besonderen Fällen Als Musterbeispiel für die Entscheidungsbildung des Bundesrates außerhalb seiner Organe können die Wahlen der Richter am Bundesverfassungsgericht dienen. Formell wählt nach § 7 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes das Plenum mit einer Zweidrittelmehrheit der Mitgliederzahl. Doch in der über zwanzigjährigen Geschichte des Bundesverfassungsgerichts ist eine politische Wahlentscheidung noch nie im Plenum gefallen; dieses wird bei den Richter-wahlen stets nur akklamierend und staatsnotariell tätig Die Richterwahl wird durch eine Kommission vorbereitet, der die Justizminister bzw. Justizsenatoren der Länder angehören oder neuerdings aus Politikern der CDU/CSU, SPD und FDP gebildet ist. Der Kommissionstätigkeit gehen in der Regel eine Vielzahl von Kontakten zwischen Parteigremien, Landesregierungen, Bundestagsabgeordneten, Bundesratsmitgliedern, amtierenden Bundesverfassungsrichtern und in Aussicht genommenen Kandidaten voraus Denn die Wahlen zum Bundesverfassungsgericht sind mehr und mehr parteipolitisch fixiert, was ins-besondere für die Präsidentenwahlen gilt Daher wird die Richterwahl in einem komplizierten Prozeß außerhalb des Bundesrates vorbereitet und zumindest vorentschieden, häufig aber auch entschieden nämlich dann, wenn sich die Mitglieder der Kommission schon vor ihrer offiziellen Zusammenkunft über den oder die zu wählenden Kandidaten einigen können. Ansonsten wird die Personal-entscheidung nach wechselseitigen Abklärungen und Kompromißbildungen (wegen des Erfordernisses der qualifizierten Mehrheit) in der Kommission getroffen und vom Plenum des Bundesrates gebilligt Dadurch erfährt das Charakteristikum der Bundesratstätigkeit, nämlich Anonymität, mangelnde Transparenz und Unkontrollierbarkeit, eine weitere Bekräftigung.
Das gilt auch für einen weiteren politischen Handlungsbereich, an dem der Bundesrat beteiligt ist, den Vermittlungsausschuß, für den das allerdings konstitutionell festgelegt ist. Dieser nach dem Vorbild des Conference Committee des amerikanischen Kongresses geschaffene und in der deutschen Verfassungsgeschichte neue Ausschuß hat die Funktion, die im Gesetzgebungsverfahren zwischen Bundesrat und Bundestag aufgetretenen Kontroversen durch Ausarbeitung eines Vermittlungsvorschlages zu beseitigen und dadurch das Zustandekommen eines Gesetzes zu ermöglichen Nach Art. 77 Abs. 2 Satz 3 GG sind die elf Mitglieder des Bundesrates nicht an Weisungen gebunden; sie können sich nach § 3 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses nur durch Bundesratsmitglieder vertreten lassen. Demzufolge wird von der Seite des Bundesrates der Vermittlungsausschuß stets von weisungsfreien Landesministern beschickt, die sich von den offiziellen Standpunkten ihrer entsendenden Körperschaften und der Standpunkte von Ländern und Parteien entfernen können In welchem Maß dies tatsächlich geschieht, ist allerdings wissenschaftlich nicht exakt erweisbar. Denn der Vermittlungsausschuß arbeitet im allgemeinen streng exklusiv und umgibt sich mit einem Schleier der Undurchdringlichkeit. Seine Mitglieder versuchen der Verfassungsintention gerecht zu werden und radikal alle Bindungen, vor allem fachlicher Art, auszuschalten und eine gleichsam „höhere politische Vernunft" walten zu lassen Das scheint von den Tätigkeiten des Vermittlungsausschusses her gesehen erfolgreich zu sein so daß ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Bundesratsmitglieder des Ausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG dort tatsächlich selbständige politische Entscheidungen treffen. Diese werden zwar auch von Verwaltungswissen der Landesbürokratie und von parteipolitischen Zielsetzungen nicht völlig frei sein — vor allem seit der Regierungsbildung 1969 mit einer so kleinen parlamentarischen Mehrheit. Doch ist damit wenigstens eine reale Möglichkeit für die Identität von formalem und materialem politischen Entscheidungshandeln und für eigenständiges und selbstverantwortliches politisches Tun gegeben. Wenn der Bundesrat im politischen Prozeß relevant geworden ist, dann nicht zuletzt durch die Leistungen seiner Mitglieder im Vermittlungsausschuß
3. Die politische Rolle des Bundesrates im Regierungssystem
Abbildung 4
Abbildung 4
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Der Bundesrat ist eines der fünf Verfassungsorgane im Regierungssystem der Bundesrepublik, die das politische System konstituieren und in Existenz halten sollen In welcher Weise und in welchem Maße wird der Bundesrat in der Verfassungspraxis dieser Funktion eines Verfassungsorgans gerecht? Die Frage zielt auf den Stellenwert des Bundesrates im Regierungssystem und seine Rolle im politischen Prozeß. In welchen politischen Konstellationen wirkt der Bundesrat, welcher Art sind die Intentionen der Tätigkeit seiner Mitglieder und wie gestaltet er das politische System mit?
Unter den schon oben erwähnten Erfahrungen, daß seit der Konstituierung der Bundesrepublik die Bundesregierung und die sie tragende(n) Partei(en) sowie die Oppositionspartei(en) des Bundestages stets bemüht waren, die Wahlen zu den Landesparlamenten unter bundespolitischen Aspekten zu beeinflussen und auf die Regierungsbildung in den Ländern unter dem Aspekt der Stimmverteilung des Bundesrates Einfluß zu nehmen soll untersucht werden, ob die Gliedstaaten nur bürokratisch konservierend und korrigierend auf den Zentralstaat und damit auf das Ganze einwirken oder ob, und wenn, welche politischen Impulse und Entscheidungen vom Bundesrat ausgehen. Vor allem aber soll geklärt werden, inwieweit sich der Bundesrat als Instrument der Opposition eignet — ein Thema, das seit Übernahme der Regierungsverantwortung im Bund durch SPD und FDP im Herbst 1969 die politische Diskussion beherrscht und gerade im Jahre 1971 die öffentliche Debatte erneut angefacht hat 3. 1. Die konservierende und korrigierende Grundhaltung des Bundesrates Edward L. Pinney hat in seiner Untersuchung über den Bundesrat darauf aufmerksam gemacht, daß in der Literatur über den westlichen Parlamentarismus häufig der Gedanke von der zweiten Kammer als konservatives Hindernis zur Abblockung der Macht der ersten Kammer vertreten werde Sehr häufig werde die zweite Kammer als Vorrichtung zum Schutz etablierter Privilegien bestimmter Schichten verstanden. Es sei daher zu fragen, ob und inwieweit der Bundesrat ein Instrument sei, durch das konservative Interessen, die im Bundestag nicht wirksam repräsentiert werden könnten, durch Änderungen der Gesetzesbeschlüsse begünstigt würden. Ferner sei zu fragen, inwieweit im Bundesrat die Neigung vorherrsche, den Status quo aufrechtzuerhalten und die bestehenden Verhältnisse, besonders bezüglich der politischen und sozialen Ordnung sowie der Verwaltungsroutine, zu verteidigen 3. 1. 1. Der bürokratische Konservatismus von überprüft man dieser Fragestellung her die Intention des Verfassunggebers bei der Schaffung des Bundesrates, dessen Arbeitsweise, das Selbstverständnis seiner Mitglieder und seine Arbeitsergebnisse, so muß man Pinney prinzipiell zustimmen. Der Bundesrat soll die bürokratische Funktion eines föderativen Organs erfüllen und die verfassungsmäßige Kontrolle des Bundesrechts sowie die Einbringung der Verwaltungserfahrung der Länder institutionell sichern Er soll als Korrektiv des Bundestages unter Landesaspekten wirken und das spezifische Element der Verwaltung zur Geltung bringen Solchen Intentionen entsprechen Arbeitsweise und Entscheidungsprozeß der Bundesratspraxis die — wie oben dargestellt — weitgehend bis ausschließlich von Beamten der Ministerialbürokratie der Länder bestimmt wird. Deren Handlungskategorien als Staatsdiener mögen eine noch so schön klingende ethische Orien-tierung haben konkret richten sie sich in der Regel auf die Lösung von Verwaltungsproblemen im technisch-funktionalen Sinne Solche Orientierung ist allzuleicht abgeneigt, bei politischen Problemen, die vom Parlament geregelt werden müssen, neue Wege zu beschreiten, und läßt sich lieber von überkommenen bürokratischen Erfahrungen leiten. Eine derartige Haltung kann als „bürokratischer Konservatismus" bezeichnet werden Dessen Vertreter zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß sie politische Probleme auf bürokratische Probleme reduzieren wollen und dem Erfordernis, Lösungsvorschläge zu bringen, durch das Angebot bekannter, „bewährter" bürokratischer Lösungen genügen Die Kategorien des Bewahrens, der Zurückhaltung, des Erprobten und Bewährten, der Praktikabilität und des reibungslosen bürokratischen Ablaufes sind es, die weitgehend die Bundesratstätigkeit der Beamten bestimmen. Unter dem Leitgedanken „Wahrung der Interessen der Länder" verstehen sie in erster Linie die Wahrung der Interessen der Landesbürokratie. 3. 1. 2. Die Sachbezogenheit im Selbstverständnis der Amtsträger Eine solche Orientierung deckt sich weitgehend mit dem Selbstverständnis der Amtsinhaber des Bundesrates, die die sogenannte Sachbezogenheit der Tätigkeit des Bundes-rates immer wieder betont haben. Seitdem die öffentliche Kontroverse um die politische Rolle des Bundesrates intensiver geworden ist, wird dessen sachlich-gebundene Funktion besonders hervorgehoben So versteht Herbert Weichmann den Bundesrat als „den ruhenden Pol sachbezogener Erwägungen, der weder Erfüllungsgehilfe der in der Regierung oder außerhalb der Regierung wirkenden Parteien ist, der sachbezogene Entscheidungen vom Gesichtspunkt des Länderinteresses zu fällen hat" Für Franz Josef Röder ist der Bundesrat „ein Gremium, bei dem die Sachbezogenheit im Vordergrund seiner Arbeit steht und das die Absichten der Bundesregierung aus der Sicht der Länder besonders ein-gehend prüft" Ulrich Graf versteht ihn „als ein Organ, durch das das Element Land’ in das gesamte staatliche Geschehen mit einbezogen wird" Helmut Kohl ist der Ansicht, daß durch den Bundesrat mehr Sachgerechtigkeit in die Diskussion des Gesetzgebungsverfahrens eingebracht werden soll Sein Amtskollege Koschnik schließlich sieht als Aufgabe des Bundesrates, die Erkenntnis der Sachanliegen und die Erfahrung der Verwaltungszwänge wirksam werden zu lassen Diese Aussagen machen deutlich, daß der verwaltungsmäßigen Betrachtung und Erledigung der vom Bundesrat zu entscheidenden Gegenstände die Priorität zukommt.
Die Arbeitsergebnisse von Ausschüssen und Plenum zeigen denn auch, daß der Bundesrat vor allem konservierend und korrigierend im rechtlichen, verwaltungsmäßigen und fiskalischen Sinne wirkt. Die Sorge um-die Einhaltung der richtigen rechtlichen Formen steigert sich nicht selten zu purem Rechtsformalismus; die Beachtung bürokratischer Realisierungsmöglichkeiten birgt die Gefahr in sich, daß nicht mehr der betroffene Bürger, sondern die öffentlichen Vollzugspersonen Orientierungsmaßstab sind; fiskalische Rücksichten auf die Etats der Länder und ihrer Ressorts führen nicht selten dazu, daß die dringend anstehende Beseitigung von Übelständen oder die Vorbereitung oder Eingliederung von Reformmaßnahmen verhindert oder gestoppt wurden und werden. Als klassisches Beispiel kann dafür der Gesetzbeschluß des Bundestages zur Einkommen-und Körperschaftssteuererklärung im Jahre 1967 angeführt werden, der vom Bundesrat abgelehnt wurde Aus vordergründigen fiskalischen Erwägungen lehnte die Mehrheit des Bundesrates das Gesetz über die statistische Erfassung der Vermögen ab, weil die Länder sich angeblich nicht in der Lage sahen, die 1, 04 Mill. DM für die von ihnen zu leistenden Erhebungen aufzubringen Damit wurde eine unabdingbare Voraussetzung für die Erarbeitung neuer politischer Konzeptionen für die Vermögensbildung verhindert. Mögen solche extremen Entscheidungen, die bestimmte soziale Schichten einseitig begünstigen, auch nicht allzu häufig vorkommen, so können sie doch als symptomatisch für einen großen Teil der Bundesratstätigkeit bezeichnet werden. Sie stabilisieren den Status quo des politischen und sozialen Systems der Bundesrepublik, erschweren oder verzögern zuweilen tiefgreifende und umfassende Reform-maßnahmen und wirken so als Hemmnis im stets notwendigen Prozeß der Veränderung und Verbesserung. Gleichwohl bedeutet das nicht, daß der Bundesrat der „große Verhinderer" im politischen System der Bundesrepublik ist. Die geschilderten Handlungsrichtungen haben durchaus auch positive Auswirkungen bezüglich der Funktionsfähigkeit des Systems, deren Wert nicht gering veranschlagt werden sollte. 3. 2. Politische Entscheidungen durch den Bundesrat Die bisherigen Ausführungen können den Eindruck entstehen lassen, daß der Bundesrat ein weitgehend entpolitisiertes Verfassungsorgan sei, dem eine politische Funktion im Sinne des Leitens, Ordnens und Gestaltens des politischen Systems nicht zukomme. Es soll daher gefragt werden, ob und inwieweit dieser Eindruck zutreffend ist. 3. 2. 1. Der politische Wille der Amtsträger Setzt man wiederum beim Selbstverständnis der Amtsinhaber an, dann kann man feststellen, daß sich diese als politische Amtsträger verstehen und auch vom Willen zur politischen Entscheidung im Bundesrat bestimmt sind und nicht nur und ausschließlich „sachliche Verwaltungsarbeit" dort erledigt sehen wollen. So ist Franz Heubl der Ansicht, der Bundesrat sei seinem Wesen nach eine politische Institution Hans Filbinger plädiert für den Bundesrat als ein „eigenständiges politisches Organ", das kein Vollzugsorgan der Bundestagsmehrheit sei, es dürfe und müsse politisch entscheiden Albert Osswald warnt vor einer politischen Abstinenz des Bundes-rates und betont die Notwendigkeit politischer Debatten; er beklagt, daß die gewissenhafte Prüfung der Regierungsvorlagen und Gesetzesbeschlüsse des Bundestages sowie die Einbringung des umfassenden Fachwissens der Länderbürokratie nicht ausgereicht hätten, dem Bundesrat die erforderliche politische Ausstrahlung zu verschaffen; „mit Recht bemüht sich der Bundesrat daher darum, seine politischen Kräfte als föderales Bundesorgan zu aktivieren" ; auch Helmut Kohl und Alfons Goppel betonen den politischen Charakter des Bundesrates und Koschnik stellt „die gesamtstaatliche Verpflichtung des Bundesrates“ heraus und warnt davor, ihn „zum Ort steriler Auseinandersetzungen" werden zu lassen
Diese und zahlreiche andere Aussagen von Bundesratsmitgliedern zur politischen Qualität ihres Verfassungsorgans widersprechen teilweise den oben wiedergegebenen Zitaten über die „bürokratische Funktion" des Bundes-rates, teilweise ergänzen sie diese, indem von einem „sowohl als auch" die Rede ist. Prüft man jedoch die Aussagen an politischen Aufgabestellungen, so stellt sich heraus, daß sie weitgehend verbaler Art sind und vor allem bezwecken, in konkreten Situationen der parteipolitischen Polarisierung eine theoretische Absicherung für bestimmte Verhaltensweisen zu geben. 3. 2. 2. Bundesrat und Bundesregierung Der Bundesrat wirkt an der politischen Führung des Bundes kaum mit. Zwar ist die Bundesregierung nach Art. 53 Satz 3 GG verpflichtet, den Bundesrat über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten und dieser Pflicht ohne ausdrückliche Aufforderung des Bundesrates nachzukommen, so daß dieser auf diese Weise die Möglichkeit hat, kontrollierend und mitbestimmend auf die Bundesregierung Einfluß zu nehmen zwar hat der Bundesrat das Zitierrecht gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung (Art. 53 Satz 1 und 2 GG) und kann an diese jederzeit Fragen stellen (§ 19 GeschOBRat) doch in der Verfassungspraxis sind diese Befugnisse irrele-vant und dienen nicht dazu, auf die Regierungsgeschäfte des Bundes Einfluß zu nehmen
Die Bundeskanzler nahmen und nehmen äußerst selten an den Plenarsitzungen des Bundesrates teil und begnügen sich dort mit Treuebekenntnissen zum Föderalismus und dem Ausdruck ihrer Hochachtung vor der Tätigkeit des Bundesrates; an den Ausschußsitzungen nehmen sie kaum teil. Bundesminister beteiligen sich an den Plenarsitzungen nur zu dem Zweck, ihre Vorlagen zu begründen und um Zustimmung zu werben. Sie kommen zwar gelegentlich in die Ausschußsitzungen, wenn politisch brisante Probleme akut sind oder wenn langfristige Reformvorhaben initiiert werden sollen und die Regierung an einem breiten Konsensus interessiert ist Eine Einwirkung auf Regierungskonzeptionen im Sinne einer relevanten Änderung oder Umorientierung findet nicht statt. Demzufolge spielt auch das Zitier-und Fragerecht des Bundesrates gegenüber der Bundesregierung keine Rolle. Wird es tatsächlich einmal wahrgenommen, dann aus rhetorischen und optischen Gründen, „weil das, was man fragt, man im Grunde schon weiß. Die Anfragen dienen weniger der Information des Fragestellers als zum Abdruck in der Presse und damit der politischen Optik und nicht der realen Information" — so Minister Franz Heubl
Die Bundesratsmitglieder, die der (den) Regierungspartei(en) des Bundes angehören, verfügen durch die Partei(en) und Fraktion(en) über alle erforderlichen Informationen und können über diese Kommunikationsstränge Einfluß auf die Regierungsentscheidungen nehmen Die der (den) Oppositionspartei(en) des Bundes angehörenden Bundesratsmitglieder erfahren in den Ausschüssen nichts, was sie nicht bereits über die Oppositionsfraktion(en) oder ihre Landesvertretungen wissen Die Gespräche in den Bundesratsausschüssen können Regierungskonzeptionen nur insoweit beeinflussen, als Bundesratsmitglieder ihre dezidierten Vorstellungen zu den Vorhaben der Bundesregierung darlegen und um Berücksichtigung ersuchen, weil sonst mit dem Veto der Bunderatsmehrheit gerechnet werden muß. 3. 2. 3. Politische Einflußnahme durch den Bundesrat Einflußnahme auf die Gestaltung der politischen Ordnung und ihre Teilbereiche könnte durch die Wahrnehmung der Befugnis zur Gesetzesinitiative geschehen. Es wurde oben schon auf die geringe Zahl von Gesetzesinitiativen des Bundesrates hingewiesen, von denen wiederum die wenigsten zu einem Gesetzesbeschluß des Bundestages führen und geltendes Recht werden Inhaltlich erschöpfen sich die Gesetzesinitiativen des Bundesrates weitgehend in Korrekturen geltender Gesetze oder Vereinheitlichkeitsbemühungen oder in der Durchsetzung regionaler Wünsche und Bedürfnisse Die Initiativen des Bundes-rates im Bereich der Bundesgesetzgebung dienen mehr der Herausstellung von Länder-oder Parteiinteressen, der Herausforderung der Bundesregierung oder des Bundestages, selbst initiativ zu werden, und weniger der gezielten Einflußnahme auf die Bundespolitik
Wenn aus dem Bundesrat politisch in die Bundespolitik eingegriffen wird, dann nur bezüglich der föderativen Verfassungsordnung oder divergierender parteipolitischer Zielrichtungen. Veränderungen der Gesetzgebungskompetenzen zugunsten des Bundes, Neuverteilung des Steueraufkommens und der Finanzlasten, Änderung der Aufgabenverteilung, Beeinträchtigung der Selbständigkeit der Länder durch Schaffung von Bund-Länder-Einrichtungen zur Erledigung staatlicher Aufgaben-—das sind die Gegenstände, durch die sich die Landesregierungen provoziert fühlen und durch die ihre politische Aktivität im Bundesrat motiviert wird. Änderungen des Grundgesetzes, die die genannten Themen zum Gegenstand haben, sind identisch mit dem politischen Engagement der Bundesratsmitglieder und ihrem Einfluß auf die Gestaltung des politischen Systems der Bundesrepublik Dabei spielten parteipolitische Unterschiede kaum jemals eine maßgebende Rolle. Bei der Verteidigung von Kompetenzen und bei der Wahrung von Chancen auf ein Mehr an Machtausübung waren sich die Mitglieder des Bundesrates meistens unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit einig. Das ist anders in Entscheidungen im Bereich der Finanzverfassung; hier entstehen Gruppierungen der finanzstarken und finanzschwachen Länder, aber auch weitgehend ohne Rücksicht auf parteipolitische Bindungen. Ausschlaggebend für das politische Verhalten und Handeln ist dann das Interesse des konkreten Landes 192a).
Politisches Engagement und politische Entscheidung im Bundesrat sind also in erster Linie dann anzutreffen, wenn die Interessen der Länder durch Entscheidungen im Bund tangiert werden. Daß solches politische Engagement nicht nur zu partikularistischen, länderegoistischen Entscheidungen des Bundes-rates führt, zeigt die Entwicklung der föderativen Verfassungsordnung der Bundesrepublik von 1950 bis 1971, die den Ländern sukzessive Kompetenzen und Finanzmittel zugunsten des Bundes wegnahm und den „unitarischen Bundesstaat" und „kooperativen Föderalismus" zur Folge hatte. Die Mitglieder des Bundesrates wirkten an dieser Strukturveränderung maßgebend mit, bestimmt von den zivilisatorischen Zwängen einerseits und andererseits von dem Bewußtsein, über den Bundesrat auch künftig Einfluß nehmen und mitentscheiden zu können.
Politisches Engagement und politische Entscheidungen im Bundesrat sind ferner bei politisch existenziellen Problemen festzustellen über deren Lösung divergierende parteipolitische Zielkonzeptionen bestehen. Derartige existentielle Probleme waren bei der grund-sätzlichen Gleichgestimmtheit der drei Bundestagsparteien lange Zeit relativ selten geworden. Gleichwohl gibt es in der Geschichte der Bundesrepublik eine Anzahl von politischen Grundsatzentscheidungen, die für die Struktur und Entwicklung des politischen Systems von großer Bedeutung waren und deren Brisanz zu heftigen Kontroversen im Bundesrat geführt hat. So z. B.der Deutschlandvertrag und der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft das Bundeswahlgesetz von 1953 die Montanmitbestimmung von 1952 der von der CDU/CSU vorgelegte Entwurf eines Ehescheidungsgesetzes. In jüngster Zeit entzündeten sich parteipolische Kontroversen am Städtebauförderungsgesetz und dem Entwurf des Hochschulrahmengesetzes des Bundes Polarisationen extremen Ausmaßes könnten im Bundesrat bezüglich außenpolitischer Entscheidungen der Bundesregierung entstehen, wenn etwa der Atomwaffensperrvertrag, der Gewaltverzichtsvertrag mit der Sowjetunion und der Vertrag mit Polen ratifiziert werden sollen, oder aber auch hinsichtlich überfälliger innerer Reformen wie Strafrechtsreform, Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung, Reform des Ehescheidungsrechts u. a. Ankündigungen von Oppositionspolitikern, die genannten Verträge am Veto des Bundesrates scheitern zu lassen 198a), führen zu der Frage, inwieweit sich die Bundestagsopposition des Bundesrates als Instrument bedienen kann, um die im Bundestag aufgrund ihrer Minorität vergeblich bekämpften Entscheidungen der Mehrheit wirkungsvoll zu verhindern. 3. 3. Der Bundesrat als Instrument der Opposition Das Problem ist seit der Regierungsübernahme durch die SPD/FDP-Koalition im Herbst 1969, die sich einer Stimmenmehrheit der von Oppositionspolitikern geführten Landesregierungen im Bundesrat gegenübersieht, aktuell geworden und hat im Jahre 1971 Wogen der Erregung und Empörung geschlagen. Politiker, Publizisten und Wissenschaftler diskutieren und streiten, ob es zulässig sei, daß der Bundesrat in ein „zweites politisches Schlachtfeld" verwandelt und dadurch die föderative Ordnung gefährdet werde Während Mitglieder der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen die Meinung vertreten, der Bundesrat dürfe nicht zum Instrument der Opposition gemacht werden, weil das mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sei und seine Funktionen verfälsche stehen die Parlamentsmitglieder der Oppositionspartei und die Mitglieder der CDU/CSU-geführten Landesregierungen auf dem Standpunkt, der Bundesrat sei zwar nicht grundsätzlich unter dem Aspekt oppositioneller Politik zu sehen, doch eine solche sei durch das Grundgesetz legitimiert, und es sei zulässig, die Mehrheit im Bundesrat gegen Bundesregierung und Bundestagsmehrheit wirksam werden zu lassen Auch die Publizistik ist in dieser Frage gespalten. Während die der Bundesregierung nahestehenden Presseorgane vom Mißbrauch des Bundesrates sprechen, erinnern die mit der Opposition sympathisierenden Zeitungen an die Rolle der SPD im Bundesrat zu Zeiten der CDU/CSU-geführten Bundesregierung und sprechen von neuen Chancen für die föderative Verfassungsordnung und von Mehrung der Demokratie
Das Thema ist und war verständlicherweise je nach Interessenlage kontrovers Zu fragen ist, ob das Grundgesetz eine Weiterführung der parlamentarischen Oppositionspolitik im Bundesrat zuläßt, ob der Strukturwandel der modernen Demokratie die Zurückdrängung des bundesstaatlichen zugunsten des parteistaatlichen Prinzips zur Folge hat, welche Partei-konstellationen in den Ländern bestehen müssen, um den Bundesrat in dem genannten Sinne verwenden zu können und wie das Problem politisch-theoretisch zu beurteilen ist. 3. 3. 1. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit Wenn nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit oppositioneller Politik im Bundesrat gefragt wird, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Begriff der Opposition und die Möglichkeiten ihres Tätigwerdens weder im Grundgesetz noch in den Geschäftsordnungen des Bundestags und des Bundesrats zu finden ist. Unsere Verfassung kennt keine institutionalisierte Opposition sie und die genannten Geschäftsordnungen sehen nur das Institut der Mehrheitsentscheidung sowie Minderheitsrechte und Befugnisse eines Verfassungsorgans gegenüber anderen Verfassungsorganen vor. Doch das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Grundsatzentscheidungen zur inhaltlichen Bestimmung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entschieden, daß das Recht auf verfassungsmäßige Ausübung einer Opposition zu den unantastbaren Bestandteilen der demokratischen Ordnung gehört Ausgehend vom Grundgesetz und der daraus resultierenden Geschäftsord-nung des Bundesrates kann festgestellt werden, daß dem Bundesrat eine Anzahl von Instituten und Hilfsmitteln gegenüber der Bundesregierung und dem Bundestag bzw.dessen Mehrheit zur Verfügung stehen, aus denen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Oppositionsfunktion des Bundesrates folgt. Denn dieser muß — wie oben dargestellt — nach der Verfassung dem Gesetzgebungsprozeß sowie dem Erlaß von Regierungsakten zur Wahrung der föderativen Ordnung oder zur Regelung der öffentlichen Ordnung im Falle des Notstandes mit der Mehrheit der Stimmen der Länder zustimmen. Kommt eine solche Mehrheit nicht zustande, so kann von Verfassungsrechts wegen kein rechtssetzender Akt entstehen — anders formuliert: die Verfassung sieht die Möglichkeit eines Vetos der Mehrheit im Bundesrat gegen alle in dessen Zuständigkeit fallenden Angelegenheiten vor. Wie die Negativmehrheiten im Bundesrat zustande kommen und von welchen Motivationen sie geleitet werden, ist verfassungsrechtlich irrelevant Werden Mehrheitsgruppierungen im Bundesrat mit dem Ziel genutzt, Entscheidungen von Bundesregierung und Regierungsfraktionen im Bundestag scheitern zu lassen, so ist das mit dem Grundgesetz vereinbar
Diese Vereinbarkeit erfährt verfassungsrechtlich noch dadurch eine Stützung, daß das Grundgesetz dem Bundesrat das Informations-, Zitier-und Fragerecht gegenüber der Bundesregierung einräumt. Die Anwendung dieser Befugnisse bedarf einer Mehrheitsentscheidung im Bundesrat. Wie diese Mehrheit zustande kommt, ob sie mit der Opposition des Bundestages korrespondiert und mit welchen Intentionen sie die erwähnten Instrumente benutzt, ist verfassungsrechtlich bedeutungslos. So kann gesagt werden, daß die Verwendung des Bundesrates als Instrument der Opposition verfassungsrechtlich zulässig ist 3. 3. 2. Überlagerung des Bundesstaatsprinzips durch das Parteienstaatsprinzip Opposition im Bundesrat wurde und wird auch in der Verfassungspraxis seit Gründung der Bundesrepublik realisiert. Denn diese ist nach dem Willen ihrer Verfassungsschöpfer nicht nur Bundes-, sondern auch Parteienstaat, in dem die Parteien eine Monopolstellung im politischen Prozeß einnehmen Mit der Entwicklung des Parteienstaates ging der Strukturwandel des parlamentarischen Regierungssystems parallel, der sich in der Auflösung des klassischen Dualismus „Regierung — Parlament" und der Herausbildung eines neuen Dualismus zwischen der Regierung und der (den) sie tragenden Mehrheitsfraktion(en) einerseits und der (den) Minderheits-und Oppositionsfraktionfen) andererseits manifestierte. Der Opposition wuchsen dadurch Aufgaben zu, die einstmals dem Parlament als Ganzes aufgegeben waren, so vor allem die parlamentarische Kontrolle und die Entwicklung von sachlichen und personellen Alternativen Doch bei einigermaßen stabilen Mehrheitsverhältnissen sind ihre Handlungsmöglichkeiten gering und es ist nur allzu verständlich, wenn die Parteien der Opposition sich um Instrumentarien bemühen, durch die ihre Wirkungsmöglichkeiten verbessert werden. Dazu bietet sich die föderative Organisationsform mit der Folge an, daß der parlamentarische Strukturwandel zur Überlagerung des Bundesstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 1 GG durch das Parteienstaatsprinzip des Art. 21 Abs. 1 GG geführt hat. Bundes-und Landespolitik werden von den politischen Parteien in der Bundesrepublik unter einer gesamtstaatlichen, einheitlichen Strategie gesehen und die Taktik wird entsprechend eingerichtet Die Existenz einer Institution wie des Bundes-rates intensiviert dieses Bemühen, da sie der Bundestagsopposition von den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten her eine Chance bietet, ihre Kontroll-und Alternativfunktion auf wirksamere Weise als im Bundestag wahrnehmen Deshalb die Versuche der Bundesparteien, ihre Parteiorganisationen in den Ländern auf eine Linie zu bringen, die Landtagswahlen unter bundespolitischen Pa-rolen zu führen und die Regierungsbildungen vor allem unter dem Aspekt der Zusammensetzung des Bundesrates durchzuführen 3. 3. 3. Voraussetzungen und Möglichkeiten oppositioneller Politik Bei dem Versuch, den Bundesrat als Akklamationsorgan für die Mehrheitsentscheidungen des Bundestages oder als Instrument der Opposition zu verwenden, können jedoch Schwierigkeiten entstehen. Ein solcher Einsatz könnte wegen der oben dargelegten einheitlichen Stimmabgabe nämlich nur dann wirkungsvoll realisiert werden, wenn die der Bundesopposition angehörenden Landesregierungen allein von der (den) Oppositionspartei(en) gebildet werden. Sobald eine Landesregierung von einer Koalition im Landesparlament getragen wird, von der ein Partner zur Regierungskoalition im Bund gehört, ist es problematisch und wirft zahlreiche interne Schwierigkeiten auf, wenn die Stimmen des Landes einheitlich gegen Vorlagen der Bundesregierung und Beschlüsse des Bundestages eingesetzt werden sollen. Denn der an der Bundesregierung beteiligte Koalitionspartner wird bei der Festlegung der Stimmführung im Bundesrat kaum zulassen, daß die Stimmen des Landes gegen die Bundestagsmehrheit abgegeben werden. Er wird bei wichtigen Bundesratsentscheidungen entweder auf Stimmenthaltung bestehen oder mit der Auflösung der Koalition drohen. Dies ist in Niedersachsen geschehen führte in Rheinland-Pfalz bis zu den Neuwahlen 1971 zu Spannungen und stellt die Koalition aus CDU und SPD in Baden-Württemberg vor ständig neue Zerreißproben Zumindest wird der Koalitionspartner, der auch in der Bundesverantwortung steht, einen Kompromiß durchzusetzen versuchen.
Die Fortsetzung der Opposition im Bundesrat setzt also Einparteienregierungen in soviel Ländern voraus, daß diese über die notwendige absolute Stimmenmehrheit im Bundesrat verfügen. Das ist bisher nicht der Fall Aber selbst wenn der bisherige Trend zum Zweiparteiensystem oder zu den Einparteienregierungen in den Ländern sich so wie 1970 und 1971 fortsetzen und es in absehbarer Zeit keine Koalitionsregierungen in den Ländern mehr geben sollte, würde das noch nicht bedeuten, daß sich zur Opposition gehörende Landesregierungen ohne weiteres als Instrument der Minderheitsfraktion des Bundestages verwenden lassen Landesinteressen, persönliche Interessen und Rivalitäten sowie das Unabhängigkeitsstreben der Landesparteiführer werden häufig eine Entscheidungsbildung zugunsten der Bundestagsopposition nicht zulassen
Seit Herbst 1969 haben die CDU/CSU-geführten Bundesländer ihre knappe Stimmenmehrheit im Bundesrat gegen die Bundestags-mehrheit aus SPD und FDP und die von ihr getragene Regierung nur sehr behutsam und nie voll wirksam eingesetzt. Lust am politischen Schaugeschäft und Drohung mit dem absoluten Veto zeichneten zwar die Bundesratsarbeit in den vergangenen zwei Jahren stärker als je zuvor aus doch am Bundesrat ist bisher noch kein Gesetzesvorhaben der Regierungskoalition wirklich gescheitert wenngleich gelegentlich die Regierungskonzeption durch Anrufung des Vermittlungsausschusses auf Beschluß der CDU/CSU-Bundesratsmehrheit geändert werden mußte und zeitliche Verzögerungen eintraten Die Bundesratsmitglieder der Oppositionspartei sind fast durchweg der Meinung, daß der Bundesrat primär den Interessen der Länder und der bundesstaatlichen Ordnung, damit aber dem Gesamten zu dienen habe und nicht als Oppositionsinstrument mißbraucht werden solle Gleichwohl vergessen sie nicht, darauf hinzuweisen, daß auch im Bundesrat die divergierenden und konträren politischen Haltungen und Ansichten seiner Mitarbeiter diskutiert werden sollen und daß bei existentiellen Entscheidungen sie sehr wohl ihre Mehrheit gezielt als Instrument oppositioneller Politik einzusetzen gewillt sind
Der Bundesrat kann also als Instrument der Opposition verwendet werden, wenn es um grundlegende Entscheidungen für das Gesamtsystem geht; er kann aber auch mißbraucht werden, wenn in ihm aus einer Obstruktionshaltung heraus Opposition um der Opposition willen praktiziert wird. Dies würde den Primärzwecken des Bundesrates im föderativen System zuwiderlaufen, das Bundesratsprinzip allzu leicht diskreditieren und unter Umständen einen Rückfall in die Epoche der innerstaatlichen Freund-Feind-Gruppierung mit sich bringen Die Stimmenmehrheit der Opposition im Bundesrat klug einsetzen, bedeutet nur bei essentiellen Entscheidungen davon Gebrauch machen, was sowohl der bundesstaatlichen als auch der demokratischen Komponente unseres politischen Systems nur förderlich sein dürfte.
4. Reformprobleme des Bundesrates
Abbildung 5
Abbildung 5
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Wie oben schon angeführt, ist der Bundesrat seit der 6. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wegen der divergierenden Mehrheitskonstellationen in diesen beiden Verfassungsorganen mehr und mehr in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt und findet immer stärkere Beachtung in der Publizistik Doch über den aktuellen politischen Anlaß hinaus ist der Bundesrat bei Politikern und in der Wissenschaft in letzter Zeit zunehmend Gegenstand kritischer Reflexion geworden. Besonders im Kontext mit dem Struktur-wandel der föderativen Ordnung in der Bundesrepublik und den daraus resultierenden Reformproblemen werden Überlegungen über Erfordernisse und Möglichkeiten einer Reform des Bundesrates erwogen. Sie reichen von organisatorischen und arbeitstechnischen Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern bis zu einschneidenden Veränderungen bezüglich der Zusammensetzung und der Strukturierung des Länderorgans. Darüber hinaus haben die neuerdings wieder intensiver ge-führte öffentliche Diskussion über die Neu-gliederung des Bundesgebietes sowie die Konstitutionierung einer „Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes beim Bundesminister des Innern" zu lebhaften Reformdebatten über die Zusammensetzung des Bundesrates und seine Stellung im politischen System geführt.
Die Reformprobleme des Bundesrates, ihre Erörterungen im politischen und wissenschaftlichen Bereich und die vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten sollen im folgenden behandelt werden. Für die analytische Darstellung werden als wissenschaftliches Raster die Kriterien der Informationsleistung, der Transparenz und Effizienz, der Herrschaftsbeschränkung und Herrschaftskontrolle sowie der demokratischen Partizipation verwendet. Diese Kriterien, die zu einander teilweise in einem antinomischen Verhältnis stehen, sind verfassungsrechtlich in die „Unantastbarkeitsbestimmungen" des Grundgesetzes eingebunden. Das heißt, daß alle Reformbemühungen für den Bundesrat sich an Art. 79 Abs. 3 GG zu orientieren haben, daß der Bundesrat als solcher durch die Existenz von Ländern Bestand haben muß, daß die Länder auch über Gesetzgebungskompetenzen verfügen und am Gesetzgebungsprozeß des Bundes beteiligt sein müssen.4. 1. Organisatorische und arbeitstechnische Reformen im Bundesrat Die Darstellung der Zusammensetzung, des Geschäftsganges und der Entscheidungsprozesse des Bundesrates haben eine Reihe von Mängeln erkennen lassen, die gelegentlich Dysfunktionalitäten verschiedenen Ausmaßes zur Folge haben. Solche künftig zu minimalisieren oder gar zu verhindern, ist der Zweck einer Anzahl organisatorischer und arbeitstechnischer Reformvorschläge. Sie umfassen die Verlängerung der Beratungsfristen, Wegfall der Vorbesprechung, die Durchführung von öffentlichen Anhörungen, die stärkere Mitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen, Lockerung der einheitlichen Stimmabgabe sowie die Besetzung des Präsidentenamtes. 4. 1. 1. Verlängerung der Beratungsfristen Die Entscheidungen des Bundesrates müssen fast immer unter — meist erheblichem — Zeitdruck getroffen werden. Denn der Verfassungsgeber hatte, um das Gesetzgebungsverfahren vor Stagnation durch Verzögerung oder gar Verschleppung im Bundesrat zu bewahren, für die Wahrnehmung der gesetzgeberischen Funktion des Bundesrates Fristen gesetzt Diese erschwerten die Tätigkeit des Bundesrates von Anfang an erheblich und zwangen die Vertreter der Länder, sich um Instrumentarien und Methoden zu bemühen, um durch sie möglichst vor Beginn des Fristenlaufes Informationen über Regierungsvorlagen und Gesetzesbeschlüsse erlangen können Die knappen Beratungsfristen verhinderten nicht selten hinreichende Information, Entwicklung von Alternativvorschlägen oder Durchschaubarkeit der Entscheidungsfolgen. Deshalb hatte der Bundesrat jahrelang für Fristenverlängerungen plädiert und lange Zeit vergeblich dafür die Initiative ergriffen. Durch eine Grundgesetzänderung wurden im Jahr 1968 die Fristen verlängert, und zwar für den „ersten Durchgang" von drei auf sechs Wochen, für die Anrufung des Vermittlungsausschusses von zwei auf drei Wochen, für die Einlegung des Einspruchs von einer auf zwei Wochen
Nach dieser Änderung der Beratungsfristen schien es zunächst, daß die überwiegende Mehrzahl der Vorlagen ohne allzu große Zeitnot im Bundesrat beraten werden können. Doch seit einiger Zeit hat sich der Termin-druck im Sekretariat, in den Ausschüssen und im Plenum des Bundesrates sowie bei den Landesvertretungen und in den Landeskabinetten bezüglich der Bundesratsaufgaben wieder erheblich verstärkt. Die Beratungsgegenstände der Plenarsitzungen nehmen ständig zu immer mehr Vorlagen der Bundesregierung werden als besonders eilbedürftig erklärt, so daß die Frist im ersten Durchgang de facto wieder auf drei Wochen verkürzt wird, nach deren Ablauf die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf dem Bundestag vorlegen kann, wenn auch der Bundesrat bis zu sechs Wochen Zeit hat, seine Stellungnahme abzugeben bzw, nachzureichen Zeitverluste beim Gesetzgebungsverfahren durch überaus langwierige Beratungen im Bundestag sollen im Bundesrat wieder aufgeholt werden. Soll die Beratung im Bundesrat sorgfältiger im sachlichen und intensiver im politischen Bereich geführt werden, so ist es notwendig, die in den Art. 76 und 77 GG normierten Fristen zu verlängern. Für den „ersten Durchgang" sollte die Erklärung der Eilbedürftigkeit nicht mehr einseitig von der Bundesregierung dekretiert werden dürfen; gemäß dem der gewaltengeteilten Demokratie immanenten Kooperationsprinzip der Verfassungsorgane sollte die Eilbedürftigkeit nur im Einvernehmen mit dem Bundesrat bzw.den für diesen handelnden Bundesratspräsi-denten erklärt werden können Wenn Regierungsvorlagen auf Änderungen des Grundgesetzes zielen, sollte die Beratungsfrist im Bundesrat auf mindestens drei Monate ausgedehnt werden; denn obgleich Verfassungsänderungen in der Bundesrepublik in stetig kürzer werdenden Abständen durchgeführt werden sollte man sie künftig ausführlicher und mit mehr Publizität behandeln. Das könnte durch eine längere Beratungsfrist im Bundesrat geschehen, wodurch auch die Möglichkeit eingeräumt würde, daß die Landesregierungen die geplanten Verfassungsänderungen den Landesparlamenten wenigstens zur Diskussion und Meinungsbildung unterbreiten könnten Die Frist für die Anrufung des Vermittlungsausschusses sollte auf sechs Wochen, die für die Einlegung des Einspruchs auf vier Wochen ausgedehnt werden. Dadurch könnten terminliche Pressionen, Hast und Arbeitsbelastung zugunsten einer abgewogeneren und transparenteren Beratung vermieden werden. 4. 1. 2. Wegfall der „Vorbesprechung“
Die Transparenz der Entscheidungsfällung im Bundesrat könnte auch dadurch verbessert werden, daß auf eine Einrichtung verzichtet wird, die extra legem besteht: die Vorbesprechung vor der Plenarsitzung Während die Plenarsitzung nach Art. 52 Abs. 3 und 4 GG öffentlich ist, ist bei der Vorbesprechung die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die Folge ist, daß vor allem bei den Publizisten, die über den Bundesrat für Presse, Rundfunk und Fernsehen berichten, der Eindruck entstanden ist, in der Vorbesprechung würden die eigentlichen politischen Entscheidungen gefällt und die anschließende Plenarsitzung sei nur eine Stätte der staatsnotariellen Zelebration für an anderer Stelle gefällte Entscheidungen.
Verständlich wird die Vorbesprechung nur aus der Konstruktion des Bundesrates als einem aus Mitgliedern von Landesregierungen gebildeten Bundesorgan. Wie oben ausführlich dargestellt werden dessen Amtsträger in der Regel nur ad hoc in den Plenarsitzungen tätig; ihre Haupttätigkeit liegt in ihren Ressorts in den Ländern, so daß in der Bundesratspraxis de facto ständige Mitglieder, die sich überwiegend in der Bundeshauptstadt aufhalten, fehlen. Demzufolge muß der Bundesrat auch einer Institution entbehren, die für die Praxis des Bundestages unentbehrlich geworden ist — er verfügt nicht über die Einrichtung eines „Ältestenrates" Dessen Funktionen für den Geschäftsgang des Bundestages müssen jedoch auch im Bundesrat in irgendeiner Weise wahrgenommen werden. Dies kann geschehen durch den „Ständigen Beirat" nach § 9 GeschOBRat bzw. durch das aus diesem hervorgegangene „Kränzchen" vor allem aber mittels der Vorbesprechung. Sie ist eine Art „interfraktionelle Zusammenkunft“, bei der alle Akteure der Plenarsitzung noch einmal kurz mit dem Geschäftsgang vertraut und auf besondere Probleme aufmerksam gemacht werden. Letzte Abklärungen und Absprachen können getroffen werden; der möglichst reibungslose Ablauf wird vorbereitet. Doch diese Absicht erzeugt in der Öffentlichkeit Mißtrauen und führt zu weitgehendem Desinteresse an den Plenarsitzungen des Bundesrates. Die Abschaffung der Vorbesprechung könnte solchen negativen Erscheinungen entgegenwirken. Soweit die Wahrnehmungen von Funktionen eines Ältestenrates für den Geschäftsgang im Bundesrat unerläßlich sind, sollten sie vom „Ständigen Beirat“ im Sinne des „Kränzchens" ausgeübt werden; für die organisatorisch-technische Vorbereitung könnte der „De-facto-Beirat" herangezogen werden. Auf diese Weise ließe es sich auch ermöglichen, daß die Plenarsitzungen ihres Zelebrationscharakters etwas stärker entkleidet und die politisch-parlamentarischen Praktiken im Bundesrat intensiviert würden. 4. 1. 3. Die Durchführung öffentlicher Anhörungen Die Ausschüsse des Bundesrates können nach § 40 Abs. 3 GeschOBRat „Sachverständige oder andere Personen, deren Teilnahme sie für erforderlich halten, anhören". Von dieser, den Bundestagsausschüssen nachgebildeten Möglichkeit hat der Bundesrat bisher nur sehr vereinzelt Gebrauch gemacht. Die Gründe dafür dürften sein, daß den „Öffentlichen Anhörungen" (hearings) im deutschen Parlamentarismus lange Zeit überhaupt mit Skepsis, ja nicht selten ablehnend begegnet wurde daß diese Art von Ausschußtätigkeit den allmählich entstandenen Usancen widerspricht und daß über die Zwecke von hearings bei den Amtsträgern des Bundesrates nur vage Vorstellungen vorhanden sind. Doch die Funktion der Bundesratsausschüsse könnte neue Dimensionen gewinnen, wenn man sich im Bundesrat entschließen würde, von den Möglichkeiten des § 40 Abs. 3 GeschOBRat stärker Gebrauch zu machen.
öffentliche Anhörungen in den Ausschüssen des Bundesrates — seien es solche von Sachverständigen oder solche von Vertretern organisierter oder nicht organisierter Interessen — könnten den Stellenwert des Bundesrates im Rechtssetzungsprozeß generell verbessern. Die Introvertiertheit und die bürokratische Orientierung der Ausschußberatung könnten vermindert werden und das öffentliche Interesse würde sich auch, was bisher kaum der Fall war, den Bundesratsausschuüssen zuwenden. Eine fruchtbare Wettbewerbssituation zwischen den Ausschüssen des Bundesrates und des Bundestages könnte die Folge sein — Wettbewerb jedoch nicht in dem Sinne, daß die Ausschüsse beider Organe darin wetteifern, den zahlreichen, oft divergierenden, ja konträren Interessentenwünschen ein möglichst wirksames öffentliches Forum zu bieten, sondern vielmehr in dem Sinne, daß die verschiedenen Aspekte der zu lösenden Probleme tiefer und umfassender öffentlich erörtert werden, Bei den hearings im Bundesrat sollten in erster Linie die föderativen Aspekte besprochen werden, wie zum Beispiel notwendige Einheitlichkeit und wünschenswerte Spezifizierung, demokratisch-politische Konzeption und praktische Konkretisierung, Konkurrenz der Interessen und Setzung von Prioritäten bei ihrer Befriedigung.
In einer spezifischen Weise könnte das Moment der Kontrolle intensiviert werden, in dem man einmal die Interessentenwünsche klarer und eindeutiger und damit durchschaubarer artikulieren müßte und zum anderen die Beratungsintentionen der Ausschußmitglieder erkennbarer hervortreten könnten. Darüber hinaus könnte die Anhörung von Sachverständigen — die jedoch keinesfalls mit denen identisch sein sollten, die von Bundestagsausschüssen angehört werden oder wurden — die materiale Informationsbasis verbreitern und die bürokratischen Beratungsstrukturen auflockern. Eine Intensivierung der hearings in den Ausschüssen des Bundesrates könnte der Transparenz der Entscheidungsbildung dienlich sein und ein Mehr an demokratischer Partizipation ermöglichen. 4. 1. 4. Verbesserung der Mitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen Wie die Tabelle über die „Arbeit des Bundes-rates im Spiegel der Zahlen" zeigt, liegt quantitativ das Schwergewicht der Tätigkeit des Bundesrates in der Mitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen Für den Rechtserzeugungsprozeß in der parlamentarischen Demokratie ist diese Funktion des Bundes-rates deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie die alleinige Form parlamentarischer Mitwirkung am Erlaß von Rechtsnormen dieser Qualität darstellt. Dem Bundestag kommt nach Art. 80 Abs. 1 GG nur zu, der Bundesregierung, einem Bundesminister oder den Landes-regierungen die Ermächtigung zu geben, Rechtsverordnungen zu erlassen; dabei muß er Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmen Hierfür hat zuvor das Bundesverfassungsgericht verhältnismä-Big enge Grenzen gezogen jedoch ist festzustellen, daß die Rechtssetzung mittels Rechtsverordnungen im Bund weitaus umfassender ist als die mittels Gesetzen Es ist deshalb verständlich, daß der Beteiligung des Bundesrates an diesem Rechtssetzungsprozeß Reformüberlegungen gewidmet sind.
Alfred Kubel, der die oben beschriebene Tatsache beklagt, daß das Plenum des Bundes-rates in erster Linie eine vorprogrammierte Abstimmungsmaschinerie, aber kein parlamentarisch arbeitendes Organ sei, möchte das Plenum von weniger wichtigen Beratungsgegenständen entlasten und dessen Tätigkeit vor allem auf die Behandlung von Zustimmungsgesetzen konzentrieren Um das zu ermöglichen, schlägt er vor, alle Rechtsverordnungen sollten nur noch von den Ausschüssen des Bundesrates beraten werden und mit deren Zustimmung in Kraft treten. Das Plenum des Bundesrates sollte sich mit Rechtsverordnungen überhaupt nicht mehr befassen, sondern seine Zuständigkeit an die Auschüsse übertragen. So verlockend dieser Vorschlag unter Praktikabilitätsaspekten aussehen mag, aus verfassungsrechtlichen und demokratisch-rechtsstaatlichen Gründen kann er nicht akzeptiert werden. Die derzeitige verfassungsrechtliche Regelung läßt nicht zu, daß an Stelle des Plenums des Bundesrates einer seiner Ausschüsse entscheidet; der Vorschlag Kubels zu -bedürfte sei ner Realisierung einer Änderung des Grundgesetzes. Das Ausmaß von rechtsnormativen Regelungen durch Rechtsverordnungen und deren Auswirkung in allen Lebensbereichen der Bürger erfordern eine möglichst umfassende, vielfältige und öffentliche Behandlung der Rechtsverordnungen. Das aber würde durch bloße Ausschußentscheidung verhindert. Wenn auch in vielen Fällen die der Plenarsitzung zugrunde liegende Ausschußempfehlung auf den Plenarbeschluß antizipierend wirkt — wie oben gezeigt wurde —, so bietet doch die Plenumsentscheidung ein Mehr an Möglichkeiten von Diskussion, Einflußnahme und Transparenz.
Franz Heubl regt an, dem Bundesrat ein Initiativrecht für Rechtsverordnungen einzuräumen Damit würde seiner Ansicht nach die ungewöhnliche Situation ausgeräumt, daß der Bundesrat Vorarbeiten für eine Verordnung leistet, die von der Bundesregierung nur erlassen werden kann, wenn der Bundesrat zustimmt. Der Bundesrat könnte dadurch als Initiativorgan wirksamer werden; die auf seine Initiative erlassenen Rechtsverordnungen würden gründlicher behandelt; es könnte eine neue Arbeitsteilung zwischen Bundesregierung und Bundesrat geschaffen werden, die letztlich der Kooperation im Bundesstaat zugute käme. 4. 1. 5. Lockerung der starren Stimmführung Wie oben dargestellt fallen in der Regel die Entscheidungen des Bundesratsplenums schon Tage vorher in den Ministerratssitzungen der Landeskabinette. Nur gelegentlich wird die Abstimmungshaltung erst kurz vor der Plenarsitzung festgelegt; in wenigen Ausnahmefällen bleibt das Abstimmungsergebnis bis zur tatsächlichen Entscheidung im Plenum offen. Gegen diese Arbeitspraxis im Bundesrat „mit gebundenen Händen“ hat sich jüngst Alfred Kubel gewandt: „Der Bundesrat ist kein echtes Parlament, wenn seine Mitglieder am Freitag dort sitzen und schwungvolle Erklärungen abgeben, wohl wissend, daß die Entscheidungen längst am Dienstag vorher in allen Kabinetten gefällt worden sind." Kubel plädiert deshalb für eine soweit wie möglich gehende Lockerung der starren Situation der Stimmführung in dem Sinne, daß die Stimmführer die Pro-und Contra-Argumente noch diskutieren können und sich dann erst endgültig entscheiden.
Die Bundesratsentscheidung außerhalb des Bundesrates ist sicher eines der am häufigsten kritisierten Phänomene in der Funktionsweise dieser Institution. Sie ist einmal durch das verfassungsrechtliche Gebot der einheitlichen Stimmabgabe der Länder und die grundsätzlichen Regelungen über die Mitgliedschaft verursacht (Art. 51 GG). Zum anderen resultiert sie aus den verschiedenen Interessenlagen, seien sie parteipolitisch oder landespolitisch motiviert, die im Bundesrat zusammenkommen. Ein auf die Realisierung der jeweiligen Interessen gerichtetes Handeln und Verhalten ist in der Regel politisch legitim. Kubels Vorschläge sind am Modell eines Parlamentarismus orientiert, den es nie gegeben hat. 4. 1. 6. Die Besetzung des Präsidentenamtes Die Probleme, die sich aus der Besetzung des Amtes des Bundesratspräsidenten mit einem Ministerpräsidenten bzw. Bürgermeister eines Landes jeweils für ein Jahr in genau festgelegter Abfolge ergeben, wurden oben dargestellt Sie haben zu Überlegungen geführt, ob die Amtszeit des Bundesratspräsidenten nicht verlängert werden könnte und ob nicht statt des Regierungschefs jeweils ein anderes Mitglied einer Landesregierung das Amt des Präsidenten des Bundesrates ausüben sollte Die ungeheure Arbeitsbelastung des Regierungschefs eines Bundeslandes verbietet eigentlich die Verpflichtungen und zusätzliche Belastung mit dem Präsidentenamt in der Bundeshauptstadt; sie läßt auch nur eine sporadische Anwesenheit dort zu. Die Einflußnahme der Beamten des Sekretariats des Bundesrates auf den Geschäftsgang ist unverhältnismäßig stark; die Stellung der Bundes-ratspräsidenten ist in den vergangenen Jahren sehr viel schwächer gewesen als die der Bundestagspräsidenten.
Die durch das Königsteiner Abkommen von 1950 bestimmte automatische Nominierung des bzw.des Ministerpräsidenten Bürgermeisters nächst kleineren Landes als den Nachfolger für den amtierenden Bundesratspräsidenten sollte abgeschafft werden. Statt dessen sollte anderes Regierungsmitglied eines -Bundes ein landes zum Präsidenten gewählt werden. Hier böten sich vor allem die Landesbevollmächtigten — soweit sie aufgrund ihres politischen und rechtlichen Status Mitglieder des Bundes-rates sind — als geeignete Kandidaten an Parteipolitische Erfahrung, Regierungspraxis, intime Kenntnisse der Faktoren und Verfahren der Bundesratstätigkeit, Repräsentationserfahrung würden Personen aus diesem Kreise von Amtsträgern als für die Position des Bundes-ratspräsidenten besonders geeignet erscheinen lassen. Mit einer solchen Änderung der Verfassungspraxis sollte auch die Einführung einer längeren Amtszeit verbunden sein, denn kein Führungsorgan in Politik und Wirtschaft kann sich den Luxus des ständigen Wechsels seiner Leitung erlauben Die Verlängerung der Amtszeit könnte entweder durch eine Vereinbarung analog dem Königsteiner Abkommen über eine mindestens zweimalige Wiederwahl oder durch Änderung des Art. 52 Abs. 1 GG geschehen
Eine solche Reform, die gegebenenfalls an der Eitelkeit und/oder am politischen Ehrgeiz der Regierungschefs der Länder scheitern könnte, ist also ohne besondere institutioneile Änderungen durchführbar. Durch sie könnte das öffentliche Ansehen des Bundesrates zunehmen, der Bundesrat würde im Regierungssystem wirkungsvoller gegenüber anderen Verfassungsorganen vertreten werden können, sein politisches und föderatives Selbstverständnis könnte intensiviert werden, das Element der Beständigkeit würde gefördert. 4. 2. Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen und der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates Die Funktionsweise des Bundesrates im politischen System der Bundesrepublik ist in nicht geringem Maße von den ihm zustehenden Kompetenzen im Gesetzgebungsverfahren des Bundes abhängig. Dieses wiederum wird materialiter von den Zuständigkeiten bestimmt, über die der Bund und die Länder im Bereich der Gesetzgebung verfügen. Demzufolge konzentrieren sich nicht wenige Reformvorschläge auf eine Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern und auf eine Neuordnung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates am Gesetzgebungsverfahren. 4. 2. 1. Neuverteilung der zustimmungsbedürftigen Gesetze Als der Bundesrat nach seiner Konstituierung seine Mitwirkung am Gesetzgebungsprozeß aufnahm, wurden etwa 10% aller vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesbeschlüsse für zustimmungsbedürftig angesehen. Bis zum Jahre 1971 stieg die Zahl der als zustimmungsbedürftig behandelten Gesetzesentwürfe und Gesetzesbeschlüsse auf ca. 55% bis 60 % Diese bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht vorhersehbare Ausdehnung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates ist vor allem im Art. 84 Abs. 1 GG begründet. Da nämlich sehr viele Bundesgesetze von den Ländern als eigene Angelegenheiten durchgeführt werden, enthalten sie auch Vorschriften, die das Verwaltungsverfahren in den Ländern regeln. Der Bundesrat hat unter Billigung des Bundesverfassungsgerichts die Auffassung durchgesetzt, daß dort, wo ein Gesetz in Teilen zustimmungsbedürftig sei, der ganze Inhalt des Gesetzes der Zustimmung bedürfe und daß dies auch für die Verlängerung und Änderung von Zustimmungsgesetzen in an sich nicht zustimmungsbedürftigen Teilen gelte Zwar entstehen über die letztere Interpretation des Bundesrates immer wieder Meinungsverschiedenheiten mit der Bundesregierung, doch wurde das Bundesverfassungsgericht zur Klärung dieser Streitfrage nicht bemüht, weil den kom der Bundesrat sachlich mit in Frage -menden Gesetzen einverstanden war und zugestimmt hat Gleichwohl besteht keine rechtsstaatlichen Erfordernissen gemäße Klarheit und Eindeutigkeit bezüglich der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen im Bundesrat. Das Ziel verschiedener Reformvorschläge ist es, diese Eindeutigkeit herzustellen.
So fordert Alfred Kubel eine Liste der zustimmungsbedürftigen Gesetze zu erstellen und diese in das Grundgesetz aufzunehmen
Norbert Prill und Jochen van Aerssen regen an, durch das Grundgesetz einen ausschließlichen Bestand an Gesetzgebungskompetenzen der Länder zu katalogisieren, im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung dem Bund aber eine Generalklausel einzuräumen. Der Bund hätte jedoch jeweils ausführlich zu begründen, warum er die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Einzelfall beansprucht Einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet Carl-Otto Lenz. Danach soll im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung der enumerative Katalog durch eine Generalklausel ersetzt werden. Der Bund soll die Gesetzgebungskompetenz dann in Anspruch nehmen können, wenn seine gesetzgebenden Körperschaften die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung auf einem bestimmten Gebiet bejahen Sowohl nach dem Vorschlag von Prill/van Aerssen als auch nach dem von Lenz sollten alle diesbezüglichen Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Der Vorschlag von Kubel dürfte aufgrund der reichen Erfahrung mit zustimmungsbedürftigen Gesetzen durchaus realisierbar und praktikabel sein. Seine Verwirklichung bei einer größeren Verfassungsreform könnte Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten mindern und die Rechtssicherheit fördern. Beim Vorschlag von Lenz ist zu bedenken, daß die Länder im Bundesrat allzu leicht in die Rolle des Neinsagers gedrängt werden könnten. Sie könnten rasch und häufig dazu neigen, auch als notwendig erkannte bundesgesetzliche Regelungen zu blockieren, um ihre Gesetzgebungskompetenz nicht einzuengen. Diese Gefahr ist zwar auch bei dem Vorschlag von Prill und von Aerssen nicht auszuschließen, die jedoch meinen, durch das Wissen um einen gesicherten Bestand eigener Gesetzgebungskompetenzen Land würde die Blockierungsgefahr erheblich vermindert. Wie drohend diese Gefahr jeweils auch gesehen werden mag, sie ist ein reales Moment bei einem konsequenten Reformvorschlag, der auch in die politische Diskussion Eingang gefunden hat. 4. 2. 2. Ausdehnung der Zustimmungsbedüritigkeit auf alle Bundesgesetze Die eben zitierten Autoren Lenz, Prill und van Aerssen lassen bei ihren Vorschlägen zur Reform des Bundesrates und zur Fortenwicklung des föderativen Systems schon erkennen, daß es bei der Realisierung ihrer Überlegungen nur konsquent wäre, wenn dann alle Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürften. Franz Heubl hat solche Überlegungen als eigenen Reformbeitrag in die öffentliche Debatte gebracht: „Um den bisher erlittenen Kompetenzverlust wenigstens wettzumachen, sollten alle Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen." Bereiche der ausschließlichen Bundeskompetenz könnten gege-benenfalls davon ausgenommen werden Auf diese Weise, so meint Heubl, würde nicht nur der leidige Streit um die Zustimmungsbedürftigkeit im Einzelfall beseitigt, sondern vor allem die Einflußmöglichkeit der Landesregierungen auf die Willensbildung des Bundes über den Bundesrat erweitert. Der Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund befürwortet diesen Reformvorschlag, macht aber gleichzeitig auf die beträchtlichen politischen Auswirkungen sowie auf die — aus den bisherigen Erfahrungen mit den Reaktionen auf die Erweiterungstendenzen des Bundesrates — zu erwartenden Widerstände von Bundesregierung und Bundestag aufmerksam
Solche Widerstände würden in der Tat beträchtliche, wenn nicht gar unüberwindbare Ausmaße erreichen; denn bei Realisierung dieses Vorschlags würde der Bundesrat zur echten Zweiten Kammer, und zwar in dem Sinn, daß Bundesgesetze nur durch übereinstimmende Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat zustande kämen. Der Bundesrat würde bei Verweigerung der Zustimmung über ein absolutes Veto verfügen; seine politische Macht könnte sich dadurch nicht unbeträchtlich ausweiten; die Landesregierungen würden zu einem noch wirksameren Faktor der Bundespolitik; das Kontroll-und Balancierungssystem würde feinmaschiger. Die aus einer solchen Neuregelung sich ergebende Machtstruktur — die im Parlamentarischen Rat zwar diskutiert, schließlich aber verworfen wurde — hätte zwar einerseits eine stärkere Partizipation der Bundesländer bzw. ihrer Regierungen am Entscheidungsprozeß des Bundes zur Folge — mit besonderen Auswirkungen auf die Außen-und Wirtschaftspolitik —, andererseits würde wahrscheinlich die Gefahr der Blockierung des Gesetzgebungsprozesses noch größer als in dem oben behandelten Vorschlag und die Landtagswahlen würden möglicherweise nur noch ausschließlich unter bundespolitischen Aspekten gesehen und zu reinen Bundesratswahlen umfunktioniert werden. Gleichwohl sollte der Vorschlag ausgiebig diskutiert werden, denn aus der Tatsache, daß so gut wie alle Bundesgesetze Länderinteressen berühren und die Politik und Verwaltung der Länder zumindest indirekt tangieren, ließe sich diese Konsequenz aus dem Strukturwandel des Föderalismus in der Bundesrepublik rechtfertigen. Ob dann auch Konsequenzen hinsichtlich der Zusammensetzung des Bundesrates oder der Mitwirkung der Landesparlamente bei der Bestellung der Bundesratsmitglieder oder sogar der Beteiligung von Landesparlamentariern am Gesetzgebungsverfahren des Bundes gezogen werden müssen, sollte bei der Diskussion dieses Reformvorschlages berücksichtigt werden. 4. 2. 3. Konzentration der Gesetzgebung beim Bund Die angeführten Vorschläge zur Bereinigung des Wirrwarrs in der Kompetenzverteilung und bei den zustimmungsbedürftigen Gesetzen berücksichtigen m. E. zu wenig die Tatsache, daß durch die fortwährende Übertragung von Landeskompetenzen auf den Bund durch die Ausweitung der Rahmengesetzgebung oder durch Verlagerung von Gesetzgebungsbereichen von dieser auf die konkurrierende Gesetzgebung den Ländern kaum mehr originäre Gesetzgebungskompetenzen geblieben sind.
Zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder gehören nur noch kulturelle Angelegenheiten, das Kommunalrecht sowie das Polizeirecht Die Kompetenz für den Wasserhaushalt, die Luftreinhaltung, die Lärmbekämpfung, den Naturschutz und die Landschaftspflege sollen nach den vorliegenden Gesetzentwürfen zur Änderung des Grundgesetzes demnächst als konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen dem Bund übertragen werden Für den Hochschulbereich hat der Bund inzwischen nach Art. 75 Abs. 1 Ziff. 1 a GG die Rahmengesetzkompetenz zur Regelung der allgemeinen Grundsätze erhalten und bereitet derzeit ein Hochschulrahmengesetz vor Mit der Übertragung des Besoldungsund Versorgungsrechts der Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Länderbereich auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes wurde den Landtagen ein Kernbereich genommen und dem Bund erhebliche Einflußmöglichkeiten auf die Personalpolitik der Länder eingeräumt Darüber hinaus wird der Ruf nach Vereinheitlichung stärker denn je Diese Entwicklung sollte bei Reformüberlegungen für den Bundesrat — die immer auch Reformüberlegungen für die bundesstaatliche Ordnung sein müssen — berücksichtigt werden und entsprechende Aktivitäten — zumindest theoretischer Art — initiieren. Deshalb wird folgender Vorschlag als große Reformlösung zur Diskussion gestellt:
Alle Bereiche, zu deren Regelung Rechtsnormen von der Qualität von Gesetzen erforderlich sind, fallen in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Länder haben keine ausschließliche und alleinige Gesetzgebungskompetenz mehr; für den Erlaß von originären Gesetzen sind sie nicht mehr zuständig. Der Bund hat nur noch zwei Typen von Gesetzgebungszuständigkeiten: a) die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit und b) die Zuständigkeit für den Erlaß von Rahmengesetzen. Der Typus der konkurrierenden Zuständigkeit fällt weg. Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit umfaßt die bisherigen Bereiche sowie Materien, die zur bisherigen konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit gehörten. Zur Rahmenkompetenz sollten Materien aus der bisherigen Rahmengesetzgebung gehören, ferner sollte sie die Materien umfassen, die bis jetzt zur ausschließlichen Kompetenz der Landesparlamente gehörten. Alle Bundesgesetze sollten der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, so daß im Bund ein echtes Zwei-Kammer-System eingeführt würde. dürfte allem Der Vorschlag vor auf verfassungsrechtliche Einwände stoßen. Denn zu den vom Grundgesetz als unabänderlich normierten Bestandteilen unseres politischen Systems gehört nach Art. 79 Abs. 3 GG „die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung". Es ist zu fragen, ob diese Verfassungsbestimmung derart auszulegen ist, daß den Ländern ein Minimum landeseigener und ausschließlicher Gesetzgebung gewährleistet sein muß oder ob es ausreicht, wenn die Länder durch den Bundesrat am Gesetzgebungsverfahren des Bundes mitwirken und gesetzgeberisch im Wege der Konkretisierung von Bundesrahmengesetzen tätig werden. Einige Autoren sind der Ansicht, die effektive Länderstaatlichkeit erfordere eine Garantie eines Existenzminimums der Länder an Kompetenzen zu eigener, richtungsweisender und nicht nur lückenfüllender oder sonst untergeordneter Gesetzgebung und eine Reduzierung der Landeskompetenzen auf eine Konkretisierung der Rahmengesetze des Bundes überschreite die Grenze föderaler Verfassungsänderung Andere Autoren interpretieren die Bestands-garantie des Art. 79 Abs. 3 GG so, daß für die Gesetzgebung der Länder in Landesangelegenheiten ein nennenswerter Bestand vorhanden sein muß Wieder andere Autoren meinen, daß diese Verfassungsnorm nicht die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Gesetzgebung und auch nicht auf dem der Verwaltung und der Rechtsprechung „unverbrüchlich" garantiere
Es würde den Rahmen dieses Diskussionsbeitrages zu den Reformproblemen unserer föderativen Ordnung sprengen, an dieser Stelle eine umfassende verfassungsrechtliche Diskussion über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Grundgesetzänderung der vorgeschlagenen Art zu führen. Das sollte den Vertretern der dafür originär zuständigen wissenschaftlichen Disziplin überlassen bleiben. Dieser Beitrag soll als Anregung verstanden werden. Als befürwortendes Argument für diesen Reformvorschlag sei noch angemerkt, daß die Gesetzgebungskompetenzen der Länder nicht beseitigt würden und die Rahmengesetze des Bundes durch die Landesparlamente gestaltet werden müßten — weniger im Sinne einer Ausfüllung, sondern viel mehr in dem einer Konkretisierung Spezifizierung. Den Landesparlamenten würden quantitativ sehr viel mehr Aufgaben erwachsen Sach-und Ortsnähe, die vielgerühmten Vorteile förderativer Struktur, könnten die Ausgestaltung der Rahmengesetze bestimmen; regionale Besonderheiten könnten erheblich besser berücksichtigt werden-, dem parlamentarischen Wettbewerb könnten neue Chancen eröffnet werden. Mehr Mitwirkungsmöglichkeiten der interessierten und betroffe-* nen Bürger böten sich an; der Rechtssetzungsprozeß könnte besser verfolgt und damit durchschaubar und verstehbarer werden; die Nähe zu den zu regelnden Sachverhalten könnte die staatliche Effizienz steigern. Die Realisierung solcher Möglichkeiten setzt jedoch eine grundlegende Änderung von Form und Inhalt der Rahmengesetzgebung voraus Die bisherige Gesetzgebungspraxis von Bund und Ländern bei der Ausübung der Bundesrahmenkompetenz würde den genannten Verbesserungen keine Chance auf Realisierung einräumen. Theorie und Praxis der Gesetzgebung müßten hier versuchen, neue Wege zu beschreiten.
Die Konzentration der Gesetzgebung beim Bund — die nicht ohne Ausweitungen auf die Planung von Bund und Ländern bliebe — könnte sowohl das föderative als auch das parlamentarische System intensivieren und neu substantiieren. Die Mitglieder des Bundes-rates könnten im Interesse der Tätigkeit ihrer heimischen Parlamente die Antinomie zwischen bundesstaatlicher Einheitlichkeit und regionaler und parteipolitischer Vielfältigkeit immer wieder neu beleben; sie würden kaum zur Blockierung neigen, da sie sonst die Wahrnehmung der Gesetzgebungsfunktion der Landesparlamente verhindern würden; ihre Tätigkeit im Bund würde eine neue Basis in den heimischen Landtagen und damit im Land gewinnen. 4. 3. Strukturelle Reformen des Bundesrates Die Konstruktion und Struktur der Ländervertretung im Regierungssystem des Bundes waren bei der Schaffung des Grundgesetzes bekanntlich heftig diskutierte Probleme Vertreter der Bundesratslösung und Vertreter der Senatslösung stritten um die Durchsetzung ihrer Konzeption Der Kompromiß, der durch die Vermittlung von Hans Erhard (CSU) und Walter Menzel (SPD) schließlich erreicht wurde ist der Bundesrat in der vom Grundgesetz normierten Gestalt Die praktische Erprobung der von den Verfassungsschöpfern geschaffenen Institutionen hat über 20 Jahre einigermaßen erfolgreich stattgefunden, wenngleich es — wie oben ausgeführt — nicht wenige Anlässe zu Unzufriedenheit und Kritik gibt. Die oben behandelten Probleme betreffend Zusammensetzung und Arbeitsweise des Bundesrates sowie seine Rolle im politischen System haben eine Reihe von Autoren zur Auseinandersetzung mit dieser föderativen Institution angeregt. Die von ihnen entwickelten Reformvorschläge zur Zusammensetzung und Aufgabenerledigung des Bundesrates werden im folgenden behandelt: 4. 3. 1. Die Änderung der zahlenmäßigen Zusammensetzung Die von Art. 51 Abs. 2 GG normierte zahlenmäßige Zusammensetzung des Bundesrates hat in letzter Zeit wiederholt zu Kritik herausgefordert. Alfred Kubel bemängelt, daß die Bundesratsmitglieder bevölkerungsschwacher Länder im Bundesrat häufig eine Veto-Möglichkeit hätten, die den wirklichen Einwohner-zahlen nicht gerecht werde. Da die reine Länderqualität — und nicht die Relation von Einwohnerzahl der gesamten Bundesrepublik zur Einwohnerzahl der einzelnen Länder — im Bundesrat den Ausschlag gebe, stehe hinter den Stimmen im Bundesrat bei weitem nicht immer eine entsprechende Zahl von Wählerstimmen Kubel demonstriert seine Kritik an einem Zahlenbeispiel: „Heute hat ein Bremer Bundesratsmitglied 174 900 Wähler, ein Nordrhein-Westfälisches Mitglied dagegen 2, 25 Mill. Wähler hinter sich." Niedersachsen habe heute 4, 7 Mill. Wahlberechtigte und fünf Stimmen, während Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen mit ihren zusammen 3, 5 Millionen Wahlberechtigten über zehn Stimmen verfügen. Ein solcher Minderheitsschutz gehe zu weit, wenn Mehrheitsentscheidungen zu den Spielregeln der Demokratie gehören Auch Dieter Posser kritisiert die zu geringe Staffelung des Stimmengewichts der Länder. Er meint, daß eine stärkere Staffelung des Stimmengewichts der Länder, etwa zwei bis acht Stimmen, das unterschiedliche Gewicht der Länder besser zur Geltung bringen würde
Das abgestufte Stimmengewicht der einzelnen Länder, das eine mittlere Linie zwischen Senatsprinzip und Bundesratsprinzip alter Art hält und Majorisierungen durch ein oder zwei besonders große Länder verhindern soll, ist in der Tat nicht sehr befriedigend Doch sollte man sich davor hüten, in irgendeinem Schematismus die einzig richtige Alternative und Lösung zu erblicken. Die Kriterien für eine Neuregelung der zahlenmäßigen Zusammensetzung des Bundesrates stehen in einer antinomischen Relation und können deshalb nie allseits als zutreffend akzeptiert werden. Gleichheit der Repräsentation der Länder als Folge radikal-egalitärer Demokratie, Vermeidung von Hegemonialkonstellationen eines oder mehrerer Länder, zur Geltung-Bringen des Gewichts der einzelnen „Staatspersönlichkeiten“, Realisierung des Prinzips „one man — one vote" auch in der Ländervertretung und Ausbalancierung parteipolitischer Machtinteressen sind die Kriterien, die bei der Stimmverteilung im Bundesrat zu berücksichtigen sind
Gleichwohl dürften beim Abwägen der verschiedenen Kriterien für die numerische Zusammensetzung des Bundesrates die Selbständigkeit des politischen Subsystems „Land" sowie eine gemäßigte Differenzierung nach Einwohnerzahl die brauchbarsten Kriterien sein. Für die verfassungsrechtliche Staffelung von 3— 4— 5 Stimmen sollte eine Überprüfung und Revision, etwa in der von Posser vorgeschlagenen Richtung, erfolgen Da die zahlen-mäßige Zusammensetzung des Bundesrates auch bei der Neugliederung des Bundesgebietes mit einer Reduzierung der Zahl der Bundesländer eine wichtige Rolle spielt, werden sich Bundestag und Bundesrat als die für Verfassungsänderungen zuständigen Organe spätestens zu diesem Zeitpunkt mit dem Problem konfrontiert sehen. Doch darüber unten noch weitere Ausführungen 4. 3. 2 Die Umstrukturierung des Bundesrates im Sinne „einer gemischten Zusammensetzung“
Obwohl in der öffentlichen Debatte gelegentlich die Forderung nach Umwandlung des Bundesrates in einen Senat nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika auftaucht und diese Forderung auch schon zum Beratungsthema der Enquetekommission des Bundestages geworden ist dürfte dieses Thema für das föderative System der Bundesrepublik ausdiskutiert sein. Statt dessen findet ein Reformvorschlag mehr und mehr Verbreitung, der eine Synthese aus Bundesrats-und Senatsprinzip propagiert.
So bringt Karl Carstens eine Überlegung in die Diskussion, nach der ein Senat gebildet werden soll, dessen Mitglieder teils von den Landesregierungen, teils von den Landesparlamenten bestellt würden. Damit würde man seiner Ansicht nach an eine Konstruktion der Weimarer Republik anknüpfen. Damals wurde die Hälfte der preußischen Stimmen von der preußischen Staatsregierung, die andere Hälfte von den preußischen Provinzen bestellt Norbert Prill und Jochen van Aerssen unterbreiten einen ähnlichen Vorschlag, nach dem sich der Bundesrat künftig je zur Hälfte aus Regierungsvertretern der Länder und aus Landesparlamentariern zusammensetzen solle. Durch dieses Mischsystem würden in die Bundesgesetzgebung sowohl der Sachverstand der Landesexekutiven als auch die parteipolitischen Interessen der Landesparlamentarier einfließen
Solchen Reformvorschlägen kann nur mit äußerster Skepsis begegnet werden. Sie sind zu wenig durchdacht, als daß sie ernsthaft beachtet werden könnten. Sie erwecken mehr den Eindruck der reformerischen Aktion um eines föderalistischen Aktionismus willen und bringen keine Lösung für die Reformprobleme der Bundesrates. Sollen nämlich politische Institutionen ihren gesetzten Zwecken und den daraus resultierenden Aufgaben gerecht werden, so bedürfen sie in personeller und sachlicher Hinsicht eindeutiger Strukturen. Die aus der verfassungsrechtlichen Konstruktion des Bundesrates sich ergebende Struktur ist klar: ein Organ der Regierungen der Länder zur Mitwirkung am politischen Prozeß im Bund. Daher ist es strukturell-organisatorisch ein Regierungsorgan, das dem politischen Prozeß im Regierungssystem des Bundes eine für die Bundesrepublik charakteristische Note verliehen hat. Dieses , Bundes-Regierungs-Organ'der Länder hat sich — trotz der oben dargestellten Mängel — im Grunde bewährt. Eine Ersetzung durch ein wie immer geartetes Mischssystem würde vieldeutige Strukturen zur Folge haben, wäre von internen politischen und organisatorischen Rivalitäten beherrscht und würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur einen Bruchteil der Effizienz haben, die der heutige Bundesrat im Rechtssetzungsprozeß immerhin hat.
Denn wer sollte die Landtagsmitglieder des Bundesrates bestellen? Etwa die parlamentarische Mehrheit, identisch mit der Regierungsmehrheit? Dann bekämen die Regierungsmitglieder nur Adlati, die kaum mehr als eine parteipolitische Dekorierung sein könnten. Oder das gesamte Landesparlament, das nach dem d’Hondt schen System die Parlamentarier-gruppe des Landes im Bundesrat zu bestellen hätte? Dann bliebe die Mehrheit der Vertreter des jeweiligen Landes nach wie vor dieselbe, die Opposition im Landesparlament hätte vielleicht eine institutionalisierte und indirektere Überwachungsmöglichkeit mit der wahrscheinlichen Folge, daß die Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden würde. Sollte gar die andere Hälfte der Bundesratsmitglieder des Landes durch direkte Volks-wahlen bestellt werden, so bedarf es keiner allzu großen Phantasie, um ein Maximum an Reibungsverlusten und ein Minimum an Effizienz zu prophezeien. Die vorgeschlagenen Mischsysteme hätten eine kaum mehr über-schau-und verstehbare Verkomplizierung der Arbeitsweise der Zweiten Kammer zur Folge, die den politischen Prozeß im föderativen System der Bundesrepublik merklich ineffizienter werden ließe. Die Misere in den Landesparlamenten würde dadurch nicht beseitigt, sondern eher noch verstärkt Um hier Verbesserungen zu erreichen, bedarf es anderer Instrumentarien, wie zum Beispiel Aktivierung des parlamentarischen Fragerechts, regelmäßige Berichterstattung der Bundesratsmitglieder im Landtag, spezielle Ausschüsse für Bundesangelegenheiten usw. Mit Phantasie und Energie könnten Regierungsmitglieder und Parlamentarier in den Ländern dazu beitragen, die Landtage intensiver mit dem politischen Prozeß im Bund zu verbinden. 4. 3. 3 . Der Bundesrat als Länderrat Reformvorschläge, die den Bundesrat in seiner Struktur zwar unangetastet lassen wollen, die jedoch seine Funktionen erheblich erweitern möchten, liegen von Hans Dichgans und Ernst Schneider vor. Dichgans geht dabei von der derzeitigen Lage des Kooperativen Föderalismus aus, der eine Vielzahl von institutionalisierten Gremien hervorgebracht habe, ohne sie jedoch zu konstitutionalisieren Er beklagt das in diesen Gremien herrschende Prinzip der Einstimmigkeit und die daraus resultierende Blockierungsmöglichkeit durch das Veto eines einzigen Landes. Ferner rügt er die mangelhafte bis mangelnde Durchführungskontrolle, so daß kaum eine Rückkopplung stattfinden könne und die Ineffizienz immer mehr zu-nehme Um aus dieser Misere herauszukommen, die auch dadurch verursacht worden sei, daß immer mehr Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund übertragen worden sind, ohne jedoch Lösungen anzubieten, die den Ländern ihren eigenen Aufgabenbereich erhalten, schlägt Dichgans die Konstituierung des Bundesrats als Länderrat vor
Der Bundesrat solle einerseits seine bisherigen Kompetenzen behalten und seine Aufgaben wie bisher wahrnehmen. Andererseits solle er sich als Länderrat mit Angelegenheiten der Länder befassen, die jenseits der Bundeskompetenz liegen, jedoch für die Gesamtheit der Länder bundeseinheitlich zu regeln sind. Der Bundesrat als Länderrat sollte für alle Angelegenheiten zuständig sein, bei denen sich die Länder bereits einstimmig über eine bundes-einheitliche Regelung geeinigt haben. Neue Abkommen sollte der Länderrat nur einstimmig beschließen können. „Änderungen sollten dann mit Mehrheit beschlossen werden können. Abkühlungsfristen könnten Überraschungsentscheidungen könnte verhüten. Man vorsehen, daß im ersten Jahr das Veto eines Landes eine Änderung verhindert; im zweiten Jahr wäre dazu vielleicht das Veto dreier Länder erforderlich; im dritten Jahre würde dann die Mehrheit entscheiden." Zur juristischen Erfassung seines Vorschlags hält Dichgans einen neuen Sprachgebrauch für erforderlich: „Man müßte unterscheiden zwischen Bundes-, Länder-(das sind Angelegenheiten, die die Gesamtheit aller Länder betreffen, jenseits der Bundeskompetenz) und Landesangelegenheiten (Angelegenheiten eines einzelnen Landes)." Zur Realisierung seines Vorschlages legt er folgenden Entwurf für eine Verfassungsergänzung vor: „Länderangelegenheiten sind Angelegenheiten, die nicht zur Zuständigkeit des Bundes gehören, jedoch für die Gesamtheit der Länder bundeseinheitlich geregelt werden müssen. Die Erklärung einer Angelegenheit zur Länder-angelegenheit setzt einen einstimmigen Beschluß der Länder voraus. Angelegenheiten, die die Länder bereits in Abkommen bundes-einheitlich geregelt haben, gelten als Länder-angelegenheiten." „Eine Richtlinie in einer Länderangelegenheit bedarf der Zustimmung des Länderrats. Der
Widerspruch eines Landes kann den Beschluß ein Jahr verschieben, der Widerspruch dreier Länder ein zweites Jahr.“ „Die Richtlinie bindet die Länder, ohne daß es einer Ratifizierung durch die Länderparlamente bedarf.“
Ähnlich lautet der Reformvorschlag von Ernst Schneider zur Regelung bundeseinheitlicher Länderangelegenheiten. Der Bundesrat sollte zusätzlich zu seinen gegenwärtigen Kompetenzen Aufgaben aus dem Landesbereich erhalten und damit zu einer „Art ständiger Konferenz der Länder" werden. Durch Grundgesetzänderung sollte dem Bundesrat das Recht eingeräumt werden, mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit den Landesregierungen für die Bereiche Empfehlungen zu geben, die zur Zuständigkeit der Länder gehören (Schulwesen, Hochschulen, Gesundheitspflege, Polizei, Kommunalwesen).
den Neben Bundesratsmitgliedern sollte auch die Bundesregierung für diese Länderangelegenheiten ein Initiativrecht erhalten. Die mit qualifizierter Mehrheit vom Bundesrat getrof -fenen Entscheidungen sollten für die Landes-regierungen verbindlich sein. Diese müssen demzufolge die Empfehlungen als Gesetzes-initiativen in ihren Landesparlamenten einbringen. Die letzte Entscheidung — ob Annahme, Ablehnung oder Abänderung — läge jedoch bei den Landtagen
Auch Dichgans möchte die Landesparlamente stärker in den Entscheidungsprozeß für die bundeseinheitlich zu regelnden Länderangelegenheiten einbeziehen. Nach dem Modell des Europäischen Parlaments konstruiert er eine „Beratende Versammlung“ des Länder-rats, die diesem beigegeben werden soll. Die Beratende Versammlung wäre von den elf Ländern ebenso zu beschicken wie jetzt die nationalen Parlamente das Europäische Parlament bilden. „Auch diese Beratende Versammlung hätte nur beratende, keine beschließenden Funktionen. Sie würde aber den Landtagsabgeordneten die Möglichkeit geben, ihr Wort mitzusprechen, und ein parlamentarisches Gegengewicht zum Länderrat schaffen, das er in einer Demokratie haben muß." Die Vorschläge von Dichgans und Schneider — zu denen ein analoger Vorschlag von Walter Leisner für die Errichtung eines „Länderrats als gemeinsames Verfassungsorgan der Länder" existiert — dürften von allen Überlegungen zur strukturellen Reform des Bundesrates eine, realisierbare Alternative sein. Die Mitglieder des Bundesrates und der Konferenzen der Ministerpräsidenten und der Fachminister sind weitgehend identisch ; sie halten sich mit einiger Regelmäßigkeit in der Bundeshauptstadt auf; Identität zwischen Vorsitz in der Fachministerkonferenz und dem entsprechenden Bundesratsausschuß liegt in einer Reihe von Fällen vor dasselbe gilt für einige Bundesratsausschußsekretäre, die gleichzeitig für die Geschäftsführung der Fach-ministerkonferenzen verantwortlich sind Es dürfte nicht allzu schwierig sein, mit Hilfe organisatorischer Veränderungen — zu denen vor allem solche baulicher Art gehören müßten — die dargestellten Reformvorschläge der Verwirklichung näher zu bringen. Der zu erwartende Einwand, der Bundesrat sei ein Verfassungsorgan des Bundes und dürfe sich daher nicht mit reinen Angelegenheiten der Länder befassen — ein Einwand, der seit Anfang die Entwicklung der Länder-Länder-Einrichtungen und der Bund-Länder-Einrichtungen des Kooperativen Föderalismus begleitete —, ist verfassungsrechtlicher Art und könnte im Zuge der geplanten „Großen Verfassungsreform" durch entsprechende Änderung des Grundgesetzes entkräftet werden. Politisch-strukturelle Bedenken, daß dem Bundesrat inadäquate Funktionen aufgebürdet würden, denen er nach seiner bisherigen Arbeitsweise und Struktur nicht entsprechen könne, können mit dem Hinweis entkräftet werden, daß die von Dichgans und Schneider erörterten Reformmodelle für den Bundesrat selbstverständlich auch Änderungen bezüglich der Mitgliedschaft im Bundesrat und der personellen Besetzung der Ausschüsse und des Sekretariats bedingen. Für den Fall einer politischen Grundsatzentscheidung zugunsten eines Länderrats dürften solche Veränderungen durchaus zu leisten sein.
Auf den Vorwurf, eine Beratende Versammlung, die dem Bundesrat angegliedert würde, hätte kaum mehr als Symbolwert kann mit Dichgans darauf hingewiesen werden, daß sich die Parlamentarier der Länder heute schon in zahlreichen Institutionen und Konferenzen regelmäßig treffen Diese Besprechungen sind sehr nützlich. „Wenn man Zeit-und Kostenaufwand für diese verschiedenenartigen Treffen addiert, würde der Aufwand für eine Beratende Versammlung des Länderrats wahr-schein kaum größer. Eine Beratende Versammlung des Länderrats, die die Parlamentarier der Länder in einer verfassungsmäßigen Institution ständig zusammenführt, würde das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit nützlich stärken." Die Vorschläge von Dichgans und Schneider sollten im Wust mehr oder weniger unausgereifter Reformpläne nicht untergehen, sondern diskutiert und möglichst auch praktiziert werden 4. 4. Die Neugliederung des Bundesgebietes und die Neuordnung des Bundesrates Die politische Planung für die Änderung der Grenzen der Bundesländer, für die Neugliederung des Bundesgebietes und damit für neue oder territorial anders zugeschnittene Bundesländer hat neue Aktualität gewonnen. Notwendigkeit und Berechtigung einer Neugliederung werden in der öffentlichen Diskussion weitgehend bejaht Eine Anzahl von Modellen liegt inzwischen vor Die Verwirklichung eines von ihnen oder eines daraus noch zu entwickelnden neuen Modells dürfte einerseits nicht ohne Auswirkungen auf den Bundesrat bleiben, während andererseits dessen Rolle im politischen System die Inangriffnahme der Neugliederung maßgebend beeinflussen dürfte denn die Neugliederung des Bundesgebietes, die die Reduzierung der Zahl der Länder auf fünf, höchstens auf sechs zur Folge haben wird, wird nicht ohne Auswirkungen auf die Machtverteilung im politischen System bleiben. Die endgültige Zahl der Länder, deren politisch-soziale Struktur und die Stimmenzahlen im Bundesrat können dessen Mehrheitsverhältnisse ändern und neue Machtkonstellationen im Bund zur Folge haben
Für die Reformproblematik des Bundesrates stellt sich die Frage, ob es bei einer Reduzierung der Zahl der Bundesländer und der Schaffung von bevölkerungsmäßig etwa gleich großen Ländern mit einer schematischen Änderung der zahlenmäßigen Zusammensetzung der Ländervertretung sein Bewenden haben kann. Geht man von dem verbreitesten Neugliederungsmodell aus, nach dem die Bundesrepublik (ohne West-Berlin) aus fünf Bundesländern bestehen soll, mit jeweils zwischen 8 bis 17 Millionen Einwohnern, so würde das bei unveränderter Beibehaltung von Art. 51 GG bedeuten, daß jedes Land im Bundesrat fünf Stimmen hätte. Der Bundesrat würde also fünfundzwanzig Mitglieder umfassen. Zur Beschlußfähigkeit des Plenums würde es genügen, wenn drei Bundesratsmitglieder aus jeweils verschiedenen Ländern anwesend wären ; drei Ministerpräsidenten oder Landes-minister könnten den Entscheidungsprozeß im Bundesrat allein bestimmen allzu leicht könnte sich dort eine parteipolitische Vorherrschaft entwickeln mit der Folge, daß entweder die Mehrheitsentscheidungen des Bundestages durch die oppositionell agierende Bundesratsmehrheit blockiert würden oder daß die Oppositionspartei(en) im Bund in völlige Frustration geraten könnte(n).
Ein Bundesrat mit formell fünfundzwanzig Mitgliedern, von denen im Extremfall nur fünf anwesend sind, ist schlecht vorstellbar, würde der Bedeutung des Bundesrats im politischen System zuwiderlaufen und sollte deshalb unter allen Umständen vermieden werden. Wie Franz Heubl zutreffend ausgeführt, gehört zur Struktur und Funktionsfähigkeit eines politischen Organs auch, „daß seine Entscheidungen von einem größeren Kreis von verantwortlichen Politikern getroffen werden. Es würde daher naheliegen, die Mitgliederzahl für die einzelnen Länder so zu erhöhen, daß die derzeitige Stimmenzahl in etwa wieder erreicht würde. Dies hätte aber zur Folge, daß sehr viel mehr Landesminister als bisher in den Plenarsitzungen anwesend sein müßten, soll ihre Mitgliedschaft nicht lediglich auf dem Papier stehen"
Die Neugliederung des Bundesgebietes wird also eine Änderung der zahlenmäßigen Zusammensetzung des Bundesrates jedenfalls erforderlich machen. Damit dürfte aber auch eine personell-strukturelle Veränderung der Landesregierungen — etwa durch die Einführung der Institution des politischen Staatssekretärs nach bayerischem Muster oder eines parlamentarischen Staatssekretärs nach Bonner Vorbild — und/oder des Bundesrates — etwa durch Änderungen der Bedingungen für die Mitgliedschaft — verbunden sein. Darüber hinaus sollte aber überlegt werden, ob mit der Reduzierung der Zahl der Länder nicht überhaupt eine neue Strukturierung des Bundes-rats diskutiert und eventuell angestrebt werden müßte. Die notwendigen, möglichen oder anstrebenswerten Reformen des Bundesrats müssen im größeren Kontext des föderativen Systems der Bundesrepublik, dessen Strukturwandel seit den fünfziger Jahren und den zur Lösung aufgegebenen Reformproblemen dieses Systems gesehen werden. Dabei weder isolierte sind Reförmchen noch radikale Globalveränderungen unter den Schlagworten der Egalisierung und Effizienzsteigerung begehbare Wege.
Vielmehr geht es bei der künftigen Entwick lung und Gestaltung des föderativen System in der Bundesrepublik, seiner Institutionei und Verfahrensweisen um die Schaffung unSicherung eines an den konstituierenden Prin zipien unserer freiheitlichen demokratische! Ordnung orientierten rationalen politischei Gesamtsystems. Dies sollte der Bezugspunk aller Reformdiskussionen und Reformvorschlä ge betreffend den Bundesrat und die bundes staatliche Ordnung sein.
Anhang
B. Der Bundesrat während der ersten beiden Jahre der 6. Legislaturperiode
(Berichtszeit: 24. Oktober 1969— 3. Dezember 1971) 1. Die Zusammensetzung des Ausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG (Vermittlungsausschuß) Mitglieder Mitglieder des Bundestages des Bundesrates CDU/CSU 5 CDU-oder CSU-regierte Länder 5 SPD 5 FDP 11 SPD-regierte Länder 6 Koalitionsmäßige Zusammensetzung des „Vermittlungsausschusses" SPD und FDP 12 CDU und CSU 10 2. Verfassungsändernde Gesetze Gesetz zur Änderung des Art. 38 Abs. 2, 91 a Abs. 1 Nr. 1 und 74 a GG. Zustimmung des Bundesrats nach Art. 79 Abs. 2 GG mit der vorgeschriebenen Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmmen in der 354. und 363. Sitzung am 26. Juni 1970 und am 12. März 1971. 3. Zustimmungsbedürftige Gesetze nach Art.
84, 85, 105 GG 104 zustimmungsbedürftige Gesetze wurden vom Bundesrat mit absoluter Stimmenmehrheit verabschiedet; nur einmal wurde einem Gesetzesbeschluß des Bundestages die Zustimmung verweigert (Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur-und Architektenleistungen — 371. Sitzung am L 10. 1971). 4. Nicht zustimmungsbedürftige Gesetze 96 Gesetzesbeschlüsse des Bundestages, die nicht unter die Zustimmungsbedürftigkeit fallen, passierten den Bundesrat. Nur in einem Fall machte der Bundesrat von seinem Recht Gebrauch, Einspruch nach Art. 77 Abs. 3 GG einzulegen (Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum — 372. Sitzung am 22. 10. 1971). 5. Rechtsverordnungen der Bundesregierung nach Art. 80 GG und Verwaltungsvorschriften nach Art. 84, 85, 108 GG Die Bundesregierung legte dem Bundesrat 437 Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zur Zustimmung vor. Diese wurden bis auf eine Ausnahme (Verordnung über die Durchführung einer Statistik zum Ausbildungsförderungsgesetz, 369. Sitzung/218 A) in allen Fällen erteilt, wenn auch gelegentlich mit Änderungswünschen. 6. Anrufung des Vermittlungsausschusses Dem Bundesrat lagen in der Berichtszeit 200 Gesetzesvorlagen vor. Trotz zahlreicher Anträge aller Länder, den Vermittlungsausschuß anzurufen, konnte sich nur in 21 Fällen der Bundesrat zu einem solchen Antrag entschließen: 1. Gesetz über die Anpassungen der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (346. Sitzung/4A). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, vom Bundesrat unverändert angenommen. 347. Sitzung/4 A)
2. Drittes Gesetz zur Reform des Strafrechts (351. Sitzung/77 C). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, kein Einspruch des Bundesrates (352. Sitzung/102 C).
3. Kostenermächtigungsänderungsgesetz (352. Sitzung/103 B). Der Vermittlungsausschuß stimmte einem Änderungsantrag des Bundesrates zu, einen anderen lehnte er ab. Der Bundesrat stimmte der Vorlage zu (353. Sitzung/112 B).
4. Verwaltungskostengesetz (352. Sitzung/104 A). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, vom Bundesrat unverändert angenommen (353. Sitzung/112 C). 5. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (359. Sitzung/276 D). Der Vermittlungsausschuß stimmt dem Änderungsantrag des Bundesrats zu, der Bundesrat stimmt der ursprünglichen Vorlage zu (362. Sitzung/54 C). 6. Gesetz über eine Zählung in der Land-und Forstwirtschaft (359. Sitzung/277 D).
Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, der Bundesrat stimmt der Vorlage zu (360. Sitzung/295 A).
7. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (361.
Sitzung/12 C). Der Vermittlungsausschuß stimmt einigen Änderungsvorschlägen zu, andere lehnt er ab, der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (362. Sitzung/50 B).
8. Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (361. Sitzung/20 B). Der Vermittlungsausschuß stimmt einigen Änderungsvorschlägen zu, andere lehnt er ab; der Bundesrat stimmt dem Gesetz in der ursprünglichen Fassung zu (362. Sitzung/53 D).
9. Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 (364. Sitzung/104 C). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, der Bundesrat stimmt der Vorlage zu (365. Sitzung/118 B).
10. Gesetz über Zuwiderhandlungen gegen weinrechtliche Vorschriften der EWG (364. Sitzung/105). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, der Bundesrat erhebt keinen Einspruch (365. Sitzung/118 C).
11. Gesetz zur Anpassung verschiedener Vorschriften über die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern an die Neuregelung der Finanzverfassung (366. Sitzung/127 B). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, der Bundesrat versagt dem Gesetz die Zustimmung (369. Sitzung/166 C).
12. Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein (368. Sitzung/15 B). Der Bundesrat stimmt der Vorlage zu (369.
Sitzung/171 D).
13. Gesetz über städtebauliche Sanierungsund Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden (Städtebauförderungsgesetz)
(369. Sitzung/189 B). Der Vermittlungsausschuß macht Kompromißvorschläge, der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (370. Sitzung/234 A).
14. 14. Gesetz über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (14. Rentenanpassungsgesetz) (369.
Sitzung/139 D). Änderungen im Vermittlungsausschuß abgelehnt, der Bundesrat stimmt der Vorlage zu (270. Sitzung/238 B).
15. Gesetz zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes (369. Sitzung/205 C). Der Vermittlungsausschuß stimmt den Änderungsanträgen des Bundesrats zu, der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (270.
Sitzung/238 D).
16. Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) (369. Sitzung/207 B). Der Vermittlungsausschuß stimmt einigen Änderungsvorschlägen des Bundesrats zu, andere lehnt er ab; der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (370. Sitzung/239 B).
17. Gesetz über Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen (Graduiertenförderungsgesetz) (369. Sitzung/208D). Der Vermittlungsausschuß macht Kompromißvorschläge, der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (370. Sitzung/240 B).
18. Gesetz zur Änderung des Bundesseuchengesetzes (369. Sitzung/211 C). Der Vermittlungsausschuß stimmt den Änderungsvorschriften des Bundesrats teilweise zu, teilweise lehnt er sie ab; der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (370.
Sitzung/240 C).
19. Gesetz über technische Assistenten in der Medizin (369. Sitzung/211 D). Der Vermittlungsausschuß stimmt dem Änderungsantrag des Bundesrats zu; der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (370.
Sitzung/240 D).
20. Gesetz über künstliche Besamung von Tieren (369. Sitzung/212 C). Der Vermittlungsausschuß folgt dem Anrufungsbegehren des Bundesrats; der Bundesrat stimmt dem geänderten Gesetz zu (370. Sitzung/241 B).
21. Betriebsverfassungsgesetz (374. Sitzung/350 B); der Bundesrat stimmte am 17. Dezember 1971 dem unveränderten Gesetzesbeschluß zu. 7. Gesetzesinitiativen von Bundesländern Bayern: Gesetzentwurf für eine umfassende Neuordnung der Richterbesoldung in einer eigenen Besoldungsordnung R für Richter und Staatsanwälte. Von der Mehrheit des Bundes-rats abgelehnt (346. Sitzung/257 B, 261 A).
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (346. Sitzung/269 B). Vom Bundesrat als Initiativantrag an die Bundesregierung weitergeleitet (347. Sitzung/11 C).
Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (346. Sitzung/270 A). Erledigte sich durch Vorlage eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung (347. Sitzung/11 D).
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung. Überweisung an den Rechtsausschuß (354. Sitzung/155 A).
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Überweisung an den Ausschuß für innere Angelegenheiten und den Rechtsausschuß (354. Sitzung/155 C).
Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung 360. Sitzung/298 B).
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (363. Sitzung/87 C).
Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (372. Sitzung/293 A); Gesetzentwurf zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes (373. Sitzung/334 D).
Baden-Württemberg und Bremen: Gesetzentwurf zur Änderung des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 (357. Sitzung).
Baden-Württemberg Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen: Gesetz-entwurf zur Änderung des GG (Art. 74) (360. Sitzung/295 D); Entwurf eines zweiten Bundeswaffengesetzes (360. Sitzung/295 D). Über-weisung an den Innen-, Rechts-und Wirtschaftsausschuß. Nordrhein-Westfalen: Gesetzentwurf eines zweiten Strafrechtsänderungsgesetzes (356. Sitzung). Schleswig-Holstein: Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (364. Sitzung/103); Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (371. Sitzung/282 C).
Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein: Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung (372. Sitzung/304 B).
Rheinland-Pfalz, Bayern, Saarland und Schleswig-Holstein: Entwurf eines 15. Rentenanpassungsgesetzes (371. Sitzung/360 C)
Alle Länder: Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Konvention vom 14. 5. 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (356. Sitzung/192 B).
C. Die Arbeit des Bundesrates im Spiegel der Zahlen
Statistische Angaben für die Zeit vom 7. September 1949 bis 19. Oktober 1969
Der Bundesrat hat in der Zeit vom 7. September 1949 bis zum 19. Oktober 1969 insgesamt 345 Plenat Sitzungen (einschließlich der nichtöffentlichen Sitzung Nr. 29 a vom 21. Juni 1950 und der Sondersitzun vom 15. Juni 1951) und 2828 zum Teil mehrtätige Ausschußsitzungen abgehalten.
Es wurden behandelt: Berichtigung:
In der B 1— 2/72 muß es bei der Dokumentation zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts (S. 31, 13. Zeile von oben, letzter Satz des ersten Absatzes) heißen: „Auch in einer (Streitbaren Demokratie'sei die Staatsraison kein unbedingt vorrangiger Wert.“
Heinz Laufer, Dr. jur., Professor für Politische Wissenschaft an der Universität München; geboren 1933 in Würzburg; Studium der Rechtswissenschaft, Politischen Wissenschaft, Philosophie und Geschichte; nach juristischer Staatsprüfung und Promotion Assistententätigkeit und Habilitation. Nebenamtlicher Dozent an der Hochschule für Politik in München; ständiger Mitarbeiter der . Süddeutschen Zeitung' für die Seite „Das Politische Buch"; Honorardozent an der Offizierschule der Luftwaffe in München-Neubiberg. Veröffentlichungen u. a.: Das Kriterium politischen Handelns, München 1961; Die demokratische Ordnung, Stuttgart 19702; Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, Tübingen 1968; Der Parlamentarische Staatssekretär, München 1969; Regieren im Verfassungsstaat (hrsg. zus. mit U. Echtler), München 1970; Die Radikalisierung der Jugend an den Universitäten, München 1971; Die Landesvertretungen (zus. mit J. Wirth), München 1972; Der Bundesrat (zus. mit U. Echtler), München 1972; Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, München 1972; zahlreiche Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelwerken.