Berufliche Tätigkeit soll mehr bringen als hohe Bezahlung durch monotone Fließbandarbeit — daher, die Forderung nach Humanisierung der Arbeit in fast allen Industriestaaten. Schweden, jahrzehntelang Musterland sachlicher Beziehungen zwischen den Tarifpartnern, die durch Abschluß zahlreicher Zusammenarbeitsverträge seit 1936 erfolgreich staatliches Eingreifen in die Tarifautonomie verhindern konnten, hatte in den vergangenen Jahren mehrere schwere Arbeitskonflikte zu bewältigen. Die Befugnisse der Betriebsausschüsse reichten für eine echte Mitbestimmung nicht aus. Eine leistungsfähige Industrie bildet die Basis für die Wohlfahrtspolitik der schwedischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften, deren Ziel es ist, die Erträge der Industrie so gerecht wie möglich unter die Mitglieder der Gesellschaft zu verteilen und Wirtschaft und Gesellschaft weitestgehend zu demokratisieren. In dem „Programm für vermehrte Gleichheit" wird die Bedeutung der Schule für dieses Ziel besonders hervorgehoben: Wenn über die Bildungspolitik ein größeres Maß an Gleichheit der Menschen erreicht ist, dann wird sich dies auch auf die Strukturen der Gesellschaft und des Arbeitslebens auswirken. Die Realisierungsversuche verlaufen in Schweden über zwei Hauptwege: die Wirtschaftsdemokratie und die Betriebsdemokratie. Beide sollen der angestrebten Gleichberechtigung von „Kapital" und „Arbeit" dienen. Das gewerkschaftliche Aktionsprogramm umfaßt den verstärkten Einfluß des einzelnen auf seine Arbeitssituation bis hin zum Einfluß der Gewerkschaften auf die Unternehmenspolitik und den Einblick in die Wirtschaftsweise und Zukunftsplanung der Betriebe. Praktische Versuche mit „sich selbststeuernden Gruppen" nach norwegischen Vorbildern wurden mit Erfolg durchgeführt. Andere Modellversuche, besonders in den beiden großen Automobilfabriken, brachten die teilweise Abschaffung von Fließbandarbeit als einen großen Schritt zur Umgestaltung der Industriearbeit zu einer Form, die dem Menschen nicht mehr so sehr das Gefühl der Machtlosigkeit und Fremdsteuerung vermittelt und in ihm einen selbständigen Mitarbeiter sieht, der in seiner Arbeit auch eine gewisse Zufriedenheit finden kann. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch die staatliche Gesetzgebung, die u. a. Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften ermöglicht sowie den bisher sehr mangelhaften Kündigungsschutz der Arbeitnehmer erheblich verbessert.
Wie in fast allen Industriestaaten wird auch in der Bundesrepublik und in Schweden über die Humanisierung und Demokratisierung der Arbeit diskutiert, wobei das Problem in diesen beiden Ländern auf recht unterschiedliche Weise angegangen wird. Es hat sich gezeigt, daß technischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum allein nicht ohne weiteres eine gesunde und menschliche Umwelt garantieren. Der Protest gegen die quälende Monotonie am Fließband drückt sich immer häufiger in wilden Streiks, aggressiver Gereiztheit, Minderleistung oder Sabotage aus. Nach Ansicht von Arbeitspsychologen entspringt die Rebellion in den Fabrikhallen dem Stumpfsinn, der für die hochgradig arbeitsteilige Produktionsweise in der modernen Industrie charakteristisch ist. Entfremdung kennzeichnet das Verhältnis der Arbeiter zu ihrer Arbeit. Der Taylorismus wirkt heute immer öfter als ökonomischer Störfaktor. Vor allem bei jüngeren Fabrikarbeitern mit besserer Bildung und höherer Berufserwartung wächst der Widerwille gegen die Monotonie der Arbeit. Höhere Löhne, mehr Urlaub und verbesserte Arbeitsplatzgestaltung können die fehlenden Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, zur Entfaltung von Initiative und Talenten nicht ausgleichen.
Bei einer Befragung von mehr als 1500 Beschäftigten aus verschiedenen Industriezweigen in den USA setzten die Befragten an die Spitze der Wertetabelle das Verlangen nach „interessanter Arbeit"; auf den nächsten Plätzen folgten „genügend Unterstützung", „mehr Information" und „Selbständigkeit bei der Arbeit". Offensichtlich besteht also bei den meisten Arbeitnehmern das ausgeprägte Bedürfnis nach einer Tätigkeit, die über die Bezahlung hinaus ein Erfolgserlebnis bietet — ein Gefühl, in eigener Verantwortung etwas zu produzieren, das auch für andere von Wert ist und anerkannt wird.
Weitgehend automatisierte Arbeitsplätze lassen ein solches Gefühl jedoch nicht aufkommen, da der einzelne Arbeiter nur Stückwerk anfertigt, dessen Bedeutung für die Gesamtproduktion er oft nicht übersehen kann. Dazu kommen gesundheitliche Störungen als indirekte Folge des Unmutes am Arbeitsplatz wie auch psychische Anfälligkeit, Alkohol-und Drogensucht, Konflikte in Ehe und Familie. In amerikanischen und europäischen Betrieben bleiben oft mehr als lO°/o der Beschäftigten ihrer Arbeit fern, viele wechseln häufig ihren Arbeitsplatz In der Abwägung, ob mehr Produktivität oder erträglichere Bedingungen am Arbeitsplatz wichtiger sind, fällt die Entscheidung mehr und mehr zugunsten der letzteren aus.
Experimente in europäischen und amerikanischen Firmen haben nachgewiesen, daß Bemühungen um humanere Arbeitsbedingungen auch den Unternehmen keinen Verlust eintra-gen. Wo den Arbeitern mehr Verantwortung und interessantere Aufgaben übertragen wurden, sanken die Krankenziffern und Abwesenheitsquoten,'festigte sich die Firmentreue der Beschäftigten, stieg sowohl die Produktivität wie auch die Quali tät der Erzeugnisse.
In der Bundesrepublik wurde erstmals im vergangenen Jahr von einer Gewerkschaft der Versuch unternommen, dem Unbehagen der Arbeiter an der Monotonie der Fließbandarbeit durch einen Tarifvertrag beizukommen: „Bei Fließ-, Fließband-und Taktarbeit hat im Hinblick auf die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse die Arbeitsgestaltung " vorrangig darauf gerichtet zu sein, die Abwechslungsarmut der Beschäftigung durch Aufgabenbereicherung und -erweiterung in ihren ungünstigen Auswirkungen auf den Menschen abzumildern." Dieser Vertrag der Tarifpartner in der Metallindustrie wird sicherlich eine neue Entwicklung einleiten.
Ansätze zur Lösung des Problems gibt es in den westlichen Industriestaaten unter den verschiedensten Bezeichnungen: „Mitbestimmung", „Wirtschaftsdemokratie", „Betriebsdemokratie“, „Partizipation". Ziel der Bemühungen ist es, über die Mitwirkung die Selbstverwaltung der Arbeiter zu erreichen und die Arbeitsorganisation humaner zu gestalten. In Schweden begann die Diskussion um die industrielle Demokratie im Jahre 1920, als die Regierung des Sozialdemokraten Hjalmar Branting eine Kommission einsetzte mit der Aufgabe, das Problem der Sozialisierung und der industriellen Demokratie zu untersuchen
I. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Tarifpartnern
Seit Jahrzehnten galt Schweden als Muster-land sachlicher Beziehungen zwischen den Tarifpartnern. Nur ein Minimum an Arbeitstagen ging durch Streiks verloren: 16 Streiktage auf 1000 Arbeiter pro Jahr zum Beispiel in den sechziger Jahren (zum Vergleich England: 139). Die Situation änderte sich Ende 1969, als etliche lokale, meist wilde Streiks ausbrachen, die ihren Höhepunkt in dem 56-tägigen Ausstand der staatlichen (!) Grubenarbeiter in Kiruna zum Jahreswechsel 1969/70 fanden Besonders das amerikanische UMS-Arbeitsbewertungssystem — von den Arbeitern „Ultra-Moderne Sklaverei". genannt — hatte die Unzufriedenheit geschürt und gleichzeitig das Verlangen provoziert, die Macht der Arbeitgeber — auch eines staatli-chen wie in Kiruna — durch Mitbestimmung einzuschränken. Damit verlor Schweden seine
Spitzenposition unter den Industrieländern mit dem stabilsten Arbeitsfrieden. Ähnliche Entwicklungen wie bei den Grubenarbeitern ergaben sich im darauf folgenden Jahr beim öffentlichen Dienst. Der soziale und wirtschaftliche Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung war durch die sozialen Reformen der letzten zwei Jahrzehnte weit gediehen. Besonders die Expansion der Sozialfürsorge und -vorsorge wie des Schulwesens verschlingen gewaltige Summen, die nur mit Hilfe von Steuererhöhungen aufzubringen sind. Nachdem die Mehrwertsteuer seit 1971 auf über 17% stieg, fragten sich viele Angehörige der mittleren Einkommensschicht, besonders die Beamten des öffentlichen Dienstes, die seit 1969 keine Aufbesserungen erhalten hatten, ob die Reformpolitik nicht ihren Lebensstandard verschlechtere. Das Ergebnis der Überlegungen mündete in einem der schwersten Arbeitskonflikte, die Schweden in diesem Jahrhundert erlebt hat. 47 000 Beamte im öffentlichen Dienst, seit dem ersten Januar 1966 im Besitz des freien Verhandlungsund Streikrechts, waren von den Auseinandersetzungen betroffen Den schwedischen Arbeitgebern steht eine starke Gewerkschaftsbewegung gegenüber. Während in der Bundesrepublik nur etwa 43 % der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert sind, gehören der „Landesorganisation der Schwedischen Gewerkschaften (LO)" rund 95 0/0 aller Arbeitnehmer an. Aber auch Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller und Universitätsprofessoren ebenso wie die Angestellten (von diesen sind etwa 70 % in der Zentralorganisation Schwedischer Beamter und Angestellter —. TCO — organisiert) haben Gewerkschaften zum Schutz ihrer Interessen. Seit 1936 handeln „Kapital" und „Arbeit" in der Regel ohne Einmischung des Staates ihre Bedingungen in zentralen Gesprächen durch Vertreter ihrer Organisationen aus.
Institutionelle Formen der Mitbestimmung im deutschen Sinne, auch Betriebsräte im kontinentalen Verständnis, gibt es Schweden in nicht. Arbeitgeberverband (SAF) und Gewerkschaftsbund (LO) installierten dagegen im „Abkommen von Saltsjöbaden" von 1936 sogenannte Betriebsausschüsse, mit deren Hilfe zahlreiche Interessengegensätze ohne offene Konflikte gelöst wurden. Die Betriebs-ausschüsse setzen sich aus Vertretern der Arbeiter-und Angestelltengewerkschaften (LO und TCO) und der Betriebsleitung zusammen und sind als eines der Hilfsmittel zur Steigerung der Produktivität und größerer Befriedigung durch die Arbeit gedacht. Ihre Aufgaben sind gemäß Vertragstext: „—• die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern zum Zweck der Erzielung bestmöglicher Produktion aufrechtzuerhalten; — den Arbeitnehmern Einblick in die wirtschaftlichen und technischen Bedingungen des Betriebes und in die Ergebnisse des Unternehmens zu gewähren; — sich für die Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie für den Arbeitsschutz, das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und im übrigen für ein gutes Betriebsklima einzusetzen; * — die Berufsausbildung innerhalb des Unternehmens zu fördern;
— sowie überhaupt auf gute Produktionsund Arbeitsverhältnisse im Betrieb hinzuarbeiten."
Die Betriebsausschüsse dürfen sich nicht mit Fragen befassen, die durch Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern geregelt werden können. Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern sind nach dem Abkommen verpflichtet, auf Verlangen der Arbeitnehmer einen Betriebsausschuß zu bilden. In einem Unternehmen mit 100 bis 200 Mitarbeitern besteht der Betriebsausschuß in der Regel aus fünf Arbeitgebervertretern, fünf Arbeitervertretern und drei Mitgliedern für die Angestellten und Werkmeister, also zusammen 13 Personen. Die Mandatszeit für Arbeitnehmervertreter beträgt zwei Bei Unternehmen Jahre.
mit weniger als 50 Mitarbeitern wird der Betriebsausschuß durch den Betriebsobmann ersetzt.
Die Betriebsausschüsse geben den Arbeitnehmern einen gewissen Einfluß auf die Verhältnisse am eigenen Arbeitsplatz, zum Beispiel durch das Recht auf Information und die gemeinsame Beratung vor Entscheidungen. Allerdings hängt wirklicher Einfluß in der Realität davon ab, wie dieses Recht praktiziert wird. Nur wenn die Unternehmensleitung positiv mitwirkt, können Betriebsausschüsse entscheidend mitbestimmen. Einzelne Unternehmensleitungen haben ihnen freiwillig oder gemäß dem Abkommen Beschlußrecht in abgegrenzten Bereichen eingeräumt, so z. B. in Fragen der Personalpolitik, der Organisation und Rationalisierung oder des Arbeitsklimas. Höchst selten ist dagegen eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer in beschließenden oder leitenden Organen der Unternehmen. Eine der Schlüsselaufgaben der Betriebs-ausschüsse sollte die Debatte der zukünftigen Maßnahmen des Betriebes sein, die die Arbeiter betreffen, aber nach den bisherigen Erfahrungen kommen die dazu nötigen Informationen selten rechtzeitig genug. Nach Schätzungen eines führenden Gewerkschaftsfunktionärs hat nur etwa ein Drittel aller Betriebsausschüsse wirksam funktioniert, weil es die notwendigen Informationen erhalten hat, ein weiteres Drittel arbeitete mehr oder weniger zufriedenstellend und das letzte Drittel war unwirksam Somit bleibt vorläufig echte Betriebsdemokratie sowohl in staatlichen wie in privaten, kommunalen und genossenschaftlichen Unternehmen lediglich eine Forderung.
Wesentlich fortschrittlicher ist dagegen die Entwicklung auf dem schwedischen Arbeitsmarkt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Tarifpartner bereits seit den dreißiger Jahren eine Reihe von Zusammenarbeitsver-trägen abgeschlossen haben, um staatliches Eingreifen zu verhindern. Das 1936 gebildete „Arbeitsmarktkomitee" ist zu einer dauernden Einrichtung geworden und zu einem Forum für fortlaufende Besprechungen zwischen SAF und LO. Zusammenarbeitsverträge zwischen beiden Organisationen sind auf den folgenden Gebieten geschlossen worden: — Arbeitsschutz (1942; 1951 und 1967 revidiert), — Berufsausbildung (1944; 1957 revidiert), — Betriebsausschüsse (1936; 1958 und 1966 revidiert), — Arbeitsstudien (1948), — Förderung der Zusammenarbeit in den Unternehmen (1966), — Arbeiterschutz und betriebliche Gesundheitspflege (1967).
Außerdem haben SAF und LO 1950 in einer gemeinsamen Erhebung die Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt ermittelt. Sie haben weiterhin gemeinsame Ausschüsse mit eigenen Organisationsbüros gebildet, die sich mit Problemen des Arbeitsschutzes, des Arbeitsmarktes, der weiblichen Arbeitskräfte sowie mit Arbeitsstudien beschäftigen.
Auch der „Entwicklungsrat für Fragen der Zusammenarbeit" dient der Förderung der Kooperation zwischen den Tarifpartnern. Er wurde 1966 als ein permanentes gemeinsames Organ aus zehn Mitgliedern der Verbände SAF, LO und TCO mit je einem Sekretär, die alle drei zusammen die Kanzlei des Rates bilden, geschaffen. Die Hauptaufgaben des Rates sind Information, Beratung und Förderung der Betriebsausschüsse und Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Zusammenarbeitsfragen. Sondergruppen arbeiten Kurse und Studienmaterial aus, um dem einzelnen Betriebsangestellten das Rüstzeug für zukünftige Mitsprachemöglichkeit bei der Ausformung des Arbeitsmilieus zu vermitteln.
Neben einer ausreichenden Koordination und rechtzeitiger Information wird in Schweden die Umschulung und Weiterbildung der Mitarbeiter in Betrieb und Beruf als das wichtigste Instrument angesehen, um eine Mitbestimmung im Arbeitsleben erreichen zu können. Gegenwärtig haben vor allem die Angestelltengruppen gute innerbetriebliche Aus-und Fortbildungsmöglichkeiten; dabei ist es vom Gesichtspunkt der Gleichheit aus besonders wichtig, den wenig Ausgebildeten einen Bildungsausgleich zu ermöglichen. Darüber hinaus benötigen besonders die Vertreter der Arbeitnehmer in den Betriebsausschüssen und in den anderen Organen der Mitwirkung eine spezielle Schulung. Deshalb fordern die Gewerkschaften, daß diese Ausbildung nach den im „Gleichheitsprogramm" niedergelegten Grundsätzen von den Unternehmen finanziert werden.
Das Programm erinnert aber auch die Unternehmensführer daran, daß sie ebenfalls der Weiterbildung und Beratung durch Spezialisten bedürfen und keineswegs Experten für alles sind. Daß die Beschäftigten nicht hinreichend kompetent seien, mehr Verantwortung zu übernehmen, ist den Autoren des Programms zufolge ein Scheinargument der Arbeitgeberseite; Experten müßten gerade auch in einem demokratischen System zu Rate gezogen werden: „Staat, Gemeinden, Erzeugerund Verbrauchergenossenschaften und die Gewerkschaften sollten mit gutem Beispiel vorangehen und in ihren Unternehmen breitangelegte Versuchsprogramme mit erweiterter Unternehmensdemokratie einleiten bzw. fortsetzen. Innerhalb des privaten Sektors müssen sowohl Aktiengesellschaften wie Familienunternehmen, Großunternehmen wie Kleinbetriebe an den Experimenten teilnehmen."
II. Betriebsdemokratie und Mitbestimmung heute
1. Staatlicher und privater Einfluß auf das Wirtschaftsleben Es ist wohl nicht ganz falsch zu sagen, daß in Schweden eine kapitalistische Wirtschaft nach sozialistischen Richtlinien funktioniert. Ziel der Sozialdemokraten, die seit über 40 Jahren an der Macht sind, ist es, die Industrie so produktiv wie möglich einzusetzen und deren Erträge so gerecht wie möglich unter die Mitglieder der Gesellschaft zu verteilen. Sie denken nicht daran, aus rein ideologischen Gründen die kapitalistische , Kuh'zu schlachten, die sie für ihre Gesellschaftsreformen noch erheblich , melken'wollen. Sozialdemokraten wie Gewerkschaften brauchen als Basis für ihre Wohlfahrtspolitik eine leistungsfähige, störungsfrei arbeitende Industrie. Das Problem der Demokratisierung von Gesellschaft und Wirtschaft glauben sie anders lösen zu können als durch Sozialisierung großer Teile des privaten Wirtschaftslebens. In die Vorstände der privaten Großbanken wurden bereits Vertreter der Öffentlichkeit entsandt, die nicht nur als Kontrolleure fungieren, sondern auch Einfluß auf die Vorbereitung und Ausführung der Geschäfte nehmen sollen. Das Industrieministerium hat ferner Pläne ausgearbeitet, nach denen der Staat auch in die größten Wirtschaftsunternehmen Vorstandsmitglieder delegieren soll.
Die Wirtschaftstätigkeit des Staates selbst beschränkt sich im wesentlichen auf die öffentlichen Dienste und das Verkehrswesen sowie auf rund 57 0/0 des Bergbaus und 9 ®/o der Banken. Die Konsumgenossenschaften gewinnen an Bedeutung im Bereich der Lebensmittelindustrie, in dem sie inzwischen einen Anteil von über 32 °/o erreicht haben. In allen anderen Wirtschaftszweigen beträgt der private Sektor nach wie vor etwa 94 °/o. Der größte Teil davon gehört zwei Großbanken und 15 Familien. Etwa 70 0/0 der Privatunternehmen mit 20% der Beschäftigten kontrolliert allein die Familie Wallenberg über die „Skandina-viska Enskilda Banken". Mitglieder des Wallenberg-Clans sitzen in über hundert Aufsichtsräten Die Bonniers und die Bro-ströms, deren Machtpyramiden ebenso wie die der Wallenbergs vor der sozialdemokratischen Ära begründet, aber während dieser Zeit gefestigt worden sind, haben erheblichen direkten und indirekten Einfluß auf die Wirtschaft. 2. Das „Programm für vermehrte Gleichheit“ Schweden versucht, durch permanente innere Reformen zu einem demokratischen Sozialismus zu gelangen. Die Sozialdemokraten verstehen sich als Pragmatiker, die eine Synthese wollen zwischen der ideologischen Pro-grammatik und den Erfordernissen der täglichen Arbeit, um die gesellschaftliche Wirklichkeit evolutionär zu verändern. Mit dieser Zielsetzung wurde 1969 von einer aus Gewerkschaftern und Sozialdemokraten gebildeten Studiengruppe für Gleichheitsfragen unter Vorsitz von Frau Alva Myrdal das „Programm für vermehrte Gleichheit" ausgearbeitet Nach der politischen soll nun auch die gesellschaftliche Emanzipation der Arbeitnehmerschaft folgen. Wege und Maßnahmen werden zur Diskussion gestellt, wie man von den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen auf jene erwünschten und notwendigen von morgen überleiten kann. Der Streik von Kiruna und die Aussperrung von öffentlich Bediensteten kurz nach Erscheinen des Gleichheitsberichts haben die Auseinandersetzungen stark beeinflußt. Die Kritiker dieses Programms fühlten sich in ihrer Auffassung bestärkt, daß Wohlstand und Wohlfahrt die Probleme der industriellen Massengesellschaft allein nicht lösen können, während die Befürworter darauf hinwiesen, daß Sozial-und Gesellschaftspolitik halbe Sachen bleiben, wenn nicht durch eine Demokratisierung des Wirtschaftslebens die Selbstverantwortung und Mitbestimmung des Arbeitnehmers verwirklicht wird.
Der Gleichheitsbericht geht davon aus, daß in dem Maße, wie die Schulen Demokratie für den gesellschaftlichen Bereich einüben, auch die Demokratisierung der Gesellschaft insgesamt Fortschritte macht. Junge Menschen, die an Mitbestimmung aus der Schulzeit gewöhnt sind, werden sie auch im Arbeitsleben fordern, so daß die hierarchisch gegliederten Betriebe nicht umhin können werden, sich anzupassen. Wenn über die Bildungspolitik ein größeres Maß an Gleichheit der Menschen er-reicht ist — so lautet die These —, dann wird sich dies auch auf die Strukturen der Gesellschaft und des Arbeitslebens auswirken.
Der Bericht geht weiter davon aus, daß große Ungleichheiten in Lebensstandard und Einflußbereich das Zusammenleben und die Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen erschweren und vergiften. Ein Ausgleich der Lebensbedingungen sei daher ein Mittel, um bessere zwischenmenschliche Beziehungen und ein besseres Gesellschaftsklima zu erreichen. Zudem sei es gerade in der Leistungsgesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Effektivität eine große Kräftevergeudung, wenn nur die Privilegierten ihre Anlagen entwik-keln und in der Gesellschaft voll entfalten könnten. Die moderne Industriegesellschaft produziere zwar immer wieder neue Ungleichheit durch die Notwendigkeit und den Zwang zur Arbeitsteilung, andererseits begegne man aber auch häufig Situationen, in denen einzelne auf Gewinn-und Profitmaximierung zugunsten eines guten Arbeitsklimas oder bestimmter Arbeitsbedingungen verzichten, wenn ihnen dies für ihre Selbstverwirklichung und Zufriedenheit wichtiger erscheint als mehr Lohn oder höheres Einkommen
Die Realisierungsversuche von Gleichheit und Macht verlaufen in Schweden über zwei Hauptwege: die Wirtschaftsdemokratie und die Betriebsdemokratie. Unter Wirtschaftsdemokratie wird die Gestaltung des Wirtschaftslebens oberhalb des Betriebes verstanden; Betriebsdemokratie betrifft die Stellung der Arbeitnehmer im Betrieb und ihre konkreten Arbeitsverhältnisse: „Als Konsument wollen wir Einfluß darauf haben, welche Art von Gütern die Unternehmen produzieren und welche Dienstleistungen des öffentlichen Sektors uns angeboten werden. Wir wollen auch beeinflussen können, wie unser gesellschaftliches Milieu geformt wird, wo im Lande die Arbeitskräfte bereitgestellt und wie ein angemessenes Zusammenspiel zwischen Arbeits-, Wohnund Freizeitmilieu zustande gebracht werden soll. Diese verschiedenen Ansprüche an die Unternehmen — sowohl öffentliche wie private — stellen wir nicht in erster Linie als Arbeitnehmer eines Unternehmens, sondern als Mitglieder der Gesellschaft... Es geht um die wirtschaftliche Demokratie auf parlamentarischer Ebene, um das Recht der Staatsbürger, in ihrer Funktion als Wähler Einfluß auf die Richtlinien der Produktion und des Wirtschaftslebens insgesamt zu gewinnen und damit auf künftige Konsummöglichkeiten und Gesellschaftsmilieus." Es geht andererseits „um die Demokratisierung der , Basisebene', um die Möglichkeit des einzelnen, in Zusammenarbeit mit anderen seine eigenen unmittelbaren Lebensbedingungen in der Arbeitswelt, in Schulen und kulturellen Einrichtungen, bei Wohnungsbau und Umweltgestaltung zu beeinflussen"
Die schwedischen Sozialdemokraten suchen nach Wegen, um über den bereits erreichten Zustand gesellschaftlicher Demokratie hinaus zu einer Gesellschaft der Gleichen zu kommen. Diese Forderung stößt auf eine Reihe von Gegenargumenten, von denen eines lautet, die Gleichheitspolitik führe zu Gleichförmigkeit und Uniformität, das Endergebnis sei also Novellierung. Diesem Vorwurf halten sie entgegen, daß größere Gleichheit auf ökonomischem, sozialem und kulturellem Gebiet die Menschen keineswegs hindere, ihren eigenen Lebensstil zu entfalten, ihre Eigenart zu entwickeln, ihre persönlichen Interessen zu pflegen und damit Variation und Vielfalt in der Gesellschaft zu gewährleisten. Es sei im Gegenteil so, daß die Ungleichheit und Klassenunterschiede die Menschen daran hinderten, ihr Leben selber frei zu formen. Ungleichheiten durch physische oder intellektuelle Unterschiede beispielsweise würden niemals verschwinden, aber sie könnten in einer solidarischen Gesellschaft verringert werden. Man könne verhindern, daß sie zu sozialer Diskriminierung führen.
Das Gleichheitsprogramm fordert auch erhebliche Veränderungen im Bereich des Wirtschaftslebens: „Das privatkapitalistische System, das in der Hauptsache immer noch das Wirtschaftsleben prägt, ist hierarchisch geordnet. Seiner Natur nach widerspricht dieses System den Ideen des Sozialismus von Gleichheit und einer klassenlosen Gesellschaft. Man kann nicht auf die Dauer Gleichberechtigung bei der Lösung der Staatsaufgaben verkünden — also Demokratie als die für freie Menschen einzig würdige Staatsform bezeichnen — und es zugleich als unabänderlich ansehen, daß in der Industrie eine Gruppe von Privatbesitzern mit vererbbarer Macht über das tägliche Leben Tausender von Arbeitern bestimmt." Diese Aussage verpflichtet Sozialdemokraten und Gewerkschafter, sich für den Abbau der hierarchischen Organisation in Unternehmen und Verwaltungen sowie für den Abbau der autoritären Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen einzusetzen. Gerade auf diesem letzteren Gebiet gibt es allerdings noch eine Menge zu tun, wie die im Jahre 1970 bekannt gewordenen internen „ 31 Führungsthesen" des staatlichen LKAB-Werkes in Nordschweden beweisen. These 13 zum Beispiel lautet: „Jede Änderung der Arbeitsaufgabe und jede Umplazierung des Arbeiters innerhalb der Organisation muß akzeptiert werden als eine Maßnahme zum Vorteil des Unternehmens." Auch die anderen Thesen erinnern eher an eine feudale Ordnung als an unsere Zeit. Hier einige weitere Beispiele: „Eine effektive Führung führt durch Lenkung, nicht durch Beispiel" (These 15), „Ein Vorgesetzter muß bereit sein, seine Absicht zu ändern, um einen höheren Vorgesetzten zu unterstützen" (These 20), „Ein Vorgesetzter soll seine Führung so ausüben, daß ein Untergebener nur den gegebenen Befehlen zu gehorchen braucht" (These 29)
Ein Aspekt, der bei uns zwar gelegentlich erwähnt, aber noch viel zu wenig diskutiert wird, spielt eine wichtige Rolle in den Überlegungen und Handlungen der Schweden. Die Förderung der schulischen Bildung der Jugend hat einen großen Bildungsabstand zu denen geschaffen, die ihren Schulbesuch bereits seit längerer Zeit hinter sich haben. Trotz ihrer reicheren Erfahrung bestehen die Älteren den Wettbewerb mit den besser ausgebildeten Nachwuchskräften oft nicht, weshalb das Fortbestehen des Ausbildungsgefälles zwischen Älteren und Jüngeren zu ernsthaften Beschäftigungsproblemen führen kann. Darum wird heute schon an der allgemeinen Anhebung des Bildungsniveaus der Älteren gearbeitet, und zwar mit Hilfe des Ausbaus der traditionellen skandinavischen Erwachsenenbildung. Eine intensive Bildungswerbung hat dazu geführt, „daß außer den Vollzeitschülern und Studenten über eine Million Erwachsene regelmäßig an den verschiedenen Fortbildungsmöglichkeiten teilnehmen, also mehr als 10 0/0 der Bevölkerung. Besondere Bedeutung kommt den 120 Heimvolkshochschulen zu, an denen zur Zeit etwa 13 000 Erwachsene studieren. Die Heimvolkshochschulen sind nicht Ausbildungsstätten für einen besonderen Beruf, sondern allgemeinbildende Schulen für Erwachsene, die Versäumtes nachholen, ihren Wissensstand ganz allgemein verbessern wollen, manchmal auch, um bei einer späteren Umschulung auf einen neuen Beruf günstigere Startchancen zu haben. Absolventen von Heimvolkshochschulen können beispielsweise ein Fachstudium beginnen, auch wenn sie die allgemeine Schule nicht mit dem Abitur abgeschlossen haben." 3. Die gewerkschaftlichen Pläne zur Betriebs-demokratie und Mitbestimmung In allen Industriestaaten stellte man bisher sehr hohe Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit der Arbeitskräfte. Wirtschaftlichkeit, technische Gesichtspunkte und Profit standen dabei im Mittelpunkt des Denkens. Die ökonomischen Wertmaßstäbe waren einseitig auf diese Kriterien bezogen. Heute werden in verstärktem Maße größere Ansprüche an die Betriebe gestellt, um dem Faktor „Arbeit" gleiche Bedeutung wie dem Faktor „Kapital" zu geben. In Schweden sind betriebliche Mitbestimmung und Demokratisierung der Wirtschaft — eingebettet in einen kontinuierlichen Demokratisierungsprozeß der Gesellschaft — die erklärten Ziele der Gewerkschaften für die siebziger Jahre.
Um auf diesem Weg voranzukommen, setzte der Gewerkschaftsbund LO im September 1969 ein Komitee mit dem Auftrag ein, ein Aktionsprogramm für mehr Demokratie im Betrieb auszuarbeiten, und zwar mehr Demokratie auf allen Ebenen: vom Einfluß des einzelnen auf seine Arbeitssituation bis hin zum Einfluß der Gewerkschaften auf die Unternehmenspolitik und den Einblick in die Wirtschaftsweise und Zukunftsplanung des Betriebes. Das Komitee betont in seinem vorliegenden Bericht „Demokrati i Företagen" , daß die Verwirklichung der Betriebsdemokratie als ein Teil des Strebens der Arbeiterbewegung gesehen werden muß, die Gesellschaft insgesamt zu demokratisieren. Die Grundwerte der Demokratie — Freiheit, Unabhängigkeit und Gleichheit — sollten alle wesentlichen Lebensbereiche durchdringen. Vor diesem Hintergrund hat das Komitee versucht, ein Programm aufzustellen, das kurzfristig wirksame Einflußnahme im Betrieb ermöglichen soll; deshalb hat es weniger Gewicht auf Debatten über langfristige Zielsetzungen gelegt. Dementsprechend liegt das Schwergewicht, im Gegensatz zur Diskussion in der Bundesrepublik, auf dem Mitbestimmungsrecht über die konkreten Verhältnisse und Bedingungen, die den einzelnen täglich und direkt betreffen. Gleichzeitig soll aber auch der Einfluß auf die Betriebsleitung und Verwaltung verstärkt werden.
Wichtigster Ansatzpunkt für kurzfristige Maßnahmen ist die Unterbewertung der Position des Arbeitnehmers, die sich in dem fast uneingeschränkten, seit 1905 bestehenden einseitigen Kündigungsrecht des Arbeitgebers ausdrückt. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Arne Geijer, drängt ebenso wie das Komitee darauf, den berüchtigten § 32 der Satzung des Zentralverbandes Schwedischer Arbeitgeber (SAF) außer Kraft zu setzen. Dieses offensichtliche Hindernis auf dem Weg zu mehr Betriebsdemokratie lautet:
„. . . In die Tarifverträge zwischen Teilhabern oder Mitgliedern des Zentralverbandes und Gewerkschaften oder Gewerkschaftsverbänden muß eine Bestimmung aufgenommen werden, daß der Arbeitgeber das Recht hat, Arbeiter nach seiner freien Wahl anzustellen und zu entlassen, die Arbeit zu leiten und zu verteilen und Arbeiter zu beschäftigen, gleichviel welcher Organisation oder ob sie überhaupt einer solchen angehören." Obwohl die Tarifverträge keine entsprechenden Bestimmungen enthalten, gesteht aber die Gerichtspraxis den Arbeitgebern dieses Recht zu, das die Verhandlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften stark einschränkt. Die Gewerkschaften wollen es daher durch ein demokratisches Prinzip ersetzen. Das Komitee empfiehlt, die Privilegien der Arbeitgeber durch Gesetzgebung und Abkommen abzubauen und den Arbeitnehmern durch erweiterte Verhandlungsrechte Mitbestimmung über Anstellungsund Arbeitsbedingungen im weitesten Sinn zu sichern. Konkret bedeutet dies, eine Ausdehung derjenigen Gebiete, die durch Abkommen zwischen den Tarifpartnern geregelt werden, auf Bereiche wie Organisation und Leitung der Arbeit, Personalpolitik, Sicherung des Arbeitsplatzes, Gesundheitsdienst, Arbeitsplatzgestaltung und Rationalisierung. Zufriedenheit mit der geleisteten Arbeit und größere Freiheit und Selbständigkeit des einzelnen verlangen — so das Programm — als Voraussetzung, daß der Beschäftigte wirksam über große Teile der Organisation, Leitung und Kontrolle der Arbeit selbst mitbestimmen kann, was im einzelnen den vollständigen Einblick und die Mitentscheidung in Planung und Organisation, in Personalfragen, bei Veränderungen am Arbeitsplatz sowie Einfluß bei der Wahl des Vorgesetzten bedeutet. Dabei ist das Mitbestimmungsrecht in Personalfragen ein Schlüsselbereich der Betriebsdemokratie, weshalb das Komitee empfiehlt, die Personalabteilungen der Betriebe unter die gemeinsame Leitung der Tarifpartner zu stellen. Weiterhin soll das Prinzip des freien Kündigungsrechts des Arbeitgebers durch einen verstärkten Kündigungsschutz ersetzt werden.
Zur Stärkung der Stellung der Betriebsausschüsse hat das Komitee Pläne ausgearbeitet, die einen regelmäßigen Informationsaustausch zwischen Gesellschaft (Staat) und Betrieben vorsehen. Danach sollen die Unternehmen über die eigene Beurteilung ihrer Lage und ihre Pläne für die nächsten zwei bis fünf Jahre Aufschluß geben. Als Gegenleistung würden die staatlichen und kommunalen Behörden die'Betriebe über ihre gesellschaftspolitischen Pläne und Beschlüsse unterrichten. Die Betriebsausschüsse sollen dann das Recht erhalten, die Angaben des Betriebes zu diskutieren und gegebenenfalls einen Kommentar zum Inhalt abgeben, bevor sie an die Behörden weitergereicht werden.
Nur die Einsicht in die langfristigen Pläne des Betriebes ermöglicht den Beschäftigten, eventuelle Änderungen in der Produktion (Anschaffung von Maschinen und Ausrüstung, Bau von neuen Anlagen) zu einem Zeitpunkt zu diskutieren, zu dem noch Ein-wirkungsmöglichkeiten bestehen.
Dem Recht der Betriebsausschüsse, sich über die finanzielle Stellung des Unternehmens und die Zukunftsaussichten zu informieren, wird eine grundlegende Bedeutung beigemessen für eine effektive Zusammenarbeit. Die bisherigen tariflichen Verpflichtungen gaben der Betriebsleitung nur allzu freien Spielraum, Fakten zu tarnen oder zu verheimlichen; so hat die Erfahrung gezeigt, daß die Informationen-an den Betriebsausschuß oft lückenhaft und undurchschaubar sind. Diese Informationspflicht soll deshalb nach dem Willen der Gewerkschaften verschärft werden. Ein von den Arbeitnehmern ausgesuchter Wirtschaftsprüfer (Revisor) wird die Vertreter der Beschäftigten im Betriebsausschuß über das Ergebnis seiner Prüfung unterrichten und eine sachgemäße Auslegung der von der Betriebsleitung gegebenen wirtschaftlichen Informationen erleichtern — und damit den Abstand im Sachverstand zwischen Betriebsleitung und Arbeitnehmern verringern. Dieser Vorschlag wird gegenwärtig vom Industrieministerium geprüft.
Für Schweden neu ist die Forderung nach Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaften. Eine Minderheit der Vertreter soll von den Gewerkschaften gewählt werden, einer von ihnen dem Betriebsausschuß angehören. Um die in der Bundesrepublik so umstrittenen Paritäten streitet man sich noch nicht, da der Einblick in die Betriebsleitung und der Zuwachs an Informationen, den die Arbeitnehmer auf diese Weise erhalten, den Gewerkschaften gewichtiger erscheinen. Dadurch werden die Voraussetzungen verbessert, um bei der Ausarbeitung der langfristigen Unternehmenspolitik mitreden und mitbestimmen zu können. — Weil erweiterte Einflußmöglichkeiten natürlich auch wesentlich erweiterte Bildungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer, die sie auf ihre neuen Aufgaben vorbereiten sollen, voraussetzen, sollen Betrieb und Gesellschaft die nötigen Mittel dafür gemeinsam aufbringen. 4. Betriebsdemokratie durch „sich selbst-steuernde Gruppen" und andere Modelle Seit Ende der sechziger Jahre galt die Debatte nicht mehr der Frage, ob, sondern wie die Betriebsdemokratie eingeführt werden soll. Die Meinungsverschiedenheiten galten der Zweckmäßigkeit verschiedener Vorschläge, aber der Mangel an praktischer Erfahrung hemmte die Diskussion. Im November 1968 ernannte die Regierung auf Vorschlag des Kongresses der Sozialdemokratischen Partei eine staatliche Betriebsdemokratie-Delegation („Företagsdemokrati-delegation") mit der Aufgabe, Experimente in staatlichen Unternehmen zu planen und zu veranlassen.
Die Modelle, die auch in Norwegen in verschiedenen Betrieben erfolgreich erprobt wurden sind ein Schritt auf dem Weg zur Übertragung der Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaftsordnung (hier verstanden als größtmögliche Beteiligung des Menschen an Entscheidungen, die ihn betreffen) auf die Ordnungsstrukturen der Wirtschaft. Sie sind, jenseits ideologischer Prinzipien, ein Schritt zur Umgestaltung der Industriearbeit zu einer Form, die dem Menschen nicht mehr so sehr das Gefühl der Machtlosigkeit und Fremdsteuerung vermittelt, sondern in ihm einen selbständigen Mitarbeiter sieht, der in seiner Arbeit auch eine gewisse Zufriedenheit finden kann.
Die Verantwortung für den Produktionsprozeß geht in diesen Modellen auf eine Arbeitsgruppe über — der „sich selbststeuernden Gruppe" —, bei der im Extremfall sogar die Institution des Vorgesetzten überflüssig wird. Alle anfallenden Arbeiten innerhalb des Aufgabenbereichs der Gruppe sollten möglichst von allen Mitarbeitern ausgeführt werden können, wodurch die Möglichkeit für systematischen Arbeitsplatzwechsel (job rotation), gegenseitiges Ablösen bei Pausen, Krankheit etc. und gegenseitige Hilfe bei Schwierigkeiten im Produktionsablauf gegeben ist. Fast sämtliche Führungsaufgaben gehen damit auf die Arbeitsgruppe oder ihre gewählten Repräsentanten über; die Gruppe steuert sich selbst in dem Bereich, der die eigentliche Arbeit und den engeren Arbeitsplatz betrifft.
Einen Ausgangspunkt für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen während der Experimente bilden einige fundamentale psychologische Anforderungen an die Arbeit. Berücksichtigung sollen u.'a. finden: — das Bedürfnis nach einem Arbeitsinhalt, mehr als nur Ausdauer erfordert und der der ein gewisses Minimum an Variation erhält;
— das Bedürfnis, etwas bei der Arbeit zu lernen — das Bedürfnis, bei der Arbeit an Entscheidungen beteiligt zu sein;
— das Bedürfnis nach Anerkennung oder zumindest einem gewissen Grad von gegenseitiger Hilfe oder Respekt am Arbeitsplatz; — das Bedürfnis, den Zusammenhang zwischen der Arbeit und der Umwelt erkennen zu können (d. h. eine nützliche und sinnvolle Arbeit zu tun);
— das Bedürfnis, die Arbeit mit den eigenen Hoffnungen für die Zukunft in Verbindung bringen zu können — (womit nicht nur eine mögliche Beförderung gemeint ist)
Ein weiterer Ausgangspunkt für die Experimente liegt darin, daß die traditionellen hierarchischen Organisationsformen oft in einen Teufelskreis führen: „Eine wenig stimulierende, uninteressante Arbeit verhindert das Zustandekommen einer aktiven Mitwirkung: das fehlende Engagement ruft wachsende Fremd-steuerung und Kontrolle hervor, was wiederum zu noch weniger Eigeninitiative der Mitarbeiter führt und damit die Arbeit erneut weniger anregend und weniger interessant werden läßt; dies ruft seinerseits eine verstärkte Kontrolle hervor. Diesen Kreis, der bis zur Selbstentfremdung im Marx’schen Sinne führen kann, zu durchbrechen, ist ein Anliegen aller Versuche, die mit dem Modell der selbststeuernden Gruppe gemacht wurden."
Die norwegischen Versuche führten zu einer Reihe von Feldexperimenten in Schweden, die von der bereits erwähnten Betriebsdemokratie-Delegation erprobt wurden. Eines der Projekte läuft seit 1969 in dem staatlichen Unternehmen „Svenska Tobaks AB". Unter ihren vier Fabriken wurde diejenige ausgewählt, in der das Risiko einer „Störung" am geringsten erschien: die Pfeifentabakfabrik in Arvika. Konzentriert wurde der Versuch auf eine kleine homogene Gruppe von 24 Mann, die den Prozeß der Zubereitung vom Rohstoff bis zur Verpackung erledigt. Nach ausführlicher Beratung mit der zentralen und lokalen Be-triebsleitung und den Arbeitern wurden die Wünsche der Sozialpartner als Voraussetzungen festgelegt. Gewerkschaftsbedingung war, daß es keinen Lohnausfall, Betriebsbedingung, daß das Resultat der Produktion nicht beeinträchtigt werden sollte. Das Ziel wurde folgendermaßen definiert: „. . . die Arbeitszufriedenheit der Angestellten zu steigern unter der Voraussetzung, daß die Produktion nicht sinkt. Steigende Produktivität ist also nicht das Ziel der Maßnahmen. Es ist jedoch wünschenswert, daß eine Abteilung und ein Betrieb mit einer demokratischen Organisation eine normale Produktivitätsentwicklung einhalten und wenn möglich sogar übertreffen kann."
Die Mitarbeiter der Versuchsabteilung hatten das Recht, in allen Fragen, die ihre eigene Arbeit und ihren eigenen Arbeitsplatz betrafen, selbständig Entscheidungen zu treffen. Dieses Recht, verbunden mit den entsprechenden Pflichten und der Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen, erstreckte sich speziell auf folgende Bereiche: — Planung und Durchführung der Jobrotation (Tausch der Arbeitsplätze), — Festlegung des kurzfristigen Froduktions-Ziels nach den Bedarfszahlen der Verkaufsabteilung, — Gestaltung der Arbeitsplätze, — Auswahl der neuen Mitarbeiter bei Neu-einstellungen, — Ausbildung der Mitarbeiter, — Festlegung der Arbeitszeit (z. B. Überstunden). Um eine optimale Wahrnehmung der Selbst-steuerung zu ermöglichen, wurden als Organe der Arbeitsgruppe ein Kontaktmann und ein Abteilungsausschuß (Avdelningskommitte) gewählt sowie regelmäßige Personalversammlungen der Abteilung abgehalten. Dabei wurde besonders darauf geachtet, durch kontinuierlichen Wechsel der Repräsentanten die mögliche Institutionalisierung einer informellen Führung zu verhindern. Die sich selbststeuern-de Gruppe arbeitete ohne Vorarbeiter, behielt jedoch ihren früheren Meister, der aber nur noch eine beratende Funktion gegenüber der Arbeitsgruppe erfüllte, also keine Vorgesetztentätigkeit mehr ausübte. Die Führungsund Kontrollfunktion ging auf die Gruppe bzw.deren gewählte Repräsentanten über
Die im April 1971 durchgeführte Untersuchung über die Auswirkungen des Versuchs auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter ergab, daß die Einrichtung einer sich selbststeuernden Gruppe eine Vielzahl von Veränderungen hervorgerufen hat. Sie hat dazu geführt, daß — eine gefühlsmäßige Aufwertung der eigenen Arbeit erfolgte (die Arbeit wurde als abwechslungsreicher, interessanter, anspruchsvoller und stimulierender empfunden), — die Arbeiter größere psychische und physische Belastungen durch die Arbeit empfanden, hervorgerufen durch größere Leistung, Verantwortung und geforderte Aufmerksamkeit, — die Zusammenarbeit und der Kameradschaftsgeist am Arbeitsplatz erheblich gestiegen waren, — ein gewisses Erlebnis der persönlichen Freiheit bei der Arbeit hervorgerufen wurde, — der Betrieb als demokratische Einrichtung empfunden wurde.
Betrachtet man das Ausmaß von Fluktuation und Krankheitsfällen als Maßstab für die Zufriedenheit der Mitarbeiter, so läßt sich sagen, daß praktisch keine Fluktuation und nur sehr wenig Krankheitsfälle auftraten, was jedoch nicht als Auswirkung des Versuchs angesehen werden muß, da die Zahlen schon vor der Einführung der sich selbststeuernden Gruppe extrem niedrig lagen. Vergleicht man die Produktivitätsentwicklung der Jahre 1969 und 1970 in der Versuchsabteilung in Arvika, so erhält man eine prozentuale Steigerung von etwa 14 0/0 „bei zumindest gleichbleibender Qualität". Gleichzeitig verringerte sich die benötigte Anzahl der Arbeitsstunden für Service-und andere Fremdleistungen sowie für Uberwachungsund Kontrolltätigkeiten. Ein exakter Vergleich mit den Ergebnissen des Jahres 1971 ist nicht möglich, da in diesem Jahr eine erhebliche Anzahl neuer Maschinen installiert wurde. Allerdings wurde auch 1971 eine weitere Produktivitätssteigerung registriert.
Wenn man die Ergebnisse und Folgen eines derartigen Experimentes untersucht, sollte man sich daran erinnern, daß nur ein Teil der Auswirkungen in psychologischen, technischen oder wirtschaftlichen Größen quantitativ ausdrückbar ist und der nicht unbedeutende übrige Teil durch „qualitative Veränderungen der menschlichen Lebenssituation" gekennzeichnet ist. Das Modell der sich selbststeuernden Gruppen geht davon aus, daß der arbeitende Mensch seiner Rolle als passiver, fremdbestimmter und ausschließlich ausführender Produktionsfaktor gänzlich entwachsen ist und zu einem echten Mitarbeiter heranreift, der mitdenkt, selbständig plant, schöpferische Initiative ergreift, sich seinen eigenen Arbeitsbereich gestaltet und nicht zuletzt auch die Verantwortung für seine Entscheidungen trägt. Diese Form der mitunternehmerischen Leistungen der Mitarbeiter würde eine auch materielle Erfolgsbeteiligung am Gewinn nahelegen
In Schweden führt der Widerspruch, der sich aus dem Unterschied zwischen dem hohen privaten Lebensstandard bei wachsendem Bildungsniveau auf der einen Seite und den Verhältnissen am Arbeitsplatz auf der anderen Seite ergibt, mehr als in anderen Ländern zu Versuchen, das Fließband teilweise wieder abzuschaffen oder wenigstens erträglicher zu machen Für die Gewerkschaften sind somit Mitbestimmung, bessere Arbeitsbedingungen, größere Möglichkeiten für Aus-und Fortbildung, Freizeit und Urlaub zu entscheidenden Fragen, gleichberechtigt neben der Lohnfrage, aufgerückt.
Daß die Automobilindustrie bei der Erprobung neuer sozialer Strukturen im Betrieb besondere Aktivität zeigt, hat gute Gründe. Für sie wird es immer schwieriger, Ersatz für jene zu finden, die gegen die Hetze und Monotonie ihrer Fließbänder rebellieren. Um die Eintönigkeit vieler Tätigkeiten zu mildern, haben Volvo in Kalmar und Skövde und Saab-Sca-nia in Södertälje seit 1972 damit begonnen, innerhalb überschaubarer Gruppen die Arbeitsplätze zu tauschen (job rotation) und den Aufgabenbereich zu erweitern (job enlargement). Die Störungen am Band — manchmal provoziert — gingen zurück, die Fluktuation bei Saab beispielsweise verringerte sich von 40 auf 20 °/o, der hohe Krankenstand von 14°/o verminderte sich ebenfalls. Bis zu 25% der Fließbandarbeiter waren früher an manchen Tagen überhaupt nicht erschienen. — Die neuen Arbeitsgruppen haben weitgehende Autonomie bei der Durchführung ihrer Aufträge. Mitsprachetreffen dienen dazu, über die Probleme der Gruppen zu diskutieren und Lösungen zu suchen, ob es sich nun um unzureichende Materialversorgung, um Ärger mit Vorgesetzten oder Reibereien zwischen Kollegen handelt. Um der Anonymität in der großen Halle zu entgehen, erhalten die Gruppen nach Möglichkeit abgegrenzte Bereiche mit Werkstattatmosphäre.
Gruppenmontage erfordert jedoch hohe Investitionen für Arbeitsplätze und Ausbildung, da jeder einzelne Arbeitsplatz mit sehr viel mehr Einzelheiten (höherer Material-und Platzbedarf) und mehr Werkzeugen ausgestattet werden muß. Diese Neuorganisation der Arbeit läßt sich auch in alten Fabriken praktizieren, allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen: genügend Raum, hoher Ausbildungsstand, Einsprachigkeit und Interesse der Arbeiter.
Die Ergebnisse der neuen innerbetrieblichen Arbeitsorganisation sind verminderte Konfliktstoffe, geringere Abhängigkeiten, bessere Information und Kommunikation sowie Mitbestimmung von unten. Sie bringen beiden Seiten Vorzüge und die Produktion kann reibungslos laufen, selbst wenn zwei bis drei Leute einer Gruppe fehlen.
In der Motorenfabrik von Saab-Scania setzt jede Gruppe den Motor von Anfang bis Ende zusammen. Innerhalb der Gruppe können die Arbeitsaufgaben beliebig aufgeteilt werden. Der maximale Arbeitszyklus beträgt jetzt 30 Minuten, also die Montagezeit für einen Motor, gegenüber einer früheren Taktgeschwindigkeit von etwa zwei Minuten am Fließband. Die Arbeitsgruppen können selbst ihren Arbeitstakt bestimmen, ohne andere dadurch zu stören, was beim Anlernen neuer Arbeitskräfte besonders wichtig ist. Beim Fließband braucht der neueingestellte Arbeiter nämlich einen Helfer, damit kein Engpaß in der Produktion auftritt. Im neuen System kann einer der Gruppenarbeitsplätze für die Anlernperiode zur Verfügung gestellt werden. Der Arbeiter wird zuerst von einem Instrukteur angeleitet, danach wird die Ausbildung mit Hilfe von Kopfhörern und Magnetband-Kassetten 'fortgesetzt.
Die Volvo-Motorenfabrik in Skövde arbeitet mit einem ähnlichen System. In Kalmar dagegen wird die Montage der Karosserien auf verschiedene Arbeitsgruppen verteilt. Jede Gruppe aus 15 bis 25 Personen ist für einen bestimmten Teil des Autos verantwortlich, z. B. das elektrische System oder das Bremssystem und die Räder. Die Beteiligten bestimmen selbst darüber, wie die Arbeitsgänge verteilt und wie die Rotation durchgeführt werden soll. Sie arbeiten in einer nahezu selbständigen Werkstatt-Einheit innerhalb der Fabrik zusammen; jede Gruppe hat eigene Ruhe-, Waschund Umkleideräume sowie eine eigene Sauna. Die Karosserien werden zwischen den Arbeitsgruppen mittels elektrisch betriebener Karren transportiert, die von innerhalb des Arbeitsraumes beliebig verlegbaren Magnetbändern gelenkt werden.
Die einzelnen Karren können jedoch auch zu einem Fließband zusammengesetzt werden;
somit kann jede Gruppe selbst entscheiden, ob sie ihre Arbeit an stationären Werkbänken oder am laufenden Band ausführen will.
Arbeitstempo und Ruhepausen werden von jeder Gruppe selbst festgelegt, da die Arbeitsbereiche durch Pufferzonen voneinander getrennt sind, in denen bis zu sechs von der Vorgruppe bearbeitete Autos abgestellt werden können. Jede Arbeitsgruppe trifft autonome Entscheidungen in Fragen des Arbeitstempos, der Ruhepausen, des Grades der Arbeitsdifferenzierung und der internen Aufgaben-verteilung. „Die Veränderungen werden von allen als sehr befriedigend empfunden, und daß auch die Arbeitgeber festgestellt haben, daß sie produktionstechnisch günstig sind, zeigt sich daran, daß man dazu bereit ist, große Investitionen vorzunehmen. Wir können schließlich feststellen, daß es sich bei der neuen Fertigungsmethode nicht um eine Revolution handelt, doch bedeutet sie einen großen Schritt auf dem Weg zu verbesserten Arbeit-und Produktionsbedingungen." 5. Verstärkter Einfluß des Staates durch neue Gesetzgebung Zur Veränderung der sozialen Strukturen im Betrieb hat in letzter Zeit auch die schwedische Regierung stärker beigetragen Mehrere Gesetze sind verabschiedet oder in Vorbereitung, deren Ziel es ist, „dem Menschen am Arbeitsplatz seine Würde zurückzugeben''(Sozialminister Sven Aspling). Die Gewerkschaften hatten Verhandlungen über Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften entsprechend ihren Kongreßbeschlüssen von 1971 mit der Arbeitgeber-organisation (SAF) eingeleitet, aber keinen Erfolg erzielt. Deshalb wandten sie sich an die Regierung mit der Forderung, die Arbeitnehmerrepräsentation im Gesetz zu verankern; der entsprechende Regierungsantrag wurde dann vom Reichstag Ende 1972 angenommen und ist seit dem 1. April 1973 in Kraft. Das Gesetz verpflichtet alle Aktiengesellschaften und Unternehmen mit mindestens 100 Angestellten (außer Banken und Versicherungen), zwei von den Gewerkschaften nach einem bestimmten Wahlmodus ausgewählte Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat aufzunehmen — sofern die Gewerkschaften dies verlangen.
Die Arbeitnehmervertreter haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Aufsichtsräte, mit zwei Ausnahmen: Sie dürfen nicht an Beschlüssen mitwirken, die sich auf Konflikte zwischen Betriebsleitung und Belegschaft beziehen (Streiks, Aussperrungen etc.), und sie bleiben von Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Tarifverträge ausgeschlossen. Ihre besondere Aufgabe innerhalb der Wahrnehmung, der Interessen der Arbeitnehmer ist es, dafür zu sorgen, daß der Informationsfluß zwischen dem Aufsichtsrat und der Belegschaft verbessert wird.
Wie es häufig in Schweden praktiziert wird, tritt auch dieses Gesetz zunächst für einen Versuchszeitraum von drei Jahren in Kraft. Während dieser Periode sollen Erfahrungen darüber gesammelt werden, ob die erlassenen Vorschriften einer Korrektur bedürfen, bevor sie endgültig beschlossen werden. Dann soll auch entschieden werden, wieviele der gegenwärtigen Ausnahmen ebenfalls unter dieses Gesetz gestellt werden.
Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bringen praktische Spezialkenntnisse mit, über die die anderen Mitglieder häufig nicht verfügen. Sie sind sowohl mit der Produktion als auch den Schwierigkeiten und positiven Seiten des Betriebes vertraut. Ihrem Wissens-mangel im finanziellen und betriebswirtschaftlichen Bereich wird durch Orientie-rungs-und ‘ Ausbildungskurse der Gewerkschaftsverbände LO und TCO begegnet, die innerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden. Die Ausbildung vermittelt dem Arbeitnehmervertreter u. a. Kenntnisse über Arbeitsweise und Funktion des Aufsichtsrates, über seine eigene Rolle, die Bestimmungen des Aktienrechts, das betriebsdemokratische Programm des Gewerkschaftsbundes, Erfahrungen verschiedener Betriebe mit Unternehmensdemokratie, Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik, betriebswirtschaftliche Begriffe und Probleme sowie über Methoden zum Selbststudium.
Die Ausarbeitung des Schulungsprogrammes begann bereits im Jahre 1972, die Ausbildung selbst im folgenden Frühjahr an den LO-Schulen, wobei in den Jahren 1973 bis 1975 etwa die Hälfte der mehr als 4 000 Arbeitnehmervertreter (in etwa 2 300 schwedischen Unternehmen mit insgesamt 1 200 000 Arbeitnehmern) an jeweils vier einwöchigen Kursen teilnehmen sollen. Das Gesetz betrachten die Gewerkschaften wie auch Industrieminister Rune Johansson als einen Anfang auf dem Weg zu vertiefter industrieller Betriebsdemokratie. Sprecher der Wirtschaft wandten dagegen ein, daß Arbeitnehmer oder Vertreter der Öffentlichkeit im Aufsichtsrat des Unternehmens eine Gefahr hinsichtlich des Betriebsgeheimnisses und des Wettbewerbs darstellten. Es könnte vorkommen, daß diese Vertreter für das Interesse der Öffentlichkeit und gegen das des Unternehmens sprechen, während alle Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet seien, das Interesse des Unternehmens zu vertreten.
Die Regierung antwortete auf die Einwände, daß die meisten Aufsichtsräte Mitglieder hätten, die nicht im Betrieb tätig seien (z. B. Bankiers). Zudem säßen diese nicht nur gleichzeitig in mehreren Aufsichtsräten, sondern hätten in der Ausübung ihres Berufes auch die Aufgabe, jene Kunden zu beraten und zu be-dienen, die mit dem betreffenden Unternehmen, in dessen Aufsichtsrat sie sitzen, konkurrieren. Unabhängig davon sei es Pflicht eines Arbeitnehmer-oder öffentlichen Vertreters, die Interessen der Öffentlichkeit zu artikulieren und als Anwalt der Arbeitnehmer zu wirken.
über die Aufsichtsratsbeteiligung hinaus regelt das neue Gesetz auch den erweiterten Informationsaustausch zwischen Unternehmen und Gesellschaft, wie es der LO-Kongreß vom Herbst 1971 gefordert hatte. Hierzu müssen die Betriebe zweimal jährlich ihre Geschäftsberichte an die Provinzialregierungen abgeben, die es den örtlichen Behörden ermöglichen sollen, die wirtschaftlichen Bedingungen und Probleme der Provinz überblicken und bessere Voraussetzungen für eine langfristige Planung geben zu können. Die Berichte sollen die Pläne für die kommende Fünfjahresperio-de enthalten, und zwar im Hinblick auf Unkosten und Gewinn, Produktionsund Umsatzsteigerung, neue Anlagen, Stillegungen und Umsiedlungen, Personalveränderungen, Bauland-und Transportbedürfnisse.
In erster Linie betrifft das Gesetz Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten, aber auch kleinere Betriebe können einbezogen werden, vor allem in Regionen, wo diese eine ausschlaggebende Rolle im Wirtschaftsleben spielen. Die Repräsentanten der Arbeitnehmer, d. h. die Betriebsausschüsse und Vertrauensleute, erhalten danach vollen Einblick in den Informationsaustausch zwischen den Unternehmen und der Gesellschaft.
Ein entscheidendes Hindernis auf dem Weg zu mehr Rechten für die Arbeitnehmer soll zum 1. Juli dieses Jahres durch das neue Kün digungsschutzgesetz aus dem Weg geräumt werden. Von führenden Industriellen verdammt, von den Gewerkschaften begrüßt, wird es als das bedeutendste Werk der Arbeitsgesetzgebung in Schweden seit den dreißiger Jahren betrachtet. Es führt zu einer Verstärkung des gewerkschaftlichen Einflusses innerhalb der Volkswirtschaft und gegenüber den eigenen Mitgliedern. Der Grundgedanke des neuen Kündigungsschutzgesetzes („Trygghet i anställningen"), das sämtliche Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten betrifft, besteht darin, daß kein Unternehmen einen Beschäftigten entlassen darf, ohne gerechte und „objektive" Gründe anzugeben, und daß ältere Arbeitnehmer zuletzt entlassen werden („zuerst angestellt — zuletzt entlassen"). Strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, Rationalisierung innerhalb der Industrie, Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums und höhere Arbeitslosigkeit hatten das ohnehin seit langem umstrittene Kündigungsrecht der Arbeitgeber (vgl. § 32 der Satzung des SAF) noch fragwürdiger gemacht. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit wandte sich der Gewerkschaftsbund schließlich an die Regierung mit dem Ersuchen um eine Regelung auf dem Gesetzeswege, nachdem es sich als unmöglich erwiesen hatte, durch die traditionelle schwedische Methode in Tarifverhandlungen einen besseren Arbeitsplatzschutz zu erwirken.
Das Verhältnis der Sozialpartner, das über Jahrzehnte hinweg dadurch gekennzeichnet war, daß anstehende Probleme in gemeinsamem Einvernehmen gelöst wurden, ist in den letzten Jahren zu einer stärkeren Konfrontation umgeschlagen und hat zu verschärften Diskussionen um Machtfragen geführt Ein neues Problem von zunehmender Bedeutung dürfte entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen haben: das der multinationalen Unternehmen. Der Umstand, daß entscheidende Beschlüsse im Ausland gefaßt und Gewinne transferiert werden können, wenn es am vorteilhaftesten ist, und daß die Fabrikationsanlagen ins Ausland verlegt werden können, wenn die Eigentümer die gewerkschaftlichen, steuerlichen und sozialen Ansprüche an die Unternehmen für unvorteilhaft ansehen, erschweren die Situation erheblich. Die Gewerkschaften haben die Herausforderung erkannt und beginnen zu handeln. Sie stimmen mit den meisten anderen europäischen Gewerkschaften weitgehend darin überein, daß das wirtschaftliche Geschehen durch Mitbestimmung und Betriebsdemokratie — unabhängig von den Eigentumsverhältnissen — transparent gemacht und beeinflußt werden muß.
Rüdiger Bernd Wersich, geb. 1941, Studium in Frankfurt/Main, Tren-ton/New Jersey und München. Lehrtätigkeit in der Erwachsenenbildung in Schweden, wiss. Assistent im Deutschen Bundestag von 1969 bis 1972. Veröffentlichungen u. a.: Zeitschriftenaufsätze und Hörfunkmanuskripte zu zeitgeschichtlichen Themen Schwedens und der USA (Studium und Studienreform, Verhältnis Deutschland — Amerika seit dem Zweiten Weltkrieg).
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