1. Wirtschaftswachstum und Preisstabilität sind anerkannte Ziele des wirtschaftspolitischen Zielkatalogs, wenngleich ersteres eher eine Grundbedingung der Wirtschaftspolitik darstellt. Dabei wird jedoch weder ein möglicher Konflikt zwischen beiden Zielen noch das Problem der Verteilungsgerechtigkeit im Zielkatalog angesprochen. Theoretisch hat man zwar eine Vorstellung davon, unter welchen Bedingungen Wachstum und Preisstabilität vereinbar sind, und über die Verbindung zwischen einer kurzfristig orientierten globalen Nachfragesteuerung mit einem langfristig funktionierenden Marktmechanismus glaubt man diese Bedingung auch herstellen zu können. In der Realität wurde dies aber nicht erreicht; vielmehr verband sich mit einem (in den 60er Jahren schwächer gewordenen) realen Wachstumsprozeß ein (in den 60er Jahren stärker gewordener) Preisauftrieb. 2. In der Frage, ob Preissteigerungen den Wachstumsprozeß fördern oder hemmen, gehen die Meinungen auseinander; vielfach setzt auch schon Resignation ein, die Preissteigerungen eben hinnehmen zu müssen. Dies vor allem auch deshalb, weil die Wissenschaft zwar eine Fülle von Preissteigerungsursachen kennt, ohne aber die tatsächlichen Preissteigerungen konkret zuordnen zu können. 3. Die Verbindung von theoretischen Zusammenhängen zwischen Wachstum und Preissteigerungen (unter Einschluß der Verteilungsbedingungen) mit deren tatsächlichen Entwicklungstrends macht die Konsequenzen sichtbar, die entstehen, wenn zwar die Investitionsrentabilität sichergestellt werden soll, wenn aber angesichts des geringer gewordenen Angebots-und Nachfragespielraums die angestrebten Gewinnsummen nicht mehr nur über die Absatzmengen, sondern kompensierend über Preissteigerungen erreicht werden müssen. 4. Dieser Angelpunkt der Preissteigerungsursachen scheint in den 60er Jahren erhöhte Bedeutung gewonnen zu haben. Er wird durch die verstärkte Konzentrationstendenz und Orientierung auf Auslandsmärkte — beides drückt auf das Güterangebot und erweitert die Preiserhöhungsspielräume — entscheidend unterstützt. Unter diesen Bedingungen muß die herkömmliche Preisstabilisierungspolitik scheitern, unabhängig davon, ob sie angebotserhöhend oder nachfragedämpfend orientiert ist. Was bleibt, ist, die Angebots-bedingungen selbst zu prüfen: Wachstumsforderung, Investitionssicherung, Gewinnansprüche — und vor allem die damit begründete Machtkonstellation im bestehenden Wirtschaftsprozeß.
I. Ausgangstatbestände
1. Mit den beiden Begriffen „Wirtschaftswachstum" und „Preisstabilität'1 sind zwei wirtschaftspolitische Zielsetzungen angesprochen, deren Aktualität — und vor allem: gesellschaftspolitische Relevanz — bislang kaum ernsthaft bestritten ist:
a) Mit dem Ziel des Wirtschaftswachstums verbindet sich im allgemeinen die Vorstellung einer Wohlstandserhöhung einer Volkswirtschaft i. S. einer generellen Steigerung des Lebensstandards aller Beteiligten — im Prinzip ein unmittelbar einsichtiges Ziel, wenn sich auch Zweifel zu regen beginnen, ob das wirtschaftliche Wachstum, gemessen am Bruttosozialprodukt, noch wirklich einen echten Wohlstandsindikator darstellt. Doch muß zunächst davon ausgegangen werden, daß das wirtschaftliche Wachstum im herkömmlichen Denken eine zentrale Rolle spielt.
b) Auch das Ziel der Preisstabilität genießt einen hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert. Man ahnt, daß das Argument, die Preise könnten beliebig steigen, solange nur die Einkommen stärker stiegen, sofern also dennoch ein „realer" Einkommens-anstieg gegeben wäre, etwas fragwürdig ist. Nicht nur deshalb, weil die Preissteigerungen die Geldvermögen entwerten und die Bezieher relativ fixer Einkommen (z. B.
Rentner) schädigen. Noch schwerwiegender ist die Gefahr, daß eine damit begünstigte „Inflationsmentalität", vor allem, wenn sie gegen Inflationsschäden abgesichert ist und steigende Preiserwartungen einschließt, allzuleicht selbstverstärkende Ten-denzen auslösen kann; und dann ist die Gefahr nicht mehr auszuschließen, daß die „akzeptierten" Preissteigerungen in eine unkontrollierbare Inflation einmünden könnten.
Insofern überrascht es nicht, daß beide Ziele inzwischen zu einem festen Bestandteil des wirtschaftspolitischen Zielkatalogs hochentwickelter Industrieländer geworden sind. 2. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der diese beiden Ziele anerkannt sind, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihr Einbau in den wirtschaftspolitischen Zielkatalog nicht ganz durchsichtig erscheint. So wird im § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I, S. 582) gefordert, daß die wirtschaftspolitischen Maßnahmen so zu treffen sind, „daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschafts13 Wachstum beitragen'1. Diese Formulierung gibt zu drei kritischen Anmerkungen Anlaß: a) Es fällt zunächst einmal auf, daß jede Zielsetzung bezüglich einer Verteilungsgerechtigkeit fehlt. Trotz des prinzipiellen Anspruches — zwei Jahrzehnte „soziale"
Marktwirtschaft — bleibt dieses Ziel offensichtlich ausgeklammert.
b) Das Wachstumsziel hat — ebenso wie die ordnungspolitische Zielsetzung: Marktwirtschaft — weniger einen direkten Ziel-charakter; es stellt vielmehr eine nicht sonderlich klar formulierte — was heißt „angemessen"? — Grundbedingung dar.
c) Was demnach bleibt, ist das Ziel der konjunkturellen Stabilisierung, d. h.der Vermeidung von Arbeitslosigkeit (Depression)
einerseits und Überhitzung (Inflation) andererseits, wobei das außenwirtschaftliche Gleichgewicht ein wichtiger Teil dieser konjunkturellen Stabilisierung ist.
Die Konfrontation dieser drei Aspekte macht den Zielkatalog ziemlich unklar: Wie soll das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit in diesen Zielkatalog eingeordnet werden? Was hat Vorrang, wenn das „Ziel" Preisstabilität der „Bedingung" Wirtschaftswachstum entgegensteht? Was die erste Frage angeht, so wird deutlich, daß das Zielsystem eine entscheidende „offene" Flanke hat; was die zweite Frage angeht, wird deutlich, daß das Ziel-system nichts aussagt über die Lösung möglicher Konflikte zwischen Wachstum und Preisstabilität. 3. Greifen wir — zunächst einmal — die letztgenannte Konfliktmöglichkeit auf. Sie besagt, daß eine Wachstumsförderung zu einer Preissteigerung bzw. eine Preisstabilisierung zu einem — zumindest teilweisen — Wachstumsverzicht führen könnte; und es stellt sich die Frage, wie dieser Konflikt zu lösen ist.
Die Wissenschaft hat es sich in dieser Frage relativ einfach gemacht. Sie hat ein Modell konstruiert, das diesen Konflikt ausschließt. Dieses Modell geht zunächst von den bereits herausgestellten wirtschaftspolitischen Grund-bedingungen aus — Wachstum plus Marktwirtschaft —, und es stellt insofern völlig konsequent den privatwirtschaftlichen Investitionsprozeß in den Mittelpunkt. Denn das leitet sich unmittelbar aus der These ab, daß nur dieser das Wachstum sichere (da er die Kapazitäten schafft) und der marktwirtschaftlichen Bedingung entspreche (insoweit er von der individuellen Dispositionsfreiheit bestimmt wird). Von diesem Investitionsprozeß gehen nun zwei unterschiedliche Effekte aus: a) Der sog. „Kapazitätseffekt", d. h. die Investition schafft neue Kapazitäten (Vorräte, Maschinen, Lagerhallen etc.), die die entscheidende Vorbedingung des wirtschaftlichen Wachstums darstellen. Gewiß erkennt man zunehmend die Notwendigkeit, diesen privatwirtschaftlichen Investitionsprozeß durch sog. öffentliche Infrastruktur-investitionen (Bildung, Ausbildung, Verkehr, Versorgung etc.) zu ergänzen. Doch sofern sie primär auf die Förderung des privatwirtschaftlichen Investitionsprozesses zugeschnitten sind, bleibt dieser der Angelpunkt wachstumspolitischer Überlegungen. b) Der sog. „Einkommenseffekt", d. h. im Rahmen des Investitionsprozesses entstehen bei dessen Durchführung immer wieder Einkommen (Löhne, Gehälter), denen keine Konsumgüter gegenüberstehen. Denn die Maschinen, Lagerhallen etc. sind ja nicht konsumierbar. Konsumierbar ist nur, was aufgrund vorangegangener Investitionen an Konsumgütern erstellt worden ist bzw. werden kann.
Beide Effekte — einander gegenüberstellt — machen nun unmittelbar deutlich, unter welcher Bedingung Wachstum und Preisstabilität miteinander vereinbar sind. Diese Bedingung ist doppelseitig zu sehen: a) Mit dem Investitionsprozeß muß im gleichen Zeitraum ein freiwilliger Sparprozeß gleichen Volumens verbunden sein. Ist der Sparprozeß zu gering, bedeutet dies, daß die Einkommen, die sowohl aus der Investitions-als auch aus der Konsum-güterproduktion entstehen, in zu großem Umfang in effektive Nachfrage nach Konsumgütern umgesetzt werden. Das Konsumgüterangebot ist geringer als die Konsumgüternachfrage — es kommt zu Preissteigerungen. b) Mit dem Marktreifungsprozeß der Investitionen — d. h. zu dem Zeitpunkt, da mit den Investitionskapazitäten eine zusätzliche Konsumgüterproduktion möglich ist — muß im gleichen Zeitraum eine effektive Nachfrage nach Konsumgütern gegeben sein. Ist also der Sparprozeß zu groß, bedeutet dies, daß die Einkommen, die sowohl aus der Investitionsals auch aus der Konsumgüterproduktion entstehen, in zu geringem Umfang in effektive Nachfrage nach Konsumgütern umgesetzt werden. Das Konsumgüterangebot ist zu groß; es kommt zu Produktionsdrosselungen, die eine gewisse Zeit vielleicht nur Kurzarbeit, in letzter Konsequenz aber zunehmende Arbeitslosigkeit bedeuten.
Ist die doppelseitige Bedingungen erfüllt, so bedeutet dies: In jeder Zeitperiode des Wirtschaftsprozesses entspricht jeweils dem nicht konsumierbaren Investitionsvolumen ein Sparvolumen bzw.dem erstellbaren Konsumgüter-volumen ein Nachfragevolumen. 4. Bei Erfüllung dieser zweifachen Bedingung kann es zu keinem Konflikt zwischen den angestrebten Grundbedingungen des Wirtschaftsprozesses •— der Marktwirtschaft als Ordnungsbedingung einerseits, des Wachstums als Zielbedingung andererseits — und der eigentlichen wirtschaftspolitischen Zielsetzung — der konjunkturellen Stabilität, d. h.der Vermeidung von Arbeitslosigkeit einerseits bzw. von Inflation andererseits — kommen. Und die etablierte Wirtschaftspolitik ging auch tatsächlich von der Erwartung aus, daß sich diese Identitätsbedingung — zumindest langfristig — erfüllt. Das bedeutet zweierlei:
a) Kurziristig ist durchaus eine Verletzung dieser Bedingungen denkbar. Sei es, daß die Konsumnachfrage die Angebots-
möglichkeiten überschreitet und damit zunächst eine Preissteigerung im Konsumgüterbereich auslöst, die den Produzenten in diesem Bereich sog. Marktlagengewinne verschafft, die diese veranlaßt, die Investitionsnachfrage zu erhöhen, was auch dort die Preise erhöht; einer solchen Überhitzungsgefahr müßte dann mit einer entsprechenden Restriktionspolitik (Kreditverteuerung, Steuererhöhung, Kürzung der staatlichen Ausgaben etc.) werden. — Oder die Nachfrage unterschreitet die Angebotsbedingungen (zunächst wieder im Konsumbereich), löst dort eine Produktionsdrosselung aus, vermindert als Folge davon auch die Investitionsnachfrage, drückt also auch in diesem Bereich die Produktion; einer solchen Gefahr für die Vollbeschäftigung müßte dann mit einer entsprechenden Expansionspolitik (Kreditverbilligung, Steuersenkung, Erhöhung der staatlichen Ausgaben etc.) begegnet werden. b) Langfristig werde — unter der Bedingung einer kurzfristigen Globalsteuerung der Nachfrage (restriktiv oder expansiv) — der Konflikt zwischen Wachstum und konjunktureller Stabilität aber gelöst. Dafür sorge der marktwirtschaftliche Anpassungsmechanismus: übersteigt langfristig die Nachfrage das Angebot, so begünstigen Preissteigerungen die Gewinne, provozieren zusätzliche Investititionen, die wiederum das künftige Angebot erhöhen — und dieses damit der zunächst überhöhten Gesamtnachfrage anpassen, übersteigt langfristig das Angebot die Nachfrage, so drükken Kapazitätsunterauslastungen auf die Gewinne, provozieren eine Investitionsdrosselung, die wiederum das künftige Angebot vermindert — und dieses damit der zu niedrigen Gesamtnachfrage anpaßt.
Die Hoffnung auf (praktizierbare und effiziente) kurzfristige konjunkturpolitische Steuerungsmechanismen — das bereits erwähnte Stabilitätsgesetz hat ja gerade diese Steuerungsmöglichkeiten zum Inhalt — ging hier eine recht glückliche Synthese mit der Hoffnung auf (autonome und funktionsfähige) marktwirtschaftliche Anpassungsmechanismen ein. Und eben diese Synthese bewirkte schließlich, daß über Jahre hinweg nur noch ein Gedanke in den Mittelpunkt trat: Es genüge im Grunde, den Wachstumsprozeß — und das heißt konkret: den privatwirtschaftlichen Investitionsprozeß — sicherzustellen; dann löse sich das Stabilitätsproblem (ergänzt durch eine kurzfristige Globalsteuerung) von allein, d. h. Wachstum und Preisstabilität sind dann miteinander vereinbar.
Diese Überlegung bildete faktisch den zentralen Ausgangstatbestand der herrschenden wirtschaftspolitischen Konzeption: Sowohl Wachstum als auch Preisstabilität ist wichtig (Ziff. 1), theoretische Konfliktmöglichkeiten sind zwar denkbar (Ziff. 2), die Bedingungen ihrer Lösung sind aber bekannt (Ziff. 3) und auch herstellbar (Ziff. 4).
5. Ein Blick in die tatsächliche Entwicklung macht aber deutlich, daß diese theoretische Konstruktion in der Wirklichkeit — etwa bezogen auf die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland — nicht ihre Bestätigung gefunden hat. Die Ergebnisse von Tabelle 1 lassen eine dreifache Interpretation zu: a) Im 1950 bis 1970 hat -zwei Berichtszeitraum fellos ein sehr dynamischer realer Wachstumsprozeß stattgefunden. In konstanten Preisen, d. h. nach Ausschaltung der Preissteigerungen, betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts 6, 4 vH. Sie war zu etwa 20 vH durch die Steigerung des Erwerbstätigen-volumens und zu etwa 80 vH durch eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität getragen. b) Im gleichen Berichtszeitraum stiegen die Preise im jährlichen Durchschnitt insgesamt — die Preissteigerungsrate des Bruttosozialprodukts ist ein gewogener Durchschnitt aller Verwendungsmöglichkeiten des BSP (privater und staatlicher Verbrauch, Investitionen, Ausfuhr abzüglich Einfuhr) — um 3, 3 vH, d. h. das Ziel der Preisstabilität konnte nicht erreicht werden. c) Eine Trennung des Berichtszeitraumes in zwei Perioden zeigt darüber hinaus, daß in den sechziger Jahren (gegenüber den fünfziger Jahren) das reale Wachstum sich im jährlichen Durchschnitt verminderte (von 8, 0 vH auf 4, 8 vH), während die Preissteigerungsraten sich sogar noch erhöhten (von 3, 0 vH auf 3, 5 vH). Im Durchschnitt der sechziger Jahre entfielen über 40 vH der nominellen Wachstumsrate (von 8, 5 vH)
auf reine Preissteigerungen, waren also ohne reale Substanz. 6. Bei aller Problematik solcher hochaggregierter Zahlen, die nur gesamtwirtschaftliche Durchschnitte ausweisen, differenzierte Strukturen verwischen und insofern noch keinen Schluß darüber zulassen, inwieweit damit die Lebenshaltung direkt betroffen ist, wird doch ein entscheidender Sachverhalt sichtbar: Das Ziel der Preisstabilität ist nicht erreicht worden; ein Konflikt zwischen Wachstum und Preisstabilität besteht offensichtlich. Doch schon in der Frage, wie dieser Konflikt zu bewerten ist, gehen die Meinungen auseinander: a) Eine Lehrmeinung vertritt die These, daß eine kontinuierliche Preissteigerung geradezu als Voraussetzung für die Sicherstellung des Wachstumsprozesses angesehen werden müsse. Denn eben diese Preissteigerung sichere die Investitionsneigung (durch eine entsprechende Rentabilitätssicherung) und garantiere die Investitionsmöglichkeit (durch die Sicherstellung einer entsprechenden Selbstfinanzierungsbasis).
— Diese These könnte sich insofern auf Tabelle 1 berufen, als hier deutlich wird, daß der Wachstumsprozeß von 1950 bis 1970 ganz offensichtlich eine systematische Preiserhöhung verursachte, ohne die er vielleicht nicht erreicht worden wäre.
b) Eine andere Lehrmeinung vertritt gerade die Gegenthese, daß erst die Preisstabilität die Voraussetzung für ein höheres Wachstum sei. Denn eben weil Preissteigerungen — allzu bequem — Investitionsneigung und -möglichkeit sicherstellen, schließen sie die Gefahr von Fehlinvestitionen ein, die abwechselnd in sich beschleunigende Preissteigerungen einzumünden drohen (um die Gewinne dennoch sicherzustellen)
oder gar in Depressionen umkippen können (falls wegen der Fehlinvestition eine Auslastung nicht mehr möglich ist); beides störe aber den Wachstumsprozeß empfindlich. — Auch diese These könnte sich auf Tabelle 1 berufen, sofern hier deutlich wird, daß sich in den fünfziger Jahren höhere reale Wachstumsraten mit geringeren Preissteigerungsraten verbanden, während die Entwicklung in den sechziger Jahren entgegengesetzte Relationen aufwies.
) Also zwei sich völlig widersprechende Thesen — eine an sich schon unbefriedigende Situation. Es kann daher nicht überraschen, daß es eine dritte These gibt, nach der beide vorangegangenen Thesen nur Teil-wahrheiten darstellen, aber keine Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nehmen können, weil es in der Vergangenheit sowohl Wachstumsphasen mit steigendem als auch mit konstantem Preisniveau gegeben habe, so daß also beide Kombinationen denkbar sind. Als Schlußfolgerung bleibt demnach nur die Erkenntnis, Genaues nicht zu wissen. Diese These läßt erst recht ein Unbehagen zurück: Eine Wissenschaft, die in ihrem Modell jede Konfliktmöglichkeit ausgeschlossen hat, steht den in der Realität gegebenen Konflikten hilflos gegenüber.
Die Gegenüberstellung dieser drei Thesen läßt offenbar nur noch eine Konsequenz offen: Man resigniert, weil aus einer unsicheren Diagnose nun einmal keine sichere wirtschaftspolitische Therapie abzuleiten ist. Und so bleibt vielfach nur noch die Empfehlung — die gerade in der jüngsten Gegenwart immer größere Kreise zu ziehen scheint —, die Preissteigerungen eben hinzunehmen und die dadurch potentiell Gefährdeten (Rentner, Sparer) durch bestimmte Schutzvorkehrungen abzusichern. 7. Diese letzte Überlegung leitet unmittelbar zu der Frage über, auf welche Ursachen nun aber die Preissteigerungen zurückgeführt werden müssen. Die Wissenschaft hat hierüber eine Fülle von Theorien entwickelt, die an dieser Stelle nicht im einzelnen zu rekapitulieren sind. Generell läßt sich die Preissteigerung interpretieren als ein Mißverhältnis zwischen der (relativ zu niedrigen) Wachstumsrate des realen Produktionsangebots und der (relativ zu hohen) Wachtumsrate der effektiven nominellen Gesamtnachfrage. Diese Interpretation ist aber nur eine Darstellung der konkreten Erscheinungsform: Wenn von 1951 bis 1970 das Bruttosozialprodukt real um jährlich 6, 4 vH wächst, nominal aber um 9, 9 vH, stellt die Differenz beider Größen notwendigerweise die Preisteigerung dar. Diese Feststellung ist aber nur eine Tautologie, die noch keine Erklärung dafür bietet, warum eine solche Diskrepanz bebzw. entsteht. Die damit verbundenen Fragestellungen liegen auf zwei verschiedenen Ebenen.
Die eine Frage, die gerade in der jüngsten Gegenwart besonders umstritten ist, geht davon aus, daß die effektive nominelle Gesamt-nachfrage — etwa die erwähnte gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate von 9, 9 vH -— finanziert, d. h. durch die Zurverfügungstellung des entsprechenden Geldvolumens gewissermaßen „alimentiert" werden muß. Der Streit entzündet sich dann an der folgenden Alternative:
a) Nach der einen Lehrmeinung sei die erwähnte Diskrepanz zwischen nomineller Nachfrage und realem Potential auf die ökonomische Aktivität der Wirtschaftssubjekte zurückzuführen, die a priori die überhöhte Gesamtnachfrage herbeiführe und a posteriori — aus welchen Quellen auch immer:
Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, Kreditschöpfung, außenwirtschaftliche Finanzierung etc. — die Alimentie-
rung dieser Gesamtnachfrage durch das entsprechende Geldvolumen erzwinge, wobei die für das gesamtwirtschaftliche Geldvolumen verantwortliche Institution (etwa die Notenbank) keinen Einfluß auf eben den Umfang des Geldvolumens habe. — Diese These knüpft an den englischen Nationalökonomen John M. Keynes an und wird im allgemeinen durch die sog. „post-
keynesianische" Schule vertreten. Ausgehend von dieser Diagnose gelangt sie zu folgender wirtschaftspolitischer Therapie:
Der Staat (und eben nicht die Notenbank)
müsse primär mit Hilfe seines Instrumentariums (Steuer-und Ausgabepolitik) die ökonomische Aktivität der Wirtschaftssubjekte steuern.
b) Nach der gegenteiligen Lehrmeinung sei die Diskrepanz auf die Initiative der für das gesamtwirtschaftliche Geldvolumen verantwortlichen Institution (also die Notenbank) zurückzuführen, die a priori zu viel Geld „produziere" und insofern eine erhöhte (bzw. überhöhte) Gesamtnachfrage provoziere. — Diese These knüpft an den amerikanischen Nationalökonomen Milton Friedman an und wird im allgemeinen von der sog. „monetaristischen" Schule vertreten. Ausgehend von ihrer Diagnose gelangt sie zu folgender wirtschaftspolitischen Therapie: Die Notenbank (und nicht der Staat) müsse primär mit Hilfe ihres Instrumentariums über die nur von ihr zu schaffende Geldbasis (Zentralbankgeld) die Geldmenge zu steuern versuchen, insbesondere diese auf das reale Produktionspotential hin orientieren; denn dann fehlte jeder Spielraum für Preiserhöhungen. Wie schon erwähnt, ist die Alternative gegenwärtig stark umstritten. Welche der beiden Thesen der Realität näherkommt, dürfte entscheidend davon abhängen, ob — zum einen — eine Notenbank die Geldmenge wirklich beherrscht; ob — zum zweiten — monetäre Impulse sich unmittelbar in den realen Bereich des Güterangebots und der Güternachfrage übertragen lassen; ob — zum dritten — unter den gegebenen Bedingungen der reale Bereich quasi automatisch aus sich heraus zur Stabilität hintendiert. Ohne Antwort auf diese Fragen — wobei insbesondere die dritte Frage zentrale Bedeutung gewinnen dürfte — läßt sich das erste Alternativproblem nicht lösen. Und es wurde auch bislang nicht gelöst, wenn auch vieles dafür spricht, daß die drei gestellten Fragen nicht im Sinne einer Bestätigung der monetaristischen Schule beantwortet werden können. (Vgl. zu dieser Problematik auch die Arbeit von D. Simmert, Stabilisierungspolitische Konzeptionen — Zur Fiskalismus-Mo-netarismus-Kontroverse, auf S. 3 ff. — dieses Heftes.)
Unabhängig von der Frage nach den Finanzierungsbedingungen erhebt sich die weitere Frage, aufgrund welcher Impulse es überhaupt zu der erwähnten Diskrepanz zwischen realem Potential und nominaler Nachfrage kommt. Auch hier werden in der Diskussion zwei unterschiedliche Impulsquellen lokalisiert:
a) Eine These besagt, daß der Impuls von der Nachfrageseite ausgehe. Damit wird die sog. „Nachfragesog-Theorie" begründet.
Diese Theorie ist zweifach denkbar.
Einmal: Es kommt, (aus welchen Gründen auch immer) zu einem Nachfragestoß, der das Gesamtvolumen der Nachfrage erhöht. Dieser kann getragen sein durch eine verstärkte Nachfrage beim privaten oder staatlichen Verbrauch, bei der privaten oder staatlichen Investition oder bei der Auslandsnachfrage. Insgesamt wird die Gesamtnachfrage über das kurzfristig nur bedingt vermehrbare Angebotspotential hinaus erhöht; es entsteht die bereits erwähnte Diskrepanz, die zu Preiserhöhungen führt.
Zum anderen: Es kommt (aus welchen Gründen auch immer) zu einer Änderung der Nachfragestruktur, d. h. in bestimmten Bereichen ist die Nachfrage rückläufig, in anderen Bereichen erhöht sie sich. Wenn insofern also auch das gesamtwirtschaftliche Nachfragevolumen konstant bleibt, kann dies dennoch preissteigernde Effekte auslösen. Denn wenn in den Bereichen mit rückläufiger Nachfrage das zu groß gewordene Angebotspotential nicht zu Preissenkungen, in Bereichen mit zunehmender Nachfrage das zu klein gewordene Angebotspotential wohl aber zu Preissteigerungen führt, wenn also — mit anderen Worten — der Angebots-Nachfrage-Mechanismus nur noch einseitig funktioniert, erhöhen sich im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt die Preise.
Beiden Varianten ist gemeinsam, daß der Impuls bei der Nachfrageseite liegt — und auf der Angebotsseite die Preise erhöht.
b) Eine zweite These besagt, daß der Impuls von der Angebotsseite ausgehe. Damit wird die sog. „Kostendruck-Theorie" begründet. Auch diese Theorie ist zweifach denkbar.
Einmal: Es kommt (im weitesten Sinne) zu Kostenerhöhungen, d. h. zu einer Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Kosten-niveaus. Sei es, daß die Gewerkschaften Lohnforderungen stellen; sei es, daß die Weltmarktpreise steigen (die importierten Güter sich verteuern); sei es, daß der Staat die Steuern erhöht oder die unter seinem Einfluß stehenden Preise — die sog. administrativen — Preise (staatliche Dienstleistungen, staatliche Marktordnungen) her-aufsetzt, oder sei es, daß in die unternehmerische Kalkulation ein höherer Gewinnzuschlag einkalkuliert wird — sog. administrierte Preise —. In jedem Falle erhöhen sich die kalkulatorisch relevanten Kosten und werden in die Preise weitergegeben. Zum anderen: Es kommt zu Änderungen in der Kostenstruktur, d. h. Kostenentlastungen (z. B. Kostenerhöhungen liegen unterhalb der Produktivitätssteigerung) stehen Kostenbelastungen (z. B. Kostenerhöhungen liegen über der Produktivitätssteigerung) gegenüber. Das gesamtwirtschaftliche Kostenniveau bleibt zwar bestehen. Wenn aber die Kostenentlastungen nicht zu Preissenkungen führen, während die Kostenbelastungen in die Preise weitergegeben werden, so führt auch hier ein nur noch partiell funktionierender Angebots-
Nachfrage-Mechanismus zu Preissteigerun-gen im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.
Beiden Varianten ist gemeinsam, daß der Impuls bei der Angebotsseite liegt — und eine höhere nominelle (d. h. durch keine reale Substanz abgedeckfe Gesamtnachfrage erzwingt.
Allein die Gegenüberstellung dieser beiden „Impuls-Quellen" dürfte deutlich gemacht haben, wie schwer es ist, die tatsächlich gegebenen Preissteigerungen einer bestimmten Ursache zuzuordnen. Plausibel — und wohl auch in der Realität relevant — dürften alle Möglichkeiten sein; und die herrschende Meinung geht dahin, jede sog. monokausale Deutung, d. h. jeden Versuch, die Preissteigerungen auf eine einzige Ursache zurückzuführen, abzulehSo plausibel dies auf den ersten Blick erscheinen mag, so wenig darf eine solche Haltung über die ernsten Konsequenzen hinwegtäuschen: Die Resignation, die Preisentwicklung eben hinnehmen zu müssen, weil ihre Bedeutung für den Wachstumsprozeß nicht exakt faßbar sei (Ziff. 6), wird hier entscheidend bestärkt. Denn die Versuchung, die Preissteigerungsursachen letztlich einem undurchsichtigen Konglomerat von Gründen zuzuordnen, erschwert jeden Versuch einer gezielten Preis-stabilisierungspolitik. Insofern bleibt die Notwendigkeit, zumindest in Ansätzen den Versuch zu unternehmen, den doch offenbar bestehenden Konflikt zwischen Wachstum und Preisstabilität zu interpretieren und zu lokalisieren.
8. Die bisherige Darstellung hat deutlich gemacht, daß bei der Frage des Verhältnisses von Wachstum und Preisstabilität der Harmonie-anspruch und sein theoretisches Modell (Abschnitt I) nicht nur mit der tatsächlichen Entwicklung in Widerspruch steht, sondern daß darüber hinaus diese Entwicklung nicht hinreichend und überzeugend geklärt ist (Abschnitt II). Bevor der weitere Versuch einer solchen Erklärung erfolgen kann, soll — sowohl als Veranschaulichung des bereits Gesagten als auch zur deutlicheren Darstellung der weiteren Argumentation — ein zwar vereinfachter, aber für unsere Zwecke ausreichender theoretischer Bedingungszusammenhang vorangestellt werden. Dieser Bedingungszusammenhang ist zunächst zweifach zu sehen: a) Das Bruttosozialprodukt (Y) entspricht der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung einer Periode und setzt sich aus Privatem und Staatlichem Verbrauch (C), Privater und Staatlicher Investition (I) und dem Außenbeitrag (A), als der Differenz von gesamtem Export und Import, zusammen.
Es gilt also:
(1) Y = C + 1 + A b) Gleichzeitig entspricht das Bruttosozialprodukt (Y) i. S.der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung dem Produkt aus der Menge aller erstellten Güter (X) und dem Preisniveau eben dieser Güter (P). Es gilt also:
(2) Y = X • P
Die beiden möglichen Definitionen des Bruttosozialprodukts unterscheiden sich nur durch die jeweilige Sichtweise: Im ersten Falle — Gleichung (1) — zeigt die Definition einen Nachfrageansatz; im zweiten Falle — Gleichung (2) — zeigt sie den Angebotsansatz. Beide Ansätze lasssen sich ohne Schwierigkeiten zusammenführen; sie ergeben dann die folgende Form:
(3) X • P = C + I + A
Diese Formel sagt noch nichts über die tatsächlichen Steigerungsursachen des Preisniveaus (P) aus. Aber es lassen sich dennoch aus ihr einige (mögliche) Kombinationen ableiten: a) Eine Nachfrageerhöhung bedeutet, daß C, I oder A (oder gemeinsam) ansteigen. Wird dieser Anstieg nicht durch eine reale Angebotserhöhung (X) begleitet, steigt das Preisniveau (P). — Eine Nachfragestrukturverschiebung läßt zwar die reale Gesamt-nachfrage konstant; gleichen sich aber aufgrund eines nichtfunktionierenden Markt-
mechanismus Preissenkungen und Preissteigerungen nicht aus, und kommt es deshalb im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt zu einer Erhöhung von P, bedeutet dies, daß — bei konstanten X — die nominelle Gesamtnachfrage höher liegt, unabhängig davon, ob C, I oder A (oder alle Aggregate gemeinsam) betroffen sind.
b) Eine Kostenerhöhung führt zu dem Versuch, diese in den Preis (P) weiterzugeben. Das gleiche gilt bei Kostenstrukturverschiebungen, die das Gesamtkostenniveau zwar konstant lassen, ohne daß aber Kostenentlastungen zu Preiszugeständnissen führen, so daß im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt doch ein Überwälzungsvolumen gegeben ist. Gelingt dies, müssen C, I oder A steigen; gelingt dies nicht (da die erhöhte Nachfrage fehlt), bedeutet ein Festhalten an der Preissteigerung einen Rückgang von X, entspricht also einer Produktionsdrosselung.
Diese Überlegungen gewinnen noch eine zusätzliche dritte Dimension, wenn man die Verteilungsproblematik mit einbezieht. Geht man davon aus, daß sich das Bruttosozialprodukt (Y) — vereinfacht argumentiert — aus Unternehmer-, d. h. Vermögens-und Gewinneinkommen (G), und aus Arbeitnehmer-, d. h. Lohn-und Gehaltseinkommen (L), zusammensetzt, so erhalten wir:
(4) Y = G + L
Diese Formel läßt sich ohne Schwierigkeiten in zwei Richtungen weiterentwickeln:
a) Verbinden wir sie mit dem Nachfrageansatz der Formel (1), so erhalten wir:
(5) G = Y-L=C + I + A-L Diese Formel besagt, daß eine Nachfrage-erhöhung (aus welcher Quelle auch immer)
die Gewinnsumme konstant läßt, wenn sie in gleichem Umfange mit einer Erhöhung der Arbeitnehmereinkommen verbunden ist. G steigt, wenn C, I und (oder) A stärker als L steigen, G sinkt, wenn C, I und (oder) A schwächer als L ansteigen. b) Verbinden wir die Formel (4) mit dem Angebotsansatz der Formel (2), so erhalten
(6) G = Y -L = (X • P) -L Diese Formel besagt, daß eine Bruttosozialproduktserhöhung dann die Gewinnsumme (G) konstant läßt, wenn die Arbeitnehmereinkommen (L) in gleichem Umfange steigen, unabhängig davon, ob wir eine nur reale (X), nur nominale (P) oder eine von beiden Komponenten bestimmte Steigerung des Bruttosozialprodukts verzeichnen.
Beiden Ansätzen ist aber ein entscheidender Sachverhalt gemeinsam: Ein Anstieg des Bruttosozialprodukts (Y) bei konstanten Unternehmereinkommen (G) bedeutet, daß die Gewinnquote, d. h.der Quotient aus Gewinn-einkommen und Bruttosozialprodukt, sinkt, während die Lohnquote ansteigt. Umgekehrt bedeutet ein Festhalten an bestehenden Gewinnquoten, daß das Bruttosozialprodukt bzw. die gesamtwirtschaftliche Nachfrage jeweils rascher als die Arbeitnehmereinkommen ansteigen muß, damit der Quotient konstant bleibt. Diese Bestellungen sagen aber noch nichts über die tatsächliche Verteilungsentwicklung und ihre Determinanten aus.
Die Frage, die sich demnach an diese kurze Darstellung der theoretischen Bedingungskonstellationen i. S. von möglichen Kombinationen in der Preis-bzw. Verteilungsentwicklung anschließt, ist also zunächst: Wie zeigt sich der tatsächliche Entwicklungsverlauf der in diesen Zusammenhängen enthaltenen Größen? 9. Dabei sei zunächst auf den empirischen Befund verwiesen, wobei insbesondere drei Fragen zu stellen sind. Einmal: Wie haben sich — volkswirtschaftlich gesehen — die einzelnen Verwendungsaggregate (einschließlich ihrer Preise) entwickelt? Zum zweiten: Inwieweit zeigen sich noch bestimmte Einflüsse aus der Tatsache, daß die Bundesrepublik in einem außenwirtschaftlichen Verbund steht, der nach überwiegender Meinung nicht ohne Einfluß auf die binnenwirtschaftliche Entwicklung ist? Schließlich: Welche Konsequenzen ergeben sich für die Entwicklung der Einkommensverteilung? — Alle diese drei Fragen hängen — wie im folgenden noch zu zeigen sein wird — sehr eng zusammen. Bevor aber auf die daraus resultierenden Konsequenzen eingegangen werden kann, müssen zunächst die empirischen Tabestände festgehalten werden.
Was die erste Frage angeht, Tabelle 2 bringt folgende zwei wichtigen Ergebnisse:
a) Einmal die Tatsache, daß die Investitionen und die Gesamtausfuhr im Vergleich zum privaten Verbrauch eine überdurchschnittliche Entwicklung erfahren haben. Hier handelt es sich aber genau um jene beiden Nachfragegrößen, die sich nicht unmittelbar in den privaten Konsum umsetzen lassen, d. h.den mit der Erstellung dieser Güter verbundenen Einkommensteigerungen stand nicht automatisch eine entsprechende Erhöhung der Konsumgüterproduktion gegenüber — selbst wenn man die hohe Steigerungsrate der Gesamteinfuhr berücksichtigt. b) Zum zweiten die Tatsache, daß die Preisentwicklung einen sehr unterschiedlichen Verlauf nahm. Lassen wir einmal die Preis-
entwicklung beim Staatsverbrauch beiseite (weil die Berechnungsmethoden seines realen Anstiegs aus den verschiedensten Gründen problematisch sind), so ergeben sich: stark ansteigende Preissteigerungsraten beim privaten Verbrauch in den sechziger Jahren, konstant bleibende Preissteigerungsraten bei den Investitionen, deutlich geringere Preissteigerungsraten in den sechziger Jahren bei der Ausfuhr — bei einem insgesamt etwa konstanten Preis-niveau bei der Gesamteinfuhr.
Was die zweite Frage — die Folgen des außen-wirtschaftlichen Verbunds — betrifft, erscheinen die Ergebnisse der Tabelle 3 sehr aufschlußreich, vor allem hinsichtlich dreier Tatbestände, die in einem engen Zusammenhang mit den Sachverhalten stehen, wie sie die binnenwirtschaftliche Entwicklung aufzeigt:
a) Mit ca. 188 Mrd. DM wurde in den zwei Jahrzehnten ein hoher Außenhandelsüberschuß erwirtschaftet. Bei Erstellung dieser Uberschußgüter wurden zwar im Inland Einkommen erzielt, denen aber kein entsprechendes Gütervolumen gegenüberstand. Die einkommensbedingte Nachfrage schuf insofern unverkennbar Preisüberwälzungsspielräume; eine Entwicklung, die ganz offensichtlich aufgrund der zurückhaltenden Exportpreisentwicklung in den 60er Jahren noch spürbarer begünstigt wurde: Knapp drei Viertel dieses Handelsüberschusses wurden allein in den 60er Jahren erzielt.
b) Ebenso fällt der erhebliche langfristige Nettokapitalexport in den 60er Jahren auf, wo knapp 85 vH des Nettokapitalexports der beiden Jahrzehnte erzielt wurde. Auch dies kann entscheidende preispolitische Konsequenzen haben; denn der Export dieser Kapitalien vermindert insofern ein potentielles Güterangebot, weil dieses Kapital nicht für den Auf-und Ausbau binnen-wirtschaftlicher Kapazitäten — und damit einer möglichen Güterangebotserhöhung — genutzt wird.
c) Schließlich fällt auf, daß — nahezu ausschließlich in den 60er Jahren — ein erheblicher kurzfristiger Nettokapitalzufluß aus dem Ausland erfolgt war. Dieser Zufluß ist nicht exakt zuzuordnen. Er ist zum Teil spekulationsbedingt; zum anderen Teil ist er aber das Ergebnis des Bemühens, binnenwirtschaftliche Geldverknappungsmaßnahmen (und damit eine Stabilisierungspolitik der Bundesbank) zu unterlaufen.
Von der Nachfrageseite bestehende Preis-erhöhungsspielräume konnten damit — gewissermaßen hinter dem Rücken der Notenbank — mitfinanziert werden.
Die dritte Frage betrifft jene — schon eingangs erwähnte — „offene Flanke", nämlich das Problem, wie sich dieser Prozeß in der Einkommensverteilung niederschlug. Diese Frage muß deshalb in die ganze Argumentation einbezogen werden, weil sich das Problem der Preisstabilität — wie gleich noch zu zeigen sein wird — nicht jenseits des Verteilungsproblems diskutieren und analysieren läßt. Dabei ergeben sich aus Tabelle 4 drei wichtige Ergebnisse:
a) Im langfristigen Durchschnitt sind zwar insgesamt die Bruttoeinkommen der Unselbständigen (Löhne/Gehälter) stärker gestiegen als die der Selbständigen (Gewinne und Vermögenseinkommen). Diese Berechnung ignoriert aber die Tatsache, daß im Berichtszeitraum (1950— 1970) die Zahl der Unselbständigen (sei es aufgrund der Zunahme der Wohnbevölkerung, der Gastarbeiter, oder sei es aufgrund der Tatsache, daß frühere Selbständige — insbesondere Kleinexistenzen — ihren Handels-oder Handwerksbetrieb aufgegeben haben und einen Beschäftigungsvertrag eingegangen sind) im Durchschnitt jährlich um über 2 vH zugenommen hat. Umgekehrt hat die Zahl der Selbständigen (sei es wegen Erreichung der Altergrenze oder wegen Geschäftsaufgabe aufgrund zu starker Konkurrenz der Großbetriebe) im Durchschnitt jährlich um ca. 1, 5 vH abgenommen. Die Summenrechnung der Gesamtverteilung muß deshalb durch eine Pro-Kopf-Rechnung korrigiert werden i. S. einer „Bereinigung"
durch den Wandel in der Beschäftigungsstruktur. b) Erfolgt eine solche Bereinigung, so zeigt sich, daß die Entwicklung gerade umgekehrt verlaufen ist. Pro Kopf gerechnet, haben die Gewinn-und Vermögenseinkommen der Selbständigen in dem Berichtszeitraum in ihrem durchschnittlichen jährlichen Wachstum eine deutlich höhere Zuwachsrate als etwa die Lohn-und Gehalts-einkommen der Unselbständigen erzielt.
Dieses Bild verschiebt sich noch mehr zugunsten der Seibständigeneinkommen, wenn man die Nettorechnung berücksichtigt. So ergibt sich bei den Nettoeinkommen der Selbständigen pro Kopf (also Bruttoeinkommen abzüglich der direkten Steuern) eine Wachstumsrate im langfri-stigen Durchschnitt von jährlich 10, 3 vH, während bei den Nettoeinkommen der Unselbständigen pro Kopf (also Bruttoeinkommen abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer) die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate auf 7, 3 vH absinkt. Auch die Steuerentwicklung konnte also nicht verhindern, daß in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten eine Begünstigung der Gewinn-und Vermögenseinkommensentwicklung sich vollzogen hat; sie hat im Gegenteil diese Begünstigung noch verschärft.
c) Diesen Berechnungen wird vielfach entgegengehalten, daß sie deshalb keine wahre Auskunft über die tatsächliche Einkommensverteilung bringen, weil sie die sog.
„Querverteilung" nicht berücksichtigen.
Gemeint ist vor allem, daß auch Unselbständige sog. Vermögenseinkommen beziehen (etwa: Zinsen auf Sparguthaben o. ä.), die in der oben angeführten Rechnung den Seibständigeneinkommen zugeschlagen sind, diese also in Wahrheit zu hoch ausweisen, während die Unselbständigeneinkommen zu niedrig ausgewiesen sind. Dieses Argument ist sicher richtig; es kann aber in der Rechnung nicht berücksichtigt werden, einfach deshalb, weil die Statistiken hierfür fehlen bzw. nicht hinreichend aussagefähig sind. Doch selbst, wenn man — in Anerkennung dieses Arguments — daraus folgert, daß die Pro-Kopf-Einkommen der Selbständigen etwas zu hoch und jene der Unselbständigen etwas zu niedrig ausgewiesen sind, läßt sich zumindest die These vertreten, daß die Wachstumsraten der beiden großen Einkommensklassen in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten höchstens etwa gleich gewesen sind, die Quotenverteilung (Anteil am Gesamteinkommen) also etwa konstant geblieben ist, sozial als ungerecht empfundene Verteilungsstrukturen also nicht beseitigt, sondern — in absoluten Größen gesehen — zugunsten der Gewinn-und Vermögenseinkommen eher noch verschärft wurden. Gerade dieses Ergebnis verdient festgehalten zu werden, weil es nicht ohne Bedeutung für das Problem der Preisstabilität ist. 10. Die Verbindung von theoretischen Zusammenhängen (Ziff. 8) mit empirisch-nachweisbaren Entwicklungen (Ziff. 9) leitet nun unmittelbar zur eigentlichen Analyse über. Diese hat von drei zentralen Tatbeständen auszugehen: a) Die bestehende wirtschaftspolitische Konzeption unterliegt — wie eingangs festgestellt — einer zweifachen Bedingung: einmal der Sicherstellung des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses (Zielbedingung), zum anderen der Sicherstellung der marktwirtschaftlichen Ordnung (Ordnungsbedingung). Die Synthese aus diesen beiden Bedingungen führt unmittelbar zum Angelpunkt der ganzen Argumentation: der Sicherstellung des privatwirtschaftlichen Investitionsprozesses, höchstens ergänzt durch eine staatliche Infrastrukturpolitik, die — von ihrem Selbstverständnis her gesehen — bislang ebenfalls auf diesen privatwirtschaftlichen Investitionsprozeß zugeschnitten war, d. h. letzteren zwar fördern, nie aber behindern sollte. Ob diese Grundbedingung den gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Sachproblemen noch gerecht wird, sei als Frage zunächst einmal ausgeklammert. Immerhin ist die Argumentationskette bis hierher in sich geschlossen. b) Anders stellt sich das Problem, wenn wir einen zweiten Tatbestand hinzufügen. Die anerkannte Sicherung des Investitionspro93 zesses sagt noch nichts darüber aus, unter welchen Rentabilitäts-und Finanzierungsbedingungen dieser Investitionsprozeß zu erfolgen hat. Theoretisch ist er denkbar sowohl bei hohen Kapitalrenditen (und dementsprechend hohen Selbstfinanzierungsquoten) als auch bei niedrigen Kapitalrenditen (und dementsprechend hohen Fremdfinanzierungsquoten). Die beiden Alternativen unterscheiden sich ausschließlich unter Verteilungsgesichtspunkten, sowohl (unmittelbar) einkommenspolitisch, i. S.der Verteilung der Gewinneinkommen, als (mittelbar) vermögenspolitisch, i. S.der Frage, wem das Eigentum an den von Periode zu Periode steigenden Investitionen zuwächst. Genau an diesem Punkt stößt man auf die „offene Flanke", d. h.der Weg wird freigehalten für verteilungspolitische Wertvorstellungen, die nichts mit ökonomischer Sachgesetzlichkeit zu tun haben. c) Die Gegenüberstellung dieser beiden ersten Tatbestände leitet — gerade in ihrem Zusammenwirken — zu einem dritten Tatbestand über: Eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum will, muß — bei gleichzeitiger Wahrung der marktwirtschaftlichen Ordnung — den Wachstumsprozeß den privaten Investoren anvertrauen; und solange der Nachweis gelingt, zumindest zu führen versucht wird, daß das wirtschaftliche Wachstum optimal eben durch die privatwirtschaftliche Investitionstätigkeit gewährleistet werden kann, wird die Wirtschaftspolitik die privatwirtschaftliche Investitionsneigung i. S.der Bereitschaft, diese Investitionen auch durchzuführen, sicherstellen müssen. Dies ist aus ökonomischen Gründen zwingend, aber nur eine Seite des Problems. Eine Wirtschaftspolitik, die nicht gleichzeitig eine bestimmte Vorstellung über die Verteilung entwickelt (und die Verteilung wurde ja — wie bereits mehrfach erwähnt — als Problem ausgeklammert), muß eben jene Verteilungsvorstellungen hinnehmen, die die privaten Investoren ihrer Investitionsbereitschaft zugrunde legen. Dies ist aber nicht mehr aus ökonomischen Gründen zwingend, sondern entspricht den Verteilungsvorstellungen der Investoren selbst. Ob diese Verteilungsvorstellungen dem Kriterium der sozialen Gerechtigkeit entsprechen, wird — bei aller Problematik ihrer Berechnung — ebenso ausgeklammert, wie die Frege, ob men diece Verteilungsvorstellungen unter Umständen auch über Preissteigerungen zu realisieren versucht. M. a. W., wenn sich das Wachstumsziel mit einem Verzicht auf ein Verteilungsziel verbindet, entsteht die große Gefahr, daß im Interesse des Wachstums Verteilungsziele der privaten Investoren eben hingenommen werden müssen — auch wenn diese sozial-und stabilitätspolitisch bedenklich sein könnten. 11. Wie bereits in Ziff. (8) unter Formel (3) gezeigt, ist einerseits das Bruttosozialprodukt aus der Sicht des Angebots definiert als Produkt zwischen Gütermenge (X) und ihrem Preis (P). Aus der Sicht der Nachfrage ist es andererseits definiert als Summe von Konsum (C), Investitionen (I) und Außenbeitrag (A). Diese Verbindung von angebots-und nachfragetheoretischer Sichtweise läßt zwar noch nicht erkennen, ob und inwieweit ein Wachstumsprozeß zu Preissteigerungen führt. Theoretisch sind nämlich drei Kombinationen denkbar: a) Die Nachfragesteigerung verbindet sich mit einer Mengensteigerung in gleichem Umfange. Aus der Formel läßt sich einfach erkennen, daß dann das Preisniveau konstant bleibt: Es liegt ein realer Wachstumsprozeß vor. b) Die Nachfragesteigerung liegt zwar vor, die Gütermenge bleibt aber konstant. Hier zeigt die Formel an, daß dann ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage über steigende Preise erfolgt: Der Wachstumsprozeß ist rein nominal, d. h. ohne reale Substanz. c) Die Nachfragesteigerung liegt vor; der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage erfolgt kombiniert in Form von realem und nominalem Wachstum, d. h. Gütermenge und Preisniveau steigen an, der Wachstumsprozeß ist nur teilweise durch reale Substanz abgedeckt.
Ein Blick in die tatsächliche Entwicklung (vgl. dazu nochmals Tab. 1) zeigt, daß die dritte der drei theoretischen Kombinationsmöglichkeiten eingetreten ist, allerdings im Zeitablauf mit einer bemerkenswerten Verschiebung in der Struktur zwischen realem Wachstum und Preissteigerungen: a) Im Durchschnitt der beiden Jahrzehnte (1950— 1970) waren etwa 66 vH der (durchschnittlichen jährlichen) gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate von knapp 10 vH durch reale Substanz abgedeckt; ca. 33 vH waren reine Preissteigerungen. b) In den 50er Jahren war der Anteil der realen Substanz an der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate von gut 11 vH mit über 70 vH bedeutend höher als in den 60er Jahren: Hier erreichte der Anteil der realen Substanz an der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate von etwa 8, 5 vH noch nicht einmal mehr 60 vH.
Diese Strukturverschiebung gewinnt für die weitere Argumentation noch Bedeutung. Doch zuvor ist die Frage zu stellen, warum denn überhaupt nur die dritte der drei theoretischen Kombinationsmöglichkeiten (also nur die „Se-cond-best" Lösung) realisiert wurde, und nicht die erste Möglichkeit, ein Wachstum mit Preisstabilität. Die in Ziff. 10 herausgestellten drei Tatbestände gewinnen hier nun unmittelbare Relevanz. Denn die Voraussetzungen für einen rein realen Wachstumsprozeß wären gewesen: a) Dem im Rahmen des gesamten Produktionsprozesses entstehenden Einkommens-volumen hätte ein entsprechendes Volumen des Konsumgüterangebots gegenüberstehen müssen. Nun war zwar einerseits diese Voraussetzung nicht erfüllt; denn im gleichen Zeitraum wurden ja — neben den Konsumgütern — nicht-konsumierbare Investitionsgüter und per Saldo ein Mehr an Ausfuhrgütern erstellt. Andererseits ist aber nicht zu übersehen, daß die Erfüllung dieser Voraussetzung ein unmittelbarer — sachbedingter — Widerspruch zum Wachstumsziel gewesen wäre; denn eine ausschließliche Steuerung der volkswirtschaftlichen Ressourcen (Boden, Kapital, Arbeit, technisches Wissen) auf den Konsumgüter-bereich wäre einem Verzicht auf Investitionen (und damit auf das Wachstum)
gleichgekommen. Das Problem des Außen-handelsüberschusses ist zwar etwas differenzierter zu sehen; doch beschränken wir uns zunächst einmal auf die Feststellung, daß — vor allem in einer wirtschaftlichen Aufbauphase — auch ein Außenhandelsüberschuß positive Wachstums-und Beschäftigungswirkungen hat, weil er zusätzliche Investitionen stimuliert. — Zusammenfassend ergibt sich, daß die Erfüllung dieser ersten Voraussetzung bedeutet hätte, daß Preisstabilität mit wirtschaftlicher Stagnation erkauft worden wäre. Das ist das, was mit dem Begriff „unmittelbarer, sachbedingter'1 Widerspruch zum Wachstumsziel umschrieben werden kann.
b) Nun hätte diese erste Voraussetzung auch gar nicht erfüllt zu sein brauchen, wenn eine andere erfüllt gewesen wäre: Wenn das die Konsumgüterproduktion übersteigende Einkommen (das ja im Rahmen der gesamten Produktion, also auch der Produktion von Investitions-und Ausfuhr-güter entstand) im gleichen Zeitraum zu Sparkapital geworden wäre. Nun war einerseits auch diese Voraussetzung nicht erfüllt; die Einkommensteile, die das Konsumgüterangebot überstiegen, wurden zum großen Teil in effektive Nachfrage umgesetzt und schufen damit Preisüberwälzungsspielräume, die von den Unternehmern konsequent genutzt wurden, um Lohn-und andere Kosten, insbesondere aber auch Gewinnaufschläge, in die Preise weiterzuwälzen. Andererseits fällt aber auf, daß — in völligem Gegensatz zur ersten Voraussetzung — die Erfüllung dieser zweiten Voraussetzung nicht in einem unmittelbaren — sachbedingten — Widerspruch zum Wachstumsziel gestanden hätte; denn die Investitionen hätten ja erfolgen können und wären auch durch das entsprechende Sparkapital finanziert -wor den. Hier liegt vielmehr ein mittelbarer — anspruchsbedingter — Widerspruch zum Wachstumsziel vor; denn es besteht ein entscheidender Unterschied, ob die Finanzierung der — vom Wachstumsziel her notwendigen — Investitionen über die Preise oder über das Sparvolumen erfolgt. Im ersten Falle wächst das Eigentum an den Investitionen dem Investor zu (er hält durch die Preisüberwälzung seine Rentabilität aufrecht und finanziert die Investitionen aus seinen Gewinnen: Selbstfinanzierung); im zweiten Falle wächst das Eigentum an den Investitionen den Sparern zu (der Investor verliert teilweise die Möglichkeit, Kosten in die Preise weiterzuwälzen, muß eine verminderte Rentabilität hinnehmen, an die Stelle der Selbstfinanzierung wäre — zumindest teilweise -— die Fremdfinanzierung getreten). Welcher der beiden Fälle gegeben ist, wäre für das Wachstumsziel irrelevant. Nicht aber für das Verteilungsziel, konkreter: für den Gewinnanspruch der Investoren, den diese dadurch realisierten, daß sie die gegebenen Preiserhöhungsspielräume nutzten, und dies wiederum mit einer — nicht mehr sachbedingten, sondern anspruchsbedingten — Forderung motivierten, daß zur Aufrechterhaltung ihrer Investitionsneigung und damit des Wachstums nun einmal eine bestimmte Rentabilität erforderlich sei. Hier erhalten wir den Tatbestand, der mit dem Begriff „mittelbarer, anspruchsbedingter" Widerspruch zum Wachstumsziel umschrieben werden kann.
In der Gegenüberstellung dieser beiden Voraussetzungen wird deutlich, daß sie eine ganz unterschiedliche Qualität haben. Wachstums-ziel (mit der Investitionsnotwendigkeit als sachbedingter Konsequenz) und Verteilungswirkungen (mit der Gewinnforderung als anspruchsbedingter Konsequenz) gehen eine verhängnisvolle Verbindung ein, die ungeprüft bleibt, weil nur ersteres in die Zieldiskussion einbezogen, letzteres aber ausgeklammert — korrekter: stillschweigend hingenommen — wird. Und genau an dieser Stelle liegt der analytische Angelpunkt für die mangelnde Preisstabilität —• und hieraus ergeben sich Konsequenzen.
12. Knüpfen wir an den analytischen Angelpunkt an, so wird hier zunächst eines deutlich: Die bisher geführte Diskussion über die Ursachen der Preissteigerung — einmal die Frage, ob die Preissteigerung durch die zur Verfügung gestellte Geldmenge sanktioniert oder provoziert wird, zum anderen die Frage, ob die Ursachen der Preissteigerung angebots-°der nachfragebedingt sind (Ziff. 7) — führt am eigentlichen Kernproblem vorbei. Denn dieses Problem zeigt sich eindeutig erst in der Verbindung von Wachstumsziel und Verteilungsanspruch, von privatwirtschaftlicher Investitionssicherung und Investitionsrentabilität. Und von diesem Punkt ausgehend, ergeben sich die Preiserhöhungsgründe unmittelbar.
Wenn eine bestimmte Gewinnsumme (als absolute Größe) bzw. eine bestimmte Gewinn-quote (als Anteil am Gesamteinkommen) angestrebt und von den wirtschaftspolitisch ver25 antwortlichen Instanzen hingenommen wird, so spielt es fürs erste keine Rolle, ob diese Gewinnplanung über höhere Absatzmengen (bei geringeren Preisen) oder über geringere Absatzmengen (bei höheren Preisen) erreicht wird. Daraus folgt, daß die Analyse der im Rahmen des Wachstumsprozesses sich vollziehenden Preissteigerungen von verschiedenen Ausgangsbedingungen des Wirtschaftsprozesses ausgehen muß.
Ist die Ausgangsbedingung dadurch gekennzeichnet, daß auf der Angebotsseite hohe Produktivitätschancen (und damit eine hohe Produktionsmöglichkeit, die sich elastisch der Nachfrage anpaßt) und auf der Nachfrageseite ein hoher Nachholbedarf (und damit eine stabile Nachfrage) gegeben sind, so ist das Junktim zwischen Investitionssicherung und Investitionsrentabilität durchaus bei einem relativ hohen Maß an Preisstabilität herstellbar. Denn die Nachfragesteigerungen führen — wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung — zu einer Angebotserhöhung. Wenn unter diesen Ausgangsbedingungen freilich dennoch keine völlige Preisstabilität erreicht wird, so muß dies zwangsläufig darauf zurückgeführt werden, daß sich im gleichen Zeitraum auch das Gewinnanspruchsniveau erhöht haben muß, daß vor allem der Nachfragesog jeden wettbewerbsbedingten Druck auf die Preise „überkompensierte 1'. Konkret heißt dies: Der zunächst erfolgende Nachfrageschub-erhöht die Preise; die sich anschließende Angebots-erhöhung führt nicht mehr zu einem entsprechenden Rückgang des Preisniveaus, weil an den — einmal erhöhten -— Gewinnspannen nun festgehalten wird. Und das bedeutet dann wieder, daß — selbst wenn in dieser folgenden Periode der Angebotsanpassung die Preise stabil bleiben — sich aufgrund der voraufgegangenen Preiserhöhung im längerfristigen Durchschnitt das Preisniveau erhöht hat. Kommt es dann — sowohl im Rahmen der erhöhten Güterproduktion als auch durch Lohnerhöhungen — zu einer weiteren Einkommenserhöhung, die in Nachfrage umgesetzt wird, geht der Prozeß weiter: Erhöhung der Nachfrage — Steigerung des Preisniveaus — Steigerung des Güterangebots — zeitweise Preisstabilität etc. ... M. a. W.: Man kann diese Phase kennzeichnen als eine Form der sog. „schleichenden“ Inflation, die dadurch gekennzeichnet ist, daß (1) ein sehr dynamischer Wachstumsprozeß vorliegt, der (2) das Gewinnanspruchsniveau aufzustocken ermöglicht, dennoch (3) die Preissteigerungsraten in relativ engen Grenzen bleiben, weil sich Perioden mit Preisschüben und Preisstabilität ablösen, weshalb auch keine Selbstverstärkungstendenz bei den Preissteigerungsraten zu verzeichnen ist.
Ohne Anspruch darauf zu erheben, Zeitperioden exakt abgrenzen zu wollen, wird man doch davon ausgehen können, daß diese Bedingungen in den fünfziger Jahren in etwa erfüllt waren:
a) Die reale Produktionselastizität und -aus-
weitungsmöglichkeit war sowohl vom Arbeitsvolumen (Heimkehrer, Vertriebene etc.) als auch von der Produktivität (nach der Zerstörung und Demontage: Einsatz von Maschinen mit hohem technischen Niveau) her gegeben.
b) Es lag ein deutlicher Gewinnvorsprung vor (zumal in jenem Zeitraum die sog. „Querverteilung" mit Sicherheit noch keine Rolle spielte), insbesondere durch die Investi-tionsund Auslandsnachfrage gespeist.
c) Die Preissteigerungsraten hielten sich — insbesondere beim privaten Verbrauch — in relativ engen Grenzen, ohne daß eine Selbstverstärkungstendenz festzustellen wäre. 13. Die Frage, die sich daran anschließt, ist, ob diese Ausgangsbedingungen nach wie vor gegeben sind. Nichts spricht dafür, daß sich an den Grundbedingungen der wirtschaftspolitischen Konzeption (Ziff. 2) etwas geändert hat. Die dahinterstehende Problematik — die Verknüpfung von Investitionssicherung mit Sicherstellung der Investitionsrentabilität — dürfte sich eher noch verschärft haben: Zur Realisierung des technischen Fortschritts bedarf es gegenwärtig — und wohl auch in der Zukunft — immer höherer Investitionen. Bei Aufrechterhaltung der Gewinnquote bedarf es insofern auch immer höherer Gewinnsummen. Doch gleichzeitig scheinen sich aber die Ausgangs-bedingungen in einer entscheidenden Weise zu verändern:
a) Die Produktionselastizität hat deutlich abgenommen: Einerseits hat — trotz verstärkter Ausländerbeschäftigung — das Arbeitsvolumen in den sechziger Jahren nahezu stagniert; und dies konnte auch durch eine erhöhte Produktivität nicht kompensiert werden. Im Gegenteil, die Wachstumsraten der Produktivität sind sogar geringer gewesen. Der reale. Wachstumsspielraum hat sich also von der Angebotsseite her verengt. b) Aber auch die Stabilität der Nachfrage erscheint nicht mehr in dem ehemals vorhandenen Ausmaß gegeben. Gewiß hat ein laufender Wechsel in der Konsumgüter-struktur —-langlebige Gebrauchsgüter, Modebedarf, Freizeitbedarf — bislang gewährleistet, daß der Umsetzungsprozeß von Einkommen zu Nachfrage noch sichergestellt war (und auch für die absehbare Zukunft sein dürfte); doch der sich deutlich verstärkende Marketing-und Werbeaufwand bis hin zur Konsumentenmanipulation macht deutlich, daß die Nachfrage zunehmend labil wird.
Das Zusammenwirken dieser beiden Faktoren macht deutlich, daß bei aufrechterhaltenem Gewinnanspruch der privaten Investoren (oder gar bei dessen Erhöhung) die reale Absatz-menge als strategische Gewinngröße zwar nicht völlig ausfällt, aber doch an Gewicht verliert. Wenn aber bei nicht mehr beliebig zu steigernder Mengenentwicklung — in Formel (3) : X — die Gewinnsumme aufrechterhalten bleiben oder gar (aufgrund des höheren Kapitalbedarfs) erhöht werden soll, bleibt nur der Gewinnaufschlag und damit die Preiserhöhung — in Formel (3) : P. Der verstärkte Preisauftrieb in den sechziger scheint — um Jahren dies einmal vorwegzunehmen — grundsätzlich durch diesen Kompensationsprozeß, der die Mengenkonjunktur durch Preiskonjunktur die zu entscheidend mitbestimmt ersetzen beginnt, worden zu sein.
Man könnte an dieser Stelle nun einwenden, daß diesen Preisauftriebstendenzen dadurch entgegengewirkt wird, daß mögliche Sättigungstendenzen dazu führen, daß das Sparvolumen (und damit Preisüberwälzungsspielräume bzw. daß der -einengt) Unter nehmer sich gezwungen sieht, Preiszugeständnisse zu machen um damit über erhöhte Kapazitätsauslastung die Gewinnsumme zu steigern). Doch sowohl der erste — mehr nachfragetheoretische — Ansatz als auch der zweite — mehr angebotstheoretische — Ansatz scheitern angesichts der tatsächlichen Entwicklung. Denn gerade die jüngste Entwicklung der zurückliegenden Jahre ist durch zwei entscheidende Aspekte geprägt:
a) Durch einen zunehmenden Konzentrationsprozeß: Es kann an dieser Stelle weder darum gehen, die Diskussion über die Messungsmöglichkeiten des gegenwärtigen Konzentrationsgrades noch die Diskussion über die wachstumspolitischen Vor-und Nachteile der Konzentration (z. B. Nutzung und Finanzierung des technischen Fortschritts) nachzuvollziehen. Auch kann hier auf eine Prognose der weiteren Konzentrationstendenz verzichtet werden. Allein entscheidend ist der Tatbestand selbst, der in Kartellen, Fusionen und — mehr oder weniger stillschweigenden — Absprachen, Preisempfehlungen und Musterkalkulationen der Verbände seinen konkreten Ausdruck findet. Der um die Jahresmitte 1972 vorgelegte Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes zeigt dies deutlich auf. Wie auch immer dieser Trend zu bewerten ist — eines steht fest: Er schafft — gegenüber einer echten Wettbewerbskonkurrenz — die Möglichkeit einer „autonomen" Gewinnplanung. Das bedeutet konkret: Eine konzentrierte Wirtschaft kann jenes Absatzvolumen bestimmen, das — unter Berücksichtigung der dadurch erzielbaren Verkaufspreise —-ein Gewinnmaximum ergibt.
Und die Wissenschaft hat (schon seit langem) recht eindeutig nachgewiesen, daß unter solchen Bedingungen das reale Wachstum geringer, die Preissteigerungsraten höher sind. Insoweit entfällt von der Angebotsseite her gesehen die Notwendigkeit, Preiszugeständnisse zu machen. Und das heißt wiederum: Auch bei gestiegenen Einkommen (und partiell gegebenen Sättigungstendenzen) wird durch die erzwungene Preissteigerung von vornherein ein von der Einkommensentwicklung her gesehen an sich möglicher und von den Sättigungstendenzen her gesehen an sich begünstigter Anstieg des Sparvolumens verhindert. b) Durch eine verstärkt außenwirtschaftliche Orientierung: Die Ergebnisse der Tabellen 2 und 3 sprechen hier eine sehr deutliche Sprache. Sie zeigen: (1) das deutliche Bemühen, durch eine zurückhaltende Preispolitik auf den Auslandsmärkten in den sechziger Jahren sich diese Märkte zu sichern; (2) den Erfolg dieser Politik: Etwa 75 vH des gesamten Handelsüberschusses der Zeit von 1951 bis 1970 wurde in den sechziger Jahren erzielt; (3) das darüber hinausgehende Bemühen, durch einen langfristigen Nettokapitalexport von vornherein den möglichen Ausbau weiterer Kapazitäten im Inland zu verhindern. — Wenn auch zunächst festgestellt werden konnte (s. o.), daß Außenhandelsüberschüsse positive Wachstumseffekte haben können (insbesondere deshalb, weil hierin ein Ankurbelungseffekt für eine weiterführende Inve27 stitionstätigkeit zu sehen ist), so muß dieses Urteil, was die jüngste wirtschaftliche Entwicklungsphase der BRD betrifft, relativiert werden. Denn eine solche außenwirtschaftliche Orientierung geht in dieser Phase eine recht „glückliche" Synthese mit der angebotsorientierten Entwicklung ein. Auch sie dient letztlich dazu, das inländische Angebot zu verknappen, um entsprechende Preiserhöhungsspielräume zu schaffen. Auch aus der Sicht der Nachfrage entfällt damit die Notwendigkeit, Preiszugeständnisse im Inland zu machen, weil ja das Inlandsangebot durch diese Entwicklung verknappt wird.
Spezifische Entwicklungen auf der Angebots-und der Nachfrageseite tendieren also dahin, autonome Stabilisierungseffekte des Preisniveaus zu unterbinden. Die Diskussionen um Fusionskontrollen (die die Konzentration erschweren) und Aufwertungen (die die außen-wirtschaftliche Ausweichmöglichkeit erschweren) zeigen die Interessenkonstellation über-deutlich an. Denn sie würden das gefährden, was im Mittelpunkt steht: die Aufrechterhaltung des Junktims zwischen Investition und Investitionsrentabilität. 14. Dies führt schließlich aber zu der Frage, welche Rolle — unter den gegebenen Bedingungen — eine Preisstabilisierungspolitik überhaupt noch zu leisten vermag. Zwei theoretische Alternativen stehen im Grunde zur Diskussion: a) Eine forcierte Expansionspolitik, die darauf ausgerichtet ist, den Angebotsspielraum systematisch auf dem Wege der Produktivitätssteigerung zu erhöhen. Insbesondere ist dabei daran zu denken, daß eine staatliche Infrastrukturpolitik erst einmal die Voraussetzung für eine Produktivitätssteigerung im privatwirtschaftlichen Konsum-und Investitionsgüterbereich schafft.
Der Gedanke ist an sich bestechend: Durch ein erhöhtes Angebot könnte ein Druck auf die Preiserhöhungsspielräume erfolgen.
Doch die Problematik ist offenkundig: Eine solche Politik übersieht, daß der Druck auf das reale Wachstum auch von der Nachfrageseite her besteht (Sättigungsproblematik), womit eine so konzipierte Wachstumspolitik eher geeignet sein könnte, die damit verbundene Auslastungsproblematik noch zu verschärfen. Hinzu kommt, daß eine staatliche Infrastrukturpolitik zwangsläufig zunächst die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht und damit neue Preiserhöhungsspielräume schafft.
b) Eine forcierte Restriktionspolitik, die darauf ausgerichtet ist — sei es durch Verringerung des Geldvolumens, Reduzierung der öffentlichen Ausgaben oder Steuererhöhungen —, die Nachfrage zu drosseln, um sie noch mehr dem verringerten Angebots-spielraum anzupassen. Mit dieser Konzeption soll über eine Nachfragedrosselung ein Druck auf die Preiserhöhungsspielräume ausgeübt werden. Doch die Problematik ist ebenfalls offenkundig. Mit einer solchen Politik wird die Auslastungsproblematik eher noch verschärft und die — ohnehin schon praktizierte — Kompensation über die Preissteigerungen geradezu provoziert.
Und die Gefahr kann nicht ausgeschlossen werden, daß am Ende das reale Wachstum noch geringer, die Preissteigerungsraten noch höher sind.
Beide theoretischen Modelle einer Preisstabilisierungspolitik sind insofern nicht frei von der Gefahr, daß sie u. U. das Gegenteil ihrer beabsichtigten Wirkung — nämlich zusätzliche Preissteigerungen — herbeiführen könnten. 15. Der Grund für diese Konfliktsituation muß darin gesehen werden, daß die beiden Denkansätze die eigentliche Preissteigerungsursache unbeeinflußt lassen. Dies wird noch besonders deutlich, wenn man sich die praktizierte Konjunktur-bzw. Stabilitätspolitik in den sechziger Jahren vor Augen führt. Sie war überwiegend von der Intention des zweiten Denkansatzes getragen, über eine globale Nachfragesteuerung die Preiserhöhungsspielräume zu drücken, um von daher die Preissteigerungen in den Griff zu bekommen. Im eingangs erwähnten Stabilitätsgesetz ist dieses Bemühen kodifiziert. Doch die damit unbeeinflußte Wurzel der Preissteigerungsursachen in Verbindung mit den bereits aufgezeigten veränderten Nachfrage-und Angebotsbedingungen führt zu einer schwerwiegenden Konfliktsituation: a) Will man die Investitionen sichern, gleichzeitig aber aus Stabilitätsgründen die Nachfrage drosseln und Druck auf weitere Preissteigerungen ausüben, entfallen sowohl Mengen-als auch Preiserhöhung als strategische Variable zur Aufrechterhaltung der Gewinnsummen bzw. -quoten. Was dann also bleibt, ist der Druck auf die Kosten — und dabei vor allem auf die Lohnkosten —, um von einer Kostenentlastung her die Gewinnsumme aufrechtzuerhalten. Preisstabilitätspolitik heißt dann aber konkret: die Herbeiführung von sog. Stabilitätskrisen, die Arbeitslosigkeit bedeuten können und insofern geeignet sind, die Gewerkschaften zu einem Verzicht auf weitere Lohnerhöhungen zu zwingen. Die Rezession der Jahre 1966/67 in der BRD scheint für eine derartige Konstellation typisch gewesen zu sein.
b) Will man freilich — aus der Verantwortung für die Existenzsicherung der Arbeitnehmer heraus — Preisstabilität über eine Stabilisierungskrise nicht erreichen, entfällt der Kostendruck als strategische Variable. Es bleibt dann bei weiteren Einkommenserhöhungen, die — eben unter den gegebenen Angebotsbedingungen — unmittelbar in die Preise weitergegeben werden, womit eine erhöhte Sparquote verhindert und die zur Preisüberwälzung erforderlichen Nachfragespielräume geschaffen werden — Nachfragespielräume, die freilich nur nominalen, nicht realen Charakter haben und insoweit von bestehenden Sättigungstendenzen nicht betroffen sind. Hier wird dann aber eines deutlich: Verzicht auf echte Stabilisierungskrisen ist gleichbedeutend mit einem Verzicht auf Preisstabilität; die Entwicklung der Jahre 1971/72 scheint für diese Konstellation typisch zu sein.
Die Konfliktsituation ist also offenkundig; sie läßt sich mit dem herkömmlichen Instrument der Konjunkturpolitik — einer Globalsteuerung, die sich auf das Nachfragevolumen beschränkt — nicht mehr lösen. Und auch eine Verbesserung dieses Instruments scheitert, solange an seiner grundlegenden Intention (der Wachstumssicherung über die Sicherung der Investitionsrentabilität) festgehalten wird. 16. Die Frage stellt sich somit unausweichlich: Sind Preissteigerungen unser Schicksal; bleibt der Konflikt mit dem Wachstum unlösbar? Die Bejahung dieser Frage führt unmittelbar zur Resignation, wobei es sehr bemerkenswert ist, daß diese Resignation bereits wissenschaftlich zu rechtfertigen versucht wird. Die bekannte These von der „LohnPreis-Spirale“ (wonach Lohnsteigerungen eben zu Preissteigerungen führen müssen) geht in diese Richtung. Diese Thesen erscheinen deshalb gefährlich, weil sie den eigentlichen Anhelpunkt der aktuellen Konfliktsituation zu übertünchen geeignet sind. Und dieser Angel-punkt besteht dreifach: a) In den spezifischen Voraussetzungen: der unbewiesenen — ja ungeprüften — These, daß im Interesse des Wachstums der privatwirtschaftliche Investitionsprozeß und in dessen Interesse die privatwirtschaftliche Investitionsrentabiltät in bestehendem Maße erforderlich sind.
b) In den spezifischen Nachfragebedingungen, die eine beliebige Mengenstrategie immer problematischer und von daher — bei den gegebenen Voraussetzungen — die Preis-kompensation als die ultima ratio erscheinen lassen.
c) In den spezifischen Angebotsbedingungen, die eine Wettbewerbskonkurrenz — direkt oder über den Versuch, auf Auslandsmärkte auszuweichen, — zunehmend ausschalten und damit die institutioneilen Voraussetzungen schaffen, die Politik der Preiskompensation auch erfolgreich durchzusetzen.
Solange diese drei Bedingungen erhalten bleiben, wird man sich in der Tat hinsichtlich des Zieles der Preisstabilität keine Illusionen machen dürfen. Mag es auch gelingen, partiell und zeitweise die Preissteigerungsraten zu vermindern — der Konflikt mit der Wachstumsbedingung bleibt ungelöst, abgesehen davon, daß sich am Tatbestand einer anhaltend schleichenden Inflation auch nichts ändert. Denn wenn sich Preisschübe mit zeitweiliger Preisstabilität abwechseln, steigt im langfristigen Durchschnitt das Preisniveau doch an. Nur im Unterschied zu den Bedingungen der fünfziger Jahre wird die zeitweilige Preisstabilität jetzt mit — über Stabilisierungskrisen herbeigeführter — Arbeitslosigkeit erkauft. Und wenn man bedenkt, daß sich selbst im Krisenjahr 1967 — bei realer gesamtwirtschaftlicher Stagnation und knapp 460 000 Arbeitslosen (im Jahresdurchschnitt) — die Preise beim Privaten Verbrauch um gut 1, 5 vH erhöhten, so ergibt sich hier die Vorstellung vom Ausmaß einer notwendigen Stabilisierungskrise, die völlige Preisstabilität oder gar eine — den voraufgegangenen Preisschub korrigierende — Preissenkung herbeiführen kann.
Neue Fragen drängen sich auf:
a) Ist die Wachstumsbedingung in der bestehenden Form noch hinzunehmen (in Verbindung mit der daraus gefolgerten Sicherstellung des privatwirtschaftlichen Investitionsprozesses), oder bedarf es nicht verstärkt einer Steuerung des gesamtwirt29 schaftlichen Investitionsprozesses, die darauf abzielt, den Investitionsprozeß natürlich nicht umfassend, aber graduell verstärkt von privaten (gewinnorientierten) auf öffentliche (versorgungsorientierte) Bereiche umzustrukturieren, um Sättigungstendenzen zu entgehen und gleichzeitig das immer drängender werdende Problem der Kollektivgüterversorgung besser zu lösen? b) Sind die Verteilungskonsequenzen als „offene Flanke" noch hinzunehmen (in Verbindung mit den spezifischen Angebotsbedingungen, die eben diese Verteilungskonsequenzen erzwingen) oder bedarf es nicht der Entwicklung einer Verteilungskonzeption, die — indem sie den bestehenden Gewinnanspruch sichtbar macht, ihn seines vorgegebenen „sachgesetzlichen" Charakters entkleidet und insofern natürlich nicht völlig in Frage stellt, aber doch relativiert — mit dem Anspruch „soziale Marktwirtschaft ernst macht und von daher einen Beitrag zur gesellschaftspolitischen Stabilität leistet?
Man wird sich darüber im klaren sein müssen: D: iese Fragen stellen, heißt, sich mit dem Problem auseinandersetzen, was von dem gegebenen Wirtschaftsablauf unabweisbare ökonomische Sachbedingungen sind, und was nur die Konsequenz ungeprüfter Hypothesen und Ausgangspositionen ist. Nicht umsonst hat der Verein für Socialpolitik seine Jubiläums-tagung zum hundertjährigen Bestehen im September 1972 unter das Thema gestellt: Macht und ökonomisches Gesetz. Aus der Analyse müßte deutlich geworden sein, daß der bestehende Konflikt zwischen Wachstum und Preisstabilität nicht — zumindest: nicht nur — eine Frage ökonomischer Sachgesetzlichkeiten darstellt. Wenn dies erkannt wird (aber auch nur dann), besteht zur Resignation kein Anlaß.
Literaturverzeichnis
Abbildung 6
Verteilungsrechnung Tabelle 4 Durchschnittliche jährliche Veränderungsraten in vH Aggregat 1951 bis 1960 1961 bis 1970 — Gesamtverteilung — Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit + 11, 5 Bruttoeinkommen aus Unternehmer-tätigkeit und Vermögen + 10, 7 + 9, 5 + 6, 4 — Pro-Kopf-Verteilung — Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit (je Unselbständige) + 7, 9 + 8, 4 Bruttoeinkommen aus Unternehmer-tätigkeit und Vermögen (je Selbständige) + 11, 7 + 8, 7 1951 bis 1970 + 10, 5 + 8, 5 + 8, 2 + 10, 2
Verteilungsrechnung Tabelle 4 Durchschnittliche jährliche Veränderungsraten in vH Aggregat 1951 bis 1960 1961 bis 1970 — Gesamtverteilung — Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit + 11, 5 Bruttoeinkommen aus Unternehmer-tätigkeit und Vermögen + 10, 7 + 9, 5 + 6, 4 — Pro-Kopf-Verteilung — Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit (je Unselbständige) + 7, 9 + 8, 4 Bruttoeinkommen aus Unternehmer-tätigkeit und Vermögen (je Selbständige) + 11, 7 + 8, 7 1951 bis 1970 + 10, 5 + 8, 5 + 8, 2 + 10, 2
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Werner Glastetter, Dr. rer. pol., geb. am 11. 8. 1937 in Ettlingen (Baden), wissenschaftlicher Referent im Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Institut des DGB (Hauptgebiete: Konjunkturforschung, Prognose, Außenwirtschaft). Veröffentlichungen: Das Integrationsproblem in den ökonomischen Grundwissenschaften, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1966; Wachstums-konzeption und Politische Ökonomie, Köln 1971; Aufsätze in den WWI-Mitteilungen und den Gewerkschaftlichen Monatsheften zu Fragen der konjunkturellen Lage in der BRD, der EWG-Konjunktur, Wachstum und Verteilung, Aufwertung und Verteilung, internationale Währungsprobleme.