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Warum scheiterte Salvador Allende ? | APuZ 42/1973 | bpb.de

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APuZ 42/1973 Warum scheiterte Salvador Allende ? Der innenpolitische Hintergrund für die neue Außenpolitik der Sowjetunion

Warum scheiterte Salvador Allende ?

Dieter Nohlen

/ 41 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf den Sturz der demokratisch gewählten Regierung des Marxisten Salvador Allende durch den Putsch der chilenischen Streitkräfte hat die Weltöffentlichkeit recht unterschiedlich reagiert. Erst das brutale Vorgehen der Militärs (Verfolgung von Mitarbeitern und Anhängern Allendes, Aussetzung von Kopfgeld, standrechtliche Erschießungen) hat einen einhelligen, weltweiten Protest hervorgerufen. Diese Tatsache erschwert indes ein zutreffendes Bild von der Entwicklung Chiles unter der Allende-Regierung und den Ursachen ihres Scheiterns. Um diese Frage zu beantworten, zeigt der Autor zunächst den Zusammenhang der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Chiles seit Mitte des vorigen Jahrhunderts auf. Sodann charakterisiert er das Modell eines demokratischen Sozialismus und einer nicht-kapitalistischen wirtschaftlichen Entwicklung, wie es Allende vorschwebte. Es werden die externen wie internen Bedingungen genannt, die Allendes Handlungsspielraum einengten, und die Voraussetzungen beschrieben, die das Experiment insgesamt als gangbar erscheinen ließen. Im Hauptkapitel werden die entscheidenden Gründe für das Scheitern Allendes herausgearbeitet: die ideologischen und politisch-strategischen Differenzen in der Volkseinheit, die Alternativstrategie der extremen Linken und die vor allem auf sie zurückgehenden Rechtsbrüche, die auf kurzfristigen Erfolg angelegte Wirtschaftspolitik, die zudem Strukturreform und Wirtschaftsentwicklung (Wachstum) nicht aufeinander abstimmte, die Kapitalblockade der USA und die mangelnde Solidarität des sozialistischen Lagers, der politische Niedergang der Volkseinheit bei Wahlen und schließlich die politische Inpflichtnahme der Streitkräfte, nachdem die Möglichkeiten eines Kompromisses zwischen Regierung und Teilen der Opposition erschöpft waren. Wesentlicher Maßstab der Beurteilung sind die dem „chilenischen Weg zum Sozialismus" zugrunde liegenden Prämissen. Abschließend versucht der Beitrag, einige Perspektiven der weiteren Entwicklung Chiles aufzuzeigen.

Am 11. September 1973 putschten in Chile die Streitkräfte Sie stürzten den marxistischen Präsidenten des Landes, Salvador Allende, der an der Spitze einer Parteienkoalition in freien Wahlen an die Regierung gelangt war und sich zum Ziel gesetzt hatte, in Chile den Aufbau des Sozialismus zu beginnen. Der Präsident kam bei dem Putsch ums Leben.

Die Weltöffentlichkeit hat auf das erschütternde Ereignis sehr unterschiedlich reagiert: ehrliche Bestürzung und Empörung auf der einen Seite, Verständnis für das Eingreifen der Militärs und Rechtfertigungsversuche auf der anderen Seite. Weniger Kenntnisse als Meinungen und politisches Engagement für oder gegen Allende bestimmten die öffentliche Diskussion. Dies erschwert ein zutreffendes Bild von der Entwicklung Chiles unter der Allende-Regierung und den Ursachen des Putsches. Vielfach verwehrt der Versuch, die chilenischen Ereignisse durch eigenwillige Interpretation und Verwertung ungeprüfter Behauptungen in den Dienst jeweils nationaler Kapitalinteressen oder politischer Mobilisierungsziele zu stellen, den Blick auf die chile-nischenZusammenhänge. Die kontroverse Einschätzung fußt auch auf der unterschiedlichen politischen Bewertung der Frage, ob das chilenische Modell, die Verbindung von Sozialismus und Demokratie, prinzipiell scheitern mußte, bereits vor Eingreifen der Militärs gescheitert war oder durch den Putsch „gescheitert wurde“. Strittig ist schließlich das Gewicht externer und interner Faktoren, die das Scheitern bedingten.

Die nachfolgende Untersuchung bemüht sich um ein differenziertes Bild. Sie stellt das

Wolfgang Leonhard Der innenpolitische Hintergrund für die neue Außenpolitik der Sowjetunion .. S. 22

Wolfgang Leonhard Der innenpolitische Hintergrund für die neue Außenpolitik der Sowjetunion

welthistorische Ereignis des sozialistischen Experiments in die historisch-politische und sozio-ökonomische Entwicklung Chiles und versucht von dort her unter Berücksichtigung der strukturellen Abhängigkeit des Landes die Ursachen des Scheiterns von Salvador Allende aufzuzeigen.

I. Der historische Kontext

Tabelle 1: Sozio-ökonomische und politische Indikatoren des Wandels in Chile 1925-1965

Chiles sozio-politische und ökonomische Geschichte seit Erlangung der politischen Unabhängigkeit im Jahre 1817 ist durch einen fundamentalen Widerspruch gekennzeichnet. Er besteht in der Herausbildung fortschrittlicher, moderner gesellschaftlicher und politischer Institutionen in Form eines differenzierten Parteiensystems und einer relativ stabilen parlamentarischen Demokratie auf der einen Seite sowie ökonomischer Rückständigkeit und entwicklungshemmender Mängel und Fehlentwicklungen in der Wirtschafts-und Sozialstruktur auf der anderen Seitela). Im politisch-institutionellen Bereich gleicht Chile Frankreich oder Italien, mit dem bemerkenswerten Unterschied, daß seine Verfassungsgeschichte weniger Brüche aufweist Sozio-ökonomisch zählt Chile verschiedenen sozialen und ökonomischen Indikatoren zufolge (BIP pro Kopf, Einkommensverteilung, Integrationsgrad der Volkswirtschaft, Fremdbestimmung durch ausländisches Kapital, Exportstruktur u. a.) zu den Entwicklungsländern.

Der Prozeß, in dessen Verlauf die heutigen Strukturen der Abhängigkeit 2a) und Unterentwicklung entstanden, begann etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als im Zuge der imperialistischen Politik der europäischen Großmächte ausländisches, vor allem britisches Kapital nach Chile floß 2b). Infolge mangelnden einheimischen Unternehmungsgeistes, der vorherrschenden Mentalität, nach Art der Großgrundbesitzer von den Abgaben aus der Verpachtung zu leben, schließlich aufgrund der liberalen ökonomischen Theorie der Zeit gerieten Bergbauindustrie (Salpeter), Handel, Schiffahrt und Banken binnen eines halben Jahrhunderts in britische Hände

Versuche, die Entwicklung in die Abhängigkeit zu stoppen oder rückgängig zu machen, scheiterten in der Revolution von 1891 Der Verfechter der ersten anti-imperialistischen Politik Chiles, Präsident Jose Manuel Balmaceda,wurde ein Opfer gleichgerichteter Interessen der chilenischen Oberschicht und des ausländischen Kapitals; er wählte den Freitod. Später, vor und nach dem I. Weltkrieg, übernahmen die Nordamerikaner die Rolle der Briten. Sie kauften sich in die Kupferförderung ein, die innerhalb der chilenischen Volkswirtschaft den Salpeterabbau ersetzte, der nach Erfindung des Haber-Bosch-Verfahrens unrentabel geworden war. Chiles Wirtschaft blieb ganz auf den Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse und zunehmend von Rohstoffen orientiert und war damit äußerst verletzlich, da Preisschwankungen der Güter auf dem Weltmarkt die Staatseinkünfte der Entwicklungsländer bestimmen und Krisen in den ökonomischen Zentren weniger dort, sondern in der Peripherie der Rohstoffe exportierenden Länder die gravierendsten Folgen haben.

Im Verlauf der industriellen Entwicklung veränderte sich zwar die chilenische Gesellschaft Zwischen die kleine Schicht der Großgrundbesitzer und die Masse der ungebildeten und armen, am Existenzminimum lebenden Bevölkerung, die zu Beginn des Jahrhunderts das gesellschaftliche Gehäuse Chiles bildeten, schob sich eine gegen Ende des Jahrhunderts schnell anwachsende Mittel-schicht von Handwerkern, Kleinindustriellen, Handelsleuten und akademischen Berufen. Doch die extremen Ungleichheiten in Besitz und Einkommen, die nicht versteuert wurden, blieben aufrechterhalten bzw. verfestigten sich noch. Die Erlöse einer relativ prosperierenden Exportwirtschaft flossen der Oligarchie zu, die in Nachahmung des Konsumverhaltens der westeuropäischen Oberschicht einen Teil ihres Retums durch den Erwerb von Luxusgütern vergeudete, deren Importvolumen die Investitionsgütereinfuhr im Bereich der Infrastruktur, des Bergbaus und der Industrie bei weitem übertraf Immerhin gelang es der Mittelschicht nach dem I. Weltkrieg, vertreten durch die Radikale Partei und gestützt auf eine anwachsende und sich organisierende Bergbau-und Industriearbeiterschaft dem Großbürgertum und den Latifundisten, repräsentiert durch die Liberale und Konservative Partei, die politische Macht -streitig zu machen. Der endgültige Durchbruch gelang nach der großen Krise zu Beginn der Dreißiger Jahre, die Chiles Wirtschaft und den Wohlstand der oberen sozialen Schichten in den Grundfesten erschütterte. Im Jahre 1938 wurde der Radikale Pedro Aguirre Cerda als Kandidat der Volksfront aus Radikalen, Sozialisten und Kommunisten zum Präsidenten gewählt. Das neue Wirtschaftskonzept hieß Industrialisierung zum Zwecke der Importsubstitution, nachdem der drastische Rückgang der Devisenerlöse die Fähigkeit Chiles zu importieren empfindlich reduziert hatte Der Staat übernahm die führende Rolle im Industrialisierungsprozeß, gründete Industrien und Dienstleistungszentren (Kohle, Eisen und Stahl, Elektrizität) und absorbierte durch Ausweitung der Verwaltung die in sichere, statusträchtige Positionen drängende Mittelschicht

Doch führte die Industrialisierung nach dem Modell der Importsubstitution, das verschiedene gesellschaftliche Veränderungen auslöste und mit einer raschen Urbanisierung des Landes einherging weder zu einer Verminderung der Abhängigkeit Chiles vom Ausland noch zu einem grundlegenden Wandel der Gesellschaftsstruktur. Vielmehr vertiefte sich die interne Polarisierung Während Latifundisten und durch den ökonomischen Wandel schnell reich gewordene Teile der oberen Mittelschicht zu einer relativ homogenen, mit den ausländischen Kapitalinteressen kooperierenden Großbourgeoisie verschmolzen, differenzierte sich die untere Schicht. Die Arbeiterschaft in den modernen Industrien, vor allem in der volkswirtschaftlich zentralen Kupferindustrie, konnte mittels politisch kampfkräftiger Gewerkschaften hohe Löhne durchsetzen und sich zu einer Arbeiteraristokratie entwickeln. Da keine Landreform stattfand, blieben die Landarbeiter ohne die Solidarität der Industriearbeiterschaft weiterhin der Kontrolle der Großgrundbesitzer unterstellt und damit ärmsten Lebensbedingungen unterworfen.

Schließlich endete die Industrialisierungspolitik nach dem Konzept „abhängiger kapitalistischer Entwicklung" mit der Inbesitznahme der politischen und ökonomischen Entscheidungen des Staates durch die Bourgeoisie. Der Staat schützte und förderte deren private Interessen, finanzierte zu großen Teilen deren Wirtschaftstätigkeit und verteidigte den gesellschaftlichen Status quo von dem auch große Teile der Mittelschicht profitieren. Politisch fanden Konservative, Liberale und Radikale zu einer engen Zusammenarbeit. Ihre Wahlerfolge wurden begünstigt durch die Vorherrschaft der Interessen von Banken, Industrie und Handel in den Kommunikationsmedien und durch die bis dahin konservative Haltung der katholischen Kirche. Ökonomische Stagnation, chronische Inflation, gesellschaftlicher Immobilismus und soziale Heterogenität ließen den Widerspruch zu einer inzwischen auf allgemeinem Wahlrecht beruhenden, freiheitlich-pluralistischen Verfassung immer offenkundiger hervortreten. Dies war der Boden für grundlegende Veränderungen des Parteiensystems zu Beginn der sechziger Jahre. Neue Parteien, die sog. „partidos modernizantes", lösten die traditionellen Parteien in der politischen Vorherrschaft ab. Wie eng die Verbindung dieses Prozesses mit den sozio-ökonomischen Wandlungen war, macht die folgende Tabelle 1 deutlich. Christliche Demokraten, in einem stürmischen Aufstieg bei den Wahlen von 1965 zur stärksten Partei avanciert, Kommunisten (moskauer Orientierung) und Sozialisten (im Unterschied zu europäischen Namensvettern weiter links von der Kommunistischen Partei angesiedelt und pro-castroistisch) propagierten eine Politik struktureller Reformen zur Über-windung von Abhängigkeit und Rückständigkeit. Sie forderten eine Agrarreform, die Nationalisierung ausländischer Unternehmen und die Verstaatlichung strategischer Industrien, eine Einkommensumverteilung, Erziehungsreform, Verfassungsreform etc. Sinnfälliger Ausdruck der Umstrukturierung des

II Das Modell: Demokratischer Sozialismus und nicht-kapitalistische Entwicklung

Tabelle 1: Sozio-ökonomische und politische Indikatoren des Wandels in Chile 1925-1965

Als Salvador Allende Gossens bei den Präsidentschaftswahlen vom 4. September 1970 mit 36, 6 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen eine relative Mehrheit auf sich vereinigte und den Kandidaten der Rechten, Jorge Alessandri Rodriguez, knapp und den Bewerber der Christdemokraten, Radomiro Tomic Romero, sicher schlug (auf sie entfielen 35, 3 respektive 28, 1 Prozent der Stimmen), wurde diesem Ereignis welthistorische Bedeutung Parteiensystems war der Wahlkampf von 1964, als Eduardo Frei und Salvador Allende als Exponenten der „partidos modernizantes" ohne ernsthaften weiteren Mitbewerber der traditionellen Rechten um das Regierungsmandat kämpften. Das gemäßigtere Programm der „Revolution in Freiheit" siegte mit 56 Prozent der Wählerstimmen gegenüber dem sozialistischen Programm der FRAP (Frente de Accin Populär), auf das 39 Prozent der Stimmen entfielen. Sechs Jahre später setzte sich jedoch gegen eine durch die Freische Politik der Strukturreformen wieder erstarkte Rechte die radikalere sozialrevolutionäre Alternative durch zugesprochen Zum ersten Mal in der Weltgeschichte war ein erklärter Marxist siegreich aus freien Wahlen hervorgegangen. Mit dem Wahlsieg eröffnete sich die Möglichkeit, ein revolutionäres Programm radikaler Strukturreformen legal und mit friedlichen Mitteln durchzuführen.

Die zentrale Zielvorstellung des Regierungsbündnisses der Volkseinheit (Unidad Populär, UP), der Kommunisten, Sozialisten, Radikale und die drei kleinen Gruppen der Sozialdemokraten, marxistischen Christdemokraten (MAPU) und Unabhängigen Volksaktion (API) angehörten, war der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in Chile. Dies sollte unter Anerkennung der bürgerlichen Verfassung, Respektierung der bürgerlichen Freiheiten, Aufrechterhaltung freier Wahlen und bei Unterwerfung unter den Mehrheitsentscheid der Bevölkerung geschehen. Nicht gewaltsam, wie die castroistische Linke forderte, sondern im Rahmen von Verfassung und Gesetz sollte die Sozialisierung der Produktionsmittel stattfinden und sollten Planwirtschaft und zentrale Kontrolle eingeführt werden. Ohne Bruch mit dem Rechtsstaat und unter Verzicht auf die Diktatur des Proletariats in der Übergangsphase vom bürgerlichen Klassen-staat zur sozialistischen Gesellschaft, die Lenin für unabdingbar hielt wollte Chile einen zweiten Weg zum Sozialismus aufzeigen Dabei implizierte das Modell, daß die bürgerliche Institutionalität nicht durch Zerschlagung des Staatsapparats, sondern langfristig mit den Mitteln des bürgerlichen Staats überwunden würde (Aufhebung der Gewaltenteilung, Einführung einer Volkskammer, Einrichtung von Volksgerichten etc.) Sowohl die Übergangsphase zum Sozialismus sollte demokratisch im bürgerlichen Verständnis des Begriffs verlaufen als auch die sozialistische Gesellschaft, der man zustrebte, demokratisch verfaßt sein. Demokratie und Sozialismus sollten vereint werden.

ökonomisch ging mit dem „chilenischen Weg zum Sozialismus" das Konzept einer nicht-kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung einher. Ausgehend von einer dependenztheoretischen Analyse der nationalen Wirklichkeit wurde eine neue Wirtschaft geplant. Als entscheidende Ursachenfaktoren der Unterentwicklung Chiles wurden die Abhängigkeit der chilenischen Volkswirtschaft vom ausländischen Kapital, -die Konzentration der Produktionsmittel in den Händen weniger, die Ausnutzung des Staates für die Interessen der nationalen Monopole, das internationale Kapital und die ungleiche Einkommensverteilung auf die Bevölkerungsschichten herausgestellt. Zentrale Bedeutung wurde der Veränderung der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln beigemessen 19a). Das Kupfer und andere Grundstoffindustrien, wirtschaftsstrategisch wichtige Unternehmen und die Banken sollten verstaatlicht werden und der Außenhandel unter die Kontrolle des Staates kommen. Zu der strukturellen und ordnungspolitischen Transformation trat das Konzept wirtschaftlicher Entwicklung im Sinne von Wachstum hinzu. Beide Ziele sollten zugleich in Angriff genommen werden.

Der Wirtschaftsplan von 1971 ging sogar von einem kausalen Zusammenhang zwischen Nationalisierungs-und Verstaatlichungspolitik einerseits und der Politik wirtschaftlichen Wachstums andererseits aus: Nur wenn die Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln verändert würden und der Staat die Gewinne der großen Monopole vereinnahmen und die Wirtschaft lenken könne, sei von staatlicher Seite eine Politik der Einkommensumverteilung, der Neuorientierung und Steigerung der Produktion und des Einsatzes vermehrter Gewinne für Ziele der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung möglich. Die strukturellen internen und externen Faktoren der Unterentwicklung gelte es zu überwinden. Da die UPÖkonomen in der Konzeption ihrer wirtschaftlichen Transformations-und Reaktivierungsmaßnahmen eine positive Korrelation beider Ziele im Hinblick auf Wachstum vermuteten, planten sie zu gleicher Zeit tiefgreifende Strukturveränderungen der Wirtschaft, Produktionssteigerungen und Einkommensumver-teilung. „Die Basis des Wachstums in dieser Strategie (sollte) eine außerordentliche Steigerung des Konsums der Bevölkerung" sein, die per Nachfrage die Produktion stimuliert, die vorhandenen Kapazitäten in der Wirtschaft und die Arbeitskraftreserven ausschöpft, eine erste Umverteilung der Einkommen zuläßt und den Konsum demokratisiert.

III. Die konkreten Voraussetzungen und Bedingungen: Mußte Allende scheitern?

Lohnabhängige ArbeiterArbeiter 11111111 Selbstständige Graphik 1: Einkommenssituation und Schichtungszugehörigkeit der Berufsgruppen in Chile (Entnommen aus: Dieter Nohlen, Chile — Das Sozialistische Experiment, Hamburg 1973, S. 89)

Konnte das Modell, konnten die mit ihm einhergehenden Vorstellungen in die Praxis umgesetzt werden, oder mußte eine daran orientierte Politik scheitern, aus prinzipiellen Gründen oder infolge der zu erwartenden internen und externen Widerstände? Der erste Teil der Fragestellung ist mehr ideologisch-theoretischer Natur und läuft auf die Frage hinaus, ob grundsätzlich Sozialismus mit Demokratie und bürgerlichen Freiheiten vereinbar ist. Ohne hier eine detaillierte Begründung zu geben, möchte ich die Frage mit Ja beantworten und mich damit entschieden gegen Kritiker des chilenischen Experiments abgrenzen, die vom Prinzip her beide Phänomene in der Praxis für unvereinbar halten, komme diese Kritik von rechts-konservativer oder marxistisch-leninistischer Seite. Uns soll im folgenden weniger die theoretische Frage beschäftigen, wir wenden uns den konkreten chilenischen Verhältnissen zu. Hier gilt es hervorzuheben, daß trotz aller zu erwartenden Widerstände gegen eine sozialistische Entwicklung Chiles und trotz der schwierigen Probleme, die eine solche Politik aufwerfen mußte, die Voraussetzungen für die Realisierung eines friedlichen und legalen Übergangs zum Sozialismus und eines anti-kapitalistischen Entwicklungsweges vergleichsweise günstig waren. Zu den hervorstechenden internen Voraussetzungen zählten: 1. Die chilenische Verfassungstradition. Wie kein anderes Land in Lateinamerika zeichnete sich Chile durch einen hohen Grad an Institutionalisierung der Politik aus. Der Konsensus in die bestehende politische Ordnung war derart (selbst gemessen an europäischen Verhältnissen bemerkenswert) groß, daß ein erklärter Gegner der bestehenden politischen Ordnung mit einem revolutionären, systemüberwindenden Programm legal an die Regierung gelangen konnte.

2. Die christdemokratische Sozialrevolution. In der Regierungszeit von Allendes Vorgänger, Eduardo Frei, waren eine Reihe sozialreformerischer Gesetze erlassen worden, die Salvador Allende vielfach den Weg ebneten. So hatte Frei bereits das Kupfer zu 51 Prozent „chilenisiert", die Produktionskapazität dieses für die Finanzierung weiterer Reformmaßnahmen wichtigen Exportguts auf das Doppelte gesteigert, ein Agrarreformgesetz durchgebracht, das endgültig mit der Latifundienwirtschaft brechen konnte, die chile-nische Zahlungsbilanz positiv gestaltet (und 360 Mio. Dollar Devisenreserven angelegt)

und schließlich eine Verfassungsreform durchgesetzt. Sie gab dem Präsidenten weitere Mittel zur Lenkung der Wirtschaft und das Instrument des Referendums an die Hand, um Differenzen zwischen der Exekutive und der traditionell konservativeren Legislative mittels des Volksentscheids überwinden zu können. Auf die Christdemokraten ging auch die politische Mobilisierung der bis in die sechziger Jahre auch von den marxistischen Parteien sträflich vernachlässigten Landbevölkerung zurück. Da die Christdemokraten eine Beschleunigung und Vertiefung der unter Frei begonnenen Sozialrevolution erreichen wollten (vollständige Nationalisierung des Kupfers, radikalere Durchführung der Agrarreform, Verstaatlichung der Banken, Einführung des Einkammersystems, etc. und ihr Wahlkampf den der Volkseinheit an revolutionärer Entschlossenheit übertraf lag eine breite Front aller anti-imperialistischen, sozialrevolutionär und demokratisch gesinnten politischen Kräfte durchaus im Bereich des Möglichen. Vielversprechend für Chiles Entwicklung wäre gewesen, im Sinne der UN-Entwicklungsstrategie der „Unified Approach to development“ den Entwicklungsweg der Christdemokraten schrittweise an die sozialistische Zielvorstellung anzugleichen 3. Eine sozialrevolutionäre Mehrheit in der Wählerschaft. Bei den Präsidentschaftswahlen erhielten Salvador Allende und Radomiro Tomic, deren Programme sich ähnelten, fast zwei Drittel der Wählerstimmen. Die politische Rechte verlor nach der Wahlniederlage des greisen Alessandri ihre politische Integrationsfigur. 4. Der bereits erreichte hohe Verstaatlichungsgrad der chilenischen Wirtschaft. Im Jahre 1970 erzeugte der Staat in seinen Unternehmungen etwa 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts und finanzierte 70 Prozent der im Lande vorgenommenen Investitionen, ohne allerdings bislang die Kontrolle der aus öffentlichen Geldern finanzierten privaten Wirtschaftstätigkeit wahrzunehmen

Diesen günstigen Voraussetzungen stand nur ein einziger wesentlicher inländischer Negativposten gegenüber: Die Versuche der politischen Rechten, der Industrie-und Bankkreise und der Latifundisten, durch Kapitalflucht ins Ausland, Investitionsbegrenzungen, Produktionsdrosselung, Hortung von Waren, etc. ein ökonomisches Chaos zu erzeugen Zweifellos waren die externen Bedingungen nicht so günstig wie die internen. Die strukturelle Verflechtung der chilenischen Volkswirtschaft mit dem Weltwirtschaftssystem, das von den Industrienationen kontrolliert wird, mußte einer nach nationaler wirtschaftlicher Unabhängigkeit strebenden, anti-imperialistischen und die Interessen der USA bzw. nordamerikanischer Unternehmen frontal angreifenden Politik einen engen Aktionsrahmen setzen. Auch wenn eine Direktintervention der USA nach dem Muster der Dominikanischen Republik von 1965 oder drastische Blockademaßnahmen wie im Falle Kubas von vornherein ausgeschlossen waren, so war doch zu erwarten, daß sie aus ideologisch-politischen und ökonomischen Motiven der Allende-Regierung erhebliche Schwierigkeiten bei der Verwirklichung ihres nationalistisch-revolutionären Programms machen würden. Daß auch internationale Organisatio-neu wie die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank sich möglicherweise unfreundlich verhalten würden, konnte ebenfalls keine Überraschung für die marxistischen Ökonomen Chiles darstellen, denn die marxistischen Parteien des Subkontinents hatten immer wieder die Unterwerfung der internationalen Kreditgeber unter die Interessen der nordamerikanischen Großkonzerne angeprangert. In ihrem Kampf gegen das ausländische Kapital der Industrienationen hoffte die UP auf die Solidarität der sozialistischen Länder. Die genannten widrigen externen Bedingungen erforderten vor allem eine bedachte interne Politik, die die leichter gestaltbaren inländischen dynamischen Faktoren mehr berücksichtigte. Geschah dies, war anzunehmen, daß der Druck der USA oder Interventionsgelüste von US-Unternehmen den gegenteiligen Effekt erzeugten, nämlich eine verstärkte Solidarisierung des Volkes mit der Regierung zur Folge haben würden. Die Richtigkeit dieser Annahme wird belegt durch die Reaktion der Bevölkerung und der Christdemokraten auf den Versuch, Salvador Allendes Regierungsübernahme zu vereiteln

Eine solche interne sozialrevolutionäre Politik, die sich stets auch als Funktion der Über-windung der externen Widerstände, die sich gegen eine Politik ökonomischer Unabhängigkeit richteten, begriffen hätte, mußte zur Grundlage haben:

1. Eine exakte Gesellschaftsanalyse Chiles und eine darauf aufbauende politische Strategie. Chiles Gesellschaft ist soziologisch durch eine breite Mittelschicht gekennzeichnet. Die Einkommensklassen, die man zur unteren Mittelschicht rechnen kann, mächen etwa 34 Prozent der Bevölkerung aus. Zusammen mit der oberen Mittelschicht und der Oberschicht bildet sie eine Mehrheit von etwa 53 Prozent gegenüber einer Unterschicht, die sich sehr heterogen entwickelt hat und fast zu gleichen Teilen aus lohnabhängigen und selbständigen Arbeitern besteht. Die sehr differenzierte Einkommenssituation und Schichtenzugehörig-keit geht aus Graphik 1 hervor. Von besonderer Bedeutung ist, daß Teile der Industriearbeiterschaft ihren Einkommen nach bis in die oberen Mittelschicht hineinreichen, so daß — auf einen kurzen Nenner gebracht — keine gemeinsame ökonomische und soziale Klassenlage und kein einheitliches politisches Bewußtsein der Arbeiterschaft in Chile existiert. Marxistische Begriffe und Strategien konnten nicht einfach schematisch auf die chilenischen sozio-politischen Verhältnisse übertragen werden, wenn man vermeiden wollte, daß Teile der Arbeiterschaft statt zur Avantgarde der Revolution zu einem ernsten Hindernis für den sozio-ökonomischen Wandel würden. 2. Eine Strategie schrittweiser Veränderung der sozio-ökonomischen Strukturen, ausgehend von den objektiven Gegebenheiten, ohne durch ihre Berücksichtigung in bloßen Reformismus zu verfallen, und orientiert am Endziel der sozialistischen Umgestaltung, ohne einem „abstrakten maximalistischen Revoluzzertum“ zu erliegen. Es durfte „nicht vergessen werden, daß das Kriterium für den revolutionären Wert einer politischen Strategie nicht die Reinheit ihrer theoretischen Prämissen ist, sondern ihre Fähigkeit, die Realität zu verändern" Dazu war es notwendig, differenzierte Bündnisse mit linken, nicht-marxistischen Gruppen zu schließen, die in der Überwindung der bestehenden Ordnung und in einer anti-imperialistischen Politik übereinstimmten. Nur allmählich konnten sich — sollte der Weg zum Sozialismus bürgerlich-demokratisch sein — das der gesellschaftlichen Zielvorstellung entsprechende Klassenbewußtsein und die sozialistische Revolution herausbilden. Besonders die politisch unentschiedene Machtfrage erforderte eine Strategie aufeinanderfolgender Schritte und eine Politik überschaubarer Konsequenzen auf die Wirtschaftskonjunktur und das Wahlverhalten. 3. Die einheitliche Führung des revolutionären Prozesses. Es mußte verhindert werden, daß miteinander unvereinbare politische Strategien bei der sozio-ökonomischen Umwälzung angewandt würden.

IV. Das sozialistische Experiment: Warum scheiterte Salvador Allende?

Tabelle 2: Ausgewählte Indikatoren der ökonomischen Entwicklung Chiles 1969— 1973 Quellen: ODEPLAN, Plan de la Economia Nacional: Antecedentes sobre el desarrollo chileno 1960— 70, Santiago 1971; ODEPLAN, Informe econmico anual, 1971, Santiago 1972, Departamento de Economia der Universidad de Chile, Comentarios sobre la situaciön econmica, 4. Publikation, Santiago 1972; Informe de SOFOFA, in: Ercilla, 1987/(August] 1973, S. 22 f., Panorama Econömico, 277/[Mai] 1973, S. 22 f.; einige Daten wurden auch Dieter鍊?

1. Ideologische und politisch-strategische Differenzen in der Volkseinheit

Einer der wichtigsten Gründe für das Scheitern Allendes liegt in den ideologischen und politisch-strategischen Differenzen, die von Anfang an das Bündnis der verschiedenen Parteien und Bewegungen belasteten. Fragt man danach, welche von ihnen überhaupt mehrheitlich einen unabdingbar demokratischen und friedlichen Weg zum Sozialismus verwirklichen wollten, so waren dies die Kommunisten, Radikalen, Sozialdemokraten und die Unabhängige Volksaktion. Keine Mehrheit fand das Modell des „eigenen chile-nischen Weges zum Sozialismus" vor allem bei den Sozialisten, der Partei Allendes. Als der gemäßigte Aniceto Rodriguez unter Allen-des Zustimmung auf dem Parteikongreß der Sozialisten in La Serena vom Januar 1971 durch den revolutionären Hitzkopf Carlos Altamirano, der die „revolutionäre Gewalt für unvermeidlich und legitim" hielt in der Führung der Sozialistischen Partei abgelöst wurde, zeigte sich, daß der Wahlsieg Allen-des die Sozialisten kein Einschwenken auf

den demokratischen Weg zum Sozialismus bedeutete, sondern nur günstigere Bedingungen für die Fortsetzung ihrer bisherigen, prinzipiell an der Notwendigkeit des gewaltsamen Bruchs der bestehenden Ordnung festhaltenden Strategie. Sie wiesen nicht nur Bündnisse und Absprachen mit den Christdemokraten, die die Kommunisten zu fordern nicht nachließen, zurück: In La Serena beschlossen die Sozialisten den ideologischen Kampf innerhalb der Volkseinheit Der heftigst geführten Kampagne gegen die Radikalen als Hauptvertreter der Mittelschicht in der UP war die bereits im Niedergang begriffene, 1971 in die Sozialistische Internationale aufgenommene Partei nicht gewachsen. Sie spaltete sich und wurde rasch — ebenso wie die Sozialdemokraten und die Unabhängige Volksaktion — für die politische Linie der UP bedeutungslos Die Sozialisten, nach den Kommunalwahlen vom April 1971 durch Verdoppelung ihres prozentualen Anteils an den Wählerstimmen zur stärksten Partei in der UP aufgestiegen, drängten auf eine rasche Entscheidung in der politischen Machtfrage, um den revolutionären Prozeß festzuschreiben. Dabei kamen sie spätestens mit den Parlamentswahlen vom März 1973 zu der Überzeugung, daß der Demokratismus freier Wahlen nicht mehr als Instrument tauge, den Sozialismus in Chile einzuführen: „Der leninistische Sozialismuskannte und kennt nur eine Bahn, die nichts gemein hat mit freien, geheimen, und auf frei zugänglicher Information beruhenden Wahlen. Dieses dumme Geschwätz gehört in die Archive" Da auch der MAPU sich marxistisch-leninistisch entwickelte, bestand innerhalb der UP nach zwei Jahren Regierungsausübung keine Mehrheit mehr für den „demokratischen Weg", nachdem ein Konsensus darüber von Anfang an gefehlt hatte.

2. Die alternative Strategie: bürgerlich-demokratische oder revolutionäre Legitimität

Hort der Alternativstrategie der subversiven Durchbrechung der bestehenden Ordnung war die linksextreme „Bewegung der revolutionären Linken", MIR, die Allende nicht nur in ideologische Auseinandersetzungen verwikkelte sondern in ihren Bastionen im Süden des Landes, später in den Industriegürteln um die Großstädte herum den legalen Weg überschritt und direkt-revolutionäre Aktionen unternahm. Ziel war der Aufbau neuer Institutionen und die Heranbildung einer Bauern-und Arbeitermacht, die in der als unausweichlich angesehenen gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind den Sieg davontragen würden. Dem diente auch die Aushöhlung und Lahmlegung von Institutionen des bürgerlichen Staatsapparats. Die Revolution bürgerlich-demokratischer Legitimität Allendes und diejenige Revolution, die vom MIR gefördert und gelenkt, von der Sozialistischen Partei innerhalb der UP abgesichert, auf die revolutionäre Legitimität setzte, ergänzten sich jedoch nur scheinbar Im Grunde schadeten sie sich gegenseitig. Vor allem der demokratische Weg zum Sozialismus wurde aufs äußerste belastet, da durch die kontinuierlichen Rechtsübertretungen des MIR die bürgerlichen Schichten verprellt wurden, ohne die wahlpolitisch die von den Marxisten forcierte politische Machtfrage nicht zugunsten der Volkseinheit entschieden werden konnte. Allein die Kommunisten haben innerhalb der UP gegen den verhängnisvollen strategischen Fehler der Linksextremen scharf opponiert. Ihr Parteisekretär, Luis Corvalän, brandmarkte das Verhalten der extremen Linken als negativ: „... es ist objektiv eine Unterstützung für die Politik der Reaktionäre. Sie erlauben sich den Luxus und die Freiheit, wie Freischärler aufzutreten, auf eigene Rechnung zu handeln, eine Serie von Maßnahmen zu ergreifen ..., die der Regierung schaden ... Ich sehe ehrlich keine Möglichkeit der Verständigung mit ihnen, es sei denn, sie ändern substantiell ihre Position" Doch der revolutionäre Prozeß brachte der Alternativstrategie zum „chilenischen Weg", den sie politisch ungangbar machte, immer größeren Zulauf in der UP-Basis. Während es zu Beginn der Regierungszeit Allendes möglich war, daß die Volkseinheit sich von den Linksextremisten entschieden abgrenzte und ihre Aktionen unterband, war Allende nach der zugespitzten Polarisierung der gesellschaftlichen und politischen Gruppen in Chile auf das MIR und die von ihm aktivierten Massen angewiesen, die ihn zwar des Reformismus anklagten, aber seine politisch bewußteste und sicherste Basis darstellten

3. Die überschrittene Legalität

Die Aktivitäten des MIR waren der Kern des Vorwurfs der politischen Opposition, die Regierung verletze Verfassung und Gesetze. Vor allem die Duldung gewaltsamer Landbesetzungen durch vom MIR und ihm untergeordneter oder ihm nahestehender Organisationen motivierte oder geführte Landarbeiter, die Duldung oder gar Förderung (von seifen der Sozialistischen Partei) extremer Gruppierungen und ihrer Aktionen durch die vom Präsidenten der Republik ernannten und ihm verantwortlichen Intendanten der Provinzen, die Aussperrung streikender Arbeiter durch revolutionäre, teilweise betriebsfremde Komitees, die Requisition und anschließende Rückgabe-verweigerung von Fabriken und Fahrzeugen anläßlich von Streiks etc., begründeten auch die Resolution des Abgeordnetenhauses vom 22. August 1973, in welcher es die Exekutive des Bruchs der Verfassung, des Verfassungsstatuts vom Januar 1971 und der Gesetze anklagte Vorher hatte das Parlament mittels einer Vielzahl von Ministeranklagen die Verantwortlichkeit der Regierung herauszustellen versucht.

Der Kongreß fühlte sich aber auch durch direkte Maßnahmen der Regierung übergangen. Nur ein einziges strukturveränderndes Gesetz wurde vom Kongreß verabschiedet, nämlich die einstimmig beschlossene Verfassungsänderung zur Nationalisierung des Kupfers Für die Agrarreform bildete das Freische Gesetz die rechtliche Grundlage, für die Verstaatlichung der Industriebetriebe ein nicht außer Kraft gesetztes Dekret aus der Zeit der kurzlebigen Sozialistischen Republik von 1931, das ein findiger Jurist zur Verblüffung der Opposition aufgespürt hatte Die Banken wurden durch Aufkauf der Aktienmehrheit von der staatlichen Entwicklungsbehörde CORFO dem sozialisierten Sektor der Wirtschaft eingefügt. In ihrer Politik blieb der Regierung ein großer Ermessensspielraum und stets der indirekte Weg über Pressionen, da sie Teile der Arbeitnehmer in den Betrieben, die Kreditinstitutionen, die Preisbehörde und den Außenhandel kontrollierte. Ein von beiden Kammern des Kongresses verabschiedetes Gesetz, das Richtlinien für die drei im UP-Programm verankerten Wirtschaftsbereiche des verstaatlichten, gemischten und privaten Sektors enthielt, wurde von Allende nicht verkündet und Gegenstand eines Verfassungskonflikts Verschiedene Gesetzesvorlagen der UP wie jene zur Einführung von Volksgerichten, der Volkskammer und der polytechnischen Einheitsschule (ENU) wurden nach kurzer, heftiger öffentlicher und parlamentarischer Debatte wieder zurückgezogen, da sie keine Mehrheit fanden. Zentral im Streit um die Legalität des revolutionären Prozesses und der politischen Kräfte, die ihn führten, war die Frage der Kontrolle sich bewaffnender rechter und linker Gruppen. Nach der Verfassung sind allein die Streitkräfte und die Polizei (Carabineros) als Kampfverbände zum Tragen und Gebrauch von Waffen berechtigt. In ihrer Strategie des Aufbaus von Bauern-und Arbeitermilizen für die als unausweichlich betrachtete bewaffnete Endauseinandersetzung verfuhr der MIR nicht nur ungesetzlich, sondern tangierte auch das Privileg der Streitkräfte und gefährdete ihren verfassungsmäßigen Auftrag, Recht und Ordnung im Lande zu schützen. Die Christdemokraten erhoben immer wieder die Forderung an Allende und an die Streitkräfte, die illegale Bewaffnung der extremen Linken und Rechten (um Patria y Libertad) zu unterbinden. Sie brachten schließlich ein Gesetz ein, das die Streitkräfte verpflichtete, die Extremisten zu entwaffnen. Dieses Gesetz trat im Oktober 1972 in Kraft, doch erst wenige Tage nach dem Putschversuch des Obersten Souper vom Juni 1973 nahmen die Streitkräfte entsprechende Maßnahmen vor, die das Verhältnis von MIR und Streitkräften erheblich zuspitzten. Sozialisten und MIR nannten das Gesetz „La Nueva Ley Madita", das neue Schandgesetz in Anspielung auf das „Gesetz zur Verteidigung der Demokratie", das im Jahre 1948 die Kommunistische Partei Chiles verbot. Versuche der Linksextremisten, die Streitkräfte zu unterwandern, und Aufrufe des MIR zur Befehlsverweigerung an die Soldaten vermitteln einen Eindruck von der Frontstellung, die angesichts des Vordringens der MIR-Strategie innerhalb der UP für die Allende-Regierung selbst gefährlich werden mußte.

4. Wirtschaftspolitik als Funktion kurzfristiger Ziele

Die von der UP eingeleitete Wirtschaftspolitik hatte drei Ziele: Die Wirtschaft zu reaktivieren, die Strukturreformen zu beginnen und in der Eroberung der Macht fortzufahren In Anbetracht bald fälliger Wahlen zu den Gemeindevertretungen standen die ersten beiden Ziele in Funktion des dritten. Die Regierung wollte der Wählerschaft zeigen, daß sie ihr Programm erfülle, und die getroffenen Maßnahmen sollten rasche Auswirkungen auf die realen Lebensverhältnisse der Menschen haben. Folgerichtig gründete die UP ihr wirtschaftliches Entwicklungskonzept auf Konsumsteigerung. Ihr dienten beachtliche Lohn-und Gehaltserhöhungen und eine strikt gehandhabte Politik der Preiskontrollen. Die Unternehmer sollten die gestiegenen Produktionskosten und geringeren Gewinne durch erhöhte Stückzahlproduktion auffangen.

Kurzfristig war das Konzept erfolgreich. Chile erzielte im ersten UP-Wirtschaftsjahr eine Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von 8, 5 Prozent, die es seit 1966 nicht mehr verzeichnet hatte Die Inflation sank von 34, 9 Prozent des Vorjahres auf 22, 1 Prozent im Jahre 1971. Politisch schlug sich die günstige Konjunktur in einem erheblichen Stimmenzuwachs der UP und vor allem der Sozialistischen Partei bei den Kommunalwahlen vom 4. April 1971 nieder (s. Tabelle 3). Doch das Patt zwischen Regierung und Opposition konnte nicht gebrochen, die politische Macht-frage nicht entschieden werden.

Bald zeigten sich indes die ersten negativen Auswirkungen der auf kurzfristigen Erfolg ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Der gesteigerten Nachfrage konnte die teils zu geringe, teils zu inflexible nationale Produktion nicht gerecht werden, so daß erheblich größere Importe notwendig wurden, die sich negativ auf den chilenischen Außenhandel auswirkten. Zudem ging die Reaktivierung der Wirtschaft mittels Konsumsteigerung zu Lasten der Kapitalisierung des Landes. Diese beiden zentralen Faktoren einer langfristigen Entwicklungsstrategie, die Investitionsgüterproduktion und der Außenhandel, wurden von der UP sträflich vernachlässigt. Eine realistische Politik zur Überwindung der Abhängigkeit wurde somit nicht geführt. „A realistic policy will have to recognize contraints imposed by balance of payments, by external sources of investments and technology, by the structure of effective demand and the installed industrial capacity" 44a). Bei der Verfolgung kurzfristiger politischer Ziele stellt die UP nicht nur die entwicklungspolitisch bedeutenden und langfristig vorrangigen Ziele in Frage, sondern zugleich ihr erklärtes Ziel, die außenwirtschaftliche Abhängigkeit des Landes zu überwinden. Auf diese Weise konnte Chile eine Politik der Offensive gegen das internationale Kapital nicht lange durchstehen, da es bald mehr denn je von externer Finanzierung abhängig sein mußte.

5. Strukturreform und Wirtschaftsentwicklung

Zu den für den chilenischen politischen Prozeß unter Allende wesentlichen Maßnahmen gehört die radikale Veränderung der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln: Nationalisierung des Kupfers, Durchführung der Agrarreform, Verstaatlichung der Banken und Überführung der wichtigsten Industriebetriebe in den verstaatlichten Sektor der Wirtschaft. Die Volkseinheit hat in drei Jahren den entscheidenden strukturverändernden Durchbruch erzielt. Sie legte damit ohne Frage bedeutende Schritte auf dem Wege zum Sozialismus zurück, die in ihrer Substanz nicht rückgängig zu machen sind.

Sie ging allerdings in ihren Wirtschaftsplänen von der naiven Annahme aus, daß diese Reformen positive Produktionsfaktoren und Garanten der wirtschaftlichen Entwicklung im Sinne von Wirtschaftswachstum seien. Diese positive Korrelation von Strukturrefprm und Produktionssteigerung stellte sich in keinem Falle ein und kann ex post nur als Immunisierungsstrategie gegenüber einer Politik behutsamerer und aufeinanderfolgender Schritte betrachtet werden. Diese Annahme scheint durch den grenzenlosen Optimismus bestätigt, der im Hinblick auf die Bewältigung schwierigster ökonomischer Probleme bei der UP vorherrschte. Drei Stabilisierungsversuche der chilenischen Wirtschaft waren mehr oder weniger gescheitert 44b). Die UP glaubte die Inflation allein strukturell bedingt und vernachlässigte vollkommen ihre monetären Begründungsfaktoren. Zügellose Geldemissionen brachten die Wirtschaft Chiles aus ihrem sowieso wenig gefestigten Gleichgewicht.

Im Kupferbergbau führten umfangreiche Wechsel in der Administration, Schwierigkeiten in der Handhabung und Reparatur von Maschinen mit hohem technologischen Entwicklungsstand, Abwerbung und Abwanderung von Facharbeitern ausländischer und auch chilenischer Nationalität sowie wochenlange Streiks in den verschiedenen Minen, vor allem in Chuquicamata und El Teniente, zu nur geringen Produktionssteigerungen gegegenüber den Vorjahren, obwohl unter Frei die Produktionskapazität durch die Inbetriebnahme zweier neuer Minen (Andina und Exötica) auf fast das Doppelte gesteigert werden konnte. Teilweise wurde die Rentabilität durch gestiegene Produktionskosten in Frage gestellt. Die Landwirtschaft erlitt Produktionseinbußen von 8 Prozent im Jahre 1972 und 22 Prozent bei der Ernte 1973 jeweils gegenüber dem Vorjahr. Hier wirkten sich die überhasteten Landenteignungen ohne Bereitstellung der notwendigen technischen und finanziellen Hilfen und die Konflikte um illegale Landbesetzungen und über die zukünftige Organisationsform der Betriebe negativ auf die Produktion aus. Die verstaatlichten Unternehmen wurden nicht zu den Anführern der nationalen Produktion bei ausschließlicher Profitabschöpfung durch den Staat, sondern zu Defizitbetrieben, die den staatlichen Haushalt belasteten. Die Verlustdeckung für die staatlichen Betriebe betrug im Jahre 1972 40 Milliarden Escudos.

Viele Mißstände können auf die mangelnde Koordination der politischen Zielsetzungen und die fehlende Kooperation der Parteien der Volkseinheit zurückgeführt werden, die Posten in der Wirtschaft und in der Lenkung des Reformprozesses als politische Pfründe ansahen. Dieses Faktum wurde zum ständigen Klagelied der UP auf ihren Klausurtagungen. Die Produktionseinbußen hatten drastische Konsequenzen für den chilenischen Außenhandel. Die Importe an Nahrungsmitteln stiegen von 1970 178 Millionen US-Dollar auf 1972 etwa 400 Millionen Dollar. Die chilenische Zahlungsbilanz sank von Pluswerten in extreme Minuswerte (s. Tabelle 2). Die nun von UP-Seite verkündete Einsicht, daß Reformen etwas kosten, diente zur Rechtfertigung der ökonomischen Krise, deren schärfste Manifestation in der schwierigen Versorgungslage der Bevölkerung und in Inflationsrekorden bestand. Um dieser Wirtschaftslage Herr werden zu können, hätte die Regierung über geeignetere Instrumente verfügen müssen, als ihr die Verfassung, die politischen Mehrheitsverhältnisse und das Ausland in Form von Zugängen zu internationalen Krediten zubilligten. Aber auch ihr traditionell nahestehende Bevölkerungsschichten nahmen keine Rücksicht auf das wirtschaftliche Dilemma, in das sich die UP manövriert hatte. Die Arbeiter vor allem der modernen Industrie forderten Lohnangleichungen an die Inflationsraten in immer kürzerem Rhythmus, die Fuhrunternehmer, zu 80 Prozent nur Eigentümer des Wagens, den sie fahren, streikten, als die Regierung Pläne für staatliche Transportunternehmen zur Sicherstellung der Versorgung vorlegte. Die Inflation und die schwarzen Märkte, die u. a. durch den lOprozentigen Reallohn der Arbeiter in den verstaatlichten Betrieben gespeist wurden, trafen vor allem die untere Mittelschicht und die untere Schicht, so daß die Umverteilungsmaßnahmen, die sowieso die kleinen Löhne und Gehälter kaum begünstigten wieder aufgehoben wurden. Allende war wirtschaftlich in einer schier ausweglosen Situation

6. Externe Widerstände

Bereits die gemäßigte Nationalisierungspolitik der Frei-Administration im Kupferbergbau wurde von den US-Unternehmern, auf deren Kooperation man beim gleichzeitigen Ausbau der Produktionskapazität setzte, boykottiert. Die „ausgehandelte Nationalisierung", die Chile in den Besitz von 51 Prozent der Aktien brachte, geriet zu einem Verlustgeschäft für die chilenische Seite Die Nordamerikaner beteiligten sich mit keinem Dollar Direktinvestitionen an dem für Chiles Entwicklung äußerst wichtigen Kupferausbau, der für ausländisches Kapital durchaus ertragreich gewesen wäre. Doch blieb Chile bei den internationalen Organisationen kreditwürdig und konnte durch Staatsverschuldung seinen Kreditbedarf decken.

Wir heben diese historische Erfahrung Chiles hervor, um noch einmal auszudrücken, daß die UP-Regierung bei den nordamerikanischen Großkonzernen und der US-Regierung kaum auf Verständnis rechnen konnte und dies anfänglich auch nicht tat. Einerseits verstaatlichte Chile das Kupfer und zahlte keine Entschädigung, da es die exzessiven Gewinne der US-Gesellschaften gegen eine mögliche Entschädigungssumme aufrechnete Andererseits betrachtete sie die Frage ausländischer Kapitalinvestitionen in Chile in ihrem Programm als entscheidenden Faktor im Begründungszusammenhang von Abhängigkeit und Unterentwicklung. Die Volkseinheit wollte keine Kredite aus kapitalistischen Ländern und glaubte, aufgrund der erhöhten Devisen-einnahmen aus den Kupferexporten auf sie verzichten zu können, da deren Erlöse nach der Nationalisierung der Bergwerke ausschließlich an den chilenischen Staat fallen würden. Sie vertraute zudem darauf, daß gegebenenfalls die sozialistischen Länder unter für Chiles ökonomische Entwicklung günstigeren Bedingungen dem Lande Kredite bereitstellen würden und hoffte auf eine anti-imperialistische, sozialistische Solidarität, für die Allende gleich zu Beginn einige Vorleistungen erbracht hatte

Beide Prämissen erwiesen sich als falsch. Zum einen warf das Kupfer nicht die erhofften Devisenmehreinnahmen ab, da die Produktion bei steil angestiegenen Kosten kaum zunahm und die Weltmarktpreise für das rote Metall, auf die die US-Unternehmen großen Einfluß haben, auf den tiefsten Stand seit Jahren sanken Zum anderen fanden sich die sozialistischen Länder nicht zu Devisenhilfen in dem Umfang und unter den Konditionen bereit, die Chiles Wirtschaft sehr bald benötigte. Selbst als Allende persönlich in Moskau vorsprach, blieb das Ergebnis mager: 180 Millionen Dollar, davon 30 Millionen für den Kauf von Nahrungsmitteln in der Sowjetunion bestimmt. Insgesamt dürfte Chile in den drei Jahren Allende-Regierung effektiv kaum mehr als 400 Millionen Dollar Kredithilfe aus sozialistischen Ländern erhalten haben. Aber auch die sozialdemokratisch regierten Länder Europas, die Allende um einen Kredit von 200 Millionen Dollar bat, konnten gemeinsam keine 40 Millionen zur Verfügung stellen.

Erst nachdem die Rechnung nicht aufging, begann die UP von einer Kreditblockade der USA zu sprechen, als neue Form des Eingriffs des Imperialismus in den chilenischen Prozeß. Diese Blockade der Kredite, die Chile schädigende Einflußnahme auf den Kupferpreis und die Versuche direkter Intenvention der ITT sind ein neuerliches, markantes Beisiel für die immensen Schwierigkeiten, denen sich die Entwicklungsländer im Ringen um eine unabhängige Entwicklung auf der Basis struktureller Reformen gegenübersehen. Ebenso nennens-und untersuchenswert ist aber auch das Desinteresse der sozialistischen Länder am Ausgang des chilenischen Experiments.

7. Verluste an der Basis. Das Scheitern des „demokratischen Weges"

Sicherlich wird man feststellen müssen, daß die Konflikte und Spannungen, die der revolutionäre Prozeß erzeugte, das Klassenbewußtsein der unteren Schichten gestärkt haben. Der „demokratische Weg zum Sozialismus" hat im Verlaufe dieses Prozeßes zwei empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen, von denen er sich nicht mehr erholen konnte. Zum einen förderte das vitalisierte Klassenbewußtsein zugleich mit der revolutionären Kampfkraft die Hinwendung zur Gewalt und zur gewaltsam-revolutionären Strategie der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft. Dadurch gelangte, wie wir bereits sahen, das Modell des friedlichen Übergangs nach demokratischen Spielregeln innerhalb der UP in die Minderheitsposition. Zum anderen verlor das Regierungsbündnis jene Randzonen ihres Wählerpotentials, die durch die klassenantagonistische Zuspitzung des Revolutionsprozesses sich vom politischen Bündnis mit dem Proletariat abwandten: die Mittel-schicht und die Teile der unabhängigen und lohnabhängigen Arbeiterschaft, die sich aufgrund verschiedenster Faktoren zur Mittel-schicht rechnen. Diese Tendenz verstärkte sich nach Offenbarwerden der ökonomischen Probleme und der Unfähigkeit der Allende-Regierung, ihrer Herr zu werden.

Den Höhepunkt ihres Wählerrückhalts verzeichnete die UP bei den Gemeinderatswahlen vom April 1971, wie Tabelle 3 zu entnehmen ist. Mit der Hälfte der Wählerstimmen wagte Allende trotzdem kein Referendum zur Veränderung des bestehenden Institutionen-systems. Er befürchtete, es zu verlieren. Bei den nachfolgenden Nachwahlen zum Kongreß büßte die UP kontinuierlich an Stimmen ein Obwohl die Parlamentswahlen vom 4. März einen Achtungserfolg für Allende darstellten, da die Nationalen als Wahlziel der Opposition eine Zweidrittelmehrheit ausgegeben hatten bestätigten sie endgültig, daß Allende bis zum Ende seiner Mandatszeit parlamentarisch in der Minderheit und gesetzgeberisch abgeblockt sein würde.

Ein vollständigeres Bild von den Einbußen der UP an der Basis vermitteln die verschiedenen Wahlergebnisse in den Gewerkschaften, Verbänden, Vertretungsgremien in der öffentlichen Verwaltung, Universitäten, Schulen. überall verloren die UP-Parteien kontinuierlich an Stimmenanteilen. Besonders hervorzuheben sind die Rückschläge in der Arbeiter-und Studentenschaft. Die UP verlor fast sämtliche Studentenausschüsse der verschiedenen Universitäten an die Opposition; sogar die sogenannte „rote Universität" und MIR-Hochburg Concepcion mußte sie abgeben. Bei den zuletzt abgehaltenen Studentenwahlen von Mitte Juli an der Katholischen Universität Valparaiso erhielten die Listen der Opposition zusammen 72, 4 Prozent, die der UP kam auf 27, 6 Prozent -Die Christdemokraten erreichten fast 30 Prozent der Stimmen bei den Wahlen zur Einheitsgewerkschaft CUT, was die Spaltung der Arbeiterschaft verdeutlicht.

In verschiedenen Einzelgewerkschaften war der Niedergang der UP noch gravierender, etwa in der Kupfermine von Chuquicamata. Eine Umfrage in einem Arbeiterviertel von Santiago, Quinta Normal, von August 1973 ergab, daß nur 14 Prozent der Befragten unter einer Reihe von Politikern Salvador Allende als Präsidenten gegenüber den anderen, auf einer Liste genannten Politikern bevorzugten. 34 Prozent sprachen sich für Eduardo Frei aus, 9, 5 für Sergio Onofre Jarpa, den Führer der Nationalen Partei, 6, 5 für Carlos Altamirano, 4, 5 für Radomiro Tomic, 1, 5 für Volodia Teitelboim von der Kommunistischen Partei

Eine demokratische Fortführung des sozialistischen Experiments im Sinne des Modells vom „chilenischen Weg" war unter dem Druck und Terror von rechts und links nicht mehr möglich. Der anfängliche Spielraum der Christdemokraten für Übereinkünfte mit der UP existierte nicht mehr, da die politische Basis dieser Partei eine strikte Opposition forderte. Bewußt oder unbewußt wurde unter Beschwörung der Gefahr eines Bürgerkriegs, den es zu vermeiden gelte, auf die ultima ratio einer gewaltsamen Lösung gesetzt oder auf sie zugetrieben.

8. Die Hineinziehung des Militärs

Das chilenische Militär steht in dem Ruf einer professionellen, unpolitischen Truppe es ist jedoch seit jeher ein politischer Faktor ersten Ranges gewesen. Die gewisse Tradition der Zurückhaltung und Neutralität gegenüber der Politik, die nur bei seltenen Gelegenheiten durchbrochen wurde, kontrastiert mit der Rolle der Streitkräfte als Hüter der Verfassung, ausgestattet mit einem erheblichen Sanktionspotential.

Für das sozialistische Experiment war die Haltung der Streitkräfte, deren Führungskader der Mittelschicht entstammen, von größter Bedeutung. Bei überschreiten der Legalität drohte ihr Eingreifen, das auch durch unkontrollierbare Aktionen der Rechts-und Linksextremisten provoziert werden konnte. Allende strebte deshalb ein gutes Verhältnis zu den Streitkräften an. Er befriedigte ihre berechtigten Gehaltsforderungen, die von der Frei-Regierung sträflich vernachlässigt worden waren und ließ ihnen durch Aufrechterhaltung der US-Militärhilfe auch die notwendigen waffentechnischen Ausrüstungen zukommen. Er kümmerte sich intensiv um die mittleren Führungskader und um die Mannschaften und legte bei seinen offiziellen Auftritten größten Wert auf militärische Repräsentanz. Ohne sie in den politischen Revolutionierungsprozeß einfügen zu wollen, wies er ihnen neue Aufgaben in der Verteidigung der Grenzen und der ökonomischen Unabhängigkeit des Landes zu.

Ein neuer Abschnitt in den Beziehungen der Volkseinheit zu den Streitkräften begann mit dem Eintritt der Oberkommandierenden der drei Waffengattungen in die Regierung im Oktober 1972. Diese Maßnahme wurde -Allen von der christdemokratischen Opposition de abverlangt, die darin die einzige Garantie für freie Wahlen im März 1973 sah. Das Kalkül der Opposition bestand darin, den Militärs die Möglichkeit zu geben, aus der Regierung heraus der doppelten Strategie der Linksextremisten entgegenzutreten und den Revolutionsprozeß wieder in die Bahnen der von Christdemokraten und Nationalen mehrheitlich kontrollierten parlamentarischen Auseinandersetzung zurückzuführen.

Mit der Regierungsbeteiligung der Militärs wurde ihr Verhalten immer mehr Gegenstand der öffentlichen Diskussion und des Einwirkens der polarisierten gesellschaftlichen Gruppen auf und in die Streitkräfte. Das Militär selbst wurde Partei und immer stärker in die Tagespolitik hineingezogen. Dadurch entstand Unruhe im Offizierskorps, die durch den dilettantischen Putschversuch des Obersten Souper Ende Juni 1973 noch vermehrt wurde. Was von den Auseinandersetzungen an die Öffentlichkeit drang, ließ darauf schließen, daß eine weitere Beteiligung des Militärs an der Regierung ihre Einheit gefährden würde.

Als Indikator für die zunehmend negative Einstellung der Offiziere zur UP wurde ihre Ablehnung des Gesetzesprojekts zur Einführung der polytechnischen Einheitsschule (ENU) gewertet. Trotzdem stellten sich die Oberbefehlshaber noch einmal zur Bildung eines „Kabinetts der Nationalen Sicherheit" im August 1973 zur Verfügung, nachdem ein von der katholischen Kirche angeregter Dialog zwischen Allende und Patricio Aylwin, dem Präsidenten der Christdemokratie, ergebnislos abgebrochen worden war. Doch nach zwei Wochen Regierungsausübung trat der Verkehrsminister, General Cesar Ruiz Danyau, zugleich Chef der Luftwaffe, zurück. Er hatte beim zweiten Streik der Fuhrunternehmer einen Kompromiß mit den Streikenden erzielt, der jedoch vom sozialistischen Staatssekretär Jaime Faivovich unterlaufen und auf Druck der Linksextremisten von Allende abgelehnt wurde. Indem Allende Ruiz zwang, auch sein militärisches Amt niederzulegen, verschlechterte sich das Verhältnis der Streitkräfte zur UP. Ruiz wurden Solidaritätskundgebungen der Offiziere zuteil. General Carlos Prats, von Frei ernannter Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Innen-, später Verteidigungsminister Allendes, wurde vorgeworfen, sich und damit die Streitkräfte zu sehr mit der UP-Politik zu identifizieren. Er verlor das Vertrauen im Offizierskorps und trat von Regierungsamt und Chefkommandantur zurück, „um die Einheit der Streitkräfte nicht zu gefährden ... und denen nicht als Vorwand zu dienen, die die Regierung stürzen wollen“ Die Gefährdung der Einheit der Streitkräfte durch die politische Involvierung der „unpolitischen Macht" unter Allende ist ein wesentlicher Faktor, der mit zum Verfassungsbruch der Militärs führte. Entscheidend ist aber wohl, daß sich den Militärs wie dem nüchternen Beobachter der chilenischen Szene keine Perspektive mehr bot, in welcher der politische Konflikt noch ohne gewaltsame Auseinandersetzung hätte gelöst werden können.

9. Resümee

Vielfältige Gründe führten dazu, daß Allende scheiterte. Entscheidend waren die internen Faktoren. Allende beging ganz zu Anfang seiner Regierungszeit fundamentale Fehler in der Führung des Revolutionsprozesses. Die teils von ihm selbst getroffene, teils ihm von seiner Anhängerschaft oktroyierte politische Strategie wurde der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Landes nicht gerecht. Die Folgen einer nicht entschieden am demokratischen Modell festhaltenden Politik, zumal die leichtfertig in Kauf genommenen Konsequenzen einer auf die rasche Entscheidung der politischen Machtfrage ausgerichteten Wirtschaftspolitik, waren vollkommen dysfunktional zum „chilenischen Weg", der aufgrund seiner stetig abnehmenden Realisierungschancen innerhalb der UP bald nur noch die Minderheit für sich hatte. Allende und auch die Kommunisten wurden zu Gefangenen dieser Entwicklung. Nach den Märzwahlen von 1973 mußten sie die Politik der „Cordones Industriales", die Bewaffnung der Arbeiterschaft, akzeptieren. Realiter verlor der „demokratische Weg zum Sozialismus" innerhalb der UP damit seine Basis; nur durch ein Bündnis mit Gruppen außerhalb der Volkseinheit, mit den Christdemokraten oder mit den Militärs, hätte Allen-de das sozialistische Experiment noch aufrechterhalten können. Doch die Kompromißmöglichkeiten waren erschöpft. So siegte die extreme Linke ideologisch und politisch-strategisch. Für den Sozialismus, für Allende, war dies allerdings ein Pyrrhus-Sieg, denn nun bewahrheitete sich, was die führende ökonomische Monatszeitschrift Panorama Econömico vom ersten Tag des sozialistischen Experiments nicht zu betonen nachließ: „Der chile-nische Weg zum Sozialismus ist demokratisch oder es gibt ihn nicht" Das chilenische Experiment wurde nicht entsprechend seinen Prämissen ausgeführt. Sein Scheitern bedeutet deshalb nicht, daß das Modell, legal und demokratisch den Sozialismus aufzubauen, gescheitert sei.

V. Der Militärputsch vom 11. September 1973

Tabelle 3: Ergebnisse der Wahlen zum Abgeordnetenhaus (1969 und 1973) und zu den Gemeindevertretungen (1971) Quellen: Direccin del Registro Electoral, hektographierte Statistiken; für 1973 vorläufig endgültige Ergebnisse des Innenministeriums, entnommen aus Ercilla, 1965/1973, S. 11

Am 11. September putschten die Streitkräfte in einer gemeinsamen Aktion aller Waffengattungen und der Carabineros unter Führung des Oberkommandierenden der Streitkräfte und Chefs der Armee, General Augusto Pinochet Ugarte, des Chefs der Marine, Admiral Jose T. Merino Castro, des Chefs der Luftwaffe, General Gustavo Leigh Guzman, und des Chefs der Polizei, General Cesar Mendoza Duran. Es entbehrt nicht der Tragik, daß Allende erst zwei Wochen vor seinem gewaltsamen Tod die Generale Pinochet und Leigh zu Oberbefehlshabern ernannt hatte.

Nach den bislang vorliegenden Berichten ging das Militär mit äußerster Härte vor. Widerstand wurde vor allem vom harten Kern des „poder populär", vom MIR, vom GAP (der persönlichen Schutztruppe des Präsidenten) und von der FTR (Frente de Trabajadores Revolucionarios) geleistet. Er blieb allerdings fast ausschließlich auf Santiago beschränkt. Aber auch in den Provinzen setzten Verfolgung und Internierung von Mitarbeitern und Anhängern des gestürzten Präsidenten ein; auch dort kam es zu standrechtlichen Erschießungen. Auf die Ergreifung der teilweise untergetauchten Führer der marxistischen Linken wurden Kopfprämien ausgesetzt. Luis Corvalän droht ein Prozeß. Diese und andere Maßnahmen lassen befürchten, daß wesentliche Elemente der chilenischen politischen Kultur, die unter der marxistischen Regierung intakt geblieben waren, nun zerstört werden.

Im Unterschied zum skrupellosen Verhalten der Militärs hielten die Marxisten in der Regierung seinerzeit die bürgerlichen Freiheiten aufrecht: Presse-und Organisationsfreiheit blieben gewährleistet, es gab keine politischen

Gefangenen, und die Regierung schränkte die Bewegungsfreiheit selbst der faschistischen Organisation „Patria y Libertad" nicht ein.

Wie der Wahlsieg Allendes vom September 1970, an den so viele Hoffnungen geknüpft wurden, ist auch der Putsch für Chile und Lateinamerika ein einschneidendes Ereignis. Inwieweit es einen Wendepunkt markiert in der Strategie der revolutionären Gruppen des Subkontinents, bleibt vorläufig dahingestellt. Welche gesellschaftspolitischen Konzeptionen die chilenischen Militärs vertreten, ist gegenwärtig ebenfalls ungewiß. Vergleiche mit Brasilien oder Peru scheinen verfrüht, wenn nicht sogar fragwürdig. Die bisherigen Oppositionsparteien — und auch die katholische Kirche des Landes — haben das Eingreifen des Militärs im nachhinein gebilligt. Inwieweit sie sich die Rechtfertigung des Putsches von Seiten der Militärs zu eigen machen, bleibt abzuwarten. Die Militärs heben hervor, daß Chile nach drei Jahren Allende-Regierung nur zwischen einem Bürgerkrieg, einem autopolpe (Putsch von oben) der UP-Regierung und einem Militärputsch zu wählen hatte, wie er dann stattfand.

Die neuen Machthaber untersagten bis auf weiteres alle Aktivitäten der politischen Parteien und stellten die marxistischen Parteien außerhalb des Gesetzes Das letztere bezieht sich auf die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und beide Flügel der MAPU Hieraus läßt sich ebenso wie aus dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Kuba und zu anderen sozialistischen Ländern ein strikt anti-marxistischer Kurs der neuen Regierung ableiten. Die Militärs meiden aber auch die Zusammenarbeit mit den bisherigen Oppositionsparteien, wollen und können indes nicht auf die Technokraten der Nationalen und Christdemokraten verzichten. Beide Parteien haben ihren Mitgliedern die Kollaboration freigestellt — die Nationalen unverzüglich, öffentlich und lautstark, die Christdemokraten mehr oder weniger verschämt.

In den wirtschaftlichen Beratungsgremien der Regierung scheinen die Christdemokraten stark vertreten. In die Zentralbank wurde praktisch die Frei-Administration wieder eingesetzt. Im Ad-hoc-Beraterstab der Regierung, dem 30 Ökonomen angehören, befinden sich Politiker Wie Sergio Molina Alejandro Foxley und Ricardo Ffrench-Davis zusammen mit einigen aus dem Ausland zurückgeholten Ökonomen. Ziel der Regierung ist es, die Wirtschaft möglichst rasch wieder in den Griff zu bekommen. Für Oktober wird ein kurzfristiger Wirtschaftsplan erwartet.

Eine wichtige Rolle spielen auch die führenden Leute der sog. gremialistas, Unternehmerverbände. Orlando Saenz von der Sociedad de Fomento Fabril, einer der heftigsten Kritiker der Wirtschaftspolitik Allendes, ist wirtschaftspolitischer Berater im Außenministerium.

Es ist nicht zu befürchten, daß die grundlegenden Strukturreformen im ökonomischen Bereich wieder rückgängig gemacht werden. Die Agrarreform soll weitergeführt und 40 ha gesetzlich garantiert werden (bisher 80). Das Kupfer bleibt chilenisch. Hinsichtlich der Entschädigung will man jedoch mit den nordamerikanischen Gesellschaften reden, um wohl auch eine technische Beratung durch die USA wiederaufzunehmen. Die „rechtmäßig verstaatlichten" Unternehmen werden nicht reprivatisiert. Die staatlichen Interventoren wurden durch sog. delegados (meist die ehemalige Geschäftsführung) ersetzt. Allmählich will man wieder zu Marktpreisen (außer im Nahrungsmittelsektor) zurückkehren, um den Staatshaushalt von den Defiziten der verstaatlichten Unternehmen zu entlasten. An der Dreiteilung der Wirtschaft in einen verstaatlichten, gemischten und privaten Sektor soll festgehalten werden. Die CORFO soll jedoch nicht mehr ein staatliches Mammutunternehmen sein, sondern ihre ursprüngliche Aufgaben als staatliche Entwicklungsbehörde und -bank wahrnehmen. Auslandsinvestitionen sollen gemäß den Richtlinien des Cartagena-Abkommens über den Anden-Pakt gefördert werden. Geplant ist eine Verfassungsreform und eine Reform der Gemeinden (municipios).

Wie schwierig auch die Wirtschaftslage Chiles ist, so scheinen erste Anzeichen auf eine Wende zu deuten. Der Dollar sank auf dem freien (schwarzen) Markt von 2 800 Escudos auf 1 200 Escudos. Man muß dies als Symptom wiedererwachender Investitionsneigung werten. Politisch aber scheint die gegenwärtige Situation und die Zukunft Chiles nach der Machtübernahme durch die Militärs kaum weniger verworren als in der Endphase der Allende-Regierung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das hier abgedruckte Manuskript lag in leicht veränderter Fassung der Arbeitsgruppe VI: Entwicklungspolitik des Wissenschaftlichen Kongresses der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft vor, der vom 1. — 4. 10. 1973 in Hamburg stattfand. Der Beitrag löste dort eine heftige Kontroverse aus, deren Kern in dei Bewertung der konkreten Realisierungsmöglichkeiten eines nationalen „demokratischen Weges zum Sozialismus" unter den gegebenen kapitalistischen Weltmarktbedingungen war. Die globale Gegenthese zu der nachfolgend dargelegten, die auf der umfangreichen empirischen Untersuchung von Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, Hamburg 1973, fußt, lautete dahin gehend, daß die Bildung einer revolutionären Gegenmacht zum bürgerlichen Staatsapparat und die Anwendung einer Alternativ-strategie zum „demokratischen Weg" für den Aufbau des Sozialismus unabdingbar seien. Vgl. Anibal Pinto, Desarrollo econömico y relaciones sociales en Chile, in: Ders., Tres ensayos sobreChiley America Latina, BuenosAires 1971, S. 67.

  2. Seit sich das Land nach den Unabhängigkeitswirren i. J. 1833 eine stabile politische Ordnung geben konnte, kennt Chile nur eine weitere Verfassung, die von 1925. Sie fußt auf den Leitideen der Traditionsverfassung von 1833. Erst in jüngster Zeit wurde die Verfassung von 1925 vielfach geändert. S. dazu Dieter Nohlen, Sozio-ökonomischer Wandel und Verfassungsreform in Chile 1925— 1972, in: Verfassung und Recht in Ubersee, 6/1973, Heft 1, S. 65— 85.

  3. S. dazu die klassische Analyse des „Entfremdungs" prozesses der chilenischen Volkswirtschaft von Francisco Antonio Encina, Nuestra Inferioridad Economica, Santiago 1912, 3. Aufl. 1973, und

  4. Siehe dazu Hernan Ramirez Necochea, Balmaceda y la Contra revoluciön de 1891, Santiago 1958 und die sehr gut. sozial-und wirtschaftsstatistisch belegte Studie von Crisöstomo Pizarro, La revoluciön de 1891 La modernizaciön, Valparaiso 1971.

  5. S. dazu den wichtigen Sammelband zur Sozial-geschichte Chiles von Hernan Godoy (Hrsg.), Estructura social de Chile, Santiago 1971, dort auch die umfangreiche Bibliographie.

  6. Anibal Pinto, Chile: Un caso ..., a. a. O., S. 116.

  7. Dazu liegt eine sorgfältig recherchierte Untersuchung von Manuel Barrera vor: Perspectiva histörica de la huelg obrera en Chile, in: Cuadernos de la Realidad Nacional, 9/1971, S. 119— 155.

  8. Zu Konzept und Problematik importsubstitutiver Industrialisierung s. jetzt die Einführung von Dieter Ernst, Wirtschaftliche Entwicklung durch importsubstitutierende Industrialisierung? Das Beispiel Lateinamerika, in: Das Argument 79/1973, S. 332— 403.

  9. Das Verhältnis von Mittelschicht und überproportional besetzter, ineffektiver staatlicher Bürokratie untersuchten German Urzüa Valenzuela und Anamaria Garcia Barzelatto, Diagnöstico de la burocracia chilena (1818— 1969), Santiago 1971.

  10. S. dazu den Aufsatz von Osvaldo Sunkel, Cambio y frustractiön en Chile, in: Claudio Veliz (Hrsg.) Obstaculos para la transformaciön de America Latina, Mexiko 1969, S. 112— 144.

  11. Zum Begriff und seiner Bedeutung s. Osvaldo Sunkel, Transnationale kapitalistische Integration und nationale Desintegration, in: Dieter Senghaas (Hrsg.), Imperialismus und strukturelle Gewalt, a. a. O., S. 258— 315, hier S. 268 ff.

  12. Zu diesem dependenztheoretischen Begriff s. Fernando Henrique Cardoso und Enzo Faletto, Dependencia y desarrollo en America Latina, Mexiko 1972.

  13. Im einzelnen s. die Studie von Sergio Aranda und Alberto Martinez, Estructura econömica: Algunas caracteristicas fundamentales, in: Chile hoy, Mexiko 1970, S. 55— 172.

  14. S.den Nachweis dieser Verflechtung bei Armand Mattelart, Mabel Piccini, Michele Mattelart, Los medios de comunicacin de masas. La ideologia de la prensa liberal en Chile, Cuadernos de la Realidad Nacional, 3/1970,

  15. Zur programmatischen Entwicklung der Parteien, ihrer wahlsoziologischen Struktur und zur jüngeren politischen Geschichte als Vorgeschichte des Wahlsieges von Salvador Allende bei den Wahlen von 1970 s. Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, Hamburg 1973, S. 72— 112.

  16. Für viele s. Boris Goldenberg, Chiles Weg zum Sozialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48/1971, S. 37 f.

  17. U. a. in Staat und Revolution (1917), Lenin Werke, Bd. 25, S. 413, S. 425.

  18. S. dazu Salvador Allende, Nuestro camino al Socialismo. La via chilena, Santiago 1971; ders; Chiles Weg zum Sozialismus, Wuppertal 1972.

  19. Zu den verschiedenen theoretischen Bedeutungen und zum Stand der Dependenztheorie siehe jetzt den sehr verdienstvollen Beitrag von Tilman

  20. ODEPLAN, Plan de la economla nacional 1971— 1976, in: Gonzalo Martner, El pensamiento econmico del gobierno de Allende, Santiago 1971, S. 70.

  21. EI programa Tomic, in: Politica y Espiritu, 317/1970, S. 15— 42.

  22. Zum Wahlkampf von 1970 s. Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, a. a. O., S. 113— 132.

  23. United Nations, Economic and Social Council, Report on a Unified Approach to Development Analysis and Planning, Genf 1972, S. 20.

  24. CEDEM, Elementes para un anälisis de la intervenciön del Estado en la economla chilena, Santiago 1968.

  25. Ein Bild von den (in der UP Terminologie) „anti-chilenischen Umtrieben" der politischen Rechten in der Phase zwischen Wahlsieg und Regierungsantritt Allendes und den teilweise psychologisch verständlichen Reaktionen der Privatwirtschaft auf das Wahlergebnis vom 4. September 1970 gibt der schonungslos offene Bericht des damaligen Finanzministers Andres Zaldivar, Informe ecönomico y financiero entregado por el ex Ministro de Hacienda Andres Zaldivar, in: Politica y Espiritu, 318/1970, S. 20— 25.

  26. Ein Opfer dieses Versuchs wurde der Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte, General Rene Schneider. Man muß an das denkwürdige Ereignis erinnern: der noch amtierende Präsident, Eduardo Frei, und der bereits durch den Kongreß designierte Präsident, Salvador Allende, tragen gemeinsam General Schneider zu Grabe. Als — 18 Monate später — durch die Enthüllung des nordamerikanischen Journalisten Jack Anderson Interventionspläne der ITT zur Verhinderung der Regierungsübernahme bekanntwurden, versuchte Allende, den Expräsidenten zu belasten und damit politisch auszuspielen.

  27. S. dazu ausführlich Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, a. a. O., S. 62— 69 und die dort verarbeiteten chilenischen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen.

  28. Lelio Basso, Zur Theorie des politischen Konflikts, Frankfurt 1969, S. 8, 70.

  29. In der Formulierung der Resolution der Sozialistischen Partei auf ihrem XXII. Parteitag von Chillän 1967.

  30. S. Julio Cesar Jobet, El partido socialista de Chile, 2 Bde., Santiago 1971, Bd. II, S. 169— 190.

  31. Hier gilt es anzumerken, daß bei der Bildung der Volkseinheit und der Ausarbeitung des UP-Programms alle Parteien gleiches Gewicht hatten.

  32. So Carlos Altamirano im Februar 1973, zit. nach Ercilla 1961/1973, S. 8.

  33. S. dazu den scharfen Disput zwischen Allende, der von den Studenten ausgepfiffen wurde, und Nelson Gutierrez vom MIR in der Universität von'Concepcion vom 30. Mai 1971, in Auszügen in: Punto Final, 132/1971, S. 1— 5. Hier sei auch an den Besuch Fidel Castros in Chile vom November/Dezember 1971 erinnert, der unter anderem dem Ziel diente, den castroistischen MIR zur Räson zu bringen Zu Castros Reden in Chile s. die Nummern 144 bis 146 des Punto Final, 1971.

  34. Eine positive Korrelation beider Strategien nahmen voreilig Dieter Boris, Elisabeth Boris und Wolfgang Ehrhardt, Chile auf dem Weg zum Sozialismus, S. Köln 1971, 281, an.

  35. Eduardo Labarca Corvalän 27 horas. El PC chileno por fuera y por dentro, Santiago 1972, S. 121.

  36. Unter dem Signum, die reformistische Führung des Revolutionsprozesses zu überwinden, stand der Wahlkampf des MIR und von Teilen der Sozialistischen Partei bei den Parlamentswahlen vom März 1973. Bautista von Schouwen, einer der Führer des MIR, schrieb Anfang September 1973 zum Jahrestag des Wahlsiegs von Allende: „Die Errungenschaften ..des Proletariats ... sind ernsthaft und substanziell bedroht durch die rückschreitende und hinkende Haltung der reformistischen Führung der UP und der Regierung . .. Der Reformismus hat versagt . . . Der sogenannte chilenische Weg zum Sozialismus scheitert ... Es ist notwendig ... im Kampf selbst eine neue revolutionäre Führung aufzubauen, die einen alternativen Weg zum Reformismus bedeutet ...", Leitartikel in: La Tercera de la Hora, 5. September 1973, S. 3.

  37. Den Text des Verfassungsstatuts enhält der koordinierte Verfassungstext, den Dieter Nohlen bearbeitet und unter Mitarbeit von Petra Göpel, Peter Hemmersmeier und Renate Witzel übersetzt hat, und der als Beilage zu Verfassung und Recht in Übersee, Heft 1/1973, Republik Chile, erschienen ist.

  38. Ercilla, 1989/1973, S. 9.

  39. Text der Verfassungsänderung bei Dieter Nohlen, Republik Chile, a. a. O., S. 65— 71.

  40. Eduardo Novoa Monreal, Vfas legales para avanzar hacia el socialismo, in: Mensaje 197/1971, S. 84— 90.

  41. S. dazu im einzelnen Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, a. a. O., S. 258— 262.

  42. Punto Final 190/August 1973, S. 1 und Beilage, 1— 6; Chile Hoy, 2/Nr 61, 10. — 16. 8. 1973, S. 5.

  43. Ricardos Lagos, Diskusionsbeitrag in: Panorama Econömico, 266/1972, S. 25.

  44. Diese und die folgenden Daten entnommen aus Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, a. a. O., S. 195, 346.

  45. Dieter Nohlen, ebd., S. 203— 206.

  46. Ausführlich zur Wirtschaftsentwicklung Chiles unter der Allende-Regierung: Dieter Nohlen, ebd., S. 171— 224.

  47. S. die Analyse von Karl-Heinz Stanzick, „El cobre es chileno". Eine Untersuchung zur Nationalisierung des chilenischen Kupferbergbaus, in: Vierteljahresberichte — Probleme der Entwicklungsländer, hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, 46/1971, S. 345— 361.

  48. Die UP-Regierung nahm diplomatische Beziehungen zu Kuba (November 1970), China (Dezember 1970), zur DDR und Nordkorea (März 1971). Die UP überschätzte jedoch den Gegensatz der Gesellschaftssysteme in Ost und West als Faktor wirtschaftspolitischer Entscheidungen des sozialistischen Lagers.

  49. Der Kupferpreis lag während der Regierungszeit Allendes bei etwa 50 cent pro Pfund (Londoner Kupferbörse), während er 1970 noch 64, 2 cent, 1966 sogar 69, 5 cent betragen hatte. Trotz erhöhtem Export sanken Chiles Erlöse 1971 um etwa 20 Prozent, 1972 um etwa 11 Prozent jeweils gegenüber dem Vorjahr; Angaben nach Banco Central de Chile.

  50. Guido Serrano weist in seiner dem Autor erst nach Abschluß des Manuskripts bekanntgewordenen Studie „Financiamiento socialista y dependencia externa" nach, daß Chile aus sozialistischen Ländern Kreditzusagen in Höhe von 386 Mio. US Dollar erhielt, von diesen und früheren Zusagen bis zum 28. 2. 1973 jedoch nur 93, 3 Mio. in Gebrauch nahm. Demgegenüber vereinbarte die Allende-Regierung mit westlichen Ländern Kredithilfen über 253, 6 Mio.; von diesen und früheren Zusagen verwandte sie 101, 3 Mio.; s. dazu Panorama Econömico, 276/(April) 1973, S. 26— 28.

  51. S. dazu im einzelnen Dieter Nohlen, Chile — Das sozialistische Experiment, a. a. O., S. 242— 258.

  52. Vorsichtiger in der Beurteilung der Möglichkeiten der Oppositionsparteien waren die Christdemokraten und vor allem ihr Spitzenkandidat Eduardo Frei, der stets vor den psychologischen Folgen gewarnt hatte, wenn die Opposition nicht das im Grunde unerreichbare Maximalziel einer Zweidrittelmehrheit im Kongress erfüllt; Ercilla, 1965/1973, S. 7 ff.

  53. Ercilla 1986/1973, S. 5.

  54. Ercilla 1988/1973, S. 18 f.

  55. Ihre Stärke wird mit 60 000 beziffert: Heer 38 000, Marine 15 000, Lufwaffe 8 000. Hinzu kommen etwa 24 000 Carabineros; Daten nach Christian Zegers, Las fuerzas armadas, in: Vision critica de Chile, Santiago 1971, S. 331.

  56. Deshalb war . es im Oktober 1969 zur Meuterei des Regiments Tacna gekommen, die keine weiteren politischen Implikationen hatte.

  57. Zit. nach Ercilla, 1989/1973, S. 9.

  58. Etwa Panorama Econömico, 262 (Juli) /1971, 265 (Dezember) /1971.

  59. Die folgenden Informationen gehen größtenteils zurück auf Klaus Schäffler, z. Zt. Santiago, im Schreiben an den Verfasser vom 30. 9. 1973.

  60. Nach den Märzwahlen von 1973 spaltete sich der MAPU in einen Garretn-Flügel und einen Gazmuri-Flügel. Die Gruppe um den ehemaligen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Garreton nahm die Alternativstrategie des MIR an, während sich der Gazmuri-Flügel mehr an der Kommunistischen Partei orientierte.

  61. Sergio Molina war von 1964 bis 1968 Finanzminister der Frei-Regierung, von 1968 bis 1970 Vizepräsident der CORFO. Von ihm stammt die erste umfassende Untersuchung der Frei-Administration: El proceso de cambio en Chile. La experiencia 1965— 1970, Santiago 1972.

  62. Ricardo Ffrench-Davis war der führende Ökonom in dem politischen Gremium, das das Programm des Kandidaten der linken Christdemokratie, Radomiro Tomic, bei den Wahlen von 1970 ausarbeitete. Er hat jüngst die für die neuere Wirtschaftsgeschichte Chiles bedeutende Untersuchung: Politicas econömicas en Chile 1952— 1970, a. a. O., vorgelegt.

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Dieter Noblen , Dr. phil., geb. 1939, Studium der Politischen Wissenschaft, Geschichte und Romanistik, Forschungsaufenthalte in Lateinamerika, Lehraufträge in Heidelberg und Santiago de Chile, Leiter des Forschungsprojekts „Wahl der Parlamente" /„Wahlen und politischer Wandel" am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Veröffentlichungen u. a.: Spanischer Parlamentarismus im 19. Jahrhundert, Meisenheim/Glan 1970; Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik sowie zahlreiche Beiträge in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, hrsg. von Dolf Stemberger und Bernhard Vogel, Red. Dieter Nohlen, Band I, Europa, Berlin 1969; Wahlen in Deutschland, Berlin und New York 1971 (zusammen mit Bernhard Vogel und Rainer-Olaf Schultze); Die Bundestagswahl 1969 in wahlstatistischer Perspektive (mit Rainer-Olaf Schultze), in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51-52/1969; Politischer Wandel durch Wahlen: Der Fall Uruguay, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48/1971; Sozio-ökonomischer Wandel und Verfassungsreform in Chile 1925— 1972, in: Verfassung und Recht in Übersee, Heft 1/1973; Chile — Das sozialistische Experiment, Hamburg 1973. In Vorbereitung: Sozio-ökonomischer Wandel und politische Entwicklung in Afrika, Amerika und Asien (zusammen mit Franz Nuscheler), 4 Bände, Hamburg 1974/75.