Politischer Unterricht und politisches und nationales Bewußtsein
Arnold Freiburg
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Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird versucht, Ziel, Inhalt und Methode des politischen Unterrichts in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR darzustellen und auf die Wirkung dieses Unterrichts zu schließen. Hierzu wird auf die Probleme des interkulturellen Vergleichs hingewiesen, die gesellschaftliche Funktion von Bildungswesen, Pädagogik und speziell der politischen Bildung aufgezeigt. Hieraus sowie aus dem verwendeten didaktisch-methodischen Instrumentarium werden Wesen, Möglichkeiten und Grenzen des politischen Unterrichts erkennbar. Danach ist der staatsbürgerkundliche Unterricht in BRD und DDR ein Abbild der jeweiligen Gesellschaftsordnung. Seine Ziele und Inhalte entsprechen — mit einigem zeitlichen Rückstand in der Bundesrepublik — der innen-und außenpolitischen Situation des jeweiligen Teilstaates, oder genauer der Konzeption der jeweiligen Regierung. Dies gilt für die DDR unmittelbar. Föderalistischer Aufbau und Existenz miteinander konkurrierender gesellschaftlicher Kräfte in der Bundesrepublik ermöglichen hier Spielraum und Abweichungen in die konservative und die progressive Richtung. Ähnlich wie in der Bundesrepublik Gemeinschaftsideologie und moralische Appelle allmählich durch den Versuch kritischer Durchdringung gesellschaftlicher Probleme ersetzt wurden, wird normatives Indoktrinieren in der DDR inzwischen als unzulängliches Mittel politischer Bildung angesehen, jedoch eher wegen des zu geringen Effekts. An der Zielsetzung selbst hat sich nichts geändert; die Wirkung des Unterrichts auf das politische Bewußtsein der DDR-Jugend ist allerdings wegen der Diskrepanz zwischen Theorie und Realität und wegen des unzulänglichen pädagogischen Instrumentariums geringer als möglich und erwünscht.
Probleme des interkulturellen Vergleichs
Eine Betrachtung der Bildungssysteme zweier Gesellschaftsordnungen, ihrer Ziele, Unterrichtsinhalte und -methoden birgt die Probleme aller interkulturellen Vergleiche in sich, darunter unter Umständen auch Fragen erkenntnistheoretischer Art. Um dennoch zu Ergebnissen zu kommen, die für die unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Positionen halbwegs akzeptabel sind, empfiehlt es sich, nicht für alle verbindlich zu beantwortende Fragen zu vermeiden, etwa dieser Art: „Gibt es im Bereich politischen Handelns eine erkennbare objektive Wahrheit und haben die jeweils Herrschenden das Recht, das von ihnen als wahr Erkannte stellvertretend für die für diese Wahrheit noch blinde Bevölkerung durchzusetzen?" Der Marxismus-Lininismus beantwortet diese Frage mit „Ja"; wir verneinen sie überwiegend. Aus der Bejahung resultiert die Berechtigung zur Indoktrination der Jugend, aus der Verneinung kann die Forderung nach unparteiischer Information und nach kritischem Hinterfragen der gesellschaftlichen Strukturen und Ideologien abgeleitet werden.
So verdienstvoll es wäre, diesen Gedanken nachzugehen, — eine verbindliche Beantwortung erscheint derzeit nicht möglich. Die in solchen Fällen als Ausweg empfohlene Methode der Ideologiekritik bringt uns hier nicht weiter. Unterschiedliche Gesellschaftsordnungen sind mit unterschiedlichen Ideologien gekoppelt, der Systemvergleich müßte jedoch beide Systeme und Ideologien ins Verhältnis zueinander setzen. Das Problem des „grenzüberschreitenden" Vergleichs wäre lediglich auf eine andere Ebene verlagert. Es fehlt, um mit Horst Siebert zu sprechen, eine den Marxismus-Leninismus wie die „Frankfurter Schule" und „Bürgerliche Wissenschaft" in ihrer geistes-und naturwissenschaftlichen Spielart überwölbende Überideologie“ in deren Rah-men Bildungsorganisation, -ziele, -Inhalte und -methoden angemessen analysiert und vergleichend gewertet werden können. Ich beschränke mich daher darauf, gleiche Maßstäbe dort anzulegen, wo dies von allen Seiten akzeptiert wird, und weise ausdrücklich auf den an die „westliche" Position gebundenen Charakter der Interpretation und Wertung hin.
Für die Darstellung des politischen Unterrichts in der Bundesrepublik bediene ich mich vorwiegend der eher „linken" Schulbuch-und Unterrichtskritik, und das aus zwei Gründen: Es ist vor allem aus dieser Position Grundlegendes und Bedenkenswertes zur Politischen Bildung gesagt worden. Außerdem befinden wir uns hier an einer Nahtstelle zwischen westlicher und östlicher Betrachtungsweise, in einer Position, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede am ehesten erkennen läßt. Daß dadurch der westdeutsche politische Unterricht einer schärferen Kritik unterzogen wird als der staatsbürgerkundliche Unterricht der DDR, halte ich für berechtigt, da wir auf das Bildungsgeschehen in der Bundesrepublik verbessernd einwirken können, auf das der DDR aber nicht.
Es wird also auf drei Ebenen argumentiert, der miteinander konkurrierenden wissenschaftlichen Positionen und der der persönlichen Meinung. Die Unvollständigkeit dieses Konzepts muß in Kauf genommen werden, da es hier nicht Aufgabe sein soll, eine Theorie der politischen Bildung zu erarbeiten — das ist bereits geleistet worden —, sondern trotz aller wissenschaftstheoretischen Probleme den Versuch einer Bestandsaufnahme zu unternehmen und damit mögliche Wege politischer Bildung aufzuzeigen.
Pädagogik und politische Bildung als Funktion der Gesellschaft
Bei allen, die überhaupt bereit sind, die Ergebnisse der Soziologie und der Sozialforschung auf das Bildungswesen anzuwenden, ist unbestritten: Das Bildungswesen, seine Organisation, seine Ziele, Inhalte und Methoden sind erstens gesellschaftlich bedingt — eine Funktion der Gesellschaft, wie schon Dilthey sagte —, und zweitens darüber hinaus auch Mittel zur Herrschaftserhaltung und Herrschaftsstabilisierung. Das Bildungswesen als staatliche Einrichtung ist grundsätzlich dem Status quo verpflichtet: die herrschaftsfreie „Pädagogische Provinz" war eine Illusion, die nur die Tatsache verdeckte, daß dem Bildungswesen zwei Hauptaufgaben zugewiesen sind: Die Vermittlung der für heute und für die Zukunft von der Gesellschaft bzw. ihrer Führung als notwendig erachteten Kenntnisse und Fertigkeiten und die Erziehung zur „mehr oder minder freiwilligen Anerkennung" des jeweils „herrschenden gesellschaftlichen Ideals"
An dieser Sachlage ändert sich auch dadurch nichts, daß sich ihr die Erziehungswissenschaft inzwischen teilweise anzupassen sucht und aus der Scylla neuhumanistischer Illusionen in die Charybdis naturwissenschaftlicher Wertfreiheit gerät. So wird lediglich der freilich in Ausmaß und Bedeutung nicht zu überschätzende Spielraum geopfert, den sich die Pädagogik als Anwalt der ihr anvertrauten Jugend seit der Jahrhundertwende mühsam erobert hat, und es bleibt die totale Anpassung an die jeweils bestehenden Verhältnisse, verbunden mit der Möglichkeit perfekter Manipulation durch Benutzung der Ergebnisse der modernen Psychologie. All dies sind mittlerweile erziehungswissenschaftliche Binsenwahrheiten, und es lohnte sich nicht, sie zu erwähnen, wenn nicht aus zwei Gründen:
Erstem unterscheiden sich die Pädagogiken der DDR und der Bundesrepublik bis heute im wesentlichen nicht im eigentlich pädagogischen Bereich, sondern vielmehr in ihrer Eigenschaft als „Institutionen" unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen. „Lehrpläne sind das Ergebnis des Kampfes der gesellschaftlichen Mächte", schrieb Erich Weniger im Jahre 1930. Das bedeutet, eine Verschiebung im Kräfte-verhältnis der politischen Mächte in der Bundesrepublik würde die entsprechenden Konsequenzen für das westdeutsche Bildungswesen nach sich ziehen. Die von der westdeutschen unterschiedliche Gesellschaftsordnung der DDR, die von der unseren abweichende Weise Interessengegensätze und Konflikte auszutragen — z. B. zwischen technisch-wirtschaftlichen auf der einen und politischen Forderungen im engeren Sinne auf der anderen Seite, zwischen den individuellen Wünschen der Bevölkerung und den Forderungen der gesellschaftlichen Leitung —, all das ergibt ein uns in Organisation, Zielsetzung, Inhaltlichkeit und Methodik zum Teil fremd, zum Teil fragwürdig anmutendes Bildungswesen. Um ihm gerecht werden zu können, ist der Hinweis auf die gesellschaftliche Bedingtheit organisierten Lernens und organisierter Erziehung in allen Gesellschafts-Ordnungen dieser Erde erforderlich. Zweitens kann man auch gerade der politischen Bildung nur dann gerecht werden, wenn man sie als Funktion der jeweiligen Gesellschaft sieht, die sie an ihren Schulen vermitteln läßt. Technischer Fortschritt wird in zunehmendem Maße „von einer zunehmend besseren Ausbildung von immer mehr Menschen abhängig" a). Die Bedeutung der Investitionen auf dem Bildungssektor wachsen ständig. Die sozio-ökonomische Entwicklung bedingt daher eine Demokratisierung der Bildung, eins «Intellektualisierung der Bevölkerung" Diese Entwicklung birgt die Möglichkeit in sich, daß sie vom beruflich-technisch-ökonomischen Bereich übergreift in den politisch-gesellschaftlichen Raum. Aus beruflicher Qualifizierung kann politische Bewußtseinsbildung werden, kann kritische Reflexion bestehender Strukturen und Ideologien entstehen. Nicht zu Unrecht verweisen kritische Bildungsexperten auf die Abwehr führender Gruppen in der Bundesrepublik gegenüber dem „emanzipatorischen Effekt zunehmender Bildung" wie man dies zuletzt anläßlich der Diskussion um die Einführung und Ausgestaltung des Faches «Arbeitslehre" beobachten konnte.
In dieser Situation, die zunehmende Qualifika tion bedingt, in der das Bildungswesen jedoch als gesellschaftliches Integrationsinstrument erhalten werden soll, bedienen sich die jeweils Herrschenden nach Aussage neomarxistischer Bildungsexperten der folgenden herrschaftsstabilisierenden und anti-emanzipatorischen Mittel:
— der engen Spezialisierung der Bildungswege, — der Ausrichtung der Bildungseinrichtungen und des von ihnen vermittelten Stoffes auf den Bedarf des Arbeitsmarktes, _ des zunehmenden Leistungsdrucks, — (als Ultima ratio) der Deklarierung freier intellektueller Betätigung als „staatsgefährdend", — und schließlich der politischen Bildung
Dies wird gewöhnlich mit Beispielen aus westlichen Staaten belegt, es scheint mir aber legitim zu sein, vor diesem Hintergründe einige Erscheinungen im Bildungswesen auch der DDR zu betrachten, so z. B. die Meldung der Ostberliner Wochenpost, daß es nicht den bildungspolitischen Absichten der DDR entspräche, „mehr Schüler mit Abitur zu haben als gesellschaftlich notwendig" Enge Spezialisierung, Leistungsdruck, Ausrichtung nach dem Bedarf des Arbeitsmarktes, Ächtung bzw. Kriminalisierung freier intellektueller Betätigung und Indoktrinierung der Jugend mit Hilfe der politischen Bildung sind nach der marxistisch-leninistischen Ideologie im sozialistischen Staat gerechtfertigt; man denke in diesem Zusammenhang nur an das Postulat der Interessenidentität des einzelnen und seines Staates in Art. 2 Absatz 4 und an die Garantie der „den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechenden" Bildung in Art. 17 Abs. 2 der DDR-Verfassung, doch sei zumindest auf die betrübliche formale Übereinstimmung im Bildungswesen beider deutscher Staaten und im Bereich der politischen Bildung hingewiesen. Unter Umständen lassen sich diese Gemeinsamkeiten auf den Satz zurückführen: „Kein gesellschaftliches System kann seine gesellschaftliche überwindungn intendieren" — und belegen so die vielfältige Abhängigkeit von Bildungswesen und politischer Bildung von der sie umgebenden Gesellschaftsordnung. Bewirkt die Einbettung des Bildungswesens in die Gesellschaft ein zumindest im Prinzip überall gleiches Vermitteln der von den in dieser Gesellschaft Herrschenden gesetzten Normen — um die Entstehung und Durchsetzung gesellschaftlicher Normen vereinfacht darzustellen — so haben auf der anderen Seite unterschiedliche Gesellschaftsordnungen unterschiedliche Unterrichtsziele und -Inhalte zur Folge. Pädagogik und damit die politische Bildung wird zum Abbild des sie umfassenden Systems. Postuliert dieses die Interessenidentität des einzelnen und seines Staates, so ist auch in der politischen Bildung eine kritische Reflexion bestehender Herrschaftsverhält-nisse nicht einmal als Versuch möglich, weil falsch, überflüssig und schädlich im Sinne der für alle verbindlichen und allein als wissenschaftlich geltenden Ideologie. Geht die Verfassung dagegen von der Möglichkeit unterschiedlicher Interessen aus, so ist damit auch der Pädagogik und der politischen Bildung ein kritisch-emanzipatorischer Spielraum zugestanden, so gering dieser angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, der schulorganisatorischen Gegebenheiten, des Mittelschichtcharakters der Schule und ihrer Lehrer und des heutigen Standes der erziehungswissenschaft-liehen Forschung und Lehre auch immer sein mag.
Mit anderen Worten: Der staatsbürgerkundliche Unterricht der DDR ist aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten gehalten, integrierend zu wirken und auf emanzipatorische Experimente in unserem Sinne zu verzichten. Das Gleiche ließe sich z. B. für den polytechnischen Unterricht der DDR nachweisen Dieser Sachverhalt ist vollauf gerechtfertigt, sofern man die Prämissen des Marxismus-Leninismus akzeptiert. Dennoch wirkt die bereits angesprochene formale Übereinstimmung mit konservativen und integrierenden Maßnahmen im Bildungswesen westlicher Staaten befremdlich.
Der Staatsbürgerkundeunterricht in der Bundesrepublik
Die Bundesrepublik dagegen leistete sich zumindest theoretisch und gegen heftigen Widerstand einen Spielraum, in dem Unterricht mit demokratisierender Zielsetzung wenigstens versucht werden konnte. Wie wurde diese Chance genutzt? Diese Frage wird vorläufig beantwortet von der heftig angefochtenen Untersuchung von Becker, Herkommer und Berg-mann „Erziehung zur Anpassung“ und in ihrer Folge von der „Politischen Pädagogik" von Klaus Wallraven und Eckart Dietrich. Daneben geben weitere Veröffentlichungen und Untersuchungen Auskunft, so die der Universitäten Göttingen und Frankfurt am Main.
Wallraven und Dietrich unterscheiden in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte fünf Pha-sen politischer Bildung, und zwar die Erziehung 1. zu Gemeinschaft und Partnerschaft (seit 1945), 2. zu fundamentalen Erkenntnissen und Einsichten (seit 1953), 3. zur politischen Aktivität und Beteiligung (ab 1956), 4. zu kritischem Denken, zur Kritikfähigkeit (ab 1962), 5. zu Konfliktbewußtsein und Konfliktverhalten (ab 1965)
Die Verfasser gewannen diese Phasen durch Auswertung der pädagogischen Zeitschriften-literatur. Sie räumen ein, daß Unschärfen vorhanden sein mögen. Sie koppeln — als Hypothese — die Entwicklung der politischen Bildung mit der Entwicklung der Bundesrepublik. Mag dieser Versuch auch vorläufigen Charakter haben und bedürfte er noch der Erhärtung, so bleibt doch festzustellen, daß der politische Unterricht in der Bundesrepublik vorwiegend die gleichen restaurativen Züge trug, wie dieser Staat selbst in den fünfziger und frühen sechziger Jahren.
Die angeführten, breit angelegten Untersuchungen belegen, daß historisch-gesellschaft-liehe Probleme im Unterricht biologisiert („die Menschen sind nun einmal unvollkommen"), individualisiert („Hitler war ein Dämon, ein Verhängnis"), harmonisiert („Der Staat ist eine große Familie, immer strebe zum Ganzen..“) oder sogar verteufelt wurden („die machtgierigen Gewerkschaften"). Historisch scheinbar unstrittige Fakten wurden dargestellt, als existierten die Ergebnisse der historischen Forschung nicht. Ich zitiere: „Durch die Politik Eduards VII. wurde ... (die deutsch-britische) Freundschaft beendet . . .“ Und drei Zeilen weiter: „Die Einkreisung Deutschlands vollzog sich, als Großbritannien im Jahre 1907 mit Rußland ein Übereinkommen über die Aufteilung Persiens traf.“ Diese Sätze wurden einem Lehrbuch für den Gemeinschaftskundeunterricht an niedersächsischen Berufsschulen entnommen, dessen 6. Auflage im Jahre 1967 in Hannover erschien und das sicher noch im Gebrauch ist. Beispiele dieser Art ließen sich in beliebiger Zahl finden, und nicht nur in Niedersachsen. Die angeführten Untersuchungen haben dies besorgt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der politische Unterricht in der Bundesrepublik nicht nur kein Ruhmesblatt für unser Bildungswesen ist, sondern im Gegenteil eine Katastrophe.
Der Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR
„Der Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR wurde zu Beginn des Schuljahres 1957/58 eingerichtet und löste damit das aktuell-politisch orientierte Unterrichtsfach Gegenwartskunde ab Inhalte und Intentionen wechselten „je nach dem politisch-ideologischen Kurs der SED" zwischen den Polen tagespolitischer Aktualität und ideologischer Systematik" Mit der Lehrplanreform des Jahres 1964 trat eine Konsolidierung auch dieses Fachs ein. Der Unterricht beginnt mit dem 7. Schuljahr, seine Ziele sind die Erziehung „zur konsequenten Parteinahme für die Arbeiter-und Bauern-macht, die Entwicklung und Festigung des sozialistischen Kollektivbewußtseins“ der Jugend und die Entwicklung „einer Reihe politischer Fähigkeiten"
Von besonderer Bedeutung ist, daß die Möglichkeiten emotionaler Beeinflussung im Staatsbürgerkundeunterricht ausgiebig genutzt werden und daß dies auch offen gesagt und für richtig gehalten wird. So heißt es im Vorwort des „Lehrplans für Staatsbürgerkunde an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, Klassen 9— 12" des Jahres 1968:
„Um die emotionale Wirksamkeit der ideologischen Erziehung zu vertiefen, ist es erforderlich, im Staatsbürgerkundeunterricht Werke der Kunst, besonders des Films, Gedicht, Buch und Bild sinnvoll zu nutzen" (S. 9). Und der Minister für Kultur, Dieter Heinze, sagte im Januar 1971 auf einer Intendantenkonferenz in Ostberlin: „Dem Theater fällt... die Aufgabe zu, in großen künstlerischen Erlebnissen der jungen Zuschauer sozialistische Charaktereigenschaften wie Gefühlstärke, Klugheit, Einsatzbereitschaft und parteiliches Verhalten in ausdrucksstarken szenischen Leitbildern auszuprägen.“
Nun beinhaltet das in der DDR-Literatur viel-zitierte Prinzip der Einheit von Bildung und ET Ziehung, daß jede fachliche Kenntnisvermittlung mit politisch-ideologischer Erziehung verknüpft sein soll Deutsch-wie Biologie-, Physik-wie Sportunterricht, besonders aber der Unterricht in den Fächern Geschichte, Philosophie und „Einführung in die sozialistische Produktion" sind stets auch politischer Unterricht. Das entspricht, ob beabsichtigt oder nicht, der Wirkung auch des westdeutschen Unterrichts. Ziele und Inhalte der Staatsbürgerkunde sind also im übrigen Unterricht ebenso vertreten. Die spezielle Aufgabe dieses Faches ist es, die zum Teil in anderen Fächern, zum Teil außerhalb der Schule gewonnenen „Erkenntnisse, Einsichten und Fähigkeiten auf das Ziel einer sozialistischen politisch-ideologischen Haltung hin" zu ordnen und zu systematisieren. Staatsbürgerkunde ist also „ein integratives Fach", gekennzeichnet „durch seine Perspektive, das verantwortliche Handeln in der DDR und für den Sozialismus", wie Horst Sie-bert ausführt
Inhalt des Staatsbürgerkundeunterrichts ist das Gedankengebäude des Marxismus-Leninismus, wechselnd unter historischem, zeitgeschichtlich-politischem, philosophischem und ökonomischem Aspekt dargeboten. Im Vergleich zur bruchstückhaften und meist auch laienhaft dargebotenen Gesellschaftskunde an westdeutschen Schulen ist es von imponierender Geschlossenheit, Eindeutigkeit und erheblichem Anspruch, dabei jedoch von einer Einseitigkeit, die zu akzeptieren eine marxistisch-leninistische Position in allen ihren Konsequenzen auch wissenschaftstheoretischer Art voraussetzt. Akzeptiert man jedoch, daß nur diese Position „wissenschaftlich" sei, ist alles übrige bis hin zur „parteilichen" Auswahl bei der Darstellung westlicher Verhältnisse nur folgerichtig.
Die Lehrbücher für den Unterricht in den Klassen 7 bis 12 wurden seit dem Jahre 1965 ständig überarbeitet oder durch neue ersetzt; so erschienen die neuesten „Unterrichtshilfen“ für die Klassen 11 und 12 wieder einmal in neuer Gestalt im Jahre 1971. Im ganzen wurden jedoch lediglich Akzente verschoben, so in den Fragen der Deutschlandpolitik. Am Grundsätzlichen hat sich nichts geändert.
Der Staatsbürgerkundeunterricht der DDR wird von Siebert zusammenfassend beschrieben als materiale Wissensvermittlung, Vermittlung formaler Bildung wie z. B.der Fähigkeit, politisch-gesellschaftliche Probleme angemessen zu analysieren, und emotionale Formung von Einstellungen und Willenskräften mit dem Ziel der Zusammenfügung aller schulisch und außerschulisch erworbenen politischen Kenntnisse und Einstellungen zu einer widerspruchsfreien Einheit
Die Behandlung der nationalen Frage
Die Behandlung der nationalen Frage im politischen Unterricht zeigt in der Bundesrepublik und in der DDR deutlich erkennbar Parallelen zur jeweiligen Entwicklung dieser Frage im Bewußtsein der Bevölkerung wie in der Konzeption ihrer Regierungen. So wuchs in der Bundesrepublik parallel zu der Zementierung der deutschen Teilung und zum Schwinden der Möglichkeit einer raschen Einigung Westeuropas, parallel auch zur wirtschaftlichen und militärischen Machtentfaltung, kurz, mit der Etablierung der Staatlichkeit des ursprünglichen Provisoriums Bundesrepublik die Zahl der Stimmen, die Wert auf eine Erziehung zum Nationalgefühl innerhalb des politischen Unterrichts legten Im Unterricht verschmolzen gesellschaftliche Harmonievorstellungen mit nationalen Solidaritätsappellen zu einer mittelständischen Gemeinschaftsideologie. Die Schul-buch-und Zeitschriftenanalysen von Becker, Herkommer und Bergmann sowie von Wallraven und Dietrich belegen dies für den, der bereit ist, soziologische Kategorien auf das Bildungswesen zu übertragen. So bedenklich diese Entwicklung manchem erscheinen mag, ihr fehlt zum Glück der kämpferisch-nationalistische Akzent. Es überwiegen apolitische, also nur konservativ wirkende Harmonievorstellungen. Das Problem der deutschen Teilung und des zweiten deutschen Staates wurde überwiegend als moralisches Problem behandelt Der Versuch einer sachgerechten Darstellung wurde selten unternommen. An die Stelle der Darstellung traten die Verurteilung und der moralische Appell.
Nicht minder fragwürdig nach unserer Ansicht, je. ch gleichfalls folgerichtig im Rahmen der DDR-Ideologie, ist die Behandlung der nationalen Frage im Staatsbürgerkundeunterricht der DDR. Die deutsche Teilung und die Bundesrepublik nehmen in den Schulbüchern der DDR einen großen Raum ein, einen erheblich größeren als umgekehrt die DDR in westdeutschen Schulbüchern. „Die Behandlung der BRD hat in der Staatsbürgerkunde der DDR exemplarischen und instrumentalen Charakter. Exemplarisch insofern, als die BRD stellvertretend für alle imperialistischen Systeme dargestellt wird", instrumental dadurch, daß „die BRD als negative Alternative zur DDR und zum Sozialismus" verstanden werden soll Ziel ist in erster Linie der Haß auf den „volksfeindlichen Charakter der in Westdeutschland bestehenden Gesellschaftsordnung", wie es in den „Unterrichtshilfen Staatsbürgerkunde 9. Klasse" von 1967 heißt (S. 134), und erst in zweiter Linie die Kenntnis dieser Gesellschaftsordnung selbst. Im übrigen folgt die Behandlung dieses Themas der Entwicklung der Deutschlandpolitik der SED, von der gemeinsamen deutschen Nation mit ihren echten Patrioten, der Arbeiterklasse und deren Hort, der DDR, sowie deren Feinden, den Kapitalisten und „rechten Sozialdemokraten", mit der Möglichkeit einer Verständigung und Annäherung beider deutscher Staaten, wie es 1965 heißt, bis hin zur totalen Abgrenzung. Das bekannte Hager-Referat vom Oktober 1971 postulierte die „sich in der DDR entwickelnde sozialistische Nation" und kennzeichnete deren „Wesenszüge" wie „Ausübung der Staatsmacht" durch die Werktätigen, volle Souveränität, sozialistische Produktionsweise, sozialistisches Denken und Handeln" und „sozialistischen Internationalismus". Uber das „Gerede" „über das angebliche Fortbestehen einer einheitlichen deutschen Nation" habe „die Geschichte bereits entschieden" Die FDJ-Zeitung „Junge Welt" beantwortete am 11. November 1971 die Frage eines Lesers, ob sich eine sozialistische Nation in der DDR ent-wickle, „eindeutig mit Ja". Angesichts der Geschwindigkeit, mit der in der DDR staats-
bürgerkundliche Lehrbücher überarbeitet und neu vorgelegt werden, ist damit zu rechnen, daß die Auffassung von der eigenen DDR-Nation in Kürze an den Schulen gelehrt wird und die gemeinsame deutsche Geschichte damit jedenfalls zur Zeit offiziell abgeschlossen ist Zusammenfassend läßt sich sagen: Der westdeutsche Staatsbürgerkundeunterricht entpolitisiert die Bereiche Nation, Teilung und DDR überwiegend; die Informierung der Schüler ist spärlich. „Zu einer kritischen Beurteilung der Deutschlandpolitik wird der Schüler nicht befähigt" Der Unterricht in der DDR dagegen indoktriniert und ideologisiert. Beide Seiten benutzen den jeweils anderen deutschen Staat zur Weckung und Festigung des Engagements für den eigenen Staat und bestätigen insofern die neomarxistische Kritik westdeutscher Autoren an der integrierenden Absicht politischen Unterrichts. Formal ergeben sich folgende Übereinstimmungen: Das jeweils andere System ist asozial und inhuman, hat die deutsche Teilung verschuldet, ist lediglich Ausführungsorgan der mit ihm verbündeten Großmacht, ist zum Scheitern verurteilt, birgt in sich eine unüberwindliche Kluft zwischen Bevölkerung und Regierung, wird nach der Realität beurteilt (das eigene nach der idealen Norm), ist isoliert und genießt nicht die Sympathie des Auslandes. Jeder Teilstaat nimmt für sich allein die Verwirklichung von Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit in Anspruch. Kurz: Auf das eigene System wird das Harmoniemodell, auf das jeweils andere das Konfliktmodell angewendet. Es besteht eine enge Interdependenz zwischen zwei negativ aufgeladenen Heterostereotypen, ein in der deutschen Geschichte nicht seltener Fall
Zur Effizienz der politischen Bildung in der Bundesrepublik
Die Effizienz des Staatsbürgerkundeunterrichts, besonders auch im Hinblick auf die deutsche Teilung, ist in etwa zu beurteilen, was die Bundesrepublik anbetrifft, und kaum hinsichtlich der DDR. Die Untersuchungen Beckers, Herkommers und Bergmanns, bezogen auf den Unterricht selbst, und die Untersuchungen zur politischen Einstellung und zur Einstellung zum Ost-West-Verhältnis — von Hofstätters Polaritätsprofilen der fünfziger Jahre bis hin zu Jaides jüngster Untersuchung „Jugend und Demokratie" — ergaben für die Bundesrepublik eine erschreckende Ineffektivität politischer Bildung. Bei der Jugend überwiegen gefühlsbetonte Vorurteile; kritische Einsicht ist selten, das apolitisch-konservative Syndrom dafür um so häufiger. Gesamtdeutsche Gemeinsamkeitsappelle konnten die Herausbildung negativer Vorstellungen über unsere Landsleute in der DDR nicht verhindern.
Daß dies eintrat, hat eine Reihe von Gründen: im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Bedingtheit von Bildungsorganisation, Bildungszielen, -Inhalten und -methoden wurde nach dem Kriege auch im Bildungswesen versucht, nahtlos an die Zeit vor 1933 anzuknüpfen. Die neuhumanistisch-geisteswissenschaftliche Pädagogik wurde noch einmal bemüht und auch mit der Entwicklung einer politischen Bildung beauftragt. Dadurch kam es zu den genannten Zielen und Inhalten der Staatsbürgerkunde, die der Problematik in keiner Weise gerecht wurden, es sei denn, es sei von vornherein eine Entpolitisierung der Jugend „beabsichtigt" gewesen, wie dies von der Bildungskritik vermutet wird. Tatsächlich aber dürfte der Zusammenhang zwischen der Restauration in der Bundesrepublik und der unzulänglichen politischen Didaktik kein absichtlicher, sondern ein unvermeidlicher gewesen sein. Der Wunsch, eine verbesserte Weimarer Republik zu errichten, führte auch zur unkritischen Anknüpfung an die damalige Pädagogik. Diese war unzulänglich, wie sich gerade im Bereich der politischen Bildung erwies, und mußte dies sein, denn es ist nach heutiger Auffassung das Kennzeichen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik auch in ihrer bildungstheoretischen Ausprägung, daß globalen Unterrichtszielen wie „der verantwortungsbewußte handelnde demokratische Staatsbürger" unverbunden traditionell hergeleitete Unterrichtsinhalte gegenüberstehen, und daß deren effektive Umsetzung im Unterricht aufgrund des Fehlens jeden Verhältnisses zur Empirie bei diesem didaktischen Ansatz nicht möglich ist. Fragwürdige Unterrichtsziele und -Inhalte können also nicht einmal effektiv vermittelt werden Nimmt man hinzu, daß politisch relevante Einstellungen und Verhaltensweisen vor allem in der Familie, im übrigen Unterricht — man kann die Turnhalle zum preußischen Kasernenhof machen — und durch die sonstige Umwelt vermittelt werden, wie die Sozialisationsforschung ergab, so braucht man sich über den geringen Nutzeffekt politi-scher Bildung in der tradierten Form nicht zu wundern.
Hinzu kommt das Lehrerproblem. Mittelständischem Denken verbunden und unzureichend auf die Anforderungen des politischen Unterrichts hin ausgebildet, versuchen die Lehrer notgedrungen, ihr Weltbild unreflektiert in Didaktik umzusetzen oder schreiben gar Lehrbücher wie das bereits zitierte, dessen Kapitel „Das geteilte Deutschland" mit den Versen abgeschlossen wird: „Mögen wir sterben — unseren Erben — gilt dann die Pflicht — es zu erhalten, es zu gestalten — Deutschland stirbt nicht!" Das ist zwar gut gemeint, aber kaum eine Hilfe bei dem Versuch rationaler Durchdringung politischer Probleme.
Die Furcht vor einer Beeinflussung der Jugend im emanzipatorischen oder auch antiemanzipatorischen Sinne ist also weitgehend unbegründet, soweit die politische Bildung in Frage kommt. Eine Beeinflussung war auf diesem erziehungswissenschaftlichen Stande kaum möglich, eine Förderung demokratischer Einstellungen allerdings auch nicht. Die politische Einstellung unserer Jugend, begrüßt oder beklagt, hat mancherlei Gründe — der politische Unterricht ist der unwesentlichste unter ihnen. Nachdem dies erkannt ist, besteht nun die Möglichkeit, einen dem Anspruch der Verfassung entsprechenden Unterricht zu entwickeln, der in Zielsetzung, Inhalt und Methodik Demokratisierung und Mündigkeit ermöglicht, so weit das im Rahmen des Bildungssystems überhaupt zu erreichen ist. Die Gefahr effektiv manipulierenden technokratischen Unterrichts mit den Zielen Leistung und Anpassung ist keineswegs gebannt. Welche dieser beiden genannten Zielsetzungen sich in Schulorganisation und -unterricht durchsetzen wird, ist zur Zeit noch offen und mit Sicherheit abhängig von der politischen Entwicklung in der Bundesrepublik.
Der Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR
Zur Effizienz des Staatsbürgerkundeunterrichts in der DDR können nur Vermutungen angestellt werden. Die „Materialien zum Bericht zur Lage der Nation" und Siebert lassen diese Frage unbeantwortet. Betrachtet man die DDR-Pädagogik vor dem Hintergrund der heutigen erziehungswissenschaftlichen Diskussion, so kann man sagen, daß auch sie sich der als unzulänglich erkannten bildungstheoretischen Didaktik bedienen muß, da die Entwicklung neuer Curricula unter Einbeziehung der Ergebnisse der Psychologie und der Sozial-forschung zum Thema Lernen und Erziehung zeit-, geld-und personalaufwendig ist. Hinzu kommt die Priorität wirtschaftlicher Forderungen und ideologischer Normierungen, die solchen Experimenten Grenzen setzen. Die Folge ist, daß es dem Unterricht nicht gelingt, das Auseinanderklaffen von politischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis zu überbrükken, — eine Quelle steter Enttäuschungen bei den Schülern, unter denen die Glaubwürdigkeit von Theorie und Unterricht leiden muß Folge ist, daß die Jugendlichen zwar nach Didaktikschema und die Sozialisationsforschung gebotenen Qualifikations-, Verdienst-machen Möglichkeiten und Grenzen des und Konsummöglichkeiten greifen, ihr politischen Unterrichts in der DDR vom verwendeten Bewußtsein aber „unentwickelt" pädagogischen Instrumentarium wie bleibt. Man mußte zur Kenntnis nehmen, daß vom Ergebnis her erkennbar. Kontrovers bleibt Nachweis bestimmter Kenntnisse nicht zu die Frage nach der Ableitung und Berechtigung führen darf, dahinter stünden der Zielsetzung des Unterrichts und einiger entsprechende Einstellungen und seiner Inhalte und Methoden.
Verhaltensweisen Die „Deutsche Lehrerzeitung" Methodik des politischen Unterrichts ist vermißt bei Schülern und Studenten unzulänglich, so lange ihre Hauptwege formale Initiative und konstruktiv-kritisches Wissensvermittlung und der Versuch Denken, stattdessen herrsche die emotionaler Beeinflussung bleiben. Die Ausprägung angelernter Fakten und der politischen Einstellung erfolgt Urteile vor. Fleiß sei nicht eine Folge sachlichen nicht im politischen Unterricht, sondern sondern straffer Leistungskontrolle. in der Familie und im übrigen Sozialisationsprozeß. Die Wirkungslosigkeit des politischen Dabei verblieb es in der Bundesrepublik gegenüber den Sendungen bei einer apolitisch-konservativen Westfernsehens gilt als besonderes Problem. eines großen Teils der Jugend, Die „weitverbreitete Praxis", das Westfernsehen je nach Interessenlage — öffentlich oder lediglich zu tabuisieren und es im hinter verschlossenen Türen — als gesellschaftlich beim einsamen Appell des Lehrers in erwünscht oder unerwünscht betrachtet zu belassen, führe zu nichts. Gefordert wird. Dem DDR-System ist es wird eine rationale Auseinandersetzung nicht gelungen, diese Sozialisationsinstanzen den Sendungen des Westfernsehens derart in den Griff zu bekommen, daß sich die Jugend durch die gesellschaftlich erwünschte politisch-weltanschauliche Aussagen ist man, wie ich glaube, Einstellung auszeichnet. Dies konnte in berechtigt, die Ergebnisse westlicher Sozialisationsforschung dafür zur Verfügung stehenden Zeitraum und die Erkenntnisse westlicher mit dem vorhandenen Instrumentarium Erziehungswissenschaft auf die DDR-— man denke an die Ächtung der Sozialwissenschaften anzuwenden, ohne auf ernstzunehmende in der Stalinära — nicht geleistet politische oder wissenschaftliche Einwände Die angedeuteten didaktisch-methodischen zu stoßen. Die Einordnung der DDR-Pädagogik Probleme könnten in der Zukunft viel-gelöst in das von Blankertz vorgelegte'eicht werden.
Möglichkeiten politischer Bildung
Die Bedeutung, die der politische Unterricht für die Gesellschaft wie für den einzelnen hat, legt es nahe, ungeachtet aller bildungspolitischen und wissenschaftstheoretischen Kontroversen vorläufig mögliche Wege verbesserter politischer Bildung wenigstens anzudeuten. Es ist Aufgabe der Lehrerausbildung und -Weiterbildung, die Lücke zwischen politischer Wissenschaft und Schulpraxis zu schließen. Es ist also eine Frage der bildungspolitischen und damit politischen Entwicklung in der Bundesrepublik, ob weiterhin primär Institutionen-kunde betrieben und harmonistische Weltbilder vermittelt werden oder ob an westdeut-28 sehen Schulen Demokratie gelehrt und gelebt wird. Die Pädagogik sollte daher verstärkt Einfluß nehmen auf die Fragen der Hochschulund Bildungspolitik sowie der Schuiorganisation. Drei unterschiedliche Konzeptionen politischer Bildung sind denkbar: a) Die Erziehung zu Leistung und Anpassng im Sinne des von Schmiederer und anderen geäußerten Verdachts, b) die Erziehungn zur Überwindung der für obsolet gehaltenen Gesellschaftsordnung und schließlich c) die Erziehung zur Demokratisierung der Gesellschaft bei Wahrung der im 19. Jahrhundert errungenen bürgerlichen politischen Freiheiten und Grundrechte. Anpassung an das System, Sprengung des Systems oder Verbesserung des Systems sind die möglichen Ziele politischen Unterrichts Die erste Konzeption entspricht m. E. nicht der Aufgabe des Bildungswesens einer sich als demokratisch begreifenden Gesellschaft, die zweite nicht der Realität und dem nach unserer Auffassung zu respektierenden Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die dritte scheint mir möglich und geboten. Sie impliziert entsprechend dem Satz vom „Primat der Didaktik" die Ausrichtung von Unterrichtsstil und -methode sowie der schulorganisatorischen Gegebenheiten nach dem Ziel des Unterrichts, dem eben so leistungsfähigen wie kritischen, dem mündigen Menschen. Damit sind die Probleme dieses Ansatzes angedeutet: Das Unterrichtsziel ist nur zu verwirklichen, wenn die politische Bildung in eine entsprechende unterrichtliche Gesamtkonzeption eingebettet ist. Diese steht noch aus, und es ist nicht abzusehen, wann sie einmal vorliegen wird.
Die politische Bildung steht daher vorläufig isoliert, und ihre Wirkung bleibt weiterhin geringer als möglich und erforderlich. Dennoch muß hier mangels Besserem angesetzt werden — der Beitrag K. Lingelbachs im „Fischer Funkkolleg Erziehungswissenschaft" gibt dazu nütz-liehe Hinweise, die an einigen Schulen bereits erprobt werden konnten. Wie weit die Behandlung der gemeinsamen deutschen Geschichte einen Platz in dieser Konzeption beanspruchen darf, ist eine nicht von der Erziehungswissenschaft, sondern von der Politik zu beantwortende Frage. Befürwortet man die Pflege eines gesamtdeutschen Nationalgefühls, so sollte die Information den Vorrang vor der Emotion haben. Der Vorschlag Sieberts, im politischen Unterricht Schulbücher aus der DDR vorzustellen und zu verwenden, ist zumindest erwägenswert. Möglich ist eine Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus jedoch erst bei entsprechender Lehrerausbildung.
Politische Bildung und politisches Bewußtsein in der DDR können wir nicht beeinflussen, es sei denn auf dem sehr indirekten Wege einer Veränderung des politischen Klimas in Europa. Auf diese Weise könnte bis zu einem gewissen Grade der Erziehung zum Haß entgegengewirkt und das Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt werden. Letztlich hängt die Anziehungskraft des Gedankens der Nation auf die Jugend diesseits und jenseits der Elbe aber ab von der Ausgestaltung der Nation im politischen und im sozialen Bereich.
Arnold Freiburg, geb. 1934, Studium der Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven und Göttingen. Seit 1969 Mitarbeiter der For-schungsstelle für Jugendfragen, Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Jugendprobleme in der DDR (Jugendkriminalität, Jugendhilfe, Bildungswesen) und Fragen des interkulturellen Vergleichs.
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