Krise ohne Ende ? Das internationale Währungssystem zwischen Anarchie und Integration
Uwe Andersen
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Zusammenfassung
Die nahezu permanenten Währungskrisen der letzten Jahre haben dazu geführt, daß die Probleme des internationalen Währungssystems, zumindest in Form von Schlagzeilen, auch einer breiten Offentlichkeit bewußt geworden sind. Bei wachsender weltwirtschaftlicher Verflechtung nimmt die Bedeutung des internationalen Währungssystems ständig zu, und die Krise des Währungssystems hat einige Beobachter veranlaßt, Parallelen zur Weltwirtschaftskrise 1929 mit ihren katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Folgen zu ziehen. Da die Verhandlungen über eine Fundamentalreform des internationalen Währungssystems 1974 zu einem gewissen Abschluß gekommen sind, wird in dem Beitrag versucht, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ausgehend von der Annahme, daß die augenblickliche Krise und die unterschiedlichen Reformvorstellungen nur auf dem Hintergrund der währungspolitischen Nachkriegserfahrungen verständlich sind, wird die Entwicklung des internationalen Währungssystems seit Bretton Woods in ihren wichtigsten Momenten nachgezeichnet und analysiert. Es schließt sich eine Analyse der Verhandlungen über eine Fundamentalreform und deren bisherige Ergebnisse an. Die Bemühungen um einen neuen „großen Wurf" ä la Bretton Woods wurden Anfang 1974 eingestellt; statt dessen konzentrierte man sich auf die dringendsten und politisch machbaren Ansätze. Diese Wendung ist positiv als Entscheidung für einen stärker evolutionären Reformprozeß dargestellt worden. Dennoch kann diese Interpretation nicht darüber hinwegtäuschen, daß die notwendige Fundamentalreform vorerst weitgehend gescheitert ist. Das beschlossene Sofortprogramm kann nur als kleinster gemeinsamer Nenner interpretiert werden, zu klein für eine längerfristige Konsolidierung. Objektive Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung, wie das Erdölproblem und die weltweite Inflation, dienen als Begründung und gleichzeitig als Alibi dafür, daß die meisten Länder sich möglichst viel nationale Handlungsfreiheit zu bewahren suchen. Es fehlt offenbar an der Bereitschaft, die krisenträchtige Diskrepanz zwischen dem Steuerungsbedarf und der Steuerungsfähigkeit des internationalen Währungssystems durch eine entschiedene Stärkung des Steuerzentrums IWF auf Kosten der nationalen Handlungsfreiheit zu reduzieren. Die mageren Ergebnisse der jüngsten Reformverhandlungen lassen jedenfalls befürchten, daß die Krise des internationalen Währungssystems anhalten wird. Damit dürfte aber auch eine weitergehende Reform auf der Tagesordnung bleiben.
I. Der Stellenwert der Währungsproblematik
Gemessen an den Schlagzeilen haben das internationale Währungssystem und seine Probleme in den letzten Jahren ein hohes Maß an „Popularität" erlangt. Die nahezu permanenten Währungskrisen sind Ausdruck einer Systemkrise, die viele Beobachter zu düsteren Prophezeiungen veranlaßt hat. Insbesondere sind Parallelen zur Weltwirtschaftskrise 1929 mit ihren katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Folgen gezogen worden, wobei der Anteil der anarchischen Währungsbeziehungen am Verlauf der Weltwirtschaftskrise betont worden ist. Die Frage, ob die Krise des internationalen Währungssystems überwunden werden kann oder sich als Ausgangspunkt oder verstärkender Faktor einer möglichen neuen Weltwirtschaftskrise erweisen wird, ist augenblicklich besonders aktuell. Die auf Mitte 1974 terminierten Verhandlungen über eine grundlegende Reform des internationalen Währungssystems mit dem Ziel einer Stabilisierung sind inzwischen abgeschlossen worden. Ihr Ergebnis ist Anfang Oktober in Washington bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank von den Finanzministern und Notenbankpräsidenten der Mitgliedsländer behandelt worden. Damit ist in der Entwicklung des internationalen Währungssystems zumindest formal ein wichtiger Einschnitt erreicht, der den Versuch einer Standortbestimmung nahe-legt.
Eine Analyse der Entwicklung des internationalen Währungssystems erscheint auch unter dem folgenden Gesichtspunkt interessant. Es handelt sich bei Währungsfragen um einen genuinen Gegenstand der politischen Ökonomie, da die Interdependenz von politischen und ökonomischen Aspekten hier besonders deutlich ist. Währungskompetenzen zählen traditionell zum Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität. Wegen der immens gewachsenen internationalen Verflechtung, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, ist die Bedeutung eines funktionsfähigen internationalen Währungssystems als eines wichtigen Rahmens für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen ständig gewachsen. Gleichzeitig ist die Störanfälligkeit des internationalen Währungssystems aus noch zu erörternden Gründen größer geworden und hat zu einem erhöhten Steuerungsbedarf geführt. Dieser ständig gewachsene Steuerungsbedarf kann durch isolierte und oft konfliktträchtige natio-INHALT I. Der Stellenwert der Währungsproblematik
II. Funktionen des internationalen Währungssystems
III. Die Konzeption von Bretton Woods IV. Das Bretton-Woods-Modell in der praktischen Bewährung V. Der systemimmanente Widerspruch und Stabilisierungsversuche VI. Vom „ökonomischen“ zum „politischen" Dollarstandard VII. Die institutionalisierte Währungsaristokratie:
Der Zehnerklub VIII. Der erste Versuch einer Fundamental-reform:
Ein neues Weltgeld IX. Neue Krisen und der Offenbarungseid des US-Dollar X. Die neue Verhandlungsrunde über eine Fundamentalreform 1. Das Anpassungsproblem 2. Das Problem der Finanzierung — Konvertibilität und Liquidität 3. Das Vertrauensproblem 4. Die Reform des IWF XI. Resümee nale Entscheidungen nicht mehr gedeckt werden, vielmehr ist eine zunehmende Abstimmung von nationalen Währungsentscheidungen und darüber hinaus ein Transfer von nationalstaatlichen Entscheidungsbefugnissen auf internationale Institutionen unerläßlich. In der Differenz zwischen dem Steuerungsbedarf und der Steuerungsfähigkeit des internationalen Währungssystems liegt das wichtigste Krisenpotential. Die Frage nach der Steuerungsfähigkeit und damit nach dem Inte3 grationsgrad des internationalen Währungs-Systems wird daher für unsere Analyse zentral sein.
Wenn im folgenden die Entwicklung des internationalen Währungssystems ausgehend von der Bretton-Woods-Konzeption in ihren we-sentlichen Zügen analysiert wird, beruht dies auf der Annahme, daß die gegenwärtige Reformdiskussion und die in ihr erwogenen unterschiedlichen Lösungsversuche ohne den Hintergrund der Nachkriegserfahrungen unverständlich bleiben müssen.
II. Funktionen des internationalen Währungssystems
Abbildung 2
Tab. 2: Quoten und Stimmrechte im GAB 1962
Tab. 2: Quoten und Stimmrechte im GAB 1962
Das internationale Währungssystem ist kein Selbstzweck. Es hat vielmehr die Aufgabe, einen intensiven internationalen Handel und einen „erwünschten“ Kapitalverkehr und damit eine internationale Arbeitsteilung zu ermöglichen. Der wirtschaftliche Austausch eines Landes mit dem Ausland schlägt sich in seiner Zahlungsbilanz nieder. Da sich Forderungen an das und Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Ausland zu einem bestimmten Zeitpunkt nur in Ausnahmefällen decken werden, stellt sich das Problem, wie Zahlungsbilanzungleichgewichte ausgeglichen werden sollen.
Eine Möglichkeit besteht in administrativen Kontrollen z. B.des Handels in Form von Import-und/oder Exportgenehmigungen. Eine indirekte Methode stellen Devisenbeschränkungen dar. Hier setzt die Kontrolle erst auf der Zahlungsebene an, indem z. B. Beträge in ausländischen Währungen — Devisen — zur Bezahlung von Importen administrativ zugeteilt werden und nicht auf dem freien Markt erworben werden können. Ein drohendes Defizit könnte in einem solchen administrativen Kontrollsystem z. B. dadurch bekämpft werden, daß entsprechend weniger Importlizenzen erteilt bzw. entsprechend weniger Anträge auf Devisenzuteilung genehmigt werden. Handels-und Devisenbeschränkungen gelten als den internationalen Handelsaustausch hemmendes und deshalb unerwünschtes Ausgleichsinstrument. Ein anderes Instrument stellen freie Wechselkurse dar. Der Wechselkurs — der Preis einer nationalen Währung ausgedrückt in einer anderen Währung — bildet sich dabei als Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage nach der betreffenden Währung ohne administrative Eingriffe wie bei anderen Waren frei auf dem Markt. Der Ausgleich von drohenden Zahlungsbilanzungleichgewichten, die sich als Un-gleichgewicht von Angebot und Nachfrage nach der betreffenden Währung am Devisenmarkt äußern, wird hier also über eine Änderung des Wechselkurses und damit des Außenwertes der Währung vorgenommen. Ein vereinfachtes, auf den Handelsverkehr und damit einen Teilbereich der Zahlungsbilanz beschränktes Beispiel sieht so aus: Wenn bei einem gegebenen Preisniveau die ausländische Nachfrage nach deutschen Gütern die deutsche Nachfrage nach ausländischen Gütern übersteigt, führt dies zu erhöhter Nachfrage nach DM am Devisenmarkt und einem Steigen des DM-Kurses. Ein höherer Außenwert der deutschen Währung bewirkt bei ansonsten unveränderten Bedingungen, daß deutsche Waren im Ausland teurer und ausländische Waren in Deutschland billiger werden. Daher ist tendenziell ein Absinken der Nachfrage nach deutschen Gütern und in Deutschland eine vermehrte Nachfrage nach ausländischen Gütern und somit ein Nachfrageausgleich zu erwarten.
Geht man dagegen von festen Wechselkursen und damit unveränderlichen Außenwerten der Währungen aus, so kann ein Ausgleich von Zahlungsbilanzungleichgewichten ohne administrative Kontrollen nur durch eine entsprechende Steuerung des Binnenwertes der Währungen erfolgen. Auf das obige vereinfachte Beispiel bezogen hieße das: Ein Nachfrage-
überhang nach deutschen Waren könnte dadurch beseitigt werden, daß die DM-Preise der deutschen Waren stärker steigen als die in fremder Währung ausgedrückten Preise ausländischer Produkte. Um diesen Effekt zu erreichen, könnte die deutsche Wirtschaftspolitik auf ein höheres Preisniveau, d. h. eine im Vergleich zum Ausland höhere Inflationsrate, zielen. Bei festen Wechselkursen gibt es allerdings bereits eine „automatische" Ausgleichs-tendenz, die als eine Erklärung für das Phänomen der „importierten Inflation" dienen kann. Vereinfacht ausgedrückt führt ein deutscher Exportüberschuß dazu, daß ein Teil der in Deutschland produzierten Güter außer Landes geht, ohne durch importierte Güter ersetzt zu werden. Da das für den Exportüberschuß erzielte Geld — die ausländischen Devisen werden letztlich von der Bundesbank in DM getauscht — aber als Nachfrage im Inland wirksam bleibt, kommt es zu einer Diskrepanz zwischen Geldnachfrage und Güterangebot, die preistreibend wirkt.
Geht man davon aus, daß es zumindest kurzfristig zu Zahlungsbilanzungleichgewichten kommt, die nicht — wie im Modell völlig freier Wechselkurse — sofort durch Veränderungen der Wechselkurse aufgefangen werden, so stellt sich die Frage, wie die Ungleichgewichte finanziert werden sollen. Damit taucht das Problem von international verwendbaren Zahlungsmitteln, der internationalen Liquidität, auf. Es hat eine qualitative und eine quantitative Seite. Qualitativ handelt es sich um die Art der internationalen Zahlungsmittel, der Liquiditätsmedien. In den Währungsreserven eines Landes, die der Finanzierung kurzfristiger Zahlungsbilanzungleichgewichte dienen, finden sich im wesentlichen drei Liquiditätsmedien: Gold, Reservewährungen und Sonderziehungsrechte. Gold besitzt als Warengeld stofflichen Wert und wurde auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe bekanntlich auch im nationalen Rahmen verwendet. Für Gold als internationales Geld wird vor allem angeführt, daß es supranational sei. Dies läßt sich von den nationalen Reserve-währungen, insbesondere dem amerikanischen Dollar und dem britischen Pfund Sterling, nicht behaupten. Die Benutzung dieser Währungen als Währungsreserven durch andere Länder hat ökonomische und politische Ursachen. Ökonomisch handelt es sich um international verwendete Handelswährungen, hinter denen Länder mit einer starken Produktionskapazität und einem entwickelten Kapitalmarkt stehen. Die Sonderziehungsrechte (SZR) werden vom Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgegeben und stellen so etwas wie ein internationales Papiergeld dar. Auf die mit den genannten internationalen Liquiditätsmedien verbundenen Problemen wird im einzelnen zurückzukommen sein.
Das quantitative Problem betrifft die wünschenswerte Menge an internationalen Zahlungsmitteln. Finanzierung von Ungleichgewichten ist immer beschränkt, da kein Land auf Dauer erwarten kann, auf Kosten des Auslandes zu leben. Die Finanzierung soll den Anpassungsprozeß, d. h. die Rückkehr zum Zahlungsbilanzgleichgewicht, erleichtern, aber nicht verhindern. Die internationale Liquiditätsmenge soll möglichst groß genug sein, so daß z. B. Länder mit Defiziten nicht zu extremen, umgehend wirksamen Anpassungsmaßnahmen gezwungen werden, die erhebliche Härten mit sich bringen können. Andererseits soll sie auch nicht so groß sein, daß solche Länder aufgrund ihrer hohen Währungsreserven zu einer laxen Währungsmoral verleitet werden und notwendige Anpassungsmaßnahmen unterlassen. Das Ausmaß von Ungleichgewichten und die benötigte Art und Menge internationaler Liquidität hängen weiterhin vom Vertrauen in das Währungssystem ab, da dieser Faktor das Verhalten der privaten und offiziellen Akteure erheblich beeinflußt. Jedes funktionsfähige internationale Währungssystem muß die interdependenten Probleme Anpassung, Liquidität und Vertrauen lösen, die wir daher als wichtige Analysekategorien benutzen werden.
III. Die Konzeption von Bretton Woods
1944 wurde in Bretton Woods, USA, ein neues internationales Währungssystem konzipiert. Diese Konzeption bestimmte das Währungssystem der Nachkriegszeit bis Anfang der siebziger Jahre; sie ist auch deshalb nicht allein von historischem Interesse, weil wichtige Streitfragen und Lösungsansätze, um die in Bretton Woods gerungen wurde, heute z. T. wieder auftauchen.
Die Bretton-Woods-Konzeption war weitgehend eine Reaktion auf Erfahrungen der Vergangenheit, insbesondere die Weltwirtschaftskrise und die anarchischen Währungsbezie, -hungen der dreißiger Jahre. Als Beispiel mag die sogenannte beggar-my-neighbour-policy dienen: Die weltweite Rezession führte dazu, daß einzelne Länder versuchten, ihre Arbeitslosigkeit auf Kosten der Nachbarn zu bekämpfen. Zu diesem Zweck werteten sie ihre Währung ab, verbilligten dadurch ihre Produkte auf dem Weltmarkt und verbuchten höhere Exportaufträge, mit denen sie ihre heimische Beschäftigungslage stabilisieren konnten. Eine solche Strategie konkurrierender Abwertungen mußte aber scheitern, wenn sich die Nachbarn des gleichen Instrumentes bedienten und damit den Konkurrenzvorteil zunichte machten. Sie führte faktisch nur zu einer Vergiftung der Währungsbeziehungen und einer Spirale schrumpfenden Welthandels, die allen Beteiligten schadeten.
Bretton Woods ist als ein Höhepunkt der Bemühungen zu verstehen, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen und damit als politisches Konfliktpotential für die Zukunft auszuschalten. Dabei schuf die Katastrophensituation des Zweiten Weltkrieges günstige psychologische Voraussetzungen für weitreichende Veränderungen. Die Bedeutung, die einer Neuordnung gerade auch für das allgemeine Vertrauen zuerkannt wurde, daß sich eine Weltwirtschaftskrise nicht wiederholen werde, zeigt sich in den Worten des amerikanischen Finanzministers Morgenthau: , A plan for international monetary a winning can be factor in the war. Bemerkenswert erscheint, daß 1944, also noch während der extremen Ausnahmesituation des Krieges, das Währungssystem für eine antizipierte . Normalsituation“ festgelegt und die höchst ungewisse Phase der „Normalisierung“ nur durch Übergangsregelungen berücksichtigt wurde. Dies kontrastiert, wie noch zu zeigen sein wird, deutlich mit der Währungsstrategie 1974.
Die Verhandlungen vor und in Bretton Woods wurden dominiert von detaillierten Plänen der USA und Großbritanniens, die besonders mit den Namen auf White amerikanischer und Keynes auf britischer Seite verbunden sind
insbesondere Es handelte sich in beiden Fällen, aber beim Keynes-Plan, um weitsichtige Entwürfe, die allerdings von der spezifischen Interessenlage des betreffenden Landes deutlich gefärbt waren. Aus der Sicht von 1944 handelte es sich bei den USA um den einzigen Kriegsteilnehmer, dessen Produktionspotential während des Krieges weiter gewachsen war, während den nur mit amerikanischer Krieg Hilfe und unter Mobilisierung auch seines Auslandsvermögens durchzustehen vermochte. Für die USA waren für das Kriegsende mit Sicherheit extreme Zahlungsbilanzüberschüsse, für Großbritannien hohe Defizite zu erwarten. Diese vorhersehbare Ungleichgewiditslage führte dazu, daß sich beide Länder mit den Rollen des Überschuß-bzw. Defizit-landes identifizierten, mit den damit einhergehenden Gefahren einer kurzfristigen, einseitigen und daher verzerrenden Optik. Der Gläubiger-Schuldner-Interessengegensatz läßt sich als eine grundlegende Konfliktlinie bei allen Währungsverhandlungen nachweisen, wobei allerdings die Besetzung der Gläubiger-und Schuldnerrolle wechselte. Das Ergebnis von Bretton Woods, das in seinen wichtigsten Zügen im folgenden darzustellen ist, war im wesentlichen ein Kompromiß zwischen den -ame rikanischen und britischen Vorstellungen, wo-bei sich in der Technik überwiegend die USA durchsetzten.
Eine wichtige, in Bretton Woods sanktionierte Entscheidung bestand darin, die Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit Hilfe von Regelungen für einzelne Teilbereiche, wie Währung, langfristige Kapitalhilfe Handel, und anzugehen und dementsprechend funktionale Teilorganisationen zu schaffen. Mochte diese Lösung auch sinnvoll erscheinen unter dem Gesichtspunkt einer Arbeitsteilung und gemessen an dem Ziel, möglichst schnell dort zu Regelungen zu gelangen, wo diese bereits erreicht schienen, so bedingte sie andererseits doch erhebliche Probleme der Abgrenzung und Koordination.
Eine weitere wichtige Entscheidung war die für eine grundsätzlich weltweite Beteiligung an der angestrebten Neuregelung, wenn auch aufgrund der Kriegssituation vorerst eingeschränkt auf die Alliierten. Damit wurden alternative Modelle für regionale oder auf dominierende Schlüsselländer beschränkte Lösungen verworfen, vor allem mit dem Argument, daß sich das neue internationale Währungssystem auf alle Länder auswirken werde und Betroffenheit auch zu Mitwirkung berechtige.
Wichtigstes Kennzeichen der Bretton-Woods-Konzeption und eine „Lehre aus der Vergangenheit“ ist der höhere Integrationsgrad. Sein Ausdruck ist eine neue Organisation — der IWF —, die ansatzweise als Steuerzentrum des internationalen Währungssystems konzipiert ist. Auf den IWF werden bestimmte, bisher exklusiv nationale Entscheidungsbefugnisse übertragen, insbesondere im Bereich der Wechselkurse.
Die Bretton-Woods-Lösung geht aus von festen Wechselkursen, bei einer zulässigen geringen Schwankungsbreite von einem Prozent nach oben und unten. Es handelt sich aber um feste Wechselkurse auf Zeit, d. h. Wechselkursänderungen sind im Falle von „fundamentalen Ungleichgewichten“ zugelassen. Um aber eine Wiederkehr der beggar-my-neighbour-policy zu verhindern, bedürfen Wechselkursänderungen nunmehr der Genehmigung durch den IWF. Devisenbeschränkungen für den laufenden Zahlungsverkehr werden — ausge-nommen für eine Übergangszeit — grundsätzlich als Anpassungsinstrument abgelehnt und der Aufsicht des IWF unterstellt. Beschränkungen des Kapitalverkehrs werden dagegen ausdrücklich gestattet. Diese Asymmetrie verdeutlicht einerseits, daß der internationale Austausch von Waren und Dienstleistungen unter dem Legitimationsgesichtspunkt höher eingeschätzt wird als der Kapitalverkehr, andererseits das Vertrauen der privaten Akteure als nicht sehr hoch, die Gefahr von massiven kurzfristigen Kapitalbewegungen und das davon ausgehende Krisenmoment deshalb aber um so höher bewertet werden.
Nach der Bretton-Woods-Konzeption steht eine Wechselkursänderung und damit eine Variation des Außenwertes der Währung als Anpassungsinstrument nur für die Ausnahmefälle von fundamentalen Ungleichgewichten zur Verfügung. Damit wird die Anpassungslast primär auf die Binnenwirtschaftspolitik verla-. gert. Da der IWF in diesen Kernbereich nationaler Souveränität keine Kompetenzen erhält, setzt ein Funktionieren dieses Systems eine weitgehend freiwillige Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken voraus.
Der IWF verfügt allerdings über ein wichtiges Instrument, den Anpassungsprozeß zu erleichtern. Er kann seinen Mitgliedern Währungskredite gewähren — eine Möglichkeit, die als Ausgleich für die Beschränkung der nationalen Wechselkurssouveränität anzusehen ist. Diese IWF-Kredite, technisch als „Ziehungen" bezeichnet, stellen ein neues Liquiditätsmedium dar. Sie werden finanziert aus Beiträgen der Mitglieder, die teils in nationaler Währung, teils in Gold geleistet werden, womit eine partielle Reservenzentralisierung beim IWF stattfindet
Die Höhe des Beitrages, die Höhe der Kredit-rechte und schließlich auch das Stimmrecht im IWF sind an die „Quote" eines Landes gebunden. Die Quote übernimmt damit gleichzeitig drei wichtige Funktionen, und so überrascht es nicht, daß die Quotenstruktur, die Relation der einzelnen Länderquoten, den umstrittensten Punkt in Bretton Woods bildete.
Mit der Quote wird versucht, das währungspolitische Gewicht eines Landes zu messen.
„Objektive", sachlich zwingende Gewichtungskriterien kann es aber schon deshalb nicht geben, weil die drei Funktionen — Abgabe von
Reserven an den IWF, wahrscheinlicher Bedarf an Währungskrediten und Gewicht bei IWF-Entscheidungen — zu unterschiedlich sind, 'um auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden zu können. Die Interessenbindung zeigte sich in diesem Punkt besonders kraß. Zu Beginn der Verhandlungen hatte das führende Welthandelsland Großbritannien die Größe des Außenhandels als alleiniges Kriterium der Gewichtung vorgeschlagen. White plädierte demgegenüber für das Volkseinkommen, das die USA einseitig begünstigt hätte. Das noch am ehesten funktional erscheinende Kriterium Außenhandelsvolumen ist allenfalls geeignet, den wahrscheinlichen Bedarf an Währungskrediten zu messen, aber sicher kein logisch zwingendes Kriterium für das Stimmrecht Aber auch der Kreditbedarf hängt nicht vom absoluten Außenhandelsvolumen, sondern von der Schwankungsbreite ab, die wiederum erheblich von der Art der ex-und importierten Güter beeinflußt wird. Die Quoten wurden anschließend anhand einer in den Konferenzdokumenten niemals offiziell genannten, höchst komplizierten Formel festgelegt, in die das Volkseinkommen, Reserven an Gold und konvertiblen Devisen, Größe und Schwankungen des Außenhandels sowie die Exportabhängigkeit eingingen. Ein weiteres, ursprünglich erwogenes Kriterium, die Bevölkerungszahl, wurde fallengelassen, obwohl sich Indien, China, aber auch Frankreich massiv dafür eingesetzt hatten. Die technische Einkleidung der berühmten Bretton-Woods-Formel kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich dabei um politische Maßschneiderei handelte. Die Formel war dazu bestimmt, einer vorher ausgehandelten, politisch akzeptablen Rangfolge den Schein wissenschaftlicher Objektivität zu verleihen. Und selbst diese beschränkte Funktion konnte sie angesichts des allgemeinen Gerangels um möglichst hohe Quoten, wobei sowohl ökonomische Gesichtspunkte — fast alle Länder waren angesichts von Wiederaufbau und Entwicklung Defizitkandidaten mit hohem Kreditbedarf — als auch Prestigeerwägungen maßgebend waren, nur als allgemeine Leitlinie erfüllen. „With respect to the Soviets, it was generally admitted that any advantageous formula had to give weight to a coefficient K, representing their sacrifices and heroism"
Das in Bretton Woods für den IWF und seine Schwesterorganisation Weltbank fixierte gewichtete Stimmrecht war für die vom Souveränitätsdenken und der one-state-one-voteDoktrin bestimmte internationale Szenerie eine weitreichende Neuerung. Damit wurde es möglich, die juristische Fiktion von der Gleichheit aller Staaten zu überwinden und das unterschiedliche Gewicht von Staaten in internationalen Institutionen auch formal zu berücksichtigen. Das Problem blieb allerdings die Art der Gewichtung. In Bretton Woods wurde dem Prinzip der Staatengleichheit noch ein gewisser Tribut gezollt, indem die Quoten nicht zum alleinigen Kriterium der Stimmen-gewichtung gemacht wurden. Jedem Mitglied wurde ein gleicher Sockelbetrag von 250 Stimmen zugeteilt, so daß diese das egalitäre Element verkörpernden Stimmen rd. 11 °/o der Gesamtstimmen ausmachten. Die Dominanz allgemeinpolitischer Gesichtspunkte bei der Stimmengewichtung wird schon daran deutlich, daß die fünf stimmenstärksten Mitglieder mit den späteren ständigen Mitgliedern im UNO-Sicherheitsrat identisch sind, was sicherlich nicht allein mit dem währungspolitischen Ge-* wicht zu erklären ist. Die großen Drei, USA, Großbritannien, Sowjetunion, verfügten nach dem Bretton-Woods-Konzept zusammen ebenso über eine Mehrheit wie die USA und das Commonwealth.
Umstritten war in Bretton Woods auch die innere Struktur des IWF, die von drei Gremien geprägt wird. Die Gouvemeursversammlung ist zuständig für grundlegende Entscheidungen.
Jedes Mitgliedsland stellt einen Gouverneur, meist den Finanzminister oder Notenbankpräsidenten, die sich in der Regel einmal jährlich zum Treffen der staatlichen Finanzelite der Welt versammeln. Die konkreten Direktiven für die Geschäftstätigkeit des IWF kommen dagegen vom Exekutivdirektorium, einem Gremium von mindestens zwölf Personen. Die fünf quotenstärksten Mitglieder haben das Recht, einen Exekutivdirektor zu entsenden; die anderen Mitglieder werden zu etwa stimmen-gleichen Gruppen formiert, die jeweils einen Exekutivdirektor wählen. Die eigentliche inter nationale Komponente verkörpert der Stab des IWF, an dessen Spitze der Geschäftsführende Direktor steht. Strittig war konkret, ob es sich bei den Exekutivdirektoren um Vollzeitpositionen handeln sollte, die eine ständige Anwesenheit in Washington erforderten. Damit verbunden war einmal das Problem, wer für diese Position in Frage kam. Die Briten wünschten sich Exekutivdirektoren, die gleichzeitig zentrale Währungspositionen in ihren Heimatländern bekleideten, was bei ständiger Anwesenheit in Washington nicht möglich war. Dahinter stand aber weiter die Frage nach dem Einfluß der Exekutivdirektoren auf den täglichen Geschäftsgang, da die von den Briten gewünschten Teilzeitpositionen den Spielraum des Geschäftsführenden Direktors und des Stabes vergrößert und die Chancen für ein national weniger abhängiges Experten-management verbessert hätten. Im Kern handelte es sich um unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der Einfluß des IWF zu maximieren sei, Vorstellungen, die allerdings deutlich mit den eigenen Interessen korrelierten. Während Großbritannien für eine möglichst weitgehende Automatik und ein unabhängiges Expertenmanagement bei der IWF-
Tätigkeit eintrat, setzten sich die USA für stärkere Kontrolltätigkeit des IWF und innerhalb des IWF für eine detaillierte Überwachung durch die nationalen Repräsentanten, die Exekutivdirektoren, ein. Dieser Konflikt wurde beispielhaft auch für andere Fälle nidit sofort entschieden, sondern durch einen „dilatorischen Formelkompromiß", eine für abweichende Interpretationen offene Formulierung, in die Zukunft verlagert. In Bretton Woods wurde 1944 ein neues Währungssystem konzipiert, das erstmals versuchte, dem höheren Steuerungsbedarf durch ein rudimentäres internationales Steuerzentrum, den IWF, Rechnung zu tragen. Der IWF erhielt erhebliche Befugnisse bei der Änderung der Wechselkurse, dagegen keine in der Binnen-wirtschaftspolitik und blieb damit hinsichtlich des Anpassungsprozesses weitgehend auf die Überzeugungskraft seines Rates und den Anreiz seiner Kredite angewiesen. In der Liquiditätsfrage kontrollierte der IWF direkt nur seine Kredite. Indirekt hatte er einen gewissen Einfluß auf das Gold, da allgemeine Wechselkursänderungen gegenüber dem Gold und damit allgemeine Goldpreisänderungen zu den IWF-Kompetenzen zählten Das Liquiditätsmedium Reservewährungen wird im Bretton-Woods-Vertrag überhaupt nicht erwähnt. Damit blieb die Entwicklung in diesem Punkt völlig offen und dem Einfluß des IWF entzogen. Das Vertrauensproblem wurde vor allem in bezug auf den Kapitalverkehr gesehen und mit Hilfe von Kontrollen zu lösen versucht.
Die geringen Kompetenzen des IWF zeigen, daß auch nach der vergleichsweise weitsichtigen Bretton-Woods-Konzeption von einem voll funktionsfähigen Steuerzentrum nicht die Rede sein konnte. Allerdings kam es nicht nur auf die formalen Kompetenzen an, da sich die neue Institution erst Vertrauen erwerben mußte, und Vertrauen zum Einflußmultiplikator werden konnte. Wie weit die Bretton-Woods-Konzeption funktionsfähig war, konnte letztlich nur die praktische Bewährung zeigen.
IV. Das Bretton-Woods-Modell in der praktischen Bewährung
Der globale Charakter des neuen internationalen Währungssystems wurde einerseits dadurch unterstrichen, daß die Neutralen und die ehemaligen Kriegsgegner dem Bretton-Woods-Abkommen bald beitraten. Er wurde andererseits in Frage gestellt, weil die Sowjetunion trotz ihrer Beteiligung an den Verhandlungen das Abkommen nicht unterzeichnete. Die Gründe hierfür sind niemals offiziell genannt worden. Der Hauptgrund dürfte vermutlich in den sich nach Kriegsende rapide verschlechternden Ost-West-Beziehungen zu suchen sein. Das Fernbleiben der Sowjetunion und das vermutlich damit zusammenhängende Ausscheiden Polens und der Tschechoslowakei Anfang der fünfziger Jahre hatten zur Folge, daß innerhalb des IWF die Position der westlichen Industriestaaten weiter verstärkt wurde. Es führte aber auch dazu, daß der IWF der UNO zwar als „special agency" -formal unterstellt wurde, der UNO aber nur minimale Kompetenzen eingeräumt wurden. Auf diesem Wege wurde einmal versucht, das im IWF herrschende gewichtete Stimmrecht gegen die UNO abzuschirmen, zum anderen eine mögliche Einflußnahme des Ostblocks auf dem Umweg über die UNO zu blockieren. Die Nichtrepräsentanz des Ostblocks im IWF bedingte, daß der Ost-West-Konflikt im IWF weitgehend ausfiel, und dies ist m. E. ein Wichtiger Faktor für den relativen Erfolg des IWF im Vergleich zu anderen UN-Organisationen.
Bevor der IWF aber in eine Phase zumindest relativen Erfolges eintrat, mußte er eine Existenzkrise überwinden, für die verschiedene Faktoren maßgebend waren. U. a. zeigte sich, daß die Schwierigkeiten des Wiederaufbaus erheblich größer waren und die „Ubergangs-phase" daher erheblich länger dauerte als vorausgesehen. Zudem erwies sich, daß die Instrumente des IWF primär auf den Gewinn des „letzten Krieges“ ausgerichtet waren, nämlich darauf, konkurrierende Abwertungen in einer Situation der Deflation zu verhindern. In der Nachkriegszeit bildete aber nicht, wie erwartet, die Deflation, sondern die Inflation das Hauptproblem. Es kam daher auch nicht zu dem Versuch, sich durch Abwertungen einen Exportvorteil zu sichern. Vielmehr wurden Währungen selbst dann nicht abgewertet, wenn ein „fundamentales Ungleichgewicht" vorlag, d. h„ wenn der Wechselkurs so hoch lag, daß er bei freiem Handelsverkehr zu hohen Defiziten führen mußte. Dies erscheint verständlich, wenn man bedenkt, daß z. B. die europäischen Länder für den Wiederaufbau dringend Importgüter benötigten, andererseits die Produktionskapazität für Exportgüter einfach noch nicht vorhanden war. In einer solchen Situation hätten Abwertungen mit ihren damit einhergehenden Preisänderungen keinen höheren Export bewirkt, die Importe aber weiter verteuert. Die Anpassung erfolgte weitgehend über Handels-und Devisenbeschränkungen. Als Instrument dienten vor allem bilaterale Handels-und Zahlungsabkommen. Die Kompetenzen des IWF reichten zur Bekämpfung einer solchen Situation nicht aus. Das Vetorecht bei Wechselkursänderungen war passiver Natur; der IWF konnte notwendige Paritätsänderungen nicht erzwingen. Auf die Binnenwirtschaftspolitik hatte er überhaupt keinen Einfluß. Devisenbeschränkungen sollten zwar nach einer Übergangszeit abgebaut werden, aber entscheidend war, welche Druckmittel der IWF besaß. Das wichtigste positive Instrument des IWF waren seine Kredite. Der bedeutsame Streit darüber, ob diese Kredite auf Anforderung nahezu automatisch zu vergeben seien oder ob der IWF nach einer detaillierten Prüfung jedes Einzelfalls an die Kreditvergabe spezifische Bedingungen knüpfen konnte, war in Bretton Woods nicht entschieden, sondern durch eine auslegungsbedürftige Kompromißformel in die Zukunft verlagert worden. Er wurde im IWF durch das Gewicht der USA gegen den erbitterten Widerstand insbesondere Großbritanniens zugunsten der konditionalen Lösung entschieden. Diese war für den Einfluß des IWF grundsätzlich positiv, da er damit sein wichtigstes Aktivum Kredite an Bedingungen knüpfen konnte, die ihm indirekten Einfluß z. B. auch auf die Binnenwirtschaftspolitik erlaubten. Insbesondere die rigide amerikanische Position führte aber dazu, daß der IWF kaum noch Kredite gewährte. Die USA befürchteten nicht zu Unrecht, daß die einsetzbaren Mittel des IWF — Gold und frei verwendbare Währungen, insbesondere Dollars— zweckentfremdet für langfristige Entwicklungsvorhaben eingesetzt und deshalb auch nicht, wie bei kurzfristigen, umkehrbaren Ungleichgewichten zu erwarten, schnell an den IWF zurückfließen würden. Eine Schonung der IWF-Bestände in der Hoffnung auf bessere Zeiten barg aber die Gefahr in sich, daß das Vertrauen in den IWF sinken und er in den Augen der meisten Mitglieder mehr Verpflichtungen als Nutzen bringen werde Etwa 1951 hatte der IWF eine Scheintodphase erreicht und entging wohl nur durch die stetige Unterstützung des amerikanischen Finanzministeriums einer formellen Beerdigung. Die in der ersten Nachkriegszeit deutliche amerikanische Dominanz auch im IWF spiegelte nur die Abhängigkeit der meisten Länder vom ökonomischen Potential der USA. Die großzügige, wenn auch nicht uneigennützige amerikanische Hilfe erfolgte aber niht über internationale Institutionen wie den IWF, sondern wie beim Marshall-Plan im nationalen Rahmen, der den USA größere und direkte Einflußmöglichkeiten sicherte.
Die Wiederbelebung IWF des Mitte der fünfziger Jahre beruhte nicht zuletzt auf einer liberaleren Kreditpolitik, die 1956 der Suez-Krise in einer massiven Stützungsaktion vor allem für das britische Pfund kulminierte und die zum wachsenden Vertrauen der Mitglieder in den IWF erheblich beitrug. 1958 wagten die wichtigsten europäischen Handelsmächte den Übergang zur De-facto-Konvertibilität, d. h. zur freien Austauschbarkeit ihrer Währungen, und verzichteten somit auf das Instrument der Devisenbeschränkungen. Damit erst wurde der in Bretton Woods vorausgesetzte „Normalzustand" weitgehend erreicht. Verbunden damit war aber auch eine größere Handlungsfreiheit für private Akteure, die an die Steuerfähigkeit des Systems höhere Ansprüche stellte. Dies galt um so mehr, als auch zunehmend auf die im Bretton-Woods-Abkommen ausdrücklich gebilligte Kontrolle des Kapitalverkehrs verzichtet wurde
V. Der systemimmanente Widerspruch und Stabilisierungsversuche
Ende der fünfziger Jahre mehrten sich aber auch kritische Stimmen, die im Liquiditätsproblem ein wichtiges Krisenpotential zu erkennen glaubten. Die internationale Liquiditätsmenge war in der Nachkriegszeit primär mit Hilfe des Mediums der Reservewährungen ausgeweitet worden, da die geförderte Gold-menge beim Preise von 35 US $pro Unze Feingold dazu nicht ausreichte, zumal sie zum Teil in den industriellen Verbrauch und private Horte ging. Innerhalb der Reservewährungen wurde die Liquiditätsausweitung fast ausschließlich vom Dollar getragen. Dies kann als weiterer Indikator für die währungspolitische Dominanz der USA in der ersten Nachkriegszeit gewertet werden. Dabei muß betont werden, daß die Entwicklung des US-Dollar zur wichtigsten Reservewährung in dieser Phase ohne amerikanischen Druck erfolgte und durch den Bretton-Woods-Vertrag keineswegs vorprogrammiert war. Sie beruhte auf autonomen Entscheidungen der einzelnen No-tenbanken über die Zusammensetzung ihrer Währungsreserven und führte zur Charakterisierung des Währungssystems als „Gold-Dollar-Standard".
Wichtige Faktoren, die die Sonderrolle des Dollar bedingten, waren: Der Dollar wurde als wichtige Handelswährung benutzt, in der Handelsgeschäfte auch zwischen Drittländern, z. B. Argentinien und Chile, abgeschlossen wurden. Von daher erschien es für diese Länder sinnvoll, Arbeitsguthaben, sogenannte working balances, in Dollar zu unterhalten. Darüber hinaus entwickelte sich der Dollar zur Interventionswährung. Die Verpflichtung gegenüber dem IWF, für einen festen Wechselkurs zu sorgen, wurde dadurch erfüllt, daß durch Kauf bzw. Verkauf von Dollars gegen die eigene Währung am Devisenmarkt der Kurs der eigenen Währung gegenüber dem Dollar innerhalb der zulässigen Schwankungsbreite gehalten wurde. Schließlich wurden Dollar-bestände im Gegensatz zum Gold verzinst, ein Vorteil, der z. B. für die Notenbankleitungen der Entwicklungsländer besonderes Gewicht besaß. Unter dem Sicherheitsaspekt waren Dollars nach dem Kriege dagegen „so gut wie Gold". Die USA verfügten bei Kriegsende über die größten Goldvorräte der Welt, denen nur geringe Dollarbestände ausländischer Notenbanken gegenüberstanden. Die USA hatten sich bereit erklärt, Dollarguthaben ausländischer offizieller Stellen auf Wunsch jederzeit in Gold zu tauschen. Allerdings handelte es sich dabei um eine Art Selbst-bindung, die weder durch einen internationalen Vertrag noch durch ein amerikanisches Gesetz abgesichert war, die aber in der ersten Nachkriegszeit angesichts der großen amerikanischen Goldbestände nicht angezweifelt wurde.
Die internationale Liquidität wurde überwiegend dadurch ausgeweitet, daß die USA Zahlungsbilanzdefizite aufwiesen, d. h. per Saldo Dollars aus den USA abflossen. Die amerikanischen Defizite führten daher zu höheren Dollarbeständen und damit Reserven bei ausländischen Notenbanken. Der Status einer Reservewährung gibt dem betreffenden Land also das Privileg, Defizite mit der eigenen Notenpresse finanzieren Zu können, da die nationale Währung gleichzeitig die Funktion eines internationalen Zahlungsmittels erfüllt. Dieses Privileg ist aber nicht unbegrenzt, da es einen systemimmanenten Widerspruch gibt. Wenn Dollars letztlich als Goldansprüche verstanden werden, beruht eine Liquiditätsausweitung über Dollars auf einer Doppelzählung. Sowohl die Dollarbestände ausländischer Notenbanken als auch die Goldbestände der USA werden zur internationalen Liquidität gezählt, obwohl die Dollars Gold-ansprüche gegen die USA darstellen. Spätestens dann, wenn die ausländischen Dollar-bestände wertmäßig die Goldvorräte der USA übersteigen, besteht die Gefahr, daß es zu einem „run auf die Bank" und damit zu einer Existenzkrise des Gold-Dollar-Standards kommt, da jeder Dollarhalter befürchten muß, der letzte zu sein, der seine Dollars zum Goldumtausch präsentiert, und deshalb zu spät zu kommen. Die Gefahr einer Vertrauenskrise besteht allerdings bereits vor einer Überschuldung. Sie war für den Dollar 1958 offenbar bereits akut, wie die auf der IWF-Jahrestagung geäußerten Befürchtungen zeigten.
VI. Vom „ökonomischen“ zum „politischen" Dollarstandart
Anfang der sechziger Jahre kam es zu mehreren Spekulationskrisen, die mangelndes privates Vertrauen in Pfund und Dollar offenbarten und bei denen sich der freie Kapitalverkehr wiederum als Störpotential erster Ordnung erwies. Die neue Kennedy-Administration erkannte offenbar auch die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen, um den Vertrauensschwund in den Dollar und das Währungssystem aufzuhalten.
Die Zahlungsbilanz eines Landes ist ein Spiegel seiner gesamten Politik einschließlich der Außenpolitik. Der traditionelle Überschuß in der amerikanischen Handelsbilanz reichte, nachdem die europäische und japanische Konkurrenzkraft wiederhergestellt war, nicht mehr aus, um die Hauptquellen des Defizits auszugleichen: die amerikanische Militär-und Wirtschaftshilfe an das Ausland sowie die wachsenden US-Investitionen insbesondere in den EWG-Ländern. Trotz seiner absoluten Größe macht der amerikanische Außenwirtschaftsverkehr nur etwa ein Zwanzigstel des Bruttosozialproduktes aus, und die quantitative Abhängigkeit der USA vom Außenhandel ist damit erheblich geringer als z. B. die der europäischen Staaten. Die USA lehnten es in ihrer Zahlungsbilanzstrategie daher auch ab, „den Schwanz mit dem Hund/wackeln zu lassen", d. h.den Wechselkurs des Dollars primär durch die Ausrichtung der Binnenwirtschaftspolitik auf zahlungsbilanzpolitische Erfordernisse zu verteidigen. Sie waren anderer-11 seits auch nicht bereit, ihre politischen Prioritäten, deren Ausdruck z. B. Militär-und Wirtschaftshilfe waren, grundlegend zu ändern. Der Ausweg wurde vorwiegend auf der Finanzierungsseite gesucht. Einerseits wurde versucht, die Lasten von Entwicklungshilfe und Rüstung teilweise auf die ökonomisch erstarkten Verbündeten zu verlagern und damit die Zahlungsbilanz zu entlasten. Zum Teil damit zusammenhängend wurde andererseits versucht, die Reservenpolitik anderer Länder zu beeinflussen, um einen Umtausch von Dollars in Gold und damit weitere amerikanische Goldverluste zu verhindern. Dabei wurden auch neue Finanzierungsinstrumente geschaffen, die das Vertrauen ausländischer Notenbanken stärken sollten, die aber auch als Ansätze zu einer längerfristigen „stückweisen" Reform des internationalen Währungssystems gedacht waren.
Träger des neuen Instrumentariums waren primär die Notenbanken, die ihren Einfluß auf das internationale Währungssystem in der Nachkriegszeit deutlich erweitern konnten. Die wichtigsten Instrumente waren sogenannte Swap-Kredite und Roosa-Bonds. Bei Swap-Geschäften wird die eigene Währung gegen die des Partners verkauft und gleichzeitig auf Termin — meist drei Monate — zu festem Kurs zurückgekauft, so daß das durch zwischenzeitliche Wechselkursänderungen entstehende Kursrisiko ausgeschlossen wird. Bei den Notenbank-Swaps handelt es sich faktisch um kurzfristige Bereitschaftskredite auf Gegenseitigkeit und mit Kurssicherung. Die amerikanische Notenbank hat mit inzwischen 15 ausländischen Zentralbanken ein Swap-Netz aufgebaut, das 1962 mit rd. 1 Mrd. 8 begann und 1973 einen Umfang von fast 18 Mrd. $erreichte. Es diente als erste Verteidigungslinie vor allem für den Dollar und sollte private Akteure schon durch seine Existenz von der Verteidigungsfähigkeit der Dollar-parität überzeugen. Wenn es dennoch zu einer Spekulation gegen den Dollar kam und ausländische Zentralbanken, um den Kurs des Dollar zu stützen, Dollars aufkaufen mußten, bestand die Gefahr, daß sie diese Dollars den USA zum Umtausch gegen Gold präsentierten.
Die Inanspruchnahme der Swap-Kredite ermöglichte den USA in einem solchen Fall, ausländische Währung gegen kursgesicherte Dollar zu kaufen und mit diesen Fremdwährungsbeträgen die im Laufe der Spekulation bei ausländischen Notenbanken angefallenen, nicht kursgesicherten Dollars zurückzukaufen.
Der Vorteil bestand für die USA darin, daß Geldverluste, für die ausländischen Notenbanken, daß Kursrisiken vermieden wurden.
Die Operation beruhte allerdings auf der Annahme, daß es sich um eine kurzfristige umkehrbare Spekulation handelte, da die von den USA aufgenommenen Fremdwährungen grundsätzlich nach drei Monaten zurückgezahlt werden mußten.
Die Roosa-Bonds, die nach dem amerikanischen Unterstaatssekretär im Finanzministerium und Architekten der amerikanischen Währungspolitik während der Kennedy-Ära benannt sind, stellen ein mittelfristiges Instrument und eine zweite Verteidigungslinie hinter dem Swap-Netz dar. Es handelt sich bei den Roosa-Bonds um Anleihen des amerikanischen Finanzministeriums in fremder Währung mit meist ein-bis zweijähriger Laufzeit, die an ausländische Notenbanken verkauft wurden, um die Dollars abzuschöpfen, die sonst wahrscheinlich zum Umtausch gegen Gold präsentiert worden wären. Swap-Kredite und Roosa-Bonds ermöglichten den USA selektive Kursgarantien gegenüber den ausländischen Notenbanken, die wegen des Risikos einer potentiellen Dollarabwertung zusätzliche Dollarbeträge in Gold tauschen wollten. Sie waren also vor allem ein Instrument, das Vertrauen offizieller Stellen in den Dollar durch Kursgarantien zu stärken und damit weitere Goldverluste zu vermeiden.
x Die Bereitschaft zur Beteiligung an den neuen Finanzierungsinstrumenten und damit auch zur währungspolitischen Hilfe für die USA korreliert deutlich mit dem Grad der politischen Bindung an die USA. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die allgemeine Reserve-politik, wie die Beispiele Bundesrepublik und Frankreich besonders deutlich zeigen.
Für die Bundesrepublik kam es im Rahmen der Devisenausgleichsverhandlungen zu weitgehenden reservepolitischen Festlegungen. Der Grundidee nach diente der „Devisenausgleich" dazu, die aus der amerikanischen Truppenstationierung in Deutschland resultierende Devisenbelastung in DM zu kompensieren, vor allem durch deutsche Rüstungskäufe in den USA. Als letztere dazu nicht mehr ausreichten, wurde auch die deutsche Reserve-politik in die Devisenausgleichsverhandlungen einbezogen. 1967 kam es zu dem berühmten „Blessing-Brief", in dem der damalige Bundesbankpräsident seinem amerikanischen Kollegen u. a. erklärte: „By refraining from dollar conversions into gold from the United States Treasury the Bundesbank has intended to contribute to international monetary Co-operation and to avoid any disturbing effects on the foreign exchange and gold markets.
You may be assured that also in the future the Bundesbank intends to continue this policy and to play its full part in contributing to international monetary Cooperation.“ Trotz unterschiedlicher Auslegungen des Blessing-Briefes enthielt der Wortlaut eine sehr weitgehende formelle Festlegung der zukünftigen deutschen Reservepolitik, die von außen-politischer Rücksichtnahme auf die USA diktiert war.
Die französische Reservepolitik kann als eine Art dialektische Antiposition zur deutschen Position interpretiert werden. Während sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer politischen Beziehungen zu den USA bei der Konversion von Dollars extrem zurückhielt, bewirkte der gleiche Faktor, daß Frankreich ab 1965 alle anfallenden Dollarguthaben demonstrativ in Gold umtauschte. Französische Kritik am internationalen Währungssystem, insbesondere der privilegierten Stellung des amerikanischenDollars, existierte schon lange vor 1965. Aber erst 1965 wurde die französische Währungspolitik dem politischen Gesamtkonzept de Gaulles, insbesondere dem Kampf gegen eine amerikanische Suprematie, so eindeutig ein-und untergeordnet. Die Dialektik zeigte sich nun darin, daß die französische Reservepolitik solange ein kalkuliertes Risiko bedeutete und nicht eine auch dem französischen Interesse widersprechende Existenzkrise des internationalen Währungssystems heraufbeschwor, wie Länder mit größerer politischer Abhängigkeit von den USA wie die Bundesrepublik auf einen Dollarumtausch verzichteten. Da eine größere Zahlungsbilanzdisziplin der USA auch aus deutscher Sicht durchaus erforderlich war, bedeutete der verstärkte französische Druck auf den Dollar andererseits einen gewissen Ausgleich für den fehlenden Druck von Seiten der Bundesrepublik, wobei die Positionen beider Länder von gesamtpolitischen Faktoren bestimmt wurden.
VII. Die institutionalisierte Währungsaristokratie: Der Zehnerklub
Neben den genannten primär bilateralen Maßnahmen zur Stützung des US-Dollars wurde auch der Versuch gemacht, der von den „heißen Geldern" ausgehenden größeren „Feuergefahr" für das System zu begegnen, indem der zentrale Feuerwehrfonds beim IWF verstärkt wurde. Potentielle Opfer von Währungskrisen großen Stils, die gleichzeitig das Währungsystem gefährdeten, war nur ein begrenzter Kreis von Schlüsselwährungen. Anfang der sechziger Jahre waren vor allem die Reservewährungen Pfund und Dollar gefährdet und bei Spekulationskrisen vor allem ein Kreditbedarf an harten europäischen Wäh-rungen zu erwarten. Die Bestände des IWF an diesen Währungen waren aber zu gering, und so wurde nach Möglichkeiten gesucht, sie aufzustocken. Das bereits benutzte Instrument einer generellen Quotenerhöhung schien für diesen Zweck ungeeignet, da der IWF nur bestimmte Währungen benötigte. Möglich gewesen wäre eine selektive Quotenerhöhung der betreffenden Länder; aber trotz der damit verbundenen Stimmenvermehrung wären diese weiterhin in einer eindeutigen Minderheitsposition geblieben. Die neuen Gläubiger verlangten offenbar eine stärkere Kontrolle über die von ihnen erwarteten zusätzlichen Mittel. Der IWF griff daher auf eine Satzungsbestimmung zurück, die es ihm erlaubte, Kredite bei Mitgliedern aufzunehmen. Die Initiative ging anscheinend vom Geschäftsführenden Direktor des IWF, Jacobsson, aus, der gegenüber dem Kontrollstreben der Gläubiger auf der Bedingung bestand, daß die Autorität des IWF nicht eingeschränkt werden dürfe. Das Ergebnis war 1962 ein Abkommen — General Arrangements to Borrow (GAB) —, das mehrere Kompromisse enthielt. Für Entscheidungen über den Einsatz der Mittel wurde ein Zwei-Stufen-Prozeß festgelegt. Während die Kreditgeber kollektiv darüber entschieden, ob die Mittel — insgesamt 6 Mrd. $— für den IWF im Einzelfall verfügbar waren, blieb die Entscheidung über die Kreditvergabe an das betreffende Land und die damit verbundenen Bedingungen beim IWF. Der Verwendungszweck der Mittel wurde allerdings zweifach beschränkt: Die Mittel durften nur für Kredite an die Teilnehmer der Vereinbarung und nur bei einer Gefährdung des internationalen Währunssystems eingesetzt werden.
Innerhalb des neuen Zehnerklubs wurde das Stimmrecht an die Kreditbeiträge gekoppelt, der jeweilige Kreditnehmer aber war nicht stimmberechtigt. Als Stimmrechtsquorum wurde eine Zwei-Drittel-Mehrheit der abstimmenden Länder und eine Drei-Fünftel-Mehrheit der Stimmen verlangt, so daß z. B.den EWG-Mitgliedern in jedem Fall ein Vetorecht zufiel.
Die Bildung des Zehnerklubs stieß auf massive Kritik der „einfachen" IWF-Mitglieder, die die Gefahr sahen, daß der exklusive Zehner-klub sich zum eigentlichen Systemzentrum entwickeln werde, obwohl das gewichtete Stimmrecht des IWF eine angemessene Repräsentanz der Schlüsselländer ermögliche. Das GAB besaß zweifellos einen Sphinxdiarakter, da es einerseits Hilfsinstrument für den IWF und mit diesem institutionell verklammert war, andererseits das Schlüsselländer-Modell wieder-aufnahm und insofern eine potentielle Konkurrenz für den IWF bedeutete. Auch wenn die Herausbildung von aristokratischen Sonderorganisationen als Antwort auf währungspolitische Sonderprobleme der großen Industrieländer gedeutet werden kann, wichtiger dürfte gewesen sein, daß die im internationalen Währungssystem aufgetretene Macht-verlagerung — Schwächung der Reservewährungen und Stärkung vor allem der kontinentaleuropäischen Währungen — sich im IWF nicht adäquat widerspiegelte. Die Gläubiger sahen ihre Interessen im IWF nicht hinreichend gewahrt und wichen auf von ihnen dominierte Sonderorganisationen aus, deren Bildung sie als Preis für die von ihnen erwartete Hilfe durchsetzten.
VIII. Der erste Versuch einer Fundamentalreform: Ein neues Weltgeld
Teilweise parallel zu den behandelten Palliativen lief“ von 1963 bis 1968 der erste große Versuch, das internationale Währungssystem durch eine grundlegende Reform zu stabilisieren. Der offizielle Startschuß zu den Reform-verhandlungen fiel auf der IWF-Jahrestagung 1963, als die Minister des Zehnerklubs ihre Stellvertreter beauftragten, „eine gründliche Untersuchung der Aussichten für das Funktionieren des internationalen Währungssystems und seiner mutmaßlichen zukünftigen Liquiditätsbedürfnisse durchzuführen", und zustimmend Kenntnis nahmen „von der Erklärung des Geschäftsführenden Direktors, daß der IWF seine Untersuchungen über diese langfristigen Probleme entwickeln und intensivieren werde" Damit erwies sich die Befürchtung der anderen IWF-Mitglieder bereits als berechtigt, daß der Zehnerklub andere zentrale Aufgaben an sich ziehen werde. Die Hauptursache und Bedeutung des Streites um das geeignete Planungs-und Verhandlungsgremium lag darin, daß dessen Zusammensetzung bereits einen Interessenfilter darstellte und somit geeignet war, das Ergebnis zu präjudizieren. Die Kritik der nicht im Zehnerklub vertretenen Industrieländer und der Entwicklungsländer, die ihre Interessen nicht repräsentiert sahen, war somit verständlich, ebenso wie ihr Versuch, den IWF als geeignetes Verhandlungsgremium herauszustellen. Das Eigeninteresse der IWF als Organisation wies in die gleiche Richtung und wurde vom neuen Geschäftsführenden Direktor des IWF, Schweitzer, auch massiv vertreten. Die Entwicklungsländer haben darüber hinaus erfolgreich versucht, das Expertenwissen der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), einer von ihnen dominierten Organisation, in die Verhandlungen einzubringen und damit ein bescheidenes Gegengewicht zum Zehnerklub zu schaffen
Das Ergebnis der Auseinandersetzungen war ein Kompromiß in Form eines Zwei-Phasen-Modells. Nach einer ersten Phase getrennter Verhandlungen im Zehnerklub und im IWF wurden die Verhandlungen in einer zweiten Phase mit vier gemeinsamen Sitzungen der Stellvertreter des Zehnerklubs und der IWF-Exekutivdirektoren 1966/67 in ein Forum verlagert, in dem alle IWF-Mitglieder repräsentiert waren.
Unter den Verhandlungsbeteiligten gab es erhebliche Unterschiede in der Diagnose der Hauptschwächen des Währungssystems und entsprechend in der Therapie, wobei die eigene Interessenposition eine erhebliche Rolle spielte. So sahen z. B. die Reservewährungsländer und die Entwicklungsländer das Hauptproblem in der Liquiditätsfrage, während die Kontinentaleuropäer, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, größten Wert auf eine Verbesserung des Anpassungsprozesses legten. Zwar wurden in der ersten Verhandlungsphase Studien zu beiden Problemkomplexen vorgelegt; aber eine Verbesserung des Anpassungsprozesses durch einen festen Verhaltenskodex und eine Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken erwies sich als nicht durchsetzbar. Dies führte 1966 dazu, daß sich die Verhandlungen ganz im Sinne der angelsächsischen Zielprioritäten auf das Liquiditätsproblem verengten. Andererseits lag für die besonders anpassungsorientierten Länder nunmehr der Versuch nahe, das Anpassungsmoment zumindest bei der Reform der Liquiditätsversorgung selbst zur Geltung zu bringen.
Die konkreten Verhandlungen über ein neues Liquiditätsmedium starteten 1966 unter der Kompromißformel „contingency planning"; d. h. einer Detailplanung für den Eventualfall. Damit wurde versucht, die Entscheidungen über Bereitstellung und Aktivierung des neuen Mediums streng zu trennen — ein Versuch, dem Frankreich von vornherein sehr skeptisch gegenüberstand. Er beruhte auf der übereinstimmenden Diagnose des Zehnerklubs und des IWF, daß die Versorgung mit internationaler Liquidität augenblicklich ausreichend sei der zukünftige Liquiditätsbedarf aber durch das Gold nicht mehr abgedeckt werde und die für eine Ausweitung der Devisenkomponente erforderlichen Defizite der Reservewährungsländer nicht mehr tolerabel seien.
Das Ergebnis der komplizierten Verhandlungen waren die „Sonderziehungsrechte" (SZR), de facto ein neues Weltgeld, das vorerst nur zwischen den Notenbanken der IWF-Mitgliedstaaten verwendet wird. Es handelt sich um ein Buchgeld, das auf Sonderkonten beim IWF existiert. Will z. B. Italien den ihm zugeteilten Betrag an SZR verwenden, so bucht der IWF den Betrag um zu Lasten Italiens und zugunsten eines währungsstarken Landes, wie etwa der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik stellt Italien dafür einen entsprechenden Betrag in DM oder auch Gold zur Verfügung. Die vorgeschriebene Aufsicht des IWF hierbei soll sicherstellen, daß die SZR nicht nur dazu verwandt werden, die Zusammensetzung der eigenen Währungsreserven zu verändern, z. B.den Goldanteil zu erhöhen. Damit wurde rudimentär das Vertrauensproblem bei der Reservehaltung angegangen. Der weitergehende, vor allem deutsche Vorschlag einer Reserven-harmonisierung, d. h. fester Anteil der einzelnen Reservemedien, und damit auch einer Risikoharmonisierung, war dagegen im Laufe der Verhandlungen gescheitert.
Heiß umstritten war die Frage, ob es sich bei dem neuen Medium um Geld oder Kredit handeln solle, und schon der Name Sonderziehungsrechte ist Ausdruck sprachlichen Neutralitätsbemühens. Frankreich war 1966 nur noch bereit, den Kreditcharakter zu akzeptieren und um der Einheit der EWG-Länder willen schwenkten die Partner Frankreichs auf diese Position ein. Da gegen eine gemeinsame EWG-Front — die wichtigsten Gläubigerländer — ein neues Liquiditätsmedium faktisch nicht durchsetzbar war, gelang es Frankreich über den EWG-Multiplikator, seine Position zu behaupten. Ein Kompromiß wurde erst möglich, als man den weitgehend semantischen Streit, ob Reserven oder Kredit, in den Hintergrund drängte und sich pragmatisch auf die konkrete Ausgestaltung des neuen Mediums konzentrierte. Nach einem Bonmot Emmingers glich die Lösung einem Zebra, das man mit gleichem Recht als schwarzes Tier mit weißen Streifen bzw. weißes Tier mit schwarzen Streifen beschreiben könne.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Geld und Kredit scheint darin zu bestehen, daß an Kredite Bedingungen geknüpft werden können. Allerdings ist diese Unterscheidung fließend und bei automatischen Krediten nicht mehr existent. Für den IWF hätte ein Ausbau der konditionalen Liquidität den Vorteil gebracht, über die Bedingungen auch direkten Einfluß auf den Anpassungsprozeß nehmen zu können. Die Entscheidung über den Einsatz der SZR aber liegt im Rahmen einer engen Mißbrauchsaufsicht des IWF bei dem betreffenden Land Als weiterer Unterschied kann die mit Krediten verbundene Rückzahlung und Verzinsung angesehen werden. Nach dem Kompromiß sind die SZR zum Teil rückzahlbar und werden bei Inanspruchnahme geringfügig verzinst. Technisch sieht das so aus: Eine Zuteilung von SZR soll im Normfall für eine Fünfjahrespe-riode erfolgen, an deren Ende neu entschieden wird. Die SZR dürfen während der ersten Periode nur durchschnittlich zu 70 °/o in Anspruch genommen werden. Gibt ein Land seine SZR sofort nach der Zuteilung voll aus, so muß es sie spätestens nach dreieinhalb Jahren voll zurückkaufen
Die SZR haben weder einen materiellen Eigenwert wie das Gold noch eine materielle Dek-kung. Damit ist erstmals für den internationalen • Bereich die geldtheoretische Erkenntnis umgesetzt worden, daß die Qualität eines Zahlungsmittels primär von seiner Verwendungsfähigkeit abhängt, d. h. von der Erwartenssicherheit, daß es jederzeit akzeptiert wird. Dieses Vertrauen wird bei den SZR dadurch gesichert, daß jeder Teilnehmer sich verpflichtet, bis zum zweifachen des ihm zugeteilten Betrages SZR zu akzeptieren und dafür eigene Währung verfügbar zu machen. Diese Risiko-limitierung ist analog zur Position der USA in Bretton Woods nunmehr von den neuen Gläubigern durchgesetzt worden. Damit ist die Verwendungsfähigkeit des neuen Mediums in Extremsituationen mit sehr wenig Gläubigern allerdings gefährdet.
Da es sich bei dem neuen Zahlungsmittel um „Geld aus der Retorte" handelt, kommt der Verfügung über die internationale Noten-presse und damit dem Entscheidungsprozeß besondere Bedeutung zu. Die nicht im Zehner-klub vertretenen IWF-Mitglieder setzten durch, daß die Entscheidung über die Schaffung von SZR allein im IWF gefällt wird und dem Zehnerklub zumindest formell kein gesondertes Entscheidungsrecht zufällt. Allerdings bestanden die EWG-Länder auf einem Vetorecht. Es wurde ihnen dadurch gewährt, daß für die Schaffung von SZR eine Stimmenmehrheit von 85 Prozent erforderlich ist Die anläßlich des Einbaus der SZR in den IWF vorgenommene Verfassungsreform diente ebenfalls vor allem dazu, ein EWG-Veto in allen wesentlichen Fragen zu sichern und eine Umgehung dieses Vetorechtes auszuschließen. Die Gläubigerposition wurde zusätzlich dadurch gestärkt, daß jedes Mitglied bei der Zuteilung von SZR die Möglichkeit hat, sich daran nicht zu beteiligen, dann aber auch der Annahmezwang entfällt.
Einer der umstrittensten Punkte war verständlicherweise auch das Verteilungskriterium für das neue Weltgeld. Hier setzten sich die IWF-Quoten als Kriterium durch, vermutlich aufgrund ihrer schlichten Existenz, da die Einigung auf ein neues Kriterium sich als noch schwieriger erwies. Damit wurde einerseits auf eine gesonderte Zuteilung an die Mitglieder des Zehnerklubs verzichtet, andererseits scheiterte vorerst auch der Versuch der EntWicklungsländer, den „link", d. h. eine Koppelung der SZR mit der Entwicklungshilfe, durchzusetzen
Die SZR wurden bereits 1970 aktiviert. Auf der IWF-Jahrestagung 1969 wurde beschlossen, SZR vorerst für eine Drei-Jahres-Periode zu verteilen, und zwar 1970 3, 5 Mrd. $, 1971 und 1972 jeweils 3 Mrd. $. Diese erste Entscheidung fiel, obwohl es höchst zweifelhaft war, ob die dafür fixierten Voraussetzungen — globaler Liquiditätsbedarf, besseres Zahlungsbilanzgleichgewicht und die Wahrscheinlichkeit eines verbesserten Anpassungsprozesses in der Zukunft — tatsächlich vorlagen. Damit erwiesen sich im nachhinein die französischen Befürchtungen als berechtigt, daß zwar nicht logisch, aber faktisch die Existenz eines neuen Mediums auch seine Aktivierung bewirken werde.
Die SZR können zu Recht als eine revolutionäre Änderung des internationalen Währungssystems bezeichnet werden, da mit ihnen erstmals in der Weltgeschichte als Ergebnis des ersten Versuchs einer Fundamentalreform seit Bretton Woods ein stoffwertloses „künstliches" Weltgeld mit nur geringen Verwendungsbeschränkungen geschaffen wurde. Damit wurden die Methoden nationaler Liquiditätsschöpfung und -kontrolle ansatzweise auf das internationale System übertragen, und der IWF erhielt eine wichtige Funktion einer Weltzentralbank. Schon auf der primären Zielebene — Liquidität und Vertrauen offizieller Stellen — zeigte die SZR-Lösung aber erhebliche Schwächen. Es existierten weiter verschiedene Reservemedien, die unterschiedlich gesteuert wurden, mit allen damit verbundenen Problemen. Die SZR bildeten zwar ein neues und wichtiges zentrales Steuerelement, das sich aber vorerst in einer Medienkonkurrenz zu Gold und Dollar befand und seine Funktion als Instrument einer rationalen Liquiditätsschöpfung daher allenfalls in einer Situation des Liquiditätsmangels erfüllen konnte. Ein weiterer wunder Punkt bestand weiterhin darin, daß keine Lösung für das Anpassungsproblem gefunden wurde. Das internationale Währungssystem wurde mit der Einführung der SZR daher keineswegs grundlegend stabilisiert. Vielmehr entstand eine Art instabiler Schwebezustand, der allenfalls eine kurzfristige Zwischenlösung darstellte, der Natur der Sache nach aber weitergehende Änderungen erforderte.
IX. Neue Krisen und der Offenbarungseid des US-Dollar
Zum Teil parallel zu den erfolgreichen SZR-Verhandlungen, zum Teil nach deren Abschluß kam es zu einer Reihe schwerer internationaler Währungskrisen, die auf ihre Weise die Problemzentren des internationalen Währungssystems und die Notwendigkeit weiterer grundlegender Reformen deutlich machten, gleichzeitig aber auch bereits Elemente einer Systemänderung waren und den Inhalt weiterer Fundamentalreformen erheblich beeinflußten. Das britische Pfund Sterling befand sich während der gesamten Nachkriegszeit in einer prekären Situation, da die kurzfristigen Verbindlichkeiten Großbritanniens — vor allem Pfundreserven in den Ländern des Sterling-* raumes — die eigenen Währungsreserven bei weitem überstiegen und jeder Vertrauensverlust in das Pfund eine massive Pfundkrise auslöste. Das bedingte, daß Großbritannien vom Defizitprivileg der Reservewährungen kaum mehr profitieren konnte und das Pfund zu einer „zweitrangigen" Reservewährung wurde. Andererseits gelang es Großbritannien nie, die Zahlungsbilanz grundlegend zu sanieren, und der Konflikt zwischen binnen-wirtschaftlichen Zielvorstellungen und währungspolitischem Damoklesschwert war die Hauptursache der britischen „stop and go“ -Politik, einem ständigen Wechsel von restriktivem und expansivem Kurs. Eine neue Pfund-krise 1967 führte schließlich im November zu einer Abwertung um 14, 3 Prozent, wobei es durch internationale Koordination allerdings gelang, eine währungspolitische Kettenreaktion zu verhindern. Dennoch war die Tatsache, daß erstmals nach Erreichen der Konvertibilität eine Reservewährung zur Abwertung getrieben worden war, geeignet, das Vertrauen offizieller und privater Stellen in die Unantastbarkeit der Reservewährungsparitäten weiter zu untergraben. 1968 kam es zu einer neuen internationalen Währungkrise, bedingt vor allem durch eine Flucht aus dem französischen Franc und in die Deutsche Mark. Die Ursachen hingen in der Bundesrepublik mit der Rezessionskrise 1966/67 zusammen, die zu einer weitgehenden Preisstabilität und damit zu einem Wettbewerbsvorteil deutscher Unternehmen geführt hatte und deren Überwindung durch eine deutsche Exportoffensive erleichtert worden war. Die dadurch hervorgerufenen extremen Überschüsse in der deutschen Handelsbilanz wurden zwar durch einen starken Kapital-export weitgehend kompensiert, aber es handelte sich um eine labile Situation, die die deutsche Währung erneut aufwertungsverdächtig machte. In Frankreich kam es im Gefolge der Maikrise zu einer Kapitalflucht, die durch mangelndes Vertrauen sowohl in die ökonomische als auch politische Stabilität motiviert gewesen sein dürfte und deren primäres Fluchtziel die Bundesrepublik Deutschland war. In einer akuten Krisensituation wurde im November 1968 eine Konferenz der Finanzminister des Zehnerklubs nach Bonn einberufen und erstmals versucht, zu einer multilateralen Entscheidung über Paritätsände-rüngen zu kommen.
Den sich abzeichnenden internationalen Druck für eine Aufwertung der DM versuchte die Bundesregierung aufzufangen, indem sie einen Tag vor der Konferenz ihre Entscheidung bekanntgab, nicht aufzuwerten, statt dessen aber durch steuerliche Ersatzmaßnahmen — Variation der Umsatzausgleichssteuer — eine auf den Handels-und Dienstleistungsbereich beschränkte Quasiaufwertung vorzunehmen. Auf der Konferenz versuchten die wichtigsten politischen Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland vergeblich, eine Revision der deutschen Entscheidung gegen eine formelle Aufwertung zu erreichen, wobei die wichtigste Scheidelinie wiederum zwischen Gläubigern und Schuldnern und damit auch quer durch die EWG verlief.
Die Bonner Währungskonferenz erhielt in den nationalen und internationalen Massenmedien breiten Raum. Sie wurde überwiegend auf ihren politischen Stellenwert hin analysiert und teilweise als Indikator einer gravierenden politischen Machtverschiebung gewertet. Erstmals setzte die Bundesrepublik Deutschland in einem Konflikt mit den wichtigsten Verbündeten ihre eigene Position rigoros durch — ein Tatbestand, der im In-und Ausland, vor allem in den Massenmedien, starke chauvinistische Reaktionen provozierte. Auch die deutsche Position war primär politisch motiviert Als Indikator für die Zweitrangigkeit ökonomischer Erwägungen kann auch gewertet werden, daß die deutschen Institutionen, denen am ehesten ökonomische Orientierung unterstellt werden kann, die Deutsche Bundesbank und der Sachverständigenrat, für eine Aufwertung eingetreten sind. Ein Faktor dürfte gewesen sein, daß die Bundestagswahl 1969 ihre Schatten vorauswarf und sich anscheinend kein führender Politiker an deutscher Härte gegenüber Forderungen des Auslandes übertreffen lassen wollte.
Vermutlich war die deutsche Position ein wichtiger Grund dafür, daß auch die französische Währung entgegen allgemeinen Erwartungen nicht abgewertet wurde und die französische Regierung statt dessen zu massiven binnenwirtschaftlichen Restriktionen und scharfen Devisenkontrollen griff. Eine isolierte französische Abwertung, die sicherlich weithin als Niederlage de Gaulles interpretiert worden wäre und Spekulationen über eine Machtverschiebung von Paris nach Bonn weiter Vorschub geleistet hätte, war für den prestigebewußten Staatspräsidenten offenbar nicht akzeptabel.
Als bescheidener Erfolg der Bonner Konferenz mag gewertet werden, daß es gelang, eine drohende unkontrollierte Kettenreaktion von Paritätsänderungen zu verhindern. Die Bonner Konferenz unterstrich aber nachdrücklich das mangelnde Funktionieren des Anpassungsprozesses. Sie zeigte einmal mehr, daß die Wechselkurse als nationale Prestigesymbole betrachtet werden, an deren „Verteidigung" die Öffentlichkeit sich leidenschaftlich beteiligt. In der Konzeption von Bretton Woods hatten Wechselkursänderungen für den Fall von fundamentalen Ungleichgewichten ihren festen Platz, auch wenn sie mit der Sicherung der IWF-Genehmigung versehen waren. Diese Sicherung war aber passiv und erwies sich als unzulänglich, vor allem, weil die unterstellte übergroße Abwertungstendenz wegen des politischen Symbolwertes der Wechselkurse in der Nachkriegszeit nicht auftrat.
Der Druck der ökonomischen Entwicklung war aber so stark, daß die in Bonn mit großem politischen und emotionalen Aufwand abgelehnten Paritätsänderungen der deutschen und französischen Währung innerhalb eines Jahres doch noch vollzogen wurden, aller-dings als „einsame* nationale Entscheidungen auf der Basis veränderter nationaler politischer Konstellationen. Nach dem Abgang de Gaulles entschloß sich die französische Regierung unter dem neuen Präsidenten Pompidou im August 1969 zu einer Abwertung um 11, 1 Prozent, die hinsichtlich Geheimhaltung und geschickter zeitlicher Fixierung als Musterbeispiel einer geglückten Paritätsänderung angesehen werden kann. Im Gegensatz dazu erfolgte die DM-Aufwertung erst nach mehreren Spekulationskrisen im Herbst 1969 durch die neue sozial-liberale Regierung. Vorher erlebte die Bundesrepublik insofern eine „Welturaufführung", als die Frage der DM-Aufwertung zu einem wichtigen Wahlkampfthema gemacht wurde, nachdem Bundeswirtschaftsminister Schiller und in seinem Gefolge die SPD im Frühjahr 1969 einen Stellungswechsel in die Reihe der Aufwertungsbefürworter vollzogen hatten. Die Befürworter einer Aufwertung verfügten m. E. über die besseren Argumente. Man könnte versucht sein, den Meinungsumschwung in der Bevölkerung von überwiegender Ablehnung einer Aufwertung zu wohlwollender Haltung, der sich nach Meinungsumfragen ergab, auf die Überzeugungskraft der besseren Argumente und damit eine rationale Abwägung zurückzuführen. Die Beobachtung des Wahlkampfes legt einen anderen Schluß nahe. Es gelang den Parteien nicht, das Für und Wider einer DM-Aufwertung als einer sehr komplexen Streitfrage adäquat zu vermitteln. Angesichts der durchschnittlich sehr geringen volkswirtschaftlichen Kenntnisse der Bevölkerung und des wahlkampf-bedingten Bedürfnisses, die „esoterischen* Währungsfragen emotional anzureichem, wurden die Streitfragen auf eine derart niedrige Argumentationsebene transformiert, daß die Gesamtproblematik verfälscht wurde. Der Wahlkampf dürfte der Bevölkerung schwerlich eine rationalere Beurteilung des Paritätsstreites ermöglicht, allerdings die Problematik und die Grenzen einer währungspolitischen „Demokratisierung“ dieser Art verdeutlicht haben. Die Bestürzung der Währungsexperten hat Emminger deutlich ausgedrückt: „Die monatelange öffentliche Erörterung der Frage . Aufwertung der DM oder nicht'unter Teilnahme sogar der Regierungsverantwortlichen ist ein in der Währungsgeschichte einmaliger Vorgang. Er trägt leider dazu bei, das gegenwärtige System der grundsätzlich festen Wechselkurse zu untergraben.
Die latente Dollarkrise, die auf chronischen, durch die direkten und indirekten Folgen des Vietnamkrieges verstärkten Zahlungsbilanz-defiziten der USA beruhte, kam 1971 offen zum Ausbruch. Ende April/Anfang Mai spitzte sich die Situation zu. Nachdem z. B. die Bundesbank daraufhin in eineinhalb Tagen über 2 Mrd. $aufkaufen mußte, um den Kurs zu halten, wurden die Devisenbörsen kurzfristig geschlossen. In dieser Situation kam es zu dem Versuch, die „eigenständige monetäre Persönlichkeit" der Europäischen Gemeinschaft durch ein zeitlich befristetes und im Ausmaß begrenztes konzertiertes Floating zu betonen und damit die festen Wechselkurse nach innen zu bewahren, nach außen dem Dollar gegenüber aber durch eine Kursfreigabe größere Manövrierfähigkeit zu erlangen. Dieser Versuch scheiterte vor allem am Widerstand Frankreichs. So kam es zu höchst unterschiedlichen Krisenreaktionen, die die europäische Integration zusätzlich belasteten. Während die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande mit Duldung des IWF die Wechselkurse freigaben, griffen andere EG-Staaten auf Instrumente der Devisenkontrolle zurück. Belgien stützte sich auf einen gespaltenen Devisenmarkt mit freien Kursen für den Kapitalverkehr bei festen Kursen für den Handels-verkehr. Die Schweiz und Österreich werteten ihre Währungen dagegen formell auf.
Das auf dem Umschlag von Quantität in Qualität beruhende Signal der Maikrise ist von Emminger aus der Sicht eines leitenden Notenbankiers treffend so charakterisiert worden:
„Tatsächlich haben wir noch nie zuvor in der Währungsgeschichte Geldbewegungen von auch nur ähnlichen Größenordnungen beobachten können. Nie zuvor haben solche kurzfristigen Bewegungen für sich allein eine große Währungskrise und Wechselkursänderungen erzwungen. Dies ist etwas Neues in der internationalen Währungspolitik.“ Neu war auch, daß mit der Bundesrepublik Deutschland ein führendes Welthandelsland auf unbestimmte Zeit zu flexiblen Wechselkursen überging. Dieses Experiment mußte die Diskussion um flexible Wechselkurse als grundsätzliche Reformalternative neu beleben.
Als sich die Krise im August mit Dollarströmen vor allem nach Frankreich und in die Schweiz wiederum zuspitzte, reagierten die USA mit einer Schocktherapie. Präsident Nixon verkündete in einer Fernsehansprache am 15. August 1971 eine neue Wirtschaftspolitik und nannte als konkrete Maßnahmen u. a. einen neunzigtägigen Lohn-und Preisstopp, eine „zeitweilige“ Aussetzung des Dollarumtausches in Gold sowie eine „zeitweilige" 10°/oige Importsteuer. Die formelle Aufhebung derGoldkonvertibilität des Dollarskam einem offiziellen Offenbarungseid gleich. Zwar glich der Dollar seit langem einer illiquiden Firma, aber bisher waren die Gläubiger indirekt, vor allem durch politischen Druck, veranlaßt worden, an ihren Dollars festzuhalten und sie nicht zur Goldeinlösung zu präsentieren. Das Schließen des Goldfensters und der damit verbundene Bruch des amerikanischen Versprechens, Dollars offizieller Stellen jederzeit gegen Gold einzulösen, beseitigte die wichtigste Grundlage für die überragende Stellung des Dollars als Reserve-währung. Diese Maßnahme mochte als schlichte Anerkennung bestehender Realitäten und Verzicht auf eine unhaltbare Konvertibilitätsfiktion gewertet werden, sie stellte aber auch einen bedeutsamen Methodenwechsel von indirektem Druck zu direkter Erpressung dar, der insbesondere für die ausländischen Notenbanken eine neue Situation schuf. Länder, die gewillt waren, die bisherigen Kurse durch Interventionen am Devisenmarkt weiter zu stützen, mußten eine fortgesetzte Anhäufung inkonvertibler Dollars in Kauf nehmen.
Die amerikanischen Maßnahmen setzten die anderen Länder unter Zugzwang und beschworen die Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen und damit eines Handels-und Währungskrieges herauf. Diese Gefahr konnte schließlich durch vom Zehnerklub dominierte Verhandlungen vermieden werden, die im Dezember 1971 in einer Vereinbarung des Zehnerklubs — Smithonian Agreement — mündeten. Es wurde eine neue Wechselkursstruktur vereinbart, die eine Abwertung des Dollars gegenüber dem Gold um 7, 9 Prozent einschloß und eine durchschnittliche Aufwertung der Währungen der Zehnerklubmitglieder gegenüber dem Dollar um 10 Prozent brachte. Die Rückkehr zu festen Wechselkursen wurde aber insofern mit größerer Flexibilität gekoppelt, als im Vorgriff auf eine Fundamentalreform die zulässige Schwankungsbreite auf 21/4 Prozent erweitert wurde. Als Preis für die neue Wechselkursstruktur hoben die USA die Importsteuer auf. Darüber hinaus wurden Verhandlungen über Handelsfragen und eine Reform des internationalen Währungssystems vereinbart.
Nixon hat das sogenannte Smithonian Agreement euphorisch als „bedeutendste Währungsvereinbarung in der Geschichte der Welt" gefeiert. Es handelte sich aber im wesentlichen um eine erfolgreiche Feuerwehr-aktion, die per se zur längerfristigen System-stabilisierung wenig beitrug, auch wenn es unter dem Druck der amerikanischen Maßnahmen erstmals gelang, in multilateralen Verhandlungen eine konzertierte Neufestsetzung der Wechselkurse zu erreichen. Die Goldkonvertibilität des Dollars aber war nicht wiederhergestellt worden, und dies bedeutete, daß offiziell ein reiner Dollarstandard eingeführt wurde. Eine solche Lösung war für die anderen währungspolitischen Machtzentren nur für eine kurze Übergangsperiode tragbar. Der Erfolg des Smithonian Agreement hing davon ab, daß es zu einer schnellen Fundamentalreform des internationalen Währungssystems kam und in der Zwischenzeit das Defizitprivileg der Reservewährung keine zu große Belastung für die Partnerländer bedeutete. Beide Voraussetzungen erwiesen sich als irreal. So kam es Anfang 1973 zu zwei Spekulationswellen, die der Washingtoner Interimslösung den Todesstoß versetzten. Der reine Dollarstandard zwang die Partner der USA bis März 1973 über 20 Mrd. nichtkonvertierbare Dollars aufzunehmen. Das war eine untragbare Bürde
Erneut wurde auf das Instrument flexibler Wechselkurse zurückgegriffen. Erstmals kam es zu einem EG-Blockfloating, an dem sich allerdings Italien, Großbritannien und Irland nicht beteiligten und aus dem Frankreich später wieder ausschied.
Feste Wechselkurse stellen ein festes Scharnier zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften dar und setzen grundsätzlich einen hohen Integrationsgrad voraus, da sie bei freiem Handel die Anpassung auf die Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken verlagern. Da die Bereitschaft zu einer so weitgehenden Beschneidung der eigenen Handlungsfreiheit zumindest auf globaler Ebene nicht vorhanden war, wurde eine größere Flexibilität des Scharniers, der Wechselkurse, unvermeidlich. Der Übergang zu flexiblen Wechselkursen, der als eine von den privaten Akteuren erzwungene De-facto-Reform interpretiert werden kann, warf aber neue Probleme auf. Es handelt sich um eine „dirigierte" Flexibilität, d. h., die Notenbanken überlassen die Wechselkurse keineswegs allein der Preisbildung auf dem Devisenmarkt, sondern intervenieren nach Gutdünken, um unerwünschte Kursentwicklungen zu verhindern. Dies kann aber bei unterschiedlichen Wunschvorstellungen verschiedener Notenbanken und ohne bindende Verhaltensregeln zu gegensätzlichen Interventionen am Devisenmarkt führen und einen Paritätskrieg heraufbeschwören. Der IWF stand dieser neuen Situation machtlos gegenüber, wie für diese Krisenperiode generell ein Einflußverlust des vorgesehenen Steuerzentrums, teilweise auch eine Blockade seiner Aktivitäten festzustellen ist. Die neuerlichen Krisen unterstrichen so die Notwendigkeit einer Fundamentalreform, präjudizierten durch die faktischen Ergebnisse aber auch bereits deren Inhalt.
X. Die neue Verhandlungsrunde über eine Fundamentalreform
Die Dauerkrise führte dazu, daß im Juli 1972 innerhalb des IWF ein neues Komitee der Gouverneursversammlung gegründet wurde, das den Auftrag zu einer Reform des internationalen Währungssystems erhielt. Dieses sogenannte Komitee der Zwanzig wies die gleiche Repräsentationsstruktur wie das IWF-Exekutivdirektorium auf, d. h., es waren sowohl die Mitglieder des Zehnerklubs als auch andere Industriestaaten und Entwicklungsländer vertreten. Im Gegensatz zum Exekutiv-direktorium handelte es sich bei den Mitgliedern aber um Spitzenpolitiker, meist Finanzminister, die über die für weitreichende Entscheidungen erforderliche politische Autorität verfügten. Die eigentliche Detailarbeit wurde von den Stellvertretern geleistet, die für einzelne Problemkomplexe wiederum Arbeitsgruppen bildeten. Mit dem Komitee der Zwanzig gelang es dem IWF und der Masse seiner Mitglieder zumindest formal, eine Verlagerung der Verhandlungen in ein Exklusivgremium wie den Zehnerklub zu verhindern Damit wurden getrennte Verhandlungen in „beschränkteren" Gremien allerdings nicht ausgeschlossen Als Interessenorgan der Ent-wicklungsländer für die WährungsVerhandlungen formierte sich z. B. die sogenannte Gruppe der 24. Die Kontrahenten in wichtigen Streitfragen waren und sind vor allem die USA, die sich um eine gemeinsame Position bemühenden Länder der EG und die Entwicklungsländer, wobei diese Hauptfronten allerdings in anderen umstrittenen Punkten wiederum von neuen Koalitionen überlagert wurden.
Dem Verlangen der USA, Währungsreform und Reform des internationalen Handels zu verklammern, wurde in einem Kompromiß getragen.der Eröffnung von Rechnung Bei Handelsverhandlungen im September 1973 in Tokio wurde die Parallelität von Handels-und Währungsreform betont, und in den Auftrag für das Komitee der Zwanzig ist ausdrücklich die Verbindung von Währungsfragen mit Fragen des Handels und der Entwicklungshilfe eingegangen. Auf der Einbeziehung des Aspektes Entwicklungshilfe haben verständlicherweise die Entwicklungsländer bestanden, die zudem die Weisheit der in Bretton Woods getroffenen Entscheidung zugunsten funktionaler Teilorganisationen zunehmend angezweifelt haben.
Das Komitee der Zwanzig wurde durch die Währungskrise Anfang 1973 mit der Folge flexibler Wechselkurse aus einem sehr beschaulichen Verhandlungstempo aufgeschreckt. Zur IWF-Jahreskonferenz im Herbst 1973 wurde schließlich eine erste Rohskizze — First Outlinie — des künftigen Währungssystems veröffentlicht, die zur allgemeinen Enttäuschung aber in zentralen Punkten nur unterschiedliche Möglichkeiten, jedoch keine politischenEntscheidungen enthielt. Allerdings einigte man sich auf den Vorsatz, bis zum 31. Juli 1974 ein gemeinsames Reformkonzept vorzulegen. Die Explosion der Erdölpreise führte aber schließlich zu einer radikalen Wendung. Die Bemühungen um einen neuen „großen Wurf" ä la Bretton Woods wurden Anfang 1974 eingestellt; statt dessen konzentrierte man sich auf die in einer Situation allgemeiner Unsicherheit dringendsten und „machbaren" Ansätze. Die vom Komitee der Zwanzig als Ergebnis im Juni 1974 vorgelegte Reform-skizze enthält eine klare Zweiteilung. Im ersten Teil ist im wesentlichen der Entwurf vom Herbst 1973 übernommen und nur im Anhang durch „illustrative" Detailausführungen bestimmter Alternativen ergänzt worden, so daß in diesem für eine Fundamentalreform zentralen Teil weiterhin der notwendige Kompromiß aussteht. Im zweiten Teil sind dagegen die als besonders dringlich angesehenen Maßnahmen aufgeführt, auf die man sich einigen konnte.
Diese Wendung ist positiv als Entscheidung für einen stärker evolutionären Reformprozeß dargestellt worden. Dennoch kann diese Interpretation nicht darüber hinwegtäuschen, daß die notwendige Fundamentalreform vorerst weitgehend gescheitert ist. Neben den genannten Krisen hat Morse, der Leiter der Stellvertreter, die weltweite Inflation und die daraus resultierende Unsicherheit für das Scheitern verantwortlich gemacht. Darüber hinaus hat er einen weiteren, m. E. entscheidenden Faktor angeführt, warum es nicht zu einem neuen Bretton Woods gekommen ist: den „Mangel an politischem Willen“ Wenn im folgenden nicht nur auf die getroffenen, sondern auch auf die in der Rohskizze noch offenen Entscheidungen über das zukünftige Währungssystem eingegangen wird, so primär deshalb, weil diese Entscheidungen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden können und deshalb in absehbarer Zukunft wieder auf der Tagesordnung stehen werden. 1. Das Anpassungsproblem Nachdem das Anpassungsproblem in der Verhandlungsrunde 1963— 1968 vernachlässigt worden war, rückte es nicht zuletzt aufgrund der Krisenerfahrungen, die die „Anpassungslücke“ als primäre Störquelle erwiesen; ins Zentrum der Verhandlungen. Da die Bereitschaft, die Wirtschaftspolitiken stärker zu harmonisieren, offenbar gering war, wurde die Lösung in einer größeren Flexibilität der Wechselkurse gesucht. Man einigte sich auf die Kompromißformel „stabile, aber anpassungsfähige Kurse" verbunden mit der Anerkennung, daß flexible Wechselkurse in „besonderen Situationen" nützlich seien. Diese Formel scheint von stabilen Wechselkursen mit erweiterten Schwankungsbreiten als Regel auszugehen, flexible Kurse als Ausnahmen jedoch zuzulassen. Sie ist aber interpretationsfähig und läßt den tatsächlichen Grad an Flexibilität offen. Die Ursachen sind unterschiedliche Flexibilitätsneigungen und unterschiedliche Bewertungen der bisherigen Erfahrungen mit flexiblen Kursen. Während die USA z. B. für eine weitgehende Flexibilität eintreten, haben sich andere wichtige Länder sehr massiv gegen das Floating als längerfristige Lösung ausgesprochen Die Befürchtung, daß flexible Wechselkurse wegen der damit verbundenen unsicheren Kalkulationsgrundlagen den internationalen Handel erheblich beeinträchtigen würden, hat sich zwar bisher nicht bestätigt. Ein echter Test ist aber erst in einer Abschwungphase der internationalen Konjunktur zu erwarten; dann könnte das Problem einer beggar-my-neighbour-policy erneut akut werden. Darüber hinaus wird argumentiert, daß mit der bei festen Wechselkursen notwendigen Zahlungsbilanz-disziplin — z. B. führt eine im internationalen Vergleich hohe Inflationsrate eines Landes wahrscheinlich zu Zahlungsbilanzdefiziten, und diese erzeugen einen Druck zugunsten von Gegenmaßnahmen — auch eine weltweite Inflationsbremse beseitigt worden sei
Die USA haben sich für den Fall grundsätzlich fester Kurse vor allem dafür eingesetzt, daß die mit dem Anpassungsprozeß verbundenen Lasten gleichmäßiger auf Überschuß-und Defizitländer verteilt werden. Sie fordern eine bessere Lastensymmetrie. Die bisherige Asymmetrie wird darin gesehen, daß in einer Situation mit Zahlungsbilanzungleichgewichten Defizitländer anders als Überschußländer einem systemimmanenten Anpassungsdruck unter-liegen, da ihre zur Finanzierung der Defizite erforderlichen Reserven begrenzt sind. Überschußländer könnten dagegen theoretisch nahezu unbegrenzt Reserven anhäufen und sollen deshalb einem „künstlichen“ internationalen Druck unterworfen werden. Umstritten ist die Methode. Die USA befürworten eine weitgehend automatische Regelung anhand eines Reservenindikators. Wenn die Währungsreserven bestimmte Grenzwerte über-bzw. unterschreiten, soll das betreffende Land zu Anpassungsmaßnahmen verpflichtet sein, es sei denn, eine kollektive Entscheidung im IWF führe zu einem anderen Ergebnis. Die Europäer — aber auch Japan und Vertreter der Entwicklungsländer — plädieren dagegen für kollektive Entscheidungen aufgrund von individuellen, detaillierten Analysen. Sie argumentieren, daß generelle Indikatoren nie ein hinreichend differenziertes Bild der tatsächlichen Situation geben könnten und befürchten, daß in der Nähe von Grenzwerten die Spekulation geradezu eingeladen werde. Das Hauptproblem, das sich hinter der Frage: Automatik auf der Basis einmaliger Grundsatzentscheidungen oder ständige Ad-hoc-Entscheidungen verbirgt, lautet: Bei welcher Regelung können am ehesten sinnvolle Entscheidungen erwartet werden? Die USA weisen darauf hin, daß internationale Institutionen zögern, schwierige und politisch sensitive Anpassungsfragen schnell zu entscheiden. Sie fürchten offenbar, daß ohne einen vorher vereinbarten Automatismus notwendige Entscheidungen nicht fallen würden und damit die angestrebte Lasten-symmetrie nicht einträte. Die Reformskizze sieht vor, daß die noch zu vereinbarenden Reserveindikatoren bei Erreichen von Grenzwerten für das betreffende Land automatisch einen Konsultations-und Rechtfertigungszwang gegenüber dem IWF auslösen, die Entscheidung des IWF, ob Anpassungsmaßnahmen notwendig sind, dann aber ad hoc getroffen wird.
Umstritten sind nach wie vor Art und Einsatz von Druckmitteln durch den IWF. Die Palette der möglichen Formen reicht von moralischem Druck — Veröffentlichung eines Berichtes — über finanzielle Sanktionen — Strafzinsen auf zu hohe bzw. niedrige Reserven, keine Zuteilung von SZR — bis zu handelspolitischen Restriktionen —, letztere allerdings nur gegen-über Überschußländern. In der Frage des Einsatzes bleibt die Alternative: Automatik anhand der Reserveindikatoren oder ausschließliche Ad-hoc-Entscheidung offen.
Ausgenommen von dem längerfristig erwogenen Anpassungsdruck werden explizit die Erdölländer mit geringer Importkapazität, deren strukturellen Überschüssen mit Anpassungsmaßnahmen im Bereich des Handels oder der Wechselkurse nicht beizukommen ist.
Von den dargestellten Maßnahmen ist in das Sofortprogramm lediglich eingegangen, daß der IWF auf experimenteller Basis Erfahrungen bei der Anwendung objektiver Indikatoren sammeln soll. Das Vorherrschen flexibler Kurse macht aber die meisten Lösungsversuche der Reformskizze vorerst illusorisch. So hat der IWF im Rahmen des Sofortprogramms und auf experimenteller Basis „Richtlinien für das Management flexibler Wechselkurse“ verabschiedet, mit denen versucht wird, der Gefahr konkurrierender Abwertungen und gegensätzlicher Interventionen zu begegnen. Sie laufen im wesentlichen auf eine Verstärkung der Konsultationen mit dem IWF hinaus. Ob dies aber genügt, scheint zweifelhaft.
Offensichtlich wird auch befürchtet, daß es zu einer Eskalation von Beschränkungen des Handels-und Zahlungsverkehrs aus Zahlungsbilanzgründen kommen könnte. Im Rahmen des Sofortprogramms sind deshalb alle Mitglieder gebeten worden, eine Deklaration zu unterzeichnen, die derartige Maßnahmen von der Zustimmung des IWF abhängig macht. Bisher haben sich allerdings nur wenige Mitgliedsländer dazu bereit erklärt. 2. Das Problem der Finanzierung — Konvertibilität und Liquidität Während sich die USA vor allem für einen verstärkten Anpassungsdruck auf die Überschußländer einsetzen, verbinden die Europäer diese Frage mit der Wiederherstellung der Konvertibilität des Dollar und einer besseren Kontrolle der Liquidität. In diesem Bereich drängen die Europäer auf eine größere Pflichtensymmetrie, um die Privilegien insbesondere des Dollar zu beschneiden. Erwogen wird z. B. ein Multiwährungsinterventionssystem, das den Dollar aus seiner Exklusiv-rolle als Interventionswährung verdrängen würde. Während die Notenbanken ihre Verpflichtung, den Wechselkurs ihrer Währung innerhalb der vereinbarten Bandbreite zu halten, im bisherigen System dadurch erfüllt haben, daß sie durch Käufe und Verkäufe am Devisenmarkt den Kurs ihrer Währung gegenüber dem US-Dollar stabilisiert haben, wür23 den sie nach dem neuen Modell neben dem Dollar auch in anderen wichtigen Währungen am Devisenmarkt intervenieren. Eine Rückkehr zur vollen Dollarkonvertibilität durch Umtausch der augenblicklichen Dollarreserven der Notenbanken in andere Reservemedien durch die USA ist auf absehbare Zeit nicht möglich, da die USA nicht über entsprechende Reserven verfügen. Deshalb wird erwogen, den Umtausch in neuzuschaffende SZR über ein Substitutionskonto des IWF zu ermöglichen. Die Modalitäten einer solchen Konsolidierung, z. B. die Frage einer längerfristigen Tilgung durch die USA, sind aber ungeklärt. Umstritten ist auch, ob die bei künftigen amerikanischen Zahlungsbilanzdefiziten anfallenden Dollars von den USA automatisch in andere Reservemedien getauscht werden müssen oder ob die in den Besitz dieser Dollars gelangenden Notenbanken Wahlfreiheit haben sollen. Diese Frage führt direkt zum Problem einer besseren Steuerung der internationalen Liquidität. Insbesondere die Europäer befürworten gestützt auf die bisherigen leidvollen Erfahrungen eine strikte Kontrolle des Mediums Reservewährungen indem vom IWF für die einzelnen Reservewährungen quantitative Grenzen fixiert werden, während die USA, aber auch die Entwicklungsländer, für mehr „Flexibilität", d. h. Freiheit der Reservepolitik der einzelnen Länder, eintreten. Ungeklärt ist auch die Zukunft des Goldes. Das private Mißtrauen in das Währungssystem hatte in den sechziger Jahren zu zunehmenden privaten Goldkäufen geführt. Da die Notenbanken schließlich weder bereit waren, die private Nachfrage zum offiziellen Preis von $pro Unze Feingold aus ihren eigenen Beständen zu befriedigen noch eine offizielle Goldpreiserhöhung vorzunehmen, kam es zur Spaltung des Goldmarktes. Auf dem privaten Goldmarkt bildeten sich die Preise wie bei anderen Rohstoffen nach Angebot und Nachfrage und erreichten zeitweilig über 180 $pro Unze. Die als Reservemedium dienenden Goldbestände der Notenbanken sollten dagegen vollkommen im Kreislauf der Notenbanken gehalten und zum alten Preis gehandelt werden. Dies führte aber dazu, daß das Gresham-sehe Gesetz wirksam wurde, wonach schlechtes Geld gutes aus dem Verkehr drängt. Die Preisdiskrepanz bewirkte, daß das Währungs-gold nicht mehr bei Zahlungsbilanzdefiziten verwendet, sondern in den Tresoren der Notenbanken stillgelegt wurde.
Die USA zielen auf eine möglichst schnelle „Demonetisierung" des Goldes, d. h. die Abschaffung seiner Währungsfunktion. Die Europäer sind zwar auch dafür, die Reserverolle des Goldes einzuschränken, wollen aber die vorhandenen Goldreserven der Notenbanken wieder verwendbar machen und plädieren für eine möglichst weitgehende Handlungsfreiheit der Notenbanken. Ein Anheben des offiziellen Preises in die Nähe des Marktpreises würde eine massive Ausweitung der Liquidität bedeuten. Dieses noch schlummernde Liquiditätspotential käme zudem nur den goldbesitzenden Zentralbanken und. d. h. vor allem nur minimal den Entwicklungsländern zugute. Auch in der Goldfrage steht eine Einigung noch aus. Im Zehnerklub hat man sich vorläufig darauf geeinigt, daß das Notenbankgold als Pfand für Währungskredite benutzt werden kann. Diese Möglichkeit ist bereits bei dem jüngsten deutschen Währungskredit an Italien genutzt worden, wobei der Wert des Goldes mit 80 Prozent des durchschnittlichen Marktwertes angesetzt worden ist. Die Gruppe der 24 hat sich „emphatisch" für eine Gold-lösung im Rahmen des IWF eingesetzt und dafür, daß diese die Rolle der SZR und eine Koppelung mit der Entwicklungshilfe nicht beeinträchtigen dürfe 35). Dahinter steht die berechtigte Befürchtung, daß eine faktische Preiserhöhung auch für das Währungsgold die internationale Liquiditätsmenge derartig erhöhen würde, daß die Chancen für eine zusätzliche Ausgabe von SZR sich erheblich vermindern würden. Zumindest könnte diese schwerlich mit einem Mangel an internationaler Liquidität begründet werden.
Einigkeit besteht darüber, daß die SZR zukünftig das zentrale Reservemedium bilden sollen in dem auch die Wechselkurse zu definieren sind. Vorschläge, die Verwendungsfähigkeit der SZR zu erhöhen, beziehen sich z. B. darauf, die partielle Rückzahlungsverpflichtung und die Begrenzung der Annahme-pflicht aufzuheben. Im Rahmen des Sofortprogramms ist probeweise eine Neubewertung und bessere Verzinsung der SZR eingeführt worden. Die SZR werden nunmehr analog dem Warenkorb bei Preisindizes an einem Währungskorb gemessen, in dem die Währungen der 16 Mitgliedsländer mit einem Weltexportanteil von über 1 Prozent in festen Relationen vertreten sind.
Die Auseinandersetzungen darüber, ob die Ausgabe von SZR und die Entwicklungshilfe gekoppelt werden sollen, halten an. Im Rahmen des Sofortprogramms ist jedoch beschlossen worden, diese Entscheidung bis Februar 1975 zu treffen, zusammen mit den Verfassungsänderungen, die die Maßnahmen des Sofortprogramms in den IWF-Statuten verankern sollen. Die Koppelung, z. B. in der Form, daß ein bestimmter Prozentsatz der auszugebenden SZR der Weltbank für Entwicklungskredite zur Verfügung gestellt wird oder daß den Entwicklungsländern direkt ein überproportionaler Teil zugeteilt wird, ist nicht nur eine conditio sine qua non für die Entwicklungsländer, sondern wird inzwischen vermutlich aufgrund dieses politischen Druckes auch von der Mehrheit der Industrieländer unterstützt. Hinhaltenden Widerstand scheinen vor allem noch die USA und die Bundesrepublik Deutschland zu leisten.
Währungsreserven sollen Sicherheitsreserven sein und längerfristig gesehen nicht aufgebraucht werden. Sie können ihrer Funktion nach also keine langfristige Entwicklungshilfe ersetzen. Nun besteht zwar grundsätzlich Einigkeit darüber, daß die Schaffung von SZR allein am Liquiditätsbedarf des Währungssystems ausgerichtet werden soll, aber da dieser schwer objektiv fixierbar ist, verstärkt eine Koppelung die Gefahr einer inflationsfördern-den übermäßigen Ausgabe von SZR Unterstützt wird die Koppelung in den Industrie-ländern vor allem von engagierten Befürwortern der Entwicklungshilfe So hat z. B. das einflußreiche Mitglied des amerikanischen Repräsentantenhauses Henry S. Reuss für eine „Vernunftehe" von Entwicklungshilfe und Liquiditätsschöpfung plädiert Doch dürfte es sich eher um eine unter währungspolitischen Aspekten problematische Notverbindung zur Stützung einer dahinsiechenden Entwicklungshilfe handeln. Anscheinend glaubt zumindest Reuss, mit der Koppelung den nationalen politischen Entscheidungsprozeß in den Industrie-ländern, in dem die Entwicklungshilfe bisher nur einen geringen politischen Stellenwert besaß, überspielen zu können. Dabei wird anscheinend darauf spekuliert, daß die SZR dem einfachen Abgeordneten und noch mehr dem Bürger als „Manna vom Himmel" erscheinen und ein partieller Verzicht zugunsten der Entwicklungshilfe deshalb leichter durchzusetzen ist. Die Verwendung der SZR durch die Entwicklungsländer entzieht den Industrieländern aber genauso Güter wie eine über zusätzliche Staatsausgaben finanzierte Entwicklungshilfe, und es erscheint sehr fraglich, ob eine verstärkte Inflationsgefahr längerfristig geeignet ist, der Entwicklungshilfe den m. E. wünschenswerten höheren Stellenwert zu sichern. Gegen diese Einwände steht allerdings die zum Einsatz aller Mittel verlockende Not-situation der Entwicklungsländer und das zutreffende Argument, daß in der Vergangenheit das „natürliche* Liquiditätsmedium Gold auch nicht kostenlos erhältlich war, sondern mit Gütern und Dienstleistungen bezahlt werden mußte.
Als Konzession an die Entwicklungsländer sind zwei weitere inzwischen bereits realisierte Vorschläge des Sofortprogramms zu werten. Einmal handelt es sich um ein Kredit-programm des IWF, das insbesondere längere Laufzeiten vorsieht und speziell auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer abgestellt ist. Zum anderen ist auf der Jahrestagung ein gemeinsamer Ausschuß von Repräsentanten des IWF und der Weltbank auf Minister-ebene gebildet worden, der den umfangreichen Problemkreis Entwicklungshilfe untersuchen und Lösungsvorschläge unterbreiten soll Damit scheint eine neue Verhandlungsrunde auch zur Reform der Entwicklungshilfe eingeleitet und dabei die Verbindung zur Währungsreform besonders betont zu werden.
Für eine rationale Steuerung der Liquidität ist der IWF nach wie vor unzureichend gerüstet. Zwar ist eine verstärkte Überwachung durch den IWF auch schon im Sofortprogramm vorgesehen, aber bei den Reservewährungen steht als Instrument nur „Seelenmassage" zur Verfügung, die Goldfrage ist ungeklärt, und das Medium der SZR wird vermutlich mit der Aufgabe der Entwicklungshilfe belastet werden, 3. Das Vertrauensproblem Das Vertrauensproblem existiert sowohl auf der Ebene der offiziellen wie der privaten Akteure. Es äußert sich vor allem im Wechsel zwischen verschiedenen Reservemedien. Auf der Ebene der offiziellen Akteure wurde es bereits berührt, als die Möglichkeiten erörtert wurden, die Liquiditätsmedien insgesamt, insbesondere aber die Reservewährungen, zu kontrollieren und das Vertrauen in die SZR durch eine attraktivere Ausstattung zu erhöhen. Widerstand gegen bindende Regeln über die Zusammensetzung der Währungsreserven von Notenbanken, die das Vertrauensproblem auf dieser Ebene weitgehend lösen könnten, scheint vor allem von den Entwicklungsländern, am stärksten aber von den Erdölländern auszugehen, die ihre Handlungsfreiheit der bei Anlage ihrer Reserven bewahren wollen. Nun stellen die Erdölländer wegen ihrer explosiv wachsenden Währungsreserven ein besonderes Problem dar, da eine plötzliche Verlagerung dieser riesigen Reserven neue Krisen auslösen könnte. Die Größenordnung wird an den folgenden Zahlen sichtbar: Die Ölländer erzielten 1973 einen Überschuß in der Leistungsbilanz (Handelsverkehr, Dienstleistungen und Übertragungen) von 5 Mrd. $, der Leistungsbilanzüberschuß für 1974 wird dagegen auf 65 Mrd. $geschätzt
Das Problem der Erdölmilliarden beherrschte auch die Diskussionen auf der IWF-Jahreskonferenz, und zwar ging es konkret um die Anlage dieser riesigen Mittel, darum, wie sie in den weltwirtschaftlichen Kreislauf zurückgeführt werden könnten. Die Frage des „Recycling“ wird aber von einem Teil der Akteure und Beobachter bereits als Nebenkriegsschauplatz angesehen, die davon ablenke, daß es primär um eine Senkung der ölpreise gehe, da. die mit der plötzlichen Vervierfachung des ölpreiseS verbundenen weltwirtschaftlichen Probleme nicht . lösbar seien. Von den Industrieländern haben vor allem die USA versucht, Druck zugunsten einer Ölpreissenkung auszuüben und eine Art Gegenkartell der wichtigsten Ölkonsumenten gegen die Organisation der Ölexportländer aufzubauen. Die der IWF-Jahrestagung unmittelbar vorausgegangene Tagung der Außen-und Finanzminister des Fünferklubs — USA, Japan, Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland — dürfte primär mit der ölfrage befaßt gewesen sein Die Tatsache, daß der amerikanische Finanzminister Simon die Frage einer Ölpreissenkung in seiner Rede auf der IWF-Jahrestagung nicht mehr direkt anging, obwohl Präsident Ford und Außenminister Kissinger diese Frage u. a. vor der UNO sehr stark betont hatten, dürfte mit den unterschiedlichen Positionen innerhalb der Fünf Zusammenhängen. Insbesondere die EG-Länder versuchen anscheinend, eine offene Konfrontation mit den Olexportländern zu vermeiden Die Rückschleusung der Olmilliarden ist bisher überwiegend über private Kanäle erfolgt. Als Drehscheibe hat sich insbesondere der Eurodollarmarkt erwiesen, an dem die Ölländer ihre Reserven kurzfristig angelegt und Defizitländer, wie Italien, mittelfristige Kredite aufgenommen haben. Zunehmend werden aber die Grenzen und Risiken dieser privaten Kanäle betont; es wird gefordert, das Recycling stärker auf offizielle Kanäle zu verlagern.
Eine bereits wahrgenommene Möglichkeit sind Direktkredite der Ölländer an die Defizitländer. Ein dabei auftauchendes Problem ist die „Kreditwürdigkeit" von Defizitländern, die mit wachsender Schuldenlast abnimmt. Für die Kreditgeber sind unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit selten die Länder wünschenswerte Kreditnehmer, die die größten Defizite und einen entsprechenden Kreditbedarf haben. Dieses Problem hat z. B. innerhalb der EG zu dem Plan geführt, Gemeinschaftsanleihen der EG aufzunehmen. Sie würden primär Defizitländern, wie Italien, zugute kommen, für ihre Sicherheit würden aber auch die währungsstarken EG-Mitglieder, wie die Bundesrepublik, haften.
Eine andere Möglichkeit wäre die Einschaltung internationaler Institutionen, z. B.des IWF. Der IWF hat diese Funktion im Rahmen des Sofortprogramms bereits übernommen und zur Finanzierung von erdölbedingten Zahlungsbilanzdefiziten Sondermittel im bescheidenen Umfang von rd. 3 Mrd. $bereitgestellt, die er bei den Olländern aufgenommen hat. Diese Mittel wurden vor allem von den besonders hart betroffenen Entwicklungsländern ohne Ölvorkommen in Anspruch genommen, aber auch Italien hat davon profitiert. Der IWF kann den Olländern einerseits größere Sicherheit für ihre Anlage bieten, andererseits kann er auf der Verwendungsseite die Mittel dorthin leiten, wo sie am dringendsten benötigt werden, und die Kredite an wirtschaftspolitische Auflagen binden. Die auch auf der Jahrestagung geforderte verstärkte Rolle des IWF beim Recycling erscheint daher sinnvoll, auch wenn zu erwarten ist, daß weiterhin verschiedene Kanäle, offizielle wie private, benutzt werden. Eine überzeugende und für alle Beteiligten akzeptable Lösung dieses Problems steht noch aus.
Noch schwerer lösbar dürfte das Vertrauensproblem auf privater Ebene sein. Dabei sind die durch Zinsdivergenzen und mangelndes Vertrauen in die Wechselkurse ausgelösten privaten Geldströme allerdings nicht einseitig negativ zu werten. Die Figur des „internationalen Spekulanten“ wird inzwischen mit Vorliebe als Prügelknabe benutzt, obwohl private Geldverlagerungen nur zu oft Reaktionen auf Fehler und Versäumnisse der verantwortlichen Wirtschafts-und Währungspolitiker sind. Den Hintergrund bilden die ständig gewachsene Interdependenz und der zunehmend internationale Handlungshorizont der privaten Akteure, die sich u. a. in der wachsenden Bedeutung multinationaler Unternehmen, der Ausbildung des Euromarktes als eines echten internationalen Geld-und Kapitalmarktes und generell in größerer Reagibilität privater Mittel zeigen. Als mögliche Instrumente gegen private Geldbewegungen, die Ungleichgewichte verstärken, werden in der Reformskizze genannt: eine bessere Harmonisierung der nationalen Geldpolitiken: eine schnellere Anpassung unrealistischer Wechselkurse; größere Bandbreiten und in besonderen Fällen flexible Wechselkurse, die das Spekulationsrisiko erhöhen; administrative Kontrollen, einschließlich gespaltener Devisenmärkte für Handels-undKapitalverkehr. Eine stärkere Kontrolle des Euromarktes wird dagegen nicht ausdrücklich aufgeführt, vermutlich, weil insbesondere die Entwicklungsländer Bedenken geäußert haben, daß der Euromarkt als eine ihrer Anleihequellen beeinträchtigt werden könnte.
Der Euromarkt zerfällt in Teilmärkte für verschiedene Währungen, deren wichtigster der Eurodollarmarkt ist. Bei den Eurodollars handelt es sich um Dollarguthaben, die außerhalb des amerikanischen Währungsgebietes bei Banken in Europa gehalten werden. Z. B. tauschen deutsche Banken bei ihnen anfallende Dollarguthaben nicht bei der Bundesbank in Landeswährung, sondern gewähren Dollarkredite. Der supranationale Euromarkt hat mit einem geschätzten Volumen von 170 Mrd. 8 inzwischen eine derartige Größenordnung daß bereits die Verlagerung eines Bruchteils dieser hochreagiblen Mittel Krisen auslösen kann. Wegen seines Störpotentials ist der Euromarkt zu Recht als „monetäre Nebenregierung" charakterisiert worden. Bundeskanzler Schmidt hat in einem Interview kürzlich offenbart, daß er sich auf höchster Ebene um eine noch sehr viel engere Kooperation der Notenbanken der Fünfergruppe bemühe. Angestrebt wird ein konzertiertes Verhalten, „als ob es eine gemeinsame Bankaufsicht über die Euromärkte gäbe" 4. Die Reform des IWF Im Prinzip ist man sich allgemein einig, den IWF in seiner Rolle als Steuerzentrum des Systems zu stärken und deshalb seine Kompetenzen auszubauen. Ausmaß und Form sind, wie die Diskussion der in der Reformskizze genannten Möglichkeiten gezeigt hat, aufgrund divergierender Interessenpositionen umstritten. In der immer wieder auftauchenden Frage: Automatik — strenge Regelbindung anhand einmaliger Grundsatzentscheidungen — oder Ad-hoc-Entscheidungen hat sich während der Verhandlungen nach Morse allgemein eine stärkere Tendenz gegen eine strikte Automatik ergeben Diese Frage ist auch für den Einfluß des IWF von großer Bedeutung, da Ad-hoc-Entscheidungen eher geeignet sind, eine aktive Rolle des IWF zu fördern. Allerdings ist der IWF nach dem Sofortprogramm nach wie vor in einer schwachen Steuerposition, da ihm Entscheidungskompetenzen weitgehend fehlen und sich sein Einfluß vor allem* auf durch Kreditmöglichkeiten verstärkte Seelenmassage stützt.
Im Zusammenhang mit der angestrebten aktiveren Rolle des IWF ist eine Reform der internen Organisation zu sehen. In Ausführung des Sofortprogramms ist auf der IWF-Jahrestagung ein Interimskomitee der Gouverneurs-versammlung gebildet worden, das als Nachfolger des Komitees der Zwanzig anzusehen ist und das durch eine Verfassungsänderung in Form eines Rates sobald wie möglich permanent in die IWF-Struktur integriert werden soll. Damit steht ein ranghohes und anders als beim Exekutivdirektorium politisch gewichtiges Entscheidungsorgan zur Verfügung, dessen Mitglieder sich mehrmals im Jahr treffen werden, um vor allem die politisch sensitiven Fragen zu entscheiden. Der angestrebten größeren Bedeutung des IWF wird also schon jetzt durch eine verbesserte politische Infrastruktur im IWF Rechnung getragen.
Bis Februar 1975, also synchronisiert mit der Vorlage der vorgesehenen Änderungen der IWF-Verfassung, soll auch die reguläre — alle fünf Jahre fällige — Überprüfung der IWF-Quoten abgeschlossen sein. Eine allgemeine Anhebung der Quoten — Folge: zusätzliche Mittel für den IWF, aber auch zusätzliche Kreditrechte der Mitglieder — ist wahrscheinlich, auch wenn ihr Ausmaß noch umstritten ist Uber die Angemessenheit der Quoten-struktur sind neue Auseinandersetzungen zu erwarten, zumal die Quoten als Kriterium für die SZR-Zuteilung dienen und damit eine weitere wichtige Funktion übernommen haben. Die Gruppe der 24 hat in Übereinstimmung mit Prinzipien der „efficiency, equity, and demo-cracy" höhere Quoten und größere Stimmrechte für die Entwicklungsländer gefordert Sie versucht offenbar, neue Kriterien in die Quotenberechnung einzubringen, wenn sie auf Bedürfnisse und Bedeutung der Entwicklungsländer verweist „in terms of popu-lation, capacity for development, and supply of raw materials" Auf der Jahresversamm-lung haben sich mehrere Industriestaaten, u. a. die Bundesrepublik für höhere Quoten der Olländer eingesetzt, um deren Finanzierungsanteil, aber auch deren Stimmengewicht innerhalb des IWF und der Weltbank zu erhöhen. Die Haltung der Olländer scheint allerdings noch zwiespältig mit Ausnahme von Persien, das sich klar für eine größere Rolle der Ölländer ausgesprochen hat
Ein besonderes Problem bildet ein möglicher Beitritt des Ostblocks, der im Zuge der politischen Entspannung keine Utopie mehr darstellt, der aber u. a. die interne Machtstruktur erheblich verschieben müßte. Der Beitritt Rumäniens 1972 warf die Frage auf, ob er als Versuchsballon für den Beitritt des gesamten Ostblocks oder nur als Ausdruck des rumänischen Unabhängigkeitsstrebens innerhalb des Ostblocks zu werten sei. über Verhandlungen ist bisher nichts bekanntgeworden, doch hat Ju. Konstantinow in einem sicherlich autorisierten Prawda-Artikel über den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) des Ostblocks die Stimmengleichheit der Mitglieds-länder in der Internationalen Bank für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ) unabhängig von ihrem Kapitalanteil betont. Er hat gleichzeitig dafür geworben, daß der transferierbare Rubel auch von Nichtmitgliedern, insbesondere Entwicklungsländern, als Transaktions-und Reservewährung benutzt wird, und ihn als „internationale sozialistische Reservewährung“ und „wirklich die erste kollektive Währung" in der Welt gefeiert
Ein Beitritt des Ostblocks und eventuell sogar Chinas zum IWF dürfte das Regionalismus-problem wieder verschärfen. Regionalisierungstendenzen innerhalb der IWF-Struktur, z. B. bei der Wahl der Exekutivdirektoren und auf den Gouverneursversammlungen, sind seit langem unverkennbar. Eine Aufnahme der kommunistischen Staaten mit erheblich abweichendem Wirtschafts-und Währungssystem würde die bereits gegebene Heterogenität der Interessen verstärken und vermutlich wichtige Änderungen bedingen. Ein wünschenswerter größerer Einzugsbereich des IWF dürfte den erreichbaren Integrationsgrad allerdings negativ beeinflussen, da der gemeinsame Nenner um so geringer sein dürfte, je heterogener die Mitgliedschaft ist. Ein neuer „Währungsföderalismus" mit regionalen Organisationen als Mittelinstanzen würde wahrscheinlich einen insgesamt höheren Integrationsgrad des Systems erlauben. Die Hauptschwierigkeit dürfte in einer richtigen Aufgabenverteilung liegen, wobei insbesondere die Gefahr einer Dominanz regionaler Organisationen zu Lasten der Steuerfähigkeit des Systems zu beachten wäre.
XI. Resümee
Das internationale Währungssystem hat in der Nachkriegszeit grundlegende Änderungen erfahren und befindet sich gerade jetzt in einer Situation des Umbruchs. Objektive Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung, wie das Erdölproblem und die weltweite Inflation, dienen als Begründung und gleichzeitig als Alibi dafür, daß die meisten Länder sich möglichst viel nationale Handlungsfreiheit zu bewahren suchen. Es fehlt offenbar an der Bereitschaft, die krisenträchtige Diskrepanz zwischen dem Steuerungsbedarf und der Steuerungsfähigkeit des internationalen Währungssystems durch eine entschiedene Stärkung des Steuerzentrums IWF zu Lasten der nationalen Handlungsfreiheit zu reduzieren. Die Frage nach den Ursachen führt nicht zuletzt zu unterschiedlichen Integrationsgraden im Währungssystem und allgemein im politischen System
Insbesondere im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozeß sind gegensätzliche Ansichten zu den Folgen eines Integrationsgefälles zwischen Währungssystem und politischem System vertreten worden. Die eine These lautete, ein Integrationsvorsprung im Währungssystem werde die wirtschaftliche und politische Integration nachziehen. Die Gegenthese ging von einer Dominanz des politischen Systems aus und sah den Integrationsgrad im Währungssystem begrenzt durch den des politischen Systems. M. E. sind beide Thesen partiell richtig und falsch. Einmal dürfte es einen — quantitativ allerdings schwer fixierbaren — spannungsfreien Toleranzbereich bei unterschiedlichen Integrationsgraden geben. Ein weitergehender Integrationsvorsprung des Währungssystems aber führt zu einer Spannung, die Krisen auslösen dürfte. Diese Krisen schaffen einen Entscheidungszwang, entweder den Integrationsgrad des politischen Systems anzuheben oder den des Währungssystems herabzusetzen.
Das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse war auf eine weitgehende Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken angewiesen, zumal der eingebaute Notausgang von Wechselkursänderungen bei fundamentalen Ungleich-gewichten kaum genutzt wurde. Ein hoher Integrationsgrad gerade im Anpassungsbereich führt aber über die Geld-und Fiskalpolitik direkt in den Kernbereich des politischen Systems und verlangt auch hier einen hohen Integrationsgrad. Da dieser nicht erreichbar war, mußte der Integrationsgrad im Währungssystem schließlich reduziert werden, was mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen geschah. Auch innerhalb des internationalen Währungssystems scheint es bei den verschiedenen zu lösenden Problemen ein Integrationsgefälle zu geben. So ist bei der Lösung des Liquiditätsproblems mit der Schaffung eines kollektiv kontrollierten Weltgeldes, der SZR, ein wichtiger Schritt vorwärts gemacht worden, und mit der anvisierten zentralen Rolle der SZR zeichnet sich hier im Gegensatz zur Lösung des Anpassungsproblems ein sehr hoher Integrationsgrad ab. Die Ursache hierfür dürfte darin zu suchen sein, daß es sich in der Frage der SZR um eine neugeschaffene Kompetenz beim IWF handelt, die zudem, anders als z. B. eine Harmonisierung der Geld-und Fiskalpolitik, zumindest bisher kaum in den innenpolitischen Gruppenkampf einbezogen ist.
Geht man von der Hypothese aus, daß der Toleranzbereich zwischen unterschiedlichen Integrationsgraden im politischen System und im Währungssystem insbesondere hinsichtlich des Anpassungsprozesses gering ist und unterstellt man weiter, daß die Integrationsbereitschaft im politischen System auf globaler Ebene niedriger ist als z. B. auf regionaler Ebene, so bietet sich an, das internationale Währungssystem stärker föderalistisch zu strukturieren. Dies wäre bei Einbeziehung des Ostblocks vermutlich auch unvermeidlich. Auch wenn die mit einer föderalistischen Umstrukturierung verbundenen neuen Probleme nicht unterschätzt werden sollten, wäre auf diesem Wege wahrscheinlich ein insgesamt höherer Integrationsgrad erzielbar. Zudem würden vermutlich die Chancen eher wachsen, zentrifugale Kräfte, die sich bereits in Sondergruppierungen, wie z. B.der Gruppe der Fünf, äußern, in ein föderalistisch abgestuftes System einzubinden.
Die Reduzierung der angestrebten Fundamentalreform des internationalen Währungssystems auf das Sofortprogramm ist höchst problematisch. Das Sofortprogramm kann nur als kleinster gemeinsamer Nenner interpretiert werden, zu klein für eine längerfristige Konsolidierung. Es ist zudem überwiegend auf Konsultation mit dem IWF abgestellt, und ohne diesen Faktor zu unterschätzen, erscheint es doch zweifelhaft, ob sich angesichts der zu erwartenden schwierigen und unsicheren Lage der Weltwirtschaft ein Mindestmaß an Steuerungsfähigkeit des Währungssystems ohne durch Sanktionen abgestützte bindende Regeln sichern läßt. So ist zu befürchten, daß eine Erfahrung der Nachkriegszeit, daß nämlich die Lernfähigkeit im internationalen Währungssystem sich weitgehend auf Krisen reduziert, auch für die nächste Zukunft gültig bleibt.
Uwe Andersen, Dipl. -Politologe, geb. 1940; Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin und der Yale University, New Haven; seit 1970 Assistent am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Münster. Dissertation: Das internationale Währungssystem zwischen nationaler Souveränität und supranationaler Integration (1974); verschiedene Aufsätze in Büchern und Zeitschriften, insbesondere zu Themen der politischen Ökonomie.
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