Internationale Dependenzverhältnisse in West und Ost. Funktionen und Wirkungen der Monroe-Doktrin und Breschnjew-Doktrin
Robert K. Furtak
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Zusammenfassung
Das internationale Staatensystem ist durch Dominanz-Dependenz-Verhältnisse strukturiert. Abhängigkeiten beruhen sowohl auf ökonomischen und wissenschaftlich-technologischen Disparitäten als auch auf solchen politischer, militärischer und kulturell-ideologischer Natur. Die letzteren lassen sich insbesondere auch an Hand der Monroe-Doktrin und der Breschnjew-Doktrin aufzeigen, die das Verhältnis zwischen den USA und Lateinamerika auf der einen Seite und der Sowjetunion und Osteuropa auf der anderen asymmetrisch strukturieren. Die Asymmetrie liegt begründet im Anspruch der beiden Zentren auf den Vorbildcharakter ihrer politischen und sozioökonomischen Ordnungen und Wertesysteme, den sie mit Hilfe ihres militärischen Potentials durchzusetzen vermögen, dem sich indessen die peripheren Staaten ohne Zustimmung der Zentren nicht entziehen können. Diese Zustimmung ist solange nicht zu erwarten, wie die Zentren die Gleichartigkeit der inneren Ordnungen innerhalb ihres Hegemonialbereichs als notwendige Voraussetzung ihrer Sicherheit, aber auch ihrer wirtschaftlichen Prosperität betrachten. Die Selbstbestimmung der Nationen Lateinamerikas bzw. Osteuropas reduziert sich darauf, ihre Ordnungen so zu gestalten, daß sie dem jeweiligen Zentrum akzeptabel erscheinen. Das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten hat nur solange Geltung, wie nicht versucht wird, ein von den USA als „amerikanisch“ bzw. von der Sowjetunion als „sozialistisch" qualifiziertes System von außen oder von innen mit militärischen oder friedlichen Mitteln fundamental zu verändern. Beide Doktrinen haben äquivalente, miteinander verschränkte Funktionen: eine präventive Abschirmfunktion und eine Rechtfertigungsfunktion, die sich an Hand der diese Doktrinen konstituierenden Erklärungen wie auch am Beispiel der Intervention der USA in der Dominikanischen Republik und der sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei herausarbeiten lassen. Mit Hilfe der Doktrinen sind die USA und die Sowjetunion in der Lage, Interventionen nicht nur als zu ihrem eigenen Schutz notwendig, sondern auch als im Interesse ihrer Peripherie stehend auszugeben und so sich selbst, der Peripherie und dem jeweiligen weltpolitischen Kontrahenten gegenüber zu rechtfertigen.
I. Vorbemerkung
Das internationale Staatensystem präsentiert sich als ein durch Interaktionen strukturiertes System: Interaktionen, die entlang einer Nord-Süd-Achse und einer Ost-West-Achse verlaufen. Die Friedensforschung begreift dieses Inleraktionssystem als ein solches von Uber-and Unterordnungsverhältnissen — von Abhängigkeitsbeziehungen, deren Ursache Ungleichheit und deren Folgen Unterentwicklung und Unterdrückung, Spannungen und Konflikte sind, deren Merkmal die Gewalt in mannigfaltigen Formen und unterschiedlichen Intensi-tätsgtadenist
Studiert man die literarische Produktion des als „kritisch" sich verstehenden Zweigs der Friedensforschung und die Literatur zur Dependenzproblematik, so fällt auf, daß unter dem Aspekt der Abhängigkeit vornehmlich die Beziehungen zwischen entwickelten kapitalistischen Ländern und Ländern der „Dritten Welt“ thematisiert und als asymmetrisch beschrieben diejenigen zwischen entwickelten kapitalistischen und entwickelten sozialistischen Ländern auf dieselben strukturellen Variablen zurückgeführt und die Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern so gut wie überhaupt nicht untersucht werden. Soweit Überlegungen über Ungleichheit und Abhängigkeit in den Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern angestellt werden werden diese häufig mit dem Hinweis darauf, daß auch die sozialistischen Staaten letztlich Opfer kapitalistischer Penetration seien und somit zusammen mit den Staaten der „Dritten Welt" in dem gleichen Boot säßen, schnell wieder verdrängt Das liegt primär nicht am Mangel an Daten, sondern am Forschungsansatz, der internationale Herrschaftsverhältnisse monokausal auf den Klassendualismus zu reduzieren geneigt ist und die Kategorie der Ausbeutung zu deren bestimmenden Merkmal erhebt. Einer solchen tendenziell einseitigen Sichtweise ist zugute zu halten, daß asymmetrische Beziehungen zwischen sozialistischen Akteuren im wirtschaftlichen Bereich in der Tat nur schwer feststellbar sind allerdings auch entgegenzuhalten, daß in der Regel nicht weiter reflektiert wird, wie sehr im „sozialistischen Lager" Herrschaftsverhältnisse — nach Abschaffung privater Verfügungsmacht über Produktionsmittel — intranational bedingt sind durch die im Prinzip bürokratisch-zentralistische Bestimmung über die Produktion und Distribution von Gütern und Werten (mit Ausnahme von Jugoslawien), oder — wie in der Sowjetunion — durch die dominante Stellung der Russischen Föderativen Sowjetrepublik gegenüber den nichtrussischen Sowjetrepubliken, und international durch den Führungsanspruch der der gesellschaftlichen Ordnung der Sowjetunion verpflichtenden Modellcharakter beimessenden KPdSU.
Eine Friedensforschung, die die Bedingungen des Friedens universell untersuchen und realitätsbezogen sein will, muß auch die die Interaktionsmuster sozialistischer Länder bestimmenden spezifischen Variablen berücksichtigen und die Erringung und Gewährleistung von Frieden nicht im wesentlichen an die Herstellung einer klassenlosen Gesellschaft durch Beseitigung kapitalistischer Produktionsverhältnisse knüpfen, in der als „reale Utopie" ausgegebenen Erwartung, dadurch internationalen Konflikten den Nährboden zu entziehen und so einen auch „positiven" Frieden gewährleisten zu können
Um zu verdeutlichen, daß konfliktträchtiqe Dependenzbeziehungen nicht Ausfluß eines spezifisch kapitalistischen Verhaltens sind daß Abhängigkeit in den Interaktionen zwischen sozialistischen Staaten ebenso anzutreffen ist wie zwischen entwickelten kapitalistischen Staaten und Ländern der „Dritten Welt", werden im folgenden Funktionen und Wirkungen der Monroe-Doktrin und der Breschnjew-Doktrin untersucht. Sie zeigen -gestützt auf eine Bündnis-und aktualisiert durch eine Interventionspolitik — paradigma-tisch, wie die staatlichen Interaktionen in ihrem jeweiligen Geltungsbereich, zwischen den USA und Lateinamerika einerseits, der Sowjetunion und Osteuropa andererseits, vom Element der Ungleichheit und Abhängigkeit geprägt sind. Diese Abhängigkeit wird sowohl an Hand der diese Doktrinen konstituierenden Erklärungen wie auch am Beispiel zweier Anwendungsfälle, der Intervention der USA in der Dominikanischen Republik (1965) und der sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei (1968), vergleichend herausgearbeitet.
Bei der Analyse der beiden Doktrinen wird das in der Dependenz-Literatur entwickelte Zentrum-Peripherie-Konzept verwendet Es gründet auf der Beobachtung, daß im Zuge der internationalen Arbeitsteilung die einen Länder Rohstoffe, Absatzmärkte und ungelernte Arbeitskräfte, die anderen Fertigwaren, insbesondere Investitionsgüter, Kapital und technischen know how bieten. Dieses durch die ungleiche Verteilung technischen Fortschritts bedingte asymmetrische Austausch-verhältnis perpetuiert die einseitige Überlegenheit u. a. mit der Folge, daß die entwickelten Industrieländer die terms-of-trade in der Regel zu ihren Gunsten zu bestimmen vermögen. Das Zentrum-Peripherie-Konzept beschreibt also die Tatsache, daß bei den wirtschaftlichen Austauschbeziehungen die eine Seite in Gestalt von Surplus) z. B. durch die Unterbezahlung von Rohstoffen, Gewinntransfer, Kapitalflucht, „brain-drain’ und durch den einseitigen Genuß von spin-off-Effekten (wor unter Wirkungen in der Infrastruktur, im Bildungs-und Forschungswesen zu verstehen sind) systematisch bevorzugt, die andere Seite aber systematisch benachteiligt wird
Geht man indessen davon aus, daß das Zen-trum-Peripherie-Konzept asymmetrische Beziehungen zwischen Staaten generell erfassen will, so ist es nicht nur dann anwendbar, wenn ein Dominanz-Dependenz-Verhältnis auf ökonomischen und wissenschaftlich-technologischen Disparitäten beruht sondern auch dann, wenn es auf solchen politischer, militärischer und kulturell-ideologischer Art gründet -Obwohl alle diese Disparitäten in der Regel ineinander verwoben sind und nicht verkannt wird, daß beide Doktrinen in einem instrumentalen Bezug zur Wahrung auch wirtschaftlicher Interessen der zwei Zentren stehen, wird in Anbetracht der anders gearteten Austauschbeziehungen bzw. Verrechnungsmodi innerhalb des „sozialistischen Lagers'und der dadurch schwierigen Vergleichbarkeit auf die drei letzten Aspekte des Zentrum-Peripherie-Konzepts abgehoben. Was also bei der vergleichenden Analyse der Doktrinen hier interessieren soll, ist nicht eine Abhängigkeit, die sich etwa im jeweils einseitigen Angebot von Rohstoffen und Investitionsgütern ausdrückt — wobei im Verhältnis USA-Lateinamerika und Sowjetunion-Osteuropa weitgehend vertauschte Rollen festzustellen wären —, sondern darin, daß von den Zentren Entscheidungen und Vorbilder gesetzt werden, die Peripherien hingegen Gehorsam, Nachahmung und Anpassung bieten Dieses asymmetrische Verhältnis zeigt sich in der Chance der einen Staaten, über die politische und sozioökonomische Ordnung sowie das Wertesystem von'Staaten, die über Entscheidungsmacht begründende Ressourcen nicht verfügen, zu befinden. Dependenzverhältnisse lassen sich deshalb feststellen aufgrund beobachtbarer Handlungen von Staaten, mit denen diese gegen den Willen anderer Staaten ein, bestimmtes Verhalten erzwingen bzw. aufgrund beobachtbarer Handlungen von Staaten, die einen Gehorsam gegenüber anderen Staaten zum Ausdruck bringen. Weitere Merkmale einer Zentrum-Peripherie-Konstellation bestehen darin, daß sich die Beziehungen zwischen peripheren Staaten entweder über die Zentren abwickeln oder aber zumindest Reaktionen der Zentren in den Beziehungen innerhalb der Peripherie in der Regel antizipierend berücksichtigt werden, ferner darin, daß Maßnahmen und Verhaltensweisen von Eliten in peripheren Staaten weitgehend an den Interessen, Bedürfnissen und Wünschen der Eliten in den Zentren ausgerichtet sind Im äußersten Fall kann ein Dominanz-Dependenz-Verhältnis seitens der Zentren durch die Anwendung bzw. Drohung mit der Anwendung direkter Gewalt, z. B. in Gestalt einer bewaffneten Intervention, demonstriert werden.
Das Zentrum der Monroe-Doktrin ist die USA, ihre Peripherie die mit ihr in der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) zusammengeschlossenen Staaten Lateinamerikas; Zentrum der Breschnjew-Doktrin ist die Sowjetunion, ihre Peripherie der Intention nach alle vierzehn, von kommunistischen Parteien regierten Staaten, der praktischen Auswirkung nach allerdings nur die sozialistischen Staaten Ost-und Südeuropas, soweit sie im Warschauer Pakt und im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammengeschlossen sind — also nicht Jugoslawien und Albanien. *
II. Die Monroe-Doktrin und die Intervention der USA in der Dominikanischen Republik
Am 2. Dezember 1823 verkündete der Präsident der USA, Monroe, in seiner Jahresbotschaft an den Kongreß eine Reihe von Prinzipien, die den Kern der nach ihm benannten Doktrin konstituieren und im wesentlichen folgendes besagen: Erstens, daß das politische System Amerikas grundverschieden von demjenigen der europäischen Mächte sei; zweitens, daß die USA in jedwedem Versuch, jenes System auf irgendeinen Teil der westlichen Hemisphäre auszudehnen, eine Gefahr für ihre Sicherheit sehen würden; drittens, daß sie jeden Versuch der ehemaligen europäischen Mutterländer, über das Schicksal der gerade unabhängig gewordenen Gebiete Lateinamerikas zu bestimmen, als einen unfreundlichen Akt empfinden würden In der Folgezeit ist auf der Grundlage dieser Prinzipien ein ganzes Bündel außenpolitischer Maximen entwickelt worden, deren Auffächerung nicht Gegenstand dieser Studie ist. Eine Skizzierung vor allem des Wechsels der Stoß-richtung und Dimension dieser Leitsätze mag hier genügen
Dem Verzicht auf jegliche Einmischung in innereuropäische Angelegenheiten korrespondierend, war die Monroe-Doktrin konzipiert worden, um die in der Heiligen Allianz zusammengeschlossenen europäischen Mächte von Versuchen abzuhalten, ihr politisches System — die Monarchie — in der westlichen Hemisphäre zu etablieren bzw. die von einem Teil Lateinamerikas errungene Unabhängigkeit von Spanien und Portugal rückgängig zu machen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde sie zu einer Rechtfertigungsideologie für imperialistische Ansprüche und Aktionen der USA vor allem in Mittelamerika und in der Karibik (Kuba, Dominikanische Republik, Nikaragua, Haiti) uminterpretiert. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die ursprüngliche Schutzfunktion der Monroe-Doktrin gegen die Ausbreitung faschistischen Ideenguts und nach 1945 gegen ein übergreifen des Sozialis. mus/Kommunismus auf die beiden Amerika gewendet und zur Begründung eines regionalen Interventionsrechts herangezogen Ihre antikommunistische Abwehrfunktion wurde in dem am 2. September 1947 auf der „Interamerikanischen Verteidigungskonferenz" in Rio de Janeiro geschlossenen Beistandspakt sichtbar, in dem die amerikanischen Staaten übereinkamen, jeden bewaffneten Angriff einer extrakontinentalen Macht — womit in Anbetracht der internationalen Konstellation nur die Sowjetunion gemeint sein konnte — automatisch, und einen sonstigen Angriff — z. B. eine kommunistische Subversion — nach vorheriger Konsultation und nach Feststellung der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens kollektiv abzuwehren Die Verpflichtung zum gegenseitigen kollektiven Beistand wurde im darauffolgenden Jahr (1948) auf der IX. Interamerikanischen Konferenz von Bogota in die dort unterzeichnete „Charta der Organisation Amerikanischer Staaten" aufgenommen, deren Art. 25 bestimmt: „Wenn die Unverletzlichkeit oder Unversehrtheit des Territoriums oder die Souveränität oder politische Unabhängigkeit eines amerikanischen Staates durch bewaffneten Angriff oder eine Angriffshandlung, die kein bewaffneter Angriff ist, oder durch einen außerkontinentalen Konflikt. . . bedroht wird, so sollen die amerikanischen Staaten im Einklang mit den Grundsätzen kontinentaler Solidarität oder kollektiver Selbstverteidigung die Maßnahmen und Verfahren anwenden, die für diesen Fall in besonderen Verträgen fest-aeleqt sind." Die Konsultationspflicht, auf die hier Bezug genommen wird, sollte offensichtlich Maßnahmen der OAS mit dem Selbstbestimmungsrecht ihrer Mitglieder in Einklang bringen, dessen Respektierung in Art. 15 der Charta verankert wurde, und zwar in folgender Formulierung: „Kein Staat und keine Staatengruppe hat das Recht, sich direkt oder indirekt, aus welchem Grunde es auch sei, in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Dieser Grundsatz verbietet nicht nur die Anwendung bewaffneter Macht, sondern auch jede andere Form von Einmischung oder von Bedrohung der [Rechts]Persönlichkeit des Staates oder seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen."
Mit der in der Charta der OAS fixierten Verpflichtung zum gemeinsamen Handeln war — mit einer antikommunistischen Akzentsetzung -ein von F. D. Roosevelt unter dem Etikett der „good neighbor policy" eingeleiteter Prozeß einer „Multilateralisierung" der Monroe-Doktrin abgeschlossen, insofern als die Verteidigung der von ihr geschützten Werte zur Sache aller amerikanischen Staaten erklärt wurde. Hierbei ist allerdings folgendes festzuhalten: Erstens, daß die USA die Integrität der Staaten Lateinamerikas nach wie vor als instrumental für ihre eigenen sicherheitsund wirtschaftspolitischen Interessen betrachten; zweitens, daß das zu schützende Gut sich in Anbetracht der Unterschiede in der realen Ausgestaltung der politischen Systeme der amerikanischen Staaten de facto auf die Bewahrung des ihnen gemeinsamen Privatkapitalismus und der ihm immanenten Austausch-beziehungen reduziert drittens, daß die USA die Verpflichtung zu amerikanischen Kollektivaktionen umgehen können, indem sie die Bekämpfung nicht genehmer Regimes als innere Angelegenheiten erscheinen lassen, also gleichsam stellvertretend ihre Interessen wahren lassen, wie im Falle Guatemala 1954 durch den Oberst Castillo Armas und im Falle Kuba 1961 durch Exilkubaner; viertens, daß die USA, wie Präsident Kennedy nach der mißlungenen Invasion Kubas im April 1961 deutlich gemacht hat, auf das Recht zu unilateralen Interventionen nicht verzichtet haben
Vor dem Hintergrund des sozialreformerischen, insbesondere auch Interessen der United Fruit Company tangierenden Kurses des Präsidenten Arbenz in Guatemala wurde der Begriff der „unbewaffneten Aggression" auf der X. Interamerikanischen Konferenz von Caracas im März 1954 expressis verbis als „Intervention des internationalen Kommunismus“ konkretisiert und „die Beherrschung oder Kontrolle der politischen Institutionen irgendeines amerikanischen Staates durch die Bewegung des internationalen Kommunismus" als „eine Bedrohung der Souveränität und der politischen Unabhängigkeit dieses Staates" und damit als „Gefährdung des Friedens in Amerika" qualifiziert Im Januar 1962 wurde angesichts der sozialistischen Entwicklung in Kuba auf der VIII. Außenministerkonferenz der OAS in Punta del Este (Uruguay) eine Erklärung verabschiedet, in der die Unvereinbarkeit des kommunistischen Systems mit dem interamerikanischen System festgestellt und die wirtschaftliche und politische Isolierung Kubas eingeleitet wurde Damit sollte der Ausstrahlung der kubanischen Revolution, dem „Export" eines „fremden Systems“ entgegengewirkt werden, das sich in Kuba gleich zweifach etabliert hatte bzw. noch etablieren sollte: zum einen die zum Marxismus-Leninismus sich bekennenden kubanischen Revolutionäre, zum anderen die Sowjetunion — im Sommer/Herbst 1962 mit Raketen und Truppen und nach deren Abzug als Ergebnis der „Kuba-Krise" vom Oktober 1962, wie schon vorher, mit sonstigen Waffen und Beratern. Die Monroe-Doktrin hatte diese Ereignisse zwar nicht präventiv verhindern können, ihre Abschirmfunktion hat sie dadurch jedoch nicht eingebüßt. Es war, parallel zur Trumanund Eisenhower-Doktrin, ihre Aufgabe, den Kommunismus zu isolieren
So kann das bewaffnete Eingreifen der USA in der Dominikanischen Republik Ende April 1965 als Ausdruck des Bestrebens gesehen werden, die Präventionsschwelle, selbst auf die Gefahr einer Überreaktion hin, wieder niedriger anzusetzen, um einer Wiederholung der kubanischen Entwicklung rechtzeitig vorzubeugen. Es genügte allein schon die Rebellion junger Offiziere mit dem Ziel, den vor allem durch sein Agrarprogramm als sozial-reformerisch ausgewiesenen, 1963 gestürzten Präsidenten Juan Bosch wieder in seine Rechte einzusetzen, um eine kommunistische Subversion anzunehmen bzw. zu unterstellen. Zunächst wurde die Intervention als notwendig zum Schutze von ausländischen Bürgern, insbesondere Staatsangehörigen der USA erklärt und mit einem Ersuchen dominikanischer Militärs — also bemerkenswerterweise nicht der Regierung — begründet, aber schon wenige Tage später von Präsident Johnson damit gerechtfertigt, daß „eine Bande kommunistischer Konspirateure" sich der konstitutiona. listischen Bewegung bemächtigt hätte, und daß die USA deshalb die Entstehung eines „weiteren kommunistischen Staates" — eines zweiten Kuba — in der westlichen Hemisphäre verhindern müßten Diese Absicht fand ihren Niederschlag im Umfang des militärischen Engagements. Nachdem die Evakuierungsaktion beendet war, nahm die Zahl der gelandeten Truppen sprunghaft zu und soll schließlich rd. 30 000 Mann erreicht haben; die Zahl der namhaft gemachten, des Kommunismus verdächtigten Personen betrug dagegen 53 bis 77
Entgegen den Vereinbarungen der Mitglieds-länder der OAS über kollektive Schutzmaßnahmen und über eine Konsultationspflicht im Falle einer Subversion sind die USA einseitig vorgegangen. Die OAS wurde erst später hinzugezogen: Sie setzte eine Kommission zur Aushandlung eines Waffenstillstandes und zur Bildung einer provisorischen Regierung ein; einige lateinamerikanischen Staaten entsandten kleine Truppenkontingente. Daß sich die USA berechtigt glaubten, unilateral vorzugehen, fand seinen Ausdruck in einer Resolution des Repräsentantenhauses vom September 1965, in der die Regierung — unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Monroe-Doktrin — aufgefordert wurde, auch einseitig und ohne vorherige Konsultation innerhalb der OAS Gewaltanwendung zu üben, um eine kommunistische Machtübernahme in einem amerikanischen Staat zu verhindern
III. Die Breschnjew-Doktrin und die Intervention der Sowjetunion in der Tschechoslowakei
Die im Gefolge der tschechoslowakischen Krise von 1968 entwickelte Breschnjew-Doktrin umfaßt eine Reihe von die Rechte und Pflichten sozialistischer Staaten regelnden Grundsätzen, die — thesenartig verdichtet — folgendes beinhalten: Erstens, daß die sozialistischen Staaten eine nur beschränkte Souveränität besäßen, die in dem Recht der* Werktätigen besteht, unter der Führung einer kommunistischen Partei eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung aufzurichten; zweitens, daß das Selbstbestimmungsrecht der sozialistischen Staaten nicht die Loslösung von der „sozialistischen Völkergemeinschr’t" einschließen könne; drittens, daß die Maximen der friedlichen Koexistenz wie Respektierung der territorialen Integrität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten vor der Austragung des Klassenkampfes auf internationaler Ebene zurücktreten müßten. Wenn eine kommunistische Partei vom Wege des Sozialismus — im sowjetischen Verständnis, wie darzulegen sein wird — abzudriften droht, seien die . Bruderländer“ notfalls auch zur militärischen Intervention berechtigt und verpflichtet Diese Prinzipien sind zwar erst durch die Rede Breschnjews auf dem V. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei im November 1968 als „ex cathedra" verkündet in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gelangt und deshalb mit dem Namen des Generalsekretärs der KPdSU etikettiert worden, sie waren jedoch bereits rund zwei Monate vorher in einem vom sowjetischen Parteiorgan „Prawda" veröffentlichten Artikel formuliert worden In ihrem Kern nimmt die Breschnjew-Doktrin eine Ausdehnung des bereits von Lenin und Stalin Anfang der zwanziger Jahre für das Verhältnis der Russischen Sowjetrepublik zu den formal unabhängig gewordenen peripheren Gebieten des ehemaligen zaristi-schen Reichs aufgestellten Prinzips einer durch Klassenbeziehungen überwölbten staatlichen Souveränität auf das Verhältnis aller sozialistischen Länder untereinander vor und stellt eine Präzisierung des „proletarisch-sozialistischen Internationalismus" dar — eines im Laufe der Jahre entwickelten Bündels von Grundsätzen für die Beziehungen unter kommunistischen Parteien und sozialistischen Staaten
Um die Wurzeln der Breschnjew-Doktrin und der durch sie begründeten strukturellen Abhängigkeit der Länder Osteuropas von der Sowjetunion offenzulegen, sei zunächst auf das Prinzip des „proletarischen Internationalismus“ eingegangen. In der frühen Phase der sozialistischen Bewegung (Erste und Zweite Internationale) bedeutete es die Solidarität der Arbeiterklasse und die völlige Gleichheit und Gleichberechtigung der sozialistischen Parteien. Die siegreiche Oktoberrevolution und der Aufbau des „Sozialismus in einem Land" — in der Sowjetunion — hob die Russische Kommunistische Partei, die dies vollbracht hatte, aus der Masse der übrigen Parteien heraus. Sie hatte Erfolg und Erfahrungen aufzuweisen, sie konnte beispielgebend sein. Daher lag es nahe, diese Erfahrungen auf dem V. Kongreß der Kommunistischen (Dritten) Internationale von 1924 für verbindlich zu erklären um die Chance weiterer siegreicher Revolutionen zu gewährleisten. Ferner konnte es als selbstverständlich erscheinen, die UdSSR als Mutterland der revolutionären Weltbewegung zu unterstützen und zu schützen, um den Erfolg weiterer Revolutionen sicherzustellen. Die in der Komintern zusammengeschlossenen kommunistischen Parteien machten sich dies zur Pflicht.
Der Erfolg und die Erfahrungen der einen wie der Mißerfolg der anderen mündeten in eine asymmetrische Strukturierung der Beziehungen insofern, als der „proletarische Internationalismus" im Sinne der für die einzelnen kommunistischen Parteien gültigen Organisationsprinzipien des „Demokratischen Zentralismus" ausgelegt wurde d. h. im Sinne einer Verbindlichkeit der von den zentralen Parteiorganen getroffenen Entscheidungen für die nachgeordneten Organe — was die kommunistischen Parteien zu Befehlsempfängern der KPdSU machte. Von diesem Führungsanspruch innerhalb der internationalen kommunistischen Bewegung ist die KPdSU, wiewohl sie ihn mit unterschiedlichem Nachdruck und unterschiedlich verpackt verfochten hat, niemals abgerückt.
Das Prinzip des „sozialistischen Internationalismus" ist aus der Entstehung weiterer sozialistischer Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg erwachsen. Im November 1957 auf der Moskauer Konferenz der regierenden kommunistischen Parteien formuliert und in der Erklärung von 81 kommunistischen Parteien vom Dezember 1960 bestätigt, besagt es u. a., daß die die „sozialistische Völkergemeinschaft" bildenden Staaten verpflichtet sind, bei der Aufrichtung und beim Schutz der sozialistischen Gesellschaftsordnung einander „brüderliche Hilfe" zu erweisen. Die Beistandspflicht ist nicht nur dann aktuell, wenn der Sozialismus durch einen äußeren Feind gefährdet wird, sondern auch, wenn eine „kapitalistische Restauration" durch die „imperialistische Reaktion", mithin von innen her, droht Sowjetischerseits wurden die Grundsätze des „sozialistischen Internationalismus" als eine für die „sozialistische Gemeinschaft" geltende Völkerrechtsnorm qualifiziert, obwohl sie bis heute keinen Eingang in ein multilaterales, unter Staaten geschlossenes Vertragswerk gefunden haben — der Warschauer Vertrag sieht nur einen Beistand bei einem bewaffneten Überfall auf einen Mitgliedsstaat vor
Ebenfalls auf der Konferenz vom Herbst 1957 wurden, unter Anerkennung der bereits 1945/46 formulierten und in der Belgrader Deklaration vom Juni 1955 sowie auf dem XX. Parteitag der KPdSU (1956) wiederbelebten These vom „besonderen (nationalen) Weg zum Sozialismus" — sowohl für die Kampf-wie auch Aufbauphase —, zehn „Allgemeine Gesetzmäßigkeiten" für verbindlich erklärt, deren wichtigste sind: das Führungsmonopol der kommunistischen Partei, das Bündnis der Arbeiterklasse mit den armen Bauern und anderen Bevölkerungsschichten, die Verstaatlichung der wichtigsten Produktionsmittel, die allmähliche Kollektivierung der Landwirtschaft, die zentrale Planung, die „ideologische und kulturelle" Revolution und der Schutz der sozialistischen Errungenschaften nach innen und nach außen.
Da diese „essentials“ je nach den konkreten historischen Bedingungen eines Landes eine „schöpferische“ Anwendung erlauben sollen und auch von Mitgliedsstaaten des War-schauer Pakts in diesem Sinne realisiert werden, könnten die von den tschechoslowakischen Kommunisten 1968 initiierten bzw. anvisierten Reformen insbesondere ihre — wohl in der Erwartung, ihre führende Stel. lung nicht zu verlieren — erklärte Bereitschaft, sich dem Wettbewerb mit anderen politischen Kräften aussetzen zu wollen und die anvisierte Wirtschaftsreform mit ihren Kernstücken: Preisregulierung durch den Markt und betriebliche Mitwirkung bei der Planung und Durchführung der Produktion objektiv gesehen als noch „gesetzmäßig" gelten. Die Tschechoslowakei war aber darüber hinaus zu einer Einbruchstelle für liberale Werte und Verhaltensweisen dadurch geworden, daß ihre Partei-und Staatsorgane sich westlich-parlamentarischer Traditionen des Landes wiederbesannen, die Meinungsfreiheit weitgehend wiederherstellten und dem im Zuge dieser Freiheit sich einstellenden Antisowjetismus der tschechoslowakischen Massenmedien nicht entgegentretend der geistigen Kommunikation mit dem Westen kaum noch Hindernisse in den Weg legten — damit aber Koexistenz in einem Bereich praktizierten, der sowjetischerseits aus den Ost-West-Beziehungen nachdrücklich ausgeklammert wird.
Abgesehen von der unmittelbaren Begründung der Intervention durch die Streitkräfte der Sowjetunion, der DDR, Polens, Ungarns und Bulgariens am 21. August 1968 mit dem Hilfegesuch von „Partei-und Staatsfunktionären" der Tschechoslowakei — maß-gebend für die Motivierung des Vorgehens gegen die Tschechoslowakei kann nur die Perzeption und Interpretation des tschechoslowakischen Kurses und seiner Folgen durch die Sowjetunion und die übrigen Interventionsmächte sein (ob aus derem eigenen Antrieb oder auf Druck der Sowjetunion hin, entzieht sich der Überprüfung). Schon vor der Intervention hatte die Sowjetunion parteiamtlich mehrfach zu verstehen gegeben, daß sie die Entwicklung in der Tschechoslowakei als konterrevolutionär betrachtete Kurz nach der Intervention wurde die Entwicklung in der Tschechoslowakei von der „Prawda“ als ein „Abrücken von marxistisch-leninistischen Prinzipien" qualifiziert und von Breschnjew auf dem Parteitag der polnischen Kommunisten als Versuch sozialismusfeindlicher Kräfte zur Wiederherstellung kapitalistischer Zustände bezeichnet. Damit war aber klargestellt, daß die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei die Grenzen des sowjetischen Interpretationsrahmens für die Realisierung der am sowjetischen Sozialismusmodell orientierten „Gesetzmäßigkeiten" überschritten hatte.
Die Ausrichtung auf dieses Modell erachtet die Sowjetunion nicht nurals unabdingbar für die Behauptung ihres Führungsanspruchs, sondern auch als funktional für ihre Sicherheit Diese ist auch dadurch gewährleistet, daß die ihr kranzförmig vorgelagerten, im Warschauer Pakt mit ihr zusammengeschlossenen Staaten — mit der Tschechoslowakei als Mittelstück — gegenüber der NATO eine Sicherheitszone bilden, deren Wert nicht nur in der Tiefe des Aufmarschgebietes und in ihrem militärischen Potential liegt, sondern auch und vor allem in ihrer auf der Identität der politischen und sozioökonomischen Ordnungen dieser Staaten beruhenden Kohärenz Die „Lebensinteressen" der Sowjet“ union und die Sicherheit der ganzen „sozialistischen Gemeinschaft" waren nicht wie im Falle Ungarn 1956 durch ein Ausscheren der Tschechoslowakei aus dem Warschauer Pakt bedroht — seitens der Tschechoslowakei war lediglich eine Änderung der Kommandostruktur des Warschauer Pakts zur Diskussion gestellt worden —, sondern vielmehr durch die Ausstrahlungskraft der tschechoslowakischen Reformansätze — nicht nur auf die nicht-sowjetischen Paktmitglieder, sondern vermutlich auch auf die eigene Peripherie der Sowjetunion, wie die Ukraine
Durch die Unterstellung einer Gefährdung der Lebens-und Sicherheitsinteressen der Sowjetunion hat die Intervention ihre Begründung erfahren, durch die Breschnjew-Doktrin ihre Rechtfertigung im Wege einer dialektischen Auflösung des Gegensatzes zweier Elemente des „proletarisch-sozialistischen Internationalismus“: dem auch in den Deklarationen von 1957 und 1960 und in den bilateralen Vertragen der Sowjetunion mit ihren Warschauer-Pakt-Partnern verankerten Bekenntnis zu den völkerrechtlichen Normen einer Respektierung der staatlichen Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines jeden Staates und der Pflicht zur einseitigen oder kollektiven Verteidigung des Sozialismus, einschließlich des Mittels einer bewaffneten Intervention. Selbst eine solche kann dieser Doktrin zufolge keine Verletzung des Souveränitätsrechts beinhalten, da es für die sozialistischen Staaten keine „abstrakt verstandene Souveränität" und keine „formale Einhaltung" eines Rechts auf „Selbstbestimmung" gibt sondern nur eine Option für die sozialistische und damit — in marxistisch-leninistischer Sicht — fortschrittlichere Ordnung.
In dem von der Prawda am 8. Juni 1970 als die Verkörperung eines neuen Typs der Be-Ziehungen zwischen sozialistischen Staaten bezeichneten sowjetisch-tschechoslowakischen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe vom 6. Mai 1970 wurde die „gemeinsame internationale Pflicht der sozialistischen Länder" zu deren „Aufrechterhaltung, Festigung und Verteidigung" erstmalig rechtlich fixiert Daß allerdings eine derartige Anwendung der Prinzipien des „proletarisch-sozialistischen Internationalis-mus" keine opinio comunis aller Mitglieder des Warschauer Pakts ist, ist wiederholt von Rumänien zum Ausdruck gebracht worden — so vor allem von Partei-und Staatschef Ceausescu, der auf der Dritten Weltkonferenz der kommunistischen Parteien im Juni 1969 erklärte, daß es mit diesen Prinzipien nicht vereinbar sei, „sich in irgendeiner Form in die inneren Angelegenheiten eines sozialistischen Landes oder einer Bruderpartei einzumischen" *
IV. Funktionaler Vergleich
Monroe-Doktrin und Breschnjew-Doktrin lassen sich als Hegemonlaidoktrinen qualifizieren, da sie die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika auf der einen Seite, der Sowjetunion und den übrigen Staaten des Warschauer Pakts auf der anderen Seite durch ihre Funktionen und Wirkungen asymmetrisch strukturieren. Ihrem historischen Ursprungskontext nach verschieden, haben sie äquivalente, miteinander verschränkte Funktionen: eine präventive Abschirmfunktion und eine Rechtfertigungsfunktion. — Wenn mitunter die Rechtfertigungsfunktion der Monroe-Doktrin in Frage gestellt wird, mit dem — richtigen — Argument, daß die USA durch ihr Engagement in Europa gegen deren reziproken Charakter verstoßen und sich damit selbst die Rechtfertigungsgrundlage für die Abwehr außeramerikanischer Einflüsse entzogen hätten’ so ist dem entgegenzuhalten, daß die Doktrin nach wie Vor Denken und Handeln US-amerikanischer Politiker bestimmt und von ihnen zur Rechtfertigung von Interventionsentscheidungen herangezogen wird
Beide Doktrinen zielen auf die Aufrechterhaltung stabiler, politisch und sozioökonomisch homogener Staatengruppierungen durch die Abwehr fremder Einflüsse: unamerikanischer — in der durch die USA vorgenommenen Interpretation; unsozialistischer — in der sowjetischen Auslegung. Beide Doktrinen haben eine aus ihrer Präventivfunktion sich ergebende Signalwirkung gegenüber den Peripherien. Kuba hat für Lateinamerika die Alternative zur monokulturellen Rohstofferzeugung und -ausfuhr, Kapitalüberfremdung, sozialer Ungleichheit, zum Analphabetentum — kurz: einen Weg Zur Abschüttelung der Dependenz von den USA gewiesen; die Tschechoslowakei hat einen „pluralistischen Sozialismus" zu demonstrieren versucht. Die Doktrinen sollten und sollen allein durch ihre Existenz — ibge-stützt freilich durch Machtmittel zu ihrer Durchsetzung — einer Nachahmung der In den beiden Landern entwickelten Muster einer von den Zentren abgelehnten politischen und sozioökonomischen Ordnung durch andere Staaten der jeweiligen Peripherie vorbeugen und ein entsprechendes Verhalten erzwingen.
Die Immunisierung der Peripherien gegen extraregionale sozialistisch-kommunistische bzw. bürgerlich-kapitalistische Einflüsse wird von den Zentren als instrumentell für ihre Sicherheit rationalisiert wobei unter das Si(Anm. cherheitssyndrom sowohl die Gewährleistung der eigenen politischen und sozioökonomischen Ordnung wie auch — insbesondere im Falle der USA — der Schutz wirtschaftlicher Interessen zu subsumieren ist. Hierbei ist die geopolitisch-strategische Lage des als gefährdet angenommenen Teils der Peripherie für die Reaktion der Zentren nicht ohne Bedeutung. Die nordamerikanische Idiosynkrasie gegenüber der Dominikanischen Republik geht auch darauf zurück, daß die USA die Karibik _ außerdem Mexiko und Mittelamerika -bereits seit dem vorigen Jahrhundert und insbesondere später unter Präsident Theodore Roosevelt als Sicherheitszone (und partiell als Objekt ihres Expansionsdrangs) betrachten’ Andererseits dürfte die sowjetische Toleranz gegenüber dem weitgehend eigenständigen Kurs Rumäniens nicht nur damit zu erklären sein, daß die rumänischen Kommunisten an der Monopolstellung ihrer Partei keine Abstriche gemacht haben, sondern auch damit, daß Rumänien nicht diejenige strategische Position im Gefüge des Warschauer Pakts einnimmt wie die Tschechoslowakei Soweit die USA die Entwicklung in der Dominikanischen Republik und die Sowjetunion diejenige in der Tschechoslowakei als Gefährdung ihrer Sicherheit perzipierten, ist zu vermuten, daß beide Zentren auch ohne Doktrinen genauso gehandelt hätten, wie sie gehandelt haben’ Mit Hilfe der Doktrinen sind sie jedoch in der Lage, Interventionen nicht nur als zu ihrem eigenen Schutz notwendig, sondern auch als zum Schutz der jeweiligen regionalen Ordnung intendiert und damit als im Interesse aller ihrer Mitglieder stehend auszugeben und so sich selbst, der Peripherie und dem anderen Zentrum gegenüber zu rechtfertigen.
Die Funktionen der Doktrinen haben verbal in den Interventionsbegründungen und im Verhalten der USA und der Sowjetunion im Falle der Dominikanischen Republik bzw.der Tschechoslowakei ihren Niederschlag gefunden. Präsident Johnson erklärte am 2. Mai 1965: „Kommunistische Führer. .. haben sich der dominikanischen Revolution angeschlossen und sie zunehmend unter Kontrolle gebracht. Was als eine demokratische Volksrevolution begonnen hat..., wurde sehr bald ... von einer Bande kommunistischer Verschwörer übernommen, die ihre Weisungen von außen erhalten... Es ist unser Ziel..., einen weiteren kommunistischen Staat in dieser Hemisphäre zu verhindern." Und die sowjetische Nachrichtenagentur TASS vom 21. August 1968 erklärte — auf ein Hilfegesuch verweisend: „Diese Bitte ist auf die Gefahr zurückzuführen, die der in der Tschechoslowakei bestehenden sozialistischen Ordnung ... von Seiten konterrevolutionärer Kräfte droht, die mit dem Sozialismus feindlichen äußeren Kräften ein Komplott eingegangen sind ... Die weitere Verschärfung der Lage in der Tschechoslowakei berührt die Lebensinteressen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder... Es wird nie und niemandem gestattet sein, auch nur ein Glied aus der Gemeinschalt der sozialistischen Staaten herauszubrechen. “ Die amerikanischen und sowjetischen Okkupationstruppen griffen in den zivilen Verwaltungsapparat ein, verhörten des Kommunismus bzw.der Konterrevolution Verdächtige und arbeiteten auf die Einsetzung einer ihnen genehmen Regierung hin, der sie den einzuschlagenden politischen Kurs vorschrieben.
Dadurch, daß die USA und die Sowjetunion ihre politischen und sozioökonomischen Ordnungen zum Vorbild und Maßstab für ihre Peripherien erheben und ihnen — unter permanenter Interventionsdrohung — eine eigenständige Entwicklung immer dann verwehren, wenn sie eine solche als ihren Interessen abträglich und ihrem Missionsdrang entge-genstehend ansehen, sind die Beziehungen innerhalb der beiden Regionen vom Element „struktureller Gewalt“ geprägt Die Selbstbestimmung der Nationen Lateinamerikas und Osteuropas ist kein absoluter Wert, sondern reduziert sich auf die „Freiheit", ihre politische und sozioökonomische Ordnung so zu gestalten, daß sie dem jeweiligen Zentrum akzeptabel erscheint. Das Prinzip der Nicht-einmischung in die inneren Angelegenheiten hat nur solange Geltung, wie nicht versucht wird, ein von den Zentren im Wege der Eigenprojektion als „amerikanisch“ bzw. „sozialistisch" qualifiziertes System von außen oder von innen mit militärischen oder friedlichen Mitteln fundamental zu verändern. Ein solcher politischer und sozialer Wandel in den Peripherien erscheint deshalb grundsätzlich nur in dem Maße als möglich, wie sich die Zentren selbst ändern. Darüber sollten — im Hinblick auf die westliche Hemisphäre — auch Äußerungen Präsident Nixons nicht hinwegtäuschen, daß die USA die Pluralität politischer und sozioökonomischer Ordnungen in Lateinamerika dulden wollten. Maßstab der Toleranz werden auch weiterhin die US-amerikanischen Interessen sein, woran Nixon in seiner außenpolitischen Botschaft an den Kongreß am 9. Februar 1972 keinen Zweifel gelassen hat
Die Ordnungsund Wertesysteme der Zentren sind für die Peripherien in der Charta der OAS bzw. in den „Allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus" als richtungsweisend definiert. Dabei ist allerdings folgendes festzustellen: In der westlichen Hemisphäre sind die politisch-ideologischen Gemeinsamkeiten in der Substanz sehr gering; die USA nehmen auch autoritäre und diktatorische Regime hin, wenn sie nur antikommunistisch sind, so daß das „amerikanische System" de facto eine Fiktion ist. Konstitutionalismus und Liberalismus haben in vielen lateinamerikanischen Staaten eine nur formale Bedeutung; die ihnen entsprechenden Verhaltensnormen wie Respektierung der Verfassung, Schutz der Menschen-und Bürgerrechte, allgemeines und gleiches Wahlrecht, Duldung einer Opposition sind dort weit davon entfernt, Richtschnur politischen Handelns zu sein. In Osteuropa dagegen sind Ein-Partei-Staat und Kollektivismus weitgehend akzeptierte und verwirklichte Ordnungsformen. Die politisch-ideologische Kohärenz der Staaten des Warschauer Pakts ist deshalb weitaus dichter als diejenige der OAS-Mitglieder, mag auch die Sowjetunion Abweichungen von ihrem Modell tolerieren, wie im Falle der Eigentumsverhältnisse in der polnischen Landwirtschaft, die größtenteils privater Natur sind, oder — wenn auch neuerdings mit einschränkender Tendenz — im Falle der ungarischen Wirtschaftsreform, mit der dem Markt eine relativ weitgehende Regelungsfunktion zugestanden wurde.
Die Systemdefinition der Charta bzw.der „Gesetzmäßigkeiten“ sind also Interpretationen und Abweichungen gegenüber offen -wenn auch in unterschiedlichem Maße, denn auf eine einfache „Formel" gebracht: Lateinamerika soll alles sein können, nur nichtsozialistisch-kommunistisch; Osteuropa aber nur sozialistisch in der sowjetischen Definition Die Interpretationsbreite ist indessen hier wie dort kein zuverlässiger Indikator für die von den USA bzw.der Sowjetunion tolerierte innen-und außenpolitische Bewegungsfreiheit Die Unsicherheit über die Höhe der Toleranz-schwelle, die je nach dem Eigeninteresse des Zentrums zu einem bestimmten Zeitpunkt verschieden sein kann, verschafft den Zentren einen weiteren Vorteil bei der Kontrolle über ihre Peripherien.
Die Realisierung der u. a. auch durch die beiden Doktrinen begründeten asymmetrischen Interaktionsmuster — im Sinne einer Befolgung einer im Zentrum getroffenen Entscheidung — erfolgt vor allem mittels einer Harmonisierung der Eliten der Peripherie mit denjenigen des Zentrums. Die USA wie auch die Sowjetunion unterhalten in den peripheren Staaten „Brückenköpfe“ in Gestalt zentrumsorientierter, zu Gehorsam und Nachahmung bereiter Eliten: in Lateinamerika sind es Politiker, Unternehmer, Großgrundbesitzer und überwiegend für „law and order“ eintretende Militärs; in Osteuropa die kommunisti sehen Parteien. Hier vermittelt das interparteiliche Dependenzverhältnis das interstaatliche. Die kommunistischen Parteien der sowjetischen Peripherie haben die Macht nicht ohne Hilfe der Sowjetunion errungen; möglicherweise sind sie — wie die Ereignisse in Ungarn 1956 gezeigt haben — auch nur mit Hilfe der Sowjetunion imstande, sie zu behaupten. Zumindest ihre Moskauer Flügel erblicken im Sozialismus der Sowjetunion das Sozialismusmodell par excellence, betrachten die KPdSU als die Mutterpartei und stellen deren Führungsanspruch nicht in Frage. Zwar wird für alle herrschenden kommunistischen Parteien eine Verantwortlichkeit für ihre Handlungen gegenüber allen sozialistischen Staaten postuliert aufgrund der asymmetrischen Struktur der Parteibeziehungen innerhalb des Warschauer Pakts und in Anbetracht der ungleichen Verteilung der Machtmittel kann fehlendes Verantwortungsbewußtsein de facto nur von der Sowjetunion mit Sanktionen belegt werden. Einen besonders hohen Grad der Penetration erreicht die Sowjetunion zudem dadurch, daß die von ihr abhängigen regierenden kommunistischen Parteien über ein Kommunikationsmonopol verfügen, über das sie die vom Zentrum gesetzten Ziele und Werte weiterleiten. (Als die tschechoslowakischen Kommunisten die Kontrolle über die Massenmedien lockerten, stand der Sowjetunion dieses Mittel der Außensteuerung nicht mehr zur Verfügung, ja es wendete sich gegen sie.)
Das identische Interesse von Eliten im Zentrum und in der Peripherie an der Aufrechterhaltung einer bestimmten Ordnung läßt das Prinzip der Nichteinmischung als gewahrt erscheiner. Die USA konnten sich bei ihrem Eingreifen in der Dominikanischen Republik auf einen Teil der dominikanischen Streitkräfte — die Luftwaffe und Marine — stützen; die Sowjetunion versuchte, ihre Intervention durch den Reformkurs ablehnende tschechoslowakische Kommunisten sanktionieren zu lassen und stellte weitgehend mit deren Hilfe die früheren Zustände wieder her. Die Ausbildung von lateinamerikanischen Offizieren in den USA, die Schulung osteuropäischer Parteifunktionäre in der Sowjetunion dienen der Begründung und Festigung der Zentrums-orientierung.
Die Außensteuerung schlägt sich schließlich auch darin nieder, daß sich die Beziehungen zwischen den peripheren Ländern im wesentlichen über die Zentren abwickeln — derjenigen Lateinamerikas in Anbetracht der zunehmenden Integrationsansätze, insbesondere im Rahmen der 1969 gegründeten Andengruppe, allerdings mit abnehmender Tendenz, derjenigen Osteuropas nach wie vor. Die häufigen Treffen der kommunistischen Parteiführer aus den Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts in Moskau sind ein anschauliches Beispiel hierfür.
Zur Abwehr von für das Wertesystem und die Sicherheit der Zentren unakzeptabler Einflüsse stehen den Zentren Bündnissysteme zur Verfügung in Gestalt der OAS bzw.des War-schauer Pakts. Beiden Bündnissen ist gemeinsam: eine das asymmetrische Muster der Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika bzw.der Sowjetunion und den Staaten Osteuropas (mit Ausnahme Albaniens und Jugoslawiens) widerspiegelnde hierarchische Struktur und eine sowohl nach außen wie auch nach innen, also gegen die jeweilige Peripherie gerichtete Wirksamkeit. Sie . unterscheiden sich jedoch in folgendem: Während die Verpflichtung zur gegenseitigen Achtung der Souveränität und territorialen Integrität sowie der Verzicht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Signatarstaats einerseits und die eine solche Einmischung implizierende Beistandspflicht zwecks Gewährleistung der vom Zentrum als „systemkonform" qualifizierten und akzeptierten Ordnung einer peripheren Mitgliedstaats andererseits bei der OAS vertraglich verankert wird werden Recht und Pflicht zur Intervention zum Schutz der sozialistischen Ordnung eines Mitgliedstaats des Warschauer Pakts für den Fall einer Bedrohung von innen von den Sowjets einseitig durch eine Interpretation des Vertragszwecks aus den Prinzipien des „proletarisch-sozialistischen Internationalismus" heraus abgeleitet Eine völkerrechtliche Wirksamkeit entfalten diese durch Vereinbarung zwischen politischen Parteien, also nicht Völkerrechtssubjekten, zustande gekommenen Prinzipien nicht In-dessen ist festzustellen, daß sowjetischerseits der Versuch unternommen wurde, den Begriff der Aggression bzw.des bewaffneten Über-falls, der nach Art. 51 der UN-Charta, auf den sich Art. 4 des Warschauer Vertrags vom 14. Mai 1955 stützt, eine individuelle und kollektive Selbstverteidigung rechtfertigt, inhaltlich auszudehnen auf „Formen subversiver Tätigkeit unter Anwendung bewaffneter Gewalt mit dem Ziel, einen inneren Umsturz in einem anderen Staat zu fördern“
Für beide Bündnisse wird das individuelle und kollektive Interventionsrecht damit gerechtfertigt, daß die Gefährdung eines Teils des jeweiligen Systems eine Bedrohung des gesamten Systems impliziert. Die kollektive Aktion soll verhindern, daß eine Intervention des Zentrums als eine einseitige und damit »imperialistische" Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates denunziert werden kann. So wurde die innere Entwicklung in der Tschechoslowakei im „Warschauer Brief“ der kommunistischen Parteien der Sowjetunion, Polens, Ungarns, Bulgariens und der DDR vom 15. Juli 1968 zur „gemeinsamen Angelegenheit“ der Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts erklärt Die USA haben, insbesondere bei ihren Bemühungen um eine Isolierung Kubas, zu erkennen gegeben, daß sie in völliger Übereinstimmung und Partnerschaft mit den lateinamerikanischen Ländern handeln wollten — allein schon um die Präventivfunktion der Monroe-Doktrin wieder effizient zu machen. Es zeigte sich jedoch, daß die USA in der Kuba-Krise, praktisch aber auch im Falle der Dominikanischen Republik unter Verletzung der OAS-Charta im Alleingang gehandelt haben, denn die OAS wurde erst in einer späteren Phase eingeschaltet. Die Sowjetunion hat zwar ihr Vorgehen gegen die Tschechoslowakei mit den Ländern des Warschauer Pakts (mit Ausnahme Rumäniens) vorher abgestimmt und im Zusammenwirken mit ihnen gehandelt, den Beschluß zur Invasion hat sie letztlich aber allein gefällt Die Nichtbefassung des Politischen Konsultativausschusses des War-schauer Pakts sowie die Unterstellung der Interventionstruppen unter das Kommando des Oberbefehlshabers der sowjetischen Landstreitkräfte — und nicht unter dasjenige des Oberbefehlshabers der Streitkräfte des War-schauer Pakts — war insofern konsequent, als eine Zuständigkeit des Warschauer Pakts nicht begründet war.
V. Schlußbetrachtung
Abschließend seien aus den Funktionen und Implikationen von Monroe-Doktrin und Breschnjew-Doktrin einige Folgerungen für die Bedingungen von Frieden gezogen. Darstellung und Gegenüberstellung beider Doktrinen und ihrer Wirkungen zeigen, daß das Muster der intraregionalen Beziehungen in der westlichen Hemisphäre und in Osteuropa asymmetrisch ist. Diese Asymmetrie liegt begründet in dem Anspruch der Zentren USA und Sowjetunion auf den Vorbildcharakter ihrer politischen und sozioökonomischen Ordnungen, den sie mit Hilfe ihres überlegenen militärischen Potentials durchzusetzen vermögen, dem sich indessen die peripheren Länder ohne Zustimmung der Zentren nicht entziehen können. Diese Zustimmung ist solange nicht zu erwarten, wie die Zentren die Gleichartigkeit der inneren Ordnungen in den Ländern ihrer Peripherien als notwendige Voraussetzung ihrer Sicherheit — aber auch ihrer wirtschaftlichen Prosperität — betrachten. Das Sicherheitsinteresse besteht in der Immunisierung der eigenen Ordnung vor systemfremden Einflüssen auch aus der eigenen Peripherie. Darüber was „freedom and happiness" sind, bestimmen in Anbetracht der ungleichen Machtverteilung die beiden Zentren. Die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts bleibt solange unangefochten, wie es den Eliten in den Zentren gelingt, die Eliten in den Peripherien zu harmonisieren. Stellen letztere den Vorbildcharakter und Missionsdrang der Zentren in Frage und versagen die Zentren die Emanzipation, so kann aus der in der Struktur der Beziehungen begründeten latenten Gewalt ein manifester Konflikt erwachsen, der im Extremfall unter Anwendung von Waffen unterdrückt wird. Der Abbau konfliktträchtiger interstaatlicher Dependenzverhaltnisse er”) scheint daher zwar noch keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung von Frieden zu sein
Der dem Frieden abträgliche Charakter intraregionaler Abhängigkeitsverhältnisse laßt sich mit einem aktuellen Bezug wie folgt veranschaulichen: Aus sowjetischer Sicht „verbindet sich das Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus organisch mit dem Prinzip der friedlichen Koexistenz" Die in den bilateralen Verträgen der Sowjetunion mit den übrigen Staaten des Warschau-er Pakts, wie vor allem im sowjetisch-tschechoslowakischen Vertrag vom Mai 1970, verankerte Dependenz gewährleistet zwar die Geschlossenheit des osteuropäischen Staaten-Systems und vergrößert damit die Bereitschaft der Sowjetunion, der osteuropäischen Peripherie eine Systemgrenzen überschreitende Kooperation zu erlauben, wie sie im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa angestrebt wird. Auch könnte die Institutionalisierung der Zusammenarbeit nach gesamteuropäisch abgestimmten Regeln nationalistische Strömungen in Osteuropa auffangen. Andererseits neigt die Sowjetunion dazu, die Bemühungen des regionalen Teilsystems Westeuropa um eine Kooperation im wirtschaftlichen, technisch-wissenschaftlichem, ökologischen und kulturellen Bereich als Absicht zu denunzieren, die Dependenzverhältnisse in Osteuropa aufzuweichen Eine solche Wirkung könnte in der Tat dann eintreten, wenn durch eine verstärkte Zusammenarbeit der europäischen Subsysteme eine weitere Entspannung erreicht würde und damit für die Länder Osteuropas die Vergünstigung eines militärischen Schutzes durch die Sowjetunion als ein die Abhängigkeit teilweise kompensierendes Element nicht mehr bestimmend sein würde; mit anderen Worten: wenn sicherheitspolitische Erwägungen und die daraus resultierende Hinnahme der Dependenz in einem interagierenden gesamteuropäischen Sicherheitssystem an Relevanz verlören
Darüber hinaus könnte eine fortschreitende intersystemare Kooperation mit dem ein symmetrisches Interaktionsmuster aufweisenden Westeuropa in Osteuropa den Wunsch nach einer Revision des Abhängigkeitsverhältnis-ses stimulieren. Das würde vermutlich jedoch eine Konfliktsituation erzeugen, denn aus der Perspektive sowjetischer Interessen darf eine solche Kooperation nicht in ein Herausbrechen eines osteuropäischen Landes aus dem von der Sowjetunion kontrollierten Staaten-system munden. Die Möglichkeit einer solchen Geiahr könnte zu einer Verschärfung der sowjetischen Neigung zur Repression führen. . Das wiederum könnte die Chancen Osteuropas zur Kooperation und die Bereitschaft Westeuropas hierzu negativ beeinflussen.
Andererseits ist nicht zu übersehen, daß der Monroe-Doktrin und der Breschnjew-Doktnn auch friedensfördernde Elemente eigen sind. Die die „pax americana" bzw. „pax sovietica" gewährleistenden Doktrinen sind funktional für ein zumindest konfliktarmes Verhältnis der beiden Zentren USA und Sowjetunion zueinander. Denn beide Doktrinen zielen darauf ab, Einflußsphären abzugrenzen und zu stabilisieren. Sie signalisieren den peripheren Staaten die Grenzen einer Akzentuierung nationaler Interessen und dem weltpolitischen Kontrahenten die Schranken für eventuelle Expansionsgelüste. So bilden die beiden Doktrinen und ihre wechselseitige Anerkennung die Grundlage, auf der zwischen den beiden Zentren friedliche Koexistenz praktizierbar wird.
Robert K. Furtak, Dr. rer. pol., geb. 1930, Professor für Politikwissenschaft an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz, Abt. Landau; Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg; Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Vergleichende Analyse politischer Systeme (insbesondere Ost-europas und Lateinamerikas), Internationale Politik (insbesondere Ost-West-Beziehungen). Buchveröffentlichungen: Kuba und der Weltkommunismus, Köln—Opladen 1967; Revolutionspartei und politische Stabilität in Mexico, Hamburg 1969; in Vorbereitung: Jugoslawien — Politik, Gesellschaft, Wirtschaft.
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