Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Sozialismus in Afrika -Ägypten und Guinea Zwei Fallstudien zum ideologischen Selbstverständnis und zur politischen Soziologie unterentwickelter Gesellschaften | APuZ 25/1972 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 25/1972 Artikel 1 Sozialismus in Afrika -Ägypten und Guinea Zwei Fallstudien zum ideologischen Selbstverständnis und zur politischen Soziologie unterentwickelter Gesellschaften

Sozialismus in Afrika -Ägypten und Guinea Zwei Fallstudien zum ideologischen Selbstverständnis und zur politischen Soziologie unterentwickelter Gesellschaften

Reinhard Kapferer

/ 123 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

An Hand zweier Fallstudien — Ägypten und Guinea — wird der Bedeutungsgehalt des sozialistischen Motivs in den nationalen Ideologien unterentwickelter Gesellschaften untersucht. In beiden Fällen, so lautet die Kernthese, hätten sich unter progressistischem Etikett , Staatsklassen'als neue Eliten etabliert, deren Herrschaftsinteresse die Realisierung sozialistischer Zielsetzungen — soweit überhaupt je vorhanden — verhinderte. Als . Ideologien wirtschaftlichen Wachstums'seien die sozialistischen Orientierungen beider Länder ebenso wirkungslos gewesen wie als Impulse zur Mobilisierung der Massen. Die Begründung aus ethnisch-rassischer oder kulturhistorischer Eigenart (. arabischer', . afrikanischer'Sozialismus) habe den Sozialismus seiner emanzipatorischen Substanz beraubt und zum progressistischen Ornament nationalistischer Herrschafts-und Integrationsideologien denaturiert. Dennoch attestiert der Autor den beiden gesellschaftspolitischen Versuchen in beschränktem Maße revolutionäre Qualität: in ihrer Funktion als Liquidatoren des Kolonialismus und des sozio-politischen Traditionalismus in ihren Gesellschaften.

Nimmt man das Wort für die Sadie, so hat der Sozialismus in der Dritten Welt gesiegt. Kaum eine unter den Dutzenden von nationalen Ideologien, Gesellschaftsphilosophien und Herrschaftsdoktrinen in den . Drei Kontinenten', die nicht den Sozialismus an prominenter, wenn nicht an erster Stelle im Schilde führte. Seine phraseologische Hochschätzung ist universal, vergleichbar allenfalls mit derjenigen des modischen Komplementärbegriffes Demokratie — inhaltlich ist er nahezu ebenso beliebig.

So jedenfalls präsentiert sich der Befund demjenigen, der mit den fixen Vorstellungsbildern aus der europäischen Tradition sich dem Phänomen Sozialismus in der Dritten Welt nähert. Das Gütezeichen Sozialismus deckt eine Fülle von sozio-ökonomischen und politischen Realitäten, die auch unter großzügiger Berücksichtigung der Besonderheiten der Situation und bei weitherziger Auslegung des Begriffes schwerlich mit seinen fundamentalen Inhalten in Zusammenhang zu bringen sind. Unter sozialistischem Etikett firmieren Oligarchien und monopolistische Ausbeutersysteme, herrschen Militärdiktaturen und charismatische Führergestalten, gedeihen fremde Wirtschaftsinteressen und archaische Gesellschaftsstrukturen, propagieren Reaktionäre den Rückzug in die Vergangenheit und predigen Chiliasten den Auszug aus der Zeit

Aber sieht man selbst ab vom eklatanten Mißbrauch, der ja keine Spezialität der Dritten Welt ist — auch die Nazis führten den Sozialismus bekanntlich im Titel —, so bleibt das Bild verwirrend genug. Mit den in und für die westlichen Industriegesellschaften entwickelten substantiellen Inhalten sozialistischer Prinzipien scheinen die exotischen Varianten und Modelle außer dem Vokabular wenig gemein zu haben: Soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie etwa, werden im arabischen, afrikanischen oder sambischen Sozialismus völlig anders definiert als im westeuropäischen. Der Aufbau des Sozialismus in Guinea oder Ägypten beruft sich auf philosophische Grundlagen, die denjenigen des , wissenschaftlichen Sozialismus'diametral entgegengesetzt sind. Die ökonomische Praxis des algerischen oder tansanischen Sozialismus hat nichts zu tun mit den klassischen Rezepturen von Karl Marx bis Charles Bettelheim. Selbst dort, wo das marxistische Vorbild in Ehren steht oder gar als verbindliche Ideologie beansprucht wird, zeigt sich die sozialistische Praxis als höchst eigenwillig und keineswegs immer konform der orthodoxen Theorie.

In den Eigendefinitionen autochthoner Sozialismen stehen häufig ordnungspolitische Grundsatzorientierungen in unbefangener Eintracht nebeneinander, die nach ihrer europäisch-ideengeschichtlichen Herkunft schroffe Gegensätze bezeichnen oder in ihrer Kombination an bösen europäischen Mißbrauch erinnern. In einer indischen Version beispielsweise wird Sozialismus unter anderem beschrieben als „Stimulierung und Belebung von Initiative und Unternehmertum" nach einer Definition der arabisch-sozialistischen Baath-Partei besteht das Wesen des arabischen Sozialismus in der Überwindung des Materialismus" und des „Klassenhasses" und der weiland als besonders radikal beleumundete ehemalige Führer Ghanas, Kwameh Nkrumah, verkündete, daß für Afrika der Sozialismus jedenfalls nichts revolutionär Neues bringe, da er im Wesen des afrikanischen Volkes angelegt sei und somit als ethnisch-rassisches Mitgift nichts zu tun habe mit Klassenkampf, Klassenantagonismus etc.

Der Verdacht, es handle sich um Neuauflagen kleinbürgerlicher Integrationsideologien oder gar um faschistische Volksgemeinschaftsmythen, wenn von Sozialismus die Rede ist, scheint durch die Praxis nicht gerade widerlegt. Die Konzentration der Entwicklungsanstrengungen auf das politische Kollektiv Staat/Nation, die totalitäre politische Organisation, die mehr oder weniger manifeste Unterdrükkung nichtkonformistischer Gruppen sowie neue Machteliten etc. — dies alles scheint eher in der Nähe des klassischen Totalitarismus angesiedelt als bei den Prinzipien des Sozialismus. Bekenntnisse zum Sozialismus scheinen berechnet auf die Mobilisierung positiver Affekte, die der in hoher moralischer und politischer Konjunktur stehende Begriff auszulösen in der Lage ist.

Ist somit das Verdikt gerechtfertigt, das den Versuchen in der Dritten Welt die Authentizität der sozialistischen Idee abspricht? Trifft es zu, daß es sich hier mehr um eine „Hilfsdoktrin des Nationalismus" handelt, um eine „Ergänzung der nationalen Ideologie", ein vages „Symbol" opportunistischen Fortschrittsgebarens neuer Eliten mit bedenklicher Nähe zum Faschismus, wie es eine israelische Politologin im Falle des Afrikanischen Sozialismus vermutet? Oder es handelt sich einfach um ideologische Verschleierungssysteme, unfähig zur sozio-ökonomischen Transformation ihrer Gesellschaften und damit letztlich „den Interessen des Imperialismus und seiner Bündnis-partner" dienend, wie ein syrischer Politologe am Beispiel des Arabischen Sozialismus behauptet? Ein dritter Autor bezeichnet die zahlreichen Spielarten des . afrikanischen Sozialismus'insgesamt als Rechtfertigungsideologien des Neokolonialismus Die zitierten Stimmen sind exemplarisch. Die große Mehrheit marxistischer wie nicht-marxistischer Kritiker verweigert den autochthonen gesell-schaftspolitischen Versuchen die sozialistische Authentizität. Freundlichere Einschätzungen behelfen sich mit vagen Formeln wie . Dritter Weg'oder . nicht-kapitalistische Entwicklung'. Selten, daß ein Autor sich vom Zwang zur theoretischen Definition nach vorgegebenen Kriterien löst und den mühsamen Versuchen wenigstens tendenziell die sozialistische Richtung attestiert

Den entschiedensten Kampf gegen den . Pseudosozialismus'in der Dritten Welt führt der intellektuelle Neo-Marxismus in den Metropolen. Gemessen an den durch die chinesische Theorie und Praxis auf die Höhe der Zeit gebrachten Prinzipien des . wissenschaftlichen Sozialismus'fallen die spontanen Experimente zur Bestimmung eines eigenen Weges bestenfalls unter die Rubriken der diversen klassischen Abweichungen, wenn sie nicht gleich von vornherein als antisozialistische Herrschaftsideologien bekämpft werden.

Erheblich vorsichtiger urteilt der staatlich etablierte Marxismus. Seit Anfang der sechziger Jahre anerkennen die Sowjetunion und ihre Satelliten wenigstens den tendenziell sozialistischen Charakter der progressistischen Bemühungen in der Dritten Welt Auf die scharfen Verurteilungen des . bürgerlichen'oder gar . faschistischen'Nationalismus der frühen fünfziger Jahre, wie sie noch Nasser und Nkrumah zu Beginn ihrer Karriere zuteil wurden, folgten konziliantere Formeln, die, wenn schon nichts anderes, so doch den guten Willen zum Sozialismus attestierten. Man könne beispielsweise den Afrikanischen Sozialismus schon deshalb nicht gänzlich verwerfen, meint Potechin, ein führender sowjetischer Afrikanist, da er doch den aufrichtigen Versuch fortschrittlicher Menschen enthalte, einen Weg zum Sozialismus zu finden, der der Eigenart der afrikanischen Wirklichkeit entspreche Der freundlicheren Einschätzung liegt eine grundsätzliche Neudefinition des Verhältnisses zu den . Nationalen Demokratien'zugrunde, die in der sog. . Moskauer Deklaration'der 81 Kommunistischen-und Arbeiterparteien vom 6. Dezember 1960 formuliert wurde. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien (Antiimperialismus, Massenbasis, sozialer Reformismus) wird den trikontinentalen gesellschaftspolitischen Versuchen seither der . fortschrittliche'Charakter bestätigt

Auch die offiziellen Äußerungen der Volksrepublik China zum Thema Progressismus in Asien, Afrika und Lateinamerika tragen ganz andere Akzente als diejenigen ihrer ideologischen Adepten in den Metropolen. Die Chinesen pflegen marxistische Urteile über konkrete sozio-politische Ordnungsmodelle in der Dritten Welt zu vermeiden und sich mit dem Lob-preis des antiimperialistischen Heroismus des jeweiligen . Volkes'zu begnügen. . National-demokratische'Bewegungen, welch spezieller Couleur auch immer, gelten auch in Peking als brüderliche Verbündete auf dem langen Marsch in Richtung Weltrevolution Kaum weniger negativ als der puristische NeoMarxismus urteilt die bürgerlich-liberale Kritik. Zwar hat sie ihre größeren Schwierigkeiten in der theoretischen Bestimmung dessen, was Sozialismus sein soll, aber sie bezieht sich ebenso auf die europäischen Originale wie die marxistische Konkurrenz. Was abweicht vom Pfad sozial-demokratischer Tugend, gerät in den Verdacht faschistischer oder kommunistischer Abirrung.

Was kann Sozialismus heißen im Zustand sozio-ökonomischer Unterentwicklung? Ubergangsphase vom ausgereiften Kapitalismus zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft, wie beschrieben in der Kritik am Gothaer Programm? Offensichtlich nicht bei der Nicht-Existenz ausgereifter kapitalistischer Verhältnisse in der großen Mehrzahl der trikontinentalen Gesellschaften. Auch Wohlfahrtsstaatlichkeit mit egalisierender Tendenz kann Sozialismus in unterentwickelten Gesellschaften kaum bedeuten. Wenn die Verwirklichung des Sozialismus in entwickelten Gesellschaften, wo der Stand der Produktiv-kräfte die Befriedigung der fundamentalen materiellen Bedürfnisse der Menschen möglich gemacht hat, heute darin besteht, eine Neuverteilung und qualitative Umgestaltung der Produktionsergebnisse zu schaffen (also Sozialisierung des vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums auf hohem zivilisatorischem Niveau), so kann Sozialismus in armen Gesellschaften vernünftigerweise zunächst nur bedeuten, den bisher nichtexistenten gesellschaftlichen Reichtum zu produzieren. Ihr sozialistisches Grundproblem ist das ökonomische Wachstum und nicht die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums („Produktion vor Distribution"). Sozialismus in unterentwickel-ten Gesellschaften wird also heißen müssen: optimale Organisation des beschleunigten ökonomischen Wachstums.

Das Problem ist im übrigen keineswegs neu. In allen Gesellschaften, die sich bisher freiwillig auf den Weg zum Aufbau des Sozialismus machten, war der Zwang zur Produktion des nicht vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums (Primärakkumulation) so elementar, daß seine Verteilung ein nachgeordnetes Problem sozialistischer Ökonomie wurde, überall zwang die gesellschaftliche Armut zu einer sozio-politischen Organisation der Produktionskräfte, die mit dem visionären Reich der Freiheit im Sozialismus nichts zu tun hatte. Keine Rede von freier Assoziation der Produzenten, von direkter Demokratie etc., sondern eiserner Zentralismus, Fortdauer und womögliche Verschärfung der Ausbeutung (wenn nicht der Ausbeutung, so doch der . Entfremdung'), rigorose Unterdrückung nichtkonformistischer Strebungen — kurz: autoritärer Staatssozialismus. Sozialismus in armen Gesellschaften bedeutet faktisch kaum mehr als staatsautoritäre Mobilisierung und Lenkung ökonomischer Ressourcen zur beschleunigten primären Kapitalakkumulation. Beim unterentwickelte Stand der Produktivkräfte — mangelnde Technologie, mangelndes Kapital, mangelnde private Initiative — blieb der Sozialismus inhaltlich zumeist reduziert auf eine ökonomistische Technik: die zentralistische Planifikation Der Rest war Ideologie und Wechsel, gezogen auf die Zukunft.

Daran hat sich nichts geändert; das Problem heißt Wachstum und sozialistische Praxis in der Dritten Welt, das sich verstanden wissen will als Praxis des beschleunigten ökonomischen Wachstums: „Der Sozialismus in den unterentwickelten Ländern leitet sich nicht nur aus der Notwendigkeit einer Umverteilung der Volkseinkommen auf der Basis der sozialen Gerechitigkeit her, sondern primär aus der Notwendigkeit des Wachstums des Einkommens", schrieb der syrische Marxist Elias Morkus Die weltanschauliche Verpackung — zumeist nationaler Sozialismus dieser oder jener Couleur —• ist wie eh Und je berechnet auf die Mobilisierung emotional-moralischer Potenzen und die Befriedigung individualwie gruppenpsychologischer Bedürfnisse. Die Sozialismen armer Gesellschaften sind nationale Ideologien des Wachstums; im günstigen Falle wenigstens. Denn weder tatsächliches ökonomisches Wachstum noch ideologisch-mobilisierteWachstumspotenzen sind nach bisheriger historischer Erfahrung die Regel in den unter sozialistischem Etikett firmierenden Gesellschaften der Dritten Welt. Auch darin sind sich liberale und marxistische Kritiker im wesentlichen einig. Die ökonomische Praxis sei eher auf Stagnation als auf Wachstum angelegt; die . sozialistische'Ideologie eher auf Herrschaft als auf Emanzipation.

Die zwei vorliegenden Fallstudien beanspruchen nicht, eine allgemeingültige Probe auf das sozialistische Exempel in der Dritten Welt zu sein. Die beiden Beispiele bieten indessen --— bei denkbar unterschiedlicher Ausgangs lage und unterschiedlichem historischen Ablauf — aufschlußreiche Parallelen in der sozialökonomischen und ideologischen Entwicklung.

Das Beispiel Ägypten

Die Qualifizierung der ägyptischen Staats-und Gesellschaftsordnung als . sozialistisch'ist das Reservat des Systems selbst. Sieht man ab von jener Art von Kritik, für die jede Abweichung von der traditionellen Norm unter das Verdikt . sozialistisch’ im pejorativen Sinne fällt und als beabsichtigte Diffamierung gedacht ist, so sind es eigentlich nur die Repräsentanten des Systems, die im zwanzigsten Jahr der Revolution für Ägyptens sozio-politische Ordnung den Sozialismus reklamieren. Islamische Reaktionäre und bürgerliche Journalisten finden sich darin gelegentlich in herzlichem Einvernehmen. In einem auch in der BRD verlegten antiprogressistischen Pamphlet des syrischen Islamisten Salah al Munadschid setzt es heiligen Zorn wider den „gottlosen marxistischen Sozialismus" Seit dem Tode des großen Rais — eigentlich schon seit dem Debakel des Jahres 1967 — ist die Intonation der großen Zauberformel . Ischtirakija'(Sozialismus) allerdings verhaltener geworden.

Die Linke aller Schattierungen — vom intellektuellen Neo-Marxismus der westlichen Metropolen mit seinen arabisch-studentischen Affiliationen bis zu den Moskauer und Pekinger Orthodoxien — kennt zwar eine breite Skala von theoretischen Bestimmungen der Schöpfung des Nasserismus, die Bezeichnung . Sozialismus'aber war und ist nicht darunter. Die längst klassische Definition dieses Regimes als staatskapitalistisches System in der Hand und zum Nutzen einer kleinbürgerlich-militärischen Kaste mit diktatorischer Spitze gehört zum eisernen Bestand linksintellektueller Analysen Selten ist in diesen Kreisen die Zubilligung wenigstens tendenziell positiver Qualitäten der nasseristischen Revolution. Außer dem abgewogenen Urteil Abdel-Maleks — dessen Werk über Nassers Ägypten allerdings noch immer als grundlegend gelten kann — und außer einigen freundlichen Bemerkungen linksintellektueller Besucher ist dem Verfasser nichts bekannt, was vom Standardurteil über die kleinbürgerlich-faschistoide Militärdiktatur abwiche

Das Urteil der russischen Marxisten schwankte je nach der politischen Konjunktur zwischen . faschistischer Diktatur'und . antikapitalistischer Volksdemokratie'; den Ehrentitel des Sozialismus mochten sie indessen selbst in den Zeiten des herzlichsten Einvernehmens nicht zugestehen. Zu Beginn der revolutionären Ereignissse in Ägypten glaubte man in der Sowjetunion, es mit einem rechtsorientierten, CIA-inspirierten Militärputsch zu tun zu haben. Seit der Abwendung Nassers vom Westen im Jahre 1955 wurden die Beurteilungen freundlicher. Einen Tiefpunkt gab es noch einmal mit Chruschtschows Ausfall gegen Nassers . Pseudosozialismus'im Jahre 1958. Seither, insbesondere seit Nassers Adaptation des . wissenschaftlichen Sozialismus'im National-pakt von 1962, gilt Ägypten als Gesellschaft auf dem Wege zum Sozialismus. Im Freundschaftspakt vom Juni 1971 bestätigten die'Sowjets ausdrücklich, daß „Ägypten eine sozialistische Gesellschaft zu errichten sucht"

Die Chinesen vermeiden wie üblich die direkte Aussage und begnügen sich mit unverbindlichen Lobpreisungen des antiimperialistischen Heroismus der Völker der VAR Lediglich die staatlich etablierten Marxisten in der Dritten Welt zeigten sich großzügiger in der Zuerkennung dogmatisierter Epitheta.

Um so verschwenderischer ist der 'Gebrauch im Lande selbst. Seit 1961 gilt die sozialistische Orientierung als Leitmotiv für die Vollendung der Revolution. Seit 1962 verpflichtet eine . Nationale Charta'die Bürger der VAR auf den . wissenschaftlichen Sozialismus', und seither wurde der Sozialismus im offiziellen Vokabular für alles und jedes reklamiert: vom ägyptischen Beitrag zur Stärkung des antiimperialistischen Lagers bis zum künstlerischen Schaffen, von der privaten Moral bis zur Benennung und Bezeichnung öffentlicher Einrichtungen und Ämter Die Inhalte va-liierten erheblich und die jeweiligen Definitionen bestachen nicht eben durch begriffliche Schärfe. Auch hatte der ideologische Anspruch nicht unbedingt etwas zu tun mit der ägyptischen Realität; aber nach dem Selbstverständnis des Regimes befand sich das Land im Aufbau des Sozialismus und — je nach Flügel-orientierung — bot der Welt Exemplarisches zum Thema . Sozialismus ohne Klassenkämpf oder trug Bedeutendes bei zur . Schatzkammer des Marxismus-Leninismus

In den nahezu zwei Jahrzehnten seines Bestehens als verbindliche Staatsdoktrin hat der Nasserismus’ eine ganze Skala ideologischer Stationen durchlaufen. Vom eher unpolitischen Nationalismus und Antikolonialismus der ersten Stunde über einen gemäßigt progressiven Pragmatismus der Aufbauphase bis zur Attitüde des radikalen Sozialrevolutionarismus in seiner Glanz-und Niedergangszeit reichte die Spannweite Nasserscher Gesellschaftsmaximen. Die Tendenz im Wandel war eindeutig: sie ging von . rechts'nach . links'— mit Unterbrechung zwar, im ganzen aber stetig und scheinbar konsequent, wenigstens in der Selbstdarstellung des Regimes. Aber war es tatsächlich eine Entwicklung von rechts nach links oder nur eine verbale Scheinbewegung im Herrschafts-und Klasseninteresse? Und weiter: Welches wären die Motive für die Linksdrift gewesen — historische Dialektik, außenpolitische Zufälligkeit oder innenpolitischer Opportunismus? Alle Deutungen besitzen ihr Maß an Richtigkeit, ohne als Einzelerklärung zu befriedigen.

Verbalsozialismus, autoritärer Etatisnius und , neue Klasse

Der durch den Nasserismus in Gang gesetzte und forcierte gesellschaftliche Transformationsprozeß hat tiefgreifende und wahrscheinlich irreversible Folgen gezeitigt — Liquidation des Feudalismus, Staatskapitalismus, beschleunigte ökonomische und soziale Diversifikation etc. —, gemessen am Status quo ante fraglos . fortschrittliche'Folgen. Aber sind es auch sozialistische Erfolge? Oder wurden doch wenigstens Mobilisierungs-und Emanzipationseffekte erzielt, die als sozio-ökonomische und sozial-psychologische Grundlegungen für schnelleres wirtschaftliches Wachstum und größere soziale Gerechtigkeit gelten könnten?

Der innere Entwicklungsgang Ägyptens nach dem Tode des Rais legt mehr denn je schwere Zweifel nahe. Die vom Pathos und Charisma der großen Führergestalt eineinhalb Jahrzehnte verdeckte sozio-politische Realität läßt heute klarer jene Züge erkennen, die ihr von der linken Kritik schon lange attestiert werden. Der radikale Verbalprogressismus des vergangenen Jahrzehnts erweist sich als leere Attitüde ohne das mindeste soziale Fundament in der politischen Machtstruktur des Landes. Der Nasserismus ohne Nasser, reduziert auf seine soziale Trägerschicht, enthüllt sich als das, was er in der Substanz immer gewesen war, als Herrschaftsideologie der aus der Revolution entstandenen Staatsklasse. Die Mühelosigkeit, mit der ein bis dato unpolitischer Kompromiß-Nachfolger Sadat (. Akten-träger des Rais') das linke Dekor des Regimes abstreifen konnte, beweist es: Die Staatsklasse konzentriert sich auf ihr Herrschaftsinteresse und kehrt auch nach außen zurück zur kleinbürgerlich-nationalistischen Philosophie ihrer revolutionären Frühzeit. Sadats Rechtsruck ist nicht das Werk der Reaktion, sondern die allfällige Korrektur eines falschen Bildes.

Aber der Staatsstreich vom 13. Mai 1971 gegen die . Linke'?, die dramatischen Säuberungen des Staatsapparates und der Einheitspartei von Ali Sabri und Genossen? Gab es nicht doch eine beachtliche . Linksfraktion'in Nassers Herrschaftskartell, die jetzt von der . Rechten'liquidiert wurde? Flügelgruppen gab und gibt es in der Tat; auch die Bezeichnungen . rechts'und . links'waren und sind gebräuchlich. Sie wurden zu den Glanzzeiten des Rais gerne zu Demonstrationen nach außen benutzt, je nach außen-oder innenpolitischer Opportunität. Ideologische und soziologische Bestimmungen sind allerdings weniger leicht zu treffen als personale. Weder weltanschau-liebes Bekenntnis noch Klassenlage vermitteln so exakte Zugehörigkeitskriterien für . rechts'und . links 1, wie der Anschluß an eine bestimmte Coterie. Auseinandersetzungen zwischen . rechts 1 und . links 1 im post-nasserschen Herrschaftsestablishment haben kaum etwas zu tun mit ideologischen Kämpfen oder klassenbedingten Konfrontationen, es sind Rivalenkämpfe innerhalb einer mehr oder weniger homogenen Gruppe. Sadats Eliminierung der . Linken 1 illustriert den Befund exemplarisch.

Der . rechte’ Flügel — nationalistisch, nach Neigung und intellektuellem Habitus distanziert prowestlich, wirtschafts-und sozialpolitisch eher technokratisch als liberal — hatte von jeher seine festen Positionen in den staatlichen Machtzentren und in der nächsten Umgebung Nassers. Zakariah Mohiedinne vor allem gehört dazu, ein Mann der allerersten Stunde Berufsoffizier wie Nasser, Mitglied des Exekutivkomitees der . Freien Offiziere 1 seit seiner Gründung im November 1949, Mitglied des Revolutionsrates vom Juli 1952, sodann Innenminister und Geheimdienstchef des revolutionären Regimes, 1965/66 Ministerpräsident, 1967 Vizepräsident und zweiter Mann nach dem Rais, am 9. Juni 1967 von Nasser selbst schließlich als sein Nachfolger vorgeschlagen Den Progressisten galt und gilt er als Verkörperung des bösen Prinzips im Nasserismus, oder genauer, als eigentliche Verkörperung des Nasserismus hinter der Person des Rais Durch und durch Repräsentant der . Neuen Klasse 1 war er es, der in der Reserve stets die . rechte 1 Alternative zum linken Oberflächengeschehen des Regimes darstellte.

Daneben Hassanein Heykal, fast zwei Jahrzehnte lang das . Sprachrohr 1 Nassers und wort-gewaltiger Interpret der Staatsideologie; Chefredakteur der halbamtlichen Al-Ahram, zeitweiliger Informationsminister und ständiger Ghost-Writer seines Herrn Man hat ihn oft als den typischsten Mann der . Neuen Klasse 1 beschrieben: alert, . amerikanisch 1 in einem orientalischen Sinn, entschieden antikommunistisch bei gleichzeitig demonstrativer intellektueller Linkstönung. Als sichtbarstem Symbol des . rechten 1 Establishment galt ihm womöglich der noch größere Haß der vom Nasserismus Enttäuschten als Zakariah Mohiedinne. Bei den ersten Demonstrationen gegen das Regime im Februar 1968 richtete sich die Wut der Arbeiter und Studenten spontan gegen ihn. Man versuchte, seine Redaktion anzuziinden; nur mit knapper Not soll er der aufgebrachten Menge entkommen sein Vier Jahre später, bei den schweren Studentenunruhen gegen die Politik des Nachfolgers Sadat im Februar 1972, das gleiche Bild: Der erste, der von den Studenten namentlich als verantwortlich für die innen-und außen-politische Misere genannt wurde, war wiederum Hassanein Heykal

Hinter diesen Symbolfiguren des . rechten 1 Nasserismus steht die Masse der in zwanzig Jahren der Herrschaft geformten Staatsklasse: die große Mehrheit des Offizierskorps, heute wenigstens in den oberen Rängen; die Masse der im und durch das Regime avancierten Bürokratie; die Reste der alten ci-devant Bourgeoisie, sowie das, was sich im Rahmen des Staatskapitalismus an neuer Bourgeoisie hat entwickeln können; ferner die beachtliche Schicht neuer, durch die Agrarreform geschaffener Landbesitzer Der . linke'Flügel divergiert soziologisch nur um Nuancen von der Rechtsfraktion. Es ist dieselbe Staatskaste, die ihn stützt: Teile des jüngeren Offizierkorps und der jüngeren Staatsintelligentsia. Die ideologischen Divergenzen sind minimal. Proöstlich mehr aus nationalistischer Opportunität denn aus Überzeugung, sehr viel mehr technokratisch-dirigistisch als sozialistisch, keinesfalls kommunistisch. Vita und politische Karriere ihrer bekanntesten Repräsentanten bezeugen dies zur Genüge: Ali Sabri, in der westlichen Presse als . unheimlicher Mann Moskaus'apostrophiert, als „graue Eminenz, die in Wirklichkeit Nasser am Zügel" gehalten habe, paßt ebenso perfekt in das Nassersche Machtkartell wie ein Zakariah Mohiedinne. Auch er ist Berufsoffizier und Mann der ersten Stunde. Auch er durchlief eine steile Karriere in der nächsten Umgebung Nassers (diverse Ministerämter, 1964/65 Premierminister und Generalsekretär der Arabischen Sozialistischen Union [ASU], nach dem Tode des Rais Vizepräsident). Dabei lassen sein Herkommen und seine politische Verwendung unter Nasser an alles andere denken als an linken Radikalismus. Ali Sabri ist Cousin der Königin Farida, seine Famile zählt zu den ersten der alten herrschenden Aristokratenkaste. Noch Anfang der sechziger Jahre galt er als wichtigster Verbindungsmann zum Westen; sein Aufstieg diente Abdel Malek, dem brillanten Analytiker des frühen Nasserismus, zum Nachweis der pro-westlichen Orientierung der Revolution In den großen sozialpolitischen Grundsatz-debatten der sechziger Jahre fiel ihm die Aufgabe zu, die Ängste vor dem Sozialismus zu beschwichtigen. Nicht um das Privateigentum zu beseitigen seien die Verstaatlichungen vorgenommen worden, sondern im Gegenteil, um seine Basis zu verbreitern — so hatte er Nassers Schlag gegen die Banken im Juli 1961 öffentlich abzuschwächen Nichts jedenfalls von enragiertem Sozialismus.

Wenig mehr an linker Profilierung bietet das andere prominente Opfer der Säuberung Sdats, Chaaroui Gomaa. Die übliche Herkunft und Karriere: Berufsoffizier, Geheimdienstchef und Innenminister; nach dem Tode Nassers Vize-Premier und . starker Mann'des Regimes. Als Polizei-und Geheimdienstchef erwarb er sich den gleichen Ruf der Skrupellosigkeit in der Wahl der Mittel wie ein Zakariah Mohiedinne und ein Ali Sabri. Die blutige Unterdrückung der Arbeiter-und Studentenunruhen vom Februar und November 1968 standen unter seiner Verantwortung Allgemein galt er als ein Mann striktester Nasserscher Orthodoxie; sich selbst bezeichnete er gerne als , lOO°/oigen Nasseristen 1962 soll er in Suez ein . Institut für sozialistische Studien'eingerichtet haben, auch soll er besonders scharf gegen die verbotene Moslembruderschaft vorgegangen sein. Darin erschöpfen sich bereits die von ihm bekannt-gewordenen Taten, die auf linke Tendenzen schließen lassen könnten. Gomaa ist ganz der Herrschafts-Technokrat, wie ihn das Regime als Typus hervorgebracht hat.

Was ihn und die gesamte . Linksfraktion'von Sadat, Mohiedinne und Heykal unterscheiden mag, ist der größere Rigorismus in der Anwendung der etatistischen Technokratie. Dies alles aber hat weniger mit Sozialismus zu tun als mit bürokratischem Autoritarismus, wie er seit einigen Jahrtausenden, mal weniger mal mehr, in Ägypten die Regel ist Wie nichts-sagend das linke Etikett ist, zeigt sein Gebrauch zu beliebigem Zweck. In einer DDR-Publikation des Jahres 1968 figuriert Zakariah Mohiedinne noch als Progressist zwölf Jahre zuvor wurde der fromme Sadat von rechts gar als übler Kommunist verdächtigt

Freilich, der Gestus war . links'im Nasserstil der sechziger Jahre. Sozialistische Phraseologie mit Volkskult und klassenkämpferischem Pathos wurde überreichlich produziert. Den . Volksfeinden', Saboteuren', . Profitjägern'im sozialistischen Schafspelz wurde unbarmherzig der Prozeß gemacht, wobei Formulierungen gelangen, die präzise die eigene Position definierten Wie wenig das linke Imponiergehabe bedeutete, zeigte der Gang der Ereignisse. Am 13. Mai 1971 regte sich keine Hand zur Verteidigung der , Progressisten'. Der Prozeß und die Verurteilung der Linksfraktion verliefen unter völliger Teilnahmslosigkeit der Öffentlichkeit. Die Anklage lautete auf Hochverrat. Den 91 Angeklagten aus dem Staats-und Parteiapparat warf der . sozialistische Generalstaatsanwalt'Verschwörung gegen den Staatspräsidenten und den beabsichtigten Umsturz des „republikanischen Charakters" der politischen Ordnung des Landes vor

Die Rechtskorrektur des Nasserismus durch so oben gesagt, war gleichsam Sadat, wurde die Rückkehr zu seinen sozialen Quellen. Die Staatsklasse entledigte sich ihrer linken Opportunisten und des lästigen linken Moralismus, die ihr der Spätnasserismus beschert hatte. „Unter Sadat... ist Privateigentum keine Sünde mehr." Die post-nassersche Liberalität erlaubt der Staatsklasse den reuelosen Genuß ihrer Privilegien. Und gäbe es nicht die Suez-front mit ihren fatalen innen-wie außen-politischen Zwängen, so käme die allgemeine Liberalisierung einer Liquidation des seit den Jahren 1961/62 eingeschlagenen . sozialistischen'Kurses gleich: Stopp der Verstaatlichungen und Garantie für ausländische Kapitalinvestitionen endgültiges Limit für die Agrarreform allmähliches Wiedereinrücken der alten Notabeinschichten in politische Positionen demonstrative Aufwertung des Islam als soziales Strukturprinzip der ägyptischen Gesellschaft Abkehr vom , Arabismus', dem einstigen Kernstück von Nassers ideologisch-machtpolitischer Orientierung.

Um so kurioser wirkt die weiter bemühte sozialistische Attitüde. Der erste Profiteur des 13. Mai, der nachmalige neue Ministerpräsident Aziz Sidki, beeilte sich, den Sturz der Sabri/Gomaa-Fraktion als großen Sieg für die Erhaltung der . sozialistischen Errungenschaften'zu feiern In der neuen Verfassung, in der bereits im zweiten Artikel ein Wunschträum aller Reaktionäre verankert ist, daß nämlich die Sharia, das islamische Recht, Hauptquelle der Gesetzgebung sein solle, und deren Artikel 19 stipuliert, daß „der Religionsunterricht Hauptgegenstand im allgemeinen Erziehungsprogramm" ist — in dieser Verfassung wird im ersten Artikel feierlich versichert, daß die „Arabische Republik Ägypten ein demokratischer und sozialistischer Staat, basierend auf der Allianz der werktätigen Schichten des Volkes", sei Vom militärischen Allianzpartner läßt man sich vertraglich den sozialistischen Ehrgeiz bestätigen während die , hauseigenen'Links-intellektuellen den seit Nassers Abgang zu verzeichnenden Progress bejubeln müssen Am linken Dekor wird festgehalten, denn es erfüllt wichtige innen-wie außenpolitische Funktionen. Noch sind die Erinnerungen an Ägyptens Führungsrolle in Sachen Antiimperialismus Ende der fünfziger Jahre nicht ganz verblaßt. Hinzu kommt, daß dem ungeliebten militärischen Allianzpartner die gebührende ideologische Reverenz erwiesen werden muß. Am wichtigsten aber ist vielleicht das Auftreten eines ganz neuen innenpolitischen Phänomens von höchst beunruhigender Qualität: die wachsende Linksopposition von unten. Um diese Linksopposition — die immerhin schon die Massen zu mobilisieren in der Lage ist, sei es vorerst auch nur aus nationalistisch-antiisraelischem Anlaß — nicht unnötig zu reizen, bleibt es beim sozialistisch-populistischen Aufputz

Aber die Akzente im progressistischen Sprachgebrauch signalisieren dennoch den Bedeutungswandel. Kernbegriffe wie Sozialismus und Demokratie geraten wieder in die Nähe der islamischen Interpretationen. In der Praxis meinen sie Staatsautoritarismus und Paternalismus, ganz wie zu Beginn der Revolution.

Die sozial-ökonomische Bilanz des Nasserismus

Anuar Abdel Malek hatte sein Portrait der Ägyptischen Militärgesellschaft'im zehnten Jahr der Revolution abgeschlossen einerseits mit einem eindeutigen Urteil über die Herrschaftspraxis („autocratique, paternaliste, etatique") und ihrer sozialen Trägergruppe („elites militaires et technocrates"), andererseits aber in der Überzeugung, die Eigendynamik des begonnenen Werkes werde einer sozialistischen Zukunft den Boden bereiten (.. l'etape actuelle . . . une base de depart objectivement valable pour un developpement ulterieur en direction du socialisme"). Im zwanzigsten Jahr der Revolution hat die Systemanalyse nichts von ihrer Richtigkeit verloren. Was aber ist aus der prognostizierten sozio-politischen Eigendynamik geworden? Trotz Assuan-Damm und nicht unbeträchtlich vorangetriebener Industrialisierung steht Nassers ökonomische Hinterlassenschaft tief im Debet. Der verlorene Juni-Krieg und vor allem die ungeheure demographische Explosion haben daran ihren fatalen Anteil. Aber sie doch nicht allein. Die beiden Agrarreformen von 1952 und 1961 haben weder volkswirtschaftlich noch sozialpolitisch befriedigende Ergebnisse gebracht. Im Jahre 1967 betrug die Baumwollproduktion, das wichtigste Exportprodukt, 8, 7 Millionen Kantars — aber bereits im Jahre 1901 waren es 8 Millionen gewesen, nur daß in der Zwischenzeit sich die Bevölkerungszahl verdreifachte Durch die beiden Agrarreformen hatten bis zum Jahre 1968 ca. 300 000 Familien Land erwerben können — aber 14 Millionen Landbewohner sind noch immer ohne Land, während em neues Mittelbauerntum (Rene Dumont spricht geradezu von einem . Kulakentum') am ehesten von den Staatsanstrengungen profitiert

An der desparaten Lage der Fellachen hat sich nichts geändert, weder an ihrem ökonomischen noch an ihrem sozialen Status. Eric Rouleau berichtete im Jahre 1963 von ausgebeuteten Kleinbauern, die nicht daran dächten, sich auf ihr Recht zu berufen — aus Angst vor den dörflichen Autoritäten, dem Ma'mur (Polizeichef), dem Omdeh (Bürgermeister), dem Gafir (Aufpasser), wie zu Vizekönigs, Paschas und Pharaos Zeiten Rene Du-mont, gewiß einer der intimsten Kenner ländlicher Verhältnisse überall auf den drei Kontinenten, schrieb im Jahre 1969 zum Fall Ägypten: „Nulle part au monde je n'ai trouve un mepris si pousse du petit paysan pauvre et surtout du salarie sans terre." Das als Hebel zur friedlichen Transformation in Richtung Sozialismus hoch gepriesene Kooperativwesen hat vielfach der alten Grundbesitzerklasse zur stillen Rückkehr verhelfen. Oft genug geschah es, daß die Schlüsselpositionen der Genossenschaften wie selbstverständlich der alten Ortsnotabilität zufielen, die dann wie eh und je das ökonomische Geschehen monopolistisch beherrschte

Noch typischer wurde ein anderer Entwicklungsprozeß. In den sogenannten Agrarreformgenossenschaften, die auf dem durch die beiden Agrarreformen verteilten Land entstanden, hat sich ein eigener Agrarmonopolismus in Gestalt der staatlich bestellten Aufsichtsbeamtenschaft gebildet, der Musterbeispiel als für die von Wittfogel beschriebene Herrschaftspraxis der klassischen . Orientalischen Despotie'in den sogenannten hydraulischen Gesellschaften'gelten könnte Der vom Staat bestellte Musrif verfügt über das Kapital, die Gerätschaften, die Dünger-und Pflanzenschutzmittel, das Saatgut der Kooperative; die Genossen sind seinen Entscheidungen praktisch unterworfen, von demokratischer Selbstbestimmung oder auch nur Mitbestimmung ist in der Mehrzahl der Fälle keine Rede. Der alte Dorfdespotismus wurde nur durch einen neuen, effektiveren ersetzt

Die Industrialisierungsbemühungen sind gewiß aller Anerkennung wert — nur sind sie bis jetzt wenig profitabel Selbst die Prunk-stücke der ägyptischen-Schwerindustrie, die Eisen-und Stahlkomplexe von Heluan, arbeiten unwirtschaftlich. Es ist ein offenes Geheimnis, daß der Eisen-und Stahlimport wesentlich billiger käme als die Eigenproduktion. Nach den phantasievollen Visionen des Regimes, genannt Fünfjahresplan, müßte die Vollindustrialisierung schon bereits erreicht sein. „En 1970", prophezeite 1963 der Rais, „nous aurons des Industries lourdes, nous fabriquerons nous-memes les machines que nous n’aurons plus ä payer ä Petranger, nous aurons releve le grand defi de l’independance economique." Im ersten Fünfjahresplan (1960—65) projektierte man Wachstumsraten, Investitionsaufkommen und Außenhandelsüberschüsse von fabelhaften Höhen. Im Jahre 1965 wollte man so weit sein, seinerseits Entwicklungshilfe leisten zu können Plan-erfolgsmeldungen dagegen entbehren, wenn sie zutreffen, nicht selten der bitteren Ironie. Ali Sabri mußte 1966 eingestehen, daß die Planziele auf dem industriellen Sektor bestenfalls zu 50 % erreicht wurden — dagegen sei aber die Aufstockung der Beamtenschaft zu 150% gelungen Die Auslandsverschul-düng ist monströs. Schon am Vorabend des 7-Tage-Krieges soll sie bei 500 Millionen ägyptischen Pfund gelegen haben, ungefähr dem zweifachen des jährlichen Exportertrages. Heute dürften die Bilanzen wesentlich schlechter aussehen. Abgesehen von der unbekannten Höhe der Verschuldung gegenüber der Sowjetunion und dem Ostblock beliefen sich die in der Statistik der Weltbank aufgeführten Kredite 1969 auf 1, 7 Milliarden Dollar. Die Verschuldung allein gegenüber der Bundesrepublik soll bei einer Milliarde Mark liegen Die Inflationsrate ist extrem. Etwa im Zweijahresrhythmus verlor das ägyptische Pfund in der vergangenen Dekade 30 % seiner Kaufkraft auf dem Binnenmarkt

Hat die soziale Bilanz positivere Ergebnisse aufzuweisen? Von der kaum veränderten Klassenlage der kleinbäuerlichen Volksmehrheit nach zwanzig Jahren der . Revolution'wurde bereits gesprochen. Wie aber steht es mit dem anderen Teil der . werktätigen Massen', dem Proletariat, dem seit der sozialistischen Wendung im Sprachgebrauch der Revolution immer größere Bedeutung zu-kam?

Anders als in der Mehrzahl unterentwickelter Gesellschaften gibt es in Ägypten seit langem ein Proletariat. Es kann sogar auf eine beachtliche Tradition des organisierten Arbeitskampfes zurückblicken Angaben über seine numerische Stärke sind, wie stets beim quasi-totalen Mangel zuverlässiger Statistik, nur mit Vorsicht zu benutzen, fraglos stellt es indessen eine wichtige Potenz im sozio-politischen Geschehen dar Gemessen am Elend der Massen des bäuerlichen Subproletariats ist die ägyptische Industriearbeiterschaft eine privilegierte Klasse. Ihre Arbeits-und Lohnbedingungen sind gesetzlich geregelt, die Lebensverhältnisse sind erträglich — immer gemessen an denjenigen der großen Mehrheit des Volkes Aus dieser relativen Wohlbefindlichkeit meinte man lange Zeit auf das system-konforme Verhalten der Industriearbeiterschaft schließen zu können. Hassan Riad nannte es in seiner Studie über das Ägypten Nassers einen fatalen Irrtum, im Industrieproletariat revolutionäre Tendenzen vorauszusetzen. Dies, so meinte er, sei ein Hauptgrund für das Scheitern aller bisherigen kommunistischen Bemühungen

Wenn dies für die Glanzzeiten des Nasserismus gegolten haben mag, für seine Niedergangszeit gilt es offensichtlich nicht mehr. Seit 1966 gehören Streiks und Arbeiterdemonstrationen wo nicht gerade zur Tagesordnung, so doch zum Erscheinungsbild des politischen Geschehens. Die Anlässe sind an der Oberfläche zwar meist militant-nationalistischer Art (am Tage der Niederlage im Juni-Krieg 1967 forderten die Arbeiter in tumultuarischen Aufläufen die allgemeine Volksbewaffnung; in der sog. Februarrevolte 1968 ging es gegen die milden Urteile in den Prozessen gegen die Verantwortlichen der Niederlage; bei den Novemberunruhen 1968 wurde gegen vermutete ägyptisch-israelische Geheimverhandlungen demonstriert; im Januar/Februar 1972 demonstrierten die Arbeiter von Heluan und Choubra zusammen mit den Studenten gegen die Schwankungen der Sadatschen Israel-Politik), aber in ihrer Substanz richtete sich die Unruhe doch gegen das Regime. Der Zorn über die Ohnmacht gegenüber dem äußeren Feind verdichtete sich seit 1967 zur Kritik nach innen Suchte man zu Anfang die Gründe für die Misere noch im Versagen einzelner Personen, so richtete sich allmählich die Erbitterung gegen das System. Freilich bleibt Israel das beherrschende Thema, aber aus dem Thema Israel fließen wie von selbst die Argumente gegen das Regime. Im Februar 1968 lauteten die Parolen der rebellierenden Arbeiter in den Vorstädten Kairos neben „Keine Gnade für die Verräter" u. a. auch „Kein Sozialismus ohne Freiheit". Bei den Novemberunruhen 1968 skandierten Arbeiter und Studenten in Alexandria „Gomaa Mörder" und „Nasser zurücktreten" Im August 1971 schließlich streikten die Stahlarbeiter von Heluan offen gegen das Regime Sadat. Es wäre gewiß absurd, hieraus Schlüsse auf eine demnächst zu erwartende proletarische Revolution zu ziehen. Bisher gelang dem Regime die Repression spontaner Unruhen noch ohne Schwierigkeiten. Zudem ist der soziale Abstand zwischen dem Industrieproletariat und den subproletarischen Massen zu groß, als daß eine revolutionäre Bewegung auf jene übergreifen Dennoch, könnte.

ägyptische die Industriearbeiterschaft, obwohl sozial privilegiert, artikuliert sich im Verein mit der studentischen Intelligenz als oppositionelle Gruppe — ein überaus bemerkenswertes Phänomen in einer unterentwickelten Gesellschaft, die sich zudem noch als sozialistisch verstanden wissen will.

Am vernehmlichsten oppositionell äußern sich die Studenten. Wie anderswo audi stellen sie als aktionistische Speerspitze der unruhigen Intelligenz das eigentlich radikal-oppositionelle Potential. Ihr demonstratives Auftreten ist keineswegs neu. Jahrzehnte vor der Wendung zur radikalkritischen Distanz nach innen in den Metropolen haben die Studentenschaften in kolonialen oder halbkolonialen Gesellschaften gegen die herrschenden politischen Verhältnisse protestiert. In Ägypten reichen die Proteste der akademischen Jugend gegen Fremdherrschaft und unpatriotisches Establishment zurück bis in die frühen dreißiger Jahre. In der Nachkriegszeit stellte sie die Militanten aller radikalen Bewegungen, sofern diese sich nur extrem nationalistisch gebärdeten.

Interessant ist dabei der Umstand, daß studentische Militanz in jener Zeit sich gesellschaftspolitisch eindeutig rechts bis rechtsextrem orientierte. Die halbfaschistischen , Grünhemden'Ahmad Husseins und vor allem die Moslembruderschaft hatten ungleich größere Erfolge in der ägyptischen Studentenschaft als sozialistische oder gar kommunistische Gruppen. Die Angaben Said Ramadans, eines führenden Theoretikers der Bruderschaft, wonach 85 % aller organisierten Studenten dem Ikwan al-Muslimun angehört hätten, dürften zeitweilig den Tatsachen nahegekommen sein Die Totalopposition zum überlagernden Westen, wie sie die Bruderschaft in buchstäblich jeder Beziehung anbot, entsprach dem nationalistischen Bedürfnis eben mehr als die diffizile sozialistisch-internationalistische Theorie.

Unter Nassers Regiment gab es bis gegen Ende zwar keine studentischen Aufläufe mehr, aber eine schleichende . Krise der Intellektuellen', die das Regime nicht wenig beunruhigte. Seit dem Juni-Debakel von 1967 sind sie wieder Januar/Februar Im 1972 erreichte die studentische Agitation ein Ausmaß, daß für einen zumindest Sadats Präsidentschaft gefährdet schien, um so mehr, als das städtische Proletariat mitzog.

Noch immer sind die Motive primär nationalistisch — verschärft und vertieft durch das in viele Dimensionen des kollektiven Selbstbewußtseins wirkende Trauma Israel —, noch immer mischen sich Elemente nativistischer Re-aktion in den Protest aber der innen-und gesellschaftspolitische Bezug ist unüberhörbar. Aufhebung der Zensur, Abschaffung der Ein-Mann-Kandidaturen bei den Wahlen, Protest gegen diskreditiertes Personal, so lauteten die fast ultimativen Forderungen der Studenten im vergangenen Januar neben den Kriegsparolen gegen Israel.

Ist diese Kritik marxistisch, vergleichbar der studentischen Kritik in den Metropolen? Sicherlich in der Argumentation — nicht zuletzt unter dem Eindruck der marxisierenden palästinensischen Guerillas. Aber bei der notorischen Unfähigkeit kommunistischer Kaderbildung — die KP Ägyptens löste sich 1965 auf — ist die Aussicht auf eine Umsetzung von der marxistischen Theorie in materielle marxistische Praxis ziemlich gering. Und die . herrschende Klasse'selbst? Gibt es Tendenzen „pour un developpement ulterieur en direction du socialisme" (Malek)? Haben sich Veränderungen ergeben in der . Staatsbourgeoisie'(Hassan Riad), im , militärisch-technokratischen'Establishment (Abdel Malek), in der , bonapartistischen Kleinbourgeoisie'(Bassam Tibi) oder wie immer sonst die Etikettierungen lauten mögen?

Die . herrschende Klasse'hat seit der Revolution durchaus einen Wandlungsprozeß durchlaufen. Sie entwickelte sich aus dem reinen Säbelregiment der ersten Phase über ein militärisch-technokratisches Zwischenstadium zur bürokratischen Staatskaste mit quasiKlassencharakter. Für sie trifft exakt Regis Debrays Bemerkung über bestimmte lateinamerikanische Verhältnisse zu, wonach die Machtelite „nicht nur den Staat in ein Werkzeug politischer Vorherrschaft (umformt), sondern auch in eine Quelle ökonomischer Macht". Die allgemeine Bürokratisierung hat die militärisch-technokratische Elite in einen so engen Interessenzusammenhang mit den ökonomischen Grundstrukturen gebracht, daß man von einer Staatsklasse sprechen kann. Ihr ideologischer überbau, der Nasserismus, blieb im Kern allerdings derselbe: Nationalismus im politischen und paternalistischer Etatismus im sozialen Bereich. Nichts von Sozialismus in Theorie und Praxis jedenfalls — trotz zeitlig gewaltiger rhetorischer Bemühungen.

Der Putsch vom 22. Juli 1952

„In Ägypten ist das Heer allzeit ein Wahrer freiheitlicher Gesinnung gewesen, ein Werkzeug der Ordnung und des sozialen Fortschritts."

Anwar El Sadat, Geheimtagebuch der ägyptischen Revolution.

Die sozialpolitischen Absichten der . Freien Offiziere'am Tage nach ihrer Revolution blieben ganz im Rahmen dessen, was von einer jungen Militärjunta kleinbürgerlichen Herkommens in einem halbfeudalen und noch immer halbkolonialen Gesellschaftsrahmen zu erwarten gewesen war. Was auf linke Neigungen schließen lassen mochte, meinte einfach ökonomischen oder allgemein zivilisatorischen Fortschritt. Was auf sozialrevolutionä-res Engagement hätte hinweisen können, war eher Teil des nationalistischen Credos. Die Revolution des 22. Juli 1952 ging aus einem Militärputsch hervor — einem vergleichsweise undramatischen Militärputsch, dem sich niemand in den Weg stellte und dessen erste Tat, die Beseitigung Faruks und seiner Dynastie, den einhelligen Beifall des Landes fand. Der erste Mann an der Spitze, General Naguib, konnte kaum revolutionäre Ängste oder Hoffnungen erregen — eher schienen, zog man die persönlichen Konnexionen eines Teils der Junta in Betracht, entgegengesetzte Erwartungen gerechtfertigt überhaupt hatten die Revolutionäre des 22. Juli nichts weniger im Sinn als die etwaige Durchsetzung eigener sozio-politischer Ordnungsvorstellungen. Ihre Führer bekannten unentwegt ihre Entschlossenheit, nach vollbrachter Tat in die Kasernen zurückzukehren und die Geschicke des Landes den Politikern zurückzugeben. Was darüber hinaus bekannt wurde, klang kaum nach grundstürzender Programmatik. Die Bekundungen, den Feudalismus liquidieren und den Einfluß des fremden Kapitals bremsen zu wollen, oder die Bekenntnisse zu . sozialer Gerechtigkeit'und . gesundem demokratischen Lebens', hielten sich im Rahmen jenes vagen Progressismus, wie er typisch wurde für den nationalistischen Elan postkolonialer Revolutionen. Die zitierten gesellschaftspolitischen Forderungen finden sich im ersten Programm der Freien Offiziere, in den sog. . Sechs Prinzipien'. Das Datum ihrer Fixierung ist ungewiß. Sadat schreibt in seinem . Geheimtagebuch der ägyptischen Revolution', sie hätten schon während des Zweiten Weltkrieges als Plattform für die sich formierende Opposition gedient. Nasser dagegen berichtet, daß es Schriftliches darüber nie gegeben habe. Am Vorabend der Revolution von 1952, so viel scheint gewiß, bildeten die . Sechs Prinzipien'das Grundsatzprogramm für den geplanten Staatsstreich

Kurz, die Revolution vom 22. Juli schien nationalistisch, antikolonialistisch und in einem allgemeinen, eher technisch als politischen Sinn progressistisch — und sie war es auch, wenigstens in ihrer ersten Phase. Westliche und östliche Beobachter hatten gleichermaßen den Eindruck des klassischen Militärputsches eher . rechter'Provenienz. Niemand versah sich gesellschaftspolitischer Konsequenzen, es sei denn solcher reaktionärer Art

Dennoch entspricht das Bild vom unpolitischen Militärputsch nicht der historischen Realität. Keine Rede konnte sein von der geschlossenen Front der Braven, die, jenseits vom Zank und Hader der Parteien, nichts im Kopf und Herzen trugen als das Vaterland allein. Das farblose Allerweltsprogramm war mehr Kompromiß als Ausdruck der Einheit im politischen Willen. Die . Sechs Prinzipien'stellten das Maximum dessen dar, was bei den unterschiedlichen ideologischen Neigungen der revolutionären Gruppe an Gemeinsamkeit zu erreichen war. Zwar bildeten gemeinsamer Stand (Offizierskorps) und annähernde Homogenität des sozialen Herkommens (Kleinbürgertum) eine solide Basis grundsätzlicher Interessen-und Überzeugungsidentität; die Verschiedenartigkeit der intellektuellen Formation, der Charaktere, der familiären und gesellschaftlichen Verbindungen schlug sich indessen in einem breiten Spektrum divergierender ideologischer Überzeugungen nieder. Von Sympathisanten des Marxismus über Westler'mit liberalen Neigungen bis hin zu Militanten der reaktionären Moslembruderschaft war so ziemlich alles vertreten, was sich gerade noch auf einen gemeinsamen nationalistischen Nenner bringen ließ. Unter den zehn Mitgliedern des . Exekutivkomitees der nach dem Palästinakrieg von 1948 reorganisierten Verschwörergruppe gab es Männer der extremen Rechten wie Kemal Eddine Hussein, ein aktives Mitglied der Moslembruderschaft, und Kaled Mohiedinne, den , roten Major', der, wenn nicht eingeschriebener Kommunist, so doch überzeugter Sozialist war und dem theoretischen Kenntnisse seine des Marxismus verdanken soll. Was Nasser selbst anging, So’war allerdings sein weltanschaulicher Standort so ungewiß, daß gleichzeitig die konträrsten Vermutungen noch einen Anschein des Möglichen für sich hatten. Nasser soll gewesen sein: Kommunist (nach Ahmed Aboul Fath, L'affaire Nasser); Mitglied der faschistischen . Grünhemden'(nach Georges Vaucher); Mitglied der Moslembruderschaft (nach Ishak Musa Husaini); Agent des CIA (nach Mikes Copeland)

Was zehn Jahre später als gemeinsames Klasseninteresse den soliden Sockel der Kohäsion bilden sollte, das mußte zu Anfang die gemeinsame Ideologie leisten. Der Nationalismus bietet das ideale Medium; in der Phase antikolonialer Emanzipation erscheint die nationalistische Basis als hinreichend tragfähig. Vor dem Hauptwiderspruch der kolonialen oder halbkolonialen Situation haben . innere'Divergenzen keinen Bestand. Dies um so mehr, als das Vertrauen in die universale Schöpferkraft der befreiten Nation noch ungebrochen ist und der idealistische Glaube noch nicht Schaden genommen hat, Tradition und Revolution, rechts und links müßten im nationalen Ganzen zu vollkommener Harmonie zusammenfinden.

Nationalismus und militärischer Missionarismus

In Ägypten besaß dieser . nationale Glaube’ am Tage der Revolution bereits eine mehr als 50jährige Tradition. Unter seinem Etikett ließen sich so ziemlich alle politischen Gruppierungen vereinen. Ägyptischer Islamismus, Liberalismus und Sozialismus gerierten sich seit der Jahrhundertwende vor allem und in zunehmendem Maße nationalistisch oder zeigten sich doch bemüht, ihre politische oder philosophische Überzeugung mit der Essenz des Nationalismus in Zusammenhang zu bringen, wenn nicht gar zu identifizieren. Die ägyptischen Liberalen großbürgerlichen Herkommens von Mustafa Kamil über Saad Zaghlul bis Taha Hussein stellten ihre philosophisch-politischen Prinzipien noch stets unter den Primat des . Nationalen Glaubens'.

Mustafa Kämil (1874— 1908), der geistige Führer der ägyptischen Nationalbewegung um die Jahrhundertwende, brachte den Gehalt des antikolonialistischen Nationalismus auf die einfache Formel: „Der Mensch braucht keine Wissenschaft, keine Philosophie und keine Erfahrung, um auf die Frage: . Was ist deine Meinung darüber, daß die Engländer dein Land besetzt halten?'zu antworten: , Ihr Abzug ist das Ziel meiner Hoffnungen, und das Wirken dafür ist meine heiligste Pflicht." Vor dieser ersten und einzigen Aufgabe verschwammen die ursprünglichen politischen und sozialen Inhalte des bürgerlichen Progressismus zu undeutlichen Metaphern. Freiheit, Demokratie und zivilisatorischer Fortschritt besaßen ihren Stellenwert in der nationalen Ideologie je nach ihrer Nützlichkeit im Dienste des Unabhängigkeitskampfes, und wo sich Konflikte einstellten, wurden sie ohne Zögern im Sinne der , nationalen Notwendigkeit'gelöst. Noch bevor eine geistige . Renaissance'breitere Schichten zum Bewußtsein der Eigenwertigkeit individueller Existenz hätte bringen können und bevor eine . Aufklärung'den Sinn für politische Rechte und bürgerliche Pflichten vorzubereiten vermocht hätte, forderte der neue Kult des säkularen Kollektivs Unterordnung, Hingabe und bedingungslose Opferbereitschaft. Mustafa Kämil und sein Kreis entdeckten für den Orient die Nation als Kollektivpersönlichkeit mit quasi-metaphysischem Rang.

Unter extremem äußeren Druck erfuhr das soziale Kollektiv im säkularisierten Bewußtsein der jungen Intelligentsia seine Resakralisierung. Frei nach europäischen Vorbildern gewann die Nation das Ansehen der ursprünglichen, natürlichen und vollkommenen sozialen Einheit, unabhängig vom politischen Willen und jenseits des voluntaristischen Gestaltungsvermögens der ihr Zugehörigen. Im Verständnis der jungen Nationalisten wurde die Nation gleichsam zur sozialen Entität , von Gottes Gnaden'und war darin anzusehen als das schöpferische Prinzip aller kulturellen und zivilisatorischen, ja eigentlich aller humanen Werte überhaupt. In ihr erfährt die Vereinzelung ihre Aufhebung in eine höhere Individualität, in der sich die Verbindung mit dem Ewigen und Göttlichen vollzieht: „Der Patriotismus ist die Stütze jedes Reiches und die feste Grundlage jedes Staates. Er ist der Geist, der in jedem Land der zivilisierten Welt wirkt. Er ist die Mutter der Wunder und die Quelle jedes Fortschritts und Aufstiegs. Der Patriotismus führt ein barbarisches Volk in wenigen Jahren zur Kultur, Leistungsfähigkeit und Macht. Er ist das Blut in den Adern der Nationen und das Leben für jedes Lebewesen. . . . Patriotismus ist Wissen . .. um die Gnade und Fürsorge Gottes, um den Wert und die Würde des Menschen, um den Sinn des Daseins selbst." Das Vaterland ist „die beste Gabe des Barmherzigen", und die Qualität höheren Mensch-Seins offenbart sich im Begreifen der existentiellen Beziehung zum nationalen Kollektiv Es versteht sich, daß die individuelle menschliche Existenz ihren Wert und Belang bei diesem quasi-religiösen Verständnis der Nation nur im Hinblick auf deren Interessen erhält. Nationalismus ist säkularer Gottesdienst, und was dem Gläubigen als höchste Vollendung die mystische Vereinigung mit der Gottheit ist, das ist für den Patrioten das , Aufgehen'in der Nation. Die logische Konsequenz: „Die Krönung des Patriotismus ist der Tod für das Vaterland." über Erfolg oder Mißerfolg einer politischen Partei, eines politischen Programms oder einer Bewegung entschied der Grad der Kompromißlosigkeit, mit der sie die Unabhängigkeit forderten, und kaum ihre ideologische Ausrichtung. Die Programme der erfolgreichsten politischen Bewegungen aus dieser heroischen Epoche enthielten in der Regel nur den einen Punkt „ ... to seek the complete independence .. unter mehr oder minder ausdrücklichem Verzicht auf weitere politische und soziale Absichten oder weltanschauliche Grundlegung

Auch die Linke formulierte zuerst einmal nationalistisch-antiimperialistisch: „It is impossible for a socialist to think of any socialist program as long as national independence is not fully realized", schrieb der große alte Mann des demokratischen Sozialismus in Ägypten, Salama Musa

Ganz besonders nationalistisch gerierte sich seit den dreißiger Jahren der militante Islamismus. Hassan al-Banna, der Gründer der Moslembruderschaft, verkündete, „die Muslime sind die am meisten nationalistischen Menschen, denn der Nationalismus wurde ihnen von Gott aufgegeben" Unter diesem Tenor stand bis in die sechziger Jahre eine Flut islam-apologetischer Schriften zum Thema Islam und Nationalismus. Der Widerspruch zum religiösen Universalismus wurde biswei-len auf recht originelle Weise gelöst. Arabischer Nationalismus im Islam sei deshalb besonders legitim, weil die Araber ja die ersten Bekenner des Islam gewesen waren, und so drängte sich denn der naheliegende Vergleich auf: „We can say that the position of the Arabs in Islam is like that of the Russians in Communism."

Der institutionalisierte Träger des . nationalen Glaubens'ist das Militär, genauer das Offizierskorps. Das gilt für so ziemlich alle Offizierskorps, seitdem das nationale Prinzip die feudalständisch-absolutistische Raison d'ßtre des Militärs abgelöst hat. In ganz besonderem Maße gilt es für die Offizierskorps politisch postkolonialer und gesellschaftlich unterentwickelter Nationen. Hier sind sie es häufig allein, die das nationale Prinzip sichtbar verkörpern — und das keineswegs nur in einem symbolischen Sinn als Repräsentanten des Abstraktums Nation. In unterentwickelten Gesellschaften, deren Loyalitätsbindungen noch weithin vorpolitisch sind (personal-patriarchalisdi oder religiös), fungiert das Militär buchstäblich als . Schule der Nation'. Die Armee vermittelt das Bewußtsein der Zugehörigkeit zum überpersonalen Großkollektiv, sie übt den Pflichten-und Gehorsamskodex gegenüber der Staatsgewalt ein, sie motiviert die Abgrenzung nach außen — sie ist das „Nation-Building Instrument" (Edward Shils) par excellence.

Aber sehr viel mehr noch: Durch die allgemeine Wehrpflicht kommt die Mehrzahl der männlichen Bevölkerung rückständiger Gebiete überhaupt erst in eine Beziehung zur Dynamik der modernen Welt. Die moderne Armee mit ihrer technologischen und organisatorischen Rationalität verkörpert am eindringlichsten die materiellen und geistigen Prinzipien einer Daseinsweise, die den Massen innerhalb ihrer eigenen sozialen Existenz unbegreiflich und verschlossen ist. In Gesellschaften, deren soziale Interaktion rudimentäre Ansätze kaum überschritten hat, führt die militärische Dienstpflicht Bevölkerungsschichten verschiedenen sozialen, religiösen und vor allem regionalen Herkommens zu gemeinsa-mem Zweck zusammen. Die Armee ist damit sowohl Promotor der nationalen Integration als auch Promotor des allgemeinen Fortschritts

Aus dieser doppelten sozio-politischen Funktion entwickelte sich eine besonders akzentuierte Ideologie des nationalen Missionarismus. Die Offizierskorps in unterentwickelten Gesellschaften, die einerseits auf eine alte Tradition zurückblicken können, andererseits sich nicht mehr ausschließlich aus den Feudalkreisen der alten Gesellschaft rekrutieren, verstanden und verstehen sich als auserwähltes und uneigennütziges Werkzeug des kollektiven Fortschritts. Enthoben den Niederungen partikularer Existenz und losgelöst vom Klasseninteresse der zivilen Welt, kommen sie im Selbstverständnis recht nahe dem Hegelschen „Stand reiner Idealität", mit dem Beruf, die Wege der Vorsehung zu befördern

In Ägypten waren die Bedingungen dafür besonders günstig. Zum ersten gab es eine alte . modernistische'Tradition der Armee (zurückreichend bis Mohammed Ali in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts). Zum zweiten datiert die nationalistische Tradition ihre Anfänge aus einer Militärrevolute, derjenigen des legendären Orabi-Pascha im Jahre 1882 gegen Imperialismus und einheimisches Kapitulantentum. Zum dritten und wichtigsten: seit den dreißiger Jahren füllen sich die Ränge des mittleren und unteren Offizierskorps mit Abkömmlingen der Mittelklassen Damit erst gelang die nationalistisch-populistische Identifikation. Jetzt sind die Schildträger der Nation gleichzeitig ausgewiesen als „Söhne des Volkes", als Repräsentanten „der tiefsten Bedürfnisse des Landes“ etc. Die Freien Offiziere von 1952 gehörten zur ersten Generation der Volkssöhne, die es zum Obristenrang gebracht hatten. Und der Missionarismus stellte sich unverzüglich ein: „Es war die Geschichte unseres Landes, die uns diese Rolle aufgetragen hat", schrieb Nasser in seiner Philosophie der Revolution

Vom Pronunciamento zur Militärdiktatur

„Wenn daher jemand fragt: Welcher Weg ist der richtige, und welches ist unsere Holle?, dann kann die Antwort nur lauten: der Weg ist derjenige, der uns zur wirtschaltlichen und politischen Freiheit führt, und unsere Rolle ist nicht größer und geringer als die von Wächtern. Unser Wächteramt aber liegt uns nur für eine bestimmte und begrenzte Zeit ob.“

Gamal Abdel Nasser, Philosophie der Revolution.

In der ersten Entwicklungsphase des neuen Regimentes, vom Juli 1952 bis zum November 1954 — der Phase des Überganges vom Putsch zur etablierten Herrschaft — wurden die Konturen etwas deutlicher. Deutlicher nicht in dem Sinne, als hätte die Revolution zu ihrer sozialen Philosophie gefunden und diese dem Volk in Wort und Tat expliziert, sondern vielmehr aus der Dialektik der durch den Putsch geschaffenen sozio-politischeh Situation. Es fielen Entscheidungen von langfristig weitreichender Bedeutung, aber sie schienen mehr vom Augenblick diktiert als planvoller Absicht entsprungen. Der Gang der Ereignisse nach dem Putsch nahm Wendungen, wie sie von der Junta durchaus unvorhergesehen waren und für die sie keine vorgefertigten Rezepte besaß. Der naive Glaube der jungen Offiziere, als Exekutoren des nationalen Willens der Entfaltung der positiven Elemente im Lande nur den Weg bereiten zu müssen, erwies sich schnell als bare Illusion. Der . nationale Wille'präsentierte sich als die wohlbekannte Interessen-politik des alten politischen Establishments und der Zustrom . positiver Potenzen’ blieb aus. Die Folge war Ratlosigkeit und Enttäuschung

Deutlich ist die Rollenunsicherheit in den ersten Monaten nach dem Staatsstreich. In dieser Zeit erscheint weder ausgemacht, ob und in welcher Richtung die politische Struktur des Landes geändert werden soll, noch ob die Freien Offiziere die eroberte Herrschaft in der Hand behalten würden. Die ursprüngliche Absicht, mit dem Staatsstreich lediglich die Verzerrungen der verfassungsmäßigen Ordnung und die Korruption des öffentlichen Lebens zu beseitigen, wurde nur zögernd und quasi unter Zugzwang aufgegeben. Die Revolution hielt streng auf Legalität. Nicht Umsturz, sondern Wiederherstellung von Law und Order verkündeten ihre Proklamationen Revolutionäre Gesten wurden peinlich vermieden; die ersten Opfer der Revolution wurden jene, die tatsächlich an eine Revolution geglaubt hatten Der Macht-und Regimewechsel vollzog sich formal nach dem Buchstaben der Verfassung. Die Junta ließ vom König einen zivilen, als gemäßigt progressiv ausgewiesenen Politiker (Ali Maher) zum Ministerpräsidenten ernennen, bevor sie den Monarchen zur Abdankung zwang — auch dies in verfassungsmäßigen Formen. Sie begnügte sich mit einem von drei Sitzen in dem von der Zivilregierung berufenen Regentschaftsrat, und sie gerierte sich insgesamt mehr als eine Art neutraler Aufsichtsinstanz für die politische Sanierung des Landes denn als aktiver Promoter einer politischen Neugestaltung Parteien und Gewerkschaften, politische und religiöse Gruppierungen blieben vorerst unbehelligt, die Presse genoß relative Freiheit, und selbst Opposition gegen den Staatsstreich durfte sich regen. Die neuen Männer wurden nicht müde, öffentliche Bekenntnisse zur Demokratie, zum Parlamentarismus, zur politischen Freiheitlichkeit abzulegen und ihre Loyalität zu der — immer noch monarchischen— Verfassung zu beteuern

Der Widerspruch im Selbstverständnis — hier loyaler Schützer der Verfassung, dort Revolutionär — zeigte sich im praktischen Umgang mit der Macht. Bei aller Skrupelhaftigkeit gegenüber der Verfassung verfuhr das Regime mit den Verfassungsorganen ganz nach Belieben. Sichtbar besaß die Zivilregierung Maher ihr Mandat nur unter dem Vorbehalt des Wohlverhaltens. Als Ali Maher sich anschickte, selbständige politische Entscheidungen zu treffen, wurden diese vom Revolutionsrat anulliert; die Ankündigung des Ministerpräsidenten, zu gegebener Zeit wieder ein Parlament wählen zu lassen, wurde vom Revolutionsrat mit der Order kassiert, daß Neuwahlen nicht irgendwann, sondern in sechs Monaten auszuschreiben seien. Wie demokratisch auch immer, jedermann wußte fortan, was vom zivilen Dekor des neuen Regimentes zu halten war, und binnen weniger Wochen verschwand es rühmlos in der Versenkung. Als die Junta Anfang September ihre erste große Säuberungsaktion startete, ohne die Zivilregierung konsultiert oder auch nur informiert zu haben, zog Ali Maher die Konsequenzen und demissionierte. Der Chef des Revolutionsrates, General Naguib, bildete das neue Kabinett, in dem die Offiziere unter sich waren.

Der Entschluß zur Eliminierung der Zivilgewalt fiel dennoch sichtlich schwer. Die Führer des Staatsstreiches, Oberstleutnant Nasser vor allem, gaben sich erdenkliche Mühe, die offene Machtübernahme als Notwendigkeit im alleinigen Interesse der versprochenen großen . Generalreinigung zu erklären — als eine Maßnahme durchaus gegen den Willen der Offiziere und unter den schwersten Skrupeln unternommen. In seiner im Jahre 1953 abgefaßten „Philosophie der Revolution" schilderte Nasser den Entschluß zur offenen Militärdiktatur geradezu als persönliche Tragödie Jahre später freilich, als das Regime fast etabliert war, wurden die unsicheren Anfänge als wohlkalkulierte Etappe im vorbedachten revolutionären Konzept präsentiert.

Erst um die Jahreswende 1952/53 fielen die Entscheidungen, die auf eine unbefristete Fortdauer des Militärregimentes hinwiesen und den Willen zur revolutionären Umgestaltung der politischen Grundstrukturen des Landes zu erkennen gaben (9. 12. 1952 Suspendierung der Verfassung des Königreiches, 16. 1. 1953 Verbot der Parteien, 23. 1. 1953 Gründung der Befreiungsfront). Aber auch jetzt war noch keineswegs entschieden, wem die Macht endgültig zufallen und welche Staats-und Regierungsform das Land erhalten sollte. Im Februar 1953 erließ der Präsident des Revolutionsrates, General Naguib, per Dekret eine vorläufige Verfassung, deren Bestimmungen ausdrücklich als „Regeln für eine Übergangszeit“ gelten sollten, und zwar bis zur Errichtung eines „vollständig demokratischen und konstitutionellen Regimes" Bis dahin allerdings gab es keinen Zweifel mehr über den Charakter der neuen Herrschaft: es war die schlichte Diktatur des Revolutionsrates. Ihm, respektive seinem Vorsitzenden, fielen nach dem Text der vorläufigen Verfassung exekutive, legislative und selbst judikative Gewalt zu (Art. 8— 11). Der Nation, des Volkes, der Ägypter wurde zwar in den feierlichen Wendungen der klassischen Menschenrechtserklärungen gedacht, von ihrer Beteiligung am politischen Prozeß war nicht die Rede. Zwar dekretierte man eine Massenbasis in Gestalt der sogenannten . Befreiungs-Organisation'— nach dem Text ihrer Gründungsurkunde nichts weniger als „the unification of all ranks into one populär front" —, aber nicht zur eigenen demokratischen Kontrolle, sondern zur Disziplinierung der Bürger

Das Instrumentarium für die dauernde Einrichtung der Militärdiktatur war also geschaffen, aber es dauerte noch fast zwei Jahre, bis endgültige Konsequenzen gezogen wurden. Die Entscheidung fiel schließlich mit der Eliminierung Naguibs. Der General, ein unpolitischer, aber überaus volkstümlicher Militär, der sehr spät zum Kreis der Freien Offiziere gestoßen war und diesem von Anfang an als populäre Gailionsfigur gedient hatte — zeitweilig war er gleich dreifacher Präsident: Präsident des Revolutionsrates, Ministerpräsident und Staatspräsident —, war bei den Proklamationen der ersten Stunde stehen geblieben Er blieb überzeugt von der Richtigkeit militärischer Abstinenz aus der Politik und beobachtete mit Mißfallen die allmähliche Etablierung der neuen Herrschaft. Schließlich ließ er sich mit Kräften der alten Ordnung ein — Führern der verbotenen Parteien, besonders des Wafd, wie es scheint auch mit gefährlichen Leuten der Moslembruderschaft — und wurde vom starken Mann der Revolution, Gamal Abdel Nasser, am 14. 11. 1954 zur Demission gezwungen In der langwierigen Auseinandersetzung um Naguib, in der der alte General selbst kaum eine aktive Rolle spielte, war es Nasser zum ersten Mal gelungen, ein Mittel ins Spiel um die Macht zu bringen, das er fürderhin virtuos zu handhaben wußte: die Mobilisierung der Massen zur plebiszitären Akklamation. Als Naguib nach der ersten erzwungenen De-mission von einem Teil der Junta zurückgeholt worden war, schien Nasser zu resignieren. Am 25. März 1954 verkündete der Revolutionsrat, daß die Revolution beendet sei, daß eine konstituierende Nationalversammlung einberufen werden solle, daß das Parteienverbot mit sofortiger Wirkung aufgehoben sei — kurz, daß die Revolution sich selbst liquidiere. An den darauffolgenden Tagen erlebte Kairo seine ersten Massendemonstrationen zugunsten der Revolution: wohlorchestrierte Aufführungen, wie sie bis zum Tode des Rais zum innenpolitischen Instrumentarium des Regimes gehören sollten. Die . Befreiungsbewegung', die Gewerkschaften, Militär und Polizei protestierten stürmisch gegen die . Kräfte der Reaktion'. Ein unbefristeter Generalstreik drohte das Land so lange zu paralysieren, „bis die Revolution fortgesetzt" werden würde. Am 29. März 1954 erklärte der Revolutionsrat seine Entschei-düng über das Ende der Revolution für hinfällig. Unter Berufung auf den Volkswillen wurde die Fortdauer der revolutionären Übergangsperiode bekräftigt und die Hauptziele der weiterzuführenden Revolution formuliert, darunter „die Errichtung sozialer Gerechtigkeit unter den Klassen" und die Unterdrückung der . korrupten Politiker" des Ancien Regime

Die Entscheidung gegen Naguib war die Entscheidung gegen die Rückkehr zum Ancien Regime, also gegen die Perversion eines pseudodemokratischen Systems feudalherrlicher Coterien und korrupter Eliten, gegen die In-kompetenz angemaßter Führungseliten, gegen die Paralysierung der Nation durch selbstsüchtige Interessen — Entscheidung also gegen den politischen Liberalismus unter halbkolonialen Bedingungen. Seit November 1954 war keine Rede mehr von Säuberung der alten politischen Institutionen, von vorübergehender Statthalterschaft zugunsten der Reorganisation des demokratischen Parlamentarismus etc. Von nun an zeigte sich das revolutionäre Regime entschlossen, eine neue politische Ordnung durchzusetzen. Die Wendung gegen das System selbst und nicht nur gegen seine Auswüchse zeichnete sich indessen bereits zu einem Zeitpunkt ab, als die offiziellen Bekenntnisse zur liberalen Demokratie noch nichts zu wünschen übrigließen. Die erste Maßnahme gegen den Klassencharakter des. Ancien Regime, die Landreformgesetze vom 9. September 1952, begegneten einem so weit gefächerten Widerstand in den politischen Gruppierungen des Landes, daß es den Revolutionären bewußt wurde, daß die politischen Mängel tief in der gesellschaftlichen Struktur des Landes angelegt und durch harmlose . Reinigung'der Institutionen nicht zu beheben waren. Die Landreform vom September 1952 — nach Umfang und Auswirkungen alles andere als radikal — zielte prinzipiell doch auf die sozio-ökonomische Machtbasis der traditionell herrschenden Klassen. Diese hatten den Sturz Faruks mit Gleichmut hingenommen oder ihm sogar applaudiert, die Landreform indessen traf ihren Nerv. Der Widerstand aller bürgerlichen Parteien, einschließlich des sich seit Jahrzehnten als progressistisch und populistisch gebärdenden Wafd und einschließlich der sich viel auf ihren islamischen Sozialismus zugute haltenden Moslembruderschaft, machte hinreichend deutlich, daß Parteiendemokratie unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen nichts anderes sein konnte als die plurale Fassung ziemlich homogener Klassen-interessen. Als auch die vom Revolutionsrat selbst lancierte Zivilregierung Schwierigkeiten zu machen begann, verdichtete sich die Überzeugung von der Unausweichlichkeit des Bruches nicht nur mit dem Personal, sondern auch dem System der alten Ordnung Das vorläufig wichtigste politische Resultat der Auseinandersetzungen um die Agrarreform bestand jedenfalls in dem wachsenden Selbstvertrauen der Freien Offiziere, allein zur historischen Mission der Vollendung der Revolution berufen zu sein.

Was aber hat die Offiziere zu einer Maßnahme veranlaßt, die so gar nicht in das gewohnte Bild militärischer Pronunciamentos paßte und besonders im arabischen Orient ohne Beispiel war? An den unterschiedlichsten Deutungen und Erklärungen ist kein Mangel. In der späteren offiziellen Geschichtsschreibung der Revolution erscheint die Landreform von 1952 als erstes Planziel beim Aufbau des Sozialismus in Ägypten. Die marxistischen Kritiker des Nasserismus vermuten dagegen eher subjektiv einen wohlkalkulierten Schachzug gegen eine von unten drohende Revolution (eingegeben vom US-Geheimdienst und vollzogen im Herrschaftsinteresse der neuen Klasse) und objektiv die Transformation der feudalistischkolonialkapitalistisch strukturierten traditionellen Ökonomie in den modernen industriellen (Staats-) Kapitalismus. Die These vom Präventivzweck der Agrarreform stützt sich darauf, daß seit 1950 die USA Landreformen im Vorderen Orient als konterrevolutionäre Strategie propagierten und amerikanische Agrarexperten in Kairo tätig waren

Welche späteren Weiterungen die Agrarreform auch immer gehabt haben mag, sicherlich war sie nicht als erster Schritt zur sozialistischen Transformation der ägyptischen Gesellschaft geplant. Ihre Initiatoren im Kreis der Offiziere gehörten zwar dem linken Flügel an (Gamal Salam, Khaled Mohiedinne), aber dessen . sozialistische'Intention hielt sich auf der Ebene des technokratischen Reformismus. Der Schlag gegen den Großgrundbesitz hatte politökonomische und weniger soziale Motive. Getroffen werden sollte das Großagrariertum als politisch und ökonomisch dominierende Klasse. Mit ihrer Beseitigung sollte die Ökonomie des Landes vom erdrückenden Übergewicht groß-agrarischer Interessen befreit und auf den Weg industrieller Entwicklung gebracht werden Das war sehr viel mehr ein Akt politischer Feldbereinigung und nationalökonomischer Effektivierung als ein Akt sozialistischer Gesinnung. Die angestrengte Distanzierung zu allem, was als sozialrevolutionär hätte interpretiert werden können, beweist im übrigen hinreichend die eigentliche Absicht. Als in der Provinz Arbeiter und Fellachen sich anschickten, für ihren Teil die Agrarreform vorwegzunehmen, entsandte der Revolutionsrat Militär und ließ zwei Anführer hängen Den Anfängen von Kafr el Dawar folgten zu Beginn 1953 die ersten schweren Repressionsmaßnahmen gegen die organisierte Linke. Kommunisten und kommunismusverdächtige Gewerkschaftler wurden verhaftet und in Massenprozessen zu schweren Strafen verurteilt. Uber die im Revolutionsrat vorherrschende Einstellung zum Kommunismus gibt eine im Herbst 1954 geschriebene Broschüre Auskunft. Mitverfaßt vom damaligen Kanzleichef Nassers, Major Amin Chaker, und von Nasser mit einem Vorwort versehen, bietet es ein Konzentrat antikommunistischer Polemik, wie schwerlich jemals übertroffen Dem Kommunismus und den Kommunisten wird die Korruption aller humanen und zivilisatorischen Werte vorgeworfen. Ihre Theorien, nicht von ungefähr vom „fanatischen Juden" Karl Marx entwickelt, haben den Ruin der Gesittung und den Untergang der Freiheit zum Inhalt Ihre Praxis sei die des Terrors, der Sklaverei, der brutalen Ausbeutung und so fort. Lieber tot als rot heißt die mit Abscheu gezogene Nutzanwendung

Interessanten Aufschluß gibt das Pamphlet über die Befürchtungen des Regimes, von woher eine kommunistische Gefahr für Ägypten drohen könnte. Anfälligkeit für rote Subversion wird vermutet bei den psychisch Debilen, den . Anormalen', solchen, die unter Komplexen leiden Um nach allen Seiten kommunistische Infamie ins rechte Licht zu rücken, wird auf die angeblichen bösen Allianzen verwiesen. Nicht nur mit dem Zionismus seien die Kommunisten im Bunde, sondern ebenso mit den Moslembrüdern, die soeben (Oktober 1954) einen Mordanschlag auf Nasser verübt hätten Nasser in der Einleitung nach einer langen Eloge auf Religion, Freiheit und Humanität: „Wir werden unsere Religion niemals gegen die Religion der Kommunisten eintauschen."

Gleichzeitig mit der scharfen Reaktion nach links liquidierte das Regime die gefährliche äußerste Rechte in Gestalt der Moslembruderschaft. Der Bruch zwischen Bruderschaft und Freien Offizieren folgte einer zweijährigen scheinbaren Kollaboration — in der beide Seiten gehofft hatten, den Partner den eigenen Zwecken dienstbar machen zu können. In der Zeit bis zur Revolution der Offiziere im Juli 1952 und noch danach bis zur Errichtung der Nasserschen Diktatur im Jahre 1954 hatte die politische Macht der Bruderschaft neue Höhepunkte erreicht. Ihre Mitgliederzahl soll auf über eine Million angestiegen sein, manche Schätzungen meinten, einen Bestand von 5 Millionen Sympathisanten in Rechnung stellen zu können In der ägyptischen Bevölkerung glaubten viele, daß die Julirevolution in Wahrheit das Werk der Bruderschaft sei, was dadurch bestätigt zu werden schien, daß sie als einzige politische Organisation vom allgemeinen Parteienverbot des Jahres 1953 ausgenommen wurde. Al-Hudaybi, der Nachfolger Hassan al-Bannas im Amt des . Obersten Führers', spielte sich öffentlich als politischer und ideologischer Mentor der Revolution auf und nahm sie unter den Schutz der Bruderschaft Als die Versuche zur Einflußnahme massiver wurden (insbesondere in der Frage der neuen Verfassung und der Gesetzgebung), zerbrach die Scheinallianz. Zum offenen Bruch kam es, als die Junta ihr erstes politisches Organ, den sog. . Befreiungsrat', gründete. Nicht ohne Grund argwöhnte al-Hudaybi die stille Absorption der Bruderschaft in den neuen Massenorganisationen und griff die Offiziere öffentlich an. Im Januar 1954 wurde der Ihwän verboten, im Februar wurde General Naguib aus der Regierung ausgebootet und am 23. Juli 1954 übernahm Nasser die Alleinherrschaft. Sofort begann die Bruderschaft eine heftige Kampagne gegen das neue Regime zu führen. Als Nasser mit den Engländern ein neues Kanalabkommen schloß (1. 9. 1954), erklärte ihm die Bruderschaft als einem Verräter am Vaterland, der Religion und der Revolution buchstäblich den Krieg Am 26. Oktober verübte ein Angehöriger des Ihwän auf Nasser während einer öffentlichen Ansprache in Alexandria ein Attentat. Damit endete vorläufig die Geschichte der Bruderschaft als einer der entscheidenden politischen Kräfte im modernen Ägypten.

Die Organisationen der Bruderschaft wurden dieses Mal vollständig zerschlagen, eine Reihe ihrer führenden Vertreter hingerichtet. Die Führer der Revolution brauchten keine Rücksichten mehr auf die Sympathien der Massen zu nehmen. In ihrer nationalistischen Ideologie fanden sich die Hoffnungen dieser Massen vorläufig besser und überzeugender aufgehoben als im Obskurantismus des totalitären Islam der Brüder.

Die Nasseristische Sozialphilosophie

„C'est une societe nouvelle differente des societes du passe. II taut que dans l'Etat tout s'harmonise." Nasser im Mai 1960.

„Notre socialisme prend sa source dans la conscience de notre nation et l'evo-lution de sa pensee sociale qui lui a evite la lutte des classes.“ Nasser im Juli 1960.

Phase I: Die . sozialistische demokratische und kooperative Gesellschaft'

War die Herausbildung der Herrschaftsdoktrin in der ersten Phase der Machtetablierung das Resultat innenpolitischer Machtkämpfe und ideologischer Abgrenzungen nach rechts und links gewesen, so waren es in der zweiten Phase — derjenigen der inneren Konsolidierung und äußeren Expansion — eher Reaktionen auf außen-und weltpolitische Konstellationen, die neue Akzente setzten und neue Entwicklungen einleiteten.

Die Jahre zwischen 1954 und 1960 wurden zur heroischen Zeit des Nasserismus. Bei schwersten inneren und äußeren Belastungen besaß er nicht nur unbeschreibliche Popularität in der arabischen Welt, er gewann ebenso höchste internationale Beachtung und genoß das Ansehen der Modell-Ideologie für antikolonialistische Revolutionen. Auf dramatische Konfrontationen mit dem westlichen Imperialismus folgten schwere politisch-ideologische Kontroversen mit dem Kommunismus und der Sowjetunion. Alle bestand der Rais mit Bravour — so jedenfalls erschien es der enthusiasmierten arabischen Welt. Ungeahnte Perspektiven benahmen dem Land den Atem. Im Verein mit Nehru und Tito stieg Nasser auf zur Führerschaft einer . Dritten Kraft'zwischen den Blöcken, die, für eine Weile wenigstens, zum Zentrum der aus der Dekolonisation hervorgehenden . Dritten Welt'zu werden schien.

Eine andere Dimension eröffnete sich mit der Ausweitung in den gesamtarabischen Bereich. Die Entdeckung des , Arabismus‘ als der ethischen Grundlage der nationalen und sozialen Aspirationen der Revolution, erhob den Nasserismus zur populären Ideologie eines ganzen Weltteiles. Der alte Traum arabischer Einheit schien unter seinem Zeichen im Begriff, zur Wirklichkeit zu werden. Der Zusammenschluß mit Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik am 1. Februar 1958 wurde gefeiert als die Erfüllung fast heilsgeschichtlichen Geschehens Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die soziale Doktrin der Revolution nach links.

Vor den schweren Zusammenstößen mit den westlichen Großmächten — Ablehnung des Bagdadpaktes im Januar 1955; Waffenembargo im Sommer 1955; Scheitern der Assuan-Damm-Finanzierung im Frühjahr 1956; schließlich Suez-Krise und Krieg im Sommer und Herbst 1956 — hatte Nasser bei aller eifersüchtigen Wachsamkeit über die nationale Unabhängigkeit das revolutionäre Ägypten im Grunde ideologisch doch eher dem Westen zugerechnet. Die Sympathien der Freien Offiziere gehörten noch immer den Idealen der . Freien Weit'. Zwar waren diese beim mangelnden Reifegrad des Landes noch nicht zu realisieren, aber sie blieben doch das angestrebte Ziel. Sie mochten unter den sozio-ökonomischen Bedingungen der Unterentwicklung verderbliche Folgen haben, als optimale Organisationselemente einer entwickelten Gesellschaft standen sie außer Frage. Einig wußten sich die Freien Offiziere mit dem Westen vor allem in der negativen Abgrenzung. Der gemeinsame militante Antikommunismus schuf eine breite Basis ideologischer Solidarität, zu der das Regime seine konkreten Beiträge bereits geleistet hatte. Ende 1954 befand sich Ägypten über das Kanalabkommen mit den Engländern de facto in der antikommunistischen Koalition des Westens Innenpolitisch hatte das Regime durch seinen nationalistischen Reformismus radikalere Strebungen unterlaufen, vielleicht sogar die Revolution von unten verhindert „Haben wir uns nicht sehr viel mehr dem Westen als dem Osten zugewandt?", fragte im November 1954 Ali Sabri, rechte Hand Nassers, vor einer internationalen Pressekonferenz

Die Konflikte mit dem Westen wurden ausgetragen ohne die ideologische Verdammnis, die jetzt noch dem Osten allein zuteil wurde. Der offizielle Antiimperalismus argumentierte noch nicht in sozio-ökonomischen Kategorien. Der Imperialismus wurde bekämpft als politisches Machtphänomen, unabhängig von der gesellschaftlichen Binnenstruktur seiner Träger, und seine Antriebskräfte im speziellen Fall Orient-Okzident wurden in der historischen Kontinuität vermutet, nicht in irgendeiner ökonomischen Gesetzmäßigkeit Auch und gerade die Sowjetunion wurde des Imperalismus für fähig gehalten.

Am Ende der ersten Entwicklungsphase der Revolution begannen sich die Orientierungen dramatisch zu verschieben. Seit der Jahres-wende 1954/55 nahm der Nasserismus eine deutliche Wendung nach . links'. Die Erfahrungen mit der Praxis des westlichen Imperialismus, besonders aber die mit Bandung sich eröffnenden Perspektiven einer politisch und ideologisch eigendefinierten , Dritten Welt'wirkten zurück auf die . Philosophie der Re-volution'. Das revolutionäre Regime ging auf ideologische Distanz zum Westen und steuerte schließlich scharfen Gegenkurs. Allmählich flossen die Gedankengänge und Formeln des marxistischen Erzfeindes in die offizielle Rhetorik ein. Der bis dahin lediglich als politisches Phänomen bekämpfte Imperialismus wurde auch in seinen sozio-ökonomischen Grundbedingungen als das Gegenprinzip zur nationalen Revolution entdeckt. Neben Antiimperalismus und Antifeudalismus trat der Antikapitalismus als konstitutives Element der revolutionären Ideologie

Das alles war freilich mehr zugeschnitten auf den aktuellen außenpolitischen Bedarf, als daß es eine grundlegende ideologische Neuorientierung angezeigt hätte. Denn an der Substanz der militärisch-kleinbürgerlichen Sozialphilosophie änderte sich nichts. Die antikapitalistische Wendung war keineswegs sozialpolitisch inspiriert und vertrug sich durchaus mit der antiklassenkämpferischen Vision gesellschaftlicher Harmonie. Die gesellschaftspolitische Praxis bewegte sich weiter in den Bahnen des mit der Revolution eingeleiteten nationalfstischen Reformismus, und lediglich im Vokabular und Gestus wurde die Revolution radikaler. Wer nach den öffentlichen Rodomontaden gegen die . internationale kapitalistische Ausbeutung'auch eine ideologische Annäherung an das sozialistische Lager erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Als eine neue außenpolitische Konstellation es für angezeigt erscheinen ließ, entfesselte Nasser einen ebenso grimmigen antikommunistischen Furor wie kurz zuvor gegen den . ausbeuterischen Kapitalismus Einen Begriff von der sozialpolitischen Intention des Nasserismus in den Jahren zwischen 1954 und 1961 geben die Texte zur innenpolitischen Organisation. In der Verfassung der Republik Ägypten vom 16. 1. 1956, in der Provisorischen Verfassung der Vereinigten Arabischen Republik vom 5. 3. 1958 sowie besonders in den offiziellen Begleittexten zur neuen Einheitsbewegung, der . Nationalen Union', entwickelte das Regime die Umrisse seiner gesellschaftspolitischen Konzeption. In der Präambel zur Verfassung vom Januar 1956 hieß die allgemeine Zielrichtung der sozialen Organisation . Sozialer Wohlfahrtstaat'mit der näheren Bestimmung „Feudalismus, Monopole und die Herrschaft des Kapitals Über die Regierung zu beseitigen" sowie „Soziale Gerechtigkeit" und „ein gesundes demokratisches Leben" zu garantieren Als moralisches Movens zur Beförderung sozialer Gerechtigkeit deklarierte die Verfassung die „Soziale Solidarität" („The basis of the Egyptian Social Order is social solidarity", Art. 4). Was deren positive Durchsetzung anging, so beschränkte sich der Verfassungstext auf die Enumerierung einiger Prinzipien: Planifikation (Art. 7), Sozialbezogenheit von Privateigentum und privatwirtschaftlicher Betätigung (Art. 8 und 9), die Stimulierung des Kooperativwesens (Art. 16).

Alles in allem ein Programm des gemäßigten Reformismus, in dem in sozialer Hinsicht der emotionale Appell an den klassenüberwindenden nationalen Willen die Bekundungen zur Transformation der Gesellschaft bei weitem überwog. Die Wendungen gegen . Monopole und Herrschaft des Kapitals'trugen den Charakter unverbindlicher Deklarationen, denen um so weniger Bedeutung zukam, als im Grundrechtskatalog des nämlichen Textes dem kapitalistischen Unternehmertum ausdrücklich der Schutz der Verfassung zugesichert wurde (Art. 8 und 11). Auch in der vorläufigen Verfassung der VAR vom März 1958, verkündet also nach den Ereignissen von Suez, blieb es dabei. Bis in die Formulierungen hinein wurden die sozialpolitischen Maximen aus dem Verfassungstext von 1956 übernommen Prononcierter als in den Staatsgrundgesetzen gab sich die sozialpolitische Absicht des Regimes in den Statuten der neuen Einheitspartei. An die Stelle der konservativ-paternalistischen Ermahnung zur „Einheit, Disziplin, Arbeit“ im Motto der rühmlos verblichenen . Befreiungsbewegung'von 1952, trat die Aufforderung zur Errichtung einer „sozialistischen, demokratischen und kooperativen Gesellschaft, frei von politischer, sozialer und ökonomischer Ausbeutung" in der Charta der Nationalen Union vom November 1957.

Der Sozialismus war damit erstmals in einem arabischen Land zur Gesellschaftsdevise avanciert. Aber was hatte man darunter zu verstehen? Bis dahin war die Explikation der sozialpolitischen Doktrin mit nationalistischen Formeln ausgekommen. Die Begriffe . Sozialismus'und . sozialistisch'standen wegen ihrer Nähe zum klassenkämpferischen Kommunismus in tiefem Mißkredit und dienten allenfalls als negative Abgrenzungen zum nationalen Willen der Revolution. In der . Philosophie der Revolution'war der sozialen Revolution noch attestiert worden, „daß sie Werte erschüttert und Glaubensinhalte auflockert" und daß sie „dem Haß und der Selbstsucht freie Bahn“ läßt War die Ankündigung der „sozialistischen, demokratischen und kooperativen" Gesellschaft demnach die kopernikanische Wende der Revolution? Wurde in der Nationalen Union das Instrument für den Klassenkampf zugerichtet? Nichts weniger als das. Die Formel „sozialistisch, demokratisch, kooperativ" sollte nicht auf grundstürzende Veränderun-gen in der Zukunft weisen, sondern die Realisationen des Regimes auf den theoretischen Begriff bringen. Oder besser, sozialistisch im Ideologiezusammenhang des Nasserismus definierte sich inhaltlich durch die Errungenschaften der Revolution. Was die Revolution seit 1952 zuwege gebracht oder in Angriff genommen hatte, galt als sozialistisch. Die Fortführung des Begonnenen hieß Aufbau der „sozialistischen, demokratischen und kooperativen" Gesellschaft, mehr nicht.

Der Aufbau des Sozialismus auf ägyptisch hatte also nichts zu tun mit der Egalisierung der Gesellschaft durch den Abbau privaten Eigentums an den Produktionsmitteln. Ganz im Gegenteil. Die wichtigste sozialpolitische Maßnahme des Regimes, die Agrarreform, zielte bewußt auf die Schaffung massenhaften Kleineigentums an dem volkswirtschaftlich noch immer wichtigsten Produktionsmittel Grund und Boden. Die Nationalisierungen, die Planifikation, das Prinzip der Kooperation waren auf die Aktivierung brachliegender nationaler Ressourcen gerichtet. Sozialismus meinte beschleunigtes wirtschaftliches Wachstum. Keine Rede also von substantieller Radikalisierung der Revolution. Vor dem ersten Generalkongreß der syrischen Sektion der Nationalen Union pries Nasser seine Version des längst „angewandten Sozialismus" als vollzogene historische Realität in der VAR und stellte ihn dem theoretischen Sozialismus der „Phrasen und Devisen" als revolutionären Fortschritt gegenüber

Soweit sozialpolitisch intendiert, fügte sich der sozialistische Auftrag an die Einheitspartei also exakt in die Wohlfahrtsstaats-Programmatik der Verfassungstexte. Sozial-Revolutionäres stand danach nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Mit der Feststellung, daß die wesentlichen Fundamente einer sozialistischen Entwicklung bereits gelegt seien, blockte das Regime jene Erwartungen ab, die von der außen-politischen Wendung auf gesellschaftspolitisehe Konsequenzen geschlossen haben mochten. Vollends deutlich wurde die affirmative Funktion des Verbal-Sozialismus in der ihm zugewiesenen ideologischen Bestimmung. Sozialistische Gesinnung, sozialistische Ethik nämlich hätten sich zu beweisen in der Einordnung in das nationale Kollektiv. Die „sozialistische, demokratische, kooperative" Gesellschaft meinte in Wirklichkeit den Staat der . Volksgemeinschaft'aus der faschistischen Tradition. Die Zielvorstellung von , sozialer Solidarität'orientierte sich am einheitlich und klassensolidarisch formierten, geschlossenen nationalen Kollektiv. Dies zustande zu bringen, darin lag der sozialistische’ Auftrag der Nationalen Union

Die demokratische Komponente im ideologischen System des Nasserismus beanspruchte die Nationale Union bereits durch ihre Existenz. In klassischer Apodiktik wurden Einheitspartei und Volk in eins gesetzt und der Parteiapparat zum Organ des Volkswillens erklärt

In der Theorie gab sich die Nationale Union alle Mühe, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Auf dem ersten (und einzigen) Generalkongreß der beiden Landesteile (, Nord-provinz'Syrien . Südprovinz'Ägpten) und vom 9. bis 16. Juli 1960 verabschiedete die Partei ein voluminöses Resolutionspaket, in dem sie ihren Verfassungsauftrag zu definieren suchte. Die Auftraggeber durften zufrieden sein. Die progressistische Intonation der nationalistischen Ideologie gelang dem Kongreß fast noch besser als seinen Herren. Die immerhin mehrdeutigen Begriffe wie , soziale Gerechtigkeit'oder „sozialistisch, demokratisch, kooperativ" aus der offiziellen Terminologie wurden im Geist des nationalen Einheitsmythos schärfer konturiert. . Soziale Gerechtigkeit'fand sich neben der . Rücksicht auf die Menschenwürde'und der . Steigerung der Produktivität'definiert als „Versöhnung und Zusammenarbeit der verschiedenen Klassen des Volkes" Auch der sonst etwas vernachlässigte Begriff der . kooperativen'Gesellschaft fand in Konkreto seine harmlose Erklärung: Kooperation nämlich sollte heißen, die „Harmonisierung zwischen privatem und öffentlichem Sektor . . . zur Steigerung des Nationaleinkommens und zur Realisierung der Sozialen Gerechtigkeit" Als übergeordnetem sozialen Prinzip fiel dem . Kooperatismus'die Abgrenzung nach links zu. Kooperation der Klassen gegen Klassenkampf, so lautete die soziale Ideologie des Regimes und so hat es der Generalkongreß der Nationalen Union beschlossen

Das progressistische Vokabular diente der ideologischen Anreicherung des nach wie vor den sozio-politischen Vorstellungsrahmen bestimmenden Nationalismus. Letztlich waren es schlichte Identifikationen mit dem . Genius', dem . Geist', dem . Gewissen'der Nation, die den Inhalt der beanspruchten . sozialen Gerechtigkeit'oder des Sozialismus ausmachen sollten. Der Sozialismus ethnisch-kulturellen aus den Quellen der besonderen -na tionalen an Existenz definiert. Mit dem, was -derwärts Sozialismus ver in der Welt unter -standen wurde, hatte er bewußt nichts zu tun

Der Weg des sozialen Reformismus ohne Klassenkampf und ohne dramatische Brüche mit der bestehenden ökonomischen Struktur erschien nicht nur aus dem Geist nationaler Solidarität geboten, sondern auch im Einklang mit der historischen Notwendigkeit. Der . Dritte Weg’ zwischen östlichem und westlichem Lager, der im . Positiven Neutralismus'politisch bereits Gestalt angenommen hatte, sollte seine sozio-ökonomische Entsprechung im . Dritten Modell'zwischen kommunistischer und kapitalistischer Gesellschaftsordnung erhalten. Wie viele andere auch in jener Zeit der nach-stalinistischen Liberalisierung im Osten und der Rehabilitation des . geplanten Wachstums'im Westen, glaubte Nasser, wie sein Mentor Nehru, an eine unvermeidliche Konvergenz der opponierenden Systeme, aus der schließlich eine Mischform universalen Fortschritts hervorgehen würde.

Die in der „sozialistischen, demokratischen, kooperativen" Gesellschaft anvisierte Synthese von privatwirtschaftlicher Dynamik, basierend auf individuellem Eigentum und sozialistischer Gesamtorientierung — garantiert durch Planifikation und institutionell verankerte Staatskontrolle —, besaß damit universalen Modellcharakter. Der Arabische Sozialismus entsprach nicht nur den nationalen Bedürfnissen einer unterentwickelten Gesellschaft, sondern setzte sozio-ökonomische Orientierungsmarken für eine bessere Welt: „La socit modele vers laquelle evolue le monde est le socialisme democratique coopratif", schrieb Oberst Hatem, Staatssekretär im Präsidialamt im Januar 1959 „La mise en oevre en Egypte du socialisme scientifique est une necessite ineluct-able." Charte Nationale vom Mai 1962.

Phase II: . Wissenschaftlicher Sozialismus'auf arabisch Im Juli 1961 schien endlich die große Wende gekommen. Staatspräsident Nasser kündigte am 22. 7. 1961 den Übergang der Revolution in eine neue Phase an. Zum Schutze der sozialistischen Errungenschaften der neuen Ge-sellschaft habe er die Überführung des „ausbeuterischen Kapitals in die Verantwortung des Volkes" angeordnet Um das soziale Hauptziel der Revolution, die Aufhebung der Klassengegensätze, voranzutreiben, seien die Säulen illegitimer Macht und Ausbeutung, die Produktionsmittel — wahre „Waffen der Diktatur des Kapitals" — gebrochen und zum Nutzen der „Arbeiterklasse" in Gemeineigentum verwandelt worden. Die sozialistische Revolution nach authentischem Muster schien eingeleitet. Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Arbeiterklasse, Zielvorstellungen von klassenloser Gesellschaft — alles unverwechselbare Elemente des marxistischen Repertoirs.

Doch gerade diese Ideenverbindung suchte Nasser mit großem rhetorischen Aufwand zu vermeiden. Der größere Teil seiner Ausführungen galt dem Nachweis, daß es sich bei all dem um eine friedliche, um eine „weiße Revolution" handele, und daß niemand an einen Angriff auf das Kapital schlechthin denke Dem Begriff der . Arbeiterklasse'nahm er den marxistischen Schrecken, indem er alle Lohnabhängigen, sich selbst an der Spitze, zu Proletariern erklärte Und was die scheinbar angestrebte klassenlose Gesellschaft anging, so blieb es bei der brüderlichen Klassenharmonie Um die letzten Ängste und Mißverständnisse auszuräumen, verwies der Rais auf ein beruhigendes Vorbild: den Islam der Frühzeit und den Propheten als ersten Praktiker der Vergesellschaftung

Die Palladine des Regimes hatten ihrerseits den Sinn der Maßnahme ins rechte Licht zu setzen. Ali Sabri, indem er vor der Weltpresse auf ihren im Grunde eigentumsfreundlichen Aspekt hinwies (vgl. Anmerkung 31), Hassanein Heykal, indem er die große theoretische Abgrenzung zum Kommunismus publizistisch nachlieferte. In einer Artikelserie vom August 1961 unter dem Obertitel „Wir und der Kommunismus", nannte Heykal sieben Punkte unüberbrückbarer Gegensätze zwischen Kommunismus und Arabischem Sozialismus. Darunter: 1. Der Arabische Sozialismus löst Klassenwidersprüche nicht durch Klassenkampf und Klassendiktatur, sondern durch Klassen-versöhnung im nationalen Rahmen. 2. Der Arabische Sozialismus sieht im Privateigentum nicht an sich ein Übel, sondern nur in seiner ausbeuterischen Form; nicht-ausbeuterisches Eigentum ist sozialpolitisch wertvoll und muß verbreitert werden ... 4. Der Rang der Persönlichkeit bemißt sich im Arabischen Sozialismus nicht nur nach ihrem Produktivwert ... 6. Der Arabische Sozialismus ist nicht dogmatisch festgelegt, er schöpft aus allen Quellen menschlicher Erkenntnis. 7. Der Arabische Sozialismus wird nicht von einer Partei, sondern vom ganzen Volk getragen

Die neue Formel hieß fortan Arabischer Sozialismus, womit die nationale Besonderheit der sozialistischen Absicht auf den Begriff gebracht wurde

Immerhin, was tatsächlich geschah, war bemerkenswert genug. Die Banken und die Versicherungsunternehmen, die Schwerindustrie und die Transportunternehmen wurden verstaatlicht. Den mittleren Unternehmen und Kapitalgesellschaften wurde eine staatliche Zwangsbeteiligung von 50 0/0 auferlegt, die Bodenreform noch einmal verschärft. Der sog. . öffentliche Sektor'nimmt seither die dominierende Stellung in der ägyptischen Volkswirtschaft ein. Aber die fraglos schwerwiegenden Eingriffe in die Sozialstrukturen hielten sich doch genau im Rahmen der Interessen der längst herrschenden Neuen Klasse. Die Nationalisierungen trafen die mit der alten Notabienschicht eng verflochtenen ägyptischen Großbürgerschichten. Der private Sektor der kleinbürgerlichen Mittelschichten blieb ungeschoren. Das wichtigste sozialpolitische Ergebnis der Nationalisierungen von 1961 bestand auf lange Sicht darin, im öffentlichen Wirtschaftssektor der militärisch-bürokratischen Herrschaftsschicht die Ausweitung in die Ökonomie eröffnet zu haben. Das Anschwellen der technokratischen Bürokratie in den Jahren nach 1961 spricht eine beredte Sprache. In vier Jahren erhöhte sie sich um nicht weniger als 61 % Aus welchen Kreisen sich die neue Wirtschaftsaristokratie rekrutierte, hat Abd-El-Malek gezeigt: unter 301 Namen von neuen Wirtschaftsfunktionären zählte er für Mai 1962 57 Ingenieure, 57 Promovierte anderer Disziplinen und 186 Beamte und Offiziere

Gleichsam kodifiziert wurde die neue sozialpolitische Doktrin in der sog. Nationalen Charta, die Nasser am 21. Mai 1962 einem zu diesem Zweck zusammengerufenen . Kongreß der Volkskräfte’ vorlegte. In diesem umfangreichen Dokument, das vom . Kongreß der Volkskräfte'umgehend einstimmig ratifiziert wurde, finden sich die bekannten Grundsätze im Detail aufgeführt und mit reichlich progressistischem Vokabular angereichert wieder. Von den Lobrednern des Regimes gepriesen als , Neuer Koran', im verschreckten Westen als „Beginn der Bolschewisierung Ägyptens" gedeutet, enthielt es in der Sache wenig Neues Den , Massen', dem . werktätigen Volk’, den . Arbeitern und Bauern'wurde aufwendig gehuldigt, die Realität des Klassenkampfes wurde bestätigt, das zentrale Kapitel zur Sozialpolitik trug den Titel „über die Unvermeidlichkeit der sozialistischen Lösung" Was als Lösung dann allerdings angeboten wurde, hielt sich im bekannten national-sozialistischen Rahmen, wiewohl das bevorzugte Etikett jetzt . Wissenschaftlicher Sozialismus'hieß. Der Klassenantagonismus wird im nationalen Rahmen gelöst, zu den progressistischen Volkskräften zählt auch das „nationale Kapital", die Revolutionierung der Agrarverhältnisse besteht in der massenhaften Verbreitung des Kleinbesitzes. Um der von oben oktroyierten Sozialphilosophie die gehörige Massen-basis zu verschaffen, wurde umgehend eine neue politische Organisation aus der Taufe gehoben, die Arabische Sozialistische Union, die dritte seit 1952. Die weiland Nationale Union wurde mit der Begründung aufgelöst, sie sei von den Kräften der Reaktion unterwandert worden. Am 12. März 1962 konstituierte sich die ASU als politische Organisation der „Massen der Volkskräfte" mit der Nationalen Charta als Richtschnur und der Bestimmung, als „Schild der gesunden Demokratie" zu dienen Trotz bedeutend gesteigerter Geschäftigkeit und gewaltigen Mitgliederzahlen (gegenwärtig bei 7 Millionen) blieb die ASU in den folgenden Jahren, was ihre Vorgängerinnen schon immer gewesen waren, nämlich eine Veranstaltung ihrer Stäbe. Die Befürchtungen, sie könne zu einem Herrschaftsinstrument im Stile kommunistischer Parteiapparate werden, erfüllte sich ebensowenig wie die Hoffnungen, sie würde zur lebendigen Avant-Garde der Massen der ägyptischen Bevölkerung. Richtig ist, daß nach der Selbstauflösung der Kommunistischen Partei Ägyptens im April 1965 und ihrem Aufgehen in der ASU einige kommunistische Intellektuelle in die Führungsgremien der neuen Einheitspartei einrückten und in der Parteipresse Marxismus verbreiteten. Außer auf die düsteren Prophetien westlicher Beobachter hatte dies indessen keinerlei Einfluß. Heute, zwei Jahre nach dem Todes des Rais, erfüllt die ASU dieselbe Funktion wie ihre Vorgängerinnen als Akklamationsmaschinerie des Regimes; eines Regimes.dessen erster Mann nach zwanzig Jahren Revolution und nach zehn Jahren des . wissenschaftlichen Sozialismus'die Parole ausgab: „Im Dorf sind die Menschen einig. Wenn an einem Tag, da jemand Hochzeit feiern will, ein anderer stirbt, verschiebt man aus Rücksicht das Fest. Ich wünsche mir eine Verfassung, die auf diesen Traditionen beruht, damit Ägypten ein großes Dorf werde."

Das Beispiel Guinea

„On pense de maniere revolutionnaire et on agit en fonction des vieilles habitu-des et des vieilles conceptions. Ainsi, la revolution se brise dans son applica-tion.“ Sekou Toure im September 1959.

Der Ruhm und Ruf Guineas, unter dem Banner des antiimperialistischen Progressismus an der Spitze des nachkolonialen Afrika zu marschieren, datiert vom 28. September 1958, dem Tag, an dem das guineische Volk mit 94 % Stimmenmehrheit das Angebot de Gaulles zum Eintritt in die neugeschaffene Communaute Franpaise ablehnte. Das dramatische , Non’ zu dem von Frankreich angebotenen „gemeinsamen Schicksal" (de Gaulle in Conakry am 28. August 1958), als alle anderen frankophonen Staaten mit beflissenem Enthusiasmus zustimmten — zu einem Zeitpunkt überdies, wo der algerische Aufstand noch einmal von der Kolonialmacht erstickt zu werden drohte —, brachte Guinea einen gewaltigen Vorschuß revolutionären Prestiges und seinem politischen Führer Sekou Toure die Aureole des furchtlosen Freiheitshelden ein. Es lenkte weltweit die Aufmerksamkeit auf einen Dekolonisationsprozeß, dessen emanzipatorische Konsequenz seines politischen Konzepts an Kühnheit alles hinter sich zu lassen schien, was man bis dahin aus dem schwarzen Kontinent zu hören gewohnt war. Es brachte der Welt und vor allem ihrem noch kolonisierten Teil ein sozio-politisches Experiment zur Kenntnis, das in der gewissen Überzeugung unternommen wurde, wegweisend für ganz Afrika, vielleicht auch noch weit darüber hinaus zu sein. Ein Experiment, dessen Initiatoren vom missionarischen Glauben an ihre historische Rolle erfüllt waren, als revolutionäre Avantgarde des ganzen Afrika und stellvertretend für dieses zu handeln

Die Honorierung blieb nicht aus. Guinea wurde alsbald gefeiert als tat Pilote’ nicht nur für den Befreiungskampf kolonisierter Völker, sondern in einem universalen menschheitshistorischen, ja fast heilsgeschichtlichen Sinne Seinem jungen Staatschef wurde reichlicher Lorbeer gewunden und seine historische Erscheinung — je nach Neigung — in die Nähe Napoleons, Robespierres oder Lenins gerückt (freilich auch in diejenige Hitlers und Mussolinis) Die Rechte in aller Welt indessen sah wie gewöhnlich schwarzen Undank und bolschewistische Heimtücke am Werk Das , Nein'Guineas zur Perpetuierung der Abhängigkeit von Frankreich in Gestalt einer nur formalen Freiheit ist zu einem Markstein in der Geschichte der Dekolonisation geworden, und es wurde zum Beginn eines der bemerkenswertesten Versuche zur sozio-kulturellen Definition postkolonialer autonomer Existenz.

Noch dreizehn Jahre später vermag das legendäre . Nein'die schweren Enttäuschungen, die verheerenden Fehlentwicklungen und selbst die Barbarei zu überstrahlen, die seither den Glanz des guineischen Experimentes verdunkeln. Man trennt sich nur schwer von der Vision der brüderlichen Volksdemokratie auf afrikanisch, von der Euphorie des antikolonialistischen Humanismus, dem revolutionären Massenkult, die besonders der linken Intelligenz den . Etat Pilote’ Afrikas teuer machten. Freilich schwankt das Bild seit langem schon auch bei der Linken. Wo die Enthusiasten des , kommunokratischen’ Populismus noch immer die Geburt des neuen Menschen sich vollziehen sehen, gerade und erst recht in den Massenszenen der Volksjustiz, den populären Hexenjagden nach . Verrätern'und . Saboteuren', den permanenten Orgien der Massen-hysterie, da weisen peniblere Geister hin auf die ungeschmälerte Fortexistenz mächtiger ausländischer Monopolinteressen, den obrigkeitlich unterdrückten Klassenkampf, die Etablierung einer neuen Herrschaftsoligarchie. Einer der wenigen ausländischen Besucher, die nach dem sogenannten . Komplott der Fünften Kolonne’ vom Februar 1970 und den darauf-folgenden Säuberungen Guinea bereisten, der nigerianische Cineast Mustafa Diop, ist noch tief beeindruckt von der Präsenz der Massen im und öffentlichen Leben des Landes. Elend und Armut verlieren ihre Schrecken vor dem , Stolz'und der . Würde', mit der sie getragen werden. Die bloße Unsichtbarkeit weißer Herren suggeriert Freiheit und Volks-souveränität:„J‘ai eu la nette impression qu'un homme nouveau tait en train de naitre en Guinee."

Sehr viel früher zog Ameillon, französischer Marxist und Advokat des chinesischen Entwicklungsweges, eine ganz andere Bilanz. Für ihn ist Guinea bereits 1964 das traurige Beispiel für die Dekadenz einer revolutionären Elite zur neuen Herrenklasse unter dem Einfluß neokolonialistischer Interessen: „Cette infeodation ä l'etranger transforme le groupe dirigeant, politicobureaucrate, en classe priviligiee dont le but principal devint l'accroissement des ressources d'un budget d‘o lui venaient ses revenues."

Bei diesem Urteil ist es unter linken Autoren europäischer Provenienz zumeist geblieben. Eher melancholisch registriert man den Verlust einer großen Hoffnung und schlußfolgert daraus neue antiimperialistische Strategien, gewöhnlich ä la Chinoise —. Eine Ausnahme macht die soeben erschienene, groß angelegte Arbeit Claude Rivieres, eines französischen Sozialwissenschaftlers, der vier Jahre an der Universität Conakry lehrte. Das guineische Experiment will diesem Autor noch immer als „magnifique Strategie de la desalienation" erscheinen

Die . Demokratische Volksdiktatur'im Jahre XIII der Revolution

In der Tat ist es ein ziemlich düsteres Bild, das Guinea im 13. Jahr seiner Existenz auch dem wohlwollenden Betrachter bietet. Politisch trägt es die beklemmendsten Züge der totalitären Diktatur. Die Einheitspartei in der Hand ihres allmächtigen Chefs verfügt über das absolute Meinungs-und Informationsmonopol. Im Lande gibt es nur eine Zeitung, die parteioffizielle Horoya'; die anderen Massenmedien sind ebenfalls in der Hand des Staates und der Partei. Selbst die private Kritik ist unter Strafe gestellt. Nach einem Gesetz aus dem Jahre 1964 wird „jede Äußerung, die dahin tendiert, das Regime oder die Partei zu unterminieren", mit 5 Jahren Gefängnis bestraft. Die Isolation von und nach außen geht so weit, daß nicht einmal ausländische Journalisten im Lande geduldet werden — ein einmaliger Fall, wie er in dieser Rigorosität nicht einmal von China während der Kulturrevolution praktiziert wurde. Die Gefängnisse sind mit politischen Gefangenen überfüllt. Das Land dürfte den Weltrekord an politischen Emigranten halten. Nach einem Bericht der Zeitschrift , Jeune Afrique'vom 11. Dezember 1971 leben von insgesamt etwa 4 Millionen Guinesen ca. 1 Million im Exil. Die periodisch veranstalteten Massensäuberungen erinnern in ihren Ausmaßen an das Wüten Stalins Ende der dreißiger Jahre. Seit dem Jahre 1960 hat es sechs . Komplotte'mit anschließenden Säuberungen im Massenstil gegeben:

1. April 1960 (sog. .complot d'inspiration franaise"). 2, November 1961 (sog. , complot des enseignants'),

3. September 1963 (sog. , complot des petits commerants’), 4. Oktober 1965 (sog. , complot des grands commercants’), 5. März 1969 (sog. , complot militaire'), 6. Dezember 1970 (sog. , complot de la Ve Colonne')

Die Schauprozesse mit ihren Massentribunalen, Selbstbezichtigungen und öffentlichen Hinrichtungen stellen an öffentlich dargestelltem Schrecken so ziemlich alles Vergleichbare aus neuerer Zeit in den Schatten

Die ökonomische Lage ist desolat. Die Landwirtschaft verzeichnete während der letzten Jahre katastrophale Einbußen, die mit großem Aufwand erstellten staatlichen Unternehmen produzierten maximal nur zwischen 20— 40 % ihrer Kapazitäten die Preisentwicklung befindet sich seit langem in galoppierender Inflation. Die Außenhandelsbilanz ist notorisch defizitär, die Auslandsverschuldung verzweifelt hoch. Nur ein Wirtschaftssektor blüht im sozialistischen Guinea unentwegt weiter, die vom ausländischen Kapital getragenen Extraktivindustrien wie FRIA (Aluminium) oder die . Compagnie des Bauxites de Boke Ähnlich düster steht es um die außenpolitische Situation des Landes. Guinea sieht sich heute rundum isoliert. Irgendwann einmal während der vergangenen zehn Jahre hat es Sekou Toure mit jedem verdorben — ausgenommen bemerkenswerterweise mit den USA In der periodisch etwa alle zwei Jahre wiederkehrenden Aufdeckung . imperialistischer Komplotte'wurden kapitalistische Länder ebenso denunziert wie sozialistische, Staaten der afrikanischen Nachbarschaft fanden sich ebenso auf der Anklagebank wie der Vatikan. Das Wüten gegen die tatsächlichen oder imaginären imperialistischen Anschläge hat freilich System. Abgesehen vom innenpolitischen Haupteffekt — Beseitigung dieser oder jener gefährlichen oder gefährlich erscheinenden Gruppe -— trifft der antiimperialistische Zorn mit Vorzug diejenigen, die sich gerade besonders im Lande engagiert haben. 1961 beim sog. . Komplott der Lehrer'war es die Sowjetunion, die nach der Totaldemontage durch die Franzosen dem Land erhebliche Hilfe geleistet hatte Im Dezember 1970 beim sog. . Komplott der V. Kolonne'war es die Bundesrepublik, deren Militär-und Entwicklungshilfe während der vorangegangenen Jahre besonderes Gewicht besaß Der Verdacht, es handle sich ganz einfach um wohlkalkulierte Manöver, um die lästigen Gläubiger los zu werden, liegt denn auch nahe

Auch das makabre Szenarium besitzt seine Rationalität. Das barbarische Spektakel, das die antiimperialistischen Kreuzzüge begleitet, die Volkstribunale, die zum Volksfest arrangierten Massenhinrichtungen etc. erfüllen eine unentbehrliche Funktion. Der Grimm der Massen auf den Erzfeind, auf die endlich sichtbar, greifbar, zerstörbar gewordene Macht des Bösen: die ausländischen Imperialisten und ihre einheimischen Agenten zu lenken, die äußeren und inneren Fehlschläge als Resultate niederträchtiger Komplotte der Volksfeinde zu entlarven —, darin liegt der Sinn der kalkulierten Barbarei

Nach den letzten Gewaltstreichen, die, was die Fragwürdigkeit ihrer Rechtfertigung anging, alles bisherige womöglich noch übertraf, schien das Land am Ende, das guineische Experiment endgültig gescheitert. „L'Etat guineen n’existe guere et ce qui en existe ne fonctionne pas", schrieb Bechir Ben Yahmed, der Leitartikler von , Jeune Afrique'im Februar 1971. Die Wohlwollendsten empfahlen den sofortigen Übergang zur wahrhaft sozialistischen Revolution nach authentischem Muster, weniger Wohlwollende die psychiatrische Behandlung des guineischen Staatschefs.

Die Reaktionen des Auslandes schwanken zwischen Ratlosigkeit, Erbitterung und Abscheu. Als „eine mißgestaltete, mißwirtschaftende Parteidiktatur, dem Gewaltherrscher zu Willen“, beherrscht von „Fremdenhaß und Verfolgungswahn", so zeichnete Der Spiegel'Guinea im zwölften Jahre der Revolution

Le Monde'nannte die Januarvorgänge eine „Episode horrible de barbarie", der . Courier de Madagascar'sprach von „monstruosite de Sekou Toure" Trotz diplomatischer Reserve klang selbst das Echo aus den Staats-kanzleien bestürzt und empört. Die afrikanischen Anrainer reagierten zutiefst schokkiert Aus Paris und Bonn versuchten die Staatsoberhäupter persönlich zu intervenieren. Der Papst selbst äußerte öffentlich seine Abscheu. Nur Washington versicherte Sekou Toure seiner „Sympathie und Unterstützung"

Was läge näher — angesichts der offenkundig unberechenbaren Willkür guineischer Politik — als sich an die Person des , Großen Elefanten'(, Silly'), wie der populäre nom de guerre Sekou Toures lautet, zu halten. Die einen vermuten Cäsarenwahn, die anderen eher die Tragik des von seiner Revolution gejagten Robespierre So reduziert sich das Phänomen Guinea für viele auf das Phänomen Sekou Toure. Der kühne politische Entwurf erscheint durch ihn zur Karikatur verzerrt, brauchbar allenfalls als warnendes Exempel.

Dabei hätte das revolutionäre Guinea das genaue Gegenteil werden sollen von einer in partikularem Interesse ausgeübten, gar persönlichen Diktatur. Der . Etat Pilote'Afrikas und der antiimperialistischen Revolution rühmt sich zwar einer Diktatur, aber einer Diktatur ganz besonderer Art, nämlich der .demokratischen Volksdiktatur’ in scharfer Abgrenzung zur dogmatischen Klassendiktatur marxistischer Provenienz, wie zur praktischen Klassendiktatur der bürgerlich-kapitalistischen Welt Es bekennt sich zu totalitärer Praxis, aber nur im ausschließlichen Interesse des gesamten guineischen Volkes Guinea hätte das ganz Neue, das bisher noch nie Gesehene werden sollen. Nichts Synthetisches aus der ideologischen Retorte, auch nichts Synkretistisches aus west-östlichem Amalgam, sondern das ganz und gar Eigenständige aus der konkreten historischen und soziopolitischen Situation erwachsende und unter dem einzigen Leitmotiv der Massenemanzipation weiterentwikkelte Gemeinwesen.

Es sollte sich um ein System der Herrschaftsausübung und der Herrschaftskontrolle handeln, wo ohne die Zwänge ideologischer Fixierung ein praktikables Maximum an direkter Demokratie gewährleistet sein würde. Es sollte sich um eine sozio-politische Organisation handeln, die sich weder durch Klassenkampf noch durch Laissez-Faire definierte, eine Gesellschaft, in der durch die permanente Aktivierung der Massen soziale Verantwortlichkeit und kollektiver Geist sich ohne Zwang realisieren würden. Eine neue Gesellschaft, deren Zukunftsorientierung auf den aus fremder Verschüttung wieder freigelegten sozio-kulturellen Werten afrikanischer Eigenart aufbauen sollte. Vor allem aber das eine: Das freie Guinea sollte ein Gemeinwesen werden, dessen erstes Charakteristikum die absolute Souveränität der Massen, ihre reale permanente Präsenz im sozio-politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß, ihre totale Emanzipation aus den materiellen und geistigen Fesseln traditionsgeleiteter und kolonial geprägter Existenz sein würde. Guinea hätte die „Materialisation des Volkswillens“ werden sollen So stand das Modell Guinea dem jungen Partei-und Gewerkschaftsführer Sekou Toure vor Augen, noch ehe die Unabhängigkeit errungen war. So hatte es seine Partei seit langem propagiert und damit bereits vor dem Abzug der Franzosen ihre großen Siege errungen.

Intellektueller Populismus

„C'est au peuple que nous obeirons, d ce peuple qui, d nos yeus represente une valeur superieur ä toutes les valeurs du monde.“ Sdkou Toure im September 1959.

Der radikale Populismus des guineischen Experimentes hat verschiedene Wurzeln. Er war angelegt in der sozio-kulturellen Situation der revolutionären Gruppe selbst. Er entsprach dem nationalistisch-antikolonialistischen Bedürfnis, aus fremder Überlagerung zurüdezufinden zu den Quellen eigener Existenz. Politisch bot er die große Chance für eine Gruppe ohne besonderen ethnisch-sozialen Rückhalt, sich eine Machtbasis zu verschaffen. Insgesamt ist der Populismus die normale, geradezu klassische ideologische Waffe intellektueller Eliten im Kampf gegen Traditionalismus und Fremdüberlagerung

Die PDG (Parti Democratique Guineen), im Jahre 1947 als regionaler Ableger der gesamt-afrikanisch konzipierten RDA (Rassemblement Democratique Africain) entstanden, war die Gründung junger Intellektueller Ihre Führer hatten den Schritt aus den Bindungen ihrer traditionalistisch und kolonialistisch strukturierten Gesellschaften bereits vollzogen. Ihre Ausbildung prädisponierte sie zu einer . modernen'Existenz außerhalb des tribalen und familialen Autoritätskontextes. Ihre individuellen Aufstiegserwartungen fielen zusammen mit der Überwindung des ethnisch-religiösen Partikularismus und des sozialen Immobilismus. Der Kampf gegen den soziokulturellen Rahmen der alten Gesellschaft gehörte sozusagen zur natürlichen Mitgift ihrer Intellektuellenexistenz. Ihm wandte sich die junge Partei sofort mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu. Schon nach Struktur und innerer Organisation demonstrierte sie ihre revolutionäre Absicht.

So ziemlich alle Parteien Schwarzafrikas jener kolonialen Spätzeit waren modern zurechtgemachte Fortsetzungen ethnischer oder stammesmäßiger Bindungen oder sie stützten sich doch wenigstens auf eine bestimmte Ethnie als ihre Hausmacht. In Guinea waren die Parallel-und Gegengründungen zur PDG reine Zweckverbände ethnisch-traditionalistischer Interessen. Die in Anlehnung an die französische sozialdemokratische Partei (SFIO) gegründete MSA (Mouvement Socialiste Africain) sowie die BAG (Bloc Africain de Guinee) und die PRA (Parti du Rassemblement Africain) waren nichts weiter als Kandidaten-Syndicate’ der Fula-Chefs Nicht so die PDG. Sie verzichtete prinzipiell auf jede ethnische oder tribale Affiliation. „Le principe essentiel qu'il ne faut jamais oublier, c'est que le Parti Democratique de Guinee est different des anciens mouvements ethniques que nous avons connus en Guinee", wurde der junge Parteichef Toure nicht müde, seinen Landsleuten einzuprägen In der Führungsspitze herrscht strenger ethnischer Proporz „Die PDG hat die guineische Nation erst geschaffen", wird Sekou Toure später im Hinblick auf ihre Kampagnen gegen den ethnischen, tribalen und religiösen Partikularismus sagen. Sie propagierte die politische gegen die personale Loyalität, die Nation gegen den Stamm, die demokratische Legitimität gegen die traditionale Autorität. Kurz, die junge Parti Democratique de Guinee stand gegen das durch seine Verbindungen zum Kolonialismus schwer diskreditierte alte Establishment und war mithin angewiesen auf das . Volk’ im modernen politischen Sinn. Der Kampf wurde konsequent betrieben und erwies sich als überaus erfolgreich.

Ein anderes kommt hinzu: Als positiver Inhalt der nationalistisch-antikolonialistisdien Ideologie spielt der Populismus eine bedeutende Rolle. Die Rückkehr zum Volk ist eiserner Bestandteil jeder nationalistischen Doktrin. Im , reinen', von fremder Verderbtheit unberührt gebliebenen , Volk'suchen die intellektuellen Ideologen des afrikanischen Nationalismus ebenso das Heil wie ihre deutschen oder russischen Vettern eineinhalb Jahrhunderte zuvor. Die Appelle, zurückzukehren zur Schlichtheit und Biederherzigkeit des Volkes, zu seinen einfachen und guten Sitten, und abzulassen von fremdländischer Hoffart variieren nur im progressistischen Vokabular von den Manifesten des romantischen Nationalismus mittel-und osteuropäischer Prägung im 19 Jahrhundert Volkstanz und ländliche Tracht haben als Inhalte nationaler Gesinnung auch unter links-intellektueller Herrschaft nichts an Popularität verloren. Aber die Parallelen reichen noch weiter: Im revolutionären Guinea enthält die Schelte . volks-fremder'Kunst und Literatur als Stigmata fortbestehender . Kolonisierung des Geistes'ähnliche Drohungen wie bei den Totalitären Die geistige Dekolonisierung und die Wiedergewinnung der afrikanischen Identität soll sich in der nationalen Wiedergeburt aus dem Geist des Volkes vollziehen. Von daher der typisch antiintellektuelle Affekt nationalistischer Intellektueller in sehnsüchtigem Verlangen nach geistiger Kommunion mit dem Volke oder den , Massen

Die Wendung zum romantischen Populismus hat freilich ihre Tücken. Die Sitten und Tradi-tionen des Volkes gehören ja zum kulturellen Rahmen der alten Gesellschaft, die man unter allen Umständen beseitigen will. Das sollte sich praktisch in verhängnisvoller Weise bei dem Versuche zeigen, die revolutionäre Neuorganisation der sozio-politischen Struktur an die vermeintlich progressistischen Traditionen der vorkolonialen Zeit anzuknüpfen.

Afrikanisierter Marxismus?

„Nous aurions echoue si nous nous etions enfermes dans une Philosophie abstraite. Je dis que la Philosophie ne nous interesse pas. Nous avons des besoins concrets.“ Sekou Toure zu Aime Cesaire im Jahre 1959.

Entgegen einem verbreiteten Mißverständnis hat der Marxismus kaum Anteil am Kernstück der guineischen Staatsphilosophie. Die Begegnung mit dem Marxismus war gewiß ein wichtiges Ereignis für die intellektuelle Formation der jungen Parteigründer, zu Bekehrungen ist es indessen nicht gekommen. Der Populismus Sekou Toures schöpft aus anderer Quelle, mit dem Marxismus hat er nichts zu tun. Die Rezeptionen aus der kommunistischen Theorie betreffen praktische Dinge, etwa die Partei-organisation; die ideologischen Aspekte bleiben außer Betracht.

Es scheint erwiesen, daß Sekou Toure und Diallo Saifoulaye bereits 1945/46 zum Umkreis einer von französischen Lehrern gegründeten kommunistischen Zelle in Conakry gehörten; sicher ist, daß beide spätestens zu dieser Zeit mit den theoretischen Grundzügen des Marxismus vertraut waren

Ungleich wichtiger als Philosophie und soziopolitische Theorie sollte — wenigstens für Sekou Toure — die gewerkschaftliche Praxis werden. Im Jahre 1945 war Sekou Tour im Alter von 23 Jahren Mitbegründer der guineischen Sektion der kommunistischen CGT. 1948 avancierte er zu ihrem Generalsekretär. Als Organisator populärer Streiks gewann er in dieser Funktion seine ersten politischen Meriten. Er war es auch, der seit Mitte der fünfziger Jahre die gewerkschaftliche Eigenständigkeit von den metropolitanen Organisationen durchsetzte (1956 Gründung der CGTA — der Confederation Generale du Travail de l’Afrique; 1957 Gründung des von der CGT völlig unabhängigen UGTAN)

In diesem Rahmen praktischer gewerkschaftlicher Arbeit gewann der spätere Politiker die Maßstäbe seines Denkens und Handelns. Der ihm nachgerühmte Pragmatismus und Realismus, sein programmatischer Anti-Dogmatismus, die Aversion gegen Abstraktion und graue Theorie und im Zusammenhang damit ein gelegentlich militant zutage tretender Anti-Intellektualismus haben hier ihre soliden Wurzeln. Im Konflikt zwischen abstrakter Theorie und den praktischen Bedürfnissen der guineischen Realität entschied sich der Gewerkschaftler Toure noch stets für die letzteren. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis bedeutete ihm erst gar nicht ernsthaften Konflikt, sondern Anlaß, die Theorie als intellektuelle Gedankenspielerei abzutun oder sie als Mittel zu verdächtigem Zweck zu entlarven. Den kommunistischen Theoretikern des CGT bescheinigte er beispielsweise schlichte Unkenntnis der Verhältnisse, als sie für Afrika den proletarischen Klassenkampf verordnen wollten, und er sparte dabei nicht mit anzüglichen Bemerkungen über die neoimperialistische Impertinenz gewisser Genossen Das freilich sollte keine Wendung gegen den Marxismus überhaupt sein. Marxistische Theorie und kommunistische Praxis sind durchaus willkommen, wenn sie praktikable Antworten auf konkrete guineische Probleme anzubieten haben, im übrigen aber gilt, „daß die Philosophie uns nicht interessiert, wir brauchen Konkretes", wie er später seinem Bewunderer Cesaire erläuterte Ein höchst unbefriedigendes Auswahlprinzip für einen Marxisten.

Will man Sekou Toure überhaupt in einen marxistischen Zusammenhang bringen, so müßte man von einem aus Gewerkschaftspraxis und Nationalismus gespeisten kräftigen Revisionismus sprechen, der von der theoretischen Substanz des wissenschaftlichen Sozialismus kaum noch etwas übrig läßt. Selbst Cesaires Vermutung, Sekou Toure wolle Afrika nicht marxistisch machen, sondern den Marxismus afrikanisieren, scheint übertrieben. Was bei nüchterner Betrachtung bleibt, sind gelegentliche Anleihen bei der revolutionären Terminologie, ein vages Vorstellungsbild allgemeiner historischer Dialektik und dieses oder jenes Element marxistischer Kapitalismus/Imperialismus-Analyse. Die eigentlichen Angelpunkte dieses Systems — philosophischer Materialismus, dialektische Klassendynamik, revolutionäre Theorie etc. — bleiben, wenigstens für afrikanische Verhältnisse, dahingestellt oder werden abgelehnt So wurde dem Populismus der PDG von ihren Analytikern häufig ein ganz anderes geistes-geschichtliches Herkommen bescheinigt denn eine marxistische. Tatsächlich ließen sich beispielsweise sinnfälligere Parallelen zu Rousseau („Chacun doit se considerer comme une , partie’, un lment indissociable d'un (Ensemble', soumis aux lois et aux exigences de celui-ci") oder dem radikaldemokratischen Jakobinismus („La fidlit au peuple est pour nous le critere de l’honntet et de l’utilit sociale de 1'homme") ziehen als zu Marx/Lenin und dem proletarischen Klassenstandpunkt.

Das kommunokratische Prinzip

„La societe guineenne heureusement n'est pas divisee en classes sociales avec des interets londamentaux opposes“. Sekou Toure im November 1958.

Guineas Modell der . Demokratischen Volks-diktatur'ist nach dem Selbstverständnis seiner Konstrukteure das Produkt einer revolutionären Synthese von sozio-historischer Eigenart und wissenschaftlich entwickelten modernen Organisationsprinzipien. Mit einer Seite seines Wesens soll es eine „Rückkehr zu den afrikanischen Quellen" sein, mit der anderen die radikale und perfekte Lösung des kompliziertesten aller politischen Probleme einer modernen Massendemokratie: die permanente und aktive Präsenz des Volkes im politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozess der Nation.

Die beiden Elemente zur Realisierung der demokratischen Volksdiktatur heißen Kommunokratie und Einheitspartei. Das eine ist die soziale Philosophie, das andere das organisatorische Instrument des . totaldemokratischen'Anspruchs der guineischen Revolution. Das kommunokratische Prinzip beruht auf einer leicht rassistisch getönten kulturhistorischen Anthropologie des Afrikaners. Gegen die nichts als rassistische Interpretation ist — theoretisch wenigstens — eine kulturhistorische Sicherung eingebaut. Bei ganz genauem Hinhören nämlich entdeckt man hier und da Hinweise, daß doch nicht eigentlich eine höhere Humanqualität des Afrikaners etwa gegenüber dem Europäer gemeint ist, sondern glücklichere historische Umstände Die Kommunokratie ist vor allem sozio-kulturelles Erbe: „L'Afrique est essentiellement communaucratique." Sie soll dem Volksgenossen ein Zweifaches ins Bewußtsein bringen: zum einen soll Bezug genommen werden auf die kommunalistische Grundverfassung des vorkolonialen Afrika mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen basisdemokratischen Traditionen: es soll so die Kontinuität zu sozio-politisehen Stukturen vermittelt werden, in denen das freie Afrika einst seine politische Persönlichkeit formulierte. Aber das kommunokratische Prinzip will noch ein Tieferes umfassen als Organisatorisch-Strukturelles. Es soll etwas wesensmäßig Anthropologisches des Afrikaners ausdrücken: die Kommunokratie entspreche der sozialen Natur des afrikanischen Menschen. Seine philosophische Grundlage bilde ein als spezifisch afrikanisch reklamierter Humanismus, dessen gesellschaftliches Essentiale als allgemeine kollektivistische Disposition definiert wird. Der naturwüchsige afrikanische Kollektivismus manifestiere sich elementar in der Abwesenheit individualistischer, gar egoistischer Persönlichkeitszüge. Sein Grundmotiv sei die unmittelbare und spontane soziale Solidarität, seine spezifische Erscheinungsform die Aufhebung der personalen Existenz in der Gruppenindividualität

Aus diesen kultur-anthropologischen Prämissen zieht die Staatsideologie überaus praktische soziologische Schlüsse. Der naturwüchsig-humanistisch determinierte und mithin sozial programmierte afrikanische Kollektivismus nämlich habe zwar eine soziale Differenzierung der vorkolonialen Gesellschaftskörper gekannt, eine Klassenschichtung mit antagonistischen Interessen aber verhindert.

So sei die sozio-politische Organisation des vorkolonialen Afrika gekennzeichnet gewesen durch ein „Klima der Freiheit und sozialen Demokratie". Erst die koloniale Überlagerung habe der alten Gesellschaft allmählich die Gesetze der Konkurrenz, der Unterdrückung und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufgezwungen Die These von der gewaltsamen Einübung des kapitalistischen Geistes wird freilich nicht immer konsequent durchgehalten. Wie so oft gibt es da Schwankungen in der Theorie. Ein andermal vertritt Sekou Toure mit gleicher Emphase die These von der durch den Kolonialismus abgebrochenen Eigenentwicklung afrikanischer Gesellschaftskörper zur kapitalistischen Produktionsweise Die besonders für Europa typische dialektische Geschichtsdynamik, basierend auf Klassenantagonismus und Klassenkampf, sei mithin fremder Zwangsimport und also im Prozeß der Dekolonisation aus dem afrikanischen Gesellschaftskörper auszuscheiden. Die . Rückkehr zu den afrikanischen Quellen’ bedeutet auch sozial die Aufhebung der vom Kolonialismus aufgezwungenen Entfremdung. Natürlich heißt dies nicht Aufforderung zur Rückkehr in den Primitivstand der vorkolonialen Epoche. Vielmehr Reaktivierung der antochthonen sozialen Natur auf hohem zivilisatorischen Niveau. Die Absicht der anthropologischen und soziopolitischen Beweisführung liegt klar auf der Hand: Klassenkampfrezepte für soziale Befreiung und zivilisatorischen Fortschritt seien gegenstandslos in der afrikanischen Realität. Die Dialektik des Fortschritts vollziehe sich in den vom Kolonialismus befreiten afrikanischen Gesellschaften nicht antagonistisch. Zum Nachweis dieser für die praktische Politik eminent wichtigen Schlußfolgerungen entwickelte Sekou Toure nachgerade eine eigene Geschichtsphilosophie zu nationalem Gebrauch. In einer Vortragsserie über Grundlagen und Ziele der revolutionären Strategie der PDG im Jahre 1959 umriß er das offizielle Geschichtsbild wie folgt: Alle menschlichen Urgesellschaften seien kollektivistisch strukturiert gewesen und zwar aus Überlebensnotwendigkeit. Alsdann habe sich durch Spezialisierung der Produktion eine allmähliche gesellschaftliche Differenzierung durchgesetzt. So sei es auch in Afrika gewesen. Hier habe im Augenblick der kolonialen Besitznahme die Gesellschaft das Niveau feudalistischer Organisation erreicht

Bis hierher sind es die vertrauten Bilder des Historischen Materialismus marxistischer Provenienz, die bemüht werden. Aber es sind eben nur die Bilder unter Ausschluß der entscheidenden Motive der historischen Dynamik, also der Dialektik. Denn das vom Zustand des vorkolonialen afrikanischen Feudalismus entworfene Bild zeigt Stasis; es ist ein harmonischer Zustand „der Freiheit und sozialen Demokratie", dem Ausbeutung und Unterdrückung durchaus fremd waren. Und zwar, wie oben beschrieben, aus Gründen der sozialen Werte des afrikanischen Humanismus Sekou Toure entwickelte weiter: die Katastrophe im harmonischen Kontinuum historischer Evolution trat ein mit der Kolonisation. Katastrophe im eigentlichen und umfassendsten Sinne, weil durch sie das soziale Prinzip des afrikanischen Humanismus zerstört wurde. Im Herrschafts-und Ausbeutungsinteresse habe der Kolonialismus Afrikas Kollektiv-wesen zerbrochen und den Individualismus mit seinen Korrelaten Egoismus, Privateigentum, Materialismus, Gewinnsucht etc. inthronisiert In Kurzfassung die geschichtsphilosophische Perspektive daraus: die antikolonialistische Revolution muß insoweit eine . Rückkehr zu den afrikanischen Quellen'sein, als sie die Denaturierung des afrikanischen Wesens in seiner humanistischen Substanz aufhebt und seine ursprüngliche soziale Qualität zur Grundlage zukünftiger autonomer Entwicklung macht. Das soll heißen, die Eliminierung des artfremden Individualismus wird mit Notwendigkeit in den harmonischen Entwicklungsgang kollektivistisch und sozial orientierter historischer Kontinuität zurückführen. Die Hauptaufgabe der Revolution liegt somit in der , Reconversion des Esprit'. Der entscheidende Kampf zur Wiedergewinnung der sozialen Identität spielt sich im individuellen Bewußtsein und nicht im Rahmen gesellschaftlicher Widersprüche ab Alles Weitere folgt aus dieser Logik. Einerseits: da selbst bei der Existenz verschiedener sozialer Klassen es doch keinen Klassenantagonismus gibt, entfällt eine klassenmäßige Definition der Revolution. Die guineische Revolution ist die Revolution des ganzen Volkes; die Diktatur ist nicht Klassendiktatur, sondern demokratische Volksdiktatur. Andererseits: da die traditionellen Kollektivtugenden das Wesen der Revolution bestimmen, kann es sich bei der politischen Neuorganisation keinesfalls darum handeln, Individualismus und Partikularismus zu perpetuieren. Die Herrschaft einer Klasse ist ebenso unvereinbar mit dem kommunokratischen Geist der guinei-sehen Revolution wie der politisch organisierte gesellschaftliche Pluralismus

Man sieht, die kommunokratische Eigenschöpfung dient zur theoretischen Abgrenzung nach zwei Seiten: zur Ablehnung des marxistisch-kommunistischen wie auch des westlich-liberalen Demokratie-Modells. Guinea ist afrikanisch. Seine sozio-politische Organisation folgt den Realitäten und Bedürfnissen autonomer afrikanischer Existenz. Die bloße Aufforderung zur Selbstdefinition nach west-östlichen Maßstäben wird bereits als imperialistische Anmaßung begriffen: „Nous nous definissons par l'Afrique et c'est l'Afrique que nous choissisons Ideologische Festlegungen werden entschieden zurückgewiesen. Schon die Subsumierung Prinzips kommunokratischen unter den Oberbegriff . Afrikanischer Sozialismus'wird übel vermerkt Die Kommunokratie ist der Weg Afrikas und nicht die kontinentale Variante eines fremden Prinzips Im übrigen fehlt nicht der Hinweis, daß das kommunokratische Erbe Afrikas von den fortschrittlichsten Kräften der Welt soeben entdeckt und nutzbar gemacht werde

Die Partei

„Le Parti est depositaire de la volonte populaire, non parce qu'il est un parti unique, mais parce que par ses structures, par son fonctionnement, il est un parti populaire, qui agit politiquement selon les regles strictes de la democratie et que son action l'a conduit ä realiser l'unite politique du peuple ... Le parti est le peuple organise." Sekou Toure im Oktober 1963.

Ist das kommunokratische Prinzip die weltanschauliche Legitimation der .demokratischen Volksdiktatur', so ist die Einheitspartei ihr lebendiges Organ — so jedenfalls nach ihrem Selbstverständnis. Die Parti Democratique de Guinee (PDG) rühmt sich, nicht mehr und nicht weniger als das organisierte Volk in seiner Gesamtheit zu sein, und zwar nicht im abstrakten Sinn einer elitären Avantgarde zur Wahrung der . objektiven'Volksinteressen, sondern im direkten, unmittelbaren Sinn der das ganze Volk erfassenden Organisation. Statistisch wenigstens ist der Anspruch gerechtfertigt. Bis zu 93 % der Gesamtbevölkerung reichen die diversen Berechnungen der Mitgliedschaft Bei solchen Dimensionen handelt es sich um eine eigene Qualität, denn die PDG ist nicht Partei im klassischen Sinne der Interessengruppierung von Individuen oder gesellschaftlichen Schichten. Sie ist auch nicht Partei im Sinne einer Sachwalterin höherer Einsicht mit pädagogischer Exklusiv-autorität. Die Partei ist vielmehr das Organ des Volkes, Exekutor seiner demokratischen Diktatur. Also weder Bürgervereinigung noch Mater et Magistra der Massen, noch Avantgarde der Werktätigen, sondern Formulieret, Koordinator und Planungsinstrument für die Aspirationen des Volkes in seiner Gesamtheit. Die PDG ist nach ihrem politischen Sinn* und ihrer inneren Struktur unvergleichbar den Parteien der liberalen Demokratie, und sie hat nichts zu tun mit den elitären Zentren dialektischer Vorsehung leninistischer Observanz. Sie ist Partei überhaupt nur in dem Sinn, daß sie die gesellschaftlichen Kräfte des Fortschritts gegen die Kräfte der Beharrung und Reaktion vereinigen will. Für sich allein besitzt sie keinerlei Autonomie; sie stellt lediglich den Rahmen, in dem die Volkskräfte selbst schöpferisch tätig werden

Nimmt man die organisatorische Leistung für den Beweis der Realisierung dieses hohen Anspruchs, so hat die PDG diese politische Quadratur des Zirkels einzigartig gemeistert. Die Quasi-Totalität der Bevölkerung ist in der Partei organisiert. In mehr als 10 000 Basis-komitees verfügt sie über eine dichtgeknüpfte Infrastruktur im ganzen Lande. In jedem der etwa 4000 Dörfer, in den Stadtvierteln, in den berufs-oder altersspezifischen Gruppierungen hat die Partei ihre Zellen und bestimmt in letzter Instanz das Geschehen. Gemessen nach Zahl und Omnipräsenz im politischen, sozialen und kulturellen Leben der Nation ist die Formel von dem in der Partei organisierten Volk in der Tat kaum übertrieben. Aber die Zahlen bilden nur das materielle Substrat für den radikaldemokratischen Anspruch. Das Einzigartige, so wird mit Stolz betont, ist die Organisation des demokratischen Prozesses von der Basis zur Spitze und von der Spitze zur Basis in diesem riesigen Organismus. Tatsächlich ist die Millionenpartei durchgängig von unten nach oben basis-demokratisch organisiert, . totaldemokratisch'wie gerne gesagt wird. Vom Dorfkomitee bis zum Staatspräsidenten beruht alle politische Delegation auf basisdemokratischer Entscheidung

Die organisatorisch bewirkte politische Aktivierung der Basis ist eindrucksvoll. Die Massen sind nicht nur einbezogen in die perma-nente Diskussion mit den Entscheidungsträgern, sie sind selbst auch integriert in die politische Verantwortungshierarchie; nahezu jeder zehnte Staatsbürger ist Mandatsträger irgendeiner Basisgruppe Komplementär zum demokratischen Strang von unten nach oben läuft ein umgekehrter Kommunikationsweg von oben nach unten. Die Gewählten aller Ebenen sind gehalten, in permanentem Kontakt mit der Basis zu bleiben und die oben gefaßten Beschlüsse mit der Basis zu diskutieren. Die Ergebnisse der Basisdiskussion wiederum sollen die Entscheidungen der Spitze befruchten. Gestützt auf diese doppelte Absicherung des . totaldemokratischen'Prozesses gilt für die Entscheidungsebene dann allerdings das Prinzip des . Demokratischen Zentralismus', also das leninsche Modell rigoroser Durchsetzung der von den oberen Parteiinstanzen gefaßten Beschlüsse. Der Entartung zur Diktatur des Apparates, wie er dem Demokratischen Zentralismus nach der historischen Erfahrung innewohnt, glaubt man durch den doppelten Kommunikationsweg vorgebeugt zu haben. Die Gefahr wird immer gesehen. Allerdings wird auch die eigentliche politische Funktion nicht verschwiegen. Demokratischer Zentralismus heißt in Theorie und Praxis, wie anderswo auch, Disziplinierung der Basis und doktrinäre Gewähr für den Gehorsam nach oben

Vor dem in der Partei organisierten Volk ist der Staat auf den bloßen administrativen Dienstleistungsbetrieb reduziert. Seine Organ-funktionen unterliegen der Aufsicht der Partei, die höheren Verwaltungskader werden von der Partei bestellt. Exekutive, Legislative und Jurisdiktion handeln auf Weisung der Partei, sie gehören zur Verwaltung, zum technischen Apparat Gewaltentrennung gibt es im Staate der demokratischen Volksdiktatur selbstverständlich nicht. Die Regierung ist Exekutivorgan der Partei unter Vorsitz des von der Partei nominierten und dem Volk gewählten Staatspräsidenten „un organe d’excution de la ligne definie par le parti en matiere d’administration" Nicht in seiner Qualität als Staatschef vereinigt Sekou Toure diktatorische Machtfülle in seiner Hand, sondern als Generalsekretär der Partei, als . Responsable Supreme de la Revolution', wie der ihm anno 1967 von der Partei verliehene Ehrentitel lautet. Als Staatspräsident „verwaltet er lediglich die Nation" Die gesetzgeberische Funktion des Parlamentes, der Assemblee Nationale (Art. 9 der Verf.: „L’Assemblee Nationale vote seule la Loi"), besteht in der Legalisierung der Parteibeschlüsse, de facto in ihrer formalen Registrierung Eine Kontrolle der Regierung durch das Parlament findet nicht statt; selbst Anfragen an die Exekutive bedürfen der Genehmigung durch die Partei Die eigentliche Aufgabe der Parlamentarier besteht darin, als Propagandisten der Parteilinie an der Basis zu fungieren Die Rechtsprechung, wiewohl nach dem Text der Verfassung unabhängig (Art. 35 der Verf.: „Dans l’exercise de leur fonctions judiciaires les Juges n'obeissent qu‘ la Loi"), ist nach Theorie und Praxis Administrativorgan der Demokratischen Volksdiktatur Da Recht im Namen des Volkes gesprochen wird, haben sich die Richter rückhaltlos der Autorität des Volkes zu unterwerfen

Kurz: Das Volk von Guinea, organisiert in der Partei, seinen Willen artikulierend durch die Organe der Partei, übt ungeteilte Souveränität über sein Schicksal aus. Die Demokratische Volksdiktatur in Guinea, garantiert durch das institutioneile Wechselspiel von Basis und Spitze, gefestigt durch das Prinzip des Demokratischen Zentralismus, -ist das exemplarische Modell der Herrschaft „des Volkes, durch das Volk, für das Volk" (so in der Präambel der Verfassung).

Klassenherrschaft in der . klassenlosen Gesellschaft

„Si les masses constatent qu'il y a contradiction entre ce que le Parti proclame et ce qui se realise, la meiiance ne manquera pas de s'installer et vous convien-drez qu'il est plus facile d'acquerir la confiance que de la reconquerir." Sekou Toure im November 1964.

Der Anspruch der Verwirklichung totaler Volksherrschaft steht und fällt mit der Richtigkeit der Aussagen über die sozio-historische Realität und mit der inhaltlichen Ausfüllung der formalen Prinzipien. Stimmt die Behauptung von der kommunokratischen Eigenart Afrikas, oder doch Guineas? Ist die Partei wirklich die politische Einheitsfassung des Volkes? Sind die imposanten Zahlen tatsächlich Ausdruck einer neuen •politischen Qualität? Wurde die Verselbständigung des Apparates wirklich vermieden? Wurde der Klassenkampf zusammen mit dem Kolonialismus vertrieben? Der politisch-ideologischen Gesamtkonstruktion zugrunde liegt die Vision von kommunokratischer Harmonie. Das glückliche Guinea kennt keine antagonistische Klassenschichtung, weshalb Einheit und Einheitlichkeit nicht Zwang und Verfälschung, sondern Rückkehr zu den Quellen seiner natürlichen Existenz sind. Sieht man einmal ganz davon ab, was die , sources africaines'in bezug auf das kommunokratische Erbe tatsächlich hergeben — die Ethnologie und die Afrikanistik verweisen da auf ganz andere Befunde als sie die guineische Gesellschaftsphilosophie reklamiert — so lautet die Schlüsselfrage: Gibt es soziale Klassen in Guinea und wären sie analog den europäischen Mustern zu definieren? Wenn ja, stehen sie gemäß ihrer Stellung im Produktionsprozeß im Widerspruch zueinander, in einem antagonistischen Widerspruch?

Die guineische Gesellschaftsphilosophie verneint dies prinzipiell, wie gezeigt worden ist. Mag es gewisse soziale Widersprüche geben, der soziale Hauptwiderspruch jedenfalls, derjenige zwischen nationaler Unabhängigkeitund Imperialismus/Neo-Imperialismus, sehe das guineische Volk klassensolidarisch vereint Allerdings gibt es Schwankungen in der offiziellen Einschätzung der guineischen Klassenlage — Schwankungen, die der gerade vorherrschenden außen-und innenpolitischen Konjunktur entsprechen. Hatte sich die Parteispitze gegen ihren linken Flügel abzugrenzen, wenn sie etwa mit dem Westen besser ins Geschäft kam, dann wurde die klassenlose Harmonie und gelegentlich sogar das private Unternehmertum vor dem Staatsdirigismus gepriesen Gab es Ärger mit den . Kräften des Imperialismus und der Reaktion', so steigerte sich das offizielle Vokabular bisweilen zu klassenkämpferischem Furioso

Die soziale Schichtung des Landes stellte sich, am Tage der Unabhängigkeit umrißhaft etwa so dar: Nicht einmal keimhafte Existenz einer nationalen Bourgeoisie. (Die Agrarproduktion im Plantagenstil und die Extraktivindustrien befanden sich zu 100% in ausländischer Hand.) Dagegen ein numerisch zwar schwaches, in den städtischen Zentren nichtsdestoweniger existentes Proletariat Die große Mehrheit der Bevölkerung bestand aus Bauern (etwa 90 %) mit vergleichsweise schwachem Differenzierungsniveau (kein Groß-grundbesitz). Dazwischen jene wichtige Schicht, die aus terminologischer Verlegenheit als Kleinbürgertum’ bezeichnet zu werden pflegt und sich aus so heterogenen Elementen zusammensetzt wie Handwerker, Klein-und Kleinsthandel, der schmalen städtischen Angestellten-und Beamtenschicht, dazu noch insgesamt die sogenannten Intellektuellen. Sekou Toures Diagnose der gesellschaftlichen Realität Guineas am Tage der Unabhängigkeit traf wohl die spezifische Klassenlage, wenn er feststellte: „Depourvue d’une bourgeoisie capitaliste dveloppe, ayant liquide la proprit fonciere dans sa forme reactionnaire et retrograde, possedant ä peine un embryon de classe ouvriere dont les intrts immediats n'etaient pas en etroite harmonie avec les interets fondamentaux des masses laborieuses paysannes." Die politische Führungsschicht, die noch unter der Kolonialverwaltung in die Schlüsselpositionen einrückte, rekrutierte ihre Kader aus der jungen Intelligenz vornehmlich kleinbürgerlichen Herkommens (Angestellte und Beamte, weit unterrepräsentiert die Bauern, zahlenmäßig wenig Arbeiter). Die soziologische Struktur des Parteien-und Staatsestablishments präsentierte sich auf dem V. Parteikongreß (September 1959) wie folgt: 50% Beamte und Parteifunktionäre, 20 % Bauern (bei 90% Bevölkerungsanteil), 8% Arbeiter Eine gewisse Rolle spielten in den Anfängen noch die aus politischen Opportunitätsgründen in das neue Establishment übernommenen kolonialen und traditionellen Autoritäten.

Politisch konkurrierende Gruppen unterschieden sich nach ethnisch-tribaler oder religiöser Orientierung, kaum nach ihrer klassenmäßigen Struktur. Was sich demnach zur sozialen Differenzierung sagen läßt, wird lauten müssen: Klassen, wenigstens , ausgereifte‘ Klassen im Marx’schen Sinn, gab es in Guinea zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung nicht. Die Dynamik des politischen Geschehens vollzog sich im wesentlichen außerhalb der sozioökonomischen Binnenstruktur. Insoweit mochte das offizielle Bild allseitiger Harmonie in etwa den gesellschaftlichen Realitäten entsprechen und konnte als die Rechtfertigung der die ganze Breite des gesellschaftlichen Spektrums umfassenden Einheitspartei gelingen.

Das alles besagt indessen wenig oder nichts über die Herausbildung einer neuen Herr-

schaftselite im staatlichen Etablierungsprozeß. Jean Ziegler, mittlerweile einer der Klassiker der politischen Soziologie des neuen Afrikas, hatte in der Mitte der sechziger Jahre geschrieben: „Die afrikanischen Gesellschaften sind ... wesentlich ackerbautreibende Gesellschaften. Bourgeoisie und Proletariat sind zwei Klassen, die, soweit sie überhaupt existieren, sich noch in einem keimhaften Stadium befinden." Analogien zur sozio-politischen Dynamik fortgeschrittener Gesellschaften seien schon aus diesem Grunde nicht erlaubt. Aber mehr noch: „Im Lichte der afrikanischen Gegebenheiten ist es unmöglich, die Produktionsbeziehungen als konstitutive Faktoren der sozialen Klassen anzusehen." Seine Schlußfolgerung: Klassenherrschaft in Afrika sei nicht ökonomisch, sondern politisch zu definieren. Guinea ist neben vielen anderen die Probe auf die Zieglersche These. Die sich aus den aufgezeigten Anfängen entwickelnde Herrschaftsschicht ist eine politische Funktionselite ohne spezifisches soziales Fundament im Sinne eindeutiger Klassenzugehörigkeit herkömmlichen Zuschnitts (es sei denn, man begnügt sich mit der Allerweltsformel Kleinbürgertum). Ihr materielles Interesse an der politischen Macht entwickelte sich in und durch die Herrschaftsausübung. Als Machtelite wurde sie zur Neuen Klasse der Bürokraten und Funktionäre.

Der entscheidende Vorgang, der die , Neue Klasse'innenpolitisch konstituierte, vollzog sich noch unter dem Kolonialregiment. Im Jahre 1956 erließ die französische Regierung das sog. , Loi Cadre', eine Art Verfassungsdirektive für die schwarz-afrikanischen Territorien Frankreichs, wonach fortan den dort demokratisch gewählten Gremien ein gewisses Maß innerer Autonomie zugestanden wurde Dieses metropolitane Octroi kolonialer Spätzeit wurde in zweifacher Weise bedeutsam für die Konstituierung der post-kolonialen Führungselite Guineas. Mit der Einräumung der inneren Autonomie kam die populärste Partei, d. h. nach Lage der Dinge diejenige, die am Entschiedensten gegen den kolonialen Status auftrat — in Guinea also die PDG — in die politische Mitverantwortung und konnte innenpolitisch den Boden für den Tag der Unabhängigkeit durch Administrativ-maßnahmen in ihrem Sinne vorbereiten. Die ersten Wahlen zur Territorialversammlung nach dem Loi Cadre (31. 3. 1957) brachten der PDG einen überwältigenden Sieg: 56 von 60 Sitzen der neugeschaffenen Assemblee Territoriale fielen an die Partei Sekou Toures. Er selbst rückte als Vizepräsident an die Spitze des neugebildeten Ministerrates (die Präsidentschaft blieb nach dem Loi Cadre dem französischen Gouverneur vorbehalten; sie erwies sich sehr schnell als lediglich formale Repräsentationsspitze).

Damit waren die institutionellen Voraussetzungen für eine legale Revolution von oben gegeben, deren Auswirkungen die soziale Physiognomie des Landes von Grund auf veränderte. Kaum an der Macht nämlich, betrieben Sekou Toure und seine Partei mit Energie den Angriff auf die traditionelle und koloniale Herrschafts-und Verwaltungsstrukur des Landes. Zuvorderst hieß das Angriff auf die traditionalistische Herrschaftsstruktur an der Basis, Angriff also auf die dörfliche , Chefferie', das durch unvordenkliches Herkommen und koloniale Herrschaftspraxis sanktionierte Häuptlingsregiment. Halb sich rekrutierend aus den alten, vorkolonialen Herrenclans, halb von den Franzosen zur Belohnung für treue Dienste eingesetzt (, Caporalisation'), besaß die . Chefferie'die undisputierte Kontrolle über das Geschehen auf der Ebene des Dorfes und des ländlichen Distriktes. Der Generalangriff auf die Basis des traditionalistisch-kolonialistischen Establishments wurde mit den Argumenten geführt, die soeben mit dem Loi Cadre, hochoffiziell eingeführt worden waren. Die PDG eröffnete den Feldzug mit der Feststellung, daß die undemokratische Legitimation der . Chefferie'nicht nur anachronistisch sei, sondern dem demokratischen Gebot des Loi Cadre widerspreche. Es sei widersinnig, auf nationaler Ebene Demokratie zu spielen, während an der Basis mittelalterliche Zustände weiterbestünden. Wiewohl mit gemischten Gefühlen, konnte die Kolonialmacht doch schwer dagegen argumentieren, und so geschah es, daß das in der Zwischenzeit ganz von der PDG beschickte Territorialparlament am 31. 12. 1957 ein Gesetz verbschiedete, dessen erster Artikel lautete: „La chefferie de canton, dite . chefferie traditionelle', est supprimee sur toute Tetendue du Territoire de la Guinee Franqaise, ä compter du 31 decembre 1957." Damit war mittels Gesetzgebungsaktes die sozio-politische Herrschaftsstruktur des Landes an der Basis revolutioniert. Der demokratische Prozeß von ganz unten konnte beginnen. Formal begann er auch, aber je länger, desto mehr wurde er zum Alibi der allmählichen Installierung der neuen Herrschaftsschicht. An die Stelle der traditionellen trat eine neue, eine politische 'Chefferie'in Gestalt der von der PDG gestellten Kader. Denn obwohl jetzt gewählt und nach den . totaldemokratischen'Prinzipien der guineischen Revolution unter der permanenten Kontrolle der Massen stehend, waren die Repräsentanten des neuen Systems in Wirklichkeit Parteipfründner, Angehörige der neuen herrschenden Klasse.

Die Beseitigung der . Chefferie'schuf Raum für die Entstehung einer breiten Schicht von Partei-Professionals, die, je länger desto mehr, sich den Mechanismen . totaldemokratischer'Kontrolle zu entziehen wußte. Ein analoger Vorgang auf höherer Ebene vollzog sich unter dem Gebot des Loi Cadre zur . Afrikanisierung'der Verwaltung. Der plötzliche hohe Bedarf an politischem und administrativem Personal wurde mit den Militants der Partei gedeckt, wobei weniger die hohen Ideale der Revolution als ein ungenierter Nepotismus den Maßstab setzte. Beide Vorgänge, Beseitigung der Chefferie und Afrikanisierung des Staatsapparates legten die Basis für eine materiell an der Revolution interessierten Neuen Klasse Wiederholt hat die Parteispitze, hat vor allem Sekou Toure versucht, diesen Prozeß aufzuhalten. Doch schon wenige Jahre nach der . legalen'Revolution hatte sich der Apparat so fest etabliert, daß an eine Umkehr ernsthaft nicht mehr zu denken war

Begünstigt wurde dieser Prozeß durch die Haltung der Massen. Ohne Vorstellung davon, was eigentlich im totaldemokratischen Prozeß von ihnen erwartet wurde, übertrugen sie das traditionelle Autoritätsbild auf die neuen Herren. Und in dem Maße, wie die Neue Klasse auch tatsächlich die traditionellen Attribute der Herrschaft annahm (Privilegien aller Art), stellten sich die alten Verhaltensmuster ihr gegenüber wieder ein. Die demokratische. Massenmobilisation erstarrte weithin zum formalistischen Ritual, die Massen sanken in die gewohnte Lethargie zurück Paradoxerweise leistete die vom revolutionären Regime eingeschlagene Wirtschaftspolitik der . Verbürgerlichung'der Neuen Klasse erheblichen Vorschub. Der kommunokratische Kollektivismus in Sachen Nationalökonomie gab der Neuen Klasse vielfach Möglichkeit zu kräftiger Partizipation. Kurz war der Weg vom , Socialisme d’tat’ zum . Etatisme de classe'.

, Nicht-kapitalistischer Weg', Investissement Humain’ und Massenmobilisierung

Die guineische Nationalökonomie sollte keinesfalls den kapitalistischen Weg einschlagen, das hätte den philosophisch-humanisitischen Idealen der Revolution fundamental widersprochen. Wer sich, im Westen etwa, Hoffnungen in dieser Richtung machte, dem wurde das in aller Deutlichkeit gesagt Freilich verzichtete man auch auf das sozialistische Etikett, aber doch keineswegs aus prinzipiellen Erwägungen, sondern wegen der damit verbundenen ideologischen und weltpolitischen Fixierungen. , Socialisme ä partir des realites africaines .. so sollte das undogmatische Wirtschafts-und sozialpolitische Konzept der Revolution lauten Oder, negativ definiert, Guineas Zukunft sollte liegen auf dem , voie noncapitaliste’.

In der wirtschaftspolitischen Praxis sieht das so aus, daß zwar dem Staat die entscheidende Rolle im ökonomischen Geschehen zuteil wurde, der Privatwirtschaft aber doch wichtige Enklaven eingeräumt bleiben. Große Teile der Landwirtschaft und des Binnenhandels sind privatwirtschaftliche Domänen, während der Außenhandel, die Banken, die Verkehrswirtschaft etc. und prinzipiell natürlich die Instrie dem , Secteur National'Vorbehalten sind. Prinzipiell, das heißt mit der Einschränkung, daß privates Unternehmertum auf dem industriellen Sektor nur mit mindestens 50 % Staatsbeteiligung tätig werden darf. Vor allem aber mit der Einschränkung, daß ausländische Privatinvestitionen auf dem inländischen Sek-tor nicht unter dem Nationalisierungsgebot stehen. Ausländisches Investitionskapital ist geschützt, der Gewinntransfer ins Ausland ist gewährleistet Und dort, wo wirklich profitabel gewirtschaftet wird, ist auch die Regel von der 50°/oigen Staatsbeteiligung suspendiert: In den beiden einzigen industriellen Komplexen von wirklichem Belang, den Aluminium-Produzenten FRIA (Compagnie internationale pour la production de l’alumine FRIA) und der CBG (Compagnie des Bauxites de Guinee). Die FRIA allein („ilöt d’industrie moderne au milieu de la brousse africaine traditionelle") bestreitet gegenwärtig 61 % des guineischen Gesamtexportes, sie befindet sich zu 100°/0 in der Hand ausländischen Kapitals (amerikanisch, englisch, deutsch, schweizerisch und französisch). An der CBG ist der guineische Staat zwar beteiligt, aber nicht mit mindestens 50 °/0 sondern mit 49 0/0, die Mehrheit liegt bei amerikanisch/kanadisch/deutsch/französisch/italienischem Kapital FRIA und CBG sind der orthodoxen Linken die unvergebbaren Sündenfälle des Systems und dienen zum exemplarischen Nachweis seiner neo-imperialistischen Domination.

Die Anfälligkeit für kapitalistische Verführungen kommt indessen weniger aus den Enklaven freier Marktwirtschaft als vielmehr aus den vielfältigen Korruptionsmöglichkeiten, die der bürokratisch verwalteten Wirtschaft eigentümlich sind. Trotz drakonischer Strafandrohungen hat sich die Partei und Verwaltungsbürokratie der Staatsmonopole auf Handel, Industrie, Kredit etc. im eigenen Privatinteresse bestens zu bedienen gewußt Man ahnt das Ausmaß an Korruption, wenn Sekou Toure im Jahre 1964 den Regierungsmitgliedern per Dekret den Kommerz verbieten muß, wenn für Warenhortung 20 Jahre Zwangsarbeit angedroht wird, wenn eigens eine . Police conomique’ zur Überwachung der Funktionäre eingerichtet werden muß Wie wenig das alles gefruchtet hat, beweisen die Bekundungen des Regimes selbst. In der Horya’ (dem offiziellen Parteiorgan) vom 1. Januar 1970 stand zu lesen, daß die Volkswirtschaft vom Ausmaß betrügerischer Praktiken in der Wirtschaftsadministration vital bedroht sei Fazit: Die Existenz einer materiell an der Herrschaft interessierten Führungskaste ist unbezweifelbar. Die entscheidende Frage angesichts dieses wenig sensationellen Befundes lautet: hat die Neue Klasse ihren Entwicklungsauftrag in dem oben beschriebenen Sinn erfüllt? Hat sie es verstanden, als Führungselite „kein Verhältnis der Herrschaft und Unterdrückung" aufkommen zu lassen, wie der Entwicklungstheoretiker und intime Guinea-Kenner Charles Bettelheim es als Grundsatz formulierte, „sondern das Verhältnis einer Avantgarde zu den Massen, das den Massen ermöglicht, ihre Anschauungen zu äußern"? Hat sie es vermocht, die Massen auf die Dauer zu mobilisieren, sie in der Bildung eines autonomen Bewußtseins ein Stück voranzutreiben? Ist es ihr gelungen, die Grundlagen zu einer Gesellschaft der größeren sozialen Gerechtigkeit zu legen? Hat sie die Dekolonisation, die materielle und die geistige, vollendet?

Die Meinungen sind geteilt, wohl auch durch das wilde Gebaren des Regimes nicht ganz ungetrübt. Ingesamt sind die Bilanzen und Prognosen eher pessimistisch. Das aktuelle Bild ist widersprüchlich. Erschöpft sich die berühmte , mobilisation des masses'ein Jahrzehnt nach ihrer Inaugurierung in der Sportpalasthysterie organisierter Aufläufe oder wurde nicht doch nachhaltigeres bewirkt?

Die Frage geht an die Partei. Wenn Guinea scheitert, so ist seine Partei gescheitert, so hatte der . Oberste Verantwortliche der Revolution'selbst entschieden Fraglos, im Prozeß der äußeren Dekolonisation (Lostrennung von Frankreich) und der ersten großen inneren Reform (Beseitigung der , Chefferie,) hatte die Partei erstaunliche Erfolge zu verzeichnen. Die Massen wurden mitgerissen vom revolutionären Elan und ließen sich bereitwillig in die ungewohnte Zucht der Parteiorganisation nehmen. Der Enthusiasmus hielt auch noch an, als indiviueller Einsatz und Opfer für die Ziele der Revolution gefordert wurden. Aber er schwand nach übereinstimmendem Zeugnis der Beobachter in dem Maße, wie es zum einen der Partei nicht mehr gelang, den Sinn der Anstrengung plausibel zu machen und vor allem zum anderen, als die Massen die Verselbständigung des Apparates zu begreifen begannen. Die Praxis permanenter Massenmobilisierung überforderte Führer und Geführte gleichermaßen. Die Kader, im Bemühen Erfolge zu präsentieren, halfen bei mangelnder Spontaneität mit moralischen und physischen Pressionen nach. Die . Massen'fanden sich unversehens im Unmündigkeitsverhältnis gegenüber der Autorität wieder und reagierten mit Gleichgültigkeit und Passivität

Die Mobilisierung kollektivistischer Energien gelang in den Anfängen durchaus. Die Umschaltung vom politischen auf das sozial-ökonomische Schlachtfeld der Revolution verzeichnete nicht unbeträchtliche erste Erfolge. Besonders das nationale Programm des , Investissment Humain', eine Art allgemeinen Arbeitsdienstes für öffentliche und gesellschaftliche Bedürfnisse (Schul-und Straßenbau, hygienische Einrichtungen etc.) scheint in den beiden ersten Jahren großen Anklang gefunden zu haben und sogar wirtschaftlich profitabel gewesen zu sein Es sollte als ein gigantisches pädagogisches Unternehmen der Partei dem Volke die kollektivistischen und sozialen Ideale der Revolution an der Basis sichtbar und erlebbar machen, die Nation an Kooperation und Arbeitsdisziplin gewöhnen, in der gemeinsamen Arbeit die Solidari-tät der Volksgenossen demonstrieren Aber Enthusiasmus und abstrakte Planziele allein sind nicht in der Lage, auf lange Sicht die Massen in Bewegung zu halten. Technische Fehlplanungen und soziologische Fehleinschätzungen (vor allem, was den angeblich spontanen Kollektivismus des afrikanischen Menschen angeht) ließen die Begeisterung rasch erkalten, und nach anfänglichen stolzen Siegesmeldungen von der Produktionsfront des , Investissment Humain'scheint heute das Unternehmen aufgegeben worden zu sein. Der Apparat hat offensichtlich nicht nur als planerische Instanz versagt; er hat, wenigstens auf der unteren Eebene, den Sinn der Bemühung oftmals in das Gegenteil verkehrt, indem er die moralische Selbstverpflichtung zur Zwangsarbeit degradierte

Kann man dennoch von einer Mobilisierung der Massen in Richtung emanzipatorisches Bewußtsein sprechen? Viele, auch durchaus kritische Geister bejahen dies Aber wo wäre Einigkeit über die Maßstäbe zu gewinnen? Ist die Existenz oder Nicht-Existenz einer inneren Opposition Beweis für Politisierung oder Entpolitisierung? Ist die Mobilisierbarkeit städtischer Massen zur Akklamation des Regimes ein Beweis für . totaldemokratisches'Bewußtseinsniveau oder für die Tüchtigkeit der Regierung oder vielleicht nur für die Beliebtheit folkloristischer Spektakel?

Sicherlich wurden die guineischen Massen im Elan der ersten Jahre in einem bis dahin unvorstellbaren Maße politisiert. Aber nichts nützt sich schneller ab als Kollektivekstase in der Normalität des Alltags. Die exzentrischen Aufputschmittel, die das Regime von Zeit zu Zeit verabreicht, beweisen es. Auch die langfristig solideren Mittel zur Hebung des Bewußtseins der Massen, Ausbildung und Erziehung, haben sich insoweit als recht problematisch erwiesen. Guinea kann überaus beachtliche Erfolge auf diesem Gebiet vorweisen Aber sind es Erfolge im Sinne der Ideale der guineischen Revolution? Beim Besuch der Schulen in Conakry mußte Präsident Sekou Toure erleben, daß die Schüler, befragt nach ihren Plänen, sich arglos und geschlossen zur schnellen Bürokratenkarriere bekannten Die jungen Leute dachten nur system-gerecht. Unter den Bedingungen der guineischen Revolution ist sozialer Aufstieg nur möglich durch Eintritt in die Staatskaste. Für revolutionäre Askese fehlt angesichts der privilegierten Klasse die Motivation.

So lautet das Fazit: Die Etablierung der Parteihierarchie zur Staatskaste hat der andauernden Massenmobilisierung schweren Abtrag getan — durch Fehlplanung, Fehleinschätzung sozio-psychologischer Gegebenheiten, neuen Autoritarismus. Durch die Verselbständigung ihrer Kader zur privilegierten Herrenschicht setzte sie fatale Leitbilder, die den propagierten Werten des kommunokratischen Ideals zuwiderlaufen. Die periodisch wiederkehrenden Gewalttaten Sekou Toures gegen die Träger dieser Entwicklung sind ebenso verzweifelte wie hoffnungslose Ausbruchsversuche, die an der Struktur nichts ändern und dem Regime nur noch mehr den Charakter autokratischer Willkür aufprägen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zwei südamerikanische Beispiele aus der jüngsten Zeit illustrieren die ideologische Alibifunktion sozialistischer Phraseologie. Der ehemalige Präsident Boliviens, Paz Estensoro, rechtfertigte den Rechtsputsch des Obersten Banzer mit der historischen Aufgabe, „Bolivien auf den Übergang zum Sozialismus vorzubereiten"; vgl. Le Monde v. 26. 8. 1971. Nur noch als schwarzen Humor kann man die jüngste Inanspruchnahme des Sozialismus

  2. So der Finanzminister Nehrus, T. Krishnamachari, zitiert nach Richard Behrendt, Soziale Strategie für Entwicklungsländer, Frankfurt 1965, S. 389; vgl. dazu auch Gunnar Myrdal, Politisches Manifest über die Armut in der Welt, Frankfurt 1970, S. 59 f.

  3. Vgl. Reinhard Kapferer, Die Baath-Bewegung und die neue VAR, in: Außenpolitik, Heft 5, Jahrgang 1963.

  4. „Die traditionelle Anschauung Afrikas schließt eine Haltung gegenüber dem Menschen ein, die in ihren gesellschaftlichen Manifestationen nur als sozialistisch beschrieben werden kann. Dies resultiert aus der Tatsache, daß der Mensch in Afrika primär als ein geistiges Wesen angesehen wird, als ein Wesen, das vom Ursprung her innere Würde, Integrität und Wert besitzt." Kwame Nkrumah, Consciencismus, Köln/Opladen 1970, S. 72.

  5. Marion Mushkat, Der Afrikanische Sozialismus, in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 11/71, S. 220— 251. Die Autorin sieht den Afrikanischen Sozialismus in direktem Widerspruch zur Zielsetzung des genuinen, also europäischen Sozialismus: „Im Gegensatz zum europäischen Sozialismus, der als politische Doktrin geprägt wurde, als politische Bewegung, die sich das Ziel setzte, auf nationaler Grundlage universellen Prinzipien zum Siege zu verhelfen, entstand der . afrikanische Sozialismus'als Waffe des afrikanischen Nationalismus" (S. 249).

  6. Bassam Tibi, Die Arabische Linke, Frankfurt 1969, S. 88. Tibi mißt nach streng marxistischen Kriterien und kommt dementsprechend zu kräftigen Aussagen. Was immer beispielsweise im Ägypten Nassers oder im Tunesien Bourguibas an Progressistischem geschehen sein mag, so habe dies alles doch nichts zu tun mit Sozialismus, denn „beide lehnen den Marxismus ab und interpretieren den Sozialismus als Ausdruck der nationalen Einheit, verabscheuen somit den Klassenkampf • (S. 89).

  7. Yves Benot, Ideologies des Independances Al caines, Paris 1969, S. 191.

  8. Einer der wenigen, die unermüdlich für größeres Verständnis gegenüber den unorthodoxen Versuchen der Dritten Welt in Sachen Sozialismus werben, ist der französische Agrarwissenschaftler Rene Dumont: „La sagesse populaire nous rappelle due la perfection n'est pas de ce monde; eile ne le sera jamais. Cela n'est point pour nous resigner aux imperfections et aux inegalites les plus abo-minables. La socit peut tre amelioree, c’est bien k but general de l'action des vrais socialistes; encore ne s'accordent-ils nullement sur ce que de-Vrait etre la socit socialiste; ni, surtout, sur les meilleurs moyens pour y parvenir." Dumont/Mazoyer, Developpement et Socialismes, Paris 1969, S. 58/59.

  9. Vgl Ph. E. Mosely, Communist Policy and the Third World, in: The Review of Politics, Bd. 28, Nr. 2/1966, S. 220 ff.

  10. Vgl. African Ways of Development, Moskau 1964, S. 64 ff.

  11. Vgl. K. Westen, Der Staat der Nationalen Demokratie, Köln 1964, S. 40 ff.

  12. Im allgemeinen erschöpfen sich volkschinesische Kommentare in antikolonialistisch-antiimperialistischer Rhetorik im Stile: „Tansania ist ein ruhmreiches Banner in Ostafrika geworden, ein Banner gegen Kolonialismus und Neo-Kolonialismus für nationale Befreiungskämpfe". (So Tschou En-lai im Juni 1965, zitiert nach: Peking Rundschau Nr. 24 v. 15. 6. 1965, S. 6).

  13. „Le socialisme s'est presente jusqu’ici comme une methode d'accumulation dont l'efficacite et la superiorite resident dans la direction globale de reconomie ..." schreibt Andre Gorz. Zur Unausweichlichkeit des Staatsautoritarismus in diesem Entwicklungsstand meint er: „Aussi, la democratie des Soviets ou des cooperatives auto-gerees doll etre necessairement subordonnee ä un groupe specialise dans la coordination et la planification de Leconomie globale, c'est ä dire, ä un groupe souverain central, ä l’Etat, qui vide la souverainete des groupes de base d'une partie au moins de sa substance et qui incarne une Vrit et une Unite de leur praxis qui leur devient exterieure." Andre Gorz, Le Sozialisme Difficile, Paris 1967, S. 118 f.

  14. Elias Morkus, Die Lehren der Erfahrung, in: Bassam Tibi (Hrsg.), Die Arabische Linke, Frankfurt 1969, S. 58.

  15. Vgl. Salah al Munadschid, Wohin treibt die arabische Welt?, München 1968. Der Übersetzer der Schrift ins Deutsche, Harald Vocke, ist Nahostex-Perte der FAZ. Auch er predigt seit vielen Jahren militanten Anti-Nasserismus von rechts. Im Vorwort zu Munadschid schreibt er über Nassers Prolamation des . revolutionären Sozialismus'im . Nationalpakt'von 1962: „Dies war der Beginn der

  16. Die erste bahnbrechende Arbeit mit diesem Tenor ist wohl die von Abdel-Malek: Egypte —-* Socit Militaire, Paris 1962, wiewohl mit reicher Differenzierung und Nuancierung. — Zu eindeutigeren Urteilen kommt Hassan Riad: L’Egypte Nas-

  17. Abdel Malek schreibt in seinem Resümee nach einer Zusammenfassung aller kritischen Einwände am Ende dennoch: „I'experience egyptienne . . a ainsi adopte une Orientation qui cree les conditions necessaires ä unfutur developpement en direction socialiste", a. a. O., S. 353.

  18. Vgl. Anmerkung 46.

  19. Vgl. Philippe Richer, La Chine et le tiers monde, Paris 1971, S. 289 f. Für die Chinesen besonders heikel waren Nassers enge Konnexionen mit den jugoslawischen . Revisionisten'und den indischen . Imperialisten'.

  20. Nasser selbst hat seit 1961 oft den sozialistischen Charakter seiner Revolution unterstrichen. In einer Bilanz der ersten zehn Jahre Revolutionsherrschaft schrieb er: „La solution apportee par le socialisme au sous-developpement economique et sociale en Egypte est une marche revolutionnaire vers le progres. Elle ne constitue pas une hypothese fondee sur un choix minutieux, mais un fait historique ineluctable impose par la ralit, par les larges espoirs des peuples et l’instabilite du monde au cours de la deuxieme moite du XX® siecle." Zitiert nach Abdel Malek, La Pense Politique Arabe contemporaine, Paris 1970, S. 115.

  21. Vgl. Fuad Nassar, Der antiimperialistische Kampf der arabischen Völker, in: Probleme des Eriedens und des Sozialismus, Berlin (Ost) 9/1966, S. 705.

  22. Zusammen mit Anuar al Sadat gehörte Zakariah Mohiedinne zu den ersten Gefährten Nassers. Die Bekanntschaft und — wenn man der offiziellen Legende glauben darf — auch die revolutionäre Gesinnungsgenossenschaft reicht zurück bis 1935, als man sich in der Militärakademie zu Mankabad traf.

  23. Vor dem ZK der ASU soll Nasser im Anschluß an seine Rücktrittserklärung gesagt haben: „Puisque Zakaria Mohieddine avait preconise une autre conduite et pense qu’un compromis est ncessaire, qu'il prenne ma succession: il a ma bndiction". Zitiert nach Jean Lacouture, Nasser, Paris 1971, S. 270.

  24. Vgl. etwa Taysir al Khalid, Die Krise des Nasserismus nach Nasser, in: Al Djabah, Nr. 12, Jg. 1971.

  25. Angeblich soll Heykal sich selbst sogar der Autorschaft des Nasser-Buches „Philosophie der Revolution" gerühmt haben, vgl. Lacouture, a. a. 0., S. 317.

  26. Vgl. Mahmoud Hussein, La lutte des classes en Egypte, Paris 1969, S. 298.

  27. Punkt 6 der von den Studenten am 20. 1. 1972 dem Präsidenten Sadat überreichten Revolution lautet in der französischen Übersetzung: „Levee de la censure sur la presse et jugement des responsables de l'information qui ont deforme la vrit et ä leur tete Mohamed Hassanein Heykal." Le Monde v. 22. 1. 1972.

  28. Von 1952 bis 1964 erhöhte sich die Zahl der Eigentümer, die zwischen 8, 4 Hektar und 42 Hektar besaßen, von 27 000 auf mehr als 40 000; vgl. Dumont/Mazoyer, a. a. O., S. 192.

  29. FAZ vom 30. 9. 1970.

  30. Er spricht von „.. les vises pro-occidentales duincarne lemergence de Aly Sabry comme dsuxime personnage du regime, au lendemain du Axieme anniversaire du coup d’Etat". Abdel Malek, E 9YPte, Socit Militaire, Paris 1962, S. 236.

  31. „Le secteur public n’est pas, pour nous, la voie oisie pour liquider la propriete, mais bien plu0 celle qui doit mener ä Felargissement de sa Base.“ Zitiert nach Abdel Malek, a. a. O., S. 156.

  32. Vgl. Mahmoud Hussein, a. a. O., S. 318.

  33. Vgl. Le Monde v. 15. 5. 1971.

  34. Signifikant ist die Gleichsetzung von zentralistischem Staatsautoritarismus mit Sozialismus im Herrschaftsvokabular. Nasser in seiner Sozialismus-Ankündigung vom Mai 1962: „Depuis un temps tres ancien, l'agriculture egyptienne est parvenue ä des Solutions socialistes veritables aux problemes les plus complexes qui se sont poses ä eile, au premier rang desquels il faut mentionner l'irrigation et le drainage, qui, en Egypte, aujourd’hui et depuis tres long temps se deroulent dans le cadre des Services publics." Zitiert nadi Abdel Malek, a. a. O., S. 318.

  35. Vgl. Rathmann/Börner, Die antiimperialistische demokratische Einheitsfront der Volkskräfte in der VAR, in: Nordafrika und Nahost im Kampf für nationale und soziale Befreiung, Berlin (Ost) 1968.

  36. So von Nuri as-Said, Ministerpräsident des Irak, in einer Rede zum Thema . Bagdad-Pakt'im Jahre 1956.

  37. Ali Sabri, nachmals selbst als Defraudant entlarvt, 1967: „Die ägyptische Gesellschaft wurde Augenzeuge eines wilden Wettrennens dieser Kräfte um Sonderprivilegien, ihrer Verwandlung in eine ausbeuterische Gruppierung, ihrer sozialen Isolierung und ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen und dem Kampf des werktätigen Volkes ... Diese zahlenmäßig kleine Gruppe von Ausbeutern, Betrügern und Defätisten, die ausschließlich daran interessiert ist, für sich und zum Nutzen ihrer sozialen Fraktion zu wirken, hat das Recht verwirkt, auf den verschiedensten Ebenen unserer sozialistischen Gesellschaft Verantwortung zu tragen." Rathmann/Börner, a. a. O., S. 69.

  38. Die am 9. 12. 1971 ausgesprochenen Urteile lauteten für vier Angeklagte — darunter Ali Sabri und Chaaroui Gomaa — auf Tod durch Erhängen. Sadat . begnadigte'sie zu lebenslanger Zwangsarbeit.

  39. Äußerung einer Dame aus dem hohen Technokratenestablishment. zitiert in: Jeune Afrique vom 29. 1. 1972.

  40. Im Mai und Juni 1971 hob Sadat die Kontrolle über das beschlagnahmte Kapital auf. Im September unterzeichnete er ein Gesetz zum Schutze und zur steuerlichen Bevorzugung ausländischer Investitionen sowie zur Einrichtung von sog. . Freizonen'für ausländisches Kapital („The Investment of Arab Funds and the Free Zone"), vgl. NZZ vom 1. 1. 1972.

  41. Festlegung der oberen Grenze für privaten Grundbesitz auf 50 Feddan pro Kopf, auf 100 Feddan für eine Familie (zum Vergleich: der Durchschnittsbesitz der Fellachenfamilie liegt auch heute noch zwischen 2 und 5 Feddan).

  42. 23 von 24 stellvertretenden Provinzgouverneuren gehören heute wie ehedem der grundbesitzenden Notabeinschicht an, vgl. Jeune Afrique v. 29. 1. 1972.

  43. In den programmatischen Äußerungen des neuen Staatschefs kommt dem Islam immer stärkere Bedeutung zu. In seiner Rede v. 20. 5. 1971 zum neuen Verfassungsentwurf wurde den . Werten der Religion'ausführlich Reverenz erwiesen. Während des außerordentlichen Parteitages der ASU im Februar 1972, kurz nach den schweren Studentenunruhen, war Sadats Grundsatzreferat neben der außenpolitischen Programmatik ganz abgestellt auf den islamischen Tenor; vgl. Le Monde v. 12. /13. 9. 1971 und NZZ v. 19. 2. 1972.

  44. Vgl. Le Monde v. 15. 5. 1971.

  45. Vgl. Le Monde v. 12. /13. 9. 1971.

  46. Im . Vertrag zur Zusammenarbeit und Freundschaft'mit der Sowjetunion vom Juni 1971 konzediert der kommunistische Partner, daß „Ägypten eine sozialistische Gesellschaft zu errichten sucht".

  47. Lutfi el-Kholi, linksrenommierter ASU-Ideologe, Chefredakteur der theoretischen Al Talia (AvantGarde), begründete das in einem Interview so: Nasser habe im Grunde doch immer die Existenz antagonistischer Klassen, mithin den Klassenkampf geleugnet. Heute hingegen sei das anders: „Le rgime de Sadat permet la lutte des Hasses." Den Fortschritt in Richtung Privatwirtschaft kommentiert Fuad Morsi, ehemals Generalsekretär der KP Ägyptens, wie folgt: „C’est tres positif. C'est une Ouvertüre vers l'Europe de l'Ouest, un moyen d'echapper a la dependance des Sovietiques et des Americains."

  48. Vgl. die Rede des neuen Generalsekretärs Marei auf dem außerordentlichen Parteitag der ASU im Februar 1972; in: NZZ v. 19. 2. 1972.

  49. Rene Dumont/Marcel Mazoyer, Developpement et Socialismes, Paris 1969, S. 178.

  50. Das Jahreseinkommen dieser . Mittelbauern'(8, 4 bis 42 ha) lag im Jahre 1966 bei 718 ägyptischen Pfund, das Jahreseinkommen landloser Bauern zur gleichen Zeit bei 13 ägyptischen Pfund; vgl. Dumont/Mazoyer, a. a. O., S. 192.

  51. Vgl. Le Monde v. 1, 8. 2. 1963.

  52. Dumont/Mazoyer, a. a. O., S. 177.

  53. Vgl. Horst Grienig, Probleme der genossenschaftlichen Entwicklung in den Ländern des arabischen Ostens unter besonderer Berücksichtigung der VAR, in: Nordafrika und Nahost, a. a. O., 130 ff.

  54. Wittfogel hatte die . hydraulischen Gesellschaften 1 (die auf ein extrem zentralistisches System

  55. Vgl. Dumont/Mazoyer, a. a. O., S. 177 ff.

  56. Nach einem im . Spiegel'zitierten al-Ahram-Bericht sollen noch 1971 „... fast alle Staatsbetriebe mit Verlust arbeiten und Ägypten an einer katastrophalen, freilich zum Teil verdeckten Arbeitslosigkeit .. leiden; Der Spiegel, Nr. 16/71.

  57. Zitat nach Lacouture, a. a. O., S. 220.

  58. „Les faits s’eloignent ä tel point de ces projets qu'on est tent, a posteriori de croire ä une farce monstrueuse", resümierte der linke Kritiker des Regimes, Mahmoud Hussein, a. a. O., S. 225.

  59. Lacouture, a. a. O., S. 221.

  60. Vgl. die Zahlenzusammenstellung in der FAZ v. 1. 10. 1970.

  61. Vgl. Mahmoud Hussein, a. a. O., S. 226.

  62. Zusammen mit der Einführung des . wissenschaftlichen Sozialismus'kam trotz nationaler Klassenharmonie das Proletariat zu besonderen revolutionären Ehren:

  63. Im Lande mit der ältesten industriellen Tradition des Orients kam es bereits seit der Jahrhundertwende zu organisierten Arbeitskämpfen, und im Jahre 1910 zählte man neun Gewerkschaften mit 3000 geschätzten Mitgliedern. Vgl. Marcel Colombe, LEvolution de l'Egypte 1924— 1950, Paris 1951, S. 187 ff.; dazu auch Hassan Riad, a. a. O.,214 ff. und Mahmoud Hussein a. a. O., S. 47 ff.

  64. Proletariat meint hier Industrieproletariat. Nach einer offiziellen Quelle gab es 1961 bereits 518 000 Industriearbeiter (vgl. Malek, a. a. O., S. 182; Hassan Riad schätzt für die gleiche Zeit maximal 350 000, a. a. O., S. 44). Für 1964 nennt Ziegler die Zahl von „mehr als 700 000" Industriearbeitern (a. a. O., S. 209); Mahmoud Hussein für 1967 3% der Gesamtbevölkerung, also etwa 1 Million (a. a. O., S. 47).

  65. Die Löhne der Stahlarbeiter von Heluan wurden im letzten Jahr von 7 auf 9 ägyptische Pfund angehoben; der Mindestlohn für Industriearbeiter aller Art im März 1972 auf 30 Piaster pro Tag (0, 3 Pfund) festgesetzt. Zum Vergleich: ein Landarbeiter verdient maximal 4 Pfund im Monat; ein Gymnasiallehrer zwischen 15 und 20 Pfund; ein Minister angeblich 240 pro Monat. Die Zahlen entstammen verschiedenen neueren Quellen, vornehmlich Le Monde und Jeune Afrique.

  66. „Ils (die ägyptischen Kommunisten) sont peutetre lä victimes de l'abstraction qui consiste ä penser que le Proletariat est revolutionnaire par essence, quelques soient les conditions particulieres de la socit, alors que le Proletariat egyptien n'a jamais cesse d'etre reformiste." Hassan Riad, a. a. O„ S. 21 lf.

  67. Vgl. Mahmoud Hussein, a. a. O., S. 296 und 318.

  68. Vgl. Middle East Report, vol. VI, No. 3 (1953), S. 1.

  69. Unter den 15 Artikeln einer von der Kairoer Studentenschaft an Staatspräsident Sadat im Januar 1972 übermittelten Resolution findet sich an letzter Stelle der seltsame Punkt: „Suppression des Programmes de tlvision et radio . Frivoles', qui portent atteinte au moral de la population." Le Monde v. 22. 1. 1972.

  70. Besonders die engen Verbindungen zur Moslembruderschaft ließen ganz andere Vermutungen

  71. Der Text bei Lacouture, a. a. O., S. 78 f.; inhaltlich dasselbe bei Georges Vaucher, Gamal Abdel Nasser et son equipe, Paris 1959, Bd. II, S. 23; dazu Sadat a. a. O., S. 31 f. und 12. Der Nachdruck der . Sechs Prinzipien'liegt auf dem nationalen Ziel: Liquidation des Kolonialismus und seiner einheimischen Stützen, Schaffung einer starken Armee, etc. Dasselbe findet sich in so ziemlich allen Pronunciamentos militärischer Revolutionen — ganz besonders im arabischen Raum. Vgl. z. B. die Erklärung Husni Zaims nach dem ersten militärischen Staatsstreich in Syrien v. 3. 4. 1949 (in englischer Übersetzung bei Khalil, The Arab States and the Arab League, Beirut 1962, Bd. I, S. 526 ff.) oder die Erklärungen General Kassems 10 Jahre später nach dem Sturz der Haschemiten in Bagdad (bei Khalil, a. a. O„ S. 37 ff.).

  72. Die westliche Presse reagierte ohne sonderliches Interesse. Die Times v. 24. 7. 1952 stellte als wichtigste Erwägung in den Mittelpunkt, daß die angloägyptischen Probleme von dem Vorgang nicht berührt würden. Le Monde vom gleichen Tag spekulierte über die Rückkehr des Wafd in die politische Arena. Die Russen vermuteten dagegen Übles. In die Sowjetenzyklopädie von 1952 fand die folgende Deutung Eingang: „Dans la nuit du 23 juillet un groupe d'officiers ractionnaires conduits par le gnral Naguib et en etroit contact avec les Etats Unis, s’empara du pouvoir." Zitiert nach Lacouture, a. a. O., S. 215.

  73. Die Schwierigkeiten, unter diesen Umständen ein theoretisch schlüssiges Programm zu formulieren, liegen auf der Hand. Nasser hat das Manko der verbindlichen Doktrin pragmatisch so begründet: " En voulant preciser notre Programme d'action, nous nous serions diviss selon les opinions de Chacun et notre mouvement aurait t affaibli par ses divergences ... Ce que nous voulions tous cetait epurer l’armee, debarasser le pays de occupation trangre, et etablir un gouvernement ProPre, juste qui travaille sincerement au bien du Pays.“ Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 9.

  74. Fritz Steppat, Nationalismus und Islam bei Mustafa Kämil, in: Die Welt des Islam, N. S. vol. IV (1956), S. 262.

  75. Mustafa Kami], nach Steppat, a a. O., S. 263.

  76. Steppat, a. a. O., S. 264.

  77. Zitiert nach Steppat, a. a. O., S. 264.

  78. So im Gründungsmanifest der mit Abstand erfolgreichsten politischen Bewegung im arabischen Orient der Zwischenkriegszeit, des ägyptischen Wafd. Zitiert nach Muhammad Khalil, The Arab States and the Arab League, Beirut 1962, Bd. I, S. 659. Der Wafd bietet ein besonders lehrreiches Beispiel für die Eigentümlichkeit politischer Bewußtseinsbildung unter kolonialen oder halbkolonialen Bedingungen. Hervorgegangen aus der Revolution von 1919 war er, zumindest in den ersten Nachkriegsjahren, tatsächlich die Vertretung der gesamten Nation, wie er es zu sein beanspruchte. Seine Anhängerschaft kam aus allen Schichten der ägyptischen Gesellschaft. Auch nach der formalen Konstituierung zur politischen Partei behielt der Wafd den Charakter der nationalen Volksbewegung. Nur so läßt sich sein erstaunlich lange anhaltender Erfolg in einer Gesellschaft erklären, die sich immerhin schon auf dem Wege zu sozialer Differenzierung befand.

  79. Salama Musa, The education of Salama Musa, Leiden 1961, S. 137.

  80. Vgl. Ishak Musa Husaini, The Moslem Brethren, Beirut 1956, S. 96.

  81. Abd ar Rahman al Bazaz, Islam and Arab Na-tionalism, in: Sylvia Haim, Arab Nationalism, Los Angeles 1962, S. 180 f.

  82. Die erste militärisch inspirierte Revolution im außereuropäischen Bereich, die jungtürkische von 1908, wählte als Devise „Einheit und Fortschritt", ein Motto, unter das fast alle militärischen Pronunciamentos in der Dritten Welt seither zu subsumieren sind.

  83. Die Eigendefinitionen lassen nichts zu wünschen übrig. Abdul Kerim Kassem, der Militärdiktator des Irak, in einer Rede vom Juni 1959: „The armed units are always working in the way of Allah, for the sake of the people and the public interests. They are completely alien to private interests. They have devoted their lives and their efforts to the Service of the homeland.“ In: Paul Sigmund, The Ideologies of the Developing Nations, New York 1964, S. 119.

  84. Vgl. Edward Shils, The Military in the political development of the new States, Princeton 1962, S. 17 ff.; Manfred Halpern, Middle Eastern Armies and the new Middle Class, a. a. O., S. 278 ff.; Bassam Tibi, Zum Verhältnis von Militär und kolo-

  85. Gamal Abdel Nasser, Die Philosophie der Revolution, Ullstein Bd. 610, S. 22.

  86. „Nach dem 23. Juli war ich entsetzt über die Wirklichkeit. Die Vorhut hatte ihre Aufgabe gelöst, die Mauern der Tyrannen-Festung gestürmt,

  87. In der ersten öffentlichen Erklärung vom 23. Juli wurde dem ägyptischen Volk versichert, daß die Intervention der Armee in die Politik in vollem Einklang mit der Verfassung stehe und daß jede revolutionäre Bewegung unterdrückt werden würde „avec une severite inconnue jusqu’ici", wie der Oberst Anwar al-Sadat im Auftrag des Revolutionsrates verkündete (französischer Text der Proklamation nach Vaucher, 11/12 ff.).

  88. Vgl. unten S. 26.

  89. Wie fest das Leitbild vom neutralen und zeitlich begrenzten . Wächteramt'im Selbstverständnis der Revolutionäre haftete, bezeugen die seitenlangen Auslassungen Nassers in seinem Traktat zur . Philosophie der Revo'ution'. Geschrieben zu einem Zeitpunkt, als längst keine Rede mehr sein konnte von einer absehbaren Rückkehr zur politischen Normalität, wurde hier noch festgehalten an der Fiktion von der überpolitischen Aufsichtsinstanz. Nasser, Die Philosophie der Revolution, a. a. O„ S. 36.

  90. „Ce qui nous importe, c’est l'application de la Constitution teile qu’elle a t promulguee. Nous n avons rien ä voir avec sa modification, laquelle est un acte politique, qui est du ressort du gouvernement, exclusivement." Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 13.

  91. Es sei „der schwerste Schlag, den ich je in meinem Leben empfangen habe", gewesen, schrieb Nasser zur Entscheidung für die Diktatur. Philosophie der Revolution, a. a. O., S. 30.

  92. Text bei M. Khalil, a. a. O., Bd. II, S. 496 f.

  93. Als Ziel der Organisation wurde verkündet: „To enlighten the citizens as to their duties and to urge them to unite and collaborate in productive work in order to advance reform responsibilities." Zitiert nach M. Khalil, a. a. O., Bd. I, S. 689.

  94. „Wir haben ihm eine Legende geschaffen, die als Wahrheit geglaubt worden ist. Die ganze Welt hat ihn für den Kopf, den Motor und den ausführenden Arm der revolutionären Bewegung gehalten, wir aber mochten ihm nicht sagen, daß er nur eine von uns vorgeschobene Puppe war. Anwar El Sadat, Geheimtagebuch, a. a. O., S. 141.

  95. Eine erste erzwungene Demission im Februar 1954 mußte unter dem Druck eines Teiles der Junta wieder rückgängig gemacht werden. Die zweite wurde in Szene gesetzt, nachdem zuvor Naguibs Stützen in der Armee beseitigt worden waren.

  96. „The leaders of the Revolution, thinking that the country was desirous of a quick return to Parljamentary life, did not fail to take (their decisions) towards the realization of this desire ...

  97. Landbesitz in einer Hand wurde auf 200 Feddan (83 Hektar) beschränkt; für Familien mit Kindern auf zusätzliche 100 Feddan, praktisch also auf 300 Feddan. Zum Vergleich: die Mehrzahl der Grundeigentümer (nach Hassan Riad 15 % der Landbevölkerung) besaß etwa 2, 5 Feddan Land. Betroffen von der ersten Landreform wurden nur 6 °/o des fruchtbaren Bodens; davon fiel ein Teil an den Staat.

  98. „Nous avons essay de trouver un homme capable de gouverner. Nous avons fait appel ä Aly Maher, mais nous avons vu Tassociation des proprietaires fonciers demander avec insolence le maintien de l'esclavage dans les fermes, l’abrogation du projet de loi sur la reforme agraire. Les demandes commencaient ä se faire nombreuses.“ Nasser am 20. 12. 1953, zitiert nach Vaucher, a. a. O„ Bd. II, S. 29 f.

  99. Vgl. Malek, a. a. O., S. 71 ff.; Mahmoud Hussein, a. a. O„ S. 102 ff. Den eigentlichen ökonomischen Sinn der Sache sieht Mahmoud Hussein in der Beschleunigung des Überganges von der traditionalistisch-feudalistischen in die kapitalistische Produktionsweise: „Telle etait la Vision politique des , Officiers libres', au mois de juillet 1952. Elle peut se resumer dans la volonte de rorganiser la vie politique et de reorienter la vie economique dans le cadre du mode de production existant; plus precisement de resoudre la crise de ce mode de production, de la debloquer — en sacrifiant une fraction infime de la classe dominante, la plus parasitaire, en faveur d’un developpement capitaliste, surtout appuye sur la tendance . moderniste'de cette classe et etroitement lie aux capitaux etrangers." (S. 101).

  100. Naguib in einem Interview: „Au fond, Tobjectif essentiel de la reforme, c'est de forcer le transfert de la proprit terrienne vers Tindustrie. Les Egyptiens sont malades du terre. II faut limiter cette passion, et remettre le Capital dans le circuit

  101. Am 12. /13. August 1952 kam es in den Spinnereien von Kafr el Dawar bei Alexandrien zum Streik. Kommunistische Agitatoren forderten zur Landnahme auf, einige Wagen und Gebäude wurden angezündet. Es gab 8 Tote, 20 Verletzte und mehr als 200 Verhaftungen. Kommentar des neuen Regimes: „Les traitres qui cherchent ä troublr l'ordre et ä empecher la realisation des reformes sociales preconisees par Tarrnee." Zitiert nach Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 20.

  102. Amin Chaker, Said El Eryane, Ali Adham, La Ralit du Communisme, zitiert nach der von Georges Vaucher benutzten französischen Über-setzung. Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 80— 125.

  103. „Ce n'est pas par hasard que le guide suprme du communisme est Karl Marx, le Juif fanatique, qui nourissait dans son for Interieur la haine de toutes les autres races humaines, et un desir de vengeance et de destruction." Vaucher, a. a. 0 Bd. II, S. 102.

  104. „La plupart des hommes libres prefereraient la mort pltt que la vie sous la coupe d’un regime base sur l'etouffement des libertes, le mepris de la dignite, qui fait de l’homme vivant une machine." Vaucher, a. a. O„ Bd. II, S. 93.

  105. „Certains de ces partisans ont reussi ä exercer leur influence sur certaines personnes faibles, anormales, souffrant de complexes, dans les milieux des etudiants et des ouvriers." Vaucher, a. a. O„ Bd. II, S. 112 f.

  106. Vaucher, a. a. O„ Bd. II, S. 114.

  107. Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 82.

  108. Nach Walter Laqueur, Communism and Natio-nalism, London 1962, S. 342.

  109. Husaini, a. a. O., S. 128.

  110. Husaini, a. a. O., S. 135; vgl. auch Vaucher, a. a. O„ Bd. II, S. 146 ff.

  111. „This day is one of the most memorable days in history, which the coming generations will look upon with pride, and on which we feel the souls of our innocent martyrs all around us. It is a reward for our glorious struggle of the past, a hope in the future of the Arab peoples .. Address by President Shukri Al-Quwwatly to the Egyptian and Syrian National Assemblies Sitting in Joint Session, zitiert nach M. Khalil, a. a. O., Bd. I, S. 609.

  112. Nämlich über die sog. Türkenklausel’ im angl ägyptischen Suez-Kanal-Abkommen v. 27. 7. 1954.

  113. Die linke These von der präventiven Konterrevolution des 23. Juli 1952 (vgl. oben S. 26) wurde in der Sache von den Männern des Regimes gelegentlich selbst bestätigt. Allerdings in dem Sinne, als sei die Armee an die Spitze der revolutionären Bewegung von unten getreten, nicht um sie zu unterdrücken, sondern sie zum Ziel zu bringen. Vgl. Hassanein Heykal in: Malek, La Pense Politigue Arabe, a. a. O„ S. 188.

  114. Lacouture, a. a. O., S. 112.

  115. In Nassers zahlreichen öffentlichen Polemiken wider den Imperialismus vor 1961 spielen die Kreuzfahrer und Napoleon eine ungleich größere Rolle als das Monopolkapital!

  116. In der Rede Nassers zur Verstaatlichung der Suez-Kanalgesellschaft vom 26. 8. 1956 klang die antikapitalistische Polemik erst am Rande an. Er ging hart mit der Kreditpolitik der Weltbank ins Gericht und sprach die Vermutung aus, daß es den Amerikanern bei der Entwicklungshilfe mehr um Profit und nicht um Entwicklung gehe: aber es dominierten doch noch die alten Formeln.

  117. Und zwar, als die Sowjetunion in der schweren Auseinandersetzung Nassers mit Kassem, dem Diktator des Irak, im Frühjahr 1959 dessen Partei ergriff.

  118. Englischer Text der Verfassung bei Khalil, d a. O., Bd. I, S. 499— 520.

  119. Den beunruhigten syrischen Unternehmern erläuterte Marschall Hakim Amer als Sonderbotschafter des Rais im Herbst 1958 den tieferen Sinn der . sozialistischen Orientierung': „Le monde est en pleine evolution sociale. Nous ne nous alignons ni ä gauche, ni ä droite. Notre seul souci est de creer une socit equilibree et stable, l'employeur et l’ouvrier etant les membres d'une mme famille." Zitiert nach Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 180 f.

  120. „The National Union aims at the realisation of the goals of the Revolution of July 23, 1952, and the exertion of efforts for building the nation on a sound basis, by setting up a socialist, democratic, cooperative society free from political, social, and economic exploitation." Zitiert nach M. Khalil, a. a. O., Bd. I, S. 690.

  121. Philosophie der Revolution, a. a. O., S. 22.

  122. „C'est le socialisme applique, et non un socia-lisme de Slogans et de devises. Tel est le socialisme accepte par ce peuple lorsqu'il a proclame sa rvo-lution, lorsqu'il a annonce que son but etait 1 instauration d'une socit democratique, socialiste et cooperative, libre de 1‘exploitation politique, sociale et economique." Discours du President Jamal Abdel Nasser . . . ä Damas du 4 Mars 1960; Documentation Arabe No. 674, Damaskus, o. J., S. 8.

  123. „L’Union Nationale est l'expression du pays tout entier, et le pays presente jusqu'ä present des contradictions. Mais notre devoir est de les faire disparaitre graduellement." Nasser anläßlich einer Pressekonferenz vom 28. 5. 1960. Zitiert nach Documentation Arabe, No. 712, Damaskus, o. J., S. 4.

  124. „L’Union Nationale est le peuple tout entier. Les comites de I'Union Nationale ne sont que l’expression de la volonte de ce peuple. J’ai vu l’Union Nationale unifier les rangs de toute la nation et representer l’espoir dans toutes les regions de la RAU." Nasser im 4. 3. 1960 in Documentation Arabe, No. 674, Damaskus, o. J., S. 8.

  125. Vgl. Les Resolutions du Premier Congres General de l'Union Nationale de la RAU vom 16. 7. 1960, in: Documentation Arabe, No. 742, a. a. O., S. 6.

  126. Ebenda, S. 7.

  127. „Le Congres est tres convaincu que la Cooperation est la meilleure base de notre socit et que notre socialisme base sur l’amour et la solidarite et non pas sur la lutte des Hasses — est celui qui tend ä transformer les locataires en proprietaires, en respectant la proprit privee. Le Congres d

  128. „II y avait des Slogans socialiste dans le passe, mais il y avait feodalisme, exploitation et division, parce que l'esprit partisan et les conflits ne permettaient ä personne d'appliquer ces Slogans." Documentation Arabe, No. 647, a. a. O., S. 8.

  129. Zitiert nach Vaucher, a. a. O., Bd. II, S. 67.

  130. Discours du 22. 7 1961, au lendemain des nationalisations des banques et des Industries, Documentation Arabe, No. 914, a. a. O., S. 5.

  131. Discours . . ., S. 2 und 6.

  132. „Cette classe ouvriere commence ä partir du President de la Republique qui vit de ses appointements, et va jusqu'ä l'ouvrier qui vit de ses appointements ...", a. a. O„ S. 5f.

  133. „II etait inevitable pour nous de supprimer les armes de la classe qui nous avait tyrannise dans le passe, et ce, par nos moyens ä nous, par des moyens pacifiques, des moyens sans effusion de sang“ . . . „Notre socialisme n'est pas cela, notre socialisme est fonde sur la fraternite . . a. a. O., S. 4.

  134. „L'Islam, dans ses premiers temps, etait le Premier Etat socialiste fonde par le Prophete Mohamed. Le Prophete Mohamed a t le premier a appliquer la politique de la nationalisation ä cette poque-l .. a. a. o., S. 7.

  135. Vgl. Malek, a. a. O., S. 280 f.

  136. Die Aufnahme des nationalen Sozialismus im arabischen Gewände durch die marxistische Orthodoxie wandelte sich im Laufe der Zeit. Chruschtschow beispielsweise goß 1964 noch seinen ganzen Hohn und Spott darüber aus (vgl. Reinhard Kapferer, Nassers Schwierigkeiten mit Positivem Neutralismus und Arabischem Sozialismus, in: Europa-Archiv 20/1964). Vier Jahre später las man es anders. „Diese Doktrin ist ein Produkt der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus und wie sie der Veränderung unterworfen . . . Sie ist kein Antipode des wissenschaftlichen Sozialismus, sondern eine von den Spezifika wie Gesetzmäßigkeiten nichtkapitalistischer Entwicklung wie natürlich auch subjektiven Eigenheiten ihrer Träger geprägte Übergangsstufe zu ihm.“ Vgl. Rathmann/Borner, a. a. O., S. 49 f.

  137. Vgl. Abd Al-Rahim-Ghoneim, La nouvelle classe dirigeante, in: Abdel-Malek, La pense politique arabe contemporeine, Paris 1970, S. 197.

  138. Malek, a. a. O„ S. 176.

  139. vgi Lacouture, a. a. O., S. 206 und Anm. 15.

  140. Text der Charte Nationale bei Malek, a. a. O.

  141. Vgl. Malek, a. a. O., S. 328.

  142. Zitiert nach FAZ vom 29. 12. 1971.

  143. Mit einem Ja'zur Communaute stimmten der Senegal zu 97, 6 °/o, die Elfenbeinküste zu 99 °/o, der Kongo-Brazzaville zu 99 %; vgl. Die internationale Politik 1958— 1960, München-Wien, S. 969.

  144. Sekou Toure nach der Unabhängigkeitserklärung: „La Guinee represente aujourd'hui toute la volonte, toute Tarne vivante de TAfrique, toute son esperence dans son destin singulier." Zitiert nach: Sekou Toure, Experience guineenne et unite afri-Caine, Paris, S. 197. An anderer Stelle: „Le peuple guinen a relev au nom de TAfrique entiere le Tambeau de la Liberte." Experience, a. a. O., S. 221.

  145. Im Vorwort zu einer Sammlung von Reden Sekou Toures aus dem Jahre 1959 schreibt der englische Herausgeber Basil Davidson: „La Guinee, comme le processus Tindique, offre un exemple de cet aspect dynamique du mouvement de liberation dans TAfrique contemporaine que l'on pourrait, sans exageration, qualifier d'universaliste quant ä sa signification . . . ce pays, la Guinee, devienne une partie integrante de la lutte generale de l'humanit pour une vie meilleure et raisonnable. Ici en Guinee . . . un etranger peut avoir le sentiment que les vieux termes familiers sont vrais, que liberte, galit, fraternite, ne sont pas de simples echos evanouis, issus d'un passe revolutionnaire revolu; Tetranger peut sentir ici en Guinee que tous les hommes peuvent etre freres lä ou regne la liberte!" La Guinee et Temancipation africaine, Paris 1959, S. 13.

  146. Kein Geringerer als Aime Cesaire spürte das . tausendjährige Afrika’ walten in den Worten und Taten des Sekou Toure. Aime Cesaire im Vorwort zu Experience Guineenne et Unite Africaine, Paris 1962, S. 6.

  147. Vgl. die Kommentare der rechten französischen Presse, besonders des Figaro. Ferner: B. Ameillon, La Guinee, bilan d’une independance, Paris 1964, S. 79 f. oder die amerikanischen Reaktionen: Ameillon, S. 149 f.

  148. Zitiert nach: Jeune Afrique vom 11. 12. 1971, S. 19.

  149. B. Ameillon, a. a. O., S. 203.

  150. Claude Riviere, Mutations Sociales en Guinee, Paris 1972.

  151. Im Verlaufe der Säuberungen des vergangenen Jahres verschwanden 16 amtierende Minister, 14 von 27 Provinzgouverneuren, insgesamt geschätzte ’/io des höheren Offizierkorps und der Parteikadern in den Gefängnissen des Regimes. Vgl. Jeune Afrique (im folgenden zitiert J. A.) vom 11. 12. 1971. Zu den einzelnen .complots'vgl. die Darstellung von Joachim Voß: Die Republik Guinea. Staat des „Complot Permanent", in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 29/71 vom 17. 7. 1971, S. 3— 33.

  152. Vgl.den Bericht der Genfer Internationalen Juristenkommission vom Januar 1972 in: NZZ vom 12. 1. 1972.

  153. Von 1958 bis 1969 ist die Bananenproduktion von 64 000 t auf 20 000 t gesunken; die von Kaffee von 16 000 t auf 2 000 t (j. A., No. 527, S. 32); vgl. auch J. Voss, Guinea, Bonn 1968, S. 186 ff.

  154. Vgl. J. A. vom 9. 2. 1971, S. 30.

  155. Selbst bei den scharfen Attacken gegen die NATO anläßlich der Aufdeckung des . Komplottes der V. Kolonne'vom Nov. 1970 wurde ihre Führungsmacht, die USA, mit keinem Wort erwähnt.

  156. Zum Umfang und zur Bedeutung der russischen Hilfe zwischen 1959— 1961 vgl. Baard Richard Stokke, Soviet and Eastern European Trade and Aid in Africa, New York 1967, S. 177 ff.

  157. Vgl. J. Voss, a. a. O., S. 239. Daß etwas an den Anklagen gegen die BRD sein könnte (Teilhabe an der Landung einer 300 Mann starken Gruppe Oppositioneller zum Sturz des Regimes) argwöhnt eigentlich nur die bundesrepublikanische Linke: „Vermutlich ist es zu früh, um eindeutig festzustellen, wer genau hinter der Invasion steckte. Es ließ sich jedoch nicht bestreiten, daß eine Anzahl von Anzeichen wiederum auf die „unheimlichen Deutschen" verwies.“ Ulrich Albrecht/Birgit A. Sommer, Deutsche Waffen für die Dritte Welt, Hamburg 1972, S. 15.

  158. „Leur aide totalisait plus de 100 millions de deutsche Mark. C'est sans doute pour ne pas avoir ä payer cette dette de sitöt que M. Sekou Toure a prefere le coup d'eclat de decembre dernier qui aboutit ä la Suspension de Tassistance ouest-allemande alors que jusqu'ici les relations entre les deux pays paraissaient exemplaires.“ J. A. vom Februar 1971, S. 32.

  159. Schon lange vor seiner quasi-institutionellen Einführung hat Sekou Tour den organisierten Massenterror als .demokratisches'Prinzip der neuen Gesellschaft angekündigt. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung rief er das Volk zur patriotischen Wachsamkeit auf: „Surveillez-vous dans les quartiers, dans les villages, dans les bureaux et dans les chantiers, tous ceux qüe vous considerez comme ennemis de la Nation, tous ceux que vous considerez comme malhonnetes." Und nach dem Appell zur revolutionären Wachsamkeit der Appell zur Unterwerfung unter den revolutionären Schrecken: „Lorsaue vous verrez des mesures severes s'abattre sur tel ou tel, ne posez pas d'autres questions sachez seulement que celui-ci celui-lä a trahi la confiance du peuple, qu'il a trahi la Guinee." Rede vom 26. 10. 1958 in: Experience, S. 233/235.

  160. Der Spiegel vom 25. 1. 1971.

  161. Le Monde vom 27. 1. 1971 und J. A. vom 9. 2. 1971.

  162. Präsident Etinne Eyadema von Togo: „J'ai le sentiment que tous les Africains reprouvent ce qui s'est passe, et lorsque les Europeens en parleront, ils ne diront pas: la Guinee, ils parleront purement et simplement de l’Afrique et des Afri

  163. Vgl. Der Spiegel vom 25. 1. 1971 und 1. 2. 1971.

  164. So Leopold Sedar Senghor in einer Stellungnahme zum letzten . Komplott; vgl. J. A. vom 9. 2. 1971.

  165. „Nos principes fondamentaux sont simples: nous ne reconnaissons de valeur qu'ä ce qui sert la cause du peuple et ä ce qui acclre l'histoire de la nation. Cette discipline ä laquelle nous nous soumettons librement, et cette orientation qui constitue la tche principale d'un parti d’avantgarde et d'un etat democratique, c'est cela la dictature . . . Nous disons, quant ä nous, qu'en accordant la preeminence au peuple, en le faisant participer directement ä toutes les decisions importantes qui peuvent engager la nation, nous voulons que cette dictature soit populaire et democratique.“ Sekou Toure, zitiert nach: Experience, a. a. O., S. 504.

  166. „Avec les pleins ponvoirs donns au Gouvernement, nous avons les moyens de reduire les contrerevolutionnaires de ce pays. Ces moyens, quelle que soit leur rigueur extreme, nous les emploierons sans aucune hesitation, sans aucun regret, chaque fois que l’intrt superieur de la Nation le necessitera." Sekou Toure, zitiert nach: Experience, a. a. O., S. 235.

  167. „La materialisation de la volonte consciente de modifier radicalement les conditions qui sont les siennes, en vue de leur substituer des conditions nouvelles, que le peuple aura lui-mme dter-mines, selon ses besoins fondamentaux, selon ses principales aspirations et selon la hierarchie des valeurs morales et economiques qui les definissent et qui soulignent leur degre dürgence." Sekou Toure, zitiert nach de Decker, Le Developpement communautaire, Paris 1967, s. 69.

  168. Edward Shils hat auf die analogen Vorgänge in Deutschland, Rußland und Amerika im 19. Jahrhundert aufmerksam gemacht. Zum Befund in der Dritten Welt schreibt er: „Alienated from the indiginous authorities of their own traditional society ... the intellectuals have had only the . People'... as support in the search for the Salvation of their own souls and their own society.“ Edward Shils, The Intellectuals in the Political Development of the New States, in: Kautsky, Political Change in Underdevelopped Countries, New York 1964, S. 215. Mary Matossian beschrieb den Populismus der Intellektuellen als wesentlichen Inhalt der von ihr so genannten Ideologies of Delayed Industrialization', in: Kautsky, a. a. O., S. 263.

  169. Intellektueller nach afrikanischen Maßstäben, wie sich versteht. „En Afrique, on devient , intellectuel'avec le Brevet elementaire", schreibt Ameillon, a. a. O., S. 49.

  170. Vgl. Ameillon, S. 21 f.; de Decker, S. 61 f. und Voss, S. 57, 63.

  171. Sekou Toure, zitiert nach: Experience, S. 466.

  172. Sekou Toure ist Malinke, Diallo Saifoulaye ist Fula, Lansana Beavogui kommt aus der Waldregion und Bengaly Camara ist Soussou. Vgl. Voss, a. a. O., S. 66.

  173. „Combien de jeunes gens ou de jeunes filles ont perdu le goüt de nos danses traditionnelles et la valeur culturelle de nos chansons populaires... Cette inconscience de nos valeurs caracteristiques nous isole fatalement de notre propre milieu social, dont les moindre qualites humaines nous chappent. Nous finissons ainsi par meconnaitre la signification veritable des choses qui nous entourent, la signification de nous-memes. Par contre, les paysans, les artisans africains ne sont aucunement complexes par le regime colonial dont ils ignorent la culture, les habitudes et les valeurs." Sekou Toure in: La Guinee, S. 168 f.

  174. „Intellectuels ou artistes, penseurs ou chercheurs, leurs capacites n'ont de valeur que si eiles concourent reellement ä la vie du peuple, qui si elles sont integrees de maniere fondamentale a l’action, ä la pensee, aux aspirations des populations. S’ils s'isolent de leur propre milieu par le fait de leur mentalite particuliere de colonises, ils ne pourront avoir aucune influence, ils ne seront d'aucune valeur pour l’action revolutionnaire que les populations africaines ont entreprise pour se liberer du colonialisme, ils seront des deracines et des etrangers ä leur propre patrie." Sekou Toure, a. a. O., S. 170.

  175. „Restons surtout en contact permanent avec les masses pour nousi_n_s_t_ru_i_r_e_d_e leurs aspirations, de leurs joies et de leur peines, de leur bon sens et de leur culture." Sekou Toure, in: Experience, S. 53.

  176. Vgl. Ameillon, a. a. O., S. 20; ferner Eberhard Stahn, Kommunistische Modelle für Afrika?, Hannover 1967, S. 33. In einem Interview bekannte Sekou Toure für diese Zeit: „Je vous mentirais, si je ne reconnaissais pas avoir lu beaucoup d'oeuvres de Mao Tse Toung et beaucoup d'oeuvres des grands penseurs du marxisme. Je pense que le marxisme apporte des theses importantes sur histoire de rhumanite." Zitiert nach de Decker, a. a. O„ S. 66.

  177. Vgl. Meynaud/Salah-Bey, Le Syndicalisme Africain, Paris 1963, S. 204 und S. 73 ff.

  178. Vgl. Meynaud/Salah-Bey, a. a. O., S. 73.

  179. De Decker, a. a. O., S. 66.

  180. Er hat es im übrigen oft genug selbst gesagt: „Le communisme n'est pas la voie de l'Afrique. La lutte des classes est ici une chose impossible, car il n'y a pas de classes, mais seulement des couches sociales. La base fondamentale de notre societe est la famille etablie en conformite avec la communaute villageoise." Ameillon, a. a. O., S. 178.

  181. Experience, S. 502.

  182. Experience, S. 506.

  183. „En effet, l’Afrique a une chance unique que IEurope a dj perdue ... la chance de l'Afrique reside dans les puissants et profonds Sentiments de sociabilite de ses populations, dans la solidarite vivante caracterisant les rapports entre les uns et les autres. Cet humanisme vrai constitue toute notre chance. Cette chance fait aujourd’hui de Afrique, malgre son important retard technique et scientifique, un pays dont les populations ne sont pas divisees par des contradictions fondamentales ''" Experience, S. 418.

  184. „L'Afrique est essentiellement communaucratique. La vie collective, la solidarite sociale donnent a ses habitudes un fond d'humanisme que beaucoup de peuples peuvent envier. C'est aussi ä cause de ces qualites humaines qu'un etre ne peut, en Afrique concevoir l'organisation de sa vie en dehors de celle de la socit familiale, villageoise ou clanique. La voix des peuples africains est sans Visages, sans nom, sans un son individualiste." S. Toure, La Guinee, S. 169.

  185. S. Toure: „La force brutale, la force de domination nous a t inculquee et imposee pour nous maintenir dans un contexte favorable ä notre exploitation au benefice du Systeme colonial, a ete installee soit ä travers, soit par les structures economiques, administratives, politiques et sociales decoulant de l’occupation coloniale. Par consequent la Colonisation, tout en nous considerant comme , Moyens', a eu aussi, en mettant en place ses structures particulieres, ä introduire certaines lüttes internes dans la socit africaine, par suite du desequilibre du aux modifications des anciennes organisations du pays."

  186. „La Colonisation dite d'exploitation a fait gnralement obstacle au developpement d’un capitalisme national en Afrique et ä la formation de Hasses, qui caracterisent les socits basees sur un mode et des rapports de production capitalistes.“ Vgl. Meynaud/Salah-Bey, S. 132.

  187. S. Toure, Guinee, S. 203 ff.

  188. „Le regime feodal coincidait ä ce moment-lä avec les ralits de l'Afrique, c'est-ä-dire qu'il n'etait pas un regime impose par un homme ou par un groupe d'hommes, il etait l'expression la mieux adaptee aux conditions economiques qui etaient alors celles de l'Afrique. Ce regime placait les Africains dans un certain equilibre general. L'equilibre social et moral emanait lui-meme de l'equilibre economique et leur association intime se refletait dans la culture africaine en tant qu'expression authentique des valeurs originales de l'Afrique." Sekou Toure, La Guinee, S. 204.

  189. „Aujourd’hui ce desequilibre est tres apparenti petit ä petit, le comportement solidaire de la socit a t denature et est progressivement devenu un comportement individualiste ... Le facteur de l’individualisme’ etait exclusivement favorable au Systeme colonial, puisqu’il ne permettait plus aux Africains de se determiner collective: ment et les empechait, par consequent, d'unir leurs energies, leurs volontes, d'organiser leur lutte contre ce qui les dominait et les exploitait. S. Toure, La Guinee, S. 206.

  190. „II faut que, sans discontinuite, nous luttions contre nous-memes, c‘est-ä-dire contre tout ce dul en nous, est en contradiction avec le choix qua nous avons fait." Experience, S. 504 f.

  191. Allerdings gibt es auch hierzu Variationen in . Toures politischem Denken. Sowohl die . Diktatur des Proletariates'wie liberaler Parteienpluralismus wurden gelegentlich in Aussicht gestellt; vgl.de Decker, a. a. O., S. 72.

  192. Sekou Toure, zitiert nach Benot, a. a. O., S. 246.

  193. Die Begriffsbildung . Afrikanischer Sozialismus'gilt als typische Verirrung artentfremdeter Intellektueller; vgl. S. Toure, bei: de Decker, a. a. O., S. 70.

  194. „Parier de socialisme, c'est parier en somme d'un ensemble de structures, de pratiques conomiques et sociales. Mais le socialisme, pour nous, n'est pas une fin en soi . . . C’est pourquoi, vous n’entendrez pas parier de socialisme en Guinee ... le peuple guineen qui se rfre exclusivement dans sa conception ä l'originalite de l’Afrique est engage dans la voie d'un developpement non capitaliste qui dbouche sur la primaute effective de la socit humaine, de l’homme tout court." Ameillon, a. a. O., S. 193.

  195. So sei der volkschinesische Ultraprogressismus in Guinea bereits abgemachte Sache: „Vous entendez de grands bruits en Chine au sujet des Communes Rurales, parce que celles-ci reprsentent lä-bas une reforme revolutionnaire, audacieuse, alors qu’ici, chaque village est deja trans-forme en Commune Rurale, avec une gestion democratique des intrts du village. Ici, cette reforme n’apparait pas comme une notable rvölution." S. Toure, La Guinee, S. 132.

  196. Vgl. Stahn, a. a. O., S. 82.

  197. „Ainsi, le triple röle du PDG: prevoir pour crer, organiser pour mieux agir dans l’harmonie et contröler pour corriger les lacunes, les faiblesses et les erreurs, doit s'exercer ä tous les niveaux de sa structure." Sekou Toure, zitiert nach Experience, a. a. O„ S. 57.

  198. Zu den komplizierten Organisationsstrukturen im einzelnen vgl. J. Voss, Guinea, S. 85— 91.

  199. „Quel est le pays dans le monde que compte un elu pour onze habitants", fragte S. Toure voll Stolz in einer Rede vor der Nationalversammlung im November 1964; vgl. J. Voss, a. a. O., S. 88.

  200. „Le centralisme democratique renferme une contradiction dialectique dont la meconnaissance mene ä la dictature quand c'est le sommet qi bafoue les regles de son fonctionnement normal, ou ä l'anarchie, ä l’incoherence, a l'eparpillement des eftorts quand c'est ä la base que l'esprit est viole." Sekou Toure, zitiert nach de Decker, a. a. O., S. 74.

  201. „Si l'on ne comprend pas le fait important que.derriere l’tat, il y a quelque chose de superieur

  202. Vgl. J. Voss, a. a. O,. S. 92.

  203. „Le chef de l'Etat administre la Nation", Sekou Taur zitiert nach J. Voss, a. a. O., S. 93.

  204. „Les projets de loi sont d'abord discutes en Congres et en Conseil National de la Revolution par les veritables dirigeants du peuple. Ce sont ces instances qui determinent la modalite des actes T 6gislatifs que le Parlement a seulement pour vocation de mettre en forme." Sekou Toure, zitiert nach Stahn, a. a. O., S. 92.

  205. Vgl. De Decker, a. a. O., S. 131.

  206. Vgl. De Decker, ebenda, S. 131.

  207. Richterliche Unabhängigkeit im bürgerlichen Sinne wäre nach dem Urteil Sekou Toures „. . . une heresie dans un regime democratique et populaire"; vgl. Voss, a. a. O., S. 108.

  208. Von den Richtern wird erwartet, daß sie sind: „immediatement sensibles aux instructions et impulsions du Pouvoir, dont ils exercent une parte importante de l'autorite en rendant la justice au nom du Peuple." S. Toure, zitiert nach Voss, a. a. O., S. 108.

  209. Beispielsweise ist die Lieblingsvorstellung von dem in der traditionalen afrikanischen Gesellschaft angeblich vorherrschenden Prinzip des Kollektivismus recht problematisch. Vgl. dazu aus der umfangreichen Literatur: D. Paulme, Regime fonciers traditionnels en Afrique, in: Presence Africaine, Nr. 48, 1963; H. Frechou, Le regime foncier chez les Soussous du Moyen-Konkoure, in: Cahiers de l’I. S. E. A., Supplement 129, serie V, Nr. 4, September 1962; J. Richard-Molard, Essai sur la vie paysanne dans le Fouta-Djalon, in: Hommage ä J. Richard-Molard; Mission Demographique De Guinee, tudes agricoles et economiques de quatre villages de Guinee franqaise, III, 1955.

  210. „Aucune comparaison n'est possible entre les pays independants et les pays colonises oü la Situation se presente differement car les contradictions entre les differentes couches de la Population sont mineures par rapport ä la contradiction principale existante, entre l'interet de l’ensemble du peuple du pays colonise et le Systeme coloniale lui-meme." Sekou Toure, zitiert nach Ameillon, a. a. O., S. 155.

  211. So im Oktober 1963, also nach dem Komplott der . Kleinen Kaufleute'(vgl. S. 00): „Le commerant prive u un sens de responsabilite plus aigu et certainement un goüt plus prononce dans ses activites, dans la Conservation des marchandises et dans leur ecoulement rapide que le fonctionnaire qui touche sa solde ä la fin du mois et qui n'a pour tout ressort que de penser de temps en temps ä la nation et ä une responsabilite que le plus souvent il neglige et qu'il bafoue." Benot, a. a. O., S. 254 f.

  212. So im September 1963, also einen Monat vor seiner Rede auf die Vorzüge unternehmerischer Initiative, als Sekou Toure zum Kampf aufrief gegen „ . . . les manoeuvres reactionnaires de la nouvelle classe bourgeoise mercantile qui s'oppose au regime"; zitiert nach Ameillon, a. a. O., S. 187.

  213. Geschätzte 5% der Gesamtbevölkerung; 9 Stahn, a. a. O., S. 19. Nach einem von-Voss zitierten offiziellen Bericht gab es 1965 erst 5182 Industriearbeiter; Voss, a. a. O., S. 213.

  214. Zitiert nach Benot, a. a. O., S. 254.

  215. Vgl.de Decker, a. a. O„ S. 212.

  216. Jean Ziegler, Politische Soziologie des neuen Afrika, S. 34.

  217. Jean Ziegler, a. a. O„ S. 37.

  218. Eine gute Gesamtdarstellung des Loi Cadre'vom 23. 6. 1956, seiner Intention und Wirkung findet sich bei Albertini, Dekolonisation, S. 486 ff.

  219. Vgl. Ameillon, a. a. O. S. 26.

  220. Ameillon nannte es das . Große Geschäft’: „L'africanisation des cadres administratif, la Suppression de la chefferie avaient en effet donne lieu ä une ruee sur les places. La formation des ministeres, des cabinets ministeriels, l'attribution des postes administratifs en brousse, des presidences des conseils de circonscription de villages et des Societes Mutueiles des developpement rural avaient ete la grande affaire depuis 1957." Ameillon, a. a. O., S. 45.

  221. Vgl.de Decker, a. a. O., S. 126 und 212; Voss, a. a. O„ S. 149.

  222. Auch dies —immerhin doch das Scheitern des großartigen Experimentes — hat Sekou Toure indirekt zugegeben. Im Jahre 1967, im zehnten Jahr der Revolution, diagnostizierte der Staatschef den sozio-psychologischen Zustand seines Volkes wie folgt: „Une classe (die Bauern) heterogene de petits proprietaires, d'eleveurs et d'ouvriers agricoles qui tirent une bonne partie de leur subsistance en dehors du Circuit monetaire. Ainsi, lie au sens de la propriete, subissant la nature plutöt que de la dominer, spirituellement et mentalement mystifie, tout, semble-t-il, concourait ä confiner le paysan dans la passivite." Benot, a. a. O„ S. 256 f.

  223. »II est impensable que nous nous inspirons du Capitalisme pour resoudre nos problemes", erklärte Sekou Toure der New York Herold Tribune im April 1959.

  224. »Notre experience constitue une tentative nouyelle de developpement socialiste ä partir des realites paysanne". Sekou Toure nach Decker, a. a-0., S. 76.

  225. Text des Dekretes vom Mai 1960 bei Ameillon, a. a. O., S. 120.

  226. Details vgl. Voss, a. a. O., S. 202 und Jeune Afrique vom Februar und Dezember 1971.

  227. Beispiele bei Benot, a. a. O., S. 242 und Decker a. a. O., S. 209.

  228. Vgl. Voss, a. a. O„ S. 150 f.

  229. „Dans les entrepts comme dans les banques, dans les magasins generaux comme dans les co-operatives et les entreprises d'Etat, partout, les finances sont menacees devant la ruee et la rapacite des comptables . . . Dans l'Entreprise nationale des tabacs et all imettes, pres de 44 million ont ete detournes." Zitiert nach Jeune Afrique, Februar 1971, S. 31.

  230. Charles Bettelheim, Zur Analyse neuer Gesellschaftsformationen, in: Kursbuch 23, März 1971, S. 5.

  231. „Si la Guinee reussit dans son experience, cela signifiera que le parti a reussi dans l'application de son Programme; mais si au contraire la Guinee echoue, cet chec sera exclusivement imputable au Parti Democratique de la Guinee. Sekou Toure, Experience, a. a. O., S. 473.

  232. Vgl.de Decker, a. a. O., S. 81.

  233. Erfolgsmeldungen vgl. Decker, a. a. O., S. 87.

  234. „Lorsque nous avons lance le mot d'ordre de linvestissment humain, nous l’avons fait non seulement parce que sur le plan financier . . . C'est d'abord le sentiment de responsabilite de tous, ensuite, c'est la valeur du travail et l’amour du travail. C'est la preeminence de l'action constructive sur la lutte verbale. Enfin un intrt social, puisque, balayant l’ancienne Hierarchie des valeurs, chacun, ministre ou paysan, participera ä la meme täche." Sekou Toure, zitiert nach de Decker, a. a. O., S. 84.

  235. Vgl.de Decker, a. a. O., S. 94.

  236. „Le bilan de la decennie du seul point de vue des realisations sociales et culturelles comporte de nombreux aspects positifs. Citons les progres dans l'education politique populaire; la Guinee est Tun des rares pays africains oü la mässe ait une conscience politique leve, bien que le niveau de vie du plus grand nombre soit bas." So der senegalesische Soziologe Jean-Pierre N'Diaye, L’Heure de Vrit, in: Jeune Afrique v. 9. 2. 1971.

  237. Vgl. Voss, a. a. O„ S. 129.

  238. Vgl.de Decker, a. a. O., S. 107.

Weitere Inhalte

Reinhard Kapferer, Dr. phil., geb. 1932, Dozent für Auswärtige Politik und Internationale Beziehungen an der Universität Frankfurt. Publikationen u. a.: Der arabische Nationalismus; Die Verfassung der V. Französischen Republik; zahlreiche Aufsätze zu sozio-politischen Problemen der Dritten Welt, besonders des Vorderen Orients.