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Der Petitionsausschuß als ausreichendes Kontrollorgan? Erwiderung auf R. Tesches Diskussionsbeitrag | APuZ 4/1974 | bpb.de

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APuZ 4/1974 Konservatismus -Sand im Getriebe des Fortschritts? Eine Auseinandersetzung mit neuer Konservatismus-Literatur Zur Reform des Petitionswesens im Deutschen Bundestag. Ein Beitrag zur Diskussion Der Petitionsausschuß als ausreichendes Kontrollorgan? Erwiderung auf R. Tesches Diskussionsbeitrag

Der Petitionsausschuß als ausreichendes Kontrollorgan? Erwiderung auf R. Tesches Diskussionsbeitrag

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Mitte vergangenen Jahres schloß der Chef des Bonner ARD-Büros, Friedrich Nowottny, seinen Beitrag über die Berliner Sitzung des Petitionsausschusses des BT, auf der über eine Stärkung seiner Rechte debattiert wurde, sinngemäß mit folgenden Worten: Wir brauchen keinen Ombudsman! Es muß ausschließliche Aufgabe des Petitionsausschusses bleiben, die Kontrolle über Exekutive und Verwaltung auszuüben, um somit dem Bürger zu seinem Recht zu verhelfen.

Ähnlich konzipiert Frau Tesche ihre Kritik an einem möglichen deutschen Bürgerbeauftragten auf den unter allen Umständen verzichtet werden muß, soll den „Funktionen des Parlaments" mehr Gewicht beigemessen werden. Abstrahiert man von der in diesem Beitrag vorgetragenen Stellungnahme gegen den Ombudsman (ein Teil der Mißverständnisse hätte sich bei intensiverer Befassung mit dem Beitrag „Der Bürgerbeauftragte als Kontrollorgan" sowieso erübrigt), läßt sich die Kritik folgendermaßen resümieren:

a) Durch die zusätzliche Einfügung einer weiteren Kontrollinstitution (des Bürgerbeauftragten) kann die „Staatsverdrossenheit" nicht beseitigt werden;

b) ausländische Vorbilder sind für bundesdeutsche Überlegungen ungeeignet;

c) der Bürgerbeauftragte bietet keine Gewähr für effizientere Exekutiv-und Verwaltungskontrolle als ein reformierter Petitionsausschuß; außerdem sieht Frau Tesche die Gefahr einer Überschneidung von Tätigkeitsbereichen, die eine der beiden Petitionsinstanzen überflüssig macht; d) Einwirkungen auf Gesetzesnovellierungen sind — auch im Ausland — kaum gegeben;

ebenfalls sei das „Anklagerecht" auf Grund der Rechtsvorschriften im Öffentlichen Dienst illusorisch.

Ihre ablehnende Haltung liegt für Frau Tesche also in der Erkenntnis begründet, daß „dieser nicht mehr leisten könnte als das, was dem Petitionsausschuß bei Stärkung seiner Rechte möglich wäre" (S. 22).

Zu a) Nahezu alle Betrachter des deutschen Parlamentarismus sind der einhelligen Auffassung, daß der Bundestag und seine Ausschüsse ihrer entscheidenden Funktion, als Kontrollorgane gegenüber der Regierung und Verwaltung zu fungieren, nicht nachkommen können, so daß hierin eine Erklärung dafür liegen mag, daß das gegenwärtige politische System allgemein nur bedingt Anerkennung findet, übertragen auf das Petitionswesen, demonstriert dessen bisherige Ineffizienz dem betroffenen Bürger wohl am ehesten, mit welch geringen Erfolgschancen seine Beschwerden von dem dafür eigens geschaffenen Ausschuß verfolgt werden — eine Erkenntnis, der sich auch Frau Tesche nicht verschließen kann und die nicht unwesentlich zu der oft zitierten „Staatsverdrossenheit“ beigetragen hat. Daß diese auch von einem Bürgerbeauftragten nicht generell beseitigt werden kann, ist unbestreitbar. Aber im Gegensatz zum Petitionsausschuß (ob nun reformiert oder nicht) bietet der als Kontrollinstrument des Parlaments institutionalisierte Beauftragte einen nicht zu bestreitenden Faktor, dem Petenten eher zu seinem Recht zu verhelfen, als, dies bestehende Institutionen leisten: durch seine Ünabhängigkeit von allen Parteien.

Zu recht weist Frau Tesche auf die unser Ausschußwesen oftmals kennzeichnende und den Verfahrensprozeß lähmende parteipolitische Einflußnahme hin. Für den Petitionsausschuß -------------------—*je zwei Ausschußmitgliedern verschiedener Couleur bearbeitet werden, die somit jeden Beschluß über eine Petition gegenseitig blokkieren können.

Eine solche negative Kontrolle, die durch die-sen Parteienproporz die Glaubwürdigkeit un-seres Petitionswesens erschüttert, kann wohl kaum als vrünzchenswert angesehen werden. Die Unabnängigkeit des Bürgerbeauftragten dagegen, sofern er ex officio tätig wird und eben nicht auf Weisung der Petitionsausausschüsse in Bund und Ländern, schließt sol-che Einflußnahme aus und garantiert dem Petenten eine objektive Bearbeitung seiner Eingabe. Zu b) Frau Tesche sieht die „Heranziehung des Vergleichs mit anderen Staaten zur politischen Reform im eigenen Bereich" als äußerst problematisch an, zumal wenn dem Vergleich „unterschiedliche Verfassungsstrukturen" in den analysierten Ländern zugrunde liegen.

Diesem Vorwurf ist dann zuzustimmen, wenn es ein Autor versäumt, die jeweils differenzierten Verfassungsstrukturen mit zu berücksichtigen. Ist es aber als eines der wesentlichen Merkmale der Comparative-government-Forschung anzusehen, daß „sie als ein wertvolles Hilfsmittel zur Erforschung der Eigenarten der für die einzelnen Regierungssysteme typischen Machtverteilungen und Herrschaftstechniken gelten kann" ist Frau Tesches Einwand gegen den Rückgriff auf ausländische Vorbilder bei der Diskussion um Bürgerbeauftragte unverständlich.

Schweden wurde als Beispiel für den „Urvater" des Ombudsmannes mit seinen weitreichenden Kompetenzen herangezogen, Großbritannien für die Anbindung des Parliamentary Commissioners an die Abgeordneten, Frankreich als Exempel für einen kontinental-europäischen Staat mit ausgebauter Verwaltungsgerichtsbarkeit. Natürlich hätten auch andere Staaten betrachtet werden können, so z. B. Österreich aber wir legten unser primäres Interesse darauf, die generellen Vorzüge des Bürgerbeauftragten in den genannten europäischen Staaten hervorzuheben, ohne die negativen Begleiterscheinungen bei seiner Institutionalisierung (siehe das ausschließliche Tätigwerden auf „Befehl" der Abgeordneten)

unberücksichtigt zu lassen.

FT—": uu— e 3e—permanent ue» schworene Gefahr einer Alternative „Petitionsausschuß oder Bürgerbeauftragter" ist m. E. völlig unbegründet, da unser hochkomplexes politisches System sowohl eines mit weitgehenderen Kompetenzen ausgestatteten Petitionsausschusses bedarf als auch eines Bürgerbeauftragten. Der befürchtete Dualismus dieser beiden Institutionen wird auf keinen Fall entstehen, sofern der Gesetzgeber den Parlamentskommissar als sein Hilfsorgan institutionalisiert und nicht als „Zuträger" für die Mitglieder des Petitionsausschusses.

Es muß in diesem Zusammenhang noch einmal betont werden, daß ein deutscher Ombudsman nur dann seinen vollen Wirkungsgrad entfalten kann, wenn er Petitionen, die eine ausgesprochene politische Gewichtung beinhalten und seine Stellungnahme ins parteipolitische Schußfeld rücken lassen, an den Petitionsausschuß zu delegieren vermag, um somit die für sein Amt unbedingt erforderliche politische Neutralität und damit seine Unabhängigkeit zu bewahren.

Hieraus nun seine Überflüssigkeit als parlamentarisches Kontrollorgan abzuleiten, halte ich für äußerst problematisch, wenn auch das Engagement der wissenschaftlichen Mitarbeiter des BT für den Petitionsausschuß zu würdigen ist.

Der Petitionsausschuß des BT soll zwar durch einen gemeinsamen Gesetzentwurf aller Fraktionen endlich die schon lange geforderte Kompetenzausweitung erfahren. Ob dadurch aber seine Effizienz erheblich gesteigert wird, läßt sich bedauerlicherweise nicht mit Gewißheit sagen, liegen doch — neben dem ihm immanenten Arbeitsstil — gravierende, seine Kompetenz einengende Bestimmungen in diesem Entwurf begründet: So wird es ihm verwehrt, ex officio tätig zu werden — ein Recht, das für die Effizienz eines solchen Kontrollorgans nicht hoch genug veranschlagt werden kann.

Abgesehen von diesen materiellen Mängeln wiegt kein bisher angefügtes Argument die sozial-psychologische Bedeutung des Ombudsmannes auf. Hier erhält der Bürger, und zwar vor allem derjenige, der zu den Unterprivilegierten in unserem Staat zählt, die Chance, sich an eine durch Kompetenz und Qualifikation ausgezeichnete Persönlichkeit zu wenden, kann als ein parteipolitisch zusammengesetztes Kollegialorgan.

Soll das Defizit an parlamentarischer Kontrolle auf dem Gebiet des Petitionswesens nicht weiter ausufern, ist die o. g. Alternative energisch zurückzuweisen, denn nur eine enge Kooperation zwischen Petitionsausschuß und Bürgerbeauftragten ist akzeptabel, um dem Bürger vor Behördenwillkür den Schutz zu gewähren, auf den er ein Grundrecht besitzt. Zu d) Nach § 100 der Verfassungsbestimmungen über den schwedischen Ombudsman (um bei diesem Beispiel zu bleiben) ist dieser verpflichtet, den Reichstag „auf Mängel in Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften hinzuweisen und Vorschläge zu deren Verbesserung zu machen"

Diese weitgehende, oft genutzte Kompetenz erlaubt ihm, wie der langjährige schwedische Bürgerbeauftragte Prof. Alfred Bexelius vor der Interparlamentarischen Union ausführte eine nicht unerhebliche Einflußnahme auf Gesetzesnovellierungen zu nehmen, wobei jedoch immer wieder hervorgehoben werden muß, daß es sich — wie auch in allen anderen Fällen — um handelt, denen Emptehlungen der Reichstag in keiner Weise nachzukommen braucht. diesem Bereich weniger effizient agieren könnte als sein skandinavischer Kollege, erscheint nicht einsehbar

Auch der Einwand, die schärfste Waffe der skandinavischen Parlamentskommissare, Anklage gegen Bedienstete zu erheben, sei wegen der deutschen Rechtsvorschriften für den öffentlichen Dienst nicht denkbar, muß mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde zurückgewiesen werden. Resümieren wir die hier vorgetragenen Argumente gegen die geäußerte Kritik an einer möglichen Institutionalisierung des Ombudsmannes in Bund und/oder Ländern, so erscheint Frau Tesches These, auf einen Bürger-beauftragten müsse unter allen Umständen verzichtet werden, unbegründet.

Widerstände gegen ein solches, dem Petitionsausschuß gleichwertiges Organ zur Exekutiv-und Verwaltungskontrolle sind jedoch in der Bundesrepublik besonders ausgeprägt; sie können u. a. mit Thomas Ellweins These, gegenüber solchen Bestrebungen mache sich „in Deutschland das Gewicht einer autoritären Tradition bemerkbar treffend erklärt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. S.den Beitrag: Renate Tesche, Zur Reform des Petitionswesens im Deutschen Bundestag, in: aus Politik und Zeitgeschichte, B 4/74.

  2. S. Udo Kempf, Der Bürgerbeauftragte als Kontrollorgan, in: aus politik und Zeitgeschichte, B 44/73 vom 3. 11. 1973.

  3. Vgl. besonders Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969, S. 501 ff.

  4. Walter Euchner, Parlamentarisches System, in: Handlexikon zur Politikwissenschaft, hrsg. v. Axel Görlitz, München 1970, S. 287.

  5. Vgl. für Österreich: Andreas Khol, Ein maßgeschneiderter Volksanwalt für Österreich, in: JBL 1973, S. 113— 128.

  6. Vielfältige Aussagen über die Arbeitsweise des Petitionsausschusses des BT finden sich u. a. in: Der Bundestag von innen gesehen, hrsg. v. E Hübner/H. Oberreuter/H. Rausch, München 1969; außerdem in der Zeitschrift für Parlamentsfragen Heft 1/1971.

  7. Verwaltungskontrolle durch Parlamentsbeauftragte im Ausland — Ombudsman, hrsg. v.der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Bundestages, Nr. 17, Bonn, Juni 1970, S. 34.

  8. Bexelius, in: Union Interparlementaire, III. Symposium 18. — 20. 1. 1973, Volume I, Genf 1973, S. 261 ff.

  9. Frau Tesche stützt sich bei ihren Ausführungen auf einen Bericht des Petitionsausschusses des BT.

  10. Vgl. hierzu H. J. Wolff, Verwaltungsrecht — Ein Studienbuch, Bd. III, S. 292 ff.

  11. Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Opladen 1973, S. 394.

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