Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

„Herrschaft des Geistes"? Wissenschaft im Konflikt zwischen politischem Führungsanspruch und demokratischer Legitimation | APuZ 27/1974 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 27/1974 Artikel 1 „Herrschaft des Geistes"? Wissenschaft im Konflikt zwischen politischem Führungsanspruch und demokratischer Legitimation

„Herrschaft des Geistes"? Wissenschaft im Konflikt zwischen politischem Führungsanspruch und demokratischer Legitimation

Michael Zöller

/ 61 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf dem Hintergrund der Streitfrage, ob „die unbestrittene Tatsache des politischen Versagens der deutschen Universitäten vor und während der Hitler-Diktatur" (Habermas) auf den „apolitischen“ Charakter einer „positivistischen" Wissenschaft oder auf eine sich politisch verstehende, „wertgebundene" Wissenschaft zurückzuführen sei, ob also die deutschen Universitäten wegen eines Mangels oder eines Übermaßes an Politisierung zu einer leichten Beute des Nationalsozialismus geworden seien, skizziert der vorliegende Beitrag für einen Zeitraum, der vom Entstehen der sogenannten „klassischen deutschen Universitätsidee" bis zur nationalsozialistischen „Hodischulerneuerung" reicht, die Auseinandersetzung um die politische Funktion der Wissenschaft und der Hochschulen. Von Fichtes Vorstellung einer durch die Gelehrten auszuübenden „obersten Aufsicht über den wirklichen Fortgang des Menschengeschlechts", der kulturpessimistischen Wissenschaftskritik, den „Ideen von 1914" und den Vorstellungen der expressionistischen Intellektuellen, der Opposition gegen Max Webers Forderungen und C. H. Beckers Hoch-Schulpolitik bis zu den Vorstellungen einer Mehrheit der Professoren und Studenten der zwanziger Jahre und bis zum frühen Sieg des NS-Studentenbundes wird dabei der Konflikt zwischen politischem Führungsanspruch der Wissenschaft und der Legitimität der politischen Führung dargestellt. Der Verfasser kommt zu dem Schluß, daß die Hochschulen sich gegenüber dem Ansturm der Nationalsozialisten nicht deshalb als wehrlos erwiesen, weil sie aus ihrem unpolitischen oder gar anti-politischen Selbstverständnis nicht zur Formulierung einer Gegenposition gelangten, sondern weil das Konzept einer nationalsozialistischen „Wissenschaft", die „dem Volke dient", erfolgreich die ohnehin vorhandenen Illusionen über die Funktionsweisen moderner Wissenschaften und die Sehnsucht nach einer politischen Führungsrolle der Hochschulen aufgreifen konnte.

1. Die Zulässigkeit des Vergleichs

Abbildung 1

Nicht erst seit dem Zwischenfall in der so-genannten Verfassungsdebatte, die der deutsche Bundestag zu Beginn dieses Jahres führte, ist die Frage aufgetaucht, ob es zwischen den heute an deutschen Hochschulen zu beobachtenden Tendenzen und der hochschulpolitischen Entwicklung zur Zeit der Weimarer Republik Parallelen gebe.

In der erwähnten Bundestagssitzung war der Abgeordnete Dregger, der einige Parolen des NS-Studentenbundes mit den Vorstellungen heutiger linksradikaler Gruppen verglichen hatte, von der amtierenden Präsidentin unterbrochen worden. Diese begründete ihre ungewöhnliche Intervention und die Aufforderung, der Abgeordnete möge „zur Sache zurückkehren", indem sie erklärte, sie halte „es nicht für richtig, solche Vergleiche mit NS-Zitaten hier herzustellen"

Schon in den vergangenen Jahren hatten Buchtitel wie „Hitlers und Maos Söhne" und vor allem das Stichwort „Linksfaschismus“ eine Auseinandersetzung über die Zulässigkeit derartiger Vergleiche entstehen lassen. Doch obwohl gegenüber historischen Vergleichen stets Vorsicht geboten ist, und ganz unabhängig auch von der neueren Diskussion um den Aussagewert des Totalitarismus-Begriffs, darf nicht übersehen werden, daß sowohl die offiziösen Verlautbarungen, die etwa in den ersten Nachkriegsjahren von den Rektorenkonferenzen abgegeben wurden, wie auch die Argumentation späterer „linker" Studentengruppen diesen Vergleich aus-drücklich suchten, da sie ihn für eine wirkungsvolle Untermauerung ihrer hochschulpolitischen Forderungen hielten.

Auch in den Auseinandersetzungen der sechziger Jahre machten beide Seiten wiederholt den Versuch, ihre jeweiligen Forderungen als die einzige Möglichkeit darzustellen, eine Wiederholung früherer Fehlentwicklungen zu vermeiden. So wurden unterschiedlichste Vorstellungen — das Verlangen nach Politisierung der Wissenschaft ebenso wie dessen Ablehnung — durch Hinweise auf ein entgegengesetztes Verhalten der Nationalsozialisten begründet. Diese Technik des histori-sehen Umkehrschlusses bringt es mit sich, daß die Berechtigung der jeweiligen politischen Position von der Richtigkeit des zugrunde gelegten historischen Urteils abhängig wird — ein Umstand, der den Vergleich zwischen der hochschulpolitischen Vorgeschichte der nationalsozialistischen Herrschaft und den gegenwärtigen Vorgängen geradezu erzwingt. Jürgen Habermas schreibt, „die unbestrittene Tatsache des politischen Versagens der deutschen Universitäten vor und während der Hitler-Diktatur" habe in der Nachkriegszeit „die Geister der Reform" auf den Plan gerufen Dies gilt insofern, als allgemeine Überein-stimmung darüber besteht, daß die Nationalsozialisten sich an den Hochschulen schon mehrere Jahre vor der „Machtergreifung" endgültig durchgesetzt hatten. Allerdings besteht in der Frage, worin das von Habermas angesprochene politische Versagen der deutschen Hochschulen bestand und worauf es zurückzuführen sei, durchaus keine Einmütigkeit. Wenn linke Studenten aufgrund ihrer Vorstellungen von „Positivismus" und „apolitischer“ Wissenschaft gewöhnlich argumentieren, eine „wertfreie“ Wissenschaft sei dem Nationalsozialismus als leichte Beute zugefallen, wenn sie, wie die Verfasser der soge-nannten SDS-Denkschrift „Hochschule in der Demokratie" davon sprechen, das Spezialistentum des Fachwissenschaftlers hindere ihn daran, „daß er als . Gewissen der Nation'diese vor politischen Fehlentwicklungen bewahrt" so bleibt dieser Erklärungsversuch eben keineswegs „unbestritten“. Ihm steht etwa die Meinung von Karl Jaspers entgegen der umgekehrt den Niedergang der Hochschulen der Weimarer Zeit auf ein Zuviel an Politisierung zurückführt. In einer Broschüre die bereits 1945 erschien, verwies Jaspers auf die „Erfahrung der beiden letzten schlimmen Jahrzehnte" und hielt es für erforderlich, „angesichts des Lärms, mit dem seit Jahrzehnten die von keinem ernsthaften Wissenschaftler je behauptete Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaften" bestritten werde, auf die Verführung zu verweisen, die aus der Betonung der Voraussetzungsgebundenheit wissenschaftlichen Arbeiten folge

Es liegt also nahe, sich auf die Auseinandersetzungen über die politische Rolle der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Institutionen zu konzentrieren, die auch den Gegensatz zwischen Karl Jaspers und den Verfassern der sogenannten SDS-Denkschrift ausmacht. Auch methodische Überlegungen las-san vermuten, daß in einer solchen Begrenzung der Fragestellung der Schlüssel zur Lösung des Problems in der Vergleichbarkeit vergangenen und gegenwärtigen Geschehens liegt. Steht nämlich die Frage nach der politischen Rolle der Hochschulen zur Debatte, so sind die umstrittenen Positionen der zwanziger Jahre nicht nur in eine Kontinuität der Diskussion gestellt, die bereits in die Jahrzehnte vor der Weimarer Republik zurückver weist, sondern es ist damit auch ein aufrecht-erhaltener Rahmen institutioneller und gesellschaftlicher Voraussetzungen genannt, der es gestattet, die seither eingetretenen Veränderungen als vergleichsweise unerheblich zu vernachlässigen.

Der politische Führungsanspruch der Wissenschaft von Fichte bis zu den „Ideen von 1914“

Im Sinne dieser thematischen Eingrenzung gilt es daher zunächst festzuhalten, daß die Forderung nach einer besonderen politischen Rolle der Hochschulen nicht erst als eines der* Krisensymptome im Niedergang der Weimarer Republik zutage tritt. Obwohl die zahlreichen Veröffentlichungen über die sogenannte „klassische deutsche Universitätsidee" diesem Aspekt, wenn überhaupt, nur geringe Aufmerksamkeit widmen so ist doch in den von Fichte, Schleiermacher, Humboldt und Steffens verfaßten Universitätsdenkschriften aus dem ersten Jahrzehnt des Neunzehnten Jahrhunderts die man wenig zutreffend oft unter dem Sammelbegriff der Humboldtschen Universitätsidee zusammenfaßt, eine, wenn auch nach Intensität und Tendenz unterschiedliche, gesellschaftskritische Grundstimmung festzustellen. Besonders bei Fichte, der als „Ziel der Gesellschaft" die „völlige Einigkeit und Einmüthigkeit mit allen möglichen Gliedern derselben" bezeichnet, verdichtet sich die Absicht, den Hochschulen eine politische Aufgabe zu stellen — was ihm zugleich als der erste Schritt zur „Gründung einer vollkommenen Gesellschaft"

erscheint —, zu der Vorstellung von einem „Gelehrtenstand", dem die „oberste Auisicht über den wirklichen Fortgang des Menschen-geschlechts“ zufallen soll

Neuere Versuche zur Umschreibung eines politischen Wissenschaftsbegriffs stellen sich daher auch, insoweit zu Recht, in die Tradition dieser Universitätsidee, weshalb etwa Jürgen Habermas in seinem Vorwort zu der bereits erwähnten SDS-Denkschrift schreiben kann: „Die Verfasser identifizieren sich mit dem, was die deutsche Universität einmal zu sein beanspruchte."

Daß die gesellschaftspolitischen Untertöne in dieser „klassischen" Universitätskonzeption ebenso übersehen wurden wie deren Tendenz, die Wissenschaft zu den Trägern der politischen Herrschaft in Konkurrenz treten zu lassen, dürfte nicht nur mit dem überlieferten Bild von der apolitischen Universität Zusammenhängen, sondern vor allem auch daraus zu erklären sein, daß der Zeitabschnitt, in dem die deutsche Universität durch die großen wissenschaftlichen Leistungen jenes weltweite Ansehen erreichte, von dem sie heute noch zehrt, in eine Epoche relativer Überein-stimmung mit den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und eines kaum in Frage gestellten Selbstbewußtseins der Wissenschaften fiel. Die Bismarck-Zeit stellt jedoch durch die Gleichzeitigkeit mehrerer Umstände in der neueren Geschichte des deutschen Hochschulwesens eher einen glücklichen Sonderfall dar. Die zum Optimismus verleitende stürmische Aufwärtsentwicklung der Naturwissenschaften, der Rechtshegelianismus und die dominierende Stellung der Historiker bewahrten auch die Geistes-wissenschaften für eine kurze Zeitspanne im großen und ganzen vor Identitätskrisen. Zudem erlaubte die gerade unter Professoren vorherrschende nationalliberale Einstellung einen grundsätzlichen Frieden mit dem politischen System.

Und doch kündigt sich schon in dieser Zeit die Auflösung der vorübergehenden Versöhnung mit der Wirklichkeit immer deutlicher an. „Versöhnung" und „Wirklichkeit" als zentrale Kategorien rechtshegelianischen Philosophierens und Rankescher Geschichtsschreibung wurden in Frage gestellt, indem der Neukantianismus wieder einen Gegensatz von Politik und Moral zugrunde legte und auch innerhalb der Geschichtswissenschaft, wie etwa die neuere Untersuchung von Michael Neumüller zeigt, eine durchgehaltene „linksliberale" Richtung von den national-liberalen Historikern nicht völlig verdrängt wurde. In dem Maße, in dem im Zeichen des Kulturpessimismus und der von den Neu-Kan-tianern in den Bereich wissenschaftlicher Fragestellungen gerückten Sozialprobleme die Legitimität der politischen und gesellschaftlichen Ordnung wieder deutlicher angezweifelt wurde, traten daher auch bald die kritischen Unterströmungen merklich hervor.

Unüberhörbar sind die Ankänge an Fichte, wenn etwa Fritz Stern darauf hinweist, daß Lagarde „der Reihe nach . . . Möglichkeiten einer Rettung in einer neuen Religion, einer neuen Staatsform, einem neuen Adel und einem neuen Erziehungssystem" gesehen habe Bei schwankender Hoffnung einmal auf das eine und dann auf das andere Mittel, blieb das Ziel immer das gleiche: die „Einheit Deutschlands“, und zwar die ideologische Einheit: „Unter Einheit Deutschlands", schrieb Lagarde, verstehe man „so gut wie immer die Einheit der politischen Leitung“, er aber „behaupte, daß man darunter die Einheit der Geleiteten zu verstehen hat" Lagarde zieht aus diesem Verlangen nach Identität die gleichen Folgerungen, die auch schon Fichte gezogen hatte: Man müsse die Vielfalt der Meinungen unterbinden — „Toleranz in der liberalen Auffassung des Wortes ist der Feind, den wir zu bekämpfen haben“ — und durch Erziehung einen eigenen Stand heranbilden, der geeignet sei, zur Verwirklichung der Einheit die Führung zu übernehmen. Daher verlangt Lagarde, daß man „mit wirklicher Bildung für wenige ... ernst macht" und dadurch „sich eine Klasse schaffe, welche, als beamtet von diesem Volke und für dieses Volk arbeitet und um dieser freiwilligen Arbeit willen angesehen, sich frei aus der Tiefe ergänzend, dereinst die Selbstverwaltung in die Hand nehmen könne."

Von dieser Vorstellung her entwickelte sich daher auch die Kritik der Kulturpessimisten an den Hochschulen, die am schärfsten in Julius Langbehns „Rembrandt als Erzieher" zum Ausdruck kam.

Erstmals tauchen hier unverhüllt jene wissenschaftspolitischen Forderungen auf, mit denen in Zukunft die Radikalen aller Schattierungen die nationale, völkische oder proletarische Identität, Lagardes „Einheit der Geleiteten", zu erreichen suchen. Langbehn bezeichnet es als das „Endziel der echten Wissenschaft..., Werturteile abzugeben", während es „das Endziel der falschen Wissenschaft" sei, „Tatsachen zu konstatieren"

So nennt er die „Objektivität..., welche alle Dinge als gleichwertig behandelt", als „genauso unwahr wie jene moderne Humanität, welche alle Menschen für gleichwertig erklärt". Entsprechend erscheint ihm „der Professor" als „die deutsche Nationalkrankheitund die „jetzige deutsche Jugenderziehung 1 als „eine Art bethlehemitischer Kindermord"

Langbehn gab der Jugendbewegung das Stichwort; „das neue geistige Leben der Deutschen" sei „keine Sache für Professoren“, sondern „eine Sache der deutschen Jugend, und zwar der unverdorbenen, unverbildeten, unbefangenen Jugend"

Die verbreitete Kulturkritik wurde schließlich als Ermunterung empfunden, der Universität wieder einen weitergehenden Auftrag zuzuschreiben. So schrieb Friedrich Paulsen 1902, es s. i die Aufgabe der deutschen Hochschulen, „in ihrer Gesamtheit etwas wie das öffentliche Gewissen des Volkes in Absicht auf Gut und Böse in der Politik" darzustellen Ähnliche Äußerungen finden sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts z. B. auch in den hochschulpolitischen Aufsätzen des Philosophen Theobald Ziegler oder des Philologen Alfred Hillebrandt. Beide Aufsätze erschienen in offiziösen Sammelbänden, die über das zeitgenössische Deutschland informieren sollten, nämlich in „Deutschland als Weltmacht“ und „Deutschland unter Kaiser Wilhelm II."

Besondere Bedeutung erhielt diese Auffassung von der politischen Aufgabe der Hochschulen durch den Ausbruch des Erstens Weltkrieges. Die jetzt offenbar werdende Übereinstimmung war so einhellig und trat so plötzlich hervor, daß dieser Umstand auch in ihrer Benennung als „Ideen von 1914" zum Ausdruck kam. Lübbe weist zwar zu Recht darauf hin, daß es „einen gelehrten Chauvinismus" damals in Frankreich ebenso gab wie in Deutschland und daß es „in der Konsequenz der nationalen Traditionen europäischer Philosophie des 19. Jahrhunderts eine gemeineuropäische Selbstverständlichkeit war, sich als Philosoph bei Ausbruch des Krieges in den Dienst der Nation zu stel-len" doch schwingen eben in der Kriegs-begeisterung der deutschen Professoren und Intellektuellen auch noch andere Motive mit.

Beruhte die Allgemeinheit der patriotischen Begeisterung gerade darauf, daß sogar Pazifisten wie Friedrich Wilhelm Foerster von Deutschlands Unschuld überzeugt waren der Krieg also eher als etwas empfunden wurde, das Deutschland zugestoßen war und nun eben durchzustehen sei, so wurde er doch wegen der zu erwartenden Auswirkungen auf die Rolle der Hochschulen und auf das gesamte geistige Leben von vielen anderen wie etwas lange Ersehntes begrüßt.

Die Kriegsbegeisterung war so allgemein und von so vielfältigem publizistischen Niederschlag, daß Woodrow Wilson beim Kriegseintritt Amerikas die deutschen Professoren „als die eigentlichen Urheber und die Hauptträger des deutschen Eroberungsdranges" bezeichnete

Ihren Höhepunkt erreichte die Kriegsbegeisterung der Professoren in der sogenannten . Seeberg-Adresse" vom 8. Juli 1915. Diese von 1341 Wissenschaftlern und Künstlern un-terzeichnete Denkschrift, die nach Hans Peter Bleuel auf einen Entwurf des Justizrates Heinrich Claß, des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, zurückging, enthielt die expansiven Kriegszielwünsche dieses Verbandes und forderte neben Annexionen den unbeschränkten U-Boot-Krieg. Sie bedeutete allerdings auch insofern den Höhepunkt in der Übereinstimmung unter den deutschen Professoren, als durch die Diskussion über die Kriegsziele nun eine Differenzierung der Meinungen begann.

Dennoch wirkten die Ideen von 1914 fort und verbanden trotz unterschiedlicher Motive und Vorstellungen im einzelnen die verschiedensten Richtungen. Diese Ideen, von Friedrich Meinecke als „Euthanasie" des bürgerlichen Zeitalters und des Idealismus bezeichnet und unter einem Begriff vereint, der ihre Situationsgebundenheit betont, stellen gerade deshalb eine Art geringsten gemeinsamen Nenner intellektueller Selbst-und Zeit-beurteilung dar, weil sich in ihnen die Vorstellungen verschiedener philosophischer und politischer Richtungen zusammenfinden. Als Bestandteile dieses gemeinsamen Nenners erweisen sich vor allem zwei Vorstellungen:

Zunächst wurde auf dem Hintergrund der Übereinstimmung mit der kulturpessimistischen Zeitkritik der Ausbruch des Krieges als Erlösung, als Zusammenbruch des Hinfälligen empfunden. Was der Philosoph Alois Riehl mit Pathos in die Formulierung gefaßt hatte: „Das ganze Volk war ergriffen von der Wahrheit und Wirklichkeit einer überpersönlichen, geistigen Macht" galt für den „Sozialisten" Plenge ebenso wie für den Neukantianer Natorp und andere bereits Genannte, so Eucken oder Troeltsch

Die entscheidende Übereinstimmung herrschte jedoch in dem Wunsch, aus dem Kriegserlebnis ein neues Gefühl für „Volksgemeinschaft“ entstehen zu sehen. Diese Vorstellung findet sich in gemäßigterer Form, d. h. als Hoffnung auf Integration der Arbeiterschaft und auf Zusammenarbeit zwischen den Parteien, vor allem bei den Anhängern Friedrich Naumanns. Bei anderen publizistisch engagierten Gelehrten jedoch nahm dieser Wunsch nach Einheit totalitäre Formen an. Plenge beispielsweise begeisterte sich an der Kriegswirtschaft und erhoffte sich aus ihr große Wirkungen auch über die Zeit des Krieges hinaus. Der Krieg habe den ersten wirklichen Zukunftsstaat gebracht, „denn der geschlossene Handelsstaat ist ein echter Idealstaat, von dem in der Geschichte des Sozialismus die Rede sein muß: die Utopie Fichtes". Das erhoffte Ergebnis nahm Plenge sogleich vorweg: „Der wirkliche Zukunftsstaat ist geboren..., der die Klasseninteressen durch das im Kampf bewährte Einheitsbewußtsein nicht beseitigt, aber durch eine höhere Idee überwindet.“ Solche Visionen beschwört auch Natorp, der die „Umwandlung, ja Neugründung des Staates" als das „große Anliegen der deutschen Philosophie" bezeichnete, und zwar eine Umwandlung, die sich* zum Ziele setzt, aus dem Staat einen „Organismus der Menschenbildung" zu machen. Ähnlich wie Plenge sprach er von einem „Sozialismus" nach dem Muster „unserer Heeresorganisation“, einem „Sozialismus ... vom Kaiser bis zum letzten Sozialdemokraten" überhaupt vollzog sich seit dem Beginn des Krieges eine Art Wiederentdeckung Fichtes, die reichen literarischen Niederschlag fand und schließlich zur Gründung einer Fichte-Gesellschaft führte, deren publizistisches Organ „Deutsches Volkstum" hieß. Die Forderung nach einer politischen Führungsrolle für die Wissenschaft, die bereits vor dem Weltkrieg als ein Symptom für die Legitimationskrise des Wilheiminismus hervorgetreten war, radikalisiert sich noch in der Situation des Zusammenbruchs der politischen Ordnung. So zeigte sich in der Novemberrevolution der negative Aspekt dessen, was Thomas Mann später als eine positive Auswirkung desselben Vorgangs, nämlich des entstandenen Legitimationsvakuums, schilderte. In seiner Rede „Von deutscher Republik“, die er 1922 zu Gerhart Hauptmanns sechzigstem Geburtstag hielt, rechnete er es der Demokratie als besonderes Verdienst an, „daß sie des Landes geistige Spitzen, nach Wegfall der dynastisch-feudalen, der Nation sichtbarer macht: das unmittelbare Ansehen des Schriftstellers steigt im republikanischen Staat, seine unmittelbare Verantwortlichkeit gleichermaßen, — ganz einerlei, ob er persönlich dies je zu den Wünschbarkeiten zählte oder nicht.“

3. „Der Geist König im Lande" — Novemberrevolution und intellektueller Aktivismus

Bei den Intellektuellen des expressionistischen Aktivismus jedoch wurde aus dem gleichen Zusammenhang eine gegen die Demokratie gerichtete Forderung nach der „Herrschaft des Geistes" abgeleitet.

Hugo Ball z. B. kritisierte zwar in seiner 1919 erschienenen „Kritik der deutschen Intelligenz" die Selbstüberschätzung der politisierenden Professoren und bezeichnete es als nicht verwunderlich, „daß der deutsche Gelehrte in seinem Dünkel und Größenwahn sich gedrungen fühlte, auch dort zu votieren, wo er nichts mehr verstand" Er meinte, „Schopenhauer hätte nicht Kriegskredite bewilligt" doch ging er zugleich in der Überspannung des Führungsanspruchs der Intelligenz noch wesentlich weiter als die akademischen Verfechter der Ideen von 1914. So forderte er eine „demokratische Kirche der Intelligenz ..., an die die Verwaltung der Heiligtümer und des Gewissens übergeht" 30

Ball will „die große Menge des Landes" von „seiner Intelligenz" unterschieden sehen, denn der Menge fehle es „an Überzeugung, an Sachlichkeit, an historisch bedingten Zielen und wohl an-Verantwortung", und aus diesem Mangel folge der Zwang zu „jener gütigen Konspiration der Geister . . ., jener Gemeinschaft der Auserwählten", die er auch an dieser Stelle als „die Kirche der Intelligenz'bezeichnet Auch Kurt Hiller hatte bereits 1916 geschrieben, „der gestrige Geist" habe „seine Ohnmacht reichlich verdient", da ei „reflexiv und bloß Schöngeist" gewesen sei. „In welchen intellektuellen Schädel", so fragte Hiller damals, „ging denn die Möglichkeit, daß Geist einen anderen Zweck hätte, als den seiner selbst Und er befand: „Wer betrachtet, bewirkt nicht."

Zu wirken bedeutete aber dem jetzt immer stärker hervortretenden intellektuellen Aktivismus alles. Diese Tendenz kam schon in den Titeln einflußreicher Zeitschriften zum Ausdruck. Seit 1909 erschien die Monatsschrift „Die Tat", seit 1911 die von Franz Pfemfert gegründete Wochenschrift „Die Aktion". Ab 1916 kamen die von Kurt Hiller herausgegebenen Jahrbücher „Das Ziel“ hinzu. (Das erste dieser Jahrbücher trug den Titel „Das Ziel. Aufrufe zu tätigem Geist", während die ab dem Jahre 1919 erscheinenden Ausgaben den Untertitel „Jahrbücher für geistige Politik" erhielten.) Schließlich gab 1919 Alfred Wolfenstein noch „Die Erhebung.

Jahrbuch für neue Dichtung und Wertung"

heraus

Die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen „linkem" und „rechtem" Aktivismus geht dabei weit über Äquivokationen hinaus.

Dies zeigt sich etwa auch an Wolfgang Rothes Einleitung zu einem Sammelband, in dem („linke") aktivistische Texte aus der Zeit zwischen 1915 und 1920 wieder abgedruckt wurden Rothe weiß keine bessere Unterscheidung einzuführen, als daß er „die rationale Variante der Linken, bei der die rettende Tat aus der Besinnung resultiert", gegen eine „irrationale der Rechten“ hält, „für welche die Tat ein blinder Akt des Dreinschlagens" sei

Es mag offenbleiben, ob Rothe bessere Kriterien zur Unterscheidung hätte benennen können oder ob eine klare Differenzierung nicht möglich ist. Von einem linken Aktivismus zu reden, ist allerdings berechtigt, soweit die Selbsteinschätzung der in den Jahren 1918 bis 1920 vorherrschenden Aktivisten zur Debatte steht, denn diese empfanden sich tatsächlich fast ausschließlich als Sozialisten.

Daher führte der aufbrechende Aktivismus in diesen Kreisen auch zu einer Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie und mit dem „wissenschaftlichen Marxismus“ Kautskys, denn diese deterministische Spielart des Marxismus ließ nirgendwo einen nicht schon von den Zwangsläufigkeiten der ökonomischen Entwicklung ausgefüllten Freiraum, so daß für Spontaneität und Initiative — und damit auch für den Führungsanspruch von Intellektuellen — in dieser Lehre kein Platz war. So führt Ludwig Rubiner in einem Aufsatz, der unter dem Titel „Die Änderung der Welt" im ersten Band des Jahrbuchs „Das Ziel" er-schien, auf diesen Marxismus „die Erfolglosigkeit der internationalen Sozialdemokratie" zurück: „Die Erfolgslosigkeit .. kommt vom Marxismus, von der Evolutionstheorie, von der Beruhigungslehre: die menschliche Gesellschaft gleite durch gradweises Hineinwachsen in den neuen Sozialismus

Auch Gustav Landauer legte 1919 in seinem „Aufruf zum Sozialismus" vor allem Wert auf individuelle Aktionsmöglichkeiten, weshalb er hervorhebt: „Für uns sind die Träger der Geschichte Personen und für uns gibt es auch Schuldige." Der Marxismus dagegen sei „der Philister und darum der Freund des Massenhaften und des Breiten“

So schien im Augenblick der Räteherrschaft auch der Zeitpunkt gekommen, die Vorstellungen von einer Herrschaft des Geistes, die sich damals vor allem bei der Intelligenz außerhalb der Hochschulen artikulierten, in Form von politischen Forderungen zu präsentieren. Die intellektuellen Aktivisten setzten dabei auf eine qualitative Veränderung der Demokratie und des Erziehungswesens. „Demokratie“, sagte etwa Kurt Eisner, „heißt nichts weiter, als alle Kräfte entbinden, frei machen, jedem den Weg seiner inneren Fähigkeiten öffnen" und „setzt vor allem voraus auch eine vollständige Umgestaltung unseres ganzen Schul-und Erziehungswesens." Bei Kurt Hiller heißt es entsprechend: „Erziehung also bleibt auch künftig ein wichtiges Mittel; allerdings keine Mucker-Erziehung zu Demut und diversen Enthaltsamkeiten (so z. B. vom Geiste), sondern Erziehung zur Aktivität. Erziehung der Jugend, Erziehung des Volkes; durch Schule, Hochschulen, Wanderred-ner"

Freilich konnte man die Ergebnisse einer solchen veränderten Erziehung nicht abwarten, so daß es darauf ankam, zur Herbeiführung der gewünschten Veränderungen eine gesellschaftliche Gruppe zu benennen, die gewissermaßen interimistisch die Rolle des darauf nicht vorbereiteten demokratischen Subjektes übernehmen könnte — und wie entschlossene, von ihrer Mission überzeugte Gruppen das Problem ihrer mangelnden Legitimation überspielen könnten, lag zu Zeiten der Räteaktivität greifbar nahe.

November Bereits am 10. 1918 hatte sich in Berlin unter der Führung Kurt Hillers ein „Rat geistiger Arbeiter" im Reichstag etabliert. Zu dessen Forderungen gehörte unter anderem die Abschaffung des Abiturs, die Wahl der Professoren durch die Studenten sowie unbeschränkte politische Aktionsfreiheit in den Hochschulen. Außerdem sollten „Preßgerichtshöfe zur Aburteilung Jedes unanständigen journalistischen Aktes" geschaffen und der „Rat geistiger Arbeiter" in den Rang einer ständigen Institution gehoben werden. Hiller bezeichnete die Position des Rates als „links über den Parteien" Wolfgang Rothe berichtet, daß der „Rat geistiger Arbeiter" dem „Vollzugsrat der Berliner Arbeiter-und Soldatenräte" seine Mitarbeit angeboten habe, wobei er „keineswegs , . , bereits eine Regierungsübernahme durch die geistig Besten verlangt" habe, weshalb Rothe auch keinerlei Verständnis dafür aufbringt, daß die geistigen Arbeiter „mit der faden Empfehlung beschieden" wurden, Berufsverbände zu gründen und pro tausend Mitgliedern einen Delegierten zu entsenden. Zumindest anderen Räten gegenüber besaß der „Vollzugsrat der Berliner Arbeiter-und Soldaten-räte" also offenbar ein scharfes Auge für mangelnde Legitimation. Rothe allerdings sieht darin noch 1969 ein „heute .. . wie vor fünfzig Jahren“ zu erkennendes Indiz für die „Geistferne der kleinbürgerlichen Sozialdemokraten und das Mißtrauen der Kommunisten gegenüber dem geistigen Typus"

Von kaum größerem wirklichen Einfluß war der Berliner „Gesamtdeutsche Aktivistenkongreß“, der im Juni 1919 tagte, doch trug er seine Forderung nach Beteiligung an der Macht wesentlich selbstbewußter und konkreter vor. In einer Resolution hieß es: Das demokratisch-parlamentarische System lehnen wir ab.“ Als Begründung für diese Ablehnung wurde angegeben, daß „die politische Gleichberechtigung jedes mit jedem, zum Beispiel des Ausbeuters mit dem Ausgebeuteten oder des Bildungsphilisters mit dem Kulturrevolutionär . . ., ein Axiom“ sei, „das nur dazu dient, die Umwandlung der bestehenden Gesellschaftsordnung in eine hinauszögern vernünftige “. Die formale Demokratie gleichen Rechts für alle wurde als „grundsätzliche Diktatur der Mehrheit“ bezeichnet und damit verworfen. Die Forderung hieß statt dessen „wirtschaftspolitische Diktatur derer, die durch ihre Arbeit die materiellen Werte schaffen", und „kulturpolitische Diktatur derer, deren revolutionäres Schöpfertum die kulturellen Werte hervorbringt". Beides zusammen sollte zur „Einführung des reinen Rätesystems" führen und dieses sollte auf „Wirtschaftsund Kulturräten“ beruhen Freilich gab es auch nüchterne, warnende Stimmen, die, wie Gustav Landauer in einer „Ansprache an die Dichter", vor der umlaufenden Idee warnten, „den Dichter... schlechtweg zur Führung der allgemeinen Volksangelegenheiten" zu berufen. Landauer hielt es für richtiger, „daß der Dichter als einer unter vielen, als Mensch unter Menschen zu den Beratungen seiner Gemeinde und seines Volkes geht". Eine besondere, institutionalisierte Form des Einflusses der Intellektuellen lehnte er ab, denn blieben sie unter sich „und bildeten als neuer Schaum und Adel einen Senat über den Delegierten der Hefe oder des Volks, so wäre das ein Herrenhaus, das sich den Namen Tollhaus bald und billig verdient hätte"

Vielen anderen aber stand damals tatsächlich der Sinn nach einer solchen Einrichtung; und es war wiederum Hiller, der die Forderung formulierte, indem er unter Berufung auf Platon die Einführung einer Herrschaft des Geistes verlangte, die „Schaffung eines mit gesetzgebender Gewalt ausgestatteten deutschen Herrenhauses, das aus den geistigen Führern der Nation bestünde“

Diese mußten nur den Willen zur Macht aufbringen, weshalb Hiller an sie appellierte: „Angehörige der Partei des deutschen Geistes! Nun oder nie wird euch zufallen, was ihr so lange erstrebtet: die Macht. Der Geist — Herr im Volk; diese zu segnende Lage, durch Menschenalter ein schmerzlicher Traum, wird morgen lebendigste Gegenwart sein — falls ihr nur wolltet* —, und der neue Abbe Sieys schließt seinen Appell mit der Formel:

Was war der Geist gestern? Einer Arbeitsgruppe unwirksame Besonderheit. Was muß er morgen werden? König im Landei“

Die Frage nach der Legitimation einer solchen Herrschaft des Geistes erschien Hiller schon dadurch beantwortet, daß der „geistige Mensch ... Funktion des Volkes“ sei. „In ihm werden dem Volke seine Nöte bewußt, in ihm denkt es" und daher kann das Volk „gar nicht anders wollen, als daß er Herr sei."

Wichtiger als die Legitimationsfrage war den aktivistischen Intellektuellen die Einheitlichkeit der Partei des Geistes.

Diese „Pflicht geschlossenen Auftretens nach außen gebiete den Verbundenen zwar keineswegs, ihre Grenzen gegeneinander zu verwischen; aber es wäre schon Verrat, wenn einer etwa im Feuilleton einer Tageszeitung den Expressionismus, selbst mit treffenden Gründen, verulkte"

Außerdem mußte die Einheit der „Geistigen“ ergänzt werden durch ihren Monopolanspruch auf jene Einrichtungen, die sich zur Beeinflussung der Öffentlichkeit eigneten und damit als die gegebenen Instrumente einer Herrschaft des „Geistes“ erschienen. Ganz im Sinne der Resolutionen des „Aktivistenkongresses" und des „Rates geistiger Arbeiter" forderte daher Hiller auch in diesem Zusammenhang die „Eroberung der Zeitungen, die nicht länger Inseraten-Unternehmungen bleiben dürfen, abhängig von den armseligen Neigungen des Kretins, der sie liest, und den schmierigen des Jobbers, der sie leitet“. Vielmehr sollten die Zeitungen, „dem Kapital entwunden", zu „Werkzeugen der Erziehung werden", und zwar der „Erziehung des Volkes durch den Geist zum Geist" Besonders aber die Hochschulen sollten gegen Einwirkungen immunisiert werden, die sich der Steuerung durch die „Geistigen" entziehen, vor allem also „gegen den entgeistigenden Einfluß handwerklich-utilistischer Disziplinen". Nur so komme es in der Hochschule zur „Freilegung des wirklich Geistigen..., das fast überall unter Haufen positivistischen Schuttes begraben“ liege, und nur so verwandle sich die Universität „aus einer Fabrik, die dem Staat Beamte, Advokaten, Geburtshelfer liefert, in eine Anstalt zur Aufzucht von Platonikern, in eine echte Hochschule und Hochburg des Geistes“

Die Wirkung der intellektuellen Aktivisten fiel vor allem in die Zeit zwischen Novemberrevolution und Kapp-Putsch, obwohl ihre Ideen im wesentlichen schon während der Kriegsjahre formuliert worden waren und auch in den späteren Jahren der Weimarer Republik in kleinen intellektuellen Zirkeln weiterwirkten. Doch der Höhepunkt lag zweifellos in jenen zwei aufgeregten Jahren zwischen dem Kriegsende und der Konsolidierung der Weimarer Republik. In dieser Zeit mochte es scheinen, als ob nun der rechte Moment gekommen sei, überfälliges in Angriff zu nehmen.

Diese Situation, in der die staatliche Macht auf der Straße zu liegen schien, brachte es daher auch mit sich, daß die Aktivitäten der politisch engagierten Professoren und Studenten gerade jetzt außerhalb der Hochschulen stattfanden oder zumindest nicht primär die Auseinandersetzung und den Auftrag der Hochschulen betrafen. In der kulturpessimistischen Einstimmung, in dem Versuch, die Hochschulen vor der Praxisorientierung zu bewahren, und schließlich auch in der Tendenz zu einem politischen Führungsanspruch des „Geistes" gab es zwar manche Gemeinsamkeiten zwischen den Auffassungen der aktivistischen Intellektuellen und denen vieler politischer Professoren, doch herrschte damals der Eindruck des Unvereinbaren vor: Die in der übergroßen Mehrzahl antisozialistisch orientierten Professoren lehnten die Revolution ab und die aktivistischen „Revolutionäre“ unter den Intellektuellen machten die Professoren für „den positivistischen Schutt" über dem „wirklich Geistigen" verantwortlich. Ähnliches gilt auch für die Studentenschaft. In Berlin bildete sich zwar ein „revolutionä-rer Studentenrat“, der sich an der Gründung des „Rates der geistigen Arbeiter“ beteiligte und in München soll sich der Anführer der dortigen revolutionären Studenten als ein echter Schüler Hillers erwiesen haben („Das Volk hat nichts zu wollen. Es hat zuerst zu begreifen. Dasselbe gilt von dieser Universität. Was die Mehrheit der Studenten will, geht uns einen Dreck an .. doch fanden diese revolutionären Studenten bei ihren Kommilitonen kaum Resonanz.

Obwohl Hans Zehrer meint, „diese Generation kam sozialistisch nach Hause, nicht zuletzt, weil sie in einer Gemeinschaft auf Tod und Leben zutiefst das soziale Unrecht gespürt . . . hatte" darf man doch im Sinne von Arnold Bergstraesser eher annehmen, daß das Fronterlebnis bei dieser jetzt an die Hochschulen zurückkehrenden Studentengeneration eine Einstellung nach Art der „sozialen Volksgemeinschaft" Friedrich Naumanns hinterlassen hatte, oder daß die Stimmung, die Zehrer als „sozialistisch" bezeichnet, mehr mit jener Vorstellung von „Volksgemeinschaft" gleichzusetzen ist, wie sie den „Ideen von 1914" zugrunde lag. Daß die Mehrheit dieser Studenten antisozialistisch eingestellt war, bestätigt auch Jürgen Schwarz, der in seiner materialreichen Untersuchung „Studenten in der Weimarer Republik" darauf hinweist, daß die Studenten der ersten Nachkriegszeit ihre sozialen Folgerungen aus dem Fronterlebnis mit nationaler Gesinnung vereinbarten und „Sozialismus und Revolution für die Zustände in der Heimat verantwortlich machten"

Die Studentenräte jedenfalls stießen bei der Mehrheit der Studenten nicht auf Sympathie, so daß eine Vollversammlung der Münchner Studentenschaft 1919 einstimmig eine Resolution verabschiedete, in der gefordert wurde, „sich auf den Boden des demokratischen, freien Deutschland zu stellen, jede Gewaltanwendung von rechts oder links zu verurteilen und die baldige Einberufung der demokratischen Nationalversammlung" durchzusetzen.

Die Ideen der aktivistischen Intellektuellen blieben also bei Studenten und Professoren wegen der vorherrschenden antisozialistischen Einstellung ohne Widerhall. Man nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, daß die Novemberrevolution sich als Episode erwies, was freilich noch keine positive Einstellung zur neuen Republik bedingte. Eine Äußerung wie die des Mediziners Alfred Grotjahn: „die Novembertage brachten keinen Umsturz, sondern einen Absturz, bei dem die Rechtsozialisten das Sprungtuch hielten, um die noch brauchbaren Stücke des Staatswesens aufzufangen" behielt Seltenheitswert. Vor allem aber veranlaßten die Erfahrungen mit der Novemberrevolution die politisierenden Professoren und Studenten offenbar nicht dazu, diese Episode zugleich auch als eine Probe auf die „Ideen von 1914" und ihre eigenen Vorstellungen von einer konfliktfreien Volks-gemeinschaft unter Anleitung der Gelehrten zu verstehen. Die Alternative zwischen der Anerkennung von Konflikten und formalen Vorkehrungen zu deren geregelter Austragung einerseits und der gewaltsamen Herstellung identitären Bewußtseins andererseits wurde nicht erkannt. Wer, wie Max Weber, zur Vernunft mahnte, der fand in den Hochschulen auch nach 1920 kaum Zustimmung. Das vorherrschende Verlangen nach einer herausgehobenen politischen Rolle der Hochschulen stand dem Versuch entgegen, die Funktionen der Wissenschaft realistisch zu beschreiben und von denen der Politik zu unterscheiden.

4. Der Streit um Max Webers Thesen und die Hochschulpolitik der neuen Regierung

In einem Vortrag mit dem Titel „Vom inneren Beruf zur Wissenschaft“ hatte Max Weber die Forderung formuliert: „Politik, gehört nicht in den Hörsaal" Dieser Anspruch richte sich nicht nur an die Studenten, sondern auch an den Dozenten, und zwar besonders dann, „wenn er sich wissenschaftlich mit Politik befaßt", denn die „praktischpolitische Stellungnahme" und die wissenschaftliche Analyse politischer Gebilde seien eben „zweierlei"

Max Weber nannte nicht nur Gründe der praktischen Klugheit und der Rücksicht auf den inneren Frieden der Hochschulen, sondern er verwies vor allem darauf, daß eine wissenschaftliche Rechtfertigung praktischer Stellungnahmen unmöglich sei“ Dies deutete er in dem genannten Vortrag mit der Bemerkung an, er wisse nicht, wie man es machen wolle, „wissenschaftlich zu entscheiden zwischen dem Wert der französischen und deutschen Kultur" Eine eingehende Begründung enthält sein Aufsatz „Der Sinn der . Wertfreiheit'der SozialWissenschaften“ Dort schreibt er einleitend, an dem von ihm in die Debatte eingeführten Begriff des Werturteils habe sich „unendliches Mißverständnis und vor allem terminologischer, daher gänzlich steriler Streit" entzündet, der „zur Sache gar nichts austrägt" Schließlich habe er nur „die an sich höchst triviale Forderung" aufgestellt, daß der Wissenschaftler die Feststellung empirischer Tatsachen und deren Wertung auseinanderhalten möge. Max Weber möchte dabei auch nicht den voraussehbaren Einwand gelten lassen, daß etwa Sozial-und Geisteswissenschaften es im Unterschied zu den Naturwissenschaften und ihrem toten Material mit deren Menschen stets und wertenden Objektivationen und Verhaltensweisen zu tun hätten. Er setzt daher die Beob-achtung eines „wertenden Verhaltens“ der Feststellung jeder anderen Tatsache gleich und richtet an sie dieselbe Forderung

Außerdem könne man gerade an jenen wertenden Schlußfolgerungen, welche gewöhnlich als Beispiel für die Notwendigkeit von Werturteilen herangezogen würden, nämlich an politischen Empfehlungen, die Wertlosigkeit solcher Äußerungen belegen. Sobald nämlich aus der wissenschaftlichen Aufarbeitung eines bestimmten Problemkreises Ergebnisse in Form von konkreten Handlungsanweisungen (etwa für sozialpolitische Maßnahmen) erwartet würden, zeige sich regelmäßig, daß die Wissenschaft bestenfalls helfen könne, alternative Methoden deutlicher herauszustellen und die jeweiligen Nebenwirkungen bis zu einem gewissen Grade vorauszusagen. „Schon so einfache Fragen aber, wie die: inwieweit ein Zweck die unvermeidlichen Mittel heiligen solle, wie auch die andere: inwieweit die nicht gewollten Nebenerfolge in Kauf genommen werden sollen, wie vollends die dritte, wie Konflikte zwischen mehreren . . . kollidierenden . . . Zwecken zu schlichten" wären — solche Fragen seien „ganz und gar Sache der Wahl und des Kompromisses"

Gilt dies für die mangelnde Umsetzbarkeit angeblich wissenschaftlich fundierter Wertungen, also für die Unfähigkeit der Wissenschaften, politische Fragen zu entscheiden, so tritt außerdem eine Entwicklung innerhalb des wel Bereichs der Wissenschaften hinzu, -che diesen Umstand noch verstärkt, nämlich die Spezialisierung als Folge der allgemeinen „Intellektualisierung" und „Rationalisierung" sämtlicher Lebensbedingungen. Man habe schreibt sich klarzumachen, Max Weber, „daß die Wissenschaft in ein Stadium Spezialisierung eingetreten ist, wie es früher unbekannt war, und daß dies in alle Zukunft so bleiben wird" Er erläutert an einem Beispiel, was diese Spezialisierung bedeutet. Wer die Straßenbahn benutze, wisse über de-* ren Funktionieren nichts und besitze damit eine geringere Kenntnis von seinen Lebensbedingungen „als ein Indianer oder Hottentotte", der die Herstellung aller von ihm benutzte Werkzeuge kennt.

Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung „bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hin-einspielen ... Das aber bedeutet: Die Entzauberung der Welt“

Freilich hat nun diese „Entzauberung" der Lebensbedingungen, was die Wertung ihrer Bedeutung angeht — ein Beispiel für Webers Warnung vor „wissenschaftlichen" Werturteilen —, durchaus zwei Seiten, je nach dem, wie man auf Grund subjektiver Gewichtung die Akzente setzt. Sie führt zum einen dazu, daß „die letzten und sublimsten Werte“, wie Weber selbst es formuliert, „zurückgetreten sind aus der Öffentlichkeit, entweder in das hinterweltliche Reich mystischen Lebens oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zueinander“

Zum anderen jedoch macht die Entzauberung die Lebensbedingungen verläßlicher, weil berechenbarer, solange auch andere sich sachgerecht verhalten, das heißt, man kann sich auf das Funktionieren der Straßenbahn verlassen, solange die Konstrukteure und das Bedienungspersonal ihrer Spezialistenrolle gerecht werden.

Welche dieser beiden Tatsachen, den Verlust an Unmittelbarkeit oder den Gewinn an persönlicher Freiheit, man schließlich als ausschlaggebend zur Wertung der von Max Weber geschilderten Entwicklung beurteilen wird, steht dahin und wird auch nichts daran ändern, „daß Wissenschaft heute ein fachlich betriebener Beruf ist.. und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen spendende Gnaden-gabe". Dies ist, wie Max Weber schreibt, „eine unentrinnbare Gegebenheit unserer hi-storischen Situation" weshalb, wer immer dazu neigt, die eingetretene Entwicklung als einen Verlust zu beurteilen, dennoch keine „andere" Wissenschaft wird betreiben können. Es ist daher völlig unerheblich, wenn geltend gemacht wird, auch Webers Forderung nach Werturteilsfreiheit stelle sich als Werturteil dar. Für derartige Einwände gilt Rene Königs Feststellung, es sei deprimierend zu beobachten, „daß ausnahmslos alle von Max Weber erwähnten Mißverständnisse heute noch genauso lebendig sind, wie vor mehr als einem halben Jahrhundert" Die Alternative besteht nämlich nicht in einer wie immer zu bestimmenden „anderen" Wissenschaft, sondern gegebenenfalls darin, von der Wissenschaft überhaupt Abstand zu nehmen. Dies auch macht den Sinn und die Berechtigung jener Empfehlungen aus, die Max Weber als Zynismus ausgelegt wurden. So wenn er schrieb: „Wer dies Schicksal der Zeit nicht männlich ertragen kann, dem muß man sagen: Er kehre lieber schweigend ... in die weit und erbarmend geöffneten Arme der alten Kirchen zurück“ — eine Entscheidung, die nach Webers Auffassung immer noch „höher ... steht. .. als jene Kathederprophetie, die sich darüber nicht klar ist, daß innerhalb der Räume des Hörsaals nun einmal keine andere Tugend gilt als eben: schlichte intellektuelle Rechtschaffenheit"

Mit oder ohne Zustimmung zu Max Webers eher positiver Bewertung des neuzeitlichen Entzauberungsprozesses, und zugestanden auch, daß die Forderung nach Werturteilsfreiheit ihrerseits ein wertendes Postulat ist, gilt deshalb unabhängig von der Wertung: „Wer Schau wünscht, gehe ins Lichtspiel..., wer Predigt wünscht, gehe ins Konventikel" Die Reaktionen auf Max Webers Forderungen waren um so ablehnender, als er ja nicht nur gefordert hatte, die Politik aus dem Hörsaal zu verbannen, sondern mit seiner Wissenschaftssoziologie den Glauben an die Führungsrolle der Wissenschaft und der Intelli-genz al» Illusion — und damit deren weitere Propagierung als Ideologie — dargestellt hatte. So nahm Erich v. Kahler schon im Titel eines seiner Bücher Bezug auf Max Weber. In . Der Beruf als Wissenschaft“ beklagte er, daß die »alte Wissenschaft in ihrem menschlichen Sinn erschüttert" sei. Er selbst fordert daher eine „nicht bloß denkende Wissenschaft“, die „aufsteigt aus der seelischen Mitte, dem Innersten ..., welche eine eindeutige Fähigkeit, sich mit seinem Schicksal zu berühren, ausdrückt, und nicht eine Anhäufung von Kenntnissen" Kahler brachte die Ressentiments gegen Webers Wissenschaftstheorie zum Ausdruck, indem er ihm vorwarf, eine ursprüngliche Konsensfähigkeit des Volkes zu negieren und statt dessen „das lebendige Volk in starre Parteiprinzipien" zu zertrennen bzw. dies auch noch „als legitim" anzuerkennen. Weber spalte sogar noch „die lebendige, menschliche Person in begrifflich heterogene, für immer feststehende Typen der reinen Funktion, wie den Lehrer und den Führer"

Die Kritik reagierte also ganz so, als ob Max Weber nicht lediglich längst eingetretene irreversible Entwicklungen geschildert, sondern sich diese als Postulate ausgedacht habe. Nur unter dieser Voraussetzung konnte denn auch weiterhin den Hochschulen die Aufgabe zugewiesen werden, ein geschlossenes Weltbild zu vermitteln und ideologische Identität herzustellen. In diesem Sinne meinte Ernst Krieck: „Entweder ist Bildung in allen ihren Ausstrahlungen eine innere, organische Einheit, einem einheitlichen Weltbild entspringend, oder sie ist gar nicht." Eine Wissenschaft, die nicht den „ganzen Menschen, auch die Kräfte des Gemüts und Willens formend“ durchdringe, sei „tot und unnütz". Künftig dürfe daher die Wissenschaft nicht mehr „in abstrakter Abgelöstheit von den entschiedenen Lebenswerten, von Bildungsziel und Ethos der Volksgemeinde existieren, denn auch „der wissenschaftliche Schöpfer" sei „nur denkbar im Zusammenhang des Gemeinschaftsethos, aus der Verwurzelung im Volkscharakter"

In ähnlichem Sinne äußerte sich auch Rudolf Smend, wenn er die Ansicht vertrat, Wissenschaft habe „in der geistigen Totalität, die als sinngebende Voraussetzung für die wissenschaftliche Arbeit gewonnen werden muß, letzte Richtlinien und Wertschätzungen auch für die Politik aufzuweisen"

An derartigen Ansprüchen gemessen mußte allerdings die Hochschulpolitik der neuen Regierung wie Verrat an der Wissenschaft erscheinen. Die Regierung achtete auf politische Neutralität der Erziehungsinstitutionen und das „Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“ unter Konrad Haenisch brachte dies bereits in einem der soge-nannten Novembererlasse, einem vom 27. November 1918 datierten Rundschreiben, an die Lehrer der höheren Schulen zum Ausdruck.

Jeder habe in dem neuen Staat „völlige Freiheit der Überzeugung und Meinungsäußerung", hieß es in diesem Rundschreiben, doch sei selbstverständlich zu verlangen, „daß die genau umschriebenen Pflichten seiner beruflichen Tätigkeit von dem Beamten treu erfüllt werden ohne Einmischung persönlicher politischer Leidenschaften". In der letzten Zeit sei davon häufig abgewichen worden, was man „der Aufregung dieser Tage" zuschreibe und daher auf sich beruhen lassen wolle. Von jetzt an werde jedoch erwartet, „daß fortan der Unterricht wieder durchaus im Geist wissenschaftlicher Objektivität erteilt und nicht dazu mißbraucht werde .. ., Streitfragen des Tages zum Austrag zu bringen, und dies obendrein mit der Autorität des Lehrers"

So wenig revolutionär derartige Grundsätze waren, in denen nur demokratische Selbstverständlichkeiten festgehalten wurden, so konnte es doch angesichts der breiten Ablehnung, auf die Max Weber gestoßen war, nicht verwundern, daß diese Kulturpolitik den Widerstand der Hochschulen fand. Haenisch stellte zudem auch das Selbstverständnis der Hochschulen in Frage, wenn er in einem weiteren Erlaß vom 17. Mai 1919 feststellte, die Hochschulen dienten „nicht nur der wissenschaftlichen Forschung und Lehre", sie seien dane-ben „auch Ausbildungsstätten für die verschiedenartigsten Staatsbeamten und freien Berufe“. Neben dem eigentlich wissenschaftlichen Bereich gebe es „von Zeit und Umständen abhängige, also wandelbare ... Aufgaben, für die ein Mitbestimmungsrecht der Verwaltungsorgane außer Zweifel“ stehe. Die Freiheit der Wissenschaft sei „nicht bedroht", wenn der Staat sich darum kümmere, „ob die bei der Ausbildung seiner künftigen Diener angewandten Methoden auch wirklich Schritt halten mit den veränderten Ansprüchen einer neuen Zeit“ Haenisch wollte also darauf hinweisen, daß die Hochschulen auch öffentliche Einrichtungen seien, denen der demokratische Staat Aufgaben übertragen kann und denen gegenüber er nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, die Interessen der durch ihn repräsentierten Gesellschaft zu vertreten. Im übrigen betonte der Erlaß unzweideutig: „Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei und sollen frei bleiben."

Haenisch war allerdings mit den Hochschulen und der akademischen Mentalität nicht vertraut und bewies in einigen Berufungsfragen keine glückliche Hand, was zu dem Begriff „Revolutionsprofessoren" führte

5. C. H. Beckers Hoffnung auf eine neue Studentengeneration

Haenischs Staatssekretär C. H. Becker, einem angesehenen Ordinarius der Orientalistik, konnte jedoch weder mangelnde Vertrautheit mit den Hochschulen vorgeworfen werden noch ließ seine Einstellung eine Berufungspolitik unter parteipolitischen Aspekten erwarten. Beckers Schriften zur Hochschulpolitik zeigen sogar eine recht weitgehende Übereinstimmung mit der Mehrheit seiner Professorenkollegen und eine eher konservative hochschulpolitische Grundeinstellung.

Becker hielt es für den entscheidenden Fehler des untergegangenen Reiches, „daß man das Sorgen für die Einheit des Reiches dem Militarismus überließ" In seinen „Gedanken zur Hochschulreform heißt es: „Wir sind nicht nur mit den Waffen geschlagen, wir sind in unserer moralischen und geistigen Struktur erschüttert." Becker propagierte daher eine „Einigung durch bewußte Kultur-politik" und hoffte, das „gemeinsame Streben nach Bildung" werde „uns helfen, die sozialen Klüfte zu überbrücken, alle Volksklassen wie auf heiligem Land zur Zusammenarbeit und damit zum gegenseitigen Verständnis zu verbünden". Wenn dies gelinge, dann könnten „unsere Hochschulen reichen Segen spenden an alle Schichten des Volkes und im Leben der Nation eine führende Stellung einnehmen wie nie zuvor“

Freilich dachte Becker nicht daran, nach dem Muster der politisierenden Professoren oder aktivistischen Intellektuellen einem politischen Führungsanspruch des Geistes das Wort zu reden, doch zieht sich durch seine programmatischen Äußerungen zur Hochschulpolitik ein ständiger Widerstreit in den entscheidenden Fragen. Einerseits schließt er an die zitierte Aussage von der Erschütterung der „moralischen und geistigen“ Struktur die Frage an, „ob nicht neben unserem zweifellos bankerotten Staatssystem auch unser Erziehungssystem versagt hat" andererseits stellt er wenige Seiten später fest: „Der Kern unserer Universitäten ist gesund" oder er räumt ein, man verachte als Hochschullehrer zwar „die Beibringung von Kenntnissen", doch sei die Hochschule „eben auch, und zwar in erster Linie, Schule" um dann doch an anderer Stelle zu schreiben, „uns steht klar und deutlich ein Idealbild vor der Seele, eine Art von Gralsburg der reinen Wissenschaft Doch so sehr Becker auch versuchte, zu vermitteln und die Hochschulen ohne allzu große Abstriche an einer ihm schätzenswerten Tradition in den neuen Staat zu überführen, so wenig kompromißbereit zeigte er sich gegenüber dem zunehmenden Irrationalismus und den damit verbundenen Ansprüchen auf die ideologische Führungsrolle für eine ihrerseits ideologisierte Wissenschaft. Die „Weltanschauung" gehört nach seiner Überzeugung „der für die Wissenschaft nicht zurückzuerobernden Sphäre der Werte an" In einer Rede auf der Königsberger Kant-Feier sprach er daher auch von einer „elementaren Weltanschauungsbewegung der. Gegenwart", die „im Grunde mehr religiös als philosophisch" sei. Kants Größe sah er aber nicht darin, daß „auch von ihm entscheidende Einflüsse auf die Grundvoraussetzungen der Lebensphilosophie" ausgegangen seien, sondern darin, „daß wir durch ihn solchen eruptiven Weltanschauungsbewegungen gegenüber den richtigen kritischen Standpunkt einzunehmen gelernt haben, ohne die Sympathie für solchen Sturm und Drang zu verlieren“

Tatsächlich brachte Becker für diesen Zug zum Irrationalen ein gewisses Verständnis auf, denn er sah in dem „Gegensatz gegen die isolierende Problemstellung der herrschenden Wissenschaft" ein Anzeichen dafür, daß die „Entwicklungstendenz des gesamten geistigen Lebens . . . nach einem neuen Humanitätsideal" strebe. Wenn es nur gelinge, die Verwandlung der Wissenschaft in Weltanschauung zu verhindern, so trete „vielleicht an Stelle der Weltanschauung die Bildung der Gesamtpersönlichkeit". Dann könne aus dem „liberalen Individualismus der Wissenschaft und dem in Religion und Kunst, in Volk und Arbeit erlebten Gemeinschaftsgeist ...der wahrhaft gebildete Mensch einer neuen Zeit" erwachsen

Daher setzte Becker besondere Hoffnungen auf die politische Bildung und auf die neue Studentengeneration. „Die jetzige Generation kann und muß traditionsbildend wirken", schrieb er, denn sie „hat den Begriff der Kameradschaft, der Solidarität mit aus dem Felde gebracht" Deshalb „gebe man den Studenten Verantwortung... So wächst der Student langsam in die größeren Aufgaben hinein." Becker förderte aus dieser Hoffnung die Bildung von Studentenausschüssen. Doch sollte er nicht nur in dieser Hinsicht sehr bald enttäuscht werden. Auch in dem Versuch, die Hochschulen durch eine vermittelnde Haltung in den demokratischen Staat zu integrieren, ohne dabei „das Kind ... mit dem Bade auszuschütten" erwiesen sich seine Hoffnungen als trügerisch.

Zunächst trat ein, was Becker als Gefahr gesehen hatte, daß nämlich „nicht immer mit einer so alten und reifen Studentenschaft zu rechnen“ sei, „wie sie die lange Kriegsdauer geschaffen" habe Hatte 1919 die oben bereits erwähnte Vollversammlung der Münchner Studentenschaft noch einstimmig beschlossen , „sich auf den Boden des demokratischen freien Deutschland zu stellen" so wurde 1926 ebenfalls in München folgende Resolution gefaßt: „Die im Lichthof der Universität zu vielen Tausenden versammelte Münchener Studentenschaft beider Hochschulen bekennt sich einmütig zu dem nationalen Charakter der deutschen Hochschule. Sie weiß sich mit der gesamten deutschen Studentenschaft einig in der Betonung der Notwendigkeit, gegen undeutschen Geist und die nationale Eigenschaft der Hochschule unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen akademischen Freiheit schädigende Einflüsse Stellung zu nehmen.“

Immer deutlicher verband sich die Ablehnung der Republik mit einem politischen Elitean-spruch. So hieß es bei den Burschenschaften: „Der entfesselte Volkswille schreit heute nach akademischen Führern, die statt der Geschäfts-politiker uneigennützige Führer sind und den rohen Interessenstandpunkt nicht kennen." Entsprechend wurde auch die Auffassung der aktivistischen Linksintellektuellen aufgegriffen, daß im Interesse des Führungsanspruchs der geistigen Elite die demokratische Gleichberechtigung aller Wahlberechtigten einzuschränken sei. Daher hieß es weiter: „Politisierung der Gebildeten, Entpolitisierung der Massen — dann wird das allgemeine Wahlrecht wieder Sinn und Verstand haben.“

Daß ähnliche Tendenzen in der gesamten Studentenschaft festzustellen waren, kommt am deutlichsten in der Entwicklung der Deutschen Studentenschaft (DSt), der aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Vertretung der Studentenschaften sämtlicher Hochschulen, und an deren jährlichen Studententagen zum Ausdruck. Hatte zunächst eine national-konservative Stimmung vorgeherrscht, die bis zu einer kritischen Einstellung gegenüber der Republik reichte, aber es demokratischen Studentenführern wie Otto Benecke und Arnold Bergsträsser immerhin ermöglichte, die DSt und die Studententage noch auf eine loyale Haltung zu verpflichten, so waren schon ab 1922 die gewählten studentischen Vertreter völkisch ausgerichtet. Wie Jürgen Schwarz berichtet, begann mit dem vierten deutschen Studententag, der 1922 in Würzburg stattfand, die „völkisch revolutionäre Periode". Die kritische Haltung „wandelte sich in offene Ablehnung. Die bislang auf die Einigung des Volkes und auf Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung abzielende Einstellung war durch die kämpferische, revolutionäre, völkische Bewegung abgelöst worden"

Schon in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, noch bevor der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) gegründet wurde und sich in kurzer Zeit durchsetzte, versteht also die Mehrheit der Studentenschaft sich in einer Weise als „revolutionär", die es zumindest fraglich erscheinen läßt, ob diese Einstellung einfachhin als „bürgerlich", „rechts" oder „reaktionär" bezeichnet werden kann. Jedenfalls traten in der Einstellung der politisch aktiven Studenten die konservativen Komponenten immer deutlicher zugunsten eines Verlangens nach völliger Neuorientierung zurück.

Dieser eigenartige, mehr von Stimmungen und Haltungen als von gefestigten Einstellungen und artikulierten ideologischen Positionen beeinflußte Schwebezustand bestimmte wohl auch die Ablehnung der sozialistischen Parteien und schlug sich sowohl in der Art dieser Ablehnung als auch in den vergeblichen sozialdemokratischen Versuchen nieder, bei Akademikern und Intellektuellen um Verständnis zu werben.

Eduard Baumgarten etwa, der 1919 an der Universität Freiburg einen Vortrag zum Thema „Nationalismus und Sozialdemokratie" gehalten hatte, erinnert sich, daß die Ablehnung der Sozialdemokratie von Studenten meist ausschließlich mit dem Vorwurf des Internationalismus, also mangelnder nationaler Gesinnung begründet wurde Sozialismus im weitesten Sinne dagegen war mit den Ideen der Volksgemeinschaft und des intellektuellen Führertums durchaus nicht in jedem Falle unvereinbar, wie später die Durchschlagskraft jener Ideologie erwies, die schon in ihrem Namen unbestimmte nationalistische und sozialistische Neigungen zugleich an sich zu binden wußte.

Wie ein Sozialismus hätte aussehen können, der wenigstens noch zu Anfang der zwanziger Jahre einer gewissen akademischen Zustimmung sicher gewesen wäre, zeigt Wally Zeplers Broschüre „Akademiker und Sozialdemokratie". Hans Peter Bleuel und Ernst Klinnert geben den Inhalt dieser heute nicht mehr zugänglichen Broschüre folgendermaßen wieder: Wally Zepler habe versucht, die Abwendung der Partei vom „geistigen Vulgärsozialismus" durch den Hinweis auf die Gründung der „Kantgemeinde" zu unterstreichen. Man dürfe Marxens ökonomischen Materialismus nicht mit einem philosophischen Materialismus verwechseln, und gerade die Sozialdemokratische Partei wolle alle „schöpferischen Kräfte freisetzen". Sozialistische Ethik bedeute schließlich nichts anderes als praktische Sittlichkeit, und erst im Sozia-lismus verwirkliche sich Gedankenfrei-heit

Derartige Versuche der Sympathiewerbung blieben allerdings ergebnislos. Die Sozialdemokraten erschienen als die Hauptverantwortlichen für die Gestalt der verhaßten Republik; an ihrem Bekenntnis zur Demokratie konnte kein Zweifel bestehen, und maßgeblich für ihre sozialistische Theorie war nach wie vor der Begriff des Klassenkampfes und nicht die Sehnsucht nach der Volksgemeinschaft. Doch was für die Sozialdempkratische Partei galt, mußte nicht den Sozialismus schlechthin betreffen. Abgesehen von den unüberwindlichen Abneigungen gegen die SPD hatte Wally Zepler daher durchaus den richtigen Ton angeschlagen und jenes Thema angeschnitten, das im Mittelpunkt der Überlegungen sozialistischer Studentengruppen und kleiner Intellektuellenzirkel stand, nämlich die Fragen nach dem Verhältnis zwischen marxistischer Theorie und praktischer Sittlichkeit oder zwischen ökonomischer Zwangsläufigkeit und intellektueller Spontaneität. Sollte es gelingen, die ökonomischen Theorien soweit zu relativieren, daß sie Raum für „praktische Sittlichkeit" oder intellektuelle Spontaneität ließen, so könnte eine derartige Spielart von Sozialismus gerade für Intellektuelle an Attraktivität gewinnen. Tatsächlich fallen auch in den Beginn der zwanziger Jahre entsprechende Versuche, den intellektuellen Führungsanspruch mit dem Sozialismus theoretisch zu vereinbaren. Dies gilt einerseits für den Versuch, eine neue Theorie sozialistischer Spontaneität zu formulieren — stellvertretend wäre Georg Lukacs mit seiner 1923 erschienenen ersten Fassung von „Geschichte und Klassenbewußtsein“ zu nennen —, und andererseits für den Kreis um Leonhard Nelson, der sich in der Nachfolge der Neukantianer um eine neue Verbindung von Sozialismus und „wissenschaftlicher" Ethik bemühte, wobei jedoch die Hoffnung auf die »Gemeinschaft aller hinreichend Gebildeten" in einen Gegensatz zu den „bloßen Formen der Republik und der Demokra-tie" führte, da die wissenschaftlich begründete Ethik nach Durchsetzung verlangte, „unabhängig davon, ob sich eine Mehrheit findet, deren Willen auf dieses Ideal gerichtet ist"

Beide in den zwanziger Jahren unternommenen Versuche, den Sozialismus einem intel-lektualistischen Politikverständnis nahezu-bringen, landeten in einer theoretischen Sackgasse. Beide suchten den Sozialismus aus der ökonomischen Determination herauszuführen und auf diese Weise Raum für Spontaneität bzw. für ethische Prinzipien zu gewinnen.

Im ersten Falle jedoch geriet dabei der Marxismus zu einer junghegelianischen Philosophie der Befreiung, was die voluntaristische Folge nach sich zog, daß das Subjekt dieser Befreiung von einer solchen Theorie nicht mehr soziologisch umschrieben werden konnte. Indem Lukacs hervorhob, daß das Proletariat in seinem Sinne tatsächlich nicht revolutionär war, hat er nach George Lichtheim „die Basis für die spätere stalinistische Entdeckung geliefert, daß das Proletariat eine konterrevolutionäre Klasse war, die mit Gewalt niedergehalten werden mußte" Von dieser Voraussetzung aus gab es, bei Aufrechterhaltung der Berufung auf die marxistische Orthodoxie, nur noch eine Möglichkeit, die Diskrepanz zwischen dem postulierten proletarischen Bewußtsein und dem tatsächlichen Bewußtseinsstand der Massen zu überbrücken: Es mußte eine gesellschaftliche Instanz genannt werden, in der sich das tatsächliche Proletariat mit dem vorauseilenden Bewußtsein derer vermittelte, die das richtige Bewußtsein besaßen. Dies kam jedoch nicht der Intelligenz zugute, sondern es war die Charakterisierung der Leninschen Partei, die eben qua Definition als proletarisch gilt. So tauschten aber jene Intellektuellen, die sich mit dem Vulgärmarxismus nicht anfreunden konnten, weshalb ihnen der Marxismus in der von Lukacs gegebenen Prägung weit attraktiver erschien, gegen die ökonomischen Determinanten letztlich die ebenso unantastbare, aber nicht kalkulierbare Autorität der kommunistischen Partei ein. Hinzu kam, daß diese kommunistische Partei sich immer stärker auf den „wissenschaftlichen Sozialismus“ berief und sich so gesehen in den Augen der linksradikalen Kritiker zum Vulgärsozialismus zurückentwickelte. Die Unterwerfung unter diese Autorität, die etwa Lukacs in seiner späteren Selbstkritik vollzog und die in vergleichbarer Art auch von anderen Intellektuellen, etwa von Sartre, als sacrificium intellectus geleistet wurde, ist jedenfalls nicht nur mit der Entwicklung der äußeren Umstände — etwa der Konsolidierung der Sowjetunion — zu erklären, sondern folgt auch aus jenen Aporien, in die Lukacs und andere linksradikale intellektuelle Kritiker durch ihren eigenen theoretischen Ansatz geraten waren.

Der zweite Versuch, durch Neudefinition zu einer intellektuell ansprechenden Spielart von Sozialismus zu gelangen, der sich eng an das neuerwachte Interesse für Kant anschloß, sah sich ebenfalls vor das Problem der Legitimation gestellt und mußte daran schon deshalb scheitern, weil diese Richtung innerhalb der Sozialdemokratie wirken wollte. Diese Absicht war jedoch nicht mit dem Absolutheitsanspruch einer „wissenschaftlichen“ Ethik vereinbar, die zu einer Infragestellung der formalen Prinzipien demokratischer Mehrheitsentscheidungen führte.

So eröffnete Lukacs den linksradikalen Intellektuellen nach dem Scheitern des Aktivismus der Revolutionszeit und der ersten Nachkriegsjahre einen scheinbar akzeptablen Weg, sich mit dem Marxismus zu arrangieren, der jedoch letztlich nur in den Parteikommunismus oder in literarisches Einzelgängertum führte. Der ethische Sozialismus Nelsons dagegen führte jene Intellektuellen, die er mit der SPD verbinden wollte, eher noch weiter von dieser Partei weg und existierte lediglich in einigen kleinen Gruppen weiter, die schon von sich aus, so durch das Gebot vegetarischer Ernährung ihren sektiererischen Charakter verstärkten und sich wie die „Sozialwissenschaftliche Vereinigung" und die mit dieser Gesellschaft verbundenen Studentengruppen als Organisationen „zuverlässiger und gut unterrichteter Menschen" verstanden

Für die Verhältnisse an den Universitäten bestand die Bedeutung dieser Versuche zu einer intellektuellen Neudifinition der sozialistischen Theorie darin, daß sie trotz ihrer politischen Wirkungslosigkeit insofern ins Gewicht fielen, als sie den ohnehin geringen Einfluß der SPD noch verminderten und gerade nicht geeignet waren, ein Eintreten für die Republik und gegen den Anspruch auf eine politische Sonderrolle der Intelligenz zu begründen. Der „ethische Sozialismus" verschaffte im Gegenteil der Auffassung von der Minderwertigkeit des demokratischen Systems und der Forderung nach einer wertenden Wissenschaft wie auch nach einer Führungsrolle der Intelligenz noch eine zusätzliche „sozialistische“ Rechtfertigung.

6. Hochschulautonomie als Instrument gegen den demokratischen Staat

Angesichts der (nicht nur hochschulpolitischen) Opposition der Hochschulen gegen jede Einwirkungsmöglichkeit des demokratischen Staates, der republikfeindlichen Einstellung eines großen Teils der Professorenschaft und des „revolutionären" Selbstverständnisses der aktiven Teile der Studentenschaft konnten die Versuche, die Hochschulen und die akademische Intelligenz in die Weimarer Demokratie zu integrieren, schon in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre als gescheitert gelten.

Dies zeigt sich auch in der Ausformung jener hochschulrechtlichen Auffassungen, die sich im Laufe der zwanziger Jahre zur herrschenden Lehre entwickelten.

Eine gewisse Rolle spielte dabei zunächst noch der Umstand, daß den Hochschulen nach dem Wegfall der ständischen Repräsentation die Möglichkeit genommen war, durch eigene Vertreter einen institutiononalisierten Einfluß auf die Gesetzgebung zu nehmen. So beklagte etwa der Kieler Staatsrechtler Holstein, »daß die deutschen Hochschulen nicht die Möglichkeit haben, in den Parlamenten ... bei großen Kulturdebatten mit eigener Stimme einzugreifen" weshalb er vorschlug, den Reichsrat durch Hinzuziehung von Vertretern öffentlicher Körperschaften zu erweitern. Doch stand auch hinter dieser Forderung bereits mehr als nur der Wunsch der Hochschulen, sich in ihren eigenen Angelegenheiten Gehör zu verschaffen, wenn Holstein hinzutügte, „Deutschland, das klassische Land der Hochschulen", habe „ein doppeltes Anrecht darauf, daß auch in den Parlamenten, wo um die großen Dinge deutscher Nation gekämpft wird, die Stimme der Universitäten und Hochschulen gehört werde." Besonders deutlich wird dieser weiterreichende Anspruch an dem Versuch, aus der im Artikel 142 der Weimarer Reichsverfassung garantierten Lehrfreiheit eine Art institutioneller Garantie füi eine öffentlich-rechtliche Sonderstellung der Hochschulen abzuleiten Das Grundrecht der Lehrfreiheit, so meinte etwa Rudolf Smend, habe vor allem Bedeutung für „die angemessene Rechtsstellung einer großen öffentlichen Institution" zur „Selbstregulierung des geistigen Lebens". Die Lehrfreiheit sei daher „eine öffentliche Instituion zum Schutze einer der höchsten Formen deutschen geistigen Lebens" und eine „Schranke für den Gesetzgeber"

Wie sehr ein solcher, weit über die Notwendigkeit der Sicherung des individuellen Rechts auf freie Forschung und Lehre hinausreichender Anspruch auf eine privilegierte rechtliche Stellung der Hochschulen politisch motiviert war und der Ablehnung der Weimarer Demokratie entsprach, zeigt sich, wenn Smend in diesem Zusammenhang von einer Bedrohung der Hochschulen durch die „Parteipolitik" sprach und daher die Frage stellte, ob nicht die Befugnisse der verantwortlichen staatlichen Stellen „zugunsten gesteigerter akademischer Autonomie eingeschränkt werden sollten"

Noch deutlicher wurde Carl Schmitt, wenn er meinte, durch die zunehmende Schwächung des Staatsbegriffs werde alles, „was von einem Reiche der objektiven Vernunft noch übriggeblieben" sei, in den Parteienstreit hineingezogen, weshalb er glaubte, daß die Ausweitung der garantierten Lehrfreiheit zu einer institutionellen Garantie geeignet sei, „auf dem Wege in den Abgrund“ etwas zu bewahren, was „noch Träger einer geschichtlichen Kontinuität und Substanz sein" könne

Die bereits mehrfach festgestellte Tendenz, statt des ungeliebten demokratischen Staates der Weimarer Republik die Universitäten als die Träger der politischen Legitimität zu bezeichnen, sie gewissermaßen zum Ersatzsouverän zu machen, wird also nun zur ideologischen Grundlage eines Hochschulrechts, von dem man daher in Übereinstimmung mit der in einem Aufsatz von Rainer Schmidt gegebenen Darstellung sagen muß, daß es nicht nur zur Sicherung der Lehr-und Forschungsfreiheit, sondern auch zur Abwehr der Demokratie gedacht war.

7. Der „Vernunftrepublikanismus" einer Minderheit

Die Einstellung der großen Mehrheit der Hochschullehrer, die hinter solchen Rechtsansprüchen stand, kennzeichnete Wilhelm Kahl dahin gehend, daß „nicht wenige" dem „aus dem Zusammenbruch hervorgegangenen Staate nicht nur mißtrauisch, sondern feindselig" gegenüberstanden. Sie glaubten „dem Vater-lande am besten dadurch zu dienen, daß sie den Staat, wie er ist, und seine Anhänger, wer sie sind, grundsätzlich bekämpfen“ Das Zitat stammt aus einer Rede, die Wilhelm Kahl im April 1926 neben Referaten von Friedrich Meinecke und Gustav Radbruch auf einer „Tagung deutscher Hochschullehrer“ in Weimar hielt. Dieses Weimarer Treffen ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich für die politischen Tendenzen innerhalb der Hochschullehrerschaft. Es war zustande gekommen durch eine Einladung, die eine Gruppe von Berliner Professoren im Februar 1926 an andere deutsche Kollegen geschickt hatte. Die Unterzeichner der Einladung (Delbrück, v. Harnack, Herkner, Kahl, Gustav Mayer, Meinecke, Nernst, Stählin und Weisbach) bezeichneten es in ihrem Schreiben als ihre Absicht, „Formen zu finden, um alle Elemente der Hochschullehrerschaft, die sich zur neuen Reichsverfassung bekennen, zusammenzufassen" Die Einladenden bemühten sich jedoch schon in ihrem Einladungsschreiben, dieses Bekenntnis zur Reichsverfassung möglichst weit zu definieren, um auch jene anzusprechen, denen die Weimarer Republik unter den gegebenen Umständen als das geringste Übel erschien. Sie fügten daher hinzu: „Mag dieses Bekenntnis lediglich deshalb erfolgen, weil nach dem verlorenen Kriege dem Vater-lande aus Gründen der Innen-und Außenpolitik nur in der republikanisch-demokratischen Staatsform hingebungsvoll gedient werden kann, oder mag es hervorgehen aus einer aufrichtigen Begeisterung für die hohen ethisch-politischen Ideale einer Selbstregierung der Völker"

Auch auf der Tagung selbst kam zumindest in den Referaten von Kahl und Meinecke eher jene Haltung zum Ausdruck, die Meinecke an anderer Stelle als „Vernünftrepublikanismus" beschrieb. Kahl betonte ausdrücklich, daß er „eine Begeisterung für die junge Republik noch nicht habe gewinnen können" und Meinecke brachte dasselbe zum Ausdruck, wenn er sagte: „Viele, und ich möchte glauben, die meisten unter uns, sind bis zum 9. November 1918 aufrichtige Monarchisten gewesen, haben den Untergang der altehrwürdigen Monarchie und des Kaisertums mit tiefem Schmerze beklagt."

Die meisten der in Weimar versammelten Hochschullehrer waren also keineswegs begeisterte Demokraten im Sinne der im Einladungsschreiben genannten zweiten Kategorie, sondern gehörten wohl eher zu den „Vernunftrepublikanern". Trotz dieser Einschränkung, die auch eine Fügung in das Unvermeidliche schon als demokratische Gesinnung gelten ließ, vertrat Meinecke die Ansicht, daß der in Weimar versammelte Kreis keineswegs repräsentativ für die Mehrheit der Kollegen sei, weshalb er in seinem Referat ausführte, es sei nicht daran gedacht, „einen Bund republikanischer Hochschullehrer" zu gründen, „denn wir würden dann nur eine festabgezirkelte Minoritätsgesellschaft innerhalb der Kollegenschaft bilden, die man mit allen Mitteln des gesellschaftlichen Boykotts unschädlich machen würde"

So wenig repräsentativ dieser Kreis also für die damalige Hochschullehrerschaft war, so eindeutig ergeben sich doch aus der Umkehrung der in den Referaten Kahls, Meineckes und Radbruchs erhobenen Minimalforderungen an die Hochschulen und an ihre Kollegen erneut die ideologischen Grundlagen jener antidemokratischen Tendenzen, die an den Hochschulen inzwischen die Szene beherrschten. Zunächst kennzeichnete Meinecke die allgemeine republikfeindliche Stimmung, wenn er feststellte, daß der „Studentenschaft die heutige Staatsform verekelt“ werde, und zwar meistens nicht direkt, das wage man nur durch „zuweilen eingestreute Bosheiten“ zu tun, sondern vor allem „indirekt, durch die politische Gesamtstimmung ihrer Lehrer" Radbruch ging darüber noch hinaus, indem er die Problematik bestimmter Fächer ansprach, in denen sich die Einstellung sehr direkt äußert. Er führte das Beispiel an, daß „in einer Republik und Demokratie" auch die Rechtslehre nur republikanischen und demokratischen Geistes" sein könne. Der erbitterte Feind der Republik könne „auch ihre Gesetze nur etwa so lesen, wie der Teufel die Bibel" Radbruch nannte auch den entscheidenden Grund für die Zuspitzung der Verhältnisse an den Hochschulen, nämlich die starke Tendenz, Wissenschaft durch Gesinnung zu ersetzen. Das Festhalten an den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit stelle jedoch den in Weimar versammelten Kreis in eine schwierige Situation, wenn er versuchen wolle, den Verfassungsgegnern wirksam entgegenzutreten. Die „Aufgabe der Universität ist Erkenntnis“, sagte Radbruch, „wir aber sind verbunden durch eine bestimmte Gesinnung". Dennoch komme es für die verfassungstreuen Wissenschaftler nicht in Frage, nun ihrerseits vom Katheder herab Gesinnungen zu verkünden, „ein Treitschketum mit umgekehrten Vorzeichen“ zu praktizieren, sondern sie sollten versuchen, „die Erkenntnisaufgabe der Universität von Gesinnungseinflüssen jeglicher Art“ treizuhalten Dazu war es jedoch zu spät. Eine Minderheit von Professoren konnte nur noch ein Beispiel für wissenschaftlich und demokratisch einwandfreies Verhalten setzen, den Niedergang der Hochschulen aber dadurch nicht mehr aufhalten.

Die Reaktion auf das Weimarer Treffen fiel daher auch nicht eben ermutigend aus. Die Kollegen jener Hochschullehrer, die sich dort versammelt hatten, waren zum größten Teil ohnehin der Meinung, daß die Wissenschaft Gesinnung zu vermitteln habe, und soweit sie unentschieden waren, zeigten sie sich ängstlich und machten ausgerechnet jene für die Zuspitzung der Verhältnisse verantwortlich, die nur auf die Tatsachen hingewiesen hatten. So meinte etwa Rudolf Smend, durch „Gegendemonstrationen“ in der Art der Weimarer Tagung könne nur die „Beruhigung der Verhältnisse“ gefährdet werden Andere Hochschullehrer fanden es mindestens sehr verständlich, wenn sich an den Hochschulen antidemokratische Tendenzen zeigten. In diesem Sinne meinte Eduard Spranger, es sei »das Rechenhafte in der Politik", was „viele Akademiker mit dem Stil unseres gegenwärti-gen Staatslebens unzufrieden“ mache. Man verlange „tatbereite und der Augenblickslage gewachsene Köpfe an der Spitze des Staates", „nicht Doktrinäre und nicht Parteifunktionäre", vor allem aber bestehe eine „geradezu messsianische Erwartung" auf „Menschen, in denen die überindividuelle Wucht und Würde des Staates zum Lebenselement geworden ist, und die sich In diesem sittlichen Dienst verzehren"

Hier wie auch in anderen Zeugnisssen wird deutlich, wie sich unter den Hochschullehrern der gleiche Prozeß vollzog, der auch an der politischen Umorientierung innerhalb der Studentenschaft zu beobachten war: Die sich zunächst konservativ verstehende Abneigung gegen den Weimarer Staat, die Demokratie und das System der Parteien nahm langsam einen qualitativ völlig andersartigen Zug in die Zukunft gerichteter Hoffnungen an. Ähnlich wie die „Ideen von 1914" als positive Umkehrung der kulturpessimistischen Kritik entstanden waren, wandelt sich nun das Unverständnis für demokratische Formen und Prozeduren in die Erwartung einer konfliktfreien, einheitlich geregelten Volksgemeinschaft. Kurt Töpner weist darauf hin, daß um die Mitte der zwanziger Jahre in kaum einem Titel „einer Flugschrift der rechtsgerichteten Hochschullehrer" das Wort Zukunft fehlteHu). Es konnte nicht ausbleiben, daß unter den gegebenen Verhältnissen diese Bereitschaft zur grundsätzlichen Kritik an den politischen Gegebenheiten bald im völkischnationalen Sinne aktualisiert wurde und daß diese Tendenz sich wiederum mit dem politischen Führungsanspruch für die Universitäten verband. Der Vereinigung von grundsätzlicher Kritik an den Verhältnissen und politischem Führungsanspruch folgte die Konkretiserung beider Momente durch den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), der die verbreitete demokratiefeindliche Stimmung, die vage Bereitschaft zur „Erneuerung"

und die Illusion von einer Herrschaft des Geistes für sich nutzte.

8. Der frühe Sieg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes

Am 20. Februar 1926 veröffentlichten die beiden Studenten Helmut Podlich und Wilhelm Tempel im „Völkischen Beobachter“ einen Aufruf zur Gründung eines „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“. Podlich und Tempel suchten das Nebeneinander von nationalem und sozialistischem Selbstverständnis in der Studentenschaft anzusprechen und durch den Begriff der Volksgemeinschaft zu verbinden, indem sie schrieben, eine „wahre Volksgemeinschaft" könne nur entstehen, „wenn national und sozialistisch in unserem Volk in eins zusammenfließen" Tempel wurde von Hitler zum Führer aller nationalsozialistischen Hochschulgruppen ernannt und ging von Leipzig aus an den Aufbau des NSDStB. Schon bald profilierte sich jedoch in der Formulierung der ideologischen Positionen der stellvertretende Reichsleiter Hans Glauning, der in der Zeitschrift „Der junge Revolutionär", dem offiziellen Organ der NSDStB, das Programm des Studentenbundes darstellte. Glauning bemühte sich, die Abneigung gegen Parteien für den Nationalsozialismus zu nutzen, indem er darlegte, für ihn sei die Partei nur ein Mittel zu dem Zweck, das Dritte Reich zu schaffen. Der Nationalsozialismus könne schon deshalb nicht zu einer Partei im herkömmlichen Sinne werden, weil er Politik als „sittliches Handeln schlechthin" begreife

Die hochschulpolitischen Vorstellungen des NSDStB formulierte Glauning in der wünschenswerten Eindeutigkeit durch die Parole „Weg mit der objektiven Wissenschaft, die ein L'art pour l'art ist — her mit der deutschen Wissenschaft, die dem Volke dient". Glauning fragte, wozu man Geld „für fruchtlose Archäologie" ausgebe, wenn „nicht einmal Lehrstühle für Rassenkunde und Rassenhygiene" eingerichtet worden seien. Vor allem aber müßten die Hochschulen im Sinne eines neuverstandenen Verhältnisses „von Student und Volk ... grundlegend" verändert werden. Der einzelne sei „ein Nichts", die Persönlichkeit habe „ihren höchsten Wert nur als Glied der höheren Individualität Volk Im hoch-schulpolitischen Programm des NSDStB, das im Jahre 1927 veröffentlicht wurde, heißt es, die deutschen Hochschulen hätten „alles zu erforschen, was für das deutsche Volkstum förderlich" sei, aber nicht „Wissenschaft als Selbstzweck“ zu treiben. Die deutschen Hochschulen seien „frei von den Einflüssen des Privatkapitals" zu halten und die Gebühren „nach dem Einkommen der Eltern zu staffeln". Schließlich erheben sich die Verfasser zu Verteidigern der akademischen Freiheit und fordern, diese „vor dem Eingriff parteipolitischer Minister zu schützen"

Der organisatorische Aufbau des NSDStB kam schnell voran. An der ersten Reichsführertagung im Mai 1927 nahmen Vertreter von 15 Hochschulgruppen teil; die Frankfurter und die Kieler Gruppe stellten bereits den Vorsitzenden der örtlichen Studentenschaften. Im Jahr darauf waren es bereits Vertreter von 20 Gruppen, und der inzwischen von Hitler zum Reichsführer des NSDStB ernannte Baldur von Schirach hielt die Gründungsphase für abgeschlossen

Im Wintersemester 1929/30 erzielte der NSDStB in Erlangen 76 °/o und in Breslau 71 °/o der Stimmen, in Berlin, Gießen, Greifswald, Rostock, Jena und Königsberg lag sein Stimmenanteil über 50 °/o und auch in Bonn, wo katholische Studentenvereinigungen das Bild beherrschten und der NSDStB sein schlechtestes Ergebnis erreichte, erhielt er immerhin noch 190/0 der Stimmen So konnte es nicht ausbleiben, daß der NSDStB seit dem Grazer Studententag von 1931 auch den Vorsitzenden der Deutschen Studentenschaft stellte

An den Hochschulen organisierte der NSDStB einen zunehmenden Terror gegen andersdenkende Studenten und Professoren. Seine Zeitschrift führte in einer eigenen Rubrik unter dem Titel „Vormerkungen für Später“ die Na-men mißliebiger Hochschullehrer auf. Eduard Spranger berichtete aus Berlin: . Übergriffe mehrten sich. Die Studenten warfen sich zu Richtern ihrer Lehrer auf und übten eine Gesinnungsschnüffelei, die eines Metternich würdig gewesen wäre." Doch Spranger, der soviel Verständnis für die „Abneigung"

gegen das „Rechenhafte in der Politik" und die „Parteifunktionäre" gezeigt hatte und mit Sympathie von der „messianischen Erwartung" sprach, war weit davon entfernt, den nazistischen Terror in irgendeiner Weise in Beziehung zu den eigenen hochschulpolitischen Positionen zu bringen. Als daher Theodor Litt auf dem Hochschulverbandstag von 1932 eine Resolution gegen die nationalsozialistischen Hochschulgruppen vorschlug, widersprach ihm Spranger mit der Begründung, er halte „die Bewegung der nationalen Studenten noch im Kern für echt, nur in der Form für undiszipliniert". Er schreibt noch zwanzig Jahre später im Rückblick auf diese Diskussion, es hätte „eine sehr schädliche Wirkung für die Hochschule gehabt, wenn sie sich zu der nationalen Welle, die damals noch viel Gesundes mit sich führte und mit heißen Erwartungen begrüßt wurde, nur schulmeisterlich geäußert hätte" So wie Smend im Falle der Weimarer Tagung von verfassungstreuen Hochschullehrern, verhält sich auch Spranger gegenüber Litt; wer die Dinge beim Namen nennt und sich gegen ver-fassungs-und wissenschaftsfeindliche Tendenzen wendet, macht sich einer Störung des Friedens schuldig. Derartige Zeugnisse professoraler Naivität wären nicht weiter der Rede wert, stünde nicht das Unvermögen vieler Professoren, an der Wissenschaftsauffassung des NSDStB Kritik zu üben, in ursächlichem Zusammenhang damit, daß dieser nur ihre eigenen Vorurteile aktualisiert hatte. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als die nationalsozialistischen Randalierer für höchstens undiszipliniert zu erklären, nachdem diese mit Erfolg sie selbst in ihren Anschauungen beim Wort genommen hatten. Die nationalsozialistischen Studenten nahmen nicht nur die Abneigung gegen die Weimarer Republik, gegen das „Rechenhafte" und die Parteien auf, sondern sie versprachen darüber hinaus die erwünschte „Erneuerung" und schrieben dabei den Hochschulen eine Führungsrolle zu.

In den Hochschulen war also das Ende der Weimarer Republik schon Mitte der zwanziger Jahre gekommen, denn mit Ausnahme einer Minderheit verfassungstreuer Professoren und Studenten hatte niemand aus dem Zwischenspiel der Novemberrevolution die vernunft-republikanische Lehre gezogen, daß es zu der Republik, als dem System formalen Austrags der als unvermeidlich anzuerkennenden Konflikte, nur die Alternative einer totalen Übereinstimmung durch gemeinsame Unterwerfung unter die Gewalt gab. So unterschiedlich die verschiedenen Strömungen, die an den Hochschulen und unter der Intelligenz im weistesten Sinne festzustellen waren, sich nach ihrem Selbstverständnis auch politisch einordnen mochten, in den für die politische Entwicklung und den Sieg der Nationalsozialisten entscheidenden Fragen gab es weitgehende Einigkeit unter scheinbar unvereinbaren Richtungen.

Dies gilt zunächst für die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, wobei es im Effekt keine Rolle spielt, ob die Linksradikalen diese Ablehnung mit dem Bewußtseinsrückstand der Massen, die ethischen Sozialisten Nelsons mit dem Widerspruch zwischen wissenschaftlicher Ethik und demokratischem Mehrheitsprinzip, oder die Mehrheit der sich konservativ Dünkenden kurz mit der Abneigung gegen das „Rechenhafte" und den „Parteifunktionär" begründeten.

Diese erste Übereinstimmung hatte eine zweite zur Folge: Wenn dem System formaler Demokratie die Legitimation bestritten wurde, so mußte sie der Gesamtgesellschaft als dem abstrakten demokratischen Subjekt entzogen und einem anderen Souverän übertragen werden. Dieses Ersatzsubjekt war jeweils „der Geist" nach der spezifischen Definition der betreffenden Richtung. Im Falle der Linksradikalen wurde also die revolutionäre Intelligenz, im Falle des ethischen Sozialismus die „Gemeinschaft der hinreichend Gebildeten" und im Falle des akademischen „Erneuerungswillens" kurzerhand die Universität zum eigentlichen Träger der Legitimität erklärt.

Niemand konnte unter den Voraussetzungen dieser Übereinstimmung noch die Respektie-rung der Grundsätze einer parlamentarischen Demokratie und eines realistischen Wissenschattsverständnisses verlangen. Wer nicht zur Kenntnis nehmen wollte, daß die Wissenschaft, selbst von der Frage ihrer Legitimation absehend, gar nicht in der Lage war, politische Fragen unanfechtbar zu entscheiden, also mit wissenschaftlicher Methodik zweifelsfrei und ohne die Möglichkeit des Widerspruchs zu lösen, der konnte auch nicht einsehen, daß eine moderne Gesellschaft immer pluralistisch sein muß und daher politische Fragen nicht unter dem Gesichtspunkt der Wahrheit, sondern unter dem der formalen Legitimation zu lösen hat und von der Annahme allgemeiner Gleichheit ausgehen muß.

Die Hochschulen waren also nicht in erster Linie deshalb gegen den Ansturm der Nationalsozialisten wehrlos, weil diese sich auch der Gewalt bedienten, sondern weil sie mit Erfolg die ohnehin vorhandenen Tendenzen aufnahmen. Hinzu kam, daß der Nationalsozialismus angeblich linke und angeblich rechte ideologische Versatzstücke aus dem an den Hochschulen herrschenden Stimmungsbild geschickt zusammenfügte, womit er weniger den dadurch verschmolzenen Ideologien unrecht tat, wie etwa Kühnl meint sondern lediglich deren Unbestimmtheit und Verfügbarkeit erneut belegte.

Außerdem bot der überzogene Autonomieanspruch den Nationalsozialisten ein ideales Manövrierfeld. Man hatte alles getan, um den Handlungsspielraum der immerhin demokratisch legitimierten und politisch wie rechtlich kontrollierbaren staatlichen Organe einzuschränken. Eine aus den Hochschulen selbst erwachsende Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit wurde dagegen zunächst nicht als Möglichkeit in Betracht gezogen (und als sie sich tatsächlich einstellte, von vielen Hochschulangehörigen nicht als solche empfunden).

9. Die „Wissenschaft", die „dem Volke dient" und der neue Wahrheitsbegriff

Die Zeit der Weimarer Republik war jedenfalls an den Hochschulen — wenn sie je begonnen hatte — schon mit dem Erstarken des NSDStB abgelaufen. Adolf Hitler konnte 1930 verkünden: „Nichts gibt mir mehr Glauben an den Sieg unserer Idee als die Erfolge des Nationalsozialismus auf der Hochschule"

Was nun kommen sollte, machte der „Völkische Beobachter" klar, als er zur Frage der Wissenschaftsfreiheit schrieb: „Für uns kann diese Freiheit nur solange gelten, als die Wissenschaft dem Volke dient." Dies war ja schon längst vom NSDStB angekündigt worden. Doch manchem, der eine Wissenschaft aus der Gesinnung des Dienstes an der Volks-gemeinschaft propagiert hatte, mochte erst jetzt, wenn überhaupt, klar werden, daß ein solcher Dienst am Volke wegen der Unmöglichkeit, das Volkswohl wissenschaftlich zu bestimmen, eben eine Partei voraussetzt, die dekretiert, was dem Volke dient.

Auf die geradezu „messianische Erwartung“, von der Spranger gesprochen hatte, ließen nun die Nationalsozialisten die „Hochschulerneuerung" durch die „Idee der politischen Universität“ folgen. Dieses Programm der „Hochschulerneuerung" geht aus Schriften der drei Professoren Max Hildebert Boehm, Adolf Rein und Ernst Bergmann hervor. Alle diese Schriften erschienen in populären Reihen großer Verlage im Jahre 1933; jedoch ergibt sich zumindest für Bergmann aus dem Vorwort, daß das Manuskript auf einen schon früher gehaltenen Vortrag zurückgeht.

Boehms „Volksdeutsche Forderungen zur Hochschulerneuerung" verlangen zunächst, „daß die gutdeutsche Sachlichkeit den höheren Maßstäben des Volksgemäßen unter-stellt" werde denn eben dies sei „der deutsche und gegenwärtige Sinn dessen, was mit einem leicht mißverständlichen Fremdwort als notwendige Politisierung von Bildung und Erziehung" gefordert werde

Boehm machte unmißverständlich klar, daß Dienst am Volke jetzt eine Politisierung der Wissenschaft bedeute und die Zeit vorbei sei, in der es gegolten habe, die Wissenschaft von politischen Beeinflussungen freizuhalten.

Eine solche Einstellung sei gerechtfertigt gewesen „in einem Lehrbetrieb, der seine Ehre in den unpolitischen Charakter der Hochschule setzte, zumal dieser damals ja in der Tat wenigstens einen gewissen Schutz gegen parteipolitische Verseuchung durch die Kräfte des Systems bildete" Jetzt aber gehe es um eine „Auslese der Bildungsstoffe, die den Lebenswillen des eigenen Volkes zum beherrschenden Maßstab der Hochschulerneuerung macht“ und ebenso schonungslos wie Boehm die Autonomie-Illusion anging, zog er nun auch aus einer zweiten Illusion, dem politischen Führungsanspruch der Wissenschaft, die im nationalsozialistischen Sinne einzig I richtige Konsequenz, wenn er feststellte, „daß nicht die Verwissenschaftlichung der Politik, sondern die Politisierung der Wissenschaft auf der Tagesordnung steht"

Die Notwendigkeit dieser „Idee der politischen Universität“ suchte Adolf Rein in seiner Broschüre abzuleiten. Rein hielt dem . Zeitalter der Konzilsprobleme" und der Reformation und Gegenreformation den „Typus der theologischen Universität", dem „Zeitalter der Aufklärung, des omnipotenten Staates, der bürgerlichen Revolution, des Klassizismus, der Romantik, des Liberalismus" dagegen den „Typus der philosophisch humanistischen Universität“ für angemessen. In der Gegenwart jedoch entwickle sich „die politische Universität“ Die „pädagogische Aufgabe" der politischen Universität sei es, .den politischen Deutschen zu erziehen" * Dabei müsse man sich freilich von der überkommenen Vorstellung von Politik lösen — „bei uns denkt man . .., wenn man von Politik spricht, ja nur allzuleicht an den Zank der Parteien" —, denn es gehe nun um Politik „in einem wirklich hohen und echten Sinn“ Rein sagte daher voraus, daß „in der sich formenden Universität des neuen Zeitalters .,. eine politische Fakultät" die „Mitte des Ganzen" sein werde, so wie dies für die theologische Fakultät und für die philosophische Fakultät der jeweiligen früheren Epochen gegolten habe

Die wesentlichen Aufgaben dieser neuen politischen Universität ergeben sich für Rein aus der Frage, worin „die gegenwärtigen Universitäten als politische Anstalten den Bedürfnissen der Nation" nicht genügten. Er beantwortet diese Frage vor allem dahingehend, daß die philosophisch-humanistische Universität in Frage gestellt worden sei, daß der Positivismus die Philosophie zerstört habe: „Mit dem Augenblick, da die Wissenschaft , voraussetzungslos'wurde, verdorrte der das Ganze bewegende Blutkreislauf" So beharrte Rein darauf, daß die Wissenschaften „ohne Bezug auf ein überwissenschaftliches Prinzip ... als solche keinen Halt" hätten und mit „der Preisgabe einer religiösen oder philosophischen oder einer politischen Bindung" im „Wissenschaftsbetrieb der Beliebigkeit, der Belanglosigkeit, der Beziehungslosigkeit ... Tür und Tor" geöffnet seien

Die Vorstellungen Boehms und Reins laufen also vor allem auf die Idee einer neuen, qualitativ höherwertigen Art von Politik hinaus, die zunächst in den Hochschulen exemplarisch zu verwirklichen sei. Ist schon in dem Wunsch, der Politik eine moralische Qualität zu verschaffen, ein deutlicher Anklang an Fichte zu verspüren, so wurde diese Berufung noch weit deutlicher in der von der nationalsozialistischen „Hochschulerneuerung" ausgelösten erneuten Fichte-Renaissance. Ein besonders krasser Beleg ist die dritte der genannten Erneuerungsschriften: Ernst Bergmanns „Fichte und der Nationalsozialismus“, eine Veröffentlichung, die „mit Genehmigung der Parteiamtlichen Prüfungskommission der NSDAP" 1933 in der populären Reihe „Deutsche Sammlung" des Verlages Hirt erschien.

Bergmann führte alle erforderlichen Momente zusammen, indem er erklärte, „das wissenschaftliche Gewissen", das in Fichtes Wissenschaftslehre „auferstehe", sei „ein deutsch-wissenschaftliches Gewissen . .. Dieses stark entwickelte Deutschbewußtsein“ werde ergänzt „durch ein für damalige Zeiten erstaunlich ausgebildetes soziales, ja sozialistisches Denken und Fühlen bei Fichte" Was kann daraus anderes folgen, als daß „die Synthese beider Denkrichtungen ... die Umrisse einer nationalsozialistischen Welterfahrung" ergibt wie Bergmann sie bereits Fichte zubilligt. Doch ist Fichte nicht schon deshalb zu Unrecht als Vorläufer in Anspruch genommen, weil Bergmann in seinem Eifer — „wahrhaftig: ein besserer Nationalsozialist war nie" — zuviel des Guten tut. Auch Rein hatte sich zur Rechtfertigung seiner „politischen Universität" auf Fichte berufen, als er vorsorglich versucht hatte, der „Einrede unausweichlicher Unfreiheit und Intoleranz" entgegenzutreten, „welche mit dem Begriff einer politischen Universität .. . verbunden" werde Reins Antwort, „daß in der Wissenschaft die Wahrheit sich immer von selbst versteht" also auch in der „politischen Universität", ist nur auf dem Hintergrund eines veränderten Begriffs der Wahrheit verständlich, der sich in seiner Argumentation tatsächlich auch schon ankündigt. So sagt er beispielsweise, er wolle „nicht in eine Untersuchung der vieldeutigen, immer mißverständlichen und deshalb allen Sophistereien zugänglichen Begriffe der Freiheit und der Wahrheit eintreten", sondern seinen „Standpunkt . .. dahin kennzeichnen, daß Freiheit und Macht aus einer Wurzel hervorgehen"

Hinzu kommt Reins Hinweis auf die „nationale Trennung der Wissenschaften", derzufolge die „Gebundenheit der Wissenschaft an die wesentlichen Hervorbringungen des Volkes ..." außer Frage stehe. Daraus dürfe „wohl ohne weiteres abgeleitet werden, daß absolute Tolerenz, Freiheit und nichts als Freiheit nicht das Wesen der Universität bestimmen“ können. Im Sinne Fichtes, der sich gegen die „Mannigfaltigkeit der Ansichten und Systeme" gewandt hatte, dürfe es daher in der „politischen Universität" keine „Idee der falschen Toleranz" geben

Das Wesen der Universität kann also nach Rein nicht aus der Freiheit bestimmt werden, „denn ... Wissenschaft dient immer" dem Dienst am Volke, den die Wissenschaft im Rahmen einer qualitativ neuen Spielart von Politik leistet, folgt also unversehens auch ein neuer Begriff von Wahrheit. Wenn Wissenschaft immer Dienst ist und dennoch nach wie vor zur Wahrheit führt, sich die Wahrheit also auch in der „politischen Universität" noch „von selbst versteht", so muß daraus irgendwann die Folgerung gezogen werden, daß wahr ist, was dem Volke dient. Erst diese Neubestimmung der Wahrheit und der mit ihr faktisch gegebene Ausschluß einer nach dem Prinzip der Werturteilsfreiheit betriebenen Wissenschaft machte die Wissenschaft dem Nationalsozialismus fungibel. Dies festzuhalten erscheint auch deshalb wichtig, da man nach 1945, wie Ernst Topitsch schreibt, „nicht selten behauptet hat, das Prinzip der Wertfreiheit der Wissenschaft habe dem Faschismus an den deutschen Hochschulen wesentlichen Vorschub geleistet"

Die genannten „Erneuerungsschriften“ und andere hochschulpolitische Äußerungen aus den dreißiger Jahren zeigen, daß das Gegenteil der Fall war, daß die sogenannte Hochschulerneuerung geradezu mit der Überwindung des Prinzips der Wertfreiheit gleichgesetzt wurde. So erklärte Ernst Krieck das Zeitalter der „reinen Vernunft" und der „voraussetzungslosen" und „wertfreien Wissenschaft“ für beendet. Die Wissenschaft habe „ein Bewußtsein ihrer mannigfaltigen Voraussetzungen gewonnen", und indem sie „sich bewußt der Wirklichkeit eingliedert, aus der sie sich zuvor vergeblich zu lösen trachtete", erlange sie „nach vorwärts auch wieder ihren aufbauenden Sinn, ihre Teilhabe an den großen Lebensaufgaben"

Gerade in der Polemik gegen das Prinzip der Wertfreiheit konnten die Nationalsozialisten an die innerhalb der Hochschulen weitverbreitete Abneigung gegen Max Webers Forderungen anknüpfen. Wer sich etwa noch an den vordergründigen Sinn der Aussage halten wollte, daß die Wahrheit sich nach wie vor von selbst verstehe, der wurde bald mit deutlichen Worten belehrt. Die Nationalsozialisten stellten klar, daß unter der Beseitigung der Wertfreiheit und unter dem Dienst am Volke mehr gemeint war als nur die Einführung einiger neuer Fragestellungen.

Carl Schmitt vollendete schließlich die Verwandlung des Wahrheitsbegriffs, indem er die völkische Version einer Theorie des „falschen Bewußtseins" hinzufügte: Es sei eine . erkenntnistheoretische Wahrheit", daß nur derjenige im Stande sei, „Tatsachen richtig zu sehen", der „in einer seinsmäßigen, artbestimmten Weise an der rechtschöpfenden Gemeinschaft teil hat und existentiell ihr zugehört". Bis in die „tiefsten, unbewußtesten Regungen des Gemütes, aber auch bis in die kleinste Gehirnfaser hinein" stehe der . Mensch in der Wirklichkeit dieser Volks-und Rassenzugehörigkeit". Dies sei die „objektive Wirklichkeit der . Objektivität'"

Die Konsequenzen aus diesem neuen Wahrheitsbegriff wurden in der Folge auch immer deutlicher und ohne Rücksicht auf liebge-wordene Illusionen formuliert. So schrieb Ernst Krieck, nach der „organischen Wieder-einordnung der Vernunft in den Dienst am völkischen Lebensganzen" verliere „auch die Wissenschaft ihren Autonomie-und Souveränitätsanspruch" und ein „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat" feiert die neue Art der Wahrheit. Dort heißt es: „Wahrheit ist die Offenbarkeit dessen, was ein Volk in seinem Handeln und Wissen sicher, hell und stark macht. Aus solcher Wahrheit entspringt das echte Wissenwollen. Und dieses Wissen-wollen umschreibt den Wissensanspruch. Und von daher werden schließlich die Grenzen ausgemessen, innerhalb deren echtes Fragen und Forschen sich begründen und bewähren muß. Aus solchem Ursprung entsteht uns die Wissenschaft"

Es macht das Dilemma des stets wiederholten Anspruchs auf eine politische Führungsrolle der Hochschulen aus, daß diese Anmaßung zwangsläufig in eine derartige Pervertierung der Wissenschaft mündet. Eine Wissenschaft, die sich anheischig macht zu definieren, was „dem Volke dient", „dient" weder „dem Volke" noch sich selbst.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. „Das Parlament", 24. Jq„ Nr. 8 v. 23. 2. 1974, S. 3.

  2. Giselher Schmidt, Hitlers und Maos Söhne, Frankfurt 1969.

  3. Jürgen Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1969.

  4. Nitsch — Gerhardt — Offe — Preuß, Hochschule in der Demokratie, Berlin 1965.

  5. A. a. O„ S. 286 f.

  6. Karl Jaspers, Die Idee der Universität, Berlin 1946, S. 5.

  7. A. a. O„ S. 24.

  8. Ausnahmen: Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, Reinbek b. Hamburg 1963, und Friedrich H. Tenbruck, Bildung — Gesellschaft — Wissenschäft, in: Dieter Oberndorfer (Hrsg.), Wissenschaftliche Politik, Darmstadt 1966.

  9. Die sogenannten Universitätsdenkschriften finden sich in: Anrich Ernst (Hrsg.), Die Idee der deutschen Universität, Darmstadt 1956.

  10. J. G. Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, in: Gesamtausgabe (hrsg. V. d. Bayer. Akademie d. Wissenschaften), Stuttgart-Bad Cannstadt 1962, Band I, S. 54.

  11. Jürgen Habermas, Vorwort zu Nitsch — Gerhardt — Offe — Preuß, a. a. O., S. VI.

  12. Michael Neumüller, Liberalismus und Revolution, Düsseldorf 1973.

  13. Vgl. Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr, Bern — Stuttgart — Wien 1963, S. 57.

  14. A. a. O„ S. 80.

  15. A. a. O„ S. 93.

  16. A. a. O., S. 106.

  17. Ebenda.

  18. A. a. O„ S. 158.

  19. A. a. O„ S. 158 f.

  20. A. a. O„ S. 162.

  21. Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902, S. 335.

  22. Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegs-moral, Göttingen — Zürich — Frankfurt 19® S. 192.

  23. Zit. nach Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, Basel — Stuttgart 1963, S. 173.

  24. Zit. nach Schwabe, a. a. O., S. 24.

  25. A. a. O., S. 9.

  26. H. P. Bleuel: Deutschlands Bekenner, Bern — München — Wien 1968, S. 90.

  27. Friedrich Meinecke, Erinnerungen, Stuttgart 1949, S. 138.

  28. Zit. nach Bleuel, a. a. O., S. 77.

  29. Vgl. Lübbe, a. a. O„ S. 188 ff.

  30. Ebenda.

  31. Ebenda.

  32. Thomas Mann, Von deutscher Republik, a a. O S. 101.

  33. Hugo Ball, Kritik der deutschen Intelligenz (Nachdruck), München 1970, S. 37.

  34. A. a. O., S. 236.

  35. A. a. O„ S. 252.

  36. A. a. O., S. 38.

  37. Wolfgang Rothe (Hrsg.), Der Aktivismus 1915 bis 1920, München 1969, S. 39.

  38. A. a. O., S. 29.

  39. Zu den bibliographischen Angaben siehe Rothe, a a. O., S. 155 ff.

  40. Rothe, a. a. O.

  41. A. a. O., S. 11.

  42. A. a. O„ S. 54 f.

  43. A. a. O„ S. 69

  44. Tankred Dorst (Hrsg.), Die Münchner Räterepublik — Zeugnisse und Kommentar, Frankfurt 1966, S. 9 ff.

  45. A. a. O., S. 11f.

  46. A. a. O„ S. 33.

  47. A. a. O„ S. 35.

  48. A. a. O„ S. 92.

  49. Rothe, a. a. O., S. 20.

  50. Dorst, a. a. O., S. 99.

  51. Rothe, a. a. O„ S. 111.

  52. A. a. O„ S. 53.

  53. A. a. O., S. 39.

  54. A. a. O„ S. 43.

  55. A. a. O., S. 50.

  56. A. a. O., S. 52.

  57. Ebenda.

  58. Kurt Töpner, Gelehrte Politiker und politisierende Gelehrte, Göttingen — Zürich — Frankfurt 1970, S. 12.

  59. Vgl. Schwarz, a. a. O., S. 91 ff.

  60. Zit. nach Töpner, a. a. O., S. 35.

  61. Zit. nach O. E. Schüddekopf, Linke Leute von Rechts, Stuttgart 1960, S. 42.

  62. Jürgen Schwarz, Studenten in der Weimarer Republik, Berlin 1971.

  63. A. a. O„ S. 55.

  64. Vgl. Schwarz, a. a. O., S. 17.

  65. Zit. nach Töpner, a. a. O., S. 97

  66. I Max Weber, Soziologie — Weltgeschichtliche Analysen — Politik, hrsg. v. Johannes Winckelmann, Stuttgart 1968, S. 325.

  67. Ebenda.

  68. A. a. O„ S. 377.

  69. A. a. O„ S. 329.

  70. A. a. O., S. 236 ff.

  71. A. a. O., S. 263.

  72. A. a. O„ S. 263 f.

  73. A. a. O„ S. 273.

  74. Ebenda.

  75. A. a. O., S. 317.

  76. A. a. O., S. 338.

  77. A. a. O., S. 334.

  78. Rene König, Studien zur Soziologie, Frankfurt 1971, S. 39.

  79. Max Weber, a. a. O., S. 339.

  80. A. a. 0., S. 354.

  81. Erich v. Kahler, Der Beruf der Wissenschaft, Berlin 1920.

  82. A. a. O., S. 8.

  83. Ebenda.

  84. Vgl. Töpner, a. a. O., S. 23.

  85. A. a. O., S. 26.

  86. Zit. nach: Gerhardt Giese, Quellen z.deutschen Schulgeschichte seit 1800, Göttingen — Berlin — Frankfurt 1961, S. 232.

  87. C. H. Becker, Kant und die Bildungskrise der Gegenwart, Leipzig 1924, S. 68.

  88. A. a. O., S. 67.

  89. Vgl. Töpner, a. a. O., S. 95.

  90. Zit. nach: Werner Klose, Freiheit schreibt auf Eure Fahnen — 800 Jahre deutsche Studenten, Oldenburg und Hamburg 1967, S. 216.

  91. A. a. O., S. VII.

  92. A. a. O., S. 216.

  93. Becker, a. a. O., S. 16.

  94. A. a. O., S. VIII.

  95. A. a. O„ S. 17.

  96. A. a. O„ S. 25.

  97. C. H. Becker, Vom Wesen der deutschen Universität, Leipzig 1925, S. 7.

  98. Becker, Vom Wesen ..., S. 45.

  99. C. H. Becker, Gedanken zur Hochschulreform, Leipzig 1925, S. 12.

  100. A. a. O„ S. 23.

  101. Becker. Vom Wesen ..., S. 39 f.

  102. A. a. O., S. 45.

  103. Ebenda.

  104. Becker, Kant ..., S. 9.

  105. A. a. O„ S. 49.

  106. A. a. O., S. 54.

  107. A. a. O„ S. X.

  108. Zit. nach Schwarz, a. a. O., S. 17.

  109. Zit. nach Bleuel — Klinnert, Deutsche Studenten auf dem Weg ins Dritte Reich, Gütersloh 1967, S. 127.

  110. A. a. O., S. 85.

  111. Vgl. Schwarz, a. a. O., S. 396.

  112. Vgl. Bleuel — Klinnert, a. a. O., S. 179.

  113. A. a. O.

  114. A. a. O„ S. 180 f.

  115. Georg Lukacs, Geschichte und Klassenbewußtsein, Neuauflage, Neuwied und Berlin 1970.

  116. Werner Link, Die Geschichte des IJB und des ISK, Meisenheim am Glan 1964, S. 31.

  117. A. a. O., S. 64.

  118. A. a. O„ S. 29.

  119. George Lichtheim, Georg Lukacs, München 1971, S. 48.

  120. Vgl. Link, a. a. O., S. 71.

  121. Vgl. Olaf Ihlau, Die roten Kämpfer, Meisen-heim am Glan 1969, S. 36.

  122. Zit. nach Bleuel, a. a. O., S. 175.

  123. Rainer Schmidt, Fehldeutungen der Wissenschaftsfreiheit, in: Maier — Zöller (Hrsg.), Die andere Bildungskatastrophe, Köln 1970, S. 140 f.

  124. A. a. O., S. 141.

  125. A. a. O., S. 142.

  126. A. a O., S. 143.

  127. Ebenda.

  128. A. a. O.

  129. Kahl — Meinecke — Radbruch, Die deutschen Universitäten und der heutige Staat, Tübingen 1926, S. 9.

  130. A. a. O,, S. 3.

  131. Ebenda.

  132. A. a. O., S. 13.

  133. A. a. O„ S. 23.

  134. A. a. O„ S. 18.

  135. A. a. O., S. 25.

  136. A. a. O., S. 36.

  137. A. a. O., S. 32.

  138. Vgl. Bleuel — Klinnert, a. a. O., S. 191.

  139. Vgl. Bleuel, a. a. O., S. 186

  140. Vgl. Töpner, a. a. O., S. 208.

  141. Vgl. Bleuel — Klinnert, a. a. O., S. 196.

  142. A. a. O., S. 199.

  143. Ebenda.

  144. Ebenda.

  145. A. a. O., S. 201.

  146. Klose, a. a. O„ S. 224.

  147. Vgl. Bleuel — Klinnert, a. a. O., S. 215.

  148. Zit. nach: Klose, a. a. O., S. 230.

  149. Vgl. Bleuel, a. a. O., S. 205.

  150. Reinhard Kühnl, Die nationalsozialistische Linke 1925— 1930, Meisenheim am Glan 1968 S. 258.

  151. Zit. nach Helmut Kuhn, Die deutsche Universität am Vorabend der Machtergreifung, in: Die deutsche Universität im dritten Reich, o. Hrsg., München 1966, S. 15.

  152. A. a, O„ S. 38.

  153. Max-Hildebert Boehm, Volksdeutsche Forderungen zur Hochschulerneuerung, Stuttgart 1933, S. 5.

  154. A. a. O., S. 6.

  155. A. a. O., S. 20.

  156. A. a. O., S. 39.

  157. A. a. O., S. 67.

  158. A. a. O„ S. 69.

  159. Adolf Rein, Die Idee der politischen Universität, Hamburg 1933.

  160. A. a. O., S. 5 f.

  161. A. a. O., S. 12.

  162. A. a. O., S. 15.

  163. A. a. O., S. 13 f.

  164. A. a. O., S. 18 f.

  165. A. a. O„ S. 19 f.

  166. Ernst Bergmann, Fichte und der Nationalsozialismus, Breslau 1933, S. 6.

  167. Ebenda.

  168. A. a. O., S. 8.

  169. A. a. O„ S. 21.

  170. Ebenda.

  171. Ebenda.

  172. A. a. O„ S. 23.

  173. A. a. O„ S. 24.

  174. A. a. O., S. 25.

  175. A. a. O„ S. 24.

  176. Ernst Topitsch, Die Freiheit der Wissenschaft und der politische Auftrag der Universität, Neuwied und Berlin 1968, S. 11.

  177. Zit. nach Topitsch, a. a. O., S. 16.

  178. A. a. O„ S. 15.

  179. A. a. O., S. 16.

  180. Zit. nach Harry Pross, Die Zerstörung der deutschen Politik, Dokumente 1871— 1933, Frankfurt 1959.

Weitere Inhalte

Michael Zöller, Dr. phil., geb. 1946, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte, Philosophie und Germanistik in Frankfurt, Würzburg und München; gegenwärtig als wiss. Assistent am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München tätig. Veröffentlichungen u. a.: Freiheit von Arbeit, Herrschaft und Form — Strukturelemente ideologischen Denkens der Intelligenz, phil. diss. München 1973; Demokratisierung, Konsens und Kontrolle, in: Wellmann (Hrsg.), Die Umweltrevolte, Köln 1972; Hochschulgesetzgebung und Staatsverständnis, in: Politische Studien, März 1973; Die Utopie der neuen Intelligenz — Der falsche Gegensatz von Form und Freiheit, Köln 1974.