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Die Wählerinitiativen im Wahlkampf 1972. Politisierte Wähler oder Hilfstruppen der Parteien? | APuZ 37/1973 | bpb.de

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APuZ 37/1973 Die Wählerinitiativen im Wahlkampf 1972. Politisierte Wähler oder Hilfstruppen der Parteien?

Die Wählerinitiativen im Wahlkampf 1972. Politisierte Wähler oder Hilfstruppen der Parteien?

Heidrun Abromeit Klaus Burkhardt

/ 82 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Neue am Bundestagswahlkampf 1972 war, daß nicht die Parteien allein ihn bestritten: Sie fanden erstmals in nennenswertem Umfang Unterstützung durch „den Bürger", der sich mit Gleichgesinnten in Wählerinitiativen organisierte und eigene „Mini-Wahlkämpfe“ führte. Daraus wurde vielfach gefolgert, daß der Bürger doch nicht so apathisch und politisch desinteressiert sei, wie Parteiführungen und Politikwissenschaftler bisher annahmen. Da politisches Interesse und politische Beteiligung wiederum zu den Existenz-bedingungen der (normativ verstandenen) Demokratie zählen, erschien vielen allein schon die Existenz derartiger Organisationen als Beweis dafür, daß die Demokratie in der BRD allen Totsagungen zum Trotz durchaus noch lebendig sei, und zugleich wurden hohe normative Erwartungen an die Tätigkeit der Wählerinitiativen herangetragen. Entstehung und Aktivitäten der Wählerinitiativen von 1972 vermögen in dieser Hinsicht weder einen ausreichenden „Beweis" zu erbringen, noch die hohen Erwartungen zu rechtfertigen. So war die Gründung der Initiativen nur sehr bedingt Ausfluß des spontanen Engagements aufgeweckter Bürger: z. T. ging der Anstoß von der zu unterstützenden Partei selbst aus (LWI), z. T. von einer kleinen Gruppe befreundeter „Prominenter" in engem Kontakt mit der Partei (SWI); bei den die CDU/CSU unterstützenden Gruppen überwogen sogar Scheinorganisationen mit Deckadressen. SWI und LWI als bloße Anhängsel der Parteien zu betrachten, wäre indessen ebenso verfehlt wie idealistische Vorstellungen vom Ausmaß des spontanen Engagements: Beide Wähler-Organisationen legten — zumal auf der lokalen Ebene — bei Planung und Durchführung ihrer Wahlkampfaktivitäten größten Wert auf Eigenständigkeit. Daß diese Aktivitäten dem von den Initiativen selbst propagierten Anspruch, den „mündigen Bürger" ansprechen und das politische Interesse fördern zu wollen, häufig nicht standhielten, lag demnach kaum am direkten Einfluß der Parteien. In der Art ihrer Werbung orientierten die Initiativen sich von ganz allein am bisher in der Parteienwerbung üblichen Leitbild des „Unpolitischen"; ihre Werbung unterschied sich von der der Parteien damit meist nur graduell und dürfte daher auch nur wenig mehr „politisierend" gewirkt haben als diese.

I. Politisierte Wähler oder Hilfstruppen der Parteien?

Inhalt

Den Bundestagswahlkampf 1972 bestritten nicht allein die Parteien: sie fanden in breitem Umfang Unterstützung durch „den Bürger", der, mit Gleichgesinnten zu Bürger-und Wählerinitiativen zusammengeschlossen, für die Partei seiner Wahl eigene „Mini-Wahlkämpfe" führte. Diese Erscheinung, deren Vorläufer nicht früher als 1965 zu datieren sind, war für die Bundesrepublik ein Novum und wurde und wird vielfach als Beweis dafür angesehen, daß der Bürger in der Bundesrepublik mitnichten auf immer in politische Apathie versunken, sondern weit interessierter, engagierter, kurz: „politischer" sei als traditionelle Partei-Wahlkämpfer wie auch zahlreiche Sozialwissenschaftler ihn selbst glauben machen wollen.

Wie hoch derartige Initiativen eingeschätzt werden, zeigte sich nicht zuletzt bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises im Februar 1973, den diesmal der „mündige Bürger" in Gestalt einer Frankfurter Bürger-(wenn auch nicht . Wähler-) Initiative in Empfang nehmen durfte. Die geehrte Initiative stand ausdrücklich für viele andere; honoriert wurde mit ihr das spontane persönliche Engagement für „öffentliche" Belange — ein Pflänzchen, das, so scheint's, gehegt werden muß, kann es doch als Beleg dafür gelten, daß die Demokratie in der Bundesrepublik nicht lediglich ein Wechselspiel verschiedener Eliten, sondern durchaus auch an der „Basis" lebendig ist.

Bisher waren gerade die Eliten — namentlich die Parteiführungen — von einem gänzlich anderen Bild des Bürgers ausgegangen; es läßt sich im Satz Schumpeters zusammenfassen, daß der typische Bürger „auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung (fällt), sobald er das politische Gebiet betritt" Sie taten dies nicht ganz zu Unrecht, denn zahlreiche wahlsoziologische Untersuchungen haben die Schumpetersche These erhärtet und nachgewiesen, wie gering der politische Informationsstand und wie groß das politische Desinteresse der Mehrzahl der Wähler ist. Der Durchschnittsbürger verharrt diesen Untersuchungen zufolge in politischer Apathie, wendet dem politischen Bereich nicht einmal einen Bruchteil der Energien zu, mit denen er sich anderen Bereichen (vor allem dem wirtschaftlichen) widmet, und fühlt sich durch politische Probleme und Ereignisse persönlich nicht betroffen — seien es nun die bei Parlamentswahlen anstehenden Fragen oder seien es gar handfeste politische Skandale, die ihn bei einiger Überlegung um den demokratischen Charakter seines Staates fürchten lassen müßten

An dieser „unpolitischen Verbrauchermentalität" der Wählermehrheit orientierten die Parteiführungen bisher ihre Wahlkampfstrategien: Da „eine politische Partei... in ihrer Propagandaarbeit so gut wie ausschließlich mit einer politisch uninteressierten Wählerschicht (zu) rechnen" hat, müsse sie, um die Wähler überhaupt zu erreichen, die Politik selbst unpolitisch „verkaufen" Wahlkämpfe erhielten die Aufgabe zugeschrieben, die Unpolitischen zur Stimmabgabe zu mobilisieren; sie klammerten die politische Auseinandersetzung aus, hielten sich an das „Prinzip Köpfe und Emotionen" und rechneten schon gar nicht mit eigener politischer Beteiligung der so Umworbenen.

Daß indessen weder derartige Wahlkämpfe, die die angenommene politische Unwissenheit der Wähler perpetuieren, noch die apolitische „Verbrauchermentalität'', auf der sie aufbauen, mit demokratischen Normen und Verhaltenspostulaten zu vereinbaren sind, liegt auf der Hand und ist oft genug beklagt worden. Auch wo Demokratie nicht wörtlich als Selbstherrschaft des Volks oder als Identität von Regierenden und Regierten verstanden wird, impliziert sie doch traditionell und unbestritten zumindest die Kontrolle der Regierenden durch die Regierten. Von solcher Kontrolle kann aber nicht die Rede sein, wenn die Regierten dem politischen Bereich apathisch gegenüberstehen und die Regierenden darum die periodisch wiederkehrende Wahl (als äußeres Kennzeichen demokratischer Zustände) dazu benutzen können, mittels unpolitischer „Verkaufs" -Strategien die Kontrollfunktion der Wahl vollends vergessen zu machen und die eigene Herrschaftsposition mit pseudodemokratischer Legitimation auszustatten und zu festigen. Politisches Interesse und politische Beteiligung der Bürger sind also Existenzbedingungen der — normativ verstandenen — Demokratie.

Doch nicht nur die Denaturierung der Wahl zeigt die Unvereinbarkeit politischer Apathie mit demokratischen Normen an. Politische Apathie dürfte in aller Regel Teil einer aus Ich-Schwäche resultierenden allgemeineren Angst vor Konflikten sein und deshalb einhergehen mit hoher Konformität, mit erheblicher Folgebereitschaft gegenüber der Autorität (und vor allem der staatlichen „Obrigkeit") sowie mit der Neigung zu vereinfachendem Schwarz-Weiß-Denken und zu personalistischer, moralisierender, vorurteilsbehafteter Deutung von Welt und Politik. Diese Neigungen zusammengenommen ergeben den geheimen Wunsch nach der starken Vaterfigur an der Spitze des Staates, die dem einzelnen das Nachdenken über Fragen der Politik abnimmt und für „Ordnung" sorgt; das aber ist das Gegenbild der Demokratie.

Der hohe normative Stellenwert der politischen Beteiligung in der Demokratie erklärt die Wertschätzung der in der Bundesrepublik jüngst aktiv gewordenen Bürgerinitiativen und zugleich die hohen Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Es ist allerdings die Frage, wie hoch der „praktische" Stellenwert dieser Initiativen zu veranschlagen ist, inwieweit sich in ihnen tatsächlich eine nennenswerte Zunahme politischer Beteiligung manifestiert und wie dies im Wahlkampf sich auszuwirken vermag. Vor allem aber stellt sich die Frage, inwieweit die Parteien, deren Führungen an vermehrter politischer Beteiligung nicht notwendig interessiert sind, derartige Initiativen als zusätzliche WahlkampfInstrumente bewußt einsetzen — nicht nur, um die breite Unterstützung der jeweiligen Partei in der Bevölkerung vorzuspiegeln, sondern ebensosehr, um den Anschein demokratischer Legitimation des gesamten bestehenden Systems politischer Herrschaft zu verstärken. „Von oben" initiierte und gesteuerte politische Beteiligung hätte indessen ihren demokratischen Sinn verloren und erfüllte nichts anderes als Alibifunktionen.

II. Die Wählerinitiativen im Wahlkampf 1972

1. Entstehung

In der vorzeitigen Bundestags-Neuwahl 1972 wurden alle im Bundestag vertretenen Parteien durch Wählerinitiativen unterstützt die z. T. in Ad-hoc-Aktionen in das Geschehen eingriffen, z. T. sich aber auch längerfristig auf diese Auseinandersetzung vorbereitet hatten. Für die Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI) kam lediglich die Vorverlegung des Wahltermins überraschend; sie fand sich jedoch — nicht zuletzt durch die Vorarbeit in den vorangegangenen Jahren — mit der ver-änderten Situation schnell zurecht. Schon 1965 hatte Günter Grass auf zwei Wahlreisen sein „Loblied auf Willy" gesungen. Das Engagement des parteilosen Schriftstellers wurde vom Liberalen Studentenbund und vom Sozialdemokratischen Hochschulbund unterstützt, die als Mitveranstalter auftraten. Hin und wieder stimmten Siegfried Lenz, Max von der Grün und Paul Schallück in den Wahl-song mit ein; die Voraussetzung zur Entstehung der SWI war gegeben. Bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl 1967 gingen neben Grass bereits Eberhard Jäckel und Siegfried Lenz auf eigene Wahlkampfreise. Die um sie entstehende Gruppe legte im Sommer 1968 dem Parteivorstand der SPD Vorschläge vor, wie unter den Bedingungen der Großen Koalition potentielle Wähler für die SPD mobilisiert werden könnten. Die Partei gab ihre Zustimmung, die SWI etablierte sich in einem Bonner Büro, und 1969 stellte Kurt Sontheimer auf einem außerordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg die Wähler-initiative der Öffentlichkeit vor. Ermutigt durch die Aktion „Es-pe-de" von 1969 und durch den Sieg der sozialliberalen Koalition ging die SWI im Frühjahr in den unter ostpolitischen Vorzeichen geführten Wahlkampf in Baden-Württemberg und damit in eine Art Generalprobe für den kurze Zeit danach beginnenden Bundestagswahlkampf.

Die Situation der FDP im Südweststaat und die bundespolitische Komponente im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 1972 wie auch das Beispiel der SWI schienen für den Jungdemokraten und Angestellten der Friedrich-Naumann-Stiftung, Gunter Murzin, und den Schauspieler Ulrich Radtke Grund genug, eine Wählerinitiative zugunsten der FDP ins Leben zu rufen. Seitens der Partei wurde die Anregung nur allzu gern aufgenommen, wollte man doch dem Bonner Koalitionspartner dieses neue und erfolgversprechende Instrument zur Wählermobilisierung nicht allein überlassen. Die Entwicklung der baden-württembergischen Wählerinitiative und die große Resonanz in der Öffentlichkeit bestätigten die Richtigkeit der Entscheidung; für den Bundestagswahlkampf plante die Parteiführung die „Aktion Blaues Dreieck" (LWI) darum bewußt als Wahlkampfmittel ein.

Die Entstehungszeit der Wählerinitiativen, die für SPD und FDP eintraten, fiel eindeutig mit Bundes-oder Landtagswahlen zusammen; die Wählerinitiativen bewegten sich damit deutlich im Rahmen des Wahlkampfs und im Vorfeld der wahlkämpfenden Parteien. Die Gründe für die Entstehung der CDU/CSU-Initiativen waren dagegen vielschichtiger. Schon im Laufe des Jahres 1971 veröffentlichten die BDA und die industriellen Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens in großen Tageszei-tungen Inserate, die vor der angeblich bevorstehenden Rezession warnten — ebenso wie eine Großanzeige, die im November 1971 unter der Überschrift „Wir können nicht länger schweigen" erschien. Es waren ausschließlich Vertreter der Großindustrie, die „nicht länger schweigen" konnten und es waren diesel-ben Kreise, die sich mit führenden Vertretern des Bauer-Verlags (und auf dessen Einladung) am 30. /31. Januar 1972 im sogenannten „ 4. Kronberger Dialog" zusammenfanden. Grund für diese Aktivitäten war die sich verschlechternde Situation der Regierung Brandt/Scheel. So erörterte man auf dem Kronberger Treffen zusammen mit Gerhard Stoltenberg und Alfred Dregger von der CDU in erster Linie Möglichkeiten zum Sturz der Regierung. Außerdem wurde bei der Gelegenheit ein „Arbeitskreis Soziale Marktwirtschaft" ins Leben gerufen, der seine Tätigkeit im Sommer aufnahm und im Bundestagswahlkampf dann eine Schlüsselrolle spielte. Andere sich als Wählerinitiativen ausgebende Gruppen traten unter Zug-zwang erst während des Bundestagswahlkampfs an die Öffentlichkeit, wobei die Zahl lokaler Initiativen äußerst gering war; es sollen sich darum ganze CDU-Ortsgruppen gegenüber der breiten Öffentlichkeit als Wähler-initiativen deklariert haben.

2. Organisation

a) SWI

Aufbau Der unterschiedlichen Entstehung entsprachen unterschiedliche Organisationsformen. Bei der SWI läßt sich der äußere Aufbau leicht nachzeichnen: Es gab ein zentrales Büro in Bonn, Landesbüros in den einzelnen Bundesländern und lokale SWI-Gruppen. Dem Bonner Büro, das seit 1969 besteht und mit einer hauptamtlichen Leiterin und einer hauptamtlichen Mitarbeiterin besetzt ist, stand im Wahlkampf 1972 ein Mitarbeiterkreis zur Seite, der aus 20 bis 30 Prominenten der verschiedensten Fachrichtungen bestand; die Identifikation der „Institution" SWI mit dem Namen Grass — für 1969 noch zutreffend, da die alleinige Leitung bei ihm lag — galt für 1972 darum in geringerem Umfang. Zwar galt Grass als Initiator der SWI auch in diesem Kreis durchaus als Autoritätsperson, nicht zuletzt durch seinen „Vertrauensvorsprung" zur Partei der gegenüber er die volle Verantwortung übernahm; die Frage jedoch, inwieweit sich das Team durch die Vaterautorität Grass'in seinen Entscheidungen vorprogram-miert sah, muß auf dem Hintergrund des vorliegenden Materials offenbleiben. Der Mitarbeiter-oder „Freundeskreis" erfüllte eine Art „Legislativfunktion" Unter Mitarbeit weiterer Fachleute erarbeitete er lange vor der Wahl theoretische und praktische Vorschläge für die Wahlkampfführung, so daß die SWI sich schon zu Beginn des Wahlkampfs auf ein vorbereitetes Konzept stützen konnte.

Die eigentliche Funktion des zentralen Büros — das sich kaum als Zentrale verstand und auch nicht so aufgefaßt wurde — war die einer Informations-und Koordinationsstelle, die Referenten vermittelte und Informations-und Werbematerial an SWI-Büros und -Gruppen weiterleitete. Man kümmerte sich von Bonn aus um die einzelnen Landesbüros, wohl wissend, daß man keinerlei Weisungsbefugnis besaß — kurz: das Bonner Büro half in schwierigen Fragen und bei plötzlich auftretenden Problemen den Landesbüros und autonomen Gruppen, hielt Kontakt zur Partei und leistete Hilfestellung, wo immer sie benötigt wurde.

Lehnte man einerseits eine feste Organisationsform bewußt ab und stellte das spontane Handeln in den Mittelpunkt, so blieb andererseits doch die Erkenntnis, daß man ohne eine gewisse Organisation nicht den gewünschten Effekt erzielen würde. Aus diesem Grund wurde auf Bundesebene eine besondere „Organisationseinheit" geschaffen, die Spontaneität und Effizienz verbinden sollte: das „Team". Es setzte sich zusammen aus Prominenten („Saalfüllern" im SWI-Jargon), die zu Wahlkampfreisen ä la Grass bereit waren, aus ihnen , beigeordneten', weniger prominenten Fachleuten verschiedenster Bereiche sowie aus organisatorischen Helfern. Im Unterschied zur „ganz großen" Prominenz (wie Grass und Böll) war das Team auf wenige, vorher festgelegte Wahlkreise fixiert, in denen es von den lokalen SWIs oder, wenn es solche nicht gab, von lokalen SPD-Büros unterstützt wurde. In enger Verbindung mit den Landesbüros konzentrierte es sich auf die Planung und Koordinierung der Veranstaltungen in den entsprechenden Wahlkreisen und diente gleichzeitig als Sprachrohr der SWI gegenüber der regionalen Presse.

Die Auswahl der auf diese Weise zuvörderst zu betreuenden Wahlkreise nahm im bundes-einheitlich vorbereiteten Konzept eine beson-dere Stellung ein. „Traditionelle" SPD-Wahlkreise wurden nicht berücksichtigt; man richtete das Hauptaugenmerk auf Kleinstädte und ländliche Gebiete mit einem relativ hohen Prozentsatz an CDU/CSU-Wählem, setzte also zum Sturm auf die „schwarzen Hochburgen" an Von den insgesamt 248 wurden 70 derartige Schwerpunkt-Wahlkreise ausgewählt; so eröffnete Grass den Wahlkampf der SWI im Strauß-Wahlkreis Weilheim, Böll im niederrheinischen Kleve.

Obgleich das Bonner Büro sich diesen 70 Wahlkreisen intensiver widmete, tat es das doch nie ohne vorherige Absprache mit den dort bestehenden Wählerinitiativen und vor allem mit den Landesbüros. Diese „Landeszentralen" der SWI, ein Novum gegenüber 1969, wurden, soweit sie nicht — wie z. B. in Baden-Württemberg — noch vom vorhergehenden Landtagswahlkampf bestanden, durch das Bonner Büro initiiert oder bildeten sich aus den im Land bestehenden lokalen SWIs. Ungefähr vier Monate vor der Bundestagswahl waren die jeweils mit einem bezahlten Mitarbeiter besetzten Landesbüros funktionsfähig und nahmen nun eine Mittlerrolle zwischen den lokalen Gruppen und dem Bonner Büro ein, bei dessen Arbeitsgesprächen sie häufig vertreten waren. Ihre Funktionen waren im Prinzip identisch mit denen des Büros in Bonn, nur hatten sie engeren Kontakt zur Basis und waren mit den politischen Gegebenheiten des jeweiligen Landes besser vertraut.

In den Ländern zeigte sich — nebenbei bemerkt — die gleiche Tendenz wie auf Bundesebene: die Presse nahm die Büros erst wahr, sobald sie mit ihnen zumindest regional bekannte Namen in Verbindung bringen konnte. So verband sich z. B. im Bewußtsein der baden-württembergischen Öffentlichkeit die SWI zunächst mit dem Namen von Thaddäus Troll, der mit anderen Prominenten und dem Leiter des Büros (der wie in fast allen anderen Ländern eine Frau war) die dortige SWI anführte. Derartige Führungsgruppen waren im übrigen meist identisch mit einem der oben genannten Teams. Aus ihrem Kreis verdienen die sogenannten Macher noch besondere Beachtung: sie fungierten offiziell als Koordinationsstelle für die lokalen Initiativen, waren aber hauptsächlich damit beschäftigt, genügend Leute zu finden, mit deren Hil-fe in ausgesuchten Wahlkreisen Veranstaltungen der SWI durchgeführt wie SWI-Gruppen gegründet werden konnten.

Die Gründung lokaler Initiativen kann also sowohl auf die Macher zurückgehen als auch eine Begleiterscheinung des offen ausgesprochenen Engagements regionaler oder lokaler Prominenz sein. 1972 bestanden allerdings noch ungefähr 60 lokale Gruppen der Grass-Initiative von 1969; durch Gründungen in der beschriebenen Art wie durch spontane Aktionen wuchsen sie bis Anfang Oktober auf über 200 Gruppen an. Am Ende des Wahlkampfs waren es dann über 350 SWIs, die sich unter dem Motto „Bürger für Brandt" aktiv in die politische Auseinandersetzung eingeschaltet hatten.

Der äußere Anlaß zur Entstehung lokaler SWI-Gruppen war zwar in der Regel die Bundestagswahl; aber auch vorangegangene Landtagswahlen, das Mißtrauensvotum gegen den Kanzler im Bundestag und die Abstimmung über die Ostverträge waren Gründe, die einzelne bewogen, „initiativ" zu werden. War der erste Schritt einmal getan, fanden sich meist rasch Sympathisanten, die sich an den Aktionen beteiligten.

Die Zusammensetzung der lokalen Gruppen war relativ einheitlich: Zieht man die Auswertung der vom Bonner Büro nach der Wahl an die einzelnen Gruppen verteilten Fragebogen zu Rate (die allerdings mit Vorsicht betrachtet werden muß so standen die 18-bis 35jährigen in der vordersten Reihe der Aktiven, wohingegen die Personengruppe der über 50jährigen schwach vertreten war. Zu einem äußerst hohen Prozentsatz (in der Auswertung 82 °/o) waren die tatsächlich Aktiven Angestellte, Beamte, Geschäftsleute und Angehörige freier Berufe, kaum aber Arbeiter. Dies scheint ebenso charakteristisch wie die Tatsache, daß die Zahl der Parteimitglieder in den SWI-Gruppen sich in Grenzen hielt Parteilose, jüngere Leute des Mittelstands — bei relativ ausgeglichenem Zahlenverhältnis von Männern und Frauen — sind es also gewesen, die sich primär mit der SWI identifizierten sie mit aufbauten und ihre Vorstellungen in sie einbrachten.

Finanzierung Die Frage nach den Finanzen der Initiativen ist neben möglicher Einflußnahme seitens der Geldgeber deswegen bedeutsam, weil die Finanzen — will man sie übersichtlich und nutzbringend handhaben — zweifelsohne einer gewissen Organisation bedürfen. War der Verwaltungsaufwand bezüglich finanzieller Angelegenheiten auf allen Ebenen auch minimal, so muß ihm doch eine gewisse stabilisierende Funktion in der Organisation der SWI zugebilligt werden.

Das Bonner Büro wurde „aus dem großen Topf" finanziert worunter „täglich eingehende Spenden" sowie die Übernahme der Telefon-, Porto-und Bürokosten durch die Partei zu verstehen sind. Um das Spendenaufkommen zu erhöhen, führte Grass eine „Aktion Bettelbrief" durch, die ihre Parallele auf Landes-und Lokalebene fand. Die Landesbüros wurden wie das Bonner Büro von der Partei — in diesem Fall von den Bezirken der SPD — mitfinanziert; auf lokaler Ebene waren Parteizuwendungen dagegen selten und vor allem minimal. Hier waren es tatsächlich fast ausschließlich persönlicher Einfallsreichtum, Eigeninitiative und Spenden, die die nötigen Mittel einbrachten. Der Verkauf von Graphiken, Buttons, Aufklebern, Plakaten etc., die entweder vom Bonner Büro oder von den Landesbüros zur Verfügung gestellt wurden, bot dabei besondere Möglichkeiten des Gewinns, an dem allerdings alle Ebenen partizipierten In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß das persönliche Engagement sowohl der prominenten als auch der „einfachen" Mitarbeiter zwar verbal, jedoch nicht finanziell honoriert wurde. Für Plakate und Graphiken z. B., die namhafte Künstler beisteuerten, waren im äußersten Fall die „Herstellungskosten" zu zahlen, was eine hohe „Gewinnspanne" beim Verkauf sicherstellte.

Verhältnis zur Partei Trat die Partei auch als Geldgeber auf, so versuchte sie doch damit niemals einen Druck auf die SWI zu verbinden. Vielmehr schien man seitens der SPD daran interessiert, die Eigenständigkeit der SWI zu erhalten — selbst wenn sich bei den häufigen gegenseitigen Kontakten nicht immer ein Konsensus herstellen ließ. Die SWI wurde auch kaum als „Konkurrenzunternehmen" angesehen, doch mißtraute man häufig der im Sinne der Parteiinteressen positiven Wirkung der SWI-Aktionen. Immerhin schwand dieses Mißtrauen im Laufe des Wahlkampfs und ging letztlich im großen Jubel am 19. November unter.

Die Zusammenarbeit zwischen SWI und Parteistellen erstreckte sich im übrigen auf alle Ebenen bis hinunter zur lokalen. Sie bestand im wesentlichen in regelmäßiger gegenseitiger Information über Wahlkampfkonzepte und geplante Maßnahmen (vor allem auf der zentralen Ebene), in organisatorisch-technischer Hilfeleistung seitens der Partei (auf allen Ebenen) und in der Unterstützung der Wahlkreiskandidaten seitens der SWI (auf der lokalen Ebene).

b) Aktion Blaues Dreieck — LWI

Der Entschluß der FDP, die LWI im Bundestagswahlkampf in ihre Strategie mit einzuplanen, ist zumindest teilweise auf eine Art „Präsenzpflicht" zurückzuführen: Ausgangspunkt war das Bestehen einer Wähler-initiative bei der Konkurrenzpartei, wenn auch einzelne Unabhängige von sich aus an die Partei herantraten und ihre Bereitschaft zur Mit-Gründung einer LWI bekundeten. So ist es verständlich, daß sich bei der LWI zahlreiche Parallelen zum „großen Bruder" SWI finden. Schon ihr formaler Aufbau war ähnlich wie der der SWI von 1969: es bestanden ein zentrales Büro in Köln (mit vier hauptamtlichen Mitarbeitern), keine Landesbüros und über 90 lokale Initiativen. War auf der einen Seite Grass als der führende Kopf anzusehen, so nahm bei der LWI Theodor Eschen-burg nach außen hin diese Stellung ein. Wie Vertreter der SWI auf SPD-Parteitagen, so sprach auch Eschenburg auf dem Bundesparteitag der FDP vom Oktober 1972.

Zur ersten Aufgabe des Kölner Büros unter Gunter Murzin gehörte der konsequente Aufbau der Initiative, für die ja — mit Ausnahme von Baden-Württemberg — noch keinerlei „Basis" bestand. Zu diesem Zweck wurde das in Baden-Württemberg erprobte Rezept auf die Bundesebene übertragen, wonach am Anfang das Ansprechen der Prominenten stand, die bereit zu sein schienen, in einer LWI mitzuarbeiten. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, daß die Prominenten-Requirierung oft von einem Hauch „Manipulation" umgeben war, da die Kölner Organisatoren sie nach bestimmten „Image" -Gesichtspunkten strukturierten; so wurde der eher „konservative" Eschenburg, der noch dazu lange Zeit für die BRD ein Zweiparteiensystem unter Ausschluß der FDP befürwortet hatte, nun als Beispiel der „liberal-dynamischen" FDP präsentiert. Dennoch versuchte man den gewonnenen Mitarbeitern die Überzeugung zu vermitteln — oder zu erhalten —, daß sie aus Eigenantrieb und als Individuen handelten. War erst einmal ein „Stamm" von Prominenten gewonnen, die ihrerseits gezielt weitere potentielle Mitarbeiter der LWI ansprachen, taten sie in Anzeigen kund, daß eine LWI-Gruppe, deren „Kopf" sie seien, entstanden sei, und forderten an Hand eines Coupons zum Mitmachen auf. Die recht zahlreichen Zuschriften bestätigten das oft sehr große Interesse der Aufbau der lokalen Wählerinitiativen konnte beginnen. Um die Wahlkreise einigermaßen abzudecken, ermittelte das Kölner Büro aus den Zuschriften Personen, die als Organisatoren lokaler Gruppen in Frage kommen konnten, und setzte sich mit ihnen in Verbindung. Dieses Verfahren bewährte sich meist; wenn keine entsprechenden Zuschriften vorlagen, wurden örtliche Parteistellen über potentielle Organisatoren befragt. Es gab allerdings auch lokale Gründungen, die auf das spontane Engagement einzelner Bürger zurückzuführen waren

Einen beträchtlichen Teil seiner Zeit dürfte das Kölner Büro mit der Initiierung lokaler Gruppen zugebracht haben. Ansonsten waren seine Funktionen ähnlich wie die des Bonner Büros der SWI: Informations-und Referenten-vermittlung. Die Aufgaben organisatorischer Hilfeleistung für die lokalen LWIs oder gar der Koordination ihrer Tätigkeit standen allenfalls theoretisch noch mit auf dem Katalog — ihre Erfüllung scheiterte schon allein an der Überlastung des einen Büros.

Es war auffallend, daß die LWI schließlich zwar in allen Bundesländern, aber nur in Städten und höchstens in Einzelaktionen auf dem Land vertreten war. Die Sozialstruktur der LWI-Aktiven war mit der der Partei nahezu identisch: fast ausschließlich Akademiker, Angehörige freier Berufe und Selbständige; wie in der SWI lag dabei die Altersgruppe der 18-bis 35jährigen weit an der Spitze. Im Unterschied zur SWI legte die LWI aber von vornherein großen Wert auf den „Amateurstatus", so daß die Zahl der in der LWI vertretenen Parteimitglieder auf lokaler Ebene als äußerst gering anzusehen ist.

War die Partei schon Mitinitiator der LWI, so beteiligte sie sich auch an ihrer Finanzierung. Die FDP finanzierte die vier Mitarbeiter des Kölner Büros, dessen Miete ein Spender zahlte, kam für Büromaterial, Telefon-und Porto-kosten auf und stellte darüber hinaus eine ansehnliche Spende — 100 000 DM — zur Verfügung, die ihr angeblich zweckgebunden für die LWI zugegangen war. Ein Betrag von 50 000 DM, der aus dem baden-württembergischen Landtagswahlkampf übriggeblieben war, kam dem Kölner Büro besonders in der ersten Zeit des Wahlkampfes zugute als noch kaum Spenden eintrafen. Natürlich bemühte man sich lebhaft um Spenden, zumal man an Werbematerial, das es — verglichen mit der SWI — kaum gab, nichts „verdienen" konnte. Von der Bettelbrief-Aktion wurde ebenso Gebrauch gemacht wie von Beziehungen, die Parteileute vermittelten. Die daraufhin bald täglich in der Kölner Zentrale eingehenden Spenden ermöglichten schließlich eine teilweise Eigenfinanzierung; sie wurden jedoch merklich weniger, je länger die lokalen Initiativen bestanden. Die lokalen LWI-Gruppen finanzierten sich ausschließlich selbst und traten damit in ein echtes Konkurrenzverhältnis zur Zentrale.

Trotz der Initialzündung und Mitfinanzierung durch die Partei entwickelte die LWI aber eine erstaunliche Eigenständigkeit. Es gab keine institutionalisierten Kontakte zwischen LWI-und FDP-Führung; selbst die gegenseitige Information scheint auf dieser Ebene um einiges geringer gewesen zu sein als bei SWI und SPD, und zum Münchner LWI-Kongreß am 4. 11. 1972 wurden Parteivertreter nicht einmal zugelassen. Auf lokaler Ebene allerdings gab es eine selbstverständliche Zusammenarbeit mit Bundestagskandidaten, örtlichen Parteistellen und Jungdemokraten, die ihrerseits eigene Jungwählerinitiativen organisierten. Lokal kam es hin und wieder auch zu Reibereien mit Parteistellen, die die LWIs manchmal zu bevormunden trachteten. Insgesamt jedoch war wohl vor allem die deutliche Abgrenzung zu den CDU/CSU-,, Initiativen" Grund genug für die FDP, der LWI möglichst freie Hand zu lassen. Auch vom unausgesprochenen Hinweis auf das Verhältnis zwischen SWI und SPD wird die LWI profitiert haben, und nicht zuletzt dürfte eine Überwachung und Steuerung der LWI-Aktionen sich schon allein deswegen verboten haben, weil sie die FDP organisatorisch überfordert hätte.

c) Wählerinitiativen Brandt/Scheel

Lag einerseits im Gefolge der sozialliberalen Koalition eine Zusammenarbeit von SWI und LWI nahe — inwieweit sie zustande kam, wird noch zu untersuchen sein —, entstanden andererseits an etlichen Orten neben SWI und LWI Initiativen, die sich explizit für „Brandt und Scheel" einsetzten sie orientierten sich an der von den beiden Koalitionsparteien schon früh propagierten Festlegung auf eine zweite sozialliberale Regierung. Organisatorisch lehnten sich diese Gruppen in der Regel an eine der beiden großen Wähler-initiativen an wobei der SWI aus Gründen der Materiallage und des größeren Namens meist der Vorzug gegeben wurde.

Aus der Reihe der Brandt/Scheel-Initiativen sei hier die Kölner Gruppe herausgegriffen, die als atypisches Beispiel für die sozialliberalen Initiativen gelten kann. Die „Kölner Bürgerinitiative Brandt/Scheel" war aus einer spontanen Initiative zur Unterstützung der Ost-verträge hervorgegangen. Unter ihren 400 Mitgliedern, die bereit waren, „im Durchschnitt 30 DM Monatsbeitrag" zu zahlen, war ein hoher Prozentsatz Künstler und Graphiker — vor allem aus der Werbebranche —, die mit ihren Einfällen den Grundstein zu einer beispiellos guten Finanzsituation der Gruppe legten. Eben dies schien eine feste Organisationsform zu erzwingen — das viele Geld wollte verwaltet werden —, und so präsentierte sich die Kölner Initiative als eingetragener Verein mit „Vorstand und allem, was dazu gehört" Sie setzte sich damit über die in anderen Gruppen üblichen Bedenken — wie notwendige Organisierung und der Charakter als „Initiative" sich vereinbaren ließen — hinweg, warf aber mit ihrer Tätigkeit zugleich die Frage nach der Relation zwischen Kommerzialisierung und politischer Aussage auf.

d) Selbstverständnis und Motivation der sozial-liberalen Initiativen

Das Phänomen der Wählerinitiative nach Art der SWI oder LWI wurde meist durch Negativdefinitionen näher bestimmt. So sprach man davon, daß sie „keine Ersatzpartei", „keine Partei in der Partei" sei nicht als „Nebenverein der Partei" gesehen werden dürfe und ihr auch „keine Empfehlungen zu geben" habe Als was eine Wählerinitiative sich allerdings positiv zu verstehen habe, darüber bestand wenig Einigkeit und wurde auf allen Ebenen innerhalb der Initiativen lange und oft aggressiv diskutiert. Zieht man ein Fazit aus diesen Diskussionen, so stellen — als kleinster gemeinsamer Nenner — die Wählerinitiativen sich dar als „Forum" für die Wähler einerseits und als „Vorfeld" der Parteien andererseits, als Kommunikationsinstrument zwischen Wählern und Parteien also, das sowohl die Vermittlung des Partei-wollens zum Wähler als auch die des Wählerwillens zur Partei einschließt. Diese allgemeine Charakteristik spiegelt sich in den häufig gebrauchten abstrakten Formeln vom „kritisch-distanzierten Begleiten" der Partei, von der „kritischen Loyalität" und — noch allgemeiner — vom Engagement „unbequemer Demokraten, die es sich selber unbequem machen" und für die die Politik nicht ausschließlich Sache der Parteien ist.

Indessen bestand vor allem für die SWI das Problem, als „Gesamtorganisation" für Aussagen über ihr Selbstverständnis der Legitimation durch die Basis zu bedürfen — und damit nicht nur durch die Vielzahl der lokalen Gruppen, sondern überdies durch deren höchst unterschiedlich motivierte Mitarbeiter. In konkreterer Fassung konnte es daher das Selbstverständnis der SWI legitimerweise nicht geben. Nachträglich lassen sich zwar Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen der einzelnen Gruppen feststellen, doch haben sie allenfalls statistischen Aussagewert. Selbst innerhalb der lokalen Gruppen zeigte sich noch das hier skizzierte Dilemma; Grass sprach denn auch zu Recht davon, daß „das Selbstverständnis der Wählerinitiativen an Knotenbildung nichts zu wünschen übrig läßt" Letztlich war es sogar die Unmöglichkeit, zu einem einheitlichen Selbstverständnis zu finden, die das Bild, das die SWI von sich hatte, wie auch ihr „Image" in der Öffentlichkeit entscheidend bestimmte.

Für die LWI bestand dieses Problem auf Bundesebene nicht, da man sich hier als reines Wahlkampfinstrument verstand Auf lokaler Ebene jedoch dürfte die Situation der der SWI vergleichbar sein, zumal die einzelnen Gruppen sich in starkem Maß verselbständigt hatten, sich auf die rein „wahltechnische" Sicht der Zentrale also nicht verpflichtet fühlten. über die Brandt/Scheel-Initiativen liegen bisher zu wenig Informationen vor, um Aussagen über ihr Selbstverständnis zu erlauben.

Die Schwierigkeiten bei der Suche nach dem Selbstverständnis der Initiativen beruhten wesentlich auf dem doch immerhin beträchtlichen Maß an Spontaneität bei der Gründung der lokalen Gruppen. Das spontane Zusammenfinden parteipolitisch nicht engagierter Bürger nämlich implizierte ein Aufeinander-treffen von z. T. grundverschiedenen Motivationen, die sich nur schwer in ein gemeinsames Konzept bringen ließen. Daß solche Konzepte wenigstens bezüglich der Aktionen dann doch zustande kamen, lag primär am Zeitdruck der bevorstehenden Wahl.

Das Spektrum der Motivationen war bei den Mitarbeitern der verschiedenen sozial-liberalen Initiativen weitgehend identisch. So ging man nicht unbedingt für eine der dahinter stehenden Parteien auf die Straße und identifizierte sich schon gar nicht mit allen Programmpunkten dieser Partei, sondern sah durch sie einige spezielle Interessen — ob nun Außenpolitik, innere Reformen oder materielle Interessen — am besten vertreten und nahm dafür andere „Nachteile" zeitweilig in Kauf. In den Worten von Eschenburg entschied man in der Unterstützung von SPD oder FDP also „nicht ä la carte, sondern über Menüs" — meist sogar über den Eintopf der Gesamt-Koalition. Ein anderer Grund für eigenes Engagement war die Empörung über das Mißtrauensvotum gegen Brandt oder über Wahlkampfmaßnahmen der CDU/CSU; sie hatte ihren Gegenpol in der allgemeinen Sympathie für Brandt und Scheel und mündete damit im Einsatz für dasselbe „Menü"; Das allgemeine Ziel war die Erhaltung der sozialliberalen Koalition, sei es, daß man die „Bremserfunktion" der FDP befürwortete oder zur Verhinderung eines Zweiparteiensystems die FDP unter allen Umständen im Bundestag vertreten sehen wollte, sei es, daß man glaubte, allein könne die SPD den Wahlsieg nicht schaffen oder sei es nur aus Angst vor dem vermuteten Machthunger eines Franz Josef Strauß. Hinzu kam, daß einzelne Personen in den Initiativen ein ganz spezifisches politisches Betätigungsfeld sahen. So geriet z. B. Esther Vilars Einsatz für die FDP zum Feldzug für die Abschaffung des Paragraphen 218, und unzufriedene Parteimitglieder glaubten in der SWI einen größeren Aktionsradius als in der Partei finden zu können.

Einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert hatten daneben aber das Bestreben einzelner Mitglieder nach Selbstdarstellung und die Eigenwerbung mancher Prominenz. Damit soll die politische Überzeugung der Betreffenden nicht unbedingt in Frage gestellt werden, doch bot sich zumindest als „positiver Nebeneffekt" des Engagements die Möglichkeit, seinen Namen in einer Anzeige „auch mal unter Prominenten zu sehen", etwas nicht Alltägliches zu tun, das „Spaß" macht, und seinen eigenen Bekanntheitsgrad bundesweit zu erhöhen. In engem Zusammenhang mit der erhofften Selbstwertsteigerung — wie übrigens auch mit der Kompensation von Frustrationen beruflicher oder familiärer Art — stand das Streben nach Befriedigung von Kommunikationsbedürfnissen, das u. a. dazu führte, daß sich innerhalb der lokalen Gruppen rasch ein eigenes, von der Politik losgelöstes Gruppenbewußtsein entwickelte. Und last not least waren die schon bestehenden Bürgerinitiativen zu regional-lokalen Problemen ein Anreiz, der „Modeerscheinung" Wählerinitiative beizutreten.

Der — wie immer motivierte — persönliche Einsatz vieler, auf lokaler Ebene arbeitender Mitglieder ist die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der gesamten Wählerinitiative, sei sie nun entstanden wie die SWI oder wie die LWI. Dieser tatsächlich in reichem Maß vorhandene Einsatz wie die wenig entwickelten und vor allem unbürokratischen Organisationsstrukturen lassen den Schluß zu, daß SWI und LWI an der „Basis" durchaus genuin demokratische Gebilde waren — auch wenn in den Gruppen Entscheidungen manchmal „autoritär" getroffen wurden. Inwieweit aber mit der Tätigkeit in diesen Gruppen auch ein Politisierungs-Effekt verbunden war, der die Einschätzung z. B.der SWI durch Willy Brandt — sie stelle den „mündigen Wähler" dar der sich zum „citoyen" entwickelt habe — rechtfertigen kann, läßt sich erst nach der Betrachtung ihrer Aktivitäten beurteilen.

e) CDU/CSU-Wählerinitiativen

Ist der Aufbau von Wählerinitiativen im Falle SWI und LWI relativ leicht zu fassen, so ergibt sich bei den Hilfsorganisationen der CDU/CSU schon aus der Anonymität ein schier unüberwindbares Hindernis Es gab bei den über 40 „Wählerinitiativen" die sich zugunsten der CDU/CSU in den Wahlkampf 1972 einschalteten, keine zentrale Ebene, kein offen erkennbares organisatorisches Dach. Die meisten dieser Gruppen traten mit Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen in Erscheinung, die sowohl auf bundesweite wie auf regional-lokale Initiativen hindeuten konnten. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, seien zunächst die als überregional identifizierbaren Gruppen genannt.

Nahezu alle Aktionen lassen sich im Grunde auf drei Institutionen zurückführen: den Wirtschaftsrat der CDU e. V., die CDU/CSU und die Axel Springer AG. Als Mittler und Koordinationsstellen fungierten vier Gruppen, die verschiedene Interessenten vertraten, aber untereinander in mehr oder weniger „loser" Verbindung standen: die Gruppe des „Kronberger Dialog", die Firma „Complan" und die beiden Postfachadressen 8762 Amorbach/Odenwald, Postfach 1, und 874 Bad Neustadt/Saale, Postfach 1637. Die erste Gruppe wurde maßgeblich getragen vom Heinrich Bauer-Verlag, von Vertretern der Großindustrie, die wie z. B. H. -J. Götz (Pelikan) und Prof. K. Hansen (Bayer Leverkusen) Mitglieder des CDU-Wirtschaftsrats sind, aber auch von profilierten CDU-Politikern wie Gerhard Stoltenberg und Alfred Dregger Aus dieser Konstellation gingen der „Arbeitskreis Soziale Marktwirtschaft" (Nr. 4) und der „Verlag für Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft und Politik W. Ahrens" (Nr. 30) hervor.

Der Generalbevollmächtigte der Springer AG, zugleich Vorstandsmitglied des CDU-Wirtschaftsrats, E. v. Brauchitsch, sowie CDU-Wirtschaftsratsmitglied und Bankier Freiherr v. Bethmann stellten die Verbindung zwischen dieser Gruppe und der „Complan" her, einer eigens für Wahlkampfzwecke gegründeten Firma, die die Einlagen ihrer „stillen Gesellschafter" unter Anleitung von H. C. Röglin in der „Steuer-Notgemeinschaft" (Nr. 27) anlegte, über die Springer AG -— namentlich durch die Mithilfe von Springer-Journalisten — hing diese Gruppe wiederum mit der „Initiative mündiger Bürger" (Nr. 20) und mit der Aktion „Erhard/Schiller: Zur Sache" (Nr. 13) zusammen, über die Landsmannschaft Ostpreußen und die Deutschland-Stiftung e. V. mit der „Vereinigung zur Förderung der politischen Willensbildung e. V." (Nr. 29).

Diese Vereinigung zeichnete verantwortlich für die „Wählerinitiative freiheitlich gesinnter Staatsbürger in der Vereinigung zur Förderung der politischen Willensbildung e. V." (Nr. 37) und die „Bürgerinitiative für klare Entscheidungen" (Nr. 7) und hatte ihren Sitz in Bad Neustadt/Saale. Von hier führt der Weg über K. F. Grau und seine Ehefrau Ulrike nach Amorbach/Odenwald, wo die „Aktion nüchterne Bürger in der Gesellschaft für konstruktive Politik" (Nr. 2) und die „Wählerinitiative der Arbeiter, Kleingewerbe-treibenden und Kaufleute in der Gesellschaft für konstruktive Politik" (Nr. 34) zu Hause waren und von'wo aus überdies intensive Kontakte zu Manfred Roeder (Bensheim), dem Initiator der „Deutschen Bürgerinitiative" (Nr. 12) und der „Bürgerinitiative Schalke" (Nr. 10), gepflogen wurden, über Kontaktpersonen aus der Landsmannschaft Ostpreußen hatte auch der FDP-Dissident und CSU-MdB Siegfried Zoglmann, der die „Wählerinitiative Deutsche Union" (Nr. 36) und die „Wählerinitiative Deutsche Union Nordrhein-Westfalen" initiierte, Verbindungen zur Amorbach/Neustädter Gruppe.

Bei einigen der bisher genannten „Initiativen" hatten Mitglieder des Wirtschaftsrats der CDU die Hand im Spiel. Deutlicher wird der Einfluß dieser Institution bei der „Aktion Solidarität" (Nr. 3), der „Bürgerinitiative Aktion der Mitte" (Nr. 5) und der „Wählerinitiative'der Realisten" (Nr. 42). Die „Konzentration Demokratischer Kräfte" (Nr. 23) — Die „Konzentration Demokratischer Kräfte" (Nr. 23) — auch als „Wahlinitiative Republikanisch-Freiheitliche Aktion" (Nr. 32) und „Wahlinitiative Liberale Union" (Nr. 31) an die Öffentlichkeit getreten — war vom Vorstandsmitglied des Wirtschaftsrats, Busso Graf von Alvensleben, und die „Bürgerinitiative pro Union" (Nr. 9) schließlich vom Geschäftsführer des Wirtschaftsrats Dr. Haimo George persönlich ins Leben gerufen. Abgerundet wird das Bild durch „Wählerinitiativen", die der CDU/CSU ohne organisatorische Umwege zuzuordnen sind, wie Nr. 1, 15, 17, 18, 19, 24, 33 und 41.

Diejenigen Wählerinitiativen, die mit Tarnnamen operierten, um ihre Parteiunabhängigkeit zu demonstrieren, waren bei weitem in der Überzahl. Dabei verbarg sich oft nur eine einzige Person — zudem meist Parteimitglied der CDU/CSU — im Hintergrund, wie z. B. bei Nr. 5, Nr. 10 und Nr. 12. In den Fällen, in denen Anzeigen, mit den Namen einzelner Bürger unterzeichnet, nach außen hin eine „echte" Initiative vorspiegelten, blieben Parteizugehörigkeit und Geldgeber im Dunklen. Klar einzuordnen sind immerhin die Anzeigen der „Wählerinitiative: Junge Bürger Stuttgart" (Nr. 38), deren Unterzeichner sämtlich Mitglieder und Funktionsträger der CDU sind 41), sowie die Anzeigen der Reihe „Männer, denen wir vertrauen" (Nr. 25). Die letztere dürfte eindeutig als CDU-Serie zu bezeichnen sein, war sie doch von CDU-Bundestagskandidaten wie z. B. Prof. Gerhard Zeitei unterzeichnet; durch Weglassen der Parteizugehörigkeit erweckte sie jedoch den Eindruck, als handele es sich um eine Aktion parteiloser Wähler. Im Falle der „Wählerinitiative ehemaliger SPD-Wähler" (Nr. 18) hatte zumindest der angegebene Absender „schon immer CDU gewählt", und der einzige ehemalige SPD-Wähler, der ausgemacht werden konnte, weigerte sich standhaft, weitere Mitglieder zu nennen 42). Vor allem aber bei den Initiativen „Pro Union", „Aktion Solidarität" und „Wählerinitiative der Realisten", die sich dem Leser mit langen Namenslisten präsentierten, waren in hohem Maß Mitglieder der CDU beteiligt

Recht zweifelhaft scheint die Rekrutierung dieser — oft mit Bild — „pro Union" und als „Realisten" werbenden Unionsanhänger gewesen zu sein. Da es sich durchweg um „klei-ne Leute" handelte, liegt der Verdacht nahe, daß persönliche Abhängigkeitsverhältnisse mit eine Rolle gespielt haben mögen. So war den Unterzeichnern manchmal der Text der entsprechenden Anzeigen vorher nicht bekannt, und sie unterschrieben, weil sie „einen Gefallen tun" wollten oder „rein zufällig von höherer Seite angesprochen worden" waren Frau Ingeborg S. L. Meyer aus Hannover, die in einer Einzelaktion zugunsten der CDU als „besorgte Mutter, stellvertretend für Tausende Muttis" den Eindruck einer großen Anzahl hinter ihr stehender Frauen erweckte, stand zumindest bei der Bezahlung ihrer Anzeige nicht allein, da sie „jemanden aus der Gemeinde gefunden" hatte

Die wenigen echten Wählerinitiativen für die Unionsparteien, die sich auf lokaler Ebenei hie und da bildeten, spielten gegenüber den anonymen Strohmänner-Initiativen eine untergeordnete Rolle. Moralische Erwägungen bzw. daraus resultierende Differenzen mit der örtlichen CDU ließen die lokalen Gruppen „Christliche Wählerinitiative Menschenwürde Köln" und „Wählerinitiative Erststimme für Rudolf Werner" (Hannover) entstehen. Die von Hannelore Pöppinghaus, selbst „langjähriges Mitglied der CDU" initiierte Kölner Gruppe, die sich aus der Aktion Porno-Stopp entwickelte, sah die Politik als Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln an und beurteilte danach die Unterstützungswürdigkeit der lokalen Kandidaten; über ihre Mitstreiter wollte Frau Pöppinghaus — außer dem Verweis auf die Massenbasis der Aktion Porno-Stopp — indes keine Aussagen machen. Die Hannoveraner Initiative bildete sich als Protest gegen den aussichtslosen Listenplatz 22 des Kandidaten Werner, dem seitens der Partei vorgehalten wurde, daß er sich mit nackten Kindern auf einem Plakatentwurf habe abbilden lassen; ihre Mitglieder dürften sich primär aus dem persönlichen Anhang des Kandidaten rekrutiert haben.

Die Geldgeber der meisten CDU/CSU-„Initiativen" sind offensichtlich in den Reihen der Großindustrie und insbesondere des Wirtschaftsrates der CDU zu suchen. Exemplarisch seien hier einige Finanzquellen der Mittlerorganisationen genannt Am „Arbeitskreis Soziale Marktwirtschaft" beteiligten sich u. a. Dr. H. Freiensehner (BASF), M. Oheim v. Hauenschild (Deutsche Bank), Dr. H. -W. Hermann (Braun AG), E. v. Heusinger (Quandt-Gruppe), G. Jesumann (Reemtsma), K. Puttner (Coca-Cola) sowie die Firma Asbach & Co. und der Heinrich Bauer-Verlag. Die „Firma" Complan wurde unterstützt u. a. von den Versandhaus-Chefs Otto und Schickedanz (Quelle), der Familie Cloppenburg, dem Springer-Verlag, dem Bankhaus Sal. Oppenheimer & Cie. und dem Bankier Freiherr v. Bethmann (Frankfurt). Die Geldgeber der Complan konnten ihre „atypisch stillen Einlagen von 50 000 DM (Gesellschaftsvertrag)" als „Investitionen" voll von der Steuer absetzen. Die von der Complan initiierte und finanzierte „Steuer-Notgemeinschaft" wiederum brauchte „sämtliche Inserate in den Springer-Zeitungen ... nicht zu bezahlen" Zur „Staats-und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e. V." (Nr. IV, 7) schließlich, die Verbindungen zur Amorbacher und Bad Neustädter Deckadresse hatte, trugen finanziell u. a. die Firmen Melitta, BMW und Hoesch maßgeblich bei.

Spenden für diese Gesellschaft wie für ähnliche, zur Finanzierung der Anzeigen zwischengeschaltete Organisationen waren steuerlich voll abzugsfähig. Dasselbe gilt für die über den Wirtschaftsrat der CDU e. V. laufenden Gelder, da er als „Berufsvertretungsverband" anerkannt wird: laut Satzung ist er ein „Zusammenschluß von Unternehmern", die „im Sinne des CDU-Programmes arbeiten". Er ist ein vollkommen autonomes, unkontrollierbares Gremium; die Autonomie der Unionsparteien ihm gegenüber könnte hingegen in dem Maße abnehmen, wie er sich finanziell „pro Union" einsetzt.

Konnte bei SWI und LWI eine Gefahr in der Beeinflussung seitens der Parteien gesehen werden — die jedoch kaum bestand —, so lag im Fall der CDU/CSU-,, Initiativen" eine Steuerung aus den Reihen der Großindustrie vor, die möglicherweise nicht einmal nur diese Hilfsorganisationen betraf. Daß sie sich zum Sprachrohr der Interessen gewichtiger Industriekreise machten, ja letztlich als deren langer Arm gelten müssen, minderte die Glaubwürdigkeit der Initiativen, untergrub aber auch die Glaubwürdigkeit der Unionsparteien. Abgesehen davon muß der demokratische Charakter der CDU/CSU-Initiativen in Zweifel gezogen werden. Zum einen standen ihre Hintermänner und Geldgeber außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle; zum anderen läßt sich bei kaum einer der Gruppen eine Organisationsform ausmachen, die als demokratisch zu qualifizieren wäre — ohnehin handelte es sich ja meist nur um Scheinorganisationen. Sie benutzten lediglich den Namen „Wählerinitiative", um dem massiven materiellen Einsatz für die Sicherung ökonomischer Macht und die Erhaltung bestehender Herrschaftsverhältnisse pseudo-demokratische Legitimation zu verleihen.

3. Aktivitäten

a) Zentrale Aktivitäten

Wie groß der Einfluß von Parteistellen bei der Gründung oder Organisation von SWI und LWI immer gewesen sein mag — ihre Aktivitäten planten und unternahmen sie selbständig und in eigener Verantwortung. Daß das Bonner Büro der SWI und die Wahlkampfführung der SPD einander zu „strategischen" Besprechungen einluden, diente eher gegenseitiger Information als der Festlegung werblicher „Arbeitsteilung" und hatte wohl keinen direkten Einfluß auf das Wahlkampfkonzept der SWI. Auch bezüglich der anvisierten Zielgruppen fand keine eigentliche Arbeitsteilung statt: Die SWI-Zentrale hatte in ihrem lange vorbereiteten Konzept festgelegt, hauptsächlich die Mittelschichten und speziell noch die Intellektuellen, die Jungwähler, Frauen und Katholiken anzusprechen; auf dieselben Gruppen aber richtete die Partei ihr Hauptaugenmerk Zwar soll es vorgekommen sein, daß die Partei der SWI manche Pläne auszureden versuchte, doch hütete sie sich offenbar davor, „Druck" auf die SWI auszuüben

Bei der LWI konnte von Koordination der eigenen Strategie mit der der FDP noch weniger die Rede sein, gab es doch hier nicht einmal institutionalisierte Kontakte zur Parteiführung, geschweige denn zur Wahlkampfführung. Murzin hatte lediglich Karl-Hermann Flach über sein Konzept für die LWI informiert, und der hatte es für gut befunden, ohne irgendwelche Parteigremien darüber zu befragen; koordiniert wurden dann allein die Erscheinungstermine der Anzeigen in der überregionalen Presse. Immerhin fand ein Gespräch zwischen Murzin und der von der FDP beauftragten Werbeagentur statt, doch blieb es ohne Ergebnis und vor allem ohne Folgen für die LWI-Strategie

Diese eigene Strategie war, was die Art der ergriffenen Aktivitäten betraf, bei SWI und LWI weitgehend gleichartig. Im Vordergrund stand bei beiden die Organisation von Veranstaltungen und Rundreisen der jeweiligen Prominenz, für die die Zentralen dann auch die entsprechenden Terminkalender führten — so war Günter Grass z. B. schon im Sommer für die Dauer des gesamten Wahlkampfs „ausgebucht". Zog für die SWI vornehmlich Grass („das beste Pferd im Stall") durch die Lande — und zwar in erster Linie durch Land-und CDU/CSU-Wahlkreise —, so waren es bei der LWI Theodor Eschenburg und Esther Vilar, die sich dieser Mühe unterzogen Für die übrige Prominenz beider Initiativen übernahmen die zentralen Büros hauptsächlich die Arbeit der Vermittlung an die lokalen Gruppen, die ihre eigenen Veranstaltungen mit großen Namen zu schmücken trachteten.

Die Zentralen fungierten jedoch nicht nur als Prominenten-Vermittlungsbüros, sondern organisierten eigene Veranstaltungen „besonderer" Art, die auch unabhängig von der Prominenz Interesse erwecken sollten. So schickte die LWI ein elektro-und pedalgetriebenes, also umweltfreundliches „Tretomobil" durch sämtliche Großstädte; dort drehte ein LWI-Prominenter ein paar Runden mit dem Gefährt und suchte in anschließender Straßen-diskussion und Pressekonferenz zusammen mit lokalen LWI-und FDP-Größen die Aufmerksamkeit auf die Vorzüge der FDP zu lenken. Eine andere Spielart der LWI-Veranstaltungen waren die 3 X 30-Minuten-Shows, die — organisiert vom „Wünsch Dir was" -Team — in verschiedenen Städten stattfanden und in denen jeweils 30 Minuten „Spiel" (ein Polit-Quiz etwa oder auch völlig unpolitische Spiele), „Politik" (Podiumsdiskussionen, bei denen z. T. das Publikum Jury spielen konnte) und Musik-Show aufeinander folgten. Zum Teil zur Klärung des eigenen Standpunkts und zum Teil zur Gewinnung weiterer Presse-resonanz rief die LWI zu einem LWI-Kongreß in München auf, der am 4. 11., zwei Wochen vor der Wahl, mit großer Beteiligung über die Bühne ging und als Ergebnis einen Wahlaufruf verabschiedete. Die zentralen Veranstaltungen der SWI hielten sich meist in konventionellerem Rahmen. Hervorzuheben wären hier jedoch die speziell an Katholiken adressierten Veranstaltungen des Katholischen Arbeitskreises der SWI

Hauptgesichtspunkt bei der Planung und Durchführung der Veranstaltungen dürfte der möglichst großer Presseresonanz gewesen sein — deshalb das Schwergewicht auf der Prominenz und die Suche nach ausgefallenen Aufhängern („Tretomobil"). Die Sorge um das „richtige Image" der Gruppe in der Presse bestimmte zweifellos nicht nur die Art der Veranstaltungen, sondern auch die dort gemachten Aussagen. Vor allem die LWI ließ sich zudem in ihren öffentlichen Äußerungen bewußt durch das in der Presse (vom baden-württembergischen Landtagswahlkampf her) bereits bestehende Image leiten, das in etwa auf das Motto hinauslief: „Kleiner unorganisierter Haufe kämpft für die FDP"

Zur Formung ihres Images in der Presse nahm die Pressearbeit — Pressekonferenzen und Motivierung von Presseleuten, über die Initiativen zu berichten — bei SWI und LWI großen Raum ein. Hier wurde versucht, die „richtigen" Akzente zu setzen; daß dabei z. T. Engagement, Motivation und Einstellungen der prominenten Mitglieder in einer Weise gedeutet wurden, die diese selbst in Erstaunen versetzen konnte, verweist darauf, daß die Organisatoren der Wählerinitiativen nichts dagegen hatten, auch „manipulativ" vorzugehen Ohnehin geschah die Pressearbeit bei weitem nicht so amateurhaft, wie Presseberichte es hernach für die Gesamtar-beit der Gruppe glauben machen wollten: Murzins LWI-Büro z. B. fand kostenlose, aber tatkräftige Unterstützung durch eine Public Relations-Agentur

Solche kostenlose Mitarbeit von „Fachleuten" galt auch für die Gestaltung der Anzeigen in der überregionalen Presse. Auf die Texte der LWI-Anzeigen hatten daher selbst die prominenten Mitglieder der LWI praktisch keinen Einfluß; bei der SWI dürfte der Kreis derer, die die Anzeigengestaltung beeinflussen konnten, ebenfalls sehr klein gewesen sein. Die Anzeigenwerbung hielt sich auf der zentralen Ebene jedoch in Grenzen: sowohl LWI wie SWI brachten nur wenige zentralgeschaltete Anzeigen heraus. Allerdings schaltete die LWI auch in die regionale Presse einige Kleinanzeigen ein, die über die Gründung der LWI informierten und lokale Kontaktadressen angaben, um den Aufbau der lokalen Gruppen zu fördern. Die Verbreitung von Flugblättern und Broschüren nahm unter den zentralen Aktivitäten kaum größeren Raum ein als die Anzeigenwerbung; die LWI veröffentlichte lediglich drei Faltblätter und verteilte ansonsten — außer einem Auto-Aufkleber — kein eigenes „Werbematerial", während die SWI immerhin eine eigene Wahlzeitung, einige „Argumentationshilfen" und etliches Klein-Werbematerial (Aufkleber, Plaketten usw.) herausgab. Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag aber bei beiden Initiativen ganz offensichtlich nicht auf der Verteilung von gedrucktem Material, sondern auf der Organisation von Veranstaltungen und auf der Pressearbeit. Die Tätigkeit der Hilfsorganisationen für die CDU/CSU unterscheidet sich hiervon grundsätzlich. Ohnehin läßt sich bei ihnen statt von einer zentralen nur von einer überregionalen Ebene sprechen; auf dieser Ebene aber gab es nichts, was den SWI-und LWI-Veranstaltungen vergleichbar wäre sondern nur eine Flut zentralgeschalteter Anzeigen. Die Aktivitäten erfolgten nahezu ausschließlich auf schriftlichem Wege; Broschüren (wie „Enteignung durch Steuern", Nr. 27), Wahlzeitungen („Neues Tempo" in 4 Mill. Auflage, Nr. 5; „Hochschulreport: Fakten und Dokumente", Institut für Demokratieforschung e. V., hinter dem sich derselbe Prof. Lothar Bossle verbirgt, der für Nr. 5 verantwortlich zeichnete) und Flugblätter blieben dabei neben der Anzeigen-Vielzahl fast die Ausnahme, über diese Tätigkeit hinaus sind noch zwei Versuche gezielter Ansprache von „Berufsgruppen" bekannt geworden, nämlich die Verteilung des „Nischni-Nowgorod-Briefs" an Unternehmer durch die Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit e. V. und die Verschickung eines „ Aktivitäten-Katalogs für Unternehmer (AKU)" durch den Geschäftsführer des Wirtschaftsrats der CDU, Dr. Haimo George, seinen Stellvertreter Karsten Köhler und Dr. Norman von Scherpenberg. Der „Aktivitäten-Katalog" forderte die Unternehmer nicht nur zu Spenden für die CDU/CSU, sondern auch zur Unterstützung von Wählerinitiativen für die CDU/CSU auf — speziell zur Unterstützung der „Bürgerinitiative pro Union", deren organisatorisches Dach der CDU-Wirtschaftsrat selbst war.

b) Lokale Aktivitäten

Die Hauptarbeit bei SWI und LWI spielte sich auf der lokalen Ebene ab. Zwischen die zentrale und die lokale Ebene schob sich zwar bei der SWI in Gestalt der Landesbüros noch die Landesebene, doch sind auf dieser kaum eigene Werbe-Aktivitäten zu verzeichnen. Ebensowenig kann es als Aufgabe der Landesbüros angesehen werden, die lokalen Aktivitäten anzuleiten und zu „steuern". Auch die Zentralen beanspruchten gegenüber den lokalen Gruppen keine Leitungsfunktionen, sondern beschränkten sich weitgehend auf Hilfeleistung. Das Bonner SWI-Büro verschickte an die einzelnen Gruppen lediglich „Vorschläge" — etwa wie Veranstaltungen am besten zu organisieren seien — und „Vorlagen" zu bestimmten Aktionen und arbeitete Anzeigen-Vordrucke aus. In allen Fällen war den Gruppen selbst überlassen, welche Verwendung sie von solchen „Empfehlungen und Angeboten" machen wollten. In welchem Umfang speziell die Anzeigen-Vordrucke übernommen wurden, läßt sich bisher noch nicht genau feststellen; es gab aber zweifellos etliche Gruppen, die Wert auf eigenständige Aktionen legten und deshalb auch ihre Anzeigen — meist in Zusammenarbeit mit ohnehin der SWI nahestehenden Werbefachleuten — selbst entwarfen

Bei der LWI gab es entsprechende „Empfehlungen und Angebote" in weit geringerem Ausmaß. Lediglich in der Gründungsphase wurde ein Papier an die lokalen Kontaktadressen verschickt („Was tun in der , Aktion Blaues Dreieck'..."), das Ratschläge enthielt, wie eine lokale Wählerinitiative aufzuziehen sei und welche Arten von Aktionen man ins Auge fassen könne Die Kölner LWI-Zentrale hatte anfangs lokale Mitarbeiter unter dem Motto geworben: „Führen Sie Ihren eigenen Mini-Wahlkampf"; diesen Grundsatz nahmen die lokalen Gruppen denn auch meist sehr ernst und reagierten deswegen auf bloße Ratschläge „von oben" z. T. schon allergisch

Der Schwerpunkt der lokalen Aktivitäten lag bei SWI und LWI eindeutig auf Straßenaktionen. So dürfte es in nahezu allen Orten, in denen Initiativen tätig waren, Informationsstände gegeben haben, an denen Informationsmaterial verteilt, Plaketten verkauft, Graphiken oder gar Kuchen (oder auch Bananen, wie bei der LWI Hannover. . .) verkauft, verlost oder versteigert und Bürger in politische Diskussionen verwickelt wurden. Letzteres sollte natürlich der Hauptzweck dieser Stände sein, doch drängten sich bei vielen Gruppen die „Gags" und „kommerzielle" Gesichtspunkte . bald in den Vordergrund Gags vor allem schienen vordringlich, um die Aufmerksamkeit der Presse zu erringen; wenn darum Straßenaktionen nicht mit dem Auftreten irgendwelcher Prominenz gekoppelt werden konnten, mußten Versteigerungen, Bänkelsänger, „Pop-Festivals" (dafür ließ die LWI Hamburg sogar eine ganze Straße sperren) und ähnlich publikumswirksame Aufhänger her, die dann zumindest die Gefahr mit sich brachten, daß sie das politische Anliegen und die politische Aussage überwucherten. Zum Teil hängten die Gruppen sich auch an ohnehin im lokalen Bereich stattfindende „Ereignisse" an (Flohmarkt, Fußballspiele). Andere Aktionen erhielten dadurch stärker politischen Charakter, daß sie an besondere lokale Probleme anknüpften (Wohnungslage, Kindergärten, Nahverkehrssystem u. dgl.) oder sich an spezielle Bevölkerungsgruppen richteten. So suchte die Mannheimer SWI die Hausfrauen mittels eines „EWG-Einkaufskorbs" mit Preisvergleich davon zu überzeugen, daß die inflationäre Entwicklung in der BRD nicht ganz so schlimm sei, wie die CDU/CSU glauben machen wollte.

Neben den vielfältigen Straßenaktionen nahmen die Veranstaltungen einen relativ breiten Raum ein: Da wurden Prominente in den Ort geholt, Podiumsdiskussionen, „Shows" mit „Polit-Quiz", Wahlparties u. dgl.organisiert und gemeinsame Veranstaltungen mit der Partei — namentlich zur Unterstützung des jeweiligen Wahlkreiskandidaten — durchgeführt. Sowohl Straßenaktionen wie Veranstaltungen sorgten dafür, daß die Initiativen häufig in der Presse erschienen; die Presse wurde aber auch ansonsten mit zahlreichen Pressemitteilungen versorgt, zu Pressekonferenzen eingeladen oder gezielt mit Leserbriefen traktiert.

Weiterhin zählte zu den Aktivitäten sicher aller Gruppen die Einschaltung von Anzeigen in die Regionalpresse — mangels Finanzmasse meist Kleinanzeigen unter der Rubrik „Verschiedenes". Auch auf der lokalen Ebene spielten die Anzeigen jedoch eine eher untergeordnete Rolle, hatte man doch erklärtermaßen die „persönliche Ansprache" der Wähler im Sinn. Flugblätter gab es darum in weit größerer Zahl — sie konnten bei Straßendiskussionen, Hausbesuchen usw.den bereits mündlich bearbeiteten Wählern in die Hand gedrückt werden. Der „anonyme" Wähler wurde schließlich noch durchs Telefon angesprochen: sowohl in persönlichen Anrufen als auch mittels eines automatischen Anrufbeantworters (bei der SWI Mannheim), der zu jeweils vorher in der Zeitung bekanntgegebenen Themen Informationen weitergab.

Die Zielgruppen derartiger Ansprache waren in der Praxis meist wenig eindeutig festgelegt — in der Regel dürften es schlicht die „Passanten" gewesen sein, wobei man wohl davon ausgehen kann, daß die Art der „Aufhänger"

am ehesten jüngere Wähler angesprochen hat. Gezieltere Aktionen betrafen — außer die Jugendlichen (für die z. B. „JungwählerParties" veranstaltet wurden) — hauptsächlich die Frauen (vor allem seitens der LWI mit ihrer Werbung zur Änderung von § 218)

und Katholiken (seitens der SWI). Das SWI-Konzept sah außerdem vor, den Schwerpunkt der Aktionen „aufs Land" zu verlagern; dies wurde immerhin insofern realisiert, als es erstaunlich viele SWI-Gruppen in kleineren Landstädten gab. Für die LWI-Gruppen dagegen gab es die Landbevölkerung als besonderen Adressaten im Grunde nicht; zwar erschien ein bundesweites Inserat unter dem Motto „Wir Bauern wählen Josef Ertl", doch bestanden auf dem Land keine eigenen liberalen Wählerinitiativen, und die städtischen Gruppen hat es kaum hinaus aufs Land gezogen. Die Schwerpunkte bei der Ansprache bestimmter Zielgruppen waren im übrigen regional verschieden; so bemühte sich die SWI Mannheim z. B. um die Bewohner des Slum-Gebiets „Benz-Baracken" und um die Bewohner von Altenheimen (die denn auch in der Aktion „Bürger für Brandt fahren Wähler für Brandt" zu ihren Wahllokalen gefahren wurden). Als „typischer" Adressat beider Wähler-initiativen auf lokaler Ebene aber kann wohl der meist jüngere Angehörige der städtischen Mittelschicht gelten.

Die Arbeit der neben SWI und LWI bestehenden lokalen „Brandt/Scheel-Initiativen" dürfte sich in Umfang und Intensität, nicht aber im Prinzip von der Arbeit der SWI und LWI unterschieden haben. Die bekannteste dieser Gruppen allerdings, die „Kölner Bürgerinitiative Brandt/Scheel", organisierte nur wenige eigene Veranstaltungen; stattdessen verlegte sie das Hauptgewicht ihrer Aktivität einerseits auf Anzeigen (die meist aufwendiger waren als die der anderen lokalen Initiativen) und andererseits auf die Herstellung und den Verkauf von „Werbematerial" — Aufkleber, Plakate usw. mit ironisch-boshaften Slogans. Vor allem derartige Aufkleber fanden reißenden Absatz, auch seitens der lokalen Gruppen von SWI und LWI, so daß hier schließlich das kommerzielle Element dominierte: Die Kölner Gruppe setzte angeblich täglich Material für bis zu 10 000DM um und schloß ihre Wahlkampftätigkeit mit beträchtlichem Gewinn ab.

Bei den CDU/CSU-Hilfsorganisationen standen auch auf lokaler Ebene Anzeigen und die Verteilung von Flugblättern im Vordergrund. Die Kölner „Christliche Wählerinitiative Menschenwürde" gehörte zu den wenigen Gruppen, deren Aktivitäten hierüber hinaus gingen: Sie organisierte eigene Veranstaltungen zum Generalthema „Menschenwürde in der Politik", schickte ihre Mitarbeiter in die Wahlveranstaltungen der Parteien, um dort „gezielte Fragen" zu stellen, und suchte sogar Druck auf die lokale CDU-Organisation auszuüben, um zu verhindern, daß ein schuldig geschiedener Bundestagsabgeordneter wiederum als Kandidat nominiert würde

c) Zusammenarbeit zwischen den Wählerinitiativen

Eine Zusammenarbeit kam aus naheliegenden Gründen nur zwischen SWI, LWI und den Brandt/Scheel-Initiativen in Frage; sie blieb jedoch — aus Eigenständigkeitsstreben, Partei-oder Konkurrenzdenken — in Ansätzen stecken. Zwischen Mitarbeitern der zentralen Büros von SWI und LWI gab es zwei Treffen, die lediglich informativen Charakter hatten; dasselbe galt für die einzige gemeinsame Sitzung von Vertretern der SWI, der LWI und der Kölner Brandt/Scheel-Initiative. Zwischen der LWI-Zentrale und der Kölner Initiative bestand zwar „netter Kontakt" der aber nicht in gemeinsame Unternehmungen mündete. Eine von der LWI gewünschte LWI-SWI-Veranstaltung mit Grass und Eschenburg scheiterte — angeblich weil Grass bereits voll ausgebucht war und Eschenburg nicht lediglich als Gast auf einer Grass-Veranstaltung auftauchen wollte-, stattdessen fand immerhin in München eine gemeinsame Veranstaltung von Eschenburg und Sontheimer statt.

Der weitgehende Mangel an Zusammenarbeit läßt sich leicht erklären: Es war hauptsächlich die SWI, die sich den anderen Gruppen gegenüber „reserviert" verhielt da sie einerseits — als älteste und daher bereits „renommierte" Wählerinitiative — befürchtete, daß die neueren Initiativen sich lediglich an ihre „gute Presse" anlehnen wollten und andererseits aus verständlichen Gründen das von den beiden anderen Gruppen propagierte Stimmensplitting ablehnte (dennoch unterschrieben immerhin einige Prominente der SWI einen Aufruf für das Stimmensplitting!). Eine engere Zusammenarbeit von SWI und LWI mit der Kölner Brandt/Scheel-Initiative aber, die über das Weiterverkäufen des begehrten Kölner Werbematerials hinausgegangen wäre, lag schon deshalb nicht sehr nahe, weil die Kölner Gruppe an Veranstaltungen weniger interessiert war. Lediglich auf lokaler Ebene mag es zur Kooperation der verschiedenen Gruppen gekommen sein, doch war sie auch dort vermutlich nicht eben intensiv.

4. Werbung

a) Informationsgehalt

Die Wählerinitiativen starteten ihre Aktionen mehr oder weniger ausdrücklich mit dem Anspruch, den „mündigen Bürger" ernst zu nehmen und ihn in politischer Aufklärungsarbeit zu politischem Denken und Engagement zu ermuntern. Ihre Aktionen und namentlich ihre Werbung blieben hinter diesem Anspruch indessen um einiges zurück was sich bereits darin andeutete, daß der Einfallsreichtum bei der Gewinnung von Aufmerksamkeit für Straßen-und sonstige Aktionen die Bereitschaft zu politischer Diskussion und Information häufig übertraf.

Den geringsten Informationswert hatten bei SWI und LWI die zentralgeschalteten Anzeigen. Da informierte lediglich die LWI-Anzeige: „Liebe Wählerin: Ihr Baby würde die F. D. P. wählen" einigermaßen zureichend und brachte allein die SWI-Prominentenanzeige „An den deutschen Wähler" den Ansatz einer sachlichen und informativen Auseinandersetzung. Ansonsten beschränkten Sachaussagen sich auf allgemeinste Floskeln wie die, daß „die bisherigen außen-und innenpolitischen Reformen" (LWI) oder die „praktische Politik des Fortschritts und des Friedens" (SWI) weitergeführt werden müssen, oder auch auf die Banalität, daß „diese oft so unbequemen Liberalen ... mit ihrem entideologisierten Freiburger Parteiprogramm genau richtig liegen" und „F. D. P. kein Abführmittel" sei, „sondern Freiburger Denk-Partitur heißen könnte" (LWI). Statt mit politischen Inhalten befaßten die Anzeigen sich z. B. mit Selbstdarstellung (die meist die „kritische Distanz" zur jeweiligen Partei betonte oder die Mitarbeiter als „passionierte Amateure" kennzeichnete, „denen das Parteibuch , schnuppe'und Engagement alles ist", LWI) und mit der Werbung für die eigene Gruppe als dem Zusammenschluß der „verantwortungsbewußten", „mutigen" Bürger. Mit solcher Darstellung verband sich vor allem in der Werbung der LWI ziemlich eindeutig der Versuch, den Wähler bei seinem Prestige-Streben zu packen und dadurch zur Mitarbeit oder zur gewünschten Wahlentscheidung zu motivieren — wer möchte sich nicht denen zurechnen können, deren „Zivilcourage" und politisches Verständnis gelobt wird, zumal dann, wenn angeblich bereits „Tausende" mit gutem Beispiel vorangegangen sind Unterstützt wurde diese Taktik durch das Ausspielen von „Autoritäten" in Form zahlreicher illustrer, z. B. mit Professorentiteln versehener Unterschriften.

Wie in der Parteienwerbung trat aber auch die Personalisierung der Politik an die Stelle der Sachaussagen: „Willy Brandt weil man ihm vertrauen kann" (SWI) schien da als Argument ebenso auszureichen wie die Präsentation der Köpfe von Brandt/Scheel und Strauß/Barzel mit dem Text „Zwei von diesen Männern werden in den nächsten Jahren unser Schicksal bestimmen. Wählen Sie" (SWI). Politik reduzierte sich dabei auf persönliche Eigenschaften — auf „Maß", „Vernunft" und „Pflichtgefühl" (Golo Mann-Anzeige für Hans Jochen Vogel), auf „Verantwortungsbewußtsein" und „Glaubwürdigkeit" (SWI).

Das Informationsniveau der zentralen Flugblätter war meist höher, nicht so unbedingt jedoch das der „Wahlreden" auf den Großveranstaltungen der Wählerinitiativen-Prominenz: Grass z. B. beschränkte sich in seiner — an allen Orten in allenfalls leicht abgewandelter Form gehaltenen — Rede im wesentlichen auf globale Hinweise auf die Leistungen der Regierung, auf pauschale Gegenüberstellungen, auf die Auslobung von Personen und deren Eigenschaften („der so wortkarge wie bescheidene Egon Bahr...") sowie auf die mehr oder weniger geistreiche Kritik am parteipolitischen Gegner.

Im lokalen Bereich war das Informationsniveau der Werbeaussagen zwar recht unterschiedlich, insgesamt aber wohl höher als auf der zentralen Ebene. Zumal auf Flugblättern fand sich hier häufig detailliertere Information und differenziertere Argumentation als sonst in der Parteienwerbung üblich; die SWI Mannheim nutzte überdies ihren „Telefondienst" ausgiebig als Informationsinstrument. Auch in der Werbung der lokalen Gruppen traten indessen nicht selten die Eigenwerbung und Selbstdarstellung, das Element der Personalisierung und vor allem die deutliche Freude an Gags und Witzeleien in den Vordergrund.

Am wenigsten war das Bemühen um Sachinformation in den Werbeaussagen der CDU/CSU-Unterstützergruppen zu spüren. Zwar brachten sie in der Regel längere Textanzeigen als SWI und LWI heraus, doch dienten die langen Textbeiträge in den seltensten Fällen der Darstellung politischer Probleme: Nicht selten waren sie bloße Ansammlungen von groben Verzerrungen, Diffamierungen und angsterzeugenden Reizwörtern. Lediglich „Die sachliche Wahlanzeige" (Nr. 16) und eine ganzseitige Anzeige der „Freien unabhängigen Wähler-Initiative zur Bundestagswahl" können wenigstens im Ansatz als Versuch sachlicher Auseinandersetzung gewertet werden. Auch diesen Aussagen fehlten jedoch — wie übrigens denen der CDU/CSU selbst — die bei Oppositionsgruppen zu erwartenden konkreten Verweise auf Alternativen zur Regierungspolitik, die eigenen Vorschläge. Abstrakte Forderungen wie die nach „stabilitätsgerechtem Verhalten" und nach,, Reformen nach Maß" (Nr. 13) sind wohl kaum als Alternative zu betrachten; ebensowenig gibt die Gegenüberstellung „statt Sozialkrieg die humane Leistungsgesellschaft" (Nr. 5 a) Auskunft über die Ziele der betreffenden Initiative. Derartige Leerformeln wurden wie bei den anderen Initiativen mit Appellen an das Prestigebedürfnis der Wähler angereichert — denn sollten etwa die Deutschen „politisch kurzsichtiger (sein) als 70 Millionen Amerikaner, die durch ihre Stimmen dafür sorgten, daß ihr Land ...friedens-und krisensicher bleibt?" (Nr. 37). Zwecks Angsterzeugung war dieser Appell allerdings häufig ins Negative gewendet: „Wer Brandt wählt... wählt Bolschewismus! ... ist gegen die Freiheit der Wissenschaft!... wählt Inflation!... ist gegen das Grundgesetz! (sic!)" (Nr. 10). Abgerundet wurden solche Appelle mit dem an das Bedürfnis, der Autorität — repräsentiert durch Wirtschaftswunder-Vater Ludwig Erhard ebenso wie durch Luis Trenker (Nr. 30) — zu folgen; entsprechende Aufforderungen nahmen teilweise sogar beschwörenden Charakter an: „Denken Sie am 19. November an dieses Vermächtnis Dr. Konrad Adenauers" (Nr. 19).

Auch in der Werbung dieser Gruppen zeigte sich schließlich der deutliche Versuch, mit der Personalisierung der Politik Sachaussagen zu umgehen — wiederum häufig in einer ins Negative gewendeten Version, nämlich in Form der Diffamierung der Politiker der Gegenseite. Ihnen wurden dann die „Männer, denen wir vertrauen" (Nr. 25), der „Mann der Tat" (Nr. 5 b) oder gar „Politische Manager wie Barzel und Strauß" (Nr. 37) gegenübergestellt. Politik reduzierte sich hier ebenfalls auf Eigenschaften, wenn auch auf andere als in der Werbung von SWI und LWI: Zwar ging es allen Gruppen um die „glaubwürdigere Mannschaft" (Nr. 5 a), nur den CDU/CSU-Anhängern jedoch um „Entschlossenheit", „Führungskraft" und „Mut zum Durchgreifen".

b) Argumentationschwerpunkte

SWI und LWI Bei aller Kargheit der Informationen lassen sich aus der Werbung aller Gruppen bestimmte Argumentationsschwerpunkte herausschälen. Einer dieser Schwerpunkte war bei der SWI und — deutlicher noch — bei der LWI der Versuch der Mobilisierung und Aktivierung des Wählers durch direkte persönlicheAnsprache. „Ich lasse mich als Frau von der CDU/CSU nicht länger für dumm verkaufen. ... Wollen Sie sich mit mir unterhalten?" hieß es da in namentlich unterzeichneten Kleinanzeigen (LWI München), und direkte Aufforderungen wie die: „Helfen Sie Murzin und Meuschel!" wurden z. T. noch mit ganz konkreten Anweisungen versehen. „Unterstützen Sie uns. In der Familie. Im Betrieb. In der Nachbarschaft. Unterzeichnen Sie unsere Aufrufe ... Rütteln Sie, Wahlabstinenzler’ auf ..." (LWI). Die Spärlichkeit der Angaben sachlicher Gründe für solches Engagement mußte allerdings die „Politisierungs" -Bemühungen der Initiativen in ein etwas merkwürdiges Licht stellen.

Unter den wenigen sachlichen Angaben dominierte in der Werbung der LWI die Anti-Strategie,die gegnerische Argumente zu widerlegen (so eine „Argumentationshilfe" der LWI München für politische Diskussionen) oder in abstrakter Weise zu entkräften suchte: „Man will uns weismachen, daß morgen die Russen kommen, wenn Brandt und Scheel ihre Friedenspolitik fortsetzen. Sie sollten es besser wissen!" (LWI München) — wobei die Formel „Sie sollten es besser wissen" vorspiegelte, daß die Diskussion über die von der Gegenseite vorgebrachten Argumente eigentlich überflüssig sei. Die SWI führte eine solche Diskussion, wenn überhaupt, ebenfalls nur höchst abstrakt („Es mag viele Gründe gegen eine SPD geben, aber sagen Sie uns nur einen für die CDU/CSU", SWI Mannheim) und argumentierte stattdessen schlagwortartig mit den Leistungen der Regierung: „Sind 3 Jahre genug, alle angestrebten inneren Reformen durchzuführen . . .? Und doch wurde mehr erreicht als in anderen Regierungsperioden zuvor! Abgesehen von der Friedenspolitik nach Ost und West unter anderem: Stabilität der Arbeitsplätze, kostenlose Vorsorgeuntersuchung ..." (SWI Mannheim). Daß diese Leistungen von anderen kritisiert werden, erschien dabei als zwar natürlich, aber nicht weiter ernst zu nehmen, denn „An jeder Regierungspartei läßt sich's nörgeln. Je mehr sie tut, um so mehr stellt sie ihre Leistungen zur Kritik" (SWI Mannheim).

Ohnehin standen bei weiten Teilen der SWI weniger sachliche Ziele als die Person Brandts im Vordergrund, nannten sie sich doch selbst explizit „Bürger für Brandt". Die Person wurde zum Hauptargument für politisches Engagement — denn „Willy Brandt ist ein Politiker von Weltrang. Wir haben Grund, stolz auf ihn zu sein" (Grass-Rede) —, das dadurch zumindest teilweise zum bloßen Gefolgschaftsdenken gerann: „Lasse mer ihn ... net im Stich!" (SWI Frankfurt), getreu dem Motto „Einer für alle, alle für Willy" (SWI Hamburg). Kritik an der großen Vaterfigur mußte darum als im Grunde ungebührlich erscheinen — „Net umsonst hat er ja den Friedensnobelpreis gekriehtl Awwer die annern versuche ihm noch immer am Zeuch zu flicke" und ihm „Knippei zwische die Baa zu schmeiße" (SWI Frankfurt).

Eine derartige Idealisierung von Personen fand sich in der Werbung der LWI kaum; sowohl SWI und LWI als auch die verschiedenen Brandt/Scheel-Initiativen arbeiteten allerdings mit einer Art negativer Personalisierung der Politik, die die verbreiteten Aversionen gegen die Personen Strauß und Barzel nutzte. Unter Bildern von Strauß wurde da lapidar gefragt „Wollt ihr den?" (Kölner Brandt/Scheel-Initiative) oder gar nur konstatiert „Drum! SPD" (SWI Bad Oldesloe); Fragen wie „Wollen Sie vielleicht Franz Rainer Strauzel als Kanzler?" (LWI München) schienen weiteres Argumentieren überflüssig zu machen, und Grass begründete in seiner Rede schlicht: „Und nicht zuletzt: Wir Bürger sind für Brandt, weil wir den Barzel kennen".

Die Diffamierung des Gegners bildete demnach einen weiteren Schwerpunkt der werblichen Argumentation. Strauß wurde als reaktionärer Drahtzieher charakterisiert, Barzel als abhängig („Strauß ist die Hand in der Puppe Barzel", SWI Frankfurt) und unfähig („Kennen Sie eine eigene Idee von Rainer Candidus Barzel? Wir nicht!" LWI München). Zum Teil bezogen die Angriffe sich lediglich auf Äußerlichkeiten, um so den Angegriffenen lächerlich zu machen („Während uns Rainer Candidus Barzel... mit seinen eingelernt würdevollen Gesten an die Schwierigkeiten der Schauspielkunst zu erinnern verstand . ..", Grass-Rede), oder sie operierten mit negativ zu bewertenden persönlichen Eigenschaften wie „Kleinlichkeit", „Feigheit", „Verantwortungslosigkeit"; häufiger jedoch stand der — der Realität durchaus entsprechende — Vorwurf der bloßen Obstruktion im Vordergrund („Awwer Mießmache haaßt noch net Bessermache", SWI Frankfurt). Ohnehin waren etliche der gegen die Unionsparteien und ihre führenden Köpfe erhobenen Vorwürfe nicht ganz von der Hand zu weisen, angefangen von der unsicheren Position Barzels an der Spitze der CDU/CSU bis hin zur finanziellen Abhängigkeit der CDU/CSU von der Arbeitgeberseite („Mit vollen Hosen ist gut stinken ... meinen einige Großindustrielle. Und schlagen zu. Mit ihren Millionen als Wahlspende für die CDU/CSU...", LWI-Plakat) und zur Bereitschaft der Union, im Notfall auch mit rechtsradikalen Kräften zusammenzuarbeiten (sie schöpfe „aus denselben trüben Quellen . . ., deren Absud schon die Weimarer Republik hat dahinsiechen lassen", Grass-Rede). Die LWI griff im übrigen auch wacker die Partei an, die sie immerhin als Regierungspartei sehen wollte, und stellte die SPD indirekt als Ansammlung von „Utopisten" und „wirtschaftsfremden Träumern" hin.

Teilweise spielten die Angriffe auf beim Wähler vermutete Ängste an — so vor allem die Angriffe gegen Strauß als das Haupt der „Reaktion", unter dessen Herrschaft „das Maul gehalten" werden müsse: „Wer aufmuckt, kriegt den großen Buhmann Franz Josef aufs Haupt" (SWI Frankfurt). Direkte Verweise auf drohende schlimme Gefahren — wie sie sich etwa in der düsteren Bemerkung ausdrücken: „Wer Schwarz wählt, soll sich nicht wundern, wenn er Trauer tragen muß" (SWI Frankfurt) — waren indessen selten. Zwar warnte die LWI unablässig vor der „gefährlichen Alleinherrschaft" einer Partei, doch blieb sie dabei meist auf der Ebene eher theoretischen Räsonierens; zwar tauchte in ihrer Werbung hin und wieder das Reizwort vom „roten Sozialismus" auf, doch wurden keine Schreckbilder entwickelt — außer dem der Unsicherheit durch häufigen Wechsel: „Wenn die Liberalen im Unterhaus in London stärker vertreten wären, ginge es der britischen Wirtschaft sicher besser. So aber: Labour Party verstaatlicht, Konservative privatisieren. Hin und her .. . Soll es in der Bundesrepublik ähnlich werden?" (LWI Alfeld).

Diese Argumentation verweist auf den Versuch, von der Notwendigkeit der „Dritten Kraft“ zu überzeugen, der in der Werbung der LWI recht eindeutig im Mittelpunkt stand und der durchaus geeignet sein konnte, den Wähler zu politischem Denken anzuregen. Das gilt weniger für die plakative Charakterisierung der FDP als Garant eines dritten Weges „zwischen konservativer Erstarrung und sozialistischer Utopie" (mit wörtlich derselben Formel warb übrigens auch die FDP selbst), wohl aber für die Warnungen vor erstarrten „Mammutparteien", die „die Politik verwalten". Das Argument, erst eine dritte Partei ermögliche eine „Änderung der WeiB chenstellung" in der Politik (EschenburgRede) hatte angesichts der politischen Landschaft der Bundesrepublik bisher zweifellos einiges für sich. Auch wird manchem Wähler, der sich weder mit der SPD noch mit der CDU/CSU so recht zu identifizieren vermag, die folgende — wenn auch verzerrende — Argumentation eingeleuchtet haben: „Sie sind für Marktwirtschaft, aber Sie sind gegen eine Partei, die gerechtere Einkommens-und Vermögensverteilung verhindert! Sie sind für Privateigentum, aber . .. gegen Spekulationsgewinne für einige wenige! ... Deshalb sind Sie für die F. D. P...." (LWI München). Aus der Werbung für die „Dritte Kraft" in Verbindung mit dem sehr klar ausgesprochenen Votum für die Fortsetzung der SPD-FDP-Koalition ergab sich dann nahezu zwangsläufig die Werbung für das Stimmensplitting und damit der zweite Schwerpunkt der Argumentation der LWI. Sie fand darin Unterstützung durch alle Brandt/Scheel-Initiativen.

Die geschilderten Argumentationsweisen geben indessen nur ein unvollständiges Bild von der Werbung der sozial-liberalen Wählerinitiativen. Ein wesentliches Schwergewicht ihrer Werbung nämlich lag auf den — „sachlichen" Argumentationssträngen häufig nur schwer zuzuordnenden — Gags, auf der Ironie, dem Spott, der witzigen, vom politischen Inhalt teilweise völlig losgelösten Idee. Da wurden Anzeigen in Mundart abgefaßt, da tobte sich ein Spaß am Formulieren und Fabulieren aus, der kaum noch etwas ernst zu nehmen schien, da suchte eine Gruppe die andere mit fröhlich-boshaften Texten und Karikaturen zu übertrumpfen. Die Freude an den Gags milderte oft die Aggressivität der Angriffe auf den Gegner — so wenn in Kinder-schrift geschrieben stand „Rainer ist lieb. Aber Franz Josef hilft ihm" (Horst Vetten für die LWI) oder wenn den als grimmig drein-blickende, wartende Hunde karikierten Strauß und Barzel der Text beigegeben wurde „Wir müssen draußen bleiben" (Kölner Brandt/Scheel-Initiative). Wenngleich der Witz den politischen Inhalt häufig zurückdrängte, so war er doch zuweilen auch politisch treffsicherer als manche lange Argumentation; das zeigen die Frage „Deutsche Konzerne wählen christ-demokratisch. Sind Sie ein Konzern?" wie die Warnung „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen" (Klaus Staeck für die SWI).

CDU/CSU-Initiativen War die Werbung der sozial-liberalen Initiativen in erster Linie auf Gags, auf die Person Brandts und die Unpersonen Strauß und Barzel sowie auf das Argument der „Dritten Kraft" zugeschnitten, so die der CDU/CSU-Unterstützergruppen in höchst eindeutiger Weise auf Diffamierung und auf die Erzeugung von Angst vor schrecklichen Gefahren. Die Diffamierung wurde dabei nur in Ausnahmefällen durch Gags („Lieber Rainer Barzel als Reiner Korn Brandt", Nr. 2) aufgelockert; relativ selten auch waren die Angriffe an realen Gegebenheiten — Preissteigerungen oder Minister-Rücktritten etwa — orientiert. Wo es tatsächlich um die Frage der „Schuld" an den Preissteigerungen ging, ersetzten abwertende Attribute — „Wer das sagt, handelt unverantwortlich!" (Nr. 13) — die sachlichen Belege. Das angebliche Versagen der Regierung (schließlich ist schon der Sozialismus insgesamt die „Philosophie des Versagens", Nr. 4) wurde ebensowenig begründet, sondern schlicht — und in ständiger Wiederholung — behauptet: „Augen auf — dann sehen Sie, daß diese Regierung abgewirtschaftet" und „ihre Zeit unnütz vertan" hat (Nr. 9); deshalb ist denn auch Brandt „im Vertrauenstest des Bundestages ... schon durchgefallen" (Nr. 20).

Um die Wirkung dieser Behauptung zu intensivieren, stellte man ganze Kataloge negativ zu bewertender Zustände und Ereignisse zusammen und lastete sie allesamt der Regierung an, was sich dann z. B. so las: „Schüsse an Mauer und Zonengrenze. Bombenanschläge gegen Bürger und Betriebe. Meuchelmord an israelischen Sportlern. Mord, Überfälle, Rauschgiftelend, Rockerterror . . . Innerer Frieden? Nicht mit der SPD ..." (Nr. 5 a). „Innerer Friede" konnte aber nach der Argumentation etlicher dieser Gruppen per se nicht das Ergebnis einer SPD-Regierung sein, glaubten sie doch das „wahre Gesicht" der Sozialdemokraten zu kennen, das in der „Aufhetzung zum Klassenkampf" (Nr. 18) zu sehen sei: „Die Sozialisten haben zum Klassenkampf, zum Feldzug des Neides . . . aufgerufen" (Nr. 37), woraus nur zunehmende Gewalttätigkeit resultieren kann, denn „Klassenkampf, wie ihn die SPD-Führer und ihre Jusos fordern, ist bis zur Gewaltandrohung aufgestachelter Sozialneid. Klassenkampf unter einer SPD-Regierung ist staatlich sanktionierter Sozialkrieg gegen Tüchtige ... ist Menschen-verfolgung in einem Land, das davon Schreckliches genug erlebt hat!" (Nr. 5 a). In dieser Argumentation wird etn von den CDU/CSU-Initiativen überaus häufig benutztes Grundmuster deutlich: den Angegriffenen in möglichst enge Verbindung zu all dem zu bringen, was der Normalbürger verachtet, fürchtet oder ablehnt. In erster Linie war dies der mit Kommunismus und Bolschewismus mühelos gleichzusetzende „Sozialismus", den die SPD angeblich erstrebte. „Sozialisten und Kommunisten beflügelt doch das gleiche Motiv: Der Neid gegenüber dem Begabteren .. (Nr. 30), weswegen man notwendig von der „Einheitsfront" der „sozialistischen Verwandten" (Nr. 29) ausgehen muß — und dies um so mehr, als führende Sozialdemokraten von KPD und SAP herkommen (Nr. 29). Der „demokratische Sozialismus" ist demnach bloßes Schlagwort, denn „Unter Demokratie verstehen Kommunisten und Sozialisten die Diktatur ihrer Funktionäre" (Nr. 3 c). Hat man sich auf diese Ausgangsposition erst einmal geeinigt, kann man unschwer jedem Plan der SPD das Mäntelchen „sozialistisch" (so vor allem den Steuerreformplänen, Nr. 27) und indirekt auch das Mäntelchen „bolschewistisch" umhängen. Verstärken konnte man diesen Effekt noch durch zahlreiche Verweise auf die „militanten und intoleranten Jusos" (Nr. 17), die schon ganz offen mit den Kommunisten gemeinsame Sache machen (Nr. 29) und ihrerseits ohne weiteres mit der Parteiführung der SPD gleichzusetzen sind („Maßgebende SPD-Führer und ihre Jusos", Nr. 27). Nach diesen Gleichsetzungen nimmt es nicht mehr wunder, wenn SPD-und DDR-Führung in einen Topf geworfen wurden („Wollen Sie die Forderung von SED-Chef Honecker...: Ganz Deutschland muß sozialistisch werden!'durch Ihre Stimme erfüllen?" Nr. 37; „Die SPD-Führung benutzt das Wort , Frieden’ jetzt ebenso oft wie die Propagandisten im Osten. Die Sprache gleicht sich an"! Nr. 26).

Die SPD war so mehr oder weniger direkt als vaterlandslos und „staatsfeindlich" denunziert. Sie suchte aber angeblich nicht nur die Bundesrepublik durch die Ostverträge zum „Satelliten von Moskau" zu machen (Nr. 29); überdies traf sie der Vorwurf, im eigenen Land mit „Umstürzlern" (Nr. 5 a; „Aufrührer Mahler und Schützling Brandt", Nr. 37) und „Freunden von Gesetzesbrechern" (Nr. 37) zu paktieren, um so das Recht und die innere Ordnung der Bundesrepublik zu zerstören — „Wer Brandt wählt — wählt Banden-Terror!"

(Flugblatt G. Neumann, Bensheim) Doch nicht genug damit, wurde die SPD sogar mit Nationalsozialismus und Faschismus identifiziert: „Wir Deutschen haben den Sozialismus schon einmal erlebt, den nationalen von 1933 — 1945" (Nr. 37). Entsprechend zog man gegen die „roten Faschisten" zu Felde (Nr. 29) und warnte vor dem „Menschentyp der diktatorischen Blockwarte, die uns schon einmal das Leben zur Hölle gemacht haben" (Nr. 17).

Der FDP gegenüber war die Strategie der diffamierenden Gleichsetzung ebenfalls leicht anwendbar, ist doch die FDP nur mehr „Trittbrettfahrer" (Nr. 5 a) und „Steigbügelhalter der SPD" (Nr. 7), der „entzündete Blinddarm im kranken Körper der SPD" (! Nr. 28). FDP, „das heißt doch: Einbahnstraße nach links“ (Nr. 9), denn die FDP, die „sich selbst., für unmündig erklärt" hat (Nr. 37), verhilft „den Sozialisten zur Macht. Jenen Sozial-Radikalen, die den Liberalismus verspotten und durch Klassenkampf ersetzen wollen" (Nr. 7).

Eine andere, ebenfalls häufig angewandte Diffamierungsstrategie war die, Vorwürfe, die der eigenen Gruppierung mit einigem Grund gemacht werden konnten, auf den Gegner zu projizieren. So mokierten sich die mit Geldern reichlich ausgestatteten CDU/CSU-Unterstützergruppen über die „geldschwere SPD-Propaganda" (Nr. 33) und kritisierten kaum als unabhängig zu bezeichnende „Bürgerinitiativen", daß „angeblich private Wählerinitiativen ... sich gleich ungeniert in den Geschäftsstellen der SPD etabliert" hätten (Nr. 5 a). Auch der mit Recht zu erhebende Vorwurf grober Diffamierung wurde an den Gegner weitergereicht. Just diejenigen, die mt einem Feldzug des Hasses gegen jede von der ihren abweichende Meinung loszogen, beklagten in bewegenden Worten, daß „Andersdenkende ... niedergeknüppelt“ (! Nr. 10) würden, daß man ihnen — vorzüglich den Unternehmern und Vermietern — „jede geistige und moralische Qualität abspreche" und auf die so schon genug gequälte „zahlenmäßig unterlegene Bevölkerungsgruppe" noch „die Aggressionslust lenke" (Nr.. 19). Selbst der Vorwurf übermäßigen Reichtums galt natürlich nicht für die Eigengruppe, sondern nur für ihre Gegner: Unter dem Motto „Wer aber ist reich und damit verdammenswert?" wurde der Reichtum der SPD-Oberen vorgeführt, die da Landhäuser besitzen und sich einen Mercedes leisten können (Nr. 37). Krönung dieser Argumentationsweise war der Aufruf zum Kampf gegen „den politischen Macht-und Herrschaftsanspruch jeder elitären Minderheit" (Nr. 5 c) — vorgetragen von der „zahlenmäßig unterlegenen Bevölkerungsgruppe" einiger durchaus nicht ohnmächtiger Unternehmer.

Der bedenklichste Teil der Diffamierungskampagne war indessen die persönliche Verunglimpfung vor allem Brandts und Wehners, denen zahlreiche Flugblätter und Anzeigen ihre „Vergangenheit" vorwarfen — wobei es zum einen Teil um ihre „kommunistische" Karriere und zum anderen um die Emigration ging (Nr. 8). War die Emigration als „Distanzierung" vom eigenen Land schon verwerflich (Nr. 39), so kam im Falle Brandts noch hinzu, daß er „nicht nur gegen Hitler, sondern gegen Deutschland Krieg geführt und gehetzt“ habe; er sei darum „kein Deutscher" und habe an „unserem Vaterland ... keinen Anteil"

(Nr. 12, 29). Wehner waren überdies Spionage-tätigkeit und Zuchthausaufenthalt vorzuwerfen, Brandt seine Herkunft, sein Namenswechsel („Wer Brandt wählt, wählt auch Herbert Frahm!", Nr. 8) und sein angeblich mißratener Sohn — von den Vorwürfen des Naujock-Pamphlets ganz zu schweigen —, so daß man alles in allem folgern konnte, sie hätten „ein gestörtes Verhältnis ... zu Deutschland, zu Recht und Freiheit" (Nr. 39). Die unterstellte dubiose Vergangenheit beider Männer wog aber um so schwerer, als sie auf „typischen Eigenheiten" beruhte, „die nicht austauschbar sind" und an denen „auch äußere Ehrungen nichts (ändern)" (Nr. 35).

Auf solche Weise wurde der Gegner gewissermaßen außerhalb der bürgerlichen Norm angesiedelt. Achtung, Rücksichtnahme, „Mitleid" gar („Haben Sie Mitleid mit dem Bundeskanzler?", Nr. 35) oder auch nur die Wahrung der üblichen Umgangsformen waren ihm gegenüber daher weder nötig noch möglich — kann man etwa mit Menschen umgehen, die „unredlich" (Nr. 34), „wortbrüchig" „liederlich“ (! Nr. 29) und überdies „Verräter" (Nr. 28) und Zuchthäusler sind? Derart verkommene Existenzen kennen selbstverständlich keine Moral und trachten danach, die der anderen zu zerstören; daraus erst resultiert eigentlich ihre Gemeingefährlichkeit, denn schon Lenin sagte: „Wenn wir eine Nation vernichten wollen, so müssen wir zuerst ihre Moral vernichten" (Nr. 12). Daß die SPD nach diesem „sozialistischen" Prinzip vorging, lag nahe und ließ sich angeblich sogar belegen: „Die Hamburger SPD-Druckerei , Auer'druckt jede Woche eine Million Sex-Postillen ... Alles Geld fließt in die Parteikasse" (Nr. 12). Daraus war zu folgern: „Wer Brandt wählt — wählt Hurereil" (Flugblatt G. Neumann) und ist verantwortlich für das Fortschreiten der „Pomo-Brutalität" (Nr. 11). Wo sie aber regiert, sind gemeinste Verbrechen nicht weit:

„SPD/FDP wollen... das , Leben lebenswerter'machen: mit Wegwerfen kleinster Menschen in den Abfalleimer!“ (Nr. 41).

Diese Darstellungsweise suchte den Gegner konsequent dem Haß der Wähler preiszugeben. Die SPD vor allem war den CDU/CSU-Unterstützergruppen nicht eine Partei wie andere auch, sondern der bösartige, widerwärtige, gefährliche und zu vernichtende Feind — nicht nur „undeutsch", sondern „Unmensch".

Die Gefahren, die dieser Feind heraufbeschwor, möglichst dramatisch auszumalen und eine Panik-und Untergangsstimmung anzuheizen, war das zweite Hauptanliegen der Werbung der CDU/CSU-Hilfsorganisationen. Hierzu dienten zunächst die Preissteigerungen, deren Ausmaß offenbar ins Gigantische wuchs: „ 30 Milliarden Kaufkraftverlust (sic!). Entwertung der Sparguthaben um ca. 26 Milliarden im Jahr" (Nr. 32). Stärker noch wurde indessen der „Sozialismus" als Menetekel an die Wand gemalt, der dem Bundesbürger sein mühselig erarbeitetes Eigenheim (Nr. 4, 27), seine kleinen materiellen Freuden und überhaupt „alles . . ., was wir in über 20 Jahren erarbeitet und gespart, was wir für uns aufgebaut haben" (Nr. 37), wegzunehmen droht: „der Sozialisierungs-Geier wird zum Pleite-Geier für die deutsche Wirtschaft. Nur für die Wirtschaft? Für uns alle!“ (Nr. 27). Ist der Sozialismus demnach einerseits zu fürchten, weil er zwangsläufig materiellen Niedergang nach sich zieht, so ist er andererseits zu verdammen, weil er die Beseitigung aller Freiheit impliziert: Sozialismus meint den „Funktionärskapitalismus roter Bonzen" (Nr. 17), bedeutet ein Leben „in staatlicher Bevormundung und . . . Verplanung" (Nr. 42); der einzelne ist in ihm „Gefangener", denn „Sozialismus ist Diktatur" (Nr. 37). Bei der Wahlentscheidung mußte es darum für jeden einzelnen darauf ankommen, zunächst und vor allem seine „persönliche Freiheit" zu retten (Nr. 37), denn „Haben Sie schon einmal einen freien Genossen gesehen?" (Nr. 18). Zudem war die Verteidigung „unserer jungen, freiheitlichen Demokratie" (Nr. 37) noch nie so dringlich und unaufschiebbar, war es bei falscher Entscheidung der Wähler doch „zweifelhaft, ob der übernächste Bundestag noch wirklich frei gewählt wirdl" (Nr. 29).

Dies waren aber nicht die einzigen Gefahren, die ein Wahlsieg der SPD mit sich bringen sollte. War der bisherige Aufschwung von Kriminalität und „Rockerterror" bereits der SPD-Regierungstätigkeit anzulasten so stand unweigerlich zu befürchten, daß wegen der „Laschheit" einer SPD-Regierung die Kriminellen künftig noch „häufiger und ungenierter Verbrechen begehen" (Nr. 32) und daß „Deutschland ... zu einem Dorado für Verbrecher und Rauschgifthändler (wird)" (Nr. 29).

Alles zusammen mußte schließlich eine wahre Untergangsstimmung bewirken. So wurde davor gewarnt, wie im „Russischen Roulett" (Nr. 4) alles „aufs Spiel" zu setzen (Nr. 13) und mit dazu beizutragen, daß die „Totengräber einer Nation" „unsere Zukunft vernichten" (Nr. 4). Adenauers „Vorahnung", die SPD sei der Untergang Deutschlands, drohte „nach 15 Jahren wahr zu werden" (Nr. 19), denn „Wer Brandt wählt. .. wählt Deutschlands Untergang!" (Nr. 10) Diese dramatisch vorgetragene Behauptung stützten ganze Verschwörungstheorien, die mit der angeblichen Unterwanderung schon fast sämtlicher staatlich-gesellschaftlicher Institutionen operierten („ausgezeichnete linke Taktierer" haben Rundfunk und Fernsehen, Schulen, Universitäten und Behörden unterwandert, Nr. 29; der „rote Golem"

„marschiert auf leisen Sohlen durch die staatlichen Institutionen", Nr. 38). Selbst Dinge, die damit anscheinend gar nichts zu tun hatten, wurden in diese Verschwörungstheorien eingeordnet; so hieß es etwa von den Gastarbeitern, sie würden deswegen ins Land geholt, weil „man ein radikales sozialistisches Proletariat schaffen" wolle (Nr. 10). Bezeichnend war bei derartiger Argumentation das wissend-geheimnisvolle Reden vom anonymen „man" oder von „bestimmter Seite"

(die z. B. Aufklärung über die Gefahr, in der Deutschland schwebt, „unterdrückt", Nr. 10); das ging bis zu mystischer Überhöhung: „Es sind dunkle Kräfte am Werk, um Deutschland zu zerstören und reif zu machen für den Weltkommunismus" (Anzeige Ingeborg S. L. Meyer, Hannover).

In so gefahrvoller Zeit war — und dies war der dritte Argumentationsschwerpunkt in der Werbung der CDU/CSU-Unterstützergruppen — unbedingt eine starke Führung vonnöten. War an der wachsenden Kriminalität „einfach der schlappe Staat (schuld)" (Nr. 22) und versagte die bisherige Regierung wegen „Führungsschwäche" und „Entscheidungsarmut"

(„Der schwache Mann am Rhein" ..., Nr. 37), so mußte nun „Deutschland...frei werden für neue Männer der Tat und Führungskraft" (Nr. 37), für Männer, die alle Probleme „entschlossen und tatkräftig anpacken" (Nr. 25) und energisch „durchgreifen". Da die Bundesrepublik „ein moderner Industriebetrieb"

(Nr. 37) — und anscheinend weniger eine Demokratie — ist, konnte das „Parteigezänke" (Anzeige Ingeborg S. L. Meyer) nicht weiterführen. Der totalitäre Zungenschlag in solchen Äußerungen strafte das den „Sozialisten" entgegengehaltene Bekenntnis zu persönlicher Freiheit und Demokratie Lügen. Sowohl mit dem Ruf nach dem starken Mann als auch mit der hier vorgeführten Art der Diffamierung und Angsterzeugung suchten die CDU/CSU-Unterstützergruppen in ihrer Werbung augenscheinlich in erster Linie Wähler mit autoritären Einstellungen anzusprechen. Die Diffamierungskampagne sollte klare Feindbilder schaffen und dem Wähler das Schwarz-Weiß-Denken erleichtern; die Panik-erzeugung wollte den Umworbenen in seiner ohnehin vorhandenen Unsicherheit gegenüber der verwirrenden politischen Szene treffen und ihn motivieren, sein Heil nur noch in der Unterwerfung unter eine sich stark und mächtig gerierende neue Führung zu suchen. Der Appell an autoritäres Denken zeigte sich aber besonders in der „moralischen" Abqualifizierung des Gegners als unehrenhaft und „liederlich". Der Gegner wird erst dann zum totalen Feind, wenn er von den bürgerlichen Ordnungs-, Sittlichkeits-und Anständigkeitsvorstellungen abweicht, wenn er Tabus (vor allem sexueller Art) durchbricht und als das „Kranke" und „Perverse" (Nr. 12) zur allgemeinen Gefahr wird und die Substanz der Nation zu „zersetzen" droht. Wie der autori-täre Charakter sein schwaches Ich mit aller Macht und Rigidität gegen untergründige Triebkräfte abschirmen muß, so soll auch die bürgerliche Ordnung mit höchster Intensität gegen jeden Anderungs-und Auflockerungsversuch verteidigt werden — der Dammbruch im einen Bereich hätte den im andern zur Folge. Bezeichnenderweise verband die Werbung der CDU/CSU-Unterstützergruppen darum so häufig den „Sozialismus" mit dem „Sittenverfall": die CDU/CSU „richtet sich gegen die Porno-Brutalität.. . Damit unser Land nicht sozialistisch wird“ (Nr. 11).

Dieselbe Angst vor den eigenen unterdrückten Strebungen prägt den Verschwörungs-Glauben und die Angst vor zerstörerischen „dunklen Kräften" sowie die Tendenz, das in der eigenen Person Verdrängte und Verleugnete in Vorurteilen nach außen zu projizieren. Diesen letzteren Mechanismus griffen die CDU/CSU-Hilfsorganisationen in ihrer Werbung in extenso auf ebenso wie sie Vorurteile — gegen kindermordende Sozialisten wie auch z. B. gegen Gastarbeiter (Nr. 10, Flugblatt G. Neumann) — direkt oder indirekt bestärkten. Kehrseite von Vorurteilen ist die Glorifizierung der Eigengruppe und daraus erwachsend ein nationaler Egozentrismus, der um so heftiger wird, je mehr der einzelne sein eigenes Ich wie die Eigengruppe bedroht fühlt. So überhöhte die Werbung der CDU/CSU-Initiativen denn auch die Qualitäten der eigenen Nation — „kein Volk der Welt hätte das geschafft, was die Deutschen da geleistet haben“ (Nr. 30) — und wurde andererseits nicht müde, vor den Gefahren für „die Lebensinteressen und ... das Lebensrecht des deutschen Volkes" (Nr. 39) zu warnen. Gefahren drohen indessen nicht allein durch äußere Bedrohung, sondern genauso durch Vermischung mit fremden Elementen — Deutschland geht zugrunde, da die Gastarbeiter „einen babylonischen Vielvölkerstaat" aus ihm machen (Flugblatt G. Neu-mann) —; und fremd ist bereits, wer — etwa als Emigrant — sich von seinem Land „distanziert" (Nr. 37) oder seine Traditionen und Normen „verhöhnt" (G. Neumann). Solche Leute haben „keinen Anteil" mehr an der Eigengruppe, die sich tunlichst von allem Fremden rein halten sollte; „Wir ... wollen endlich wieder Deutsche sein und von Deutschen regiert werden" (Nr. 12, 29). Für das Akzeptieren von Minderheiten, abweichendem Verhalten, dem „Vermischten" und damit für de-mokratische Tugenden wie Toleranz und Kompromißbereitschaft ist in diesem Denken kein Platz.

c) Parteien-und „Bürger" -Werbung

Die hier geschilderte Werbung der Wählerinitiativen unterschied sich von der Werbung der jeweils unterstützten Partei in geringerem Maß als man vielleicht hätte erwarten können. Das zeigte sich bereits hinsichtlich des Informationsniveaus: mit Ausnahme einiger lokaler Gruppen sahen sich die Initiativen nur wenig mehr als die Parteien veranlaßt, dem Wähler zu einer sachorientierten, das Für und Wider verschiedener Politiken rational abwägenden Willensbildung zu verhelfen. Zunächst muß dies erstaunen, entfällt doch für unabhängige Wählerinitiativen das Interesse, sich nicht schon vor der Wahl durch klare Festlegung die Hände zu binden, das die Parteien zur Entsachlichung ihrer Werbung motiviert Daß sie dennoch dem allgemeinen Trend der Werbung zur Entsachlichung sich einpaßten, könnte auf Bequemlichkeit oder Mangel an guten Argumenten schließen lassen, ist aber bei SWI und LWI vermutlich zurückzuführen auf die z. T. recht unterschiedliche Motivation ihrer einzelnen Mitarbeiter, auf eine Art Rücksichtnahme auf den Durchschnittswähler, der anscheinend als doch weniger „mündig" betrachtet wurde als offiziell vorgegeben, sowie auf eine relative Unernsthaftigkeit des eigenen „Engagements", das zuweilen eher dem Spaß an einer neuen und interessanten Freizeitbeschäftigung zu entspringen schien als dem Willen zur Verfechtung bestimmter politischer Ziele.

Die Gleichartigkeit der geringen Neigung, den Wähler zureichend zu informieren, setzte sich fort in der Gleichartigkeit der angewandten Werbetechniken: Wie die Parteien suchten die Wählerinitiativen das Prestigebedürfnis des Wählers und seine Gefolgsbereitschaft gegenüber Autoritäten auszunutzen, seine Ängste vor den Folgen einer „falschen" Entscheidung zu mobilisieren und ihn in seiner Neigung zu bestärken, die Wahlentscheidung an der „Glaub-und Vertrauenswürdigkeit" führender Persönlichkeiten und an ihren sonstigen „Tugenden" zu orientieren. Die Personalisierung der Politik zumal sollte weiter-gehende Information unnötig machen; darüber hinaus zeigte sich auch in der Werbung der Initiativen das aus der Parteienwerbung bekannte Bestreben, dem Wähler sein etwa noch vorhandenes Informationsbedürfnis aus-zureden und ihn vom Fragen abzuhalten — denn „Sie sollten es besser wissen" (LWI München) .

Weitgehende Parallelität von Partei-und Initiativen-Werbung verrieten indessen nicht nur die Methoden, sondern ebensosehr die Inhalte. Die SWI orientierte wie die SPD ihre Werbung in erster Linie an der Person Brandts und trug das ihre dazu bei, die Wahl zur „Kanzler-Wahl" zu machen; die LWI folgte — z. T. in wörtlich denselben Formulierungen — der Taktik der FDP, die Notwendigkeit der „Dritten Kraft" herauszustreichen. Desgleichen übernahmen die Hilfsorganisationen der CDU/CSU im wesentlichen deren Konzept, mit der Angst vor Inflation und Sozialismus zu operieren, den Gegner zu diffamieren und als Retter aus dem herrschenden Chaos Männer „der Tat" zu empfehlen.

Die Unterschiede zwischen der Werbung der Parteien und der ihrer Unterstützergruppen lagen demnach weniger in den Inhalten und in den Beeinflussungsmethoden als vielmehr in der Form und in dem Intensitätsgrad, in dem sie diese Methoden anwandten. So hatten die verschiedenen sozial-liberalen Initiativen offenbar das Bestreben, den Bierernst üblicher Parteipolitik nach Möglichkeit mit Ironie und Gags aufzulockern und dem Wähler zu demonstrieren, daß die Beschäftigung mit Politik keineswegs eine verkrampft-ernsthafte Angelegenheit sein müsse, sondern durchaus Spiel-Charakter haben könne; implizit boten sie Politik als ein Konsumgut an, das ebenso amüsant oder spannend zu sein vermöge wie etwa Kabarett oder Fußballspiele. Zum Teil suchten sie jedoch auch den Ton im Wahlkampf zu verschärfen und der CDU/CSU ihre Schläge gegen die SPD und die FDP zurückzugeben. Die CDU/CSU-Hilfsorganisationen waren auf diese Richtung eindeutig festgelegt: Ihre Werbung war durchweg um einiges aggressiver als die ohnehin genügend aggressive Werbung der Unionsparteien; sie betrachteten es anscheinend als eine ihrer wesentlichsten Funktionen, an Verunglimpfungen und demagogischen Formulierungen das nachzuholen, was die CDU/CSU mit gutem Grund der Öffentlichkeit nicht als offizielle Parteimeinung präsentieren wollte.

Auch diese „Intensitäts-Unterschiede" verweisen indessen nur wieder auf die grundsätzliche Gleichartigkeit der Parteien-und der „Bürger" -Werbung. Die Tätigkeit der Wählerinitiativen läßt daher bislang kaum erwarten, daß unter dem Einfluß des „engagierten Bürgers" Wahlkämpfe künftig ihrem demokratischen Sinn stärker angenähert werden.

Gleichartig war aber vor allem der dem Anspruch der Initiativen kaum entsprechende Bezug auf die Mentalität des Unpolitischen, der damit — „mündigem Bürger" und Bürgerinitiativen zum Trotz — weiterhin Leitbild aller politischen „Öffentlichkeitsarbeit" zu bleiben scheint. Alle werbenden Gruppen orientierten sich an der Neigung des Unpolitischen, sich die Welt in personalisierendem Denken zu erklären und politische Probleme auf die Eigenschaften von Personen zu reduzieren; alle suchten sein Konformitätsstreben und sein Bedürfnis nach Anlehnung an Autoritäten auszunutzen; alle wollten ihn durch Mobilisierung geheimer Ängste zur Entscheidung zwingen und — damit er sich auch richtig entscheide — mittels Diffamierung der anderen Seite seine Tendenz zu vereinfachendem Schwarz-Weiß-Denken für sich ausbeuten. Bei solchem Eingehen auf den Unpolitischen muß der offiziell angestrebte „Politisierungs" -Effekt der Tätigkeit von Wählerinitiativen in Frage gestellt werden.

Immerhin unterschied sich gerade hier die Werbung der CDU/CSU-Hilfsorganisationen noch erheblich von der der SWI und LWI, geriet den ersteren doch der Appell an die „unpolitische Verbrauchermentalität" deutlich zum Appell an autoritäre und faschistoide Einstellungen und Vorurteile. Er kulminierte letztlich im Ruf nach dem „starken Mann", der energisch „durchgreift", mit eisernem Besen alles „Kranke", „Perverse", „Schwache" und Fremde auskehrt und Zucht und Ordnung, Sauberkeit, Sitte und Moral und gar die „deutsche Ehre" wiederherstellt. Da indessen auch die wenigen „echten" CDU/CSU-Initiativen auf diese Weise warben, erhebt sich die Frage, wohin Bürger-„Engagement" führen kann, wenn es sich nicht mit politischer Aufklärung verbindet.

5. Effekte und Nachwirkungen

a) Resonanz

über die Wirkungen der hier geschilderten Aktivitäten der Wählerinitiativen kann man bislang nur Vermutungen anstellen. Ziemlich eindeutig feststellen läßt sich lediglich eine beträchtliche Resonanz in der Öffentlichkeit: Die meisten Tageszeitungen der Bundesrepublik übernahmen im Wahlkampf nicht nur willig Pressemitteilungen der Initiativen, sondern druckten auch von sich aus und häufig mit positivem Vorzeichen Berichte über die höchst neuartige Erscheinung eines Wahlkampfs seitens der Wähler. Entsprechend lobten die Verantwortlichen von SWI und LWI denn auch die „gute Presse", die sie allgemein hatten — so sei „Pressearbeit" eigentlich kaum nötig geworden, da die Presse schon „von allein" kam Speziell die LWI konnte hier Erfolge verbuchen, denn während die SWI bisweilen als bereits „routiniert" oder gar „professionell" galt gelang es der LWI weitgehend, das Image echter, improvisierender Spontaneität aufrechtzuerhalten.

Den CDU/CSU-Initiativen gegenüber waren die Reaktionen allerdings weit weniger einheitlich. Blätter wie der SPIEGEL oder die Frankfurter Rundschau witterten beim Gros dieser Gruppen nicht zu Unrecht von vornherein „Strohmänner", Scheinorganisationen und den Einfluß von Großindustrie, CDU-Wirtschaftsrat oder Springer-Verlag; andere Zeitungen dagegen bemühten sich, die CDU/CSU-Hilfsgruppen mit SWI und LWI auf eine Stufe zu stellen, wozu als Paradebeispiel häufig die Kölner „Christliche Wählerinitiative Menschenwürde" herhalten mußte.

Auch bei den Wählern fanden die Initiativen einige Resonanz; zumindest ermittelten Umfragen einen relativ hohen Aufmerksamkeitswert für die Wahlkampfaktivitäten der „Bürger": 66% der befragten Wähler bemerkter diese Tätigkeit, wobei Augen und Ohren am offensten bei FDP-Anhängern (79 %) und am wenigsten offen bei CDU/CSU-Anhängern (64 %) waren In der positiven Bewertung der Wählerinitiativen waren die Wähler sich jedoch weniger einig als die Presse: nur 48% aller Befragten — und nur 40 % der CDU/CSU-, aber 53 % der SPD-und 66 % der FDP-Anhänger — fanden es „richtig", wenn derartige Gruppen sich am Wahlkampf beteiligen Zu eigener „offener Parteinahme" bereit — was wohl der Bereitschaft zu eigenem „Initiativ" -Werden entspricht — waren sogar nur 29 % der Befragten (26 % der CDU-, 35 % der SPD und 26 % der FDP-Anhänger)

b) „Erfolge"

Die in Zustimmung und Ablehnung ziemlich ausgewogene Einschätzung der Wählerinitiativen durch die Wähler insgesamt — 48 % dafür, 50 % dagegen, 2 % ohne Meinung — könnte darauf schließen lassen, daß die Tätigkeit der Gruppen den von ihnen unterstützten Parteien weder zu nützen noch zu schaden vermochte; andererseits spricht die eher positive Einschätzung der Initiativen durch SPD-und FDP-Anhänger dafür, daß SWI und LWI zum Wahlsieg „ihrer" Parteien durchaus in gewissem Maße beitrugen. Es gibt indessen bisher keine Daten darüber, ob und inwieweit die Aktivität der Wählerinitiativen die Wahl-entscheidung derer, die sie überhaupt — selbst mit positiver Wertung — wahrnahmen, beeinflußte. Man darf lediglich vermuten, daß die direkte, persönliche Ansprache — praktiziert durch SWI und LWI — effektiver war als die geballte Ladung Anzeigen, mit der die CDU/CSU-Initiativen die Wählerschaft bombardierten. Die Situation in einigen Wahlkreisen, in denen besonders aktive Initiativen auftraten, könnte es auch nahelegen, die dort für die entsprechende Partei neugewonnenen Stimmen dem Konto der Initiativen gutzuschreiben: So konnte die FDP in München, wo die Aktivitäten der LWI ein Vielfaches der FDP-Aktivitäten ausmachten, und in Hamburg, wo eine ähnlich rührige LWI agierte, ihren Stimmenanteil nahezu verdop-peln Derartige Beispiele sind jedoch keine Erfolgs-„Beweise", da die Wahlentscheidung durch etliche andere Faktoren beeinflußt gewesen sein dürfte — nicht zuletzt z. B. durch die überzogene Diffamierungsstrategie und Panikmache seitens der CDU/CSU und ihrer Sympathisanten, die manchen Wähler abgestoßen haben mag.

Die Aktivitäten von Unterstützergruppen können demnach der unterstützten Partei durchaus auch geschadet haben, indem sie etwa die Vorstellungen der Partei in einer Weise anpriesen, die dem von dieser gepflegten Image widersprach, oder indem sie durch Überfütterung der Wähler eine „Rückschlagwirkung" riskierten. Nicht von ungefähr sprach man darum in der Werbebranche bezüglich der Werbung der CDU/CSU und ihrer Unterstützer von „einem gewissen Dash-Effekt", der die Zielgruppen schließlich „immunisiert" habe und suchte die Ursachen für die Wahlniederlage der Union zum Teil in der Kampagne ihrer anonymen Helfer: „Die Argumentation ist hier sicher übersteuert worden und hat Angstsyndrome erweckt, die wiederum Ursache für eine verstärkte Suche nach Vertrauen, nach Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit sind" — all das aber glaubte ein großer Teil der Wähler beim Kanzler Brandt dann offenbar eher zu finden als bei den mittels solcher Werbung angepriesenen Unionspolitikern. Die Agentur Team — eine der beiden von der CDU/CSU beauftragten Agenturen — distanzierte sich nach der Wahl denn auch recht deutlich von deren Helfern

SWI und LWI agierten indessen nicht nur für den Wahlsieg der sozialliberalen Koalition, sondern erstrebten darüber hinaus — zumindest dem eigenen Anspruch nach — einen längerfristigen Politisierungs-Effekt. Hierüber Aussagen zu treffen oder gar Erfolgsbeweise vorzulegen, ist jedoch noch weniger möglich als über Erfolge hinsichtlich der Beeinflussung der Wahlentscheidung; weder die von einzelnen lokalen Gruppen nach der Wahl zusammengestellten Berichte noch die beobachtbare Art ihrer Wahlkampfaktivität lassen einigermaßen zwingende Schlüsse auf derartige Erfolge zu. Nicht einmal bezüglich der eigenen Mitarbeiter läßt sich durchgängig von erfolgreicher Politisierung sprechen, ging es doch manchen Gruppen eher um die eigene „gute Presse" oder gar um kommerzielle Gesichtspunkte als um politische Aussagen und stand doch bei etlichen Mitarbeitern eher bloßer Aktivismus oder das Bestreben nach effektvoller Selbstdarstellung als der Einsatz für eine bestimmte Politik im Vordergrund. Die Tatsache, daß die Arbeit in den Initiativen für viele ihrer Mitglieder eine Art Ventil-funktion erfüllte wie auch die Streß-Situation vor der Wahl wird häufig allenfalls zu politischen „Denkanstößen" geführt haben. Immerhin kann aber das in der Mitgliedschaft bei einer Wählerinitiative öffentlich dokumentierte „commitment" eine künftig stärkere Politisierung der Mitarbeiter nach sich ziehen. Neben dem bislang nicht meßbaren Politisierungs-Effekt sollte ein anderer, ebenso wenig meßbarer Effekt nicht unerwähnt bleiben: Die Kampagne der CDU/CSU-Unterstützergruppen könnte durchaus bewirkt haben, daß alte Vorurteile bestärkt, latent vorhandene Feindbilder ans Tageslicht geholt wurden und die Wählerschaft sich damit längerfristig emotional polarisierte.

c) Die Zeit nach der Wahl

Für eine längerfristige Politisierung der Mitarbeiter könnte das Bestreben etlicher lokaler Initiativen sprechen, auch nach der Wahl zusammenzubleiben und politisch weiterzuarbeiten — was z. T. übrigens mit der Entscheidung des Wählers gerechtfertigt wird: Der Wähler habe am 19. November nicht nur die sozialliberale Koalition bestätigt, sondern darüber hinaus die Arbeit ihrer Wählerinitiativen gebilligt, woraus sich die Legitimation zur Weiterarbeit ableiten lasse Bei der LWI — deren Kölner „Zentrale" längst voll-ständig aufgelöst ist — sind es von lokalen Wählerinitiativen schätzungsweise 20 Gruppen 96), die ohne Unterstützung durch eine Zentrale oder durch die Partei weiterbestehen und sich mit lokalen Problemen beschäftigen; sie dürften sich inzwischen von „Wähler" -zu „Bürger" -Initiativen entwickelt haben.

Die ohnehin organisationsfreudigere SWI betreibt das Weiterbestehen in größerem und organisierterem Rahmen, denn erstens erhält sie ihr Bonner Büro aufrecht, und zweitens erschienen zum von ihm einberufenen SWI-Kongreß (24. /25. 3. 1973), der über die Zukunft der SWI debattieren sollte, Vertreter von 115 lokalen Gruppen (bei ursprünglich über 350 lokalen Initiativen). Die Organisationsform der Nachwahl-SWI scheint bereits geregelt: Das Bonner Büro bleibt mit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzt — und wird von der Partei finanziert —, eine 8-köpfige Kommission — als „Grass-Ersatz" — berät das Büro und entwickelt Ideen und Konzepte, die Landesbüros werden aufgelöst (und erst zu den je anfallenden Wahlen wieder eingerichtet), die lokalen Gruppen arbeiten wie bisher in weitgehender Autonomie. Daß das zentrale Büro beibehalten wird, wird mit dem Kommunikations-und Informationsbedürfnis der lokalen Gruppen begründet; die Zentrale soll demnach als „Informationsschaltstelle" zwischen den einzelnen Gruppen zum einen und zwischen den Wählern und der Partei zum anderen fungieren.

Ein Selbstverständnis für die Nachwahlzeit zu finden, war und ist dagegen um einiges schwieriger. Auf das Grundkonzept, der SPD „unbequem fordernd" zu begegnen und das „permanente und notwendigerweise kritische Gespräch zwischen Wählern und Gewählten" zu betreiben konnte man sich noch mühelos einigen; die Schwierigkeiten beginnen dort, wo dieses abstrakte Konzept konkret aufgefüllt werden soll. Zwar bieten sich ganze Kataloge von Themen an, für die ein Einsatz lohnen würde und die Bereitschaft hierzu scheint auch bei etlichen Gruppen vorhanden, doch stellt sich dabei das für SWI-Mitarbeiter offenbar schier unüberwindliche Problem, daß man sich damit im Grunde von einer Wähler-zur Bürger-Initiative entwikkeln müßte. Abstrakt nämlich definiert die SWI sich weiterhin als „Ansammlung von Spontaneitäten"; die Arbeit als Bürgerinitiative aber würde angeblich das Element der „Spontaneität" zerstören Dasselbe Argument wurde schon vorher im Mitarbeiterkreis gegen die Institutionalisierung der SWI als „Verein" ins Feld geführt — ein Verein paßt schließlich nicht zum Namen „Initiative" —; es gilt anscheinend nicht bezüglich der relativ festen Organisierung als solcher und — sonderbar genug — genausowenig bezüglich der Finanzierung durch die Partei. Das Problem, inwieweit dadurch der Partei Möglichkeiten zur Kontrolle der Initiative eröffnet werden, wurde auf dem Kongreß denn auch gar nicht erst diskutiert.

Die Debatte um das nach der Wahl angebrachte Selbstverständnis der SWI fand auf dem Kongreß keinen befriedigenden Abschluß. Die Argumentationen in dieser Debatte — was z. B. mit dem Namen „Initiative" vereinbar sei und was nicht — und die bange Frage, ob man als „spontane" Gruppe überhaupt längerfristig themenorientiert arbeiten könne, deuten indessen auf etwas hin, das selbstverständlich nicht ausgesprochen wurde: darauf nämlich, daß die Organisation, weil sie nun einmal besteht und weil sich in ihr ein bestimmtes Gruppenbewußtsein entwickelt hat, einerseits einfach aufrechterhalten werden muß, andererseits aber um des Images willen den Anschein der Spontaneität nicht verlieren darf. Vor diesem Dilemma — der Frage, wie Spontaneität in einer sich festigenden Organisation prolongiert werden kann — tritt bisher die andere Frage zurück, was mit der Organisation schließlich sachlich anzufangen sei. So läßt sich die SWI denn einstweilen am treffendsten als Verein charakterisieren, dessen Mitglieder vornehmlich damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu versichern, daß sie keinen Verein darstellen. — Auch die Weiterarbeit von Wählerinitiativen ist demnach vorläufig noch nicht als Politisierungs-Effekt zu werten.

III. Wähler-Politisierung oder „Zusatz-Werbung" der Parteien?

Eine abschließende Wertung der Wählerinitiativen im Wahlkampf 1972 fällt nicht leicht; der Eindruck bleibt zumindest zwiespältig. In erster Linie wird man sie an ihren Aktivitäten messen müssen; gerade hier jedoch — in der Art ihrer Werbung — wurden sie ihrem Anspruch nur sehr bedingt gerecht, stellten sie doch darin nur allzu häufig nicht auf den „mündigen Bürger", sondern auf die Mentalität des Unpolitischen ab. Ihre Werbung unterschied sich von der der Parteien meist nur graduell und dürfte darum kaum mehr „politisierend" gewirkt haben als diese. Auf lokaler Ebene suchten zwar die sozial-liberalen Wählerinitiativen vor allem durch persönliche Ansprache Denkanstöße zu geben; wieweit damit ein Politisierungs-Effekt verbunden war, muß dahingestellt bleiben.

Gerade die „mitmenschliche" Ansprache — noch dazu durch Parteilose — konnte indessen für den Wähler eine besondere und unmittelbare Bedrängung bedeuten, der gegenüber er sich weniger abzuschirmen vermochte als gegenüber der üblichen Parteienwerbung. Aus diesem Grund scheinen Wählerinitiativen als zusätzliches Manipulationsinstrument seitens der Parteien hervorragend geeignet; sie können also, statt Politisierung zu bewirken, zur Gefahr für die ohnehin geschwächte Autonomie des Wählers werden. Die Initiativen der CDU/CSU waren deutlich in diesem Sinne eingesetzt; aber auch die LWI war von der Partei bewußt als Wahlkampfinstrument ins Leben gerufen. Bei der SWI lassen sich zwar keine entsprechenden Parteieinflüsse nachzeichnen, doch verstand sie sich dafür von sich aus in erster Linie als Instrument des „Stimmenfangs" für die Partei.

Waren die Wählerinitiativen demnach einerseits sämtlich den jeweiligen Parteien willkommene „Hilfstruppen", so bestand andererseits zumindest auf Seiten der SPD die Befürchtung, daß die Wahlhelfer sich zur „Nebenpartei" entwickeln könnten. Helmut Schmidt sprach dies aus, als er im Hinblick auf die SWI erklärte, er wolle „Die Beeinflussung der Meinungsbildung unserer Partei durch Leute, die sich selbst nicht binden und keine Mitgliedschaft erwerben wollen ... auf ein relativ kleines Maß beschränkt wissen" Die Sorge, daß die Sympathisanten sich am 20. November nicht einfach nach Hause schicken lassen würden, wurde aber auch von den anderen Parteien geteilt Sie schien um so berechtigter, als schon während des Wahlkampfs einige Initiativen durch Unterstützung oder Nicht-Unterstützung bestimmter Kandidaten „Politik" zu machen versuchten Gravierender noch war, daß das Engagement der Initiativen die Parteien in möglicherweise von diesen unerwünschter Richtung festlegen konnte; die FDP besonders hätte am 20. November kaum erneut „Umfallen" können, ohne damit einen „RiesenSturm" ihrer Wählerinitiativen zu verursachen der der Partei vermutlich einigen Schaden zugefügt hätte.

Die Haltung der Parteien zu ihren Wählerinitiativen war also durchaus ambivalent: Die Wahlhelfer wurden als „Potential der Vernunft" oder gar als „richtige politische Mitte" ausgelobt die „kritischen Begleiter" der Parteien nach der Wahl dagegen zu möglichster Zurückhaltung ermahnt Was die Parteiführungen zu verhindern trachten, scheint jedoch aus der Sicht des Bürgers durchaus wünschenswert, nämlich die Auflokkerung erstarrter Parteistrukturen sowie eine gewisse Kontrolle des Handelns von Parteieliten durch die davon Betroffenen; gerade die Nachwahl-Tätigkeit der Initiativen könnte demnach zumindest theoretisch als ein Schritt zu vermehrter Partizipation der Bürger Bedeutung erlangen. Es mag die Parteien beruhigen, daß eine derartige Kontroll-und Korrektivfunktion realiter in nur geringem Ausmaß wahrgenommen werden dürfte und sich zumeist lediglich auf den jeweiligen Wahlkreis-abgeordneten erstrecken wird Die Legiti-mation zur Wahrnehmung dieser Funktion wird allerdings in dem Maß fragwürdig werden, wie die Initiativen selbst sich zu „parteiähnlichen''Organisationen verfestigen und darum nicht mehr als Sprachrohr „des Bürgers" gelten können.

Die bisher vorliegenden Informationen über die Arbeit der Wählerinitiativen, die Motivation ihrer Mitglieder und ihr Verhältnis zur jeweiligen Partei lassen den Schluß zu, daß die Initiativen — mit Ausnahme derer der CDU/CSU, die meist kaum als Wähler-Initiativen zu bezeichnen sind — weder Ausdruck einer tiefergreifenden Politisierung der Wählerschaft noch reine Partei-Anhängsel sind. In Zukunft mag sich das ändern — zumindest steht zu befürchten, daß, nachdem einmal dieses neuartige Wahlkampfinstrument sich bewährt zu haben scheint, die Parteien von ihm Besitz ergreifen, „spontanes" Wähler-Engagement in den Griff nehmen und noch bewußter als bisher in ihre Wahlkampf-führungeinplanen schließlich fühlten sich schon im Wahlkampf 1972 die anderen Parteien durch die SWI in Zugzwang gebracht. Inwieweit es dagegen in kommenden Wahl-kämpfen erneut zu ungesteuerter, spontaner Wähler-Aktivität kommt, dürfte zu einem wesentlichen Teil von der politischen Situation abhängen. Sie wird nur selten in solchem Maße zum Engagement motivieren wie 1972, als der Streit um die Ostverträge und vor allem das Mißtrauensvotum den Wähler zu eigener Stellungnahme herausforderten. Zugleich werden nur derartige Situationen die Chance einer Politisierung größerer Teile der Wählerschaft bieten; im Wahlkampf 1972 scheint diese Chance nicht ausreichend genutzt worden zu sein.

Anhang:

I. Verzeichnis der durch Anzeigen, Flugblätter und Broschüren in Erscheinung getretenen Wählerinitiativen für die CDU/CSU 1. Aktion: Junge Wähler für die CDU, Lüdenscheid 2. Aktion nüchterne Bürger in der Gesellschaft für konstruktive Politik 3. a) Aktion Solidarität Arbeiter, Angestellte und Unternehmer der Sozialen Marktwirtschaft b) Aktion Solidarität Arbeiterinnen, Angestellte und Hausfrauen der Sozialen Marktwirtschaft c) Die junge Gruppe der Aktion Solidarität 4. Arbeitskreis Soziale Marktwirtschaft 5. a) Bürgerinitiative Aktion der Mitte b) Fraueninitiative Aktion der Mitte c) Jugendinitiative Aktion der Mitte 6. Bürgerinitiative 72 7. Bürgerinitiative für klare Entscheidungen 8. Bürgerinitiative Nördliches Unterfranken, Bad Kissingen 9. Bürgerinitiative Pro Union 10. Bürgerinitiative Schalke 11. Christliche Wählerinitiative Menschenwürde, Köln 12. Deutsche Bürgerinitiative 13. Erhard/Schiller: „Zur Sache" (initiiert von: Staats-und wirtschaftspolitische Gesellschaft e. V.) 14. Freie unabhängige Wählergemeinschaft Erwin Geiger u. a., München 15. Freie unabhängige Wählerinitiative zur Bundestagswahl 16. Gemeinschaft für demokratisches Bewußtsein 17. Hans Freiherr von Godin, Rechtsanwalt, und sein Freundeskreis, München 18. Initiative ehemaliger SPD-Wähler München, Nürnberg, Stuttgart, Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt, Düsseldorf 19. Initiative liberaler Staatsbürger 20. Initiative mündiger Bürger 21. Initiative politisch gebildeter Arbeiter und Angestellter, München 22. Kölner Interessengemeinschaft 23. Konzentration Demokratischer Kräfte 24. „Langjährige Mitarbeiter der SPD und FDP bekennen"

25. „Männer, denen wir vertrauen"

26. Parteilose Wählerinitiative, Nürnberg 27. Steuer-Notgemeinschaft 28. Unabhängige Wählerinitiative Osterode 29. Vereinigung zur Förderung der politischen Willensbildung e. V.

30. Verlag für Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft und Politik W. Ahrens 31 Wahlinitiative Liberale Union, Stuttgart 32. Wahlinitiative Republikanisch-Freiheitliche Aktion, Tübingen 33. Wählerinitiative 1972, Köln 34. Wählerinitiative der Arbeiter, Kleingewerbetreibender und Kaufleute in der Gesellschaft für konstruktive Politik 35. Wählerinitiative Brühl/Köln, Geörg Zahel 36. a) Wählerinitiative Deutsche Union b) Wählerinitiative Deutsche Union Nordrhein-Westfalen . 37. Wählerinitiative freiheitlich gesinnter Staatsbürger in der Vereinigung zur Förderung der politischen Willensbildung e. V.

38. Wählerinitiative: Junge Bürger Stuttgart 39. Wählerinitiative: Patriotische Mitte 1 40. Wählerinitiative Poppelsdorf 41. Wählerinitiative Rastatt 42. Wählerinitiative der Realisten, Hannover II. Einzelaktionen 1. K. H. Brühl, Dr. H. Brach, Trier 2. Rechtsanwalt Dr. Henning Frank 3. Ingeborg S. L. Meyer, Hannover-Kirchrode 4. August Naujock, Hamburg 5. G. Neumann, Bensheim '

6. Wolfgang Pfaff, München (CSU-Kandidat — nicht angegeben)

7. Axel Springer, Berlin 8. Günther Weidmann, Walsrode III. Andere Gruppen, die mit Anzeigen und Flugblättern der CDU/CSU Wahlhilfe leisteten 1. Arbeitskreis „Menschenwürde" des Bundes der katholischen Jugend Aktion „Lebensrecht für alle"

2. Bundesverband deutscher Banken 3. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 4. Deutsch-kanadisches Missionswerk, Mühlheim am Bach 5. Institut für Demokratieforschung e. V., Bonn (in Bonn nicht existent)

6. Internationale Studienqesellschaft für staats-, wirtschafts-und gesellschaftspolitische Öffentlichkeitsarbeit e. V., CH 3800 Interlaken 7. Katholischer Pressebund 8. R + S Informationen, Bonner politischer Dienst; Hrsg.: H. C. Röglin und L. Schütze 9. Verband der Diplomingenieure und Naturwissenschaftler in Deutschland (nur MBB-Angestellte) 10. Volksbund zum Schutz von Jugend und Elternrecht, Krumbach 11. Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs-und Grundeigentümer e. V.

A IV. Verbindungsglieder zwischen den verschiedenen „Wählerinitiativen"

1. Bundesverband deutscher Banken 2. Complan 3. Deutschland-Stiftung e. V.

4. Gesellschaft für konstruktive Politik 5. Heinrich Bauer Verlag 6. Landsmannschaft Ostpreußen 7. Staats-und wirtschaftspolitische Gesellschaft e. V.

8. Studiengesellschaft für Eigentumsfragen e. V.

9. Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit e. V. (Kuratoriumsmitglied:

Ministerpräsident Alfons Goppel)

— Sektion Süddeutschland, München — Zweigstelle Nord, Altenbücken

Fussnoten

Fußnoten

  1. So das entsprechende Schlagwort der Liberalen Wählerinitiative.

  2. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 19502, S. 416.

  3. Vgl. Regina Schmidt/Egon Becker, Reaktionen auf politische Vorgänge, Frankfurt a. M. 1967, die u. a. die Reaktionen auf die SPIEGEL-Affäre untersuchten.

  4. Jens Feddersen, Politik muß verkauft werden, in: Die neue Gesellschaft, 5. Jg. 1958, S. 22.

  5. Partizipation galt der klassischen Demokratie-theorie zudem als Wert für sich: als Beitrag zur Selbstverwirkiichung des Individuums. Im Grundgesetz der BRD ist der Partizipationsgedanke weniger deutlich, doch scheint er durch z. B. in Art. 21, der den Parteien nicht das Monopol der politischen Willensbildung, sondern lediglich „Mit" -Wirkungsrechte zuspricht.

  6. Uber Wählerinitiativen verfügten auch die DKP (unterstützt von Prominenten wie Franz Josef Degenhardt) und die NPD („Demokratische Wähler-initiative 1972", die sich zu einem großen Teil aus NPD-Mitgliedern rekrutiert haben dürfte); da ihre Initiativen aber nur in geringem Maß an die Öffentlichkeit traten, bleiben sie in der folgenden Untersuchung unberücksichtigt.

  7. Vgl. dazu Presseausschuß der Demokratischen Aktion (PDA) unter Mitarbeit von Bernt Engelmann (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch. Die heimlichen Wahlhelfer der CDU/CSU, Köln 1973, S. 24 ff.

  8. Veronika Bonner Büros 12. 2. 1973 in Bonn. Schröter, der SWI, die damalige einem in Leiterin Gespräch des am

  9. Ebenda.

  10. So Günter Grass in der offiziellen Begründung zur Auswahl der Wahlkreise.

  11. Das Bonner Büro verschickte im Januar 1973 350 Fragebogen, doch konnten nur 133 ausgewertet werden.

  12. Die Auswertung des Fragebogens verzeichnet bei 3255 Aktiven ca. 16 °/o Parteimitglieder; in der SWI Mannheim z. B. waren von 60 Aktiven nur 4 Parteimitglieder.

  13. Vgl. dazu auch die Frankfurter Rundschau vom 14. 11. 1972: Die „Honoratioren", die die SWI von 1969 prägten, seien zurückgedrängt und stellten 1972 nur noch ein Drittel der Mitglieder; die anderen zwei Drittel bestünden hauptsächlich aus jüngeren Leuten, berufstätigen Frauen und Hausfrauen.

  14. So Veronika Schröter, a. a. O.

  15. Ebenda.

  16. Für den Button „Bürger für Brandt" z. B. zahlte das Bonner Büro 0, 07 DM; es gab ihn für 0, 20 DM an die Landesbüros weiter, und die lokalen Gruppen verkauften ihn — je nach Nachfrage — für 0, 50 bis 1, 00 DM.

  17. Gunter in München. Murzin in einem Gespräch am 14. 3. 1973

  18. Dem entsprechen die z. T. erheblichen Mitgliederzahlen der lokalen LWIs: in Freiburg ca. 200, in München ca. 300, in Hamburg (wo die größte LWI bestand) etwa 500 Mitglieder.

  19. Dies dürfte weitgehend für die Münchner LWI zutreffen.

  20. Vgl. FAZ vom 11. 10. 1972.

  21. Gunter Murzin (a. a. O.) sprach von täglich bis zu 10 000 DM, die sich zum großen Teil aus kleineren Spenden zusammengesetzt haben sollen.

  22. So — um nur einige zu nennen — in Essen, Hamburg, Heidelberg, Köln.

  23. Dabei waren im übrigen Doppelmitgliedschaften nicht selten — auch seitens der Prominenz: so war z. B. Prof. H. -A. Jacobsen Mitarbeiter sowohl der LWI als auch einer lokalen Brandt/Scheel-Initiative.

  24. So das Vorstandsmitglied der Gruppe Erich Schallus 1t. Kölner Stadtanzeiger vom 19. 10. 1972.

  25. Erich Schallus, ebenda.

  26. Willy Brandt auf dem SWI-Kongreß in Bonn am 24. 3. 1973.

  27. Rede Theodor Eschenburgs auf dem Bundesparteitag der FDP am 25. 10. 1972.

  28. So Veronika Schröter, a. a. O.

  29. Rede Günter Grass'auf dem SWI-Kongreß in Bonn am 24. 3. 1973.

  30. Ebenda.

  31. So Gunter Murzin, a. a. O.

  32. Rede Theodor Eschenburgs auf dem Bundesparteitag der FDP am 25. 10. 1972.

  33. Vor allem bei zahlreichen lokalen Gruppen der LWI zeigte sich recht deutlich ein zunächst gar nicht parteispezifisches Engagement für die „Regierung", das erst im Laufe des Wahlkampfs und im Gefolge der eigenen Aktivitäten mehr und mehr auf die FDP fixiert wurde (s. Gunter Murzin, a. a. O.).

  34. Ein Beispiel hierfür ist das auffallend bereitwillige Engagement gerade von Hausfrauen oder auch „kleinen" Angestellten in der SWI.

  35. Rede Willy Brandts auf dem SWI-Kongreß in Bonn am 25. 3. 1973.

  36. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß die Organisatoren von SWI und LWI den Verfassern in allen Fragen Rede und Antwort standen und Einsicht in die Unterlagen gewährten, wohingegen die CDU — leider der einzige Adressat mit fester Adresse, der für eine Befragung ausgemacht werden konnte — weder brieflich noch mündlich eine Antwort gab.

  37. S. die Zusammenstellung der Gruppen im Anhang.

  38. Aus technischen Gründen werden jeweils nur eine oder zwei Verbindungspersonen benannt. Daß die personelle Verflechtung zwischen den einzelnen Gruppen weit größer war, ist nachzulesen bei: PDA (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch, a. a. O., und in der „Dokumentation über die Werbekampagnen der CDU/CSU und der CDU/CSU-Hilfsorganisationen im Bundestagswahlkampf 1972", Hrsg.: Parteivorstand der SPD, Bonn 1973 (künftig zitiert als: SPD-Dokumentation).

  39. Eine Aufschlüsselung der stillen Gesellschafter und die Höhe ihrer Einlagen findet sich in PDA (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch, a. a. O., S. 49 ff.

  40. Karl Friedrich Grau ist Gründungsmitglied der Deutschland-Stiftung e. V., Geschäftsführer der „Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit e. V." und Gründungsmitglied der „Gesellschaft für konstruktive Politik"; seine Ehefrau Ulrike ist Mitglied der „Vereinigung zur Förderung der politischen Willensbildung e. V.".

  41. S. DER SPIEGEL Nr. 50/1972 („Ich muß vollkommen unauffindbar sein").

  42. Ebenda.

  43. Ebenda und PDA (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch, a. a. O., S. 76 ff.

  44. DER SPIEGEL Nr. 50/1972.

  45. Zitiert im Kölner Stadtanzeiger vom 18. 10. 1972.

  46. Eine umfassende Aufzählung der Geldgeber findet sich in PDA (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch, a. a. O.

  47. DER SPIEGEL Nr. 46/1972 („Typische Einlagen“).

  48. Aktennotiz vom Initiator H. C. Röglin; zitiert ebenda.

  49. Auf lokaler Ebene kam es jedoch häufiger zu Absprachen mit Partei und Jungsozialisten über die anzusprechenden Zielgruppen.

  50. So Veronika Schröter, a. a. O.

  51. Selbst das LWI-Symbol des „Blauen Dreiecks", das mit dem „Vorfahrtszeichen" in der FDP-Werbung leicht verwechselt werden konnte, war (1t. Gunter Murzin, a. a. O.) völlig unabhängig von ihm entstanden.

  52. Veronika Schröter, a. a. O.

  53. S. oben S. 9 und Frankfurter Rundschau vom 14. 11. 1972.

  54. Frau Vilar bereiste auf eigene Kosten 25 Großstädte der Bundesrepublik, um dort jeweils in Straßendiskussionen, Abendveranstaltungen und Pressekonferenzen aufzutreten.

  55. Der Arbeitskreis führte insgesamt 63 eigene Veranstaltungen durch (s. Frankfurter Rundschau vom 14. 11. 1972).

  56. Gunter Murzin, a. a. O.

  57. So Gunter Murzin in einem Gespräch am 10. 2. 1973 in Gummersbach.

  58. Ein anderes PR-Büro wurde zwar bezahlt, war aber nur mit der Anzeigenverteilung und der Sammlung von Presseberichten beauftragt (aus denen die LWI dann entnahm, in welchen Gebieten und in welcher Richtung sie noch aktiv werden mußte).

  59. So z. B.: „Wirtschafts-und Finanzpolitik der Bundesregierung", „Die BRD und der internationale Preiszusammenhang", „Agrarpolitik auf der Grundlage von Illusionen oder Realitäten", „Argumentationshilfe zur Steuerreform", „Zu einer Theorie des demokratischen Sozialismus", „Reformen als immerwährender Prozeß", „Politische und soziale Demokratie", „Ostverträge in historischer Sicht", „Fraktionswechsel — Argumentationshilfe", „Entwicklungspolitik als nationale und übernationale Aufgabe".

  60. Der von der „Bürgerinitiative Aktion der Mitte" für den 5. 11. 1972 geplante „Wahljugendkongreß" (s. Frankfurter Rundschau vom 28. 10. 1972) scheint nicht zustande gekommen zu sein.

  61. S. SPD-Dokumentation, a. a. O., S. 15; PDA (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch, a. a. O., S. 54 ff.

  62. Abgedruckt in: PDA (Hrsg.): Das schwarze Kassenbuch, a. a. O., S. 110 ff.

  63. So Veronika Schröter, a. a. O.

  64. Ein Beispiel hierfür war die SWI Mannheim.

  65. Darüber hinaus gab es aber noch „zentrale" Einzelaktionen: z. B. verschickte der Journalist Horst Vetten eigene Textvorschläge für Plakate und Anzeigen an die einzelnen LWI-Gruppen.

  66. So Gunter Murzin im Gespräch am 14. 3. 1973 in München.

  67. Als Beispiel kann wiederum die SWI Mannheim gelten, die denn auch nach dem Wahlkampf einen „Gewinn" von über 1000 DM verbuchen konnte. Solche Gewinne werden in der Regel zur Finanzierung der Nachwahl-Aktivitäten verwandt.

  68. Nach Angaben ihres Vorstandsmitglieds Erich Schallus (am 25. 3. 1973 in Bonn) gab die Kölner Initiative ca. 125 000 DM für Anzeigen aus. Zum Vergleich: die Münchner LWI gab nach Angabe eines ihrer führenden Mitglieder (Thomas Schramm am 14. 3. 1973 in München) für ihre gesamten Wahlkampfaktivitäten 15 000 DM aus.

  69. Lt. Gunter Murzin (14. 3. 1973)

  70. S. Kölner Stadtanzeiger vom 19. 10. 1972.

  71. So Gunter Murzin (94. 3. 1973).

  72. Ebenda.

  73. So Veronika Schröter, a. a. O.

  74. Zur Wahlwerbung, auch der Wählerinitiative, s. auch die von der der CDU nahestehenden Zeitschrift . Dialog'herausgegebene Untersuchung Analyse, Wahlkampf '72. Fakten und Zahlen, o. O., o. J.

  75. Weniger dick aufgetragen fand diese Taktik sich auch in der SWI-Werbung, die etwa „an Ihren gesunden Menschenverstand und an Ihr nüchternes Urteil" appellierte oder feststellte: „Wer ... Frieden und Sicherheit nicht nur als Wort zum Sonntag, sondern als eine mühsame und beständige Aufgabe begreift, der hilft mit uns der SPD ..

  76. Die LWI München brachte eine ganze Serie von Kleinanzeigen heraus, die nach dem Schema „Man will uns weismachen ... Sie sollten es besser wissen" aufgebaut waren.

  77. Auf dem Bundesparteitag der FDP am 25. 10. 1972 in München.

  78. Sowohl das ähnliche Vokabular als auch die gleiche Ortsangabe legen eine Verbindung Neumanns mit Manfred Roeders „Deutscher Bürgerinitiative" nahe; die Vermutung scheint inzwischen bewiesen: s. SPD-Dokumentation, a. a. O., S. 34.

  79. S. oben S. 23.

  80. Diese These wurde noch mit einem Cicero-Zitat erhärtet: „Zerrüttete Staaten sind dem Untergang geweiht, wenn Verurteilte rehabilitiert, Gefangene befreit und Emigranten zurückgeholt werden" (Nr. 10, 12).

  81. So eine — ebenfalls im Wahlkampf zur Unterstützung der CDU/CSU erschienene — Anzeige des Katholischen Pressebunds e. V. in Köln.

  82. S. oben S. 23.

  83. S. dazu Heidrun Abromeit: Das Politische in der Werbung, Opladen 1972, S. 58 f.

  84. So Gunter Murzin (14. 3. 1973).

  85. Als Beispiele: Frankfurter Rundschau vom 27. 10. 1972, Augsburger Allgemeine Zeitung vom 17. 10. 1972.

  86. Forschungsgruppe Wahlen am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim: Politik in der Bundesrepublik vor und nach der Bundestagswahl 1972. Tabellenband: Gegenüberstellung der Ergebnisse von drei Befragungen eines Panels (Mannheim 1973), S. 95.

  87. Ebenda, S. 96.

  88. Ebenda, S. 93.

  89. In München stieg der Stimmenanteil der FDP von 6, 6 0/0 1969 und 1970 (Landtagswahl) auf 10, 5 °/o 1972, in Hamburg von 6, 3 °/o 1969 und 7, 1 °/o 1970 auf 11, 2 0/0 1972.

  90. So Georg Baums von der Agentur Baums, Mang und Zimmermann, „Kein Glück mit den Ahnen", in: Die ZEIT Nr. 49 vom 8. 12. 1972.

  91. Gerd Gerken, Agentur OTW, „Barzel blieb ohne Profil", in: Die ZEIT Nr. 49 vom 8. 12. 1972.

  92. S. dazu Gunhild Freese, „Krach nach der Niederlage", in: Die ZEIT Nr. 49 vom 8. 12. 1972.

  93. S. das Beispiel der „frustrierten Genossen" auf S. 18 f., die aber nicht die einzigen waren, die die WIs als Instrument ansahen, Versagungen aus anderen Bereichen zu kompensieren.

  94. Dieser Begründungszusammenhang wurde z. B. auf dem SWI-Kongreß (Bonn, 24. Z 25. 3. 1973) vorgetragen.

  95. Lt. Gunter Murzin (14. 3. 1973).

  96. Zu diesem Zweck soll eigens eine Info-Schrift herausgegeben werden.

  97. So Grass in seiner Rede auf dem SWI-Kongreß.

  98. S. dazu die Themen der einzelnen Arbeitskreise auf dem SWI-Kongreß: Lebensqualität, Katholiken und § 218, Lohngleichheit der Frauen, Medien, Altersfragen.

  99. So die Argumentation in der Arbeitsgruppe 5 (Bürgerinitiativen) auf dem Kongreß.

  100. So Veronika Schröter, a. a. O.

  101. Zitiert (u. a.) in der Frankfurter Rundschau vom 27. 10. 1972.

  102. Selbst Konrad Kraske (CDU) äußerte Skepsis: „Das ist alles zu wenig geprüft, wenn man das den Leuten überläßt, die mit der Parteiarbeit nicht vertraut sind"; s. Frankfurter Rundschau vom 27. 10. 1972.

  103. Ein Extremfall war der Versuch einer CDU-Initiative, eine Kandidatur rückgängig zu machen; s. o. S. 19.

  104. S. Gunter Murzin (10. 2. 1973).

  105. Willy Brandt auf dem SWI-Kongreß.

  106. S. dazu — außer Helmut Schmidt — Holger Börner in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau; FR vom 24. 3. 1973.

  107. Die Empfehlung des SWI-Kongresses an Walter Scheel, seine Griechenland-Reise abzusagen, dürfte als Ausnahme gelten.

  108. Der LWI-Organisator Gunter Murzin vertritt denn auch die Auffassung, daß es Wählerinitiativen eher verordneter künftig aus von den Parteien „Präsenzpflicht" als aus Eigenantrieb geben werde (14. 3. 1973).

Weitere Inhalte

Klaus Burkhardt, geboren 1947 in Neumünster, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Mannheim.