Vermögenspolitik -Instrument zur Systemstabilisierung oder Systemüberwindung ?
Uwe Andersen
/ 54 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Das Thema Vermögenspolitik hat in den letzten Jahren zunehmend an Aktualität gewonnen, nicht nur in der wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch im politischen Entscheidungsbereich. Dabei ist zu konstatieren, daß Definitionsprobleme und die unzureichende statistische Durchleuchtung der Vermögensverteilung dazu führen, daß sich die politischen Kontroversen in den Bereich der statistischen Analyse vorverlagern. Der Beitrag versucht, einen Überblick über die Vermögensverteilung, deren Ursachen und Gefahren zu geben. Auf dem Hintergrund einer Analyse der bisher realisierten vermögenspolitischen Maßnahmen werden die wichtigsten weitergehenden Pläne untersucht. Dabei werden vor allem die vermögenspolitischen Zielprobleme diskutiert. Der wichtigste kontroverse Punkt dürfte die Frage sein, ob eine möglichst breite Streuung von Individualvermögen anzustreben ist oder neue Formen kollektiver Vermögensbildung verwirklicht werden sollen. Während eine breite Streuung von Individualvermögen das bestehende System vermutlich weiter stabilisieren würde, wären Kollektivfonds mit Ausschluß individueller Verfügungsrechte als potentielle Instrumente der „Systemüberwindung" anzusehen. Um ein Urteil über die Realisierungschancen der verschiedenen Modelle zu erleichtern, werden die vermögenspolitischen Positionen der Parteien und Verbände kurz analysiert.
. Nachdem die Vermögensverteilung und damit verbunden die Vermögenspolitik in der Nachkriegszeit lange stiefmütterlich behandelt wurde, ist in den letzten Jahren geradezu eine Inflation vermögenspolitischer Pläne zu verzeichnen. Auch die Parteien haben sich zunehmend dieses Themas bemächtigt und ihm z. B. in ihren Wahlprogrammen zur vorgezogenen Bundestagswahl 1972 einen wichtigen Platz eingeräumt. Die größere Aktualität des Themas nunmehr auch im politischen Entscheidungsbereich geht einher mit verstärkten Auseinandersetzungen über die Ziele einer Vermögenspolitik. Der. wichtigste Streitpunkt ist dabei die Frage, ob individuelle oder kollektive Vermögensbildung anzustreben und damit verbunden, ob Vermögenspolitik als Instrument zur Stabilisierung oder „Überwindung" des bestehenden Wirtschaftsund Gesellschaftssystems auszugestalten ist.
Im folgenden wird versucht, einen Überblick über Stand, Pläne und wichtige Probleme der Vermögenspolitik zu geben, wobei der Frage des Systembezuges, wie bereits im Titel angedeutet, besonderes Gewicht beigemessen wird.
I. Die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik
An der Beurteilung der Vermögensverteilung in der Bundesrepublik scheiden sich die Geister. Zwar gibt es in der Diskussion kaum Stimmen, die die bestehenden Verteilungsrelationen für befriedigend halten, aber die Spannweite der Kritik reicht vom schlichten Urteil „skandalös" bis zur Verharmlosung bestehender Ungleichheiten. Dabei spielt zweifellos eine Rolle, daß schon der Vermögens-begriff unterschiedliche Auslegungen erfährt und unterschiedliche Vermögensarten mit unterschiedlichen Wertakzenten versehen werden. Schon die scheinbar nur technische, von statistischen Erhebungsmöglichkeiten beeinflußte Definition dessen, was unter Vermögen zu verstehen ist, enthält weitreichende politische Implikationen, da sie über den Grad der Vermögenskonzentration vorentscheidet.
Das private Gebrauchsvermögen z. B. geht nicht in den Vermögensbegriff der Statistiken ein, sondern wird dem Konsumsektor zugeschlagen, auch wenn es sich um langfristige Konsumgüter wie Autos, Waschmaschinen usw. handelt. Damit wird ein nivellierender Faktor eliminiert, da das Gebrauchsvermögen die Vermögensart mit breitester Streuung sein dürfte. Dabei muß in Kauf genommen werden, daß das gleiche Gut, z. B. ein Auto, in einem Betrieb als Vermögen statistisch erfaßt wird, bei einer Privatperson aber nicht. Diese unterschiedliche Behandlung wird damit gerechtfertigt, daß das Auto im Betrieb anders als bei Privaten dazu dient, Erträge zu erwirtschaften. Diese Abgrenzung wird aber bei privatem Wohneigentum durchbrochen, das als Vermögen zählt. Dafür läßt sich anführen, daß man bei Hauseigentümern die Mietersparnis als Ertrag unterstellen kann. Da dies aber auch bei Waschmaschinen theoretisch möglich ist, erscheint diese Begründung logisch nicht schlüssig. Für die Einbeziehung des Wohneigentums dürfte die praktische Erwägung maßgebend sein, daß seine Ausklammerung vor allem wegen der beträchtlichen Größenordnung zu offensichtlich unhaltbaren Ergebnissen führen müßte.
Problematisch ist auch die Behandlung des „Sozialvermögens". Während z. B. Lebens-und Rentenversicherungsansprüche gegen private Versicherungen zum Vermögen gezählt werden, geschieht dies bei Ansprüchen aus der gesetzlichen Sozialversicherung und auf Beamtenpensionen nicht, obwohl die Funktion — Altersversorgung — weitgehend die gleiche ist. Jeder der Versicherungspflicht unterliegende Arbeitnehmer z. B. bringt seit dem Januar 1973 monatlich 18% seines Einkommens für die Alterssicherung auf 1). Der Kapitalwert von Ansprüchen aus der Rentenversicherung hat nach Schätzungen die Größenordnung von 800 Milliarden DM Allerdings steht diesen Ansprüchen bei der Rentenversicherung kein realer Aktivposten in auch nur annähernd gleicher Größenordnung gegenüber. Das Sozialversicherungssystem basiert auf dem Kapitalumlageverfahren, d. h. die jeweils arbeitende Generation muß aus ihren Beiträgen die Renten für die aus dem Arbeitsleben Ausscheidenden aufbringen. Dennoch gilt: „Wenn man unter Vermögen in Geldeinheiten berechnete oder in Geldwert ausdrückbare Ansprüche versteht, auch wenn sie nicht jederzeit, sondern nur unter bestimmten Bedingungen liquidierbar sind, so gehören auch Anwartschaften und Rentenansprüche zum Vermögen der Versicherten. In diesem Sinne stellt die gesamte Rentenversicherung eine wesentliche Form der individuellen Vermögensbildung dar" Für eine Ausklammerung der Sozialversicherungsansprüche sprechen die fehlende Vererbbarkeit und die beschränkte Liquidität, aber damit wird ein Zwangssparen der Unselbständigen in erheblicher Größenordnung aus der Statistik eliminiert. Insbesondere die Ungleichbehandlung von Selbständigen, die für eine entsprechende Altersversorgung Vermögen bilden bzw. sich privat versichern müssen, bleibt problematisch. Sie dürfte aber durch die zunehmende Öffnung der Sozialversicherung auch für die Selbständigen an Gewicht verlieren.
Zu erörtern ist auch die Beziehung zwischen staatlichem und privatem Vermögen. Das staatliche Vermögen ermöglicht als Kollektiv-vermögen keine individuellen Verfügungsrechte, und seine Einbeziehung in das private Vermögen wäre irreal, obwohl positive Folgen eines „öffentlichen Reichtums" für die Lebenslage des Bürgers, z. B. auf dem Bildungssektor, nicht zu übersehen sind. Bei einer hypothetischen Einrechnung hätte das staatliche Vermögen eine nivellierende Tendenz, da es wegen des Gleichheitspostulats qua Definition völlig gleich zu verteilen wäre. Da die Verfügung über das staatliche Vermögen aber politischen Mehrheitsentscheidungen unterliegt, handelt es sich bei der Gleichverteilung um eine Fiktion. Der individuelle Nutzen staatlichen Vermögens ist höchst unterschiedlich, und auch die Teilprivatisierungen von Bundesvermögen haben gezeigt, daß das Gleichheitspostulat durchbrochen werden kann.
Für die Eingrenzung des Vermögensbegriffes auf ertragbringendes Sachvermögen und zins-tragende Forderungen, die den Vermögens-statistiken im wesentlichen zugrunde liegt, gibt es gute Gründe. Man sollte sich jedoch der bereits mit der Vermögensdefinition verbundenen Probleme bewußt sein.
Eine weitere Schwierigkeit für eine genaue Analyse der Vermögensverteilung besteht in dem unzulänglichen Material für diesen Bereich, obwohl in den letzten Jahren Verbesserungen zu verzeichnen sind. Bemerkenswert ist, daß die „ 5 Weisen" — der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages, „auch die Bildung und die Verteilung von Einkommen und Vermögen" zu untersuchen, eine Verbesserung der statistischen Unterlagen für notwendig hielten. Ein von der Regierung der Großen Koalition daraufhin vorgelegter Gesetzentwurf scheiterte 1968 daran, daß sich CDU und SPD trotz ihrer Übermacht im Bundestag als unfähig erwiesen, den Einspruch des Bundes-rates, und zwar sowohl von CDU-wie SPD-geführten Länderregierungen, mit der notwendigen Mehrheit zurückzuweisen. Der Verdacht liegt nahe, daß hier nicht nur sachliche Einwände — Unzulänglichkeiten des Gesetz-entwurfes, zu hohe Kosten — entscheidend waren, sondern auch politisches Desinteresse an einer genaueren Durchleuchtung der Einkommens-und Vermögensverteilung eine Rolle spielte. Jedenfalls führen die Problematik des Vermögensbegriffes und die unzulänglichen statistischen Daten dazu, daß sich über die Vermögensverteilung trefflich streiten läßt und sich die politische Auseinandersetzung damit technisch verhüllt in den Bereich der statistischen Analyse vorverlagert. Im folgenden sollen anhand einiger ausgewählter Statistiken zumindest die Größenordnungen der bestehenden Vermögensverteilung verdeutlicht, zugleich aber die Schwächen der jeweiligen Statistik und damit die Notwendigkeit einer stärkeren statistischen Differenzierung als Grundlage einer Analyse aufgezeigt werden.
Anmerkungen zu Tabelle 1
Gesamtwirtschaftlich gesehen gibt es Vermögen nur in Form von Sachvermögen, da sich Geldforderungen und -Verpflichtungen ausgleichen. Das Sachvermögen wird überwiegend bei den Unternehmen und Gebietskörperschaften gebildet. Die privaten Haushalte verfügen ex Definition über kein Sachvermögen, das private Wohnungseigentum ist deshalb dem Unternehmenssektor zugeschlagen worden. Der negative Finanzierungssaldo der Unternehmen drückt den Grad der Fremdfinanzierung aus, er bezeichnet den Teil des Sachvermögens, dem Forderungen vor allem der privaten Haushalte gegenüberstehen. Die Nettovermögensbildung der Unternehmen erfaßt dagegen den mittels Selbstfinanzierung geschaffenen Teil des Sachvermögens. Eine Abgrenzungsschwierigkeit ergibt sich dabei für das Sparen selbständiger Unternehmer, das oft die Form nichtentnommener Gewinne annimmt, die den Unternehmen zugerechnet werden. Unternehmen in staatlichem Eigentum, auch z. B. die Bundesbahn, werden zum Unternehmenssektor gezählt.
Auffallend ist der wachsende Anteil der Vermögensbildung der privaten Haushalte, der auf Kosten sowohl der Unternehmen wie der Gebietskörperschaften geht. Bemerkenswert ist weiter das rapide Vermögenswachstum, das sowohl bei einem Vergleich der Zehnjahresperioden als auch der Zahlen von 1970 und 1971 mit den Zehnjahresdurchschnitten sichtbar wird Dieses starke Vermögenswachstum ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil es als Argument dafür dient, eventuelle Eingriffe in die Vermögensverteilung auf neu zuwachsendes Vermögen zu beschränken. Da die Verteilungsrelationen des neuen Vermögens langfristig die Verteilung des Gesamtvermögens bestimmen würden, sei eine solche Beschränkung vertretbar.
Die Zahlen der Bundesbank sind ziemlich zuverlässig. Es scheint aber angebracht, auf ei-nige Begrenzungen der Aussagekraft dieser Statistik hinzuweisen. Sie gibt die Vermögensneubildung seit 1950 wieder, klammert also das auf etwa 200 Mrd. DM geschätzte Altvermögen aus. Außerdem handelt es sich bei den Zahlen um Zeitwerte, d. h. inflationsbedingte Wertsteigerungen des Sachvermögens sind nicht einbezogen. Für 1970 ist der Wert des deutschen Sachvermögens in Preisen von 1970 auf 1, 8 Billionen DM geschätzt worden Zwar stellen die inflationsbedingten Bewertungsgewinne volkswirtschaftlich gesehen nur Scheingewinne dar, aber sie begünstigen die Sachwertbesitzer und beeinflussen daher die Vermögensverteilung. Schließlich gibt die Bundesbankstatistik nur eine Aufteilung nach wirtschaftlichen Funktionsbereichen, die über die Verteilung auf soziale Gruppen oder Personen nichts aussagen kann.
Anmerkungen zu Tabelle 2
Tabelle 2 baut auf Tabelle 1 auf und ist daher auch mit deren Beschränkungen — Ausschluß des Altvermögens vor 1950 und inflationsbedingter Wertsteigerungen — behaftet. Andererseits ist in ihr versucht worden, private Aufwendungen für den Wohnungsbau aus dem Unternehmenssektor herauszunehmen und bei den privaten Haushalten zu berücksichtigen. Eine weitere Änderung ergibt sich dadurch, daß bei den Klammerzahlen auch die nichtentnommenen Gewinne der Einzelunternehmen und Personengesellschaften aus dem Unternehmenssektor herausgenommen und den privaten Haushalten, genauer der Gruppe der Selbständigen, zugeschlagen worden sind. Die Aufteilung der Vermögensbildung privater Haushalte auf sozio-ökonomische Gruppen ist mit Hilfe von Stichproben und Schätzungen erfolgt, die der Berechnung einen geringeren Sicherheitsgrad geben. „Sie kann nur Anhaltspunkte über die soziologische Struktur der privaten Vermögensbildung liefern" Bei der Interpretation ist einmal die Veränderung der Verteilungsrelationen zwischen Unselbständigen und Selbständigen von 56 : 44 (33 : 67) auf 64 : 36 (43 : 57) zugunsten der Unselbständigen zu beachten. Um die Veränderung in der personellen Stärke der Gruppen zu berücksichtigen, bietet sich ein Pro-Kopf-Vergleich an. Auch der prozentuale Zuwachs pro Kopf weist auf einen „sich abzeichnenden Abbau in der Verteilungsungleichheit der jährlichen Vermögensbildung" hin, aber dieser bleibt sehr relativ, wenn man sich vergegenwärtigt, daß auch für den Zeitraum 1950— 1969 sich das Pro-Kopf-Vermögen der Gruppen der Arbeiter und Selbständigen wie 1 : (1 : 20) verhält.
Der wichtigste methodische Nachteil eines solchen Gruppenvergleiches ist bei inhomogenen Gruppen die Verschleierung der gruppen-internen Unterschiede durch Durchschnitts-werte. Die tatsächlichen Vermögensunterschiede können erst durch eine personale Aufteilung nach Größenklassen offengelegt werden, da z. B. die Gruppe der Angestellten auch die Vorstandsmitglieder großer Aktiengesellschaften umfaßt, während zu den Selbständigen auch der kleine Kioskverkäufer zählt.
Anmerkungen zu Tabelle 3
Die Zahlen beruhen auf getrennten Schätzungen der einzelnen Vermögensarten und beziehen das Altvermögen und grundsätzlich auch Wertsteigerungen ein. So sind beispielsweise die anachronistischen Einheitswerte des Grundvermögens von 1935 anhand des Baukostenindex korrigiert worden, doch wurde damit noch nicht die weit stärkere Steigerung der Grundstückspreise erfaßt. Insgesamt sind diese Schätzungen mit erheblichen Fehlerquellen behaftet; insbesondere das landwirt-schaftliche Vermögen, das Grundvermögen und ein Teil des Produktivvermögens dürften zu niedrig angesetzt worden sein. Die Autoren rechnen selbst mit einer Fehlergrenze von 25— 33 % 8).
Bemerkenswert ist vor allem der verminderte Anteil des Produktivvermögens, der aber im wesentlichen darauf zurückzuführen ist, daß die Aktienkurse von 1960— 1966 um über 30 °/o fielen, damit aber auch der statistisch erfaßte Wert der Kapitalbeteiligungen.
Anmerkungen zu den Tabellen 4 und 5
Beide Tabellen beruhen auf der in 3-Jahres-
Abständen anfallenden und leider auch drei Jahre Aufbereitungszeit benötigenden Vermögenssteuerstatistik, die mit den bereits bei Tabelle 3 verwendeten Methoden korrigiert wurde und daher auch den gleichen Einwänden unterliegt. Sie geben Einblick in die Vermögensverteilung nach Größenklassen und Vermögensarten, auch wenn sich wegen der Steuerfreibeträge und der steuerlichen Unterbewertung aufgrund der Einheitswerte der Einblick auf die oberen 2 % beschränkt und die Abstufung innerhalb der restlichen 98 % offen bleibt.
Tabelle 4 weist für das Gesamtvermögen eine erhebliche Ungleichheit nach, „auf der anderen Seite kann doch von einer Konzentration des privaten Vermögens in wenigen Händen keine Rede sein" Immerhin ergibt sich bereits bei der irrealen Annahme einer Gleichverteilung innerhalb der oberen 1, 7% und der Restgruppe ein Maß an Ungleichheit von 31 : 1 1960, das sich 1966 auf 26 : 1 vermindert. Die Verminderung beruht allerdings weitgehend auf der gesunkenen Bedeutung des Produktivvermögens innerhalb des Gesamtvermögens, auf die schon bei den Anmerkungen zu Tabelle 3 hingewiesen wurde.
Das schockierendste Ergebnis erhält man aber erst bei der Analyse der einzelnen Vermögensarten. Während, wie Tabelle 5 nachweist, das landwirtschaftliche Vermögen den geringsten und auch Grund-und Geldvermögen noch einen relativ niedrigen Konzentrationsgrad aufweisen, ergibt sich bei dem Betriebsvermögen und den Kapitalanteilen ein exorbitant hoher Konzentrationsgrad, ein Verhältnis zwischen den Gruppen von 136 : 1 1960 (164 : 1 1966).
Daß 1, 7% der Haushalte 1960 über 70% des Produktivvermögens verfügten, war denn auch ein weithin publiziertes Resultat, das in der öffentlichen Diskussion zu Recht eine große Rolle spielte und das wichtigste Argument für das Urteil lieferte, die Vermögens-verteilung sei „skandalös". Nach der Siebke-Untersuchung gibt es auch keinen Anlaß, einen trendmäßigen Abbau dieser extremen Konzentration zu erwarten. Bis 1966 zumindest hat sich die Konzentration des Produktivvermögens mit 74 % in der Hand von 1, 7% der Haushalte weiter verschärft. Allerdings würde eine isolierte Betrachtung des Produktivvermögens das Gesamtbild verfälschen. „Die Verteilung des Eigentums an Unternehmungen, die in den letzten Jahren so stark diskutiert wird, ist nicht ausschlaggebend für die Verteilung des privaten Vermögens im ganzen"
Die Konzentration des Produktivvermögens erhält jedoch einen besonderen Stellenwert dadurch, daß diese Vermögensart spätestens seit Marx einen besonderen gesellschaftspolitischen Wertakzent bekommen hat. So hat sich von Gewerkschaftsseite Höhnen dagegen gewandt, die extreme Konzentration des Produktivvermögens durch den Hinweis auf den geringeren Konzentrationsgrad anderer Vermögensarten zu relativieren: „Diese Argumentation .. . geht indessen am Kern des Problems vorbei, das in der Konzentration gesellschaftspolitisch relevanter Verfügungsmacht über unternehmerisch genutztes, d. h. zum Zwecke privatwirtschaftlicher Kapitalverwertung eingesetzes Produktivvermögen begründet liegt. Weder das Sparguthaben noch das Einfamilienhaus einzelner Personen und Haushalte vermitteln derartige Verfügungsmacht" Wieweit diese Argumentation in der vermögenspolitischen Zielsetzung ausgenommen worden ist, wird noch zu erörtern sein. Im folgenden sollen vorerst einige wesentliche Ursachen der bestehenden Vermögensverteilung verdeutlicht werden.
Das Ende des Krieges und die Währungsreform bescherten keineswegs eine Stunde Null für die Vermögensverteilung. Zwar brachte die Währungsreform nahezu eine Enteignung des Geldvermögens, aber damit wurde keineswegs Chancengleichheit hergestellt. Der ursprünglich zusammen mit der Währungsreform geplante Lastenausgleich, der zumindest für eine Gleichbelastung des Geld-und Sachvermögens sorgen sollte, wurde erst verspätet durchgeführt und blieb rudimentär. Die zeitliche Verteilung der Ausgleichsbelastungen des Sachvermögens bis 1979 trug dazu bei, daß ein Eingriff in die Substanz vermieden wurde, die Lastenausgleichszahlungen faktisch aus den Erträgen des Sachvermögens geleistet werden konnten und damit ein echter „Lastenausgleich" unterblieb. Die Eigentümer von Sachvermögen und insbesondere von Produktivvermögen gingen also bereits mit erheblichem Vorsprung in den Verteilungskampf der Nachkriegszeit hinein.
Hinzu kam, daß sich vor allem in den ersten Nachkriegsjahren angesichts des Nachholbedarfes der Bevölkerung an Konsum in der Bundesrepublik ein extremer Verkäufermarkt herausbildete, der den Unternehmen ungeahnte Gewinnraten bescherte. Diese eine Vermögenskonzentration bei den Eigentümern von Produktivvermögen begünstigende Marktsituation wurde durch die Steuergesetzgebung noch verstärkt. DM-Bilanzgesetz, § 7 des Einkommensteuergesetzes, § 36 des Investitionshilfegesetzes sind nur besonders prägnante Stichworte für eine Steuerpolitik, die mittels Bewertungsfreiheit und Abschreibungen eine legale Steuerhinterziehung ermöglichte. Zwar haben überhöhte Abschreibungen grundsätzlich „nur" die Wirkung eines zinslosen Kredites, aber der Ertrag solcher zinslosen Kredite kann die Größenordnung von Milliarden erreichen. Die Möglichkeiten zur Ausnutzung dieser massiven Steuervorteile besaß formal jeder, materiell waren sie jedoch auf den kleinen Kreis der Großverdiener beschränkt. Zu beachten ist allerdings, daß die Steuerpolitik der Nachkriegszeit im Dienste einer Wirtschaftspolitik stand, deren vordringliches Ziel sein mußte, die zur Erreichung der Vollbeschäftigung notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen, und die dafür massive Investitionsanreize einsetzte. Daß Investitionen notwendig waren und angesichts des verständlichen Konsumhungers der Bevölkerung freiwilliges Sparen in hinreichendem Umfang nicht zu erwarten war, kann nicht bestritten werden. Die Frage bleibt aber, ob das der Bevölkerung auferlegte Zwangssparen mittels überhöhter Preise, das sich in den Gewinnen der Unternehmen und einem entsprechenden Spielraum für Selbstfinanzierung niederschlug, und die steuerliche Schonung der für Investitionen verwendeten Gewinne den einzig gangbaren Weg bildeten. Investitionen und angesichts der Situation auch das dazu erforderliche Zwangssparen waren Notwendigkeiten.
Dies gilt aber nicht für den Tatbestand, daß die Eigentumstitel an dem neugeschaffenen Sachvermögen einseitig den Alteigentümern des Produktivvermögens zuflossen. Immerhin hat der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Arnold schon 1951 den Vorschlag eines Investivlohns in die Debatte geworfen.
Vollbeschäftigung und Wachstum waren nach dem Zweiten Weltkrieg vorrangige Ziele der staatlichen Wirtschaftspolitik, und die Auswirkungen auf die Vermögensverteilung scheinen dabei in Kauf genommen bzw. aus dem Blickfeld geraten zu sein. Dies gilt weitgehend auch für die Wissenschaft. Es erscheint z. B. symptomatisch, daß das „magische Zielvieleck" erst mit dem Beginn der . schleichenden'Inflation um die Ecke „Verteilungsgerechtigkeit" für Einkommen und Vermögen bereichert wurde. Unzweifelhaft ist die Vermögensverteilung der Nachkriegszeit sehr stark durch politische Entscheidungen geprägt worden, die die Vermögenskonzentration begünstigt haben; sie kann keineswegs durch persönliche Leistung allein erklärt werden. „Die Steuerpolitik der letzten zwei Jahrzehnte hat — obwohl sie keineswegs vermögenspolitisch motiviert und ausgerichtet war — einen erheblichen Anteil am Zustandekommen, der Höhe, der Verteilung und der Struktur des Vermögens gehabt" Dieser Tatbestand kann geltend gemacht werden für die Forderung, daß es um so mehr Aufgabe der staatlichen Vermögenspolitik sei, aufgetretene Fehlentwicklungen zu korrigieren.
III. Potentielle Gefahren der bestehenden Vermögensverteilung
Abbildung 3
Die Nominalvermögensbildung der privaten Haushalte von 1950 bis 1969
Die Nominalvermögensbildung der privaten Haushalte von 1950 bis 1969
Auch wenn man das Sprichwort „Geld regiert die Welt" zumindest für differenzierungsbedürftig hält, ist offensichtlich, daß mit Groß-vermögen unkontrollierte Macht einhergeht, die Mißbrauch ermöglicht. Die mit Großvermögen verbundene Macht kann sich in verschiedenen Bereichen in unterschiedlicher Form äußern. Im politischen System kann sie z. B. die Form der Parteienfinanzierung annehmen und sich auf diesem Wege in politischen Einfluß verwandeln. Im ökonomischen System kann die Unternehmenskonzentration dadurch noch potenziert und Wettbewerb auch auf diesem Wege unterlaufen werden. Großvermögen können beim Erbgang an Personen geraten, die zur Verwaltung derartiger volkswirtschaftlicher Ressourcen völlig ungeeignet sind, von deren Entscheidung aber eine große Zahl von Arbeitnehmern abhängig ist. Schließlich sollten auch die gesellschaftspolitischen Auswirkungen des von den Massenmedien breitgetretenen Playboy-Daseins einiger Erben großer Vermögen nicht unterschätzt werden. Es ist sicherlich berechtigt und nicht nur mit Neidkomplexen zu erklä-ren, wenn nach der „Gerechtigkeit“ eines Systems gefragt wird, das derartige Auswüchse zuläßt, die Masse der Bevölkerung aber mit Kleinstvermögen abspeist. Längerfristig sind auch stärkere Rückwirkungen auf den Legitimitätsgrad des politischen und ökonomischen Systems nicht auszuschließen. So zeigt sich bei Meinungsumfragen auch wenn diese mit der gebotenen Vorsicht zu interpretieren sind, zumal die Fragen im Zeitablauf unterschiedlich formuliert waren, ein tendenziell zunehmendes Problembewußtsein. Auf die auf den Kreis der Arbeitnehmer beschränkte Frage: „Halten Sie die Vermögensverteilung in der BRD im großen und ganzen für gerecht oder ungerecht?" entschieden sich 1970 bereits 61 °/o für ungerecht und die statistische Analyse gibt diesem Werturteil eine solide Basis. Auf dem Hintergrund der analysierten Vermögensverteilung und der mit ihr verbundenen Gefahren sollen im folgenden die Ziele einer Vermögenspolitik diskutiert werden. Dabei sind als Voraussetzungen einer bewußten Vermögenspolitik zur Änderung der bestehenden Vermögensverteilung hervorzuheben, 1. daß der bestehende Zustand als korrekturbedürftig angesehen wird und 2. daß eine systemimmanente, automatische Korrektur für unwahrscheinlich gehalten wird.
IV. Zielprobleme einer Vermögenspolitik
Abbildung 4
Die Zusammensetzung des Gesamt-oder Reinvermögens 1) der privaten Haushalte Quelle: Jürgen Siebke, a. a. O., S. 30
Die Zusammensetzung des Gesamt-oder Reinvermögens 1) der privaten Haushalte Quelle: Jürgen Siebke, a. a. O., S. 30
Bei den Zielen einer Vermögenspolitik sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Einmal sind die Verteilungsziele zu analysieren, d. h. die Ziele im engeren Bereich der Vermögenspolitik, zum anderen ist deren Verhältnis zu anderen höherrangigen oder gleichrangigen Zielen zu untersuchen, insbesondere inwieweit es sich um ein-oder mehrseitige Förderung oder um Zielkonflikte handelt. Vermögenspolitik kann sinnvoll nicht isoliert betrachtet, sondern muß als ein Element der Gesellschaftspolitik konzipiert und beurteilt werden.
Fast einhellig wird als Ziel einer Vermögens-politik eine breitere Streuung des Vermögens genannt und mit der analysierten Vermögenkonzentration begründet. Dabei wird allerdings von vornherein auf das Ziel einer absoluten Gleichverteilung des Vermögens verzichtet, das zumindest in einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit weitgehendem Dispositionsspielraum für den einzelnen auch als irreal zu qualifizieren wäre. Entsprechend der Analyse der bestehenden Vermögensverteilung des Produktivvermögens wird oft unter den Vermögensarten differenziert und verlangt, die Vermögenspolitik vor allem auf das Ziel einer breiten Streuung des Produktivvermögens auszurichten. Eine Zielreduzierung findet sich bei den meisten Verfechtern einer Vermögenspolitik, insofern diese sich auf eine breite Streuung des Vermögenszuwachses beschränken soll. Dabei wird das bereits genannte Argument angeführt, daß die hohen
Zuwachsraten des Vermögens langfristig zu einer Verteilung des Gesamtvermögens entsprechend der Verteilung des Zuwachses führen. Ein wichtiges Motiv dürfte auch darin liegen, daß eine solche Zielsetzung, die erst die zukünftigen Verteilungsrelationen betrifft, politisch leichter durchsetzbar ist, da sie nicht direkt in die bestehende Vermögensverteilung eingreift.
Ein zweites Verteilungsziel, das vom Ziel breiter Vermögensstreuung nur partiell und implizit miterfaßt und in der Diskussion oft vernachlässigt wird, ist, das Entstehen, zumindest aber das Weiterwachsen privater Groß-vermögen zu verhindern. Auf die potentiellen Gefahren derartiger privater Großvermögen wurde bereits hingewiesen. Da die Erträge aus Vermögen dieser Größenordnung kaum mehr konsumierbar sind, findet ein quasi-natürliches Wachstum dieser Vermögen statt, und die Gesellschaft ist auf das in seiner Effizienz höchst zweifelhafte „natürliche" Kontrollinstrument Kinderreichtum angewiesen, um zumindest beim Erbgang eine gewisse Aufsplitterung solcher Vermögen zu erreichen. Eine vermögenspolitische Doppelstrategie müßte daher sowohl das Ziel breiter Vermögens-streuung als auch das einer Beschränkung der Großvermögen anstreben. Eine Betonung dieser doppelten Zielsetzung ist auch deshalb angebracht, weil zur Erreichung beider Ziele unterschiedliche instrumentelle Lösungen erforderlich sind.
Das vermögenspolitische Ziel . breite Vermögensstreuung'steht wiederum im Dienste des ranghöheren Zieles, den Freiheitsraum des einzelnen zu erweitern. Wenn Vermögen vor allem die Möglichkeit verschafft, „warten zu können", so sind die damit verbundene größere Unabhängigkeit und deren sozialpsychologische Folgen für möglichst viele erstrebenswert. Dabei ist sicherlich vor der Illusion zu warnen, breite Vermögensbildung könne jedem ermöglichen, von seinen Vermögenserträgen zu leben oder auch nur das auf Solidarhaftung beruhende soziale Sicherungssystem ersetzen. Dennoch bleiben z. B. die Freiheit, bei einem Arbeitsplatzwechsel nicht sofort jedes Angebot akzeptieren zu müssen, eine zusätzliche Altersversorgung und die Möglichkeit einer größeren Zahl, sich in einer Dienstleistungsgesellschaft auf Wunsch selbständig zu machen, konkrete Erweiterungen des individuellen Handlungsspielraumes, die mit Vermögen verbunden sind. Vermögen „vermag" trotz der partiell zu Recht behaupteten Entfunktionalisierung des Eigentums auch heute noch einiges.
Bei der Beschränkung des Großvermögens steht das Ziel der Machtkontrolle im Vordergrund, verbunden mit dem auch für die breitere Vermögensstreuung geltenden Streben nach größerer „Gerechtigkeit". Das Ziel größerer Gerechtigkeit wird man auch nicht mit dem Hinweis darauf abweisen können, es handele sich hierbei um eine moralische und wissenschaftlich nicht definierbare Kategorie, wenn auch zuzugeben ist, daß Konsensus über eine exakte Definition der „gerechten Vermögensverteilung" schwerlich zu erwarten ist. Aber in der Bundesrepublik scheinen die vertretbaren Bandbreiten überschritten, und wie die Meinungsumfragen zeigen, ist das auch der vorherrschende Eindruck in der Bevölkerung. Diese Meinungsentwicklung stützt auch nicht die These, den „Massen" gehe es nur um hohen Konsum, und das Problem der Vermögensverteilung berühre sie nicht. Vielmehr scheint die folgende Position überzeugender: „Geschichtliche Erfahrungen, vergleichende Verhaltensforschung und der Vergleich von Staaten mit unterschiedlichem Industrialisierungsund Entwicklungsstand lehren, daß Positionskämpfe zunehmen und die Verteilungsfragen wichtiger werden, je mehr die Sorge um die Grundbedürfnisse des Menschen abnimmt und das Bildungsniveau steigt."
Das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit bildet aber nur eine Ecke des „magischen" ökonomischen Zielvielecks. Eine Vermögenspolitik wird daher auch die Auswirkungen verschiedener methodischer Ansätze auf die Ziele Vollbeschäftigung, Preisstabilität, Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu untersuchen und bei Zielkonflikten eventuell auch die Ziele der Vermögenspolitik, zumindest in ihrer quantitativen und zeitlichen Dimension, zu korrigieren haben.
Das Verhältnis von vermögenspolitischen Zielen im engeren Sinn und der bestehenden Wirtschaftsordnung soll wegen seiner zentralen Bedeutung später in einem eigenen Kapitel analysiert werden.
V. Realisierte vermögenspolitische Maßnahmen
Abbildung 5
Anteil der oberen Vermögensgruppen am Vermögen der privaten Haushalte
Anteil der oberen Vermögensgruppen am Vermögen der privaten Haushalte
Neue vermögenspolitische Initiativen können nicht von einer tabula rasa ausgehen, denn auch in der Vergangenheit ist bereits eine aktive Vermögenspolitik betrieben worden, und, wie zumindest wohlmeinende Kritiker behaupten: „Die Vermögenspolitik der letzten zwanzig Jahre war nicht ganz konsequent, aber besser als ihr Ruf." Was die Ergebnisse dieser Vermögenspolitik betrifft, so läßt die statistische Analyse der Vermögensverteilung allerdings nicht gerade auf einen Erfolg schließen. Im folgenden sollen die wichtigsten vermögenspolitischen Maßnahmen der Vergangenheit kurz dargestellt und insbesondere auf ihre vermögenspolitische Zieladäquanz bzw. -inadäquanz hin analysiert werden. Trotz der Beschränkung auf vermögens-politisch motivierte Maßnahmen ist zu beachten, daß auch anders motivierte Regelungen die Vermögensverteilung stark beeinflussen können. Auf die wichtigsten wurde bei der Ursachenanalyse der bestehenden Verteilung hingewiesen.
Die staatliche Vermögenspolitik der Vergangenheit hat sich weitgehend auf Maßnahmen zur Sparförderung beschränkt. Dabei ist als erstes die Frage zu klären, ob eine staatliche Sparförderung vermögenspolitisch überhaupt notwendig oder zumindest wünschenswert ist. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, eine Wirtschaftspolitik, die zu einem ständig wachsenden Einkommen führe, sei gleichzeitig eine hinreichende Vermögenspolitk, da sie die Sparfähigkeit erhöhe. Zweifellos ist das Sparen auch eine Funktion der Einkommenshöhe, da das „Grenzleid" des Sparens bei wachsendem Einkommen abnimmt, und zweifellos hat die gravierende Steigerung auch der Masseneinkommen in der Nachkriegszeit statistisch gesehen großen Spielraum für Sparen geschaffen. Das dem Sparen völlig entzogene Existenzminimum ist aber kein statischer, sondern ein dynamischer, inhaltlich gesellschaftlich geprägter Begriff, und da das, was gesellschaftlich als Existenzminimum angesehen wird, ständig gestiegen ist, erstreckt sich die Sparfähigkeit keineswegs auf die gesamte Einkommenssteigerung. Darüber hinaus ist das Sparen nicht nur von der Sparfähigkeit, sondern auch von der Sparneigung abhängig, die wiederum vom „Konsumterror", aber offensichtlich auch von Gruppennormen beeinflußt wird. So zeigt z. B. das Sparverhalten von Arbeiter-und Angestelltenhaushalten auch bei vergleichbarem Einkommen signifikante Unterschiede. Maßnahmen zur Sparförderung können also Sparfähigkeit und/oder Sparneigung zu beeinflussen suchen.
Schon 1948 wurden Kapitalansammlungsverträge steuerlich begünstigt und damit versucht, die Sparneigung zu heben. Gelder, die auf Sparkonten festgelegt wurden, konnten als Sonderausgaben bei der Einkommensteuer geltend gemacht werden. Ob diese Maßnahme primär vermögenspolitisch motiviert war, sei dahingestellt, zumindest spielte die Kapitalmarktförderung ebenfalls eine wichtige Rolle Eine Sparförderung in dieser Form ist jedenfalls völlig ungeeignet, die vermögenspolitischen Ziele einer breiten Vermögens-bildung und Beschränkung der Großvermögen zu erreichen. Angesichts der Steuerprogression, die die Steuerbelastung der Leistungsfähigkeit anpassen soll, erzielt das vermögens-politische Instrument , Abzugsfähigkeit vom zu versteuernden Einkommen'einen perversen Effekt, da Großverdiener infolge des höheren Steuersatzes eine entsprechend höhere staatliche Sparförderung erhalten. Die offensichtli-ehe Tatsache, daß die Kapitalansammlungs-verträge eher geeignet waren, die Vermögens-konzentration zu verschärfen, führte aber erst 1959 zu ihrer Ablösung durch das Sparprämiengesetz, das im Rahmen von relativ niedrigen Höchstbeträgen staatliche Prämien auf für eine bestimmte Zeit festgelegte Sparbeträge einführte. Um die Sparneigung insbesondere von Beziehern niedriger Einkommen zu erhöhen, wurde 1969 für diesen Personenkreis eine um 40 °/o höhere Prämie eingeführt und damit endlich eine gezielte Sparförderung versucht.
Das Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer von 1961 suchte mittels Lohnsteuer-und Sozialabgabenfreiheit erstmals, zusätzliche vermögenswirksame Leistungen der Arbeitgeber zu fördern, und zielte damit primär auf die Sparfähigkeit ab. Das Gesetz wurde aber erst in größerem Umfang genutzt, als durch eine Gesetzesänderung 1965 tarifvertraglich vereinbarte vermögenswirksame Leistungen einbezogen wurden und damit der Anreiz für ein gewerkschaftliches Engagement in der Vermögenspolitik verstärkt wurde. Mit der Steuerfreiheit wurde aber die alte vermögenspolitische „Sünde" begangen, da wiederum, diesmal innerhalb der Arbeitnehmer, die Bezieher höherer Einkommen stärker gefördert wurden. Erst 1970 wurden weitere wichtige Änderungen durchgeführt. Die Steuer-und Sozialabgabenfreiheit wurde durch eine 30 %ige Sparprämie ersetzt und größeren Familien eine 40 °/oige Sparprämie gewährt. Der begünstigte Höchstbetrag wurde auf 624 DM verdoppelt und, angesichts der angezielten Berücksichtigung der Sparfähigkeit nur konsequent, eine Einkommenshöchstgrenze von jährlich 24 000 DM bei Ledigen bzw. 48 000 DM bei Verheirateten für die Inanspruchnahme dieses Gesetzes fixiert. Da die vermögenswirksamen Leistungen zusätzlich nach dem Sparprämiengesetz gefördert werden, kann hier von einer sinnvollen Kombination von Förderung der Sparfähigkeit und -neigung gesprochen werden, und die Wachstumsrate, insbesondere bei der tarifvertraglichen Inanspruchnahme des Vermögensbildungsgesetzes, ist beeindruckend.
Während Sparprämiengesetz und Vermögens-bildungsgesetz vermeiden, bestimmte Vermögensarten zu fördern, ist mit zwei anderen Vermögenspolitischen Maßnahmen versucht worden, auch die Dispositionsneigung zu beeinflussen. Das Bausparen ist auf zwei Wegen gefördert worden, einmal durch die steuerliB ehe Abzugsfähigkeit von Bausparleistungen nach § 10 Einkommensteuergesetz, zum anderen seit 1952 alternativ durch Gewährung staatlicher Prämien nach dem Wohnungsbauprämiengesetz. Die staatliche Förderung des Bausparens war die erste vermögenspolitische Maßnahme, die auf breite Resonanz stieß, wobei die durch die Wohnungsnot der Nachkriegszeit verstärkte Sehnsucht nach dem eigenen Heim besonders günstige Motivationsvoraussetzungen schuf. Die geringe Konzentration des Grundeigentums dürfte nicht u-letzt auf der staatlichen Förderung des Bausparens beruhen. Aber auch dieser Erfolg ist zu relativieren. So „zeigt die Einkommens-und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahre 1969, daß die Häufigkeit des Besitzes von Bausparverträgen stärker als bei sonstigen Sparformen (mit Ausnahme des Wertpapiersparens) mit der Höhe des Einkommens wächst" Darüber hinaus bedeutet die Absetzbarkeit vom zu versteuernden Einkommen eine verstärkte staatliche Förderung der Bausparer mit höherem Einkommen. So betrug 1970 die staatliche Belastung durch Bausparprämien durchschnittlich 360 DM, durch steu-erliche Absetzbarkeit dagegen rd. 1 230 DM pro Bausparerhaushalt
Mit der Ausgabe von „Volksaktien" bei Preu-ßag, VW und Veba wurde staatliches Produktivvermögen privatisiert und auf diesem Wege versucht, den Aktienerwerb zu popularisieren und psychische Sperren abzubauen. Als Anreize wurden dabei zum Teil „soziale" Ausgabekurse festgesetzt, die an der unteren Grenze des geschätzten Unternehmenswertes lagen, zum Teil wurden Aktienbeziehern mit niedrigen Einkommen Sozialrabatte eingeräumt. Im Sinne des Zieles breite Streuung auch des Produktivvermögens konsequent wurden in allen drei Fällen Einkommenshöchstgrenzen festgesetzt, um Großverdiener vom Bezug auszuschließen. Trotz der erreichten breiteren Streuung — an der Veba-Priva-tisierungsaktion allein waren z. B. 2, 6 Mill. Ersterwerber beteiligt — war der Bezieher-kreis nicht repräsentativ für die Masse der Gesamtbevölkerung; Arbeiter z. B. waren deutlich unterrepräsentiert Darüber hinaus bilden die privatisierten Unternehmen nur einen sehr kleinen Teil des Produktivvermögens und die Privatisierungsaktionen erwiesen sich nicht als die erhofften Initialzündungen für eine breite Beteiligung am Produktivvermögen. Nach der Einkommens-und Verbrauchsstichprobe 1969 verfügten 54, 7 °/o der ohnehin kleinen Minderheit von Haushalten mit Aktien ausschließlich über Volksaktien Reichlich die Hälfte der Volksaktien ist von den Ersterwerbern wieder abgegeben worden wobei dies eher positiv überraschen kann angesichts einer Kursentwicklung, die z. B.den Veba-Kurs erheblich unter den Ausgabekurs sinken ließ. Längerfristig wird dem breiten Aktiensparen sicherlich ein Bärendienst erwiesen, wenn der Risikocharakter nicht deutlich gemacht und damit versucht wird, die „Frustrationstoleranz" bei etwaigen Kursverlusten zu erhöhen.
Wer eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel für ein erstrebenswertes Ziel hält, wird die Privatisierung staatlichen Produktivvermögens ablehnen. Verteilungspolitisch kann er darauf verweisen, daß der Konzentrationsgrad auch bei breiter Streuung des privatisierten Produktivvermögens gegenüber der definitorischen Gleichverteilung des staatlichen Vermögens zunimmt, wogegen allerdings die bereits genannten Einwände anzuführen sind. Das Argument, mit der Privatisierung öffentlichen Unternehmenseigentums begäben sich die staatlichen Instanzen eines wichtigen wirtschaftspolitischen Steuerungsinstruments wirkt zumal angesichts des höchst zufälligen und heterogenen öffentlichen Unternehmenseigentums wenig überzeugend, zumindest für grundsätzliche Anhänger eines marktwirtschaftlichen Systems. Außerdem sichern die mit den Volksaktien verbundenen Stimmrechtsbeschränkungen in Verbindung mit staatlichen Minderheitsbeteiligungen bei den bisher privatisierten Unternehmen weiterhin den staatlichen Einfluß.
Ungeachtet vermögenspolitischer Initiativen von selten einer Minderheit von Unternehmen, die eine betriebliche Ertragsbeteiligung eingeführt haben, und Gewerkschaften — IG Bau, Steine, Erden — ist die Vermögenspolitik der letzten 20 Jahre überwiegend von staatlichen Maßnahmen geprägt worden.
Trotz eines beträchtlichen und wachsenden Einsatzes von Steuermitteln (vgl. Tab. 7) sind die Erfolge aber bisher unbefriedigend.
Ein wesentlicher Faktor dafür dürfte sein, daß die Maßnahmen bezüglich des Zieles . breite Vermögensstreuung'teilweise dysfunktional waren. Sie waren vor allem auf die Stärkung der Sparneigung ausgerichtet, arbeiteten aber nach dem Gießkannenprinzip und berücksichtigten nur unzureichend die unterschiedliche Sparfähigkeit. Insbesondere die Absetzbarkeit vom zu versteuernden Einkommen bewirkt eine staatliche Förderung nach dem Motto, „Wer hat, dem wird gegeben". Es ist wahrscheinlich, daß ein beträchtlicher Teil der mit staatlicher Förderung festgelegten Sparmittel, insbesondere bei Beziehern höherer Einkommen, ohnehin gespart worden wäre und der Einsatz von Steuermitteln hier keine erhöhte Sparneigung bewirkt hat. Allerdings ist die staatliche Sparförderung in den letzten Jahren durch die Einschränkung der Steuervergünstigung, Zusatzprämien für Einkommensschwache und Einkommenshöchstgrenzen für die Förderung zunehmend gezielter eingesetzt worden und ein Lerneffekt nicht zu verkennen. Die bescheidenen Versuche, mit den Privatisierungsaktionen die Dispositionsneigung stärker auf das Produktivvermögen auszurichten, um eine breitere Streuung der am stärksten konzentrierten Vermögensart zu erreichen, zeitigten nur einen minimalen Erfolg. Das Problem der Großvermögen ist bisher noch nicht einmal angegangen worden. „Auch von der Vermögens-und Erbschaftssteuer ist kein Impuls zu einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung ausgegangen."
VI. Vermögenspolitische Pläne
Abbildung 6
Anteil der oberen Vermögensgruppen am Vermögen der privaten Haushalte zum 1. 1. 1960 und 1. 1. 1966
Anteil der oberen Vermögensgruppen am Vermögen der privaten Haushalte zum 1. 1. 1960 und 1. 1. 1966
Die unbefriedigende Vermögenssituation und zunehmendes Problembewußtsein haben eine Flut von Plänen zur Vermögenspolitik ausgelöst, die sich jedoch auf wenige Grundtypen reduzieren lassen. Im folgenden sollen die Vorschläge eines Investivlohns, einer Ertrags-beteiligung und steuerpolitische Möglichkeiten näher analysiert werden. 1. Der Investivlohn Der Investivlohn ist definiert als Lohn, der nur investiv verwendet werden darf. Man unterscheidet formal den alternativen Investivlohn, der an die Stelle einer normalen Lohnerhöhung tritt, und den additiven Investivlohn, der zusätzlich gewährt wird, wobei die Abgrenzung in der lohnpolitischen Praxis Schwierigkeiten bereitet. „Der Gedanke des Investivlohns ist nun nichts anderes als die Anwendung der Erkenntnisse der Kreislauf-theorie der Verteilung auf die Verteilungspolitik." Unter einigen vereinfachenden Annahmen, wie Ausschaltung von Staat und Außenwirtschaft, Vollbeschäftigung, gleichbleibender Unternehmerkonsum und gegebene Investitionsneigung, führt eine den Produktivitätsfortschritt übersteigende Barlohnerhöhung bei konsumptiver Verwendung nicht zu einem erhöhten Realeinkommen der Arbeitnehmer. Bei einem gegebenen Konsumgüterangebot erweitert sie durch die zusätzliche Nachfrage nur den Spielraum für Preiserhöhungen der Unternehmen und schlägt sich letztlich bei erhöhtem Preisniveau wieder in den Unternehmensgewinnen nieder. Beim Investivlohn nun ändert sich dessen Kostencharakter für die Unternehmen nicht, aber die investive Verwendung bedeutet, daß die Konsumnachfrage nicht steigt und damit gesamtwirtschaftlich keine erhöhten Preise durchgesetzt werden können. Die auf den ersten Blick paradoxe Formel von Nell-Breunings vom „Sparen ohne Konsumverzicht" trifft also zu, da das Konsumniveau der Arbeitnehmer in beiden Fällen das gleiche bleibt, in letzterem aber ein Teil der Unternehmensgewinne durch den Investivlohn der Arbeitnehmer ersetzt wird. Der gegen den Investivlohn vorgebrachte Einwand, es handele sich hierbei um „Zwangssparen", wirkt ange-sichts dieses Tatbestandes wenig überzeugend, da auch im ersten Fall wegen der gegebenen Investition ein Zwangssparen der Arbeitnehmer stattfindet, dessen Früchte dann allerdings Unternehmensgewinne heißen. Solange nicht von einer freiwilligen Bereitschaft ausgegangen werden kann, die investive Verwendung von Lohnteilen langfristig durchzuhalten, werden sich auch längere Sperrfristen nicht vermeiden lassen. Würde nämlich der investiv verwendete Lohn nach einiger Zeit geschlossen in den Konsum einfließen, so würde die erreichte Vermögensbildung der Arbeitnehmer schlagartig rückgängig gemacht und über Preissteigerungen in Unternehmensgewinne verwandelt.
Im folgenden sollen die obigen Überlegungen stärker differenziert und dabei vor allem die Auswirkungen des Investivlohns auf andere ökonomische Ziele untersucht werden.
Die Aussage, daß die investive Verwendung und die damit unveränderte Konsumgüter-nachfrage eine Überwälzung der Investivlohnkosten auf den Preis verhindere, trift nur tendenziell zu, ist aber im einzelnen von der Preiselastizität der Nachfrage und dem Monopolisierungsgrad abhängig. Unternehmen mit Monopolstellung z. B. werden in der Regel in der Lage sein, die zusätzlichen Investivlohn-kosten ganz oder partiell über die Preise weiterzugeben. Bei fixer Gesamtnachfrage werden andere Unternehmen dafür eine zusätzliche Erlöseinbuße hinnehmen und eventuell sogar aus dem Markt ausscheiden müssen, so daß das Ziel Vollbeschäftigung tangiert wird.
Fraglich ist auch, ob nicht die Investitionsbereitschaft der Unternehmen durch den Investivlohn negativ beeinflußt wird. Zwar stehen die Finanzierungsmittel für Investitionen weiterhin zur Verfügung und die Nachfrage wird durch den additiven Investivlohn nicht verändert, aber die geschmälerten Gewinne reduzieren die Möglichkeit zur Selbstfinanzierung. Entscheidend ist die weithin ungeklärte Frage nach den Determinanten des Investitionsverhaltens, insbesondere welche relative Rolle Gewinn-und Nachfrageerwartungen spielen. Wieweit der Investivlohn die Investitionsbereitschaft lähmen und damit Vollbeschäftigung und Wachstum gefährden würde, ist aber nicht zuletzt eine Frage seiner Höhe. Dies spricht für relativ vorsichtige Experimentierraten, wobei man sich aber bewußt sein sollte, daß Gewinnerwartungen längerfristig zumindest in bestimmten Grenzen veränderbar sind. Ein Nachteil des Investivlohns ist die mangelnde Neutralität, die stärkere Belastung von lohnintensiven Betrieben, z. B. Textilunternehmen, und die relative Schonung von kapitalintensiven Betrieben, z. B. Erdölraffinerien. Dies bedeutet in der Praxis oft eine Benachteiligung von Klein-und Mittelbetrieben und kann daher eine unerwünschte Unternehmenskonzentration fördern.
Der Investivlohn ist auf tarifvertraglicher Basis erstmals 1965 im Baugewerbe verwirklicht worden. Im Rahmen des 624-DM-Gesetzes sind inzwischen für mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer tarifvertragliche Investivlohn-Vereinbarungen in unterschiedlicher Höhe getroffen worden. 1970 hat die CDU/CSU-Frak-tion im Bundestag den Entwurf eines „Beteiligungslohngesetzes" eingebracht und damit versucht, den Investivlohn auf gesetzlicher Grundlage zu realisieren. Ein Gesetz würde, da allgemeingültig, den Nachteil beseitigen, daß von betrieblichen und tarifvertraglichen Investivlohnvereinbarungen zumindest bisher nur ein Teil der Arbeitnehmer begünstigt wird. Der CDU-Entwurf zielt eine Mindestlösung in Höhe von 240 DM jährlich für alle an, wobei betriebliche und tarifvertragliche Lösungen an die Stelle der gesetzlichen Verpflichtungen treten können, wenn sie den Bedingungen des Gesetzes genügen. Eine der wichtigsten Bestimmungen des Gesetzentwurfes sieht vor, daß der Arbeitnehmer zwar die Anlage des Investivlohnes selbst bestimmen kann, aber nur innerhalb eines Kataloges der verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten am Produktivvermögen umfaßt. Eindeutiges Ziel des Gesetzentwurfes ist also die Beteiligung der Arbeitnehmer an der bisher am stärksten konzentrierten Vermögensart, dem Produktivvermögen, und zu diesem Zweck wird eine weitere Beschränkung der Dispositionsfreiheit über das Konsumverbot hinaus in Kauf genommen. 2. Ertragsbeteiligung Die Ertragsbeteiligung setzt, wie schon die Bezeichnung andeutet, nicht beim Lohn, sondem beim Gewinn an. Ein Teil des entstandenen Unternehmensgewinnes soll den Anteils-eignern entzogen werden und den Arbeitnehmern — so DGB und SPD — oder allen Bürgern — so FDP — zufließen.
Modelle betrieblicher Ertragsbeteiligung sind auf freiwilliger Basis bereits von einer Reihe von Unternehmen realisiert worden, wenn diese Unternehmen auch im Vergleich zur Gesamtheit nur eine kleine Minderheit bilden. Eine gesetzliche Verpflichtung zur betrieblichen Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer wäre zweifellos denkbar und ist auch diskutiert worden Dem möglichen Vorteil einer noch sichtbaren Beziehung zwischen eigener Tätigkeit und Gewinnbeteiligung stehen aber gravierende Nachteile gegenüber. Noch relativ leicht korrigierbar wäre der bei einem Teil der realisierten Modelle zu beobachtende Nachteil, daß die Gewinnbeteiligung mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit gekoppelt wird und damit als Mobilitätshemmnis wirkt. Schwerer wiegt dagegen die Risikohäufung, wenn die betriebliche Ertragsbeteiligung im gleichen Betrieb investiert wird. Nicht nur der Arbeitsplatz, auch das eigene Vermögen des Arbeitnehmers ist dann bei einem Mißerfolg des Unternehmens bedroht Ein weiterer Nachteil ist die Verteilungsungleichheit auch unter den Arbeitnehmern, da die Beschäftigten in den gewinnstärksten Unternehmen am stärksten profitieren. Ein Sonderproblem sind die Staatsbediensteten, da der Gewinnbegriff für den staatlichen Bereich kaum anwendbar ist. Aufgrund seiner Hoheitsgewalt kann der Staat mittels Steuer-und Ausgabenvariation seinen „Gewinn" nahezu beliebig manipulieren. Auch wenn hier eine Lösung über eine am Durchschnitt der Wirtschaft orientierte Gewinnbeteiligung denkbar wäre, haben die angeschnittenen Probleme dazu geführt, daß bei der Diskussion über eine „große Lösung" innerhalb der Ertragsbeteiligung das Modell der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung auf gesetzlicher Basis dominiert.
Die überbetriebliche Ertragsbeteiligung vermeidet Risikohäufung und ungleiche Behandlung der Arbeitnehmer dadurch, daß die Arbeitnehmer mittelbar über einen Fonds beteiligt werden, in den die Gewinnabgaben der Unternehmen fließen. Vom Investivlohn unterscheidet sich die Ertragsbeteiligung vor allem insofern, als sie nur die gewinnbringenden Unternehmen belastet, da sie die Kosten-und Erlössituation unverändert läßt und «erst bei der Verteilung entstandener Gewinne ansetzt. Ob man diese Belastung gewinnbringender Unternehmen und Schonung von Grenzbetrieben in einer Marktwirtschaft als Vorteil werten soll, ist zumindest „fragwürdig", da gesamtwirtschaftlich gesehen die Erhaltung leistungsschwacher Unternehmen kein erstrebenswertes Ziel ist. Hinsichtlich eventueller Auswirkungen auf Preise, Wachstum und Beschäftigung ist zu beachten, daß sich die Konsumnachfrage und die Liquiditätssituation gesamtwirtschaftlich nicht ändern. Die Mittel für Investitionen stehen unverändert zur Verfügung und werden, falls die Ertragsbeteiligung die Form einer Beteiligung an den Unternehmen annimmt, auch dem einzelnen Unternehmen nicht entzogen. Dennoch ist bei einzelnen marktstarken Unternehmen bzw. Produkten mit geringer Preis-elastizität auch eine vollständige oder partielle Überwälzung der Gewinnbeteiligung auf die Preise nicht auszuschließen, genauso-wenig wie eine negative Beeinflussung der Investitionsneigung durch die verminderte Rendite der Unternehmenseigner. Der gegenüber dem Investivlohn angeführte Vorteil, daß die Arbeitnehmer bei der Ertragsbeteiligung auch an einer gelungenen Überwälzung partizipieren, ist zumindest dann fraglich, wenn der Investivlohn für den Erwerb von Beteiligungswerten verwendet wird. Die Überwälzungsproblematik ist im Kern dieselbe wie beim Investivlohn, und entsprechend ist auch die Höhe der Ertragsbeteiligung ein wichtiger Faktor.
Ein bekanntgewordenes „Denkmodell", das im Herbst 1970 von vier parlamentarischen Staatssekretären der Bundesregierung erarbeitet wurde, sieht eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung vor, die bei einem steuerpflichtigen Jahresgewinn ab 100 000 DM mit 2 % einsetzt und ab 1 Million DM den Höchstsatz von 10 % erreicht. Das Aufkommen einer solchen Ertragsbeteiligung wurde auf jährlich 4 Mrd. DM geschätzt. Ein Kabinettsbeschluß vom Juni 1971 beauftragte die betreffenden Ressorts mit der Ausarbeitung eines Gesetz-entwurfes, wobei wiederum ein Aufkommen von 4 Mrd. DM fixiert und ein Inkrafttreten zusammen mit der Steuerreform 1974 anvisiert wurde. Eine breitere Streuung des Produktivvermögens soll dadurch gesichert wer-B den, daß den abgabepflichtigen Unternehmen Vergünstigungen eingeräumt werden, wenn sie die Ertragsbeteiligung in Form von Beteiligungswerten abführen. Die Orientierung der Ertragsbeteiligung an der absoluten Gewinn-höhe hat den Nachteil, daß die Relation von Unternehmensgröße, insbesondere Kapitaleinsatz, und Gewinn vernachlässigt wird. Andererseits hat das Modell der Staatssekretäre auch eine konzentrationsfeindliche Tendenz, die allerdings nicht überschätzt werden sollte, zumal die Progression schon bei einer Gewinnhöhe von 1 Million DM stoppt.
Auf der Verwendungsseite sind wiederum verschiedene Lösungen denkbar. Es kann die Beteiligung aller Bürger oder aller Arbeitnehmer, sinnvollerweise aber nur unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze vorgesehen werden, wobei die Beteiligung ohne Einsatz oder mit einem geringen Eigenbeitrag erfolgen kann. 3. Steuerliche Maßnahmen Der Einfluß des Steuersystems auf die Vermögensverteilung ist bereits mehrfach betont worden. Insbesondere dürfte einsichtig sein, daß die Sparfähigkeit von einzelnen wie Gruppen nicht zuletzt von der Steuerbelastung abhängt. Die zur Bekämpfung der vielbeklagten „öffentlichen Armut" erforderlichen staatlichen Reforminvestitionen können nun, da sie zusätzliche staatliche Finanzmittel erfordern, zu einem Zielkonflikt mit der privaten Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand führen. Dieser Konflikt kann aber zumindest gemildert werden, wenn bei der Finanzierung nicht ausschließlich auf das Instrument der Steuererhöhung zurückgegriffen, sondern über eine verstärkte staatliche Verschuldung eine zeitliche Lastenstreckung versucht wird. Vermögenspolitisch gesehen, würden Investitionen dann keine entsprechende staatliche Nettovermögensbildung bedingen. Ihnen würden vielmehr private Ansprüche gegenüberstehen, wobei das Ziel der breiten Vermögensstreuung bei der Ausgestaltung und Abgabe der staatlichen Schuldtitel zu beachten wäre.
Die staatlichen Finanzierungsprobleme machen auch eine Überprüfung und Konzentration der staatlichen Sparförderungsmaßnahmen erforderlich. Die von der Bundesregierung beabsichtigte verstärkte Ausrichtung der staatlichen Förderungsmaßnahmen auf Einkommenschwache und ihr Abbau für Be20 zieher hoher Einkommen sind vermögenspolitisch zieladäquat und finanzpolitisch aufgrund der Kostenexplosion unvermeidbar. Dagegen dürften die von einigen Autoren gestellten Diagnosen, z. B. „entweder Gewinnabgabe an einen Vermögensfonds oder Gewinnsteuern zur Finanzierung von Staatsinvestitionen" in dieser Radikalität als Scheinalternativen anzusehen sein.
Steuern sind auch das wichtigste Instrument, um das zweite vermögenspolitische Ziel zu erreichen, die Beschränkung von Großvermögen. -In einer Erklärung vom März 1970 hat der DGB die wichtigsten in Frage kommenden Steuerarten genannt mit der Forderung, „daß durch Änderung des Besteuerungssystems insbesondere bei der Vermögens-und Erbschaftsteuer die Konzentration großer Vermögen in den Händen einzelner Personen verhindert wird" Die Vermögenssteuer hat heute, vor allem infolge fehlender Progression und der Absetzbarkeit von der Einkommenssteuer, nur bescheidene Wirkung. Ihre Ausgestaltung zu einer Substanzbesteuerung anstelle der heute faktisch gegebenen Ertragsminderung dürfte bei den Betroffenen aber zu bedenklichen Verhaltensänderungen einschließlich Kapitalflucht führen.
Die Erbschaftssteuer scheint ein effizienteres Instrument zur Beschränkung von Großvermögen zu sein. Zwar setzt sie erst beim Über-gang der Vermögensmasse auf andere Personen an, aber sie kann massiver eingreifen, ohne notwendigerweise die gleichen Verhaltensfolgen wie eine in die Substanz eingreifende Vermögenssteuer zu bewirken, und „Verdienstgesichtspunkte" können von Erben von Großvermögen unmöglich geltend gemacht werden. Ein beachtenswerter Vorschlag ist in den Freiburger Thesen der FDP enthalten. Eine Nachlaßabgabe soll nicht nur negativ der Beschränkung der Großvermögen dienen, sondern die Erträge sollen in die Ertragsbeteiligungsfonds fließen und damit auch positiv der breiten Vermögensbildung nutzbar gemacht werden.
VII. Kollektivvermögen — Mittel der „Systemüberwindung"?
Abbildung 7
Anwendung der Vermögensbildungsgesetze Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 125 vom 14. September 1972, S. 1551
Anwendung der Vermögensbildungsgesetze Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 125 vom 14. September 1972, S. 1551
Sowohl die Verteidiger wie die Gegner des bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftssystems der BRD nehmen überwiegend an, daß eine breitere Streuung individuellen Vermögens systemstabilisierend wirkt. Ludwig Erhard z. B. sieht in der Vermögensverteilung einen „strategischen Punkt" und schließt: „Wenn es gelingt, immer breitere Schichten zu besitzenden Bürgern zu machen, haben die Feinde unserer Ordnung eine Schlacht verloren". Es ist aber eine Frage der instrumentellen Ausgestaltung der Vermögenspolitik, wieweit sie der verstärkten Integration des einzelnen in das bestehende System dient oder aber dem Ziel einer „Systemüberwindung" nutzbar gemacht werden kann. Als Instrument zur Realisierung des letztgenannten Zieles könnten kollektive Vermögensfonds eingesetzt werden, wie sie z. B. von den Jungsozialisten auf ihrem Bremer Bundeskongreß im Dezember 1970 vorgeschlagen worden sind und heute vor allem in den Gewerkschaften diskutiert werden. Der DGB-Bundes-vorstand hat als „Diskussionsmaterial" einen detaillierten Vorschlag vorgelegt der zwar auf heftigen Widerstand vor allem wich-tiger Einzelgewerkschaften gestoßen ist und damit nicht als akzeptierte vermögenspolitische Linie der DGB-Gewerkschaften gelten, aber doch als Grundlage für die folgenden Überlegungen dienen kann.
Der DGB wie auch andere Befürworter von kollektiven Vermögensfonds sehen diese in Verbindung mit dem Modell einer überbetrieblichen Ertragsbeteiligung. Dies ist nahe-liegend, da bei diesem Modell ein oder mehrere Fonds zumindest als Sammelund Verteilungsinstanz eingeschaltet werden müssen. Aber kollektive Vermögensfonds wären auch mit dem Investivlohnmodell kombinierbar.
Ob Vermögensfonds als potentielle Instrumente der „Systemüberwindung“ geeignet sind, hängt von der Konstruktion dieser Fonds ab. Als entscheidende Frage dürfte der Grad an individueller Verfügbarkeit anzusehen sein, ein Problem, das sich vor allem in der Frage der Festlegungsfrist konkretisiert. Voraussetzung für eine erhebliche Änderung der Vermögensverteilung zugunsten der bisher Vermögenslosen ist, daß das von diesen neugebildete Vermögen nicht überwiegend zurück in den Konsum fließt. Die vorgeschlagenen Lösungsversuche, wie Sperrfristen unterschiedlicher Dauer oder finanzielle Abschrek-kung durch Nachversteuerung oder Entzug von Vergünstigungen, gehen zumindest auf kürzere Sicht von einer starken Konsumversuchung und der Notwendigkeit von Sanktionen aus. Die Frage, ob nicht langfristig, insbesondere mit Hilfe von Aufklärung auch von Gewerkschaftsseite, ein neues „Vermögensbewußtsein" entstehen und die große Mehrheit freiwillig am neugebildeten Vermögen festhalten werde, wird unterschiedlich beantwortet. Für eine optimistische Einschätzung spricht, daß Vermögen ab einer Mindestgröße die Hemmung gegenüber einer konsumptiven Verwendung anscheinend verstärkt, wobei der Schwellenwert aber schwer zu fixieren ist. Eine pessimistische Prognose kann als Argument für die Forderung nach „ewigen" Sperrfristen verwendet werden. „Ewige" Sperrfristen können aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verteilungswirksamkeit gesehen werden, sie sind auch eine entscheidende Voraussetzung, um die Fondspolitik unabhängig zu machen von den „Systemzwängen der auf Privateigentum beruhenden marktwirtschaftlichen Ordnung"
Während der Bremer Vorschlag der Jungsozialisten auf die Ausgabe von individuellen Besitztiteln ganz verzichtet, sieht das DGB-Modell verzinsliche und vererbbare Zertifikate vor In der zentralen Frage der Sperrfrist werden zwei Alternativen zur Debatte gestellt: 1. grundsätzlich „ewige" Sperrfristen mit einer Ausnahmeklausel für Notfälle, 2. eine zehnjährige Sperrfrist. Von der zweiten Alternative wird aber befürchtet, daß die nach Ablauf der Sperrfrist bestehende Dispositionsfreiheit jedes einzelnen Zertifikatinhabers die Möglichkeiten der Fondspolitik sehr stark ein-engen würde. „Begrenzte Sperrfristen würden den Fonds wegen der notwendigen Dividendenausschüttung und der Kurspflege zu einer ausschließlich gewinnorientierten Politik zwingen. Die Verfolgung gesellschaftspolitischer Ziele würde dadurch erheblich beeinträchtigt, wenn nicht gar unmöglich gemacht." Die vorgesehene Dividendenzahlung auch bei prinzipiell „ewigen" Sperrfristen erscheint als Relikt einer individualistischen Konzeption. Sie soll als Moment individuellen Nutzens vermutlich die Attraktivität des Kollektivmodells verstärken, bildet aber gleichzeitig, wie auch das obige Zitat deutlich macht, eine Einbruchs-stelle für systemimmanente Zwänge.
Diese hier geschilderte Gefahr würde sich bei mehreren konkurrierenden Fonds noch verstärken, zumindest dann, wenn für den einzelnen Zertifikatinhaber die Möglichkeit bestünde, zwischen verschiedenen Fonds zu wechseln, und damit ein Mindestmaß individueller Dispositionsfreiheit erhalten bliebe. Diese Überlegung dürfte maßgebend sein für den DGB-Vorschlag „mehrere selbständige regionale, nicht miteinander konkurrierende Fonds" zu errichten. Auf die Forderung nach einem einzigen Zentralfonds, der sich unter dem Aspekt der Machtkonzentration zur Durchsetzung gesellschaftspolitischer Ziele anböte, ist mit der folgenden Begründung verzichtet worden:" Ein . Superfonds'wird in der Öffentlichkeit auf Unbehagen stoßen, da eine neuartige Machtzusammenballung befürchtet werden wird. Zudem wird der demo-kratische Willensbildungsprozeß im Rahmen der Selbstverwaltung erschwert"
Eine Eingliederung der Fonds in das Banken-und Sparkassensystem wird vom DGB abgelehnt, obwohl dabei auch die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft zur Wahl stünde. Das erscheint folgerichtig, wenn ein Konkurrenzsystem und die damit verbundene individuelle Wahlfreiheit abgelehnt wird. So ist gegen in das Banken-und Sparkassensystem integrierte Fonds argumentiert worden: „Durch die Einschaltung des Wettbewerbs-prinzips werden die Arbeitnehmer zu Spekulanten erzogen (dieses Argument ist allerdings gegen das Wettbewerbsprinzip schlechthin gerichtet" Weiter spielt die Befürchtung eine Rolle, es könnte „der kuriose Fall eintreten, daß von seifen des Großkapitals mit Hilfe von Arbeitnehmervermögen eine den Arbeitnehmerinteressen zuwiderlaufende Politik gemacht oder gefördert wird" Die schon aus diesem Grund erforderliche Kontrolle der Fondspolitik durch die Arbeitnehmer sei aber bei Integration in das Bankensystem schwer zu realisieren
Das DGB-Modell sieht deshalb eigenständige Fonds vor, die von den Arbeitnehmern selbst verwaltet werden. Damit wird der z. B. von Krelle erörterte Vorschlag, die Entscheidungsorgane mit Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Hand zu besetzen implizit abgelehnt.
Gegen eine Beteiligung der Arbeitgeber ist eingewandt worden, es handele sich schließlich um Vermögen der Arbeitnehmer, und die oft beschworenen, mit der Institution des Privateigentums verbundenen Verfügungsrechte könnten daher keinesfalls von Arbeitgebern wahrgenommen werden. Diese Argumentation ist solange unwiderlegbar, wie individuelle Dispositionsrechte ernst genommen werden. Sie wird aber problematisch bei Kollektiv-fonds mit stark eingeschränkten individuellen Dispositionsrechten. Dies macht bereits die Tatsache deutlich, daß das DGB-Modell keine alleinige Vertretung der Eigentümer, sondern eine „Mitbestimmung" durch „Vertreter des öffentlichen Interesses" vorsieht. „Fondsorgane sind die Delegiertenversammlung, der Aufsichtsrat und der Vorstand. Die Delegierten werden von den Zertifikatinhabern in geheimer Wahl gewählt. Jeder Zertifikatinhaber hat eine Stimme. Die Delegiertenversammlung wählt den Aufsichtsrat. Ihm müssen zu einem Drittel Vertreter des öffentlichen Interesses angehören. Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat gewählt und abberufen. Der Aufsichtsrat erhält gegenüber dem Vorstand ein unmittelbares Weisungsrecht" Was konkret unter „Vertretern des öffentlichen Interesses" verstanden wird, ob z. B. Vertreter der Regierung, bleibt offen. Nicht zu verkennen ist aber, daß mit diesem Modell eine neue Vermögensart mit eingeschränkten Rechten speziell für den Arbeitnehmer geschaffen wird.
Als Hauptunterschied gegenüber anderen Vermögensbesitzern dürfte der fehlende, zumindest aber erheblich verringerte Minderheitenschutz anzusehen sein, der mit dem Ausschluß individueller Verfügung verbunden ist. Ob das in bestimmten Bereichen, wie z. B.dem der staatlichen Willensbildung, unabdingbare Instrument der „Herrschaft der Mehrheit“ im Bereich der Vermögensentscheidungen notwendig oder wenigstens sinnvoll ist, erscheint fraglich. Auch das mögliche Argument, die Homogenität der Arbeitnehmerinteressen mache einen Minderheitenschutz überflüssig, erschiene wenig überzeugend. Dies würde verstärkt gelten, falls der Kreis der Fondsteilhaber erweitert würde. Die Beschränkung des DGB auf den Kreis der Arbeitnehmer scheint sich auf das Argument zu stützen, die Arbeitnehmer seien an der Schaffung des Vermögens mitbeteiligt Gegen diese Produzentenperspektive kann eingewandt werden, daß das Produktivvermögen großenteils über den Gewinn finanziert und dieser wiederum über den Preis realisiert wird, so daß auch Hausfrauen, Rentner und generell alle Konsumenten am Aufbau des Vermögens mitwirken. Diese Überlegung stützt die z. B. von der FDP geforderte Beteiligung grundsätzlich aller Bürger.
Der Ausschluß individueller Verfügung wird mit den neuartigen Zielen der Vermögens-fonds gerechtfertigt. „Die Fonds . . .setzen mit Hilfe der abgeführten, stimmberechtigten Beteiligungen das in ihnen angesammelte Arbeitnehmervermögen ein, um private und gesellschaftliche Rationalität in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen" Diese interpretationsbedürftige Formel ist anscheinend aus einem Aufsatz Leminskys übernommen worden Der Autor stellt dazu „illustrierende" Überlegungen an: „Inhaltlich gesehen, könnten die Fonds durch ihre Einflußnahme auf alle Unternehmen eines Bereichs auf eine Abstimmung der Produktionsprogramme zwischen verschiedenen Unternehmen hinwirken, neuartige Formen der Kooperation Vorschlägen oder sinnvolle Konzentrationen fördern und andere verhindern (formal ist hier eine Ähnlichkeit zum Bankeneinfluß gegeben). Die Abstimmung mit der Strukturpolitik wird enger werden. Die Fonds könnten ferner in den Unternehmen auf einen Abbau übersteigerter Verschleißproduktion hinwirken, auf eine stärkere Berücksichtigung des Umweltschutzes drängen (etwa bei Chemie und Kraftfahrzeugen), die gesellschaftlichen Implikationen bestimmter Produkte stärker berücksichtigen (wie bei Pharmazeutika) und den Bedarf des tertiären Sektors besonders beachten (Entwicklung von Fertigprogrammen für Schulbauten, Bildungsstätten usw.), Die sozialen Kosten der Leistungserstellung werden in jedem Fall stärker berücksichtigt" Wenn man die Vermögenspolitik primär Zielen wie Konzentrationskontrolle und Umweltschutz dienstbar machen will, so ist das m. E. eine Überforderung. Für die wünschenswerte bessere Realisierung der genannten Ziele sind weitergehende gesetzliche Regelungen das geeignetere Instrument. Das Gegenargument Leminskys, Gesetze seien zu allgemein und eine Konkretisierung im Einzelfall erfordere einen großen dirigistischen Apparat, Fonds hingegen seien Elemente der Dezentralisation und der Flexibilität erscheint wenig überzeugend. Wenn eine weitestgehende gesellschaftliche Kontrolle der Einzelunternehmen für notwendig gehalten wird, ist nicht einzusehen, warum dafür anstelle direkter Maßnahmen die „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" umfunktioniert werden muß.
Wenn dieser Begriff nur als attraktive Verpackung für eine partielle Vergesellschaftung der Produktionsmittel gedacht und damit die Hoffnung auf bessere Realisierungschancen verbunden sein sollte, so dürfte letzteres illusionär sein und ein solcher „Etikettenschwindel" umgekehrt die Realisierungschancen jeder Vermögenspolitik beeinträchtigen.
Zu beachten sind auch die Auswirkungen des Kollektivfondsmodells auf die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen. Die Gewerkschaften gehen davon aus, daß der Anspruch auf Mitbestimmung aus dem Eigenwert der Arbeit erwächst und daher keiner Legitimation aus dem Eigentum bedarf. Andererseits könnten auch die vermögenspolitischen Forderungen nicht durch den Anspruch auf Mitbestimmung beschränkt werden. „Daher sind die Forderungen nach Mitbestimmung und uneingeschränkter Rechte aus Eigentum durchaus miteinander vereinbar." Das erscheint aber nur solange unbestreitbar, wie nicht Fonds mit Ausschluß individueller Verfügungsrechte gefordert werden. Es wird die These vertreten, bei einer Fondslösung ergäbe sich allenfalls eine enge Beziehung zwischen einer gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung, z. B. in Form eines paritätisch besetzten Bundeswirtschaftsrates, und der Vermögens-politik, und diese These wird mit dem folgenden Versuch einer funktionalen Differenzierung gestützt: „Die Mitbestimmung im Unternehmen ist vor allem auf die Struktur der Innenverhältnisse des Unternehmens gerichtet. Die Fondspolitik dagegen hat primär die Außenbeziehungen des Unternehmens zum Markt und zur Gesellschaft im Blickfeld. Mit-bestimmung im Unternehmen und Fondspolitik haben damit unterschiedliche Ausgangspunkte und Zielvorstellungen . . . sie sind prinzipiell unabhängig voneinander." Eine solche Differenzierung bleibt aber, wie schon die Termini „vor allem" und „primär" deutlich machen, zwangsläufig unscharf und dürfte der Praxis kaum gerecht werden.
Unter dem Gesichtspunkt gewerkschaftlicher Einflußmaximierung oder dem der „Systemüberwindung" mag eine Doppelstrategie aus paritätischer Mitbestimmung und kollektiven Vermögensfonds sinnvoll erscheinen, die z. B. zu einer Mehrheit der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der Großunternehmen führen würde. Wahrscheinlich würde der zu erwartende Widerstand gegen eine solche Lösung nicht nur den Vorschlag kollektiver Vermögensfonds treffen, sondern Vermögenspolitik generell diskreditieren.
Darüber hinaus würden aber auch die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen eventuell negativ tangiert. Die letztgenannte Vermutung ist eine wichtige Ursache dafür, daß das DGB-Modell auch bei einigen wichtigen Einzelgewerkschaften auf Widerstand stößt. Darauf wird bei der Analyse der gewerkschaftlichen Haltung zur Vermögenspolitik zurückzukommen sein.
Die Haltung von Verbänden und Parteien
Abbildung 8
Staatliche Förderung der Ersparnis-und Vermögensbildung Nach dem Jahr der Entstehung Quelle: Sparförderungsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache VI/3186, Übersicht 1, S. 5, eigene Rechnung
Staatliche Förderung der Ersparnis-und Vermögensbildung Nach dem Jahr der Entstehung Quelle: Sparförderungsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache VI/3186, Übersicht 1, S. 5, eigene Rechnung
Um sowohl die Entwicklung der Vermögens-politik zu erhellen wie vor allem ein Urteil über die Realisierungschancen der erörterten vermögenspolitischen Vorstellungen zu erleichtern, soll im folgenden die Haltung der wichtigsten Verbände und Parteien kurz dargestellt werden. 1. Die Gewerkschaften Die Gewerkschaften haben die Vermögens-konzentration zwar immer und zu Recht kritisiert, sie haben aber lange Zeit die Vermögenspolitik vernachlässigt und allein mit der Lohnpolitik vergeblich versucht, die Verteilungsrelationen zugunsten der Arbeitnehmer zu ändern Dabei dürfte die Fixierung eines wichtigen Gewerkschaftsteils auf zumindest partielle Vergesellschaftung der Produktionsmittel ebenso mitgespielt haben wie die nicht unbegründete Befürchtung, das Programm einer Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand könne benutzt werden, um die von den Gewerkschaften mit Priorität versehene Mitbestimmungsforderung zu unterminieren.
Die DAG trat schon frühzeitig für „Miteigentum ein ein Modell, das auf eine betriebliche und überbetriebliche Investivlohnrege-lung hinauslief. Innerhalb des DGB übernahm die IG Bau, Steine, Erden 1965 mit der ersten tarifvertraglichen Investivlohnvereinbarung eine vermögenspolitische Pionierfunktion und trug damit auch zur Einbeziehung tarifvertraglicher Vermögensleistungen in das 312-DM-Gesetz bei.
Als einzige gewichtige gesellschaftliche Gruppe fordert der DGB nach wie vor eine gerechte Beteiligung der Arbeitnehmer an dem bisher gebildeten Vermögen, ohne diesen Anspruch allerdings zu konkretisieren. Dabei dürfte der Art. 14 GG eine Rolle spielen, der die Eigentumsgarantie zwar mit einer Sozial-bindung koppelt, Enteignungen aber nur gegen Entschädigung gestattet. Die Überlegung scheint angebracht, ob der DGB sich nicht stärker auf die ebenfalls verlangte Änderung der Vermögens-und insbesondere der Erbschaftssteuer stützen sollte, um die Forderung nach einer gerechteren Verteilung auch der bereits vorhandenen Vermögensmasse langfristig zumindest partiell zu realisieren.
Eine gesetzliche Investitionsregelung wird vom DGB abgelehnt, „da bei allen lohnpolitisehen Maßnahmen dem Tarifvertrag als dem Gestaltungsmittel der sozialen Selbstverwaltung vor dem Gesetz der Vorzug zu geben ist" Dagegen fordert der DGB, und dem hat sich inzwischen auch die DAG angeschlos-sen eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung auf gesetzlicher Grundlage.
Das bereits analysierte Modell des DGB-Bundesvorstandes ist nach Aussage des DGB-Vorsitzenden Vetter auf dem letzten Bundeskongreß nur deshalb nicht verabschiedet worden, weil die „Gretchenfrage" der Sperrfrist noch nicht geklärt gewesen sei. Vetter kündigte aber an, „daß wir bis zu den Wahlen sicherlich eine Vorstellung entwickelt haben" Die Forderungen des DGB zur Bundestagswahl 1972 überraschten jedoch, da sie als „Prüfstein Nr. 2 — Vermögensbildung" nur die nichtspezifizierte Forderung nach einem System überbetrieblicher Ertragsbeteiligung am Produktivvermögen für alle Arbeitnehmer enthielten. Selbst diese Forderung ist aber in Frage gestellt, seit die mächtigste deutsche Einzelgewerkschaft, die IG Metall, vom Vorstand beschlossene Leitsätze zur Vermögen-politik veröffentlicht hat, in denen sie offen „erhebliche Bedenken gegen die sogenannte überbetriebliche Ertragsbeteiligung geltend" macht. „Diese Form der Vermögensbildung knüpft direkt an die Gewinne der Unternehmer an. Es hat sich gezeigt, daß damit ein direkter Zusammenhang zu dem möglichen Spitzensteuersatz in der Einkommens-und Körperschaftssteuer besteht. Die IG Metall gibt jedoch der stärkeren steuerlichen Belastung hoher Einkommen die Priorität. Die Verbindung mit dem Gewinn wirkt zudem auf die gewerkschaftliche Tarifpolitik zurück. Sie wird zwangsläufig auf den Produktivitätszuwachs begrenzt, da ein Anteil der Arbeitnehmer an den Gewinnen durch die Ertragsbeteiligung bereits gegeben sein soll. . . . Die Verknüpfung der vermögenspolitischen Diskussion mit dem Problem der Kontrolle privater wirtschaftlicher Macht ist nach Auffassung der IG Metall sachlich nicht haltbar und kann zu gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen führen. . . . Auch die kollektive Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen über Fonds kann keine Lösung sein, da diese, abgesehen von anderen Fragen, keinen mitbestimmenden Einfluß sichert, sich dagegen zwangsläufig negativ auf die gewerkschaftliche Forderung nach qualifizierter Mitbestimmung auswirken muß. Die IG Metall hält daher eine klare Trennung zwischen Vermögens-Politikeinerseits und der Kontrolle wirtschaftlicher Macht andererseits für unbedingt notwendig, und spricht sich gegen die einseitige Betonung des Produktivvermögens in der Vermögenspolitik aus"
Die „Gretchenfrage" wird von der IG Metall eindeutig beantwortet: „Lange oder gar ewige Sperrfristen müssen aber abgelehnt werden, weil sie den Arbeitnehmern nur fiktive Vorteile bringen würden, die zu entsprechenden Gegenreaktionen führen müßten" . Aus ihrer Sicht der begrenzten gesellschaftspolitischen Funktionen ergeben sich für die IG Metall folgende „Ansatzpunkte für eine sinnvolle Vermögenspolitik. Sie liegen bei der gewerkschaftlichen Tarifpolitik (unter Einschluß von Verträgen über vermögenswirksame Leistungen), bei der Steuerpolitik (gerechtere Steuer-lastverteilung, insbesondere Abbau der zahlreichen Vergünstigungen für höhere Einkommen) und bei der Verbesserung der staatlichen Sparförderung (Ausbau des 624-DM-Ge-setzes, Eigentumsförderungsmaßnahmen im Wohnungsbau usw.)" 2. Die Arbeitgeber Die vermögenspolitische Position der Bundes-vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) läßt sich generalisierend als defensiv charakterisieren. In der statistischen Auseinandersetzung werden vor allem die Argumente betont, die geeignet sind, das Maß der bestehenden Vermögenskonzentration zu relativieren. Als vermögenspolitische Instrumente wurden ursprünglich nur staatliche Sparanreize zur Beeinflussung der Sparneigung und betriebliche Ertragsbeteiligungen auf freiwilliger Basis anerkannt. Tarifvertragliche Investivlohnvereinbarungen wurden 1964 abgelehnt, vor allem mit dem Argument, ein kollektiver Eingriff in die Entscheidung über die Einkommensverwendung sei unzulässig. „Im Herbst 1964 war es nur durch massiven Einspruch des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie möglich, in der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände einen Beschluß zu verhindern, der für die der Bundesvereinigung angehörenden Verbände den Abschluß von vermögenswirksamen Tarifverträgen ausschließen sollte", behauptet Ehrenberg Inzwischen erstreckt sich die Ab-lehnung nur noch auf gesetzliche Lösungen, wobei man sich in der Verwerfung eines gesetzlichen Investivlohns mit dem DGB einig weiß. Dagegen hat die BDA 1968 ihre Bereitschaft erklärt, vermögenswirksame Leistungen im Rahmen von Tarifverträgen zu vereinbaren, und 1971, das 624-DM-Gesetz schrittweise voll auszuschöpfen wobei für die tarifvertragliche Lösung u. a. die dadurch ermöglichte Elastizität angeführt wird.
Die Position der Arbeitgeber wäre sicher glaubwürdiger, wenn ihr Bekenntnis zur tarif-vertraglichen Vermögenspolitik nicht erst unter dem Druck der äußeren Umstände erfolgt wäre. So liegt der Verdacht nahe, es habe sich um die Wahl des kleineren Übels gehandelt, um die drohende gesetzliche Lösung zu vermeiden. Die Arbeitgeber betonen weiterhin die Freiwilligkeit bei der Vermögensanlage, obwohl grundsätzlich das Ziel einer breiten Streuung des Produktivvermögens anerkannt wird, und lehnen alle Versuche ab, „den Arbeitnehmer bei seiner Vermögensbildung in kollektive Fonds zu zwingen" 3. Die Parteien In der programmatischen Zielsetzung einer breiten Vermögensstreuung sind sich alle im Bundestag vertretenen Parteien einig.
Alle treten für eine breitere Beteiligung am Produktivvermögen ein und wollen die Unternehmen zu diesem Zweck mittels Gesetz zu einem jährlichen Vermögenstransfer in der Größenordnung von ca. 4— 5 Mrd. DM zwingen. Dagegen sind die vorgesehenen Instrumente unterschiedlich. Die CDU/CSU-Frak-tion hat 1970 im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der einen gesetzlichen In-vestivlohn als minimale, d. h. durch betriebliche und tarifvertragliche Regelungen ausfüllbare Rahmenlösung vorsieht. SPD und
FDP treten dagegen für eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung ein, konnten sich aber innerhalb der Regierung nicht einigen, so daß das Modell der Staatssekretäre bisher nicht realisiert wurde. Während die SPD Unternehmen mit einem Vermögenszuwachs von über 400 000 DM pro Jahr vor Gewinnausschüttung mit der Abgabe belasten will, sieht die FDP als Bemessungsgrundlage die Höhe des Gewinns nach Steuerabzug und die Höhe des Gesamtkapitals vor Der Kreis der Begünstigten ist am breitesten beim FDP-Vor-schlag, der alle Bürger einbezieht, während CDU und SPD den Kreis auf die Arbeitnehmer, die SPD zusätzlich nur unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze, beschränken wollen Die CDU verlangt keine Eigenbeteiligung, die SPD hat eine Mischregelung vorgesehen — kostenloser Bezug eines „Grundzertifikats" pro Jahr —, und die FDP sieht eine nach dem Jahreseinkommen gestaffelte Eigenleisturig vor.
SPD und FDP schlagen beide ein System selbständiger dezentralisierter Fonds vor, die von gewählten Repräsentanten der Zertifikatinhaber kontrolliert werden sollen In der Frage der Sperrfrist votieren CDU und SPD für 6 bis 7 Jahre, die FDP dagegen verzichtet auf jegliche Sperrfrist und verläßt sich auf die finan-zielle Sanktion, daß bei einem Zertifikatsverkauf das Bezugsrecht für die nächsten 3 Jahre entfällt. Damit sind auch bei den Fondslösungen die Weichen grundsätzlich für individuelle Vermögensbildung gestellt. Während der SPD-Vorschlag außer der Sperrfrist keine weitergehenden Regelungen trifft, versucht die FDP, das individuelle Verfügungsrecht zusätzlich dadurch zu sichern, daß 1. die Fonds die Zertifikate auf Wunsch zum Inventarwert zurücknehmen müssen, 2. eine Vermögensumschichtung durch Rückgabe der Zertifikate und Kauf anderer Wertpapiere das Bezugsrecht für die nächsten Jahre nicht beeinträchtigen soll und 3. auch ein Wechsel zu einem anderen Fonds möglich sein soll.
CDU und FDP haben darüber hinaus Vorschläge gemacht, die auf eine verstärkte Förderung betrieblicher Ertragsbeteiligungen und von Wohneigentum in breiteren Schichten abzielen. Die CDU tritt für die weitere soziale Privatisierung von Bundesunternehmen ein und will auch durch andere Maßnahmen das Angebot für Beteiligungen am Produktivkapital erweitern. Eine weitere flankierende Maßnahme ist die von der CDU geforderte und auch in den Beschlüssen der Bundesregierung über die Eckwerte der Steuerreform vorgesehene Beseitigung der Doppelbesteuerung. Damit würde z. B.der Aktienerwerb für Personen mit geringerem Einkommen vom Ertrag her attraktiver.
Die von der FDP vorgesehene Verbindung von überbetrieblicher Ertragsbeteiligung und Nachlaßabgabe erscheint besonders geeignet, dem Doppelziel breite Vermögensstreuung und Beschneidung der Großvermögen zu dienen. Das Aufkommen aus der Nachlaßabgabe, die eine Entlastung der kleineren und mittleren Vermögen, mit einem Abgabensatz von 75 °/o für den 6 Mill. DM übersteigenden Vermögensteil aber eine erheblich stärkere Belastung der Großvermögen anstrebt, soll in die Fonds fließen und damit zugunsten einer breiten Vermögensbildung eingesetzt werden. Die Größenordnung sollte allerdings nicht überschätzt werden. Die Nachlaßabgäbe wäre primär von ordnungspolitischer Bedeutung.
IX. Zusammenfassung: Wichtige Probleme der Vermögenspolitik
Die bisherigen Ausführungen dürften bereits deutlich gemacht haben, daß es die vermögenspolitische Patentlösung nicht gibt, vielmehr eine Kombination verschiedener, direkt vermögenswirksamer und flankierender Maßnahmen am ehesten Erfolg verspricht. Die Verwirklichung des Zieles einer breiten Vermögensstreuung erfordert zudem einen langen Atem, da eine gravierende Änderung der Verteilungsrelationen nicht kurzfristig erreichbar ist. Längerfristig würde aber allein die Ausschöpfung des von Kritikern z. T. als Quantite negligeable behandelten 624-DM-Gesetzes dem einzelnen Arbeitnehmer einen nicht unerheblichen Vermögensstock verschaffen, z. B. in 40 Jahren einschließlich 6°/o Zinsen DM 131 000
Für die Aufbringungsseite gilt, daß trotz der behandelten Unterschiede von Investivlohn und Ertragsbeteiligung, die aus den unterschiedlichen Ansatzpunkten resultieren, die wichtigsten Probleme sehr ähnlich sind. Dies trifft z. B. zu für die interdependenten Beziehungen zu den anderen Ecken des magischen Ziel-Vielecks. Sowohl Investivlohn wie Ertragsbeteiligung werfen das Problem derüber-wälzbarkeit und damit der Wirkung auf Preise, Wachstum und Beschäftigung auf. Umgekehrt wird das vermögenspolitische Ziel durch die anderen Ecken tangiert, indem z. B. aus Wachstum resultierende Einkommenssteigerungen die Sparfähigkeit erhöhen und stabile Preise die Sparneigung positiv beeinflussen, andererseits inflationäre Entwicklungen zu einer Vermögensumschichtung zugunsten der Sachwertbesitzer führen. Eine Kapitalflucht gefährdet nicht nur die Realisierung der Ziele Vollbeschäftigung und Wachstum, sondern auch die des Zieles außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Da Kapitalflucht weitgehend ein psychologisch bedingtes Phänomen und der Schwellenwert an Belastungen, der Kapitalflucht größeren Umfanges auslöst, daher kaum prognostizierbar ist, läßt sich die Kapitalfluchtgefahr gut als Abschreckungswaffe verwenden. Die Gefahr ließe sich erheblich vermindern, wenn sich die westlichen Industriestaaten diesbezüglich zu einer konzertierten Aktion aufraffen könnten, da ein Transfer in die Entwicklungsländer — Risiko-faktor — oder gar die kommunistischen Staa-B ten kaum hinreichend attraktiv sein dürfte. Solange Steueroasen wie die Schweiz die Reizschwelle sehr niedrig halten, ist zumindest die nationale Erschwerung der Kapitalflucht auch als flankierende vermögenspolitische Maßnahme erforderlich, ohne daß es bei offenen Grenzen und freiem Devisenverkehr möglich erscheint, Kapitalflucht völlig zu verhindern.
Eine Kombination von Investivlohn und Ertragsbeteiligung wäre in Form einer Mischung aus betrieblichen, tarifvertraglichen und gesetzlichen Maßnahmen erreichbar, wobei bei einer optimalen Mischung die relativen Vor-und Nachteile der drei Maßnahmen zu beachten wären. Während z. B. die wünschenswerte Freiwilligkeit, Flexibilität und Wahrung der Tarifautonomie für betriebliche und vor allem tarifvertragliche Vereinbarungen sprechen, ist eine größtmögliche Reichweite und damit zusammenhängend auch Effizienz und Chancengleichheit am ehesten auf gesetzlichem Wege erreichbar, so daß sich eventuell ein gesetzlicher Mindestrahmen anbieten würde. Nur mit dem Instrument des Gesetzes, insbesondere dem der Erbschaftssteuer oder der Nachlaßabgabe, ist das Ziel einer Beschneidung der Großvermögen zu verwirklichen. Der mit dem Erbfall verbundene Eingriff in bestehendes Vermögen ist bei Großvermögen notwendig, um eine kumulative Weiterentwicklung zu verhindern.
Auf der Verwendungsseite ist eine unterschiedliche Eingrenzung des Begünstigten-kreises denkbar. Dabei sollte der Gesichtspunkt der Sparfähigkeit, z. B. anhand einer nach Familiengröße gestaffelten Einkommens-grenze, beachtet werden. Auch die primär auf die Beeinflussung der Sparneigung zielende staatliche Sparförderung sollte vor allem die Sparanreize für die einkommensschwachen Bevölkerungsteile erhöhen. Darüber hinaus könnte sie eingesetzt werden, um die Dispositionsneigung zugunsten des Produktivvermögens zu beeinflussen. Um diese Vermögensart mit dem höchsten Konzentrationsgrad stärker zu streuen, wären zusätzlich flankierende Maßnahmen erforderlich, z. B. um das Angebot an Beteiligungstiteln zu erhöhen, die Doppelbesteuerung zu beseitigen und nicht zuletzt, um das Wissen über die Chancen und Risiken einer Beteiligung am Produktivvermögen zu vermitteln.
Nahezu alle vermögenspolitischen Maßnahmen zielen darauf ab, die Einkommensverwendung zu beeinflussen. Um einen dauerhaften Umverteilungseffekt zu erreichen, muß mittels Sperrfrist oder finanzieller Sanktionen sichergestellt werden, daß die Masse des neugebildeten Vermögens nicht zurück in den Konsum fließt. „Ewige" Sperrfristen bedeuten aber in Verbindung mit nichtkonkurrierenden Fonds eine entscheidende Zieländerung, da anstelle von Individualvermögen eine neue Form von Kollektivvermögen geschaffen wird, das nach Meinung der Befürworter zugunsten höherer gesellschaftspolitischer Ziele eingesetzt werden kann und soll. Während eine erfolgreiche, auf breite Streuung des Individualvermögens ausgerichtete Vermögens-politik das bestehende System von einem wichtigen Kritikpunkt entlasten und vermutlich systemstabilisierend wirken würde, ist das Kollektivmodell als funktionales Äquivalent einer partiellen Vergesellschaftung und damit als potentielles Instrument einer Überwindungsstrategie anzusehen. Die Minimierung individueller Verfügungsrechte innerhalb des Kollektivmodells läßt vermuten, daß weder in die Existenz noch die Entwicklung des „mündigen" Wirtschaftsbürgers viel Vertrauen gesetzt wird. Vermutlich zu Recht angenommene negative Auswirkungen auf die Mitbestimmungsforderungen, befürchtete Gegenreaktionen der Arbeitnehmer und andere Gründe mehr haben dazu geführt, daß innerhalb der Gewerkschaften die IG Metall inzwischen eindeutig gegen das Kollektivmodell Stellung bezogen hat. Angesichts dessen und der Haltung der Parteien dürfte das Kollektivmodell auf absehbare Zeit keine Realisierungschancen haben, was die Aussichten für eine erfolgreiche, auf breite Streuung des Individualvermögens ausgerichtete Politik verbessern dürfte.
Uwe Andersen, Diplom-Politologe, geb. 1940, Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin und der Yale University, New Haven; seit 1970 Assistent am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Münster.