Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Rationalisierung -Bürokratisierung -Gesellschaftlicher Fortschritt? Zwischenbilanz zur „Dialektik der Aufklärung“ | APuZ 3/1975 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 3/1975 Artikel 1 Rationalisierung -Bürokratisierung -Gesellschaftlicher Fortschritt? Zwischenbilanz zur „Dialektik der Aufklärung“

Rationalisierung -Bürokratisierung -Gesellschaftlicher Fortschritt? Zwischenbilanz zur „Dialektik der Aufklärung“

Rolf-Richard Grauhan

/ 99 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Beobachter der gegenwärtigen politischen Szene in der Bundesrepublik Deutschland sprechen von einer „Tendenzwende“ — einer Umkehr der bisher vorherrschenden politischen Zielrichtung: von dem „Mehr-Demokratie-Wagen" und dem Programm der „Inneren Reformen", jener Tendenz zur „Demokratisierung" im Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts — zur Sicherheitsund „Stabilitäts-“ politik. Statt der Hoffnung auf Veränderung nun, Mitte der siebziger Jahre, die Furcht vor ihr. Der vorliegende Aufsatz fragt: Handelt es sich hierbei um eine Konjunkturschwankung der Tagespolitik oder zeichnet sich eine grundsätzliche Wende ab? Zur Beantwortung dieser Frage wird die historische Perspektive erweitert und versucht, die gegenwärtige Situation in einem längerfristigen Zusammenhang zu bestimmen. Der progressiven wie der konservativen „Tendenz“ gemeinsam ist die Berufung auf „Vernunft“ und die Anknüpfung an die Aufklärung. Im Namen der Vernunft wird sowohl der Durchbruch zu einer „vernünftigeren gesellschaftlichen Ordnung" als auch der Verzicht auf „Zukunftsutopien" und die Hinnahme des Gegebenen gefordert. Der Beitrag behandelt die Frage: Liegt hier nur eine aktuelle Sprachverwirrung vor, in der jede Seite der anderen den Vorwurf macht, unter dem Etikett der Verunft letztlich den Irrationalismus zu fördern? Oder zeigt sich gerade darin die Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, seit der europäische Rationalismus mit dem Anspruch auftrat, die Gesellschaft zu „rationalisieren"? Der Aufsatz beginnt deshalb mit einer Analyse des schillernden Allgemeinbegriffs der „Rationalisierung“ von seiner Alltagsbedeutung bis hin zu seinen historischen Voraussetzungen. Dabei wird anhand der gegenwärtigen politischen Erfahrungen die These von der „Dialektik der Aufklärung“ neu überprüft, die Horkheimer und Adorno unter dem Eindruck der faschistischen Herrschaftssysteme kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt hatten: Der historische Anspruch der Aufklärung, die menschliche Gesellschaft „vernünftig“ zu gestalten, und das heißt, von irrationalen Herrschaftsverhältnissen zu befreien, schlage praktisch immer wieder in noch ausgeklügeltere Herrschaftssysteme um. Denn bürokratische Herrschaft sei eben das einzige Mittel, um die Gesellschaft überhaupt „in den Griff" zu bekommen. Von der „Rationalisierung" bleibe deshalb notwendig stets nur die „Bürokratisierung“ übrig (Kapitel I—III). Diese These wurde in den fünfziger Jahren ausführlich unter dem Thema der Unentrinn-barkeit und des Verhängnisses „der Technik" für „den Menschen“ diskutiert. Sie wird hier auf dem gegenwärtigen Diskussionsstand neu überprüft. Deshalb ist von einer „Zwischenbilanz“ die Rede. Und zwar soll nicht, wie damals, verallgemeinernd und abstrakt vorgegangen, sondern die konkreten historisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge herausgearbeitet werden, die den widersprüchlichen Bedeutungsgehalten im Begriff der Rationalisierung ihren Sinn geben.

Beobachter der gegenwärtigen politischen Szene in der Bundesrepublik Deutschland sprechen von einer „Tendenzwende" — einer Umkehr der bisher vorherrschenden politischen Zielrichtung: von dem „Mehr-Demokratie-Wagen" und dem Programm der „Inneren Reformen", mit dem die Regierungserklärung von 1969 den politischen Aufbruch seit der Mitte der sechziger Jahre aufnahm, jener Tendenz zur „Demokratisierung“ im Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts —, einer Wende hin zur Sicherheitsund „Stabilitäts-" politik. Statt der Hoffnung auf Veränderung nun, Mitte der siebziger Jahre, die Furcht vor ihr.

Der vorliegende Aufsatz fragt: Handelt es sich hierbei um eine Konjunkturschwankung der Tagespolitik oder zeichnet sich eine grundsätzliche Wende ab? Zur Beantwortung dieser Frage wird die historische Perspektive erweitert und versucht, die gegenwärtige Situation in einem längerfristigen Zusammenhang zu bestimmen.

Der progressiven wie der konservativen „Tendenz“ gemeinsam ist die Berufung auf „Vernunft" und die Anknüpfung an die Aufklärung. Im Namen der Vernunft wird sowohl der Durchbruch zu einer „vernünftigeren gesellschaftlichen Ordnung" als auch der Verzicht auf „Zukunftsutopien“ und die Hinnahme des Gegebenen gefordert. Der Beitrag behandelt die Frage: Liegt hier nur eine aktuelle Sprachverwirrung vor, in der jede Seite der anderen den Vorwurf macht, unter dem Etikett der Vernunft letztlich den Irrationalismus zu fördern? Oder zeigt sich gerade darin die Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, seit der europäische Rationalismus mit dem Anspruch auftrat, die Gesellschaft zu „rationalisieren“? Der Aufsatz beginnt deshalb mit einer Analyse des schillernden Allgemeinbegriffs der . Rationalisierung'von seiner Alltagsbedeutung bis hin zu seinen historischen Voraussetzungen.

Dabei wird anhand der gegenwärtigen politischen Erfahrungen die These von der „Dia-

Vorbemerkung

lektik der Aufklärung" neu überprüft, die Horkheimer und Ardorno unter dem Eindruck der faschistischen Herrschaftssysteme kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt hatten: Der historische Anspruch der Aufklärung, die menschliche Gesellschaft „vernünftig" zu gestalten, und das heißt, von irrationalen Herrschaftsverhältnissen zu befreien, schlage praktisch immer wieder in noch ausgeklügeltere Herrschaftssysteme um. Denn bürokratische Herrschaft sei eben das einzige Mittel, um die Gesellschaft überhaupt „in den Griff" zu bekommen. Von der „Rationalisierung" bleibe deshalb notwendig stets nur die „Bürokratisierung" übrig (Kapftel I—III).

Diese These wurde in den fünfziger Jahren ausführlich unter dem Thema der Unentrinnbarkeit und des Verhängnisses „der Technik“ für „den Menschen" diskutiert. Sie soll hier auf dem gegenwärtigen Diskussionsstand neu überprüft werden. Deshalb ist von einer „Zwischenbilanz" die Rede. Und zwar soll nicht, wie damals, verallgemeinernd und abstrakt vorgegangen, es sollen vielmehr die konkreten historisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge herausgearbeitet werden, die den widersprüchlichen Bedeutungsgehalten im Begriff der Rationalisierung ihren Sinn geben. Des weiteren wird mit der historischen eine strukturelle Analyse verbunden: Der Bürokratie als einem Modell rationaler Herrschaft (im Staat und in der Wirtschaft) werden die beiden Modelle „politische Demokratie" und „Markt" gegenübergestellt, die, indem sie der Intention nach Volkssouveränität und Konsumentensouveränität schaffen und Wahlprozesse ermöglichen, ihrerseits bürokratische Herrschaft prinzipiell rationalisieren, d. h. ihr gesellschaftliche Ziele setzen sollen (Kapitel 4). Das Modell „Markt" hat jedoch in seiner spezifischen historischen Verwirklichung die Intention gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit verfehlt, indem es Ungleichheit bewirkt und die Entstehung zusätzlicher Herrschaft ermöglicht hat (Kapitel IV). Zugleich ist die Staatsbürokratie in ihrer Haushaltswirt-schaft und damit bei der „politischen Planung" und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben abhängig von den Abschöpfungsbeträgen aus der privaten Wertschöpfung und muß ihrerseits auf diese mehr Rücksicht nehmen, als es sich mit den Anforderungen und Notwendigkeiten politischer Zielsetzungen verträgt (Kapitel V und VI). In dieser durch eine Reihe von Krisensymptomen gekennzeichneten Lage (Kapitel VII) fällt der „politischen Demokratie", in-sonderheit den Parteien, die Aufgabe zu, sich verstärkt „der freiheitlichen ratio historischer Rationalisierung" (Kapitel VIII) zu verschreiben, d. h. unter umfassender Aufnahme von Anstößen aus der Gesellschaft die Staatsbürokratie „von außen" zur Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele anzuleiten sowie auch die derzeitigen Wechselbeziehungen zwischen privater Warenproduktion und der Produktion öffentlicher Dienstleistungen neu zu bestimmen (Kapitel IX).

Der Aufsatz soll somit dazu beitragen, in den Tageskonstellationen der kommenden Entscheidungslagen die grundlegenden, historisch noch offenen Alternativen zu erkennen, um damit unter ihnen langfristig politisch wählen zu können.

I. Dimensionen der Rationalisierung

„Rationalisierung* ist eines der großen Schlagworte unserer Zeit. Es trifft das Vertrauen in den gesellschaftlichen Fortschritt ebenso wie die Furcht vor den Rationalisierungsopfern: Rationalisierung spart Arbeit. Im konkretesten Sinne ist dabei an die vielfältigen „Rationalisierungsmaßnahmen“ in Behörden und Betrieben gedacht. Wie wird Arbeit gespart? Zum Beispiel dadurch, daß die vorhandene Arbeit produktiver gemacht wird: „Rationalisierung und Produktivitätssteigerung“ etwa ist die spezifische Losung einer Selbstdarstellung des „Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft e. V." (RKW), die von sich selbst sagt: „der Fortschritt ist das eigentliche Thema" Der Begriff der „Rationalisierung“ erscheint in sehr unterschiedlichen Wortverbindungen, auf die wir noch eingehen werden, und das jeweilige Zusatz-wort kennzeichnet jeweils einen ihrer schillernden Aspekte. Hier ist es zunächst: Produktivitätssteigerung. Der erste Beitrag des Sammelbandes des RKW stellt bereits klar, worum es hier geht: „Grundlegend ist der Antagonismus zwischen Arbeitnehmern und Kapitaleignern: Erstere sind bestrebt, den Preis ihrer Arbeitskraft so hoch wie möglich zu drücken, letztere sind nur dann bereit, Risiko-kapital zu investieren, wenn eine angemessene, d. h. über dem banküblichen Sparzins liegende Rendite zu erwarten ist.“ „In diesem Spannungsfeld“ ’), so sagt der Autor, langjähriges Vorstandsmitglied von Standard Elektrik Lo renz „bleibt dem Unternehmer nur ein langfristig befriedigender Ausweg: er muß die Arbeitszeit je Produkt so verringern, d. h. die Arbeitsproduktivität so steigern, daß der Effekt tariflich erhöhter Arbeitszeitkosten auf die Kosten der produzierten Einheit wenigstens ausgeglichen wird. Der Unternehmer . . . steigert die Arbeitsproduktivität, indem er den Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz erhöht (Kapital-intensivierung) und dafür sorgt, daß dabei die Kapitalproduktivität (= Produkt/Kapitaleinsatz) sich möglichst erhöht oder wenigstens nicht verschlechtert.“ Damit ist, so schließt der Autor diese definitorische Bestimmung, „die Bedeutung der Produktivität (und damit der „Rationalisierung“ als Produktivitätssteigerung, R. R. G.) in gesamt-und einzelwirtschaftlicher Sicht quantitativ beleuchtet: gesamtwirtschaftlich bedeutet sie höhere reale Einkommen und besseren Lebensstandard; zugleich ist sie ein Beweis für effiziente Nutzung knapper Ressourcen. Einzelwirtschaftlich sichert sie Wettbewerbsfähigkeit und Verfügbarkeit des zum Wachstum erforderlichen Investitionskapitals.“ (Hervorhebungen von mir, R. R. G.). „Erhöhung des Kapitaleinsatzes pro Arbeitsplatz": das heißt, der einzelne Arbeitsplatz wird für den Unternehmer teurer, aber insgesamt werden Arbeitsplätze eingespart, Arbeitskraft durch Maschinen und Automaten ersetzt „und die Art der menschlichen Arbeit verändert. Das tangiert", wie ein Vertreter der Gewerkschaften in dem genannten Sammelband hervorhebt, „die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Verwertbarkeit von Kenntnissen und Erfahrungen und gefährdet den einmal erreichten sozialen Besitzstand" *). „Trotzdem", so versichert er, „sind die Ge4) werkschaften keine Maschinenstürmer" — „Rationalisierung" bleibt „Fortschritt". Hier wird die zweite Begriffsverbindung deutlich: „Rationalisierung und Mechanisierung", „Rationalisierung und Automatisierung“.

Der zitierte Einleitungsbeitrag zum RKW-Band stellt noch den ursprünglichen Zusammenhang der Rationalisierung durch Erhöhung des Kapitaleinsatzes je Arbeitsplatz klar: die Steigerung der Massengüterproduktion, bei der die Kosten eines Erzeugnisses zurückgehen, „wenn es je Zeiteinheit in größeren Stückzahlen hergestellt wird“, was . Homogenität und Größe der Serien“ und . größte Disziplin bei Normung und Typisierung und bei der Sortimentsgestaltung“ voraussetzt. In dieser Hinsicht ist „Rationalisierung" durch „Mechanisierung und Automatisierung“ gewiß zugleich „Leistungssteigerung": die Produktion von mehr Gütern bei weniger Aufwand. Rationalisierung heißt dann konkret: Senkung der Stückkosten. Doch ist dieser Begriff keineswegs auf die Massengüterproduktion beschränkt, er erfaßt auch die Dienstleistungen, die „Rationalisierung im Büro", insbesondere im öffentlichen Dienst.

. Alle bestehenden Überlegungen zu einer Reform des öffentlichen Dienstes", schreibt die Leiterin der Abteilung Automation und Modernisierungspolitik beim Hauptvorstand der Gewerkschaft OTV in dem genannten Band, „orientieren sich an der Maxime, die Produktionskosten zu senken“ Was aber ist hier „Produktion"? Zunächst ging man daran, „vor allem ausführende Standardtätigkeiten, wie z. B. Lohn-, Material-oder Auftragsabrechnungen“, zu rationalisieren und Routineentscheidungen „nach vorgegebenen Programmen“ auf den Computer zu übertragen in der öffentlichen Verwaltung z. B. die Berechnung von Wohngeldbescheiden — ein gesetzlich relativ eng durchprogrammierter Aufgabenbereich. Doch wie sieht es mit den Dienstleistungen aus, die Angehörige der Verwaltung unmittelbar den „Verwaltungskunden" erbringen, indem sie mit ihnen umgehen: also z. B. die „Produktion" des Lehrers, des Krankenhausarztes? Es sei zu befürchten, schreibt die OTV in der Einleitung zum Gutachten „Rationalisierung und Mechanisierung im öf5) fentlichen Dienst“ von 1968, „daß die unter steigendem Kostendruck erfolgenden Rationa-lisierungsund Mechanisierungsmaßnahmen einseitig zu Lasten der Beschäftigten gehen und damit auf lange Sicht die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes beeinträchtigen würden“ Masssenabfertigung — etwa im Gesundheitsdienst — heißt eben nicht Lei-stungssteigerung, sondern Leistungsverschlechterung. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, bei der „Rationalisierung“ handle es sich um ein spezifisches Problem der kapitalistischen Warenproduktion, wie es die Bezeichnung des „Antagonismus zwischen Arbeitnehmern und Kapitaleignern" als „grundlegend“ in dem eingangs zitierten Beitrag nahelegen könnte. Dem aber ist nicht so. Oder anders ausgedrückt: Der Begriff der „Rationalisierung“ wird auch für nicht-kapitalistische Verhältnisse in Anspruch genommen.

„Die historische Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsformation über den Kapitalismus“, sagte der stellvertretende Leiter des Ökonomischen Forschungsinstituts der Staatlichen Plankommission der DDR, „beruht letzten Endes auf der qualitativ höheren Stufe ihrer Rationalität." Er berief sich dabei auf die berühmte Stelle im III. Bande des „Kapital“, die lautet: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt in der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, wie die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftauiwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäqua10) testen Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung." (Hervorhebung von mir, R. R. G.)

„Rationalisierung" erscheint hiernach als ein Vorgang der „Befreiung": der Mensch regelt die Güterproduktion, die Herstellung seiner Lebensmittel „rational", „mit dem geringsten Kraftaufwand", um sich aüs diesem „Reich der Notwendigkeit" zu befreien und Zeit für jene Beschäftigung zu finden, „die sich als Selbstzweck gilt". Wieder ist „der Fortschritt" zum „eigentlichen Thema" gemacht — nun in einer historisch ausgreifenden Perspektive und als Befreiung des Menschen aus dem Zwang der Not. Dies zeigt zunächst eine weitere Wortverbindung an, in der der Begriff „Rationalisierung" erscheint: „Rationalisierung und Demokratisierung". Die Planer-

Zeitschrift „Arch Plus“ schreibt dazu unter dem Stichwort: „Was heißt . fortschrittlich’ in bezug auf Planungstheorie und Planungsmethode?": „War für die Aufklärung . . .der Begriff der Rationalität richtunggebend, der die verstandesmäßige Durchdringung der gesellschaftlichen Beziehungen beinhaltete, so mußte vom Standpunkt des dialektischen Materialismus der Begriff des Fortschritts allgemeiner gefaßt werden, nämlich im Sinne einer allseitigen Entwicklung der Gattung Mensch. Seine konstituierenden Momente sind Rationalisierung und Demokratisierung."

Damit ist die Zeitdimension des Vorgang-Begriffs „Rationalisierung" hervorgehoben und auf seinen Kern als seinen Ursprung: das Element der „ratio" als dem „Vernunft" -Begriff der Aufklärung, zurückgegangen. Damit tritt die letzte und umfassendste Begriffsverbindung hervor: „Rationalisierung und Säkularisierung", die Ersetzung mythischer und theologischer Weltbilder durch die „vernünftige Berechnung", die sich anschickt, die Welt der Natur „nicht nur zu interpretieren", sondern sie zu „verändern", um sie zu beherrschen, um den Menschen zum „Herrn" seines Schicksals zu machen. Dieser Begriff der „Rationalisierung", der mit der „Entzauberung der Welt" (Max Weber) durch den europäischen Rationalismus und die kapitalistische Produktionsweise historisch einsetzt, ist es, der zugleich über den Kapitalismus hinaus-weist — zunächst zumindest in dem Sinne, daß auch die sich selbst als „sozialistisch" verstehenden Gesellschaften für sich in Anspruch nehmen, diesen Rationalisierungsprozeß geschichtlich einen — den entscheidenden — Schritt voranzubringen.

Doch ist das Vertrauen in den Fortschritt der Vernunft schon seit langem gebrochen. Führt nicht aufgrund der von Horkheimer und Adorno so genannten „Dialektik der Aufklärung" die „Entzauberung der Welt" im Wege der „vernünftigen Berechnung" zu dem bereits von Max Weber angekündigten, noch viel härteren „Gehäuse der Hörigkeit"? Sind nicht die vielfältigen Anstrengungen zur Rationalisierung der Verwaltung, von denen wir ausgegangen waren, Elemente einer „Rationalisierung" der gesamten Gesellschaft durch Verwaltung, die alle gesellschaftliche Arbeit bürokratischer Herrschaft unterwirft? Was ist denn eigentlich das „Vernünftige" an der „vernünftigen Berechnung", die dem Wortsinne nach im Begriff der „ratio" und dem der „Rationalisierung" als ihrer immer weitergehenden Zunahme liegt? Bedeutet sie als gesellschaftlicher Vorgang nicht nur eine immer genauere „Berechnung" — nicht nur der menschlichen Arbeit, sondern aller menschlichen Lebensäußerungen, um sie desto besser beherrschen zu können? Die These von der „Dialektik der Aufklärung" besagt, die Rationalisierung sei mitnichten der Weg des „Fortschritts" zum „Reich der Freiheit", sondern der Weg in das „Reich der Knechtschaft", das „Gehäuse der Hörigkeit". Doch die tatsächlichen Anstrengungen zur „Rationalisierung" zeigen sich davon, wie eingangs dargelegt, völlig unbeeindruckt, und zwar nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern auch in „nachkapitalistischen". Was hat es also damit auf sich? Das ist unser Thema.

Rationalisierung spart Arbeit, hatten wir eingangs gesagt — aber wie und wozu? Das Grundmodell ist die Steigerung der Güterproduktion unter Verwendung von immer weniger, jedoch intensiver genutzter Arbeitskraft. Erhöhter Warenausstoß und damit -verbrauch heißt höherer Lebensstandard. Die eingesparte Arbeit wandert in die verwaltenden und die dienstleistenden Tätigkeiten, die zur Aufrechterhaltung der wachsenden Produktionsmaschinerie erforderlich sind. Doch auch diese Tätigkeiten werden nach dem gleichen Modell „rationalisiert". Was geschieht mit der frei werdenden Arbeitszeit? Liegt nicht bereits in der Marxschen Formel von der „menschlichen Kraftentwicklung", die „sich als Selbstzweck gilt", als dem „wahren Reich der Freiheit", ein bedenklicher Doppelsinn? Kraftentwicklung um ihrer selbst willen: darin liegt der Gedanke, nun endlich komme der Mensch zu sich. Wenn zur Erzeugung der notwendigen Lebensgüter aufgrund ihrer Rationalisierung immer weniger Arbeit nach den maschinellen Gesetzen der „materiellen Produktion" erforderlich sei — und wenn sich dies über die „Verkürzung des Arbeitstages" auch für alle auswirke, dann könne die technisch „freigesetzte" Arbeitskraft nach ihren eigenen, menschlichen Gesetzen ihre Produktivität frei entfalten. Kraftentwicklung als Selbstzweck kann aber auch heißen, daß nun auch noch die von „Arbeit", d. h. von der durch Notwendigkeit erzwungenen Arbeit frei bleibende Zeit als „Freizeit" nach den Gesetzen der Massenproduktion „durchrationalisiert“ wird, da die Inganghaltung der gesamten, auf Wachstum programmierten Produktionsmaschinerie dem Menschen sein Verhalten vorschreibt. Sie verlangt nicht nur fortgesetzten Verbrauch des Produzierten, worauf die Rede vom „Konsum-terror" abzielt, sie prägt auch die gesamte Umwelt, in der sich das Leben einer „entwik-kelten" Gesellschaft abspielt, und fängt mit den Abfertigungsverfahren des Massentourismus den Menschen auch dort noch ein, wo er sich ihrem Zugriff durch schlichte örtliche Entfernung zu entziehen versucht. Das ist mit dem neuen „Gehäuse der Hörigkeit" gemeint, von dem Max Weber gesprochen hatte, in das sich der Mensch in dem Maße immer mehr hineinarbeite, in dem er sich aus der Abhängigkeit von der Natur kraft wachsender „materieller Produktion" herausarbeitet.

Nun sind auch hier bereits Zweifel angemeldet worden: Steckt der Fehler nicht darin, daß Wachstum der materiellen Produktion und an ihrem Ausstoß gemessener „Lebensstandard" zum Inbegriff des Fortschritts erhoben worden sind? Die Formel „Lebensqualität" anstelle von „Lebensstandard" sollte die Frage aufwerfen, ob der „Warenkorb" allein wirklich noch zuverlässig „Fortschritt" anzeigt. Werden nicht andere Lebensbedingungen, die man nicht als Waren kaufen kann, zunehmend wichtiger für eine freie Entfaltung des Menschen und darum verstärkter gesellschaftlicher Aufwendungen bedürftig? Anders ausgedrückt: produziert die „materielle Produktion" nicht schon viel mehr, als wirklich notwendig ist — und damit an den wirklichen Bedürfnissen vorbei?

In diesem Zusammenhang war die Rede von einer „Umschichtung" des gesellschaftlichen Investitionspotentials, von einer „Verbreiterung des öffentlichen Korridors" zu Lasten des privaten Konsums. Darum ist es still geworden. Vermehrung der privaten Kaufkraft durch Steuerentlastung zur Belebung der Konjunktur ist die gegenwärtige Devise. Und in der Tat: Läßt sich die laufende Produktionsmaschine denn überhaupt an irgendeinem Punkt anhalten? Läßt sich die auf Steigerung der „materiellen Produktion" zielende oder an ihr orientierte „Rationalisierung" umkehren? Und: Gibt es überhaupt auch nur dem Begriff nach eine Alternative? Sind Wachstum und Lebensstandard nicht auch die Kriterien, nach denen die entwickelten „sozialistischen" Gesellschaften rationalisieren? Und wäre nicht die vor kurzem noch als Remedur diskutierte „Verbreiterung des öffentlichen Korridors" die endgültige Bestätigung für Max Webers These von der Rationalisierung durch Bürokratisierung? „Das Bürokratiemodell Max Webers ist ein vertrauter und bewährter Erkenntnisbesitz unserer Organisationsforschung", schreibt Niklas Luhmann in einer zusammenfassenden Würdigung, „und auch die Einsicht, daß die Rationalisierung des öffentlichen Lebens sich unaufhaltsam und auf allen Gebieten durch bürokratische Verwaltung vollzieht, hat sich durchgesetzt." Rationalisierung durch Bürokratie im Sinne Max Webers — also durch die „formal rationalste Form der Herrschaftsausübung" —, und durch sie allein: ist damit die Idee einer freiheitlichen Vergesellschaftung, die stets den Kern des Begriffs gesellschaftlichen „Fortschritts" gebildet hat, aus dem Begriff der Rationalisierung endgültig zu streichen?

Meine These ist, daß der Begriff der „Rationalisierung" deshalb zu einem so allgemeinen, über das ganze politische Spektrum streuenden Schlagwort hat werden können, weil er in der Tat ganz wiedersprüchliche Tendenzen und historische Bestrebungen deckt. Der wissenschaftlichen Analyse dessen, was als Rationalisierung verstanden und ausgegeben wird, kommt es daher zu, diese Widersprüche immer wieder herauszuarbeiten, da der Begriff selbst sie immer wieder zudeckt. Diese widersprüchlichen Bestrebungen haben in der Struktur unserer Gesellschaft, so lautet die zweite These, zu widersprüchlichen Verwirklichungsansätzen geführt, die unterscheiden und in unterschiedlicher Weise vorantreiben muß, wer am Begriff eines gesellschaftlichen Fortschritts auch für die „entwickelte" westliche Gesellschaft festhält.

Diese Unterscheidungsarbeit muß an dem Widerspruch ansetzen, der bereits in Max Webers Konzept der Rationalisierung enthalten ist: dem Widerspruch zwischen dem Begriff — und der historisch realen Tendenz — einer Rationalisierung der Gesellschaft durch bürokratische Herrschaft und dem Begriff — und der umgekehrten Tendenz zu einer gesellschaftlichen Rationalisierung der bürokratischen Herrschaft, d. h., sie im Sinne gesellschaftlichen Fortschritts ihres Herrschaftscharakters zu entkleiden. Die Absicht dieser Arbeit ist es, der kulturkritischen Resignation zu widersprechen, nach der diese Tendenz ihrerseits bereits historisch überholt, d. h. das „Gehäuse der Hörigkeit“ — oder: „das System" — bereits so fest gezimmert sei, daß es „Fortschritt“ über sich selbst hinaus nicht mehr zulasse. Die Widersprüche, die es enthält, drängen in verschiedene Richtungen und fordern damit politisches Handeln heraus.

II. Bürokratie als Modell „rationaler Herrschaft"

Die „Entwicklung moderner Verbandsformen" auf „allen Gebieten (Staat, Kirche, Heer, Partei, Wirtschaftsbetrieb, Interessenverband, Verein, Stiftung und was immer es sei)" sei „schlechthin identisch mit Entwicklung und stetiger Zunahme der bürokratischen Verwaltung" so kennzeichnet Max Weber den modernen Bürokratisierungstrend. Was gibt Max Weber als die spezifischen Kennzeichen eben dieser bürokratischen Verwaltung an? Herrschaft „mittels bürokratischen Verwaltungsstabes", so lautet seine Grundthese, ist „der reinste Typus der legalen“ Herrschaft — und das ist für ihn identisch mit „rationaler Herrschaft". Rationalität ist danach eine Eigenschaft der Herrschaft: ohne Herrschaft keine Rationalität.

Zunächst also müssen wir uns den hier zentralen Herrschaftsbegriff etwas näher ansehen. „Herrschaft“ bedeutet für Max Weber die „Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden". Ist der Gehorsam generalisiert, so spricht Weber von „Disziplin", die er definiert als „die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden" einschließlich, wie er hinzufügt, der Eingeübtheit des „kritikund widerstandslosen Massengehorsams“ Herrschaft ist also die Grundkategorie, und sie wird bestimmt durch das Verhältnis von Befehl und Gehorsam, im Falle der Disziplin: des Gehorsams vieler gegenüber den Befehlen eines einzelnen oder einiger weniger. „Rationalisierung"

kann danach immer nur Rationalisierung dieser Befehl-Gehorsam-Beziehung zwischen den wenigen und den vielen bedeuten, und zwar durch das Mittel der Bürokratie. Die Unent-rinnbarkeit dieses Verhältnisses sieht Weber darin, daß „die Beherrschten sich einer bestehenden bürokratischen Herrschaft normalerweise nur durch die Schaffung einer eigenen, ebenso der Bürokratisierung ausgesetzten Gegenorganisation erwehren können"

Auch dieses Argument wird noch näher zu prüfen sein, insbesondere darauf, was die vorsichtige Einschränkung „normalerweise“ bedeutet. Hier haben wir zunächst zu prüfen, was sich hinter dem Konzept der Rationalisierung des Befehl-Gehorsam-Verhältnisses durch Bürokratie verbirgt. Sehen wir daraufhin das Webersche Bürokratie-Modell etwas genauer an.

In der spezifischen bürokratischen Organisation wird das Befehl-Gehorsam-Verhältnis institutionalisiert durch das Prinzip der Weisungshierarchie: „die Gehorsamspflicht ist abgestuft in einer Hierarchie von Ämtern mit Unterordnung der unteren unter die oberen und geregeltem Beschwerdeverfahren. Grundlage des technischen Funktionierens ist: die Betriebsdisziplin" Die Ämter oder Stellen werden definiert durch feste Amtskompetenzen. Insofern ist die rationale Herrschaft zugleich legale Herrschaft, die auf der „Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen" beruht, so daß der „typische legale Herr“ der „Vorgesetzte" ist, der, „indem er anordnet und mithin befiehlt, seinerseits der unpersönlichen Ordnung gehorcht, an welcher er seine Anordnungen orientiert". Dieses Prinzip wird am reinsten verkörpert im Prinzip der Einzelkompetenz, die die typische Linienstruktur bürokratischer Hierarchien bewirkt, in der jeder Mitarbeiter jeweils einen anweisungsberechtigten Vorgesetzten hat. Die Chance der anweisenden Herren, für ihre Befehle bei den Untergebenen innerhalb und außerhalb der Hierarchie Gehorsam zu finden, beruht nach Max Weber gerade auf deren „Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen", und anhand dieser spezifisch unpersönlichen Quelle des Gehorsams unterscheidet Max Weber seinen Begriff rationallegaler Herrschaft von ihren beiden Gegentypen: der traditionalen und der charismatischen Herrschaft Die Rückführung auch der rationalen Herrschaft auf einen prinzipiell variablen „Geltungsglauben" der Gehorchenden offenbart allerdings die im Herrschaftsbegriff Max Webers angelegte Irrationalität.

In welchem Sinne nun kann dieser vom Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen getragene Herrschaftsapparat „rational“ sein? Max Weber bildet hierfür den Begriff der „formalen Rationalität", der auf die „Rechen-haftigkeit" der Vorgehensweise und damit auch die Nachrechenbarkeit abstellt: „Die bürokratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung", so schreibt er, sei die „formal rationalste", da sie „an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung formal-universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung" vervollkommnet werden könne Diese Aufstellung zeigt, daß im Begriff der formalen Rationalität, wie Max Weber ihn gebraucht, drei Begriffselemente miteinander verkoppelt sind:

1. Die Genauigkeit des Vorgangs der BefehlsÜbermittlung, das „Klappen" der Anweisungshierarchie. Hierauf beziehen sich die Angaben: Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit. 2. Die „Verläßlichkeit“ im Sinne der Berechenbarkeit (im Hinblick auf die „Rechenhaf-

tigkeit" des Vorgehens das zentrale Kriterium), und zwar sowohl für die „anweisenden Herren" wie für die „Interessenten". Gerade die letzte Bestimmung zeigt, daß es hier um etwas anderes geht als um die „Straffheit" der Befehlskette, nämlich um die Festgelegtheit des Verwaltungsprogramms, zu dessen Vollzug die ganze Anordnungshierarchie funktionieren soll. *

Beide Kriterien weisen darauf hin, daß rationale Herrschaft für Max Weber zugleich legale Herrschaft ist, so daß zu der Weisungshierarchie aus Vorgesetzten und Untergebenen immer die Hierarchie der gesatzten Regeln hinzuzudenken ist: als Prototyp also beispielsweise die staatliche Normenhierarchie aus Grundgesetz, Ausführungsgesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Ermessensrichtlinie — sofern sie das Verwaltungshandeln des Sachbearbeiters am Fuß der Hierarchie so festlegt, daß es auch für den Verwaltungskunden berechenbar ist. Das würde bedeuten, so würden wir heute hinzufügen, daß das Verwaltungsprogramm im Prinzip automatisierbar ist.. Das aber trifft nur für jene Verwaltungszweige zu, in denen alle denkbaren Fälle sich auf feste Wenn/Dann-Regeln bringen lassen, die Verwaltung also nicht, wie das meist der Fall ist, angesichts von Ziel-konflikten und unsicheren Informationen zu arbeiten hat, d. h. wenn das Kriterium der Berechenbarkeit erfüllt ist, dann entfällt das dritte Kriterium: nämlich die universelle Anwendbarkeit auf alle Aufgaben nach Maßgabe der „technischen“ Rationalität des für festgelegte Ziele zweckmäßigen Mitteleinsatzes. Hier ist besonders an jene Zweige der Dienst-leistungsverwaltung zu erinnern, die zwar beruflichen Sachverstand — und insofern „Professionalisierung" — verlangen, aber gerade nicht nur „technisches" Handeln, sondern den Umgang mit dem Leistungsempfänger, auf dessen Reaktionen und Entwicklungen das fachkundige Handeln eingehen muß: also in den Bereichen des Gesundheitsdienstes, der Ausbildung, der Sozialpflege. Diese Bereiche der Dienstleistungsproduktion fallen aus Max Webers Modell rationaler Herrschaft — wie wir sehen werden nicht zufällig — heraus.

Bleiben wir zunächst bei seinem Modell des „rationalen" Gesetzesvollzugs. Es enthält in der Tat ein Element der Herrschaftsaufhebung, nämlich innerhalb des Apparates: Das Befehls-Gehorsamsverhältnis zwische Vorgesetzten und Untergebenen wird in dem Maße aufgehoben, in dem der Untergebene unmittelbar dem ihm legal gesatzten Programm gehorcht. Der Vorgesetzte hat dann selbst nichts mehr zu befehlen. Im Verhältnis zu den „mittels Verwaltungsstabes" Beherrschten kommt es darauf an, inwieweit sie wiederum die legalen Zwecksetzungen bestimmen. Dieser Außenbezug der Bürokratie bildet in Max Webers Modell die offene Flanke seiner Rationalitätskonzeption Wie kommen in seinem Modell rationaler bürokratischer Herrschaft die Zwecksetzungen zustande, in deren Verfolgung sich dann die Rationalität der Bürokratie erschöpft? Max Weber gibt die entsprechende Erläuterung in seiner politischen Soziologie. Alle möglichen Zwecksetzungen sind für ihn als Werte material, d. h. inhaltlich gleich „rational". Dennoch lehnt er als Kennzeichnung seiner Position die Bezeichnung „Relativismus" ab und nennt sich einen „Vertreter der Wertkollision" Weber betont damit zunächst einmal die Notwendigkeit der politischen Wahl unter den möglichen Zwecksetzungen, das Wählen-Müssen als die — wie er sagt — „aller menschlichen Bequemlichkeit unwillkommene, aber unvermeidliche Frucht am Baume der Erkenntnis" Heute wissen wir, daß auch das Nicht-Wählen, das bewußte oder unbewußte Sich-Heraushalten aus den Kollisionen prinzipiell möglicher Zwecksetzungen de lacto eine Parteinahme ist, nämlich diejenige zugunsten der jeweils Herrschenden und ihrer Eigendynamik — und dieses Faktum macht auch vor der Wissenschaft nicht halt. Bei Max Weber nimmt nun allerdings der Tatbestand der Wertkollision und der daraus folgende Zwang zum Wählen-Müssen eine spezifische Form an. Er schreibt an der gleichen Stelle: „Es handelt sich nämlich zwischen den Werten letztlich überall und immer wieder nicht nur um Alternativen, sondern um unüberbrückbar tödlichen Kampf, so wie zwischen , Gott‘ und . Teufel'." Diesen Kampf zu führen, sei Aufgabe der Politiker. Zwar fordert Max Weber vom Politiker — wie er sagt: „leidenschaftliche Hingabe an eine . Sache'" aber „wie die Sache auszusehen hat, in deren Dienst der Politiker Macht erstrebt und Macht verwendet, ist Glaubenssache" Und der politische Kampf um die „Sache", d. h. die inhaltlichen Ziele, die dann den Bürokraten zum zweckrationalen Vollzug gesetzt werden sollen, ist deshalb allenthalben „Glaubenskampf"

Der Gehorsam der Beherrschten beruht also auf dem Geltungsglauben an alle Zwecke, die formal gesatzt wurden, und gesatzt wird als Befehl die „Glaubenssache“, die sich im „Glaubenskampf" unter den politischen Führern durchsetzt. So entwirft Weber auch im Ansatz ein Zirkulationsmodell seiner drei reinen Typen der Herrschaft: Veränderungen bürokratischer Herrschaftsstrukturen werden danach herbeigeführt von „echten Führern”, charismatischen „Propheten der Revolution"; aber „der traditionalistische Alltag kommt nach der emotionalen Revolution, der Glaubensheld und vor allem der Glaube selbst schwindet oder wird — was noch wirksamer ist — Bestandteil der konventionellen Phrase der politischen Banausen und Techniker" So wird auch die Vorstellung von einem fortschreitenden Prozeß der Rationalisierung durch bürokratische Verwaltung von Weber selbst noch in ihrer Fragwürdigkeit enthüllt: Seine These, daß alle möglichen Zwecksetzungen inhaltlich gleich rational seien, schlägt um in die These von der „ethischen Irrationalität der Welt"

Es liegt darum in der Konsequenz des Weber-sehen Modells, daß auch ein faschistisches System unter den Begriff rationaler-Herrschaft fällt, wenn die vom Führer zum Zweck gesetzte Vernichtung lebensunwerten Lebens von einer Bürokratie von „Schreibtischtätern" gehorsam vollzogen wird: Die Befehlskette klappt, die Ergebnisse sind auch für den, der der Kategorie der zu Vernichtenden angehört, berechenbar und der Mitteleinsatz wird kalkuliert nach dem Prinzip der effektivsten Zweckerreichung. Auch die von Weber an den Politiker gestellte Forderung der „Verantwortungsethik", nämlich die Verantwortung für die Folgen seines Handelns und Befehlens zu übernehmen bleibt formal und ohne Kriterien: übernimmt der „echte Führer" nicht gerade dann die Verantwortung, wenn er sich mit der Pistole „selber richtet“?

Darüber hinaus haben wir gesehen, daß im Falle kollektiven, bürokratisch strukturierten Handelns die Verantwortlichkeit für die tatsächlichen Folgen nachträglich individuell dem einzelnen Befehlsgeber und -empfänger gar nicht mehr zurechenbar ist. Es bleibt, daß das Konzept der rationalen Herrschaft auch in diesem Fall noch den Handelnden das gute Gewissen verschafft, ihr Handeln sei „rational" und deshalb letztlich irgendwie vor der Vernunft gerechtfertigt.

Die Frage ist, ob Max Weber nicht mit seinem Konzept rationaler Herrschaft den spezifisch herrschaftlichen Staat in einem historischen Augenblick systematisiert hat, in dem seine historische „Vernünftigkeit" bereits zusammengebrochen war und sich über ihn hin-ausweisende Tendenzen zeigten. Weber wäre dann nicht zufällig faschistisch instrumentalisierbar geworden.

III. Historische Entstehungsbedingungen der „rationalen Herrschaft"

Der herrschaftliche „Staat“, mit seinem „Monopol legitimer Gewaltsamkeit" (Max Weber), „dieses Glanzstück europäischer Form und occidentalen Rationalismus" nämlich entsteht historisch im spezifischen Zusammenhang mit der Entwicklung der privatkapitalistischen Massenproduktion angesichts einer spezifischen Problemlage: Die vorhandenen Güter sind zu knapp, um die Lebensbedürfnisse aller zu befriedigen. Dieser Ausgangspunkt ist von Thomas Hobbes, dem grundlegenden Theoretiker des herrschaftlichen Staates, klar herausgearbeitet worden: Hobbes geht davon aus, daß die Menschen „von Natur aus seien, da sich die verschiedenen gleich“ Uberund Unterlegenheiten der einzelnen „alles zusammen" gesehen zu Null addieren: So könne z. B.der körperlich Schwächere „auch den Stärksten vernichten", wenn er sich einer List bediene usw. Er fuhr dann fort: „dieser Gleichheit der Fähigkeiten entspringen die gleichen Hoffnungen, ein Ziel zu erreichen. So werden zwei Menschen zu Feinden, wenn beide zu erlangen versuchen, was nur einem von ihnen zukommen kann. Um ihr Ziel zu erreichen (welches fast immer der Selbsterhaltung dient, nur selten allein der größeren Befriedigung ihrer Bedürfnisse), trachten sie danach, den anderen zu vernichten oder ihn sich untertan zu machen"

Diese Annahme des natürlichen „Krieges aller gegen alle", die nach Hobbes die Menschen dazu bringt, sich der allgemeinen Gewalt des Souveräns zu unterwerfen, damit er sie voreinander schütze, beruht also auf der Voraussetzung, daß die zur Selbsterhaltung erforderlichen Mittel nicht für alle reichen. Um diese Güterknappheit zu überwinden, muß die vorhandene Arbeitsfähigkeit der Menschen produktiver werden. Und „Rationalisierung" heißt Entfaltung der Produktivität menschlicher Arbeit. Historisch heißt das zunächst: Zwangsrationalisierung.

Im 17. Jahrhundert beginnt die Ausdifferenzierung der zugleich politischen und ökonomischen Feudalstruktur der agrarischen Produktion in zwei spezialisierte Monopole: die zum „Staat" verselbständigte allgemeine Herrschaft mit dem Monopol legitimer Ge-waltssamkeit und das Monopol ökonomischer Wertschöpfung in Gestalt des privatkapitalistischen Betriebs. Die private Produktion braucht den auf Herrschaft spezialisierten Zwangsstaat: zur Zerschlagung der Feudal-struktur, zur Erschließung der territorialen Märkte für den Warenabsatz, und nicht zuletzt: zur Disziplinierung der „irrationalen" Menschen zu „rationalen" Arbeitskräften. Und das heißt historisch: Zwangsarbeit.

Vor dem ökonomischen Zwang, „seine Arbeitskraft zu verkaufen", setzt der staatliche Zwang ein, der zur Herstellung und Aufrechterhaltung von „Ruhe, Sicherheit und Ordnung" die neue Arbeitsmoral durchsetzt. Galt im Mittelalter noch „Hochmut“ als die schlimmste menschliche Sünde, so wurde für das 17. Jahrhundert Müßiggang zu „aller Laster Anfang" Foucault nennt als historischen Einschnitt die Gründung des Höpital general 1656 in Paris durch königliches Dekret — keineswegs zu medizinischen Zwekken: „Es ist eine Instanz der Ordnung, der monarchischen und bürgerlichen Ordnung, die in Frankreich zur gleichen Zeit hergestellt wird" die ebenso wie die englischen „workhouses" alle jene zur Zwangsarbeit einschließt, die sich freiwillig oder unfreiwillig nicht der zur höchsten moralischen Norm erhobenen Arbeitspflicht unterwerfen oder unterwerfen können. Das Asyl als Anstalt der Polizeiverwaltung wird zum Modell der späteren Fabrik, Bürokratie zum Inbegriff herrschaftlicher Organisation produktiver Arbeit. Das „Vernünftige" dieser Zwangsrationalisierung liegt in ihrem Bezug zur Hobbe-schen Situation: Es ist die gesellschaftliche Organisation, die die industrielle Produktion freisetzt, die in der Lage ist, die Knappheit der Lebensgüter und damit die Abhängigkeit der Menschen von der Kargheit der Natur aufzuheben, die sie einander zu Feinden macht. Strukturell ist das zunächst die Freiheit der „Bürger" im ökonomischen Sinne, der „Fabrikanten", in deren „Privatsphäre“ die industrielle Produktion beginnt und deren „privates" Renditekalkül auf das Wachstum jener Wertschöpfung spezialisiert ist, auf das wiederum der verselbständigte Staat angewiesen ist, weil er aus ihr über Steuern seine eigenen Einkünfte bezieht. Zwar hat auch der verselbständigte Staat je nicht nur geherrscht, sondern auch produziert: Er hat Straßen und Wege gebaut, kanalisiert, Monopolbetriebe geführt etc. Doch gelang es ihm im Preußen-Deutschland des 19. Jahrhunderts durch einen Kunstgriff, in Gestalt der „hoheitlichen" Ministerialorganisation jenen „reinen Typus“ bürokratisch-legaler (hierarchischer, monokratischer, aktenmäßiger) Herrschaft auszubilden, den Max Weber als Modell vor Augen hatte — aber eben als gegenüber der Produktion verselbständigte Herrschatt. Und zwar dadurch, daß die „produktiven Dienste" weitgehend vom „Staat" auf die als „wirtschaftliche“ (und d. h. eben „nicht-staatliche") verstandene Selbstverwaltung der Kommunen abgeschoben wurde 39a). Den kommunalen Stadtverwaltungen kam während des 19. Jahrhunderts die Funktion zu, aus dem städtisch-gewerblichen Milieu heraus die „Infrastruktur" der industriellen Produktion, wie wir heute sagen würden, zu entwickeln: die „materielle" Infrastruktur, d. h. die grundstücksmäßig-technische Erschließung der Unternehmensstandorte ebenso wie die „soziale" Infrastruktur, d. h. die Bildungs-, Gesundheitsund Wohnungseinrichtungen für die erforderlichen Arbeitskräfte und die unter städtischen Produktions-und Lebensbedingungen für Unternehmen wie Bevölkerung zunehmend wichtiger werdende Wasser-, Abwasser-und Energieversorgung. Schließlich waren es zunächst die Kommunal-verwaltungen, die mit ihrer kommunalen „Armenpflege" die sozialen Folgekosten der Freisetzung der Lohnarbeiterschaft in Gestalt des „städtischen Elends" aufzufangen hatten. 39a)

Diese Aufgaben konnten deshalb zunächst lokale sein, d. h., der territoriale Staat konnte sich deshalb zunächst weitgehend aus ihnen heraushalten, weil die Industrialisierung von Orten ausging, die wie „Inseln" in die im gesamten Territorium noch vorherrschende agrarische Produktion eingelagert waren. In dem Maße jedoch, wie der zunächst „städtische" Industrialisierungsprozeß das gesamte Territorium ergriff und die industrielle Produktion gegenüber der agrarischen zur gesellschaftlich absolut vorherrschenden machte, kam auch die Verantwortlichkeit für die produktiven Dienste außerhalb der und für die private Produktion wieder auf den zentralen Staat zu (in Deutschland immer interpretiert als die „Krise der kommunalen Selbstverwaltung") und stellte damit auch immer mehr die Rationalität des auf Herrschaft spezialisierten „reinen" Bürokratie-Typs in Frage. Diese politisch-funktionelle Entwicklung hatte zugleich eine politisch-institutionelle Seite.

Als der monarchische Staat im 18. Jahrhundert sein ursprüngliches funktionelles und personelles Bündnis mit dem Bürgertum aufgab, um den Adel für den Verlust seiner Feudalrechte mit dem höheren Staatsdienst im Militär und Bürokratie zu entschädigen, setzte der Prozeß der „Rationalisierung" der bürokratischen Herrschaft durch ihre institutionelle Anleitung von außen ein: Die „Parlamentarisierung" des Staatsapparats sollte die funktionelle Rationalität der Bürokratie, die herrschaftliche Sicherung der Privatautonomie der Bürger sichern. Das Parlament sollte über die fiskalische Seite den Staatsapparat unter Kontrolle halten: Das Budgetrecht zur Kontrolle der staatlichen Einnahmen und Ausgaben war dafür das entscheidende Mittel. Das Zensuswahlrecht band aktives und passives Wahlrecht an den spezifischen Kreis der interessierten Betroffenen: die Privatbürger, deren Prototyp der private Unternehmer war. Der dem oben beschriebenen Funktionswandel der Bürokratie entsprechende Struktur-bruch lag im Übergang vom Zensuswahlrecht zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht und in der Parlamentarisierung der Exekutive — in der reinen Form der parlamentarischen Wahl des Regierungschefs erst unter dem Grundgesetz. Er stellte den äußeren Anleitungsprozeß für die Bürokratie auf demokratische Massenbasis, die nun zunehmend von den abhängig Beschäftigten gebildet wurde. Funktionaler Sinn der parlamentarischen Demokratie und fortbestehender funktioneller Sinn der bürokratischen Herrsghaft gerieten nun in einen strukturellen Widerspruch, den Max Weber mit seinem Konzept „rationaler Herrschaft" nur von der Bürokratieseite aus in den Griff bekam, indem er etwa an den demokratischen Massenparteien wie der frühen SPD nur den sicher auch vorhandenen Bürokratisierungsprozeß „von oben" als alleinigen war-nahm Doch gerade die innerparteilichen Auseinandersetzungen — nicht zuletzt innerhalb der SPD — zeigten den offenen Widerspruch zwischen herrschaftlicher Bürokratisierung von oben und der Funktionslogik der „Demokratisierung" von unten. Die staatliche Bürokratie geriet auch unter deren Legitimationsdruck, der sich gerade auf die Erbringung von Dienstleistungen nach den Kriterien gleicher Versorgung aller richtete, wie etwa die Formel vom „Bürgerrecht auf Bildung" anzeigt. „Infrastruktur" wurde zu einem sowohl ökonomisch-fiskalisch wie politisch-programmatisch gedachten Begriff. Der Staat erscheint so in moderner Perspektive nicht mehr allein als „Inbegriff eines neben oder über dem ökonomischen System existierenden politischen Systems", sondern auch „als spezifische Organisationsform jener Produktion, die unter dem allgemeinen Imperativ der Legitimationserfordernisse des kapitalistischen Systems aus Gründen der ungleichmäßigen technischen Entwicklung nicht privatkapitalistisch betrieben werden kann" Der hier genannte Strukturwiderspruch hat auch zwei gegensätzliche „Rationalisierungs“ -Strategien in den Staatsapparat eingebaut, mit denen wir uns im folgenden befassen wollen. Dafür müssen wir zunächst wieder von einer Modell-Analyse ausgehen.

IV. Rationalisierung bürokratischer Herrschaft durch Wahlprozesse: Markt und politische Demokratie

Politische Demokratie ist ihrem funktionalen Sinn nach ein Mechanismus zur Sicherung „rationaler" Programmsetzung für die ausführenden Organe. Der Rationalisierungseffekt bürokratischer Legalität als tendenzielle Aufhebung gesellschaftlicher Herrschaft soll durch ein verfassungsmäßig organisiertes Kreislaufsystem der Selbstregulierung — „im Rationalitätsfalle", um die Ausdrucksweise Max Webers zu benutzen — der Selbstbestimmung möglich gemacht werden. Auf der Basis der Unterscheidung von „Politik" als dem Prozeß gesellschaftlicher Zielsetzung und „Verwaltung" als dem Prozeß gesellschaftlicher Zielverwirklichung (als „vollziehende Gewalt", Art. 20 GG) besteht dieses Kreislauf-system aus einem „großen Regelkreis" von den Bürgern/Wählern über die Parteien als den „Eingabe-Strukturen" des politischen Willensbildungsprozesses zu den „Umsetzungsstrukturen" der politischen Gremien, also Stadträte, Parlamente und Regierungen, in denen die gesellschaftlichen Programmentwürfe in politischen Auseinandersetzungsund Entscheidungsprozessen in „legale" Programme für die Verwaltung umgewandelt werden, die sie als „Ausgabe-Struktur" in Gestalt von Einzelentscheidungen und -leistungen gegenüber den Bürgern vollzieht.

Die Bürger in ihrer Doppelrolle als . Letztempfänger'von Verwaltungsakten und als politische Wähler können dann eine Korrektur und Veränderung der vollzogenen — und insofern „herrschenden“ — Programme wiederum im politischen Prozeß über die „Eingabe" -Strukturen bewirken. Das Herrschaftselement im Gehorsam des Betroffenen gegenüber dem politisch gewählten Programm soll so — im Rationalitätsfalle — durch seine Beteiligung an der Programmwahl aufgehoben sein. Der Justiz kommt in diesem System die Kontrollaufgabe zu, die Befolgung dieses verfassungsmäßigen Kreislaufsystems prozedural wie inhaltlich zu gewährleisten.

Wenn wir uns der realen Problematik dieses normativen Modells zur Rationalisierung gesellschaftlicher Herrschaft zuwenden, so haben wir uns als erstes zu fragen, ob Max Webers Prämisse, daß der Staatsapparat der eigentliche Sitz gesellschaftlicher Herrschaft und damit auch der Hauptadressat gesellschaftlicher Bemühungen zu ihrer Rationalisierung ist, eigentlich zutrifft. Hobbes'Begründung für die Zusammenfassung gesellschaftlicher Herrschaft im Staat, die Errichtung des staatlichen Souveräns war, daß die zur Lebensfristung erforderlichen Güter für alle zu knapp seien. Damit.der Staatsapparat den einzelnen Staatsbürger wirksam vor der Gewaltanwendung seiner hungrigen Mitbürger schützen kann, müsse bei ihm die rechtmäßige Gewalt zentralisiert sein. Aus dieser Hobbes’schen Wurzel stammt die bis auf den heutigen Tag durchgehaltene Charakterisierung des Staates durch das Monopol legitimer Gewaltsamkeit.

Des Hobbes’schen Problems der Güterknappheit nimmt sich jedoch historisch die „Produktivitätssteigerung" der industriellen Güterproduktion und im Zusammenhang damit zunehmend auch die Landwirtschaft an, bis schließlich das entsteht, was in den entwikkelten Gesellschaften die „Wohlstandsgesellschaft" genannt wird. Wenn aber die von Hobbes genannten Gründe für die Feindschaft unter den Menschen entfallen, wird dann die Schutzfunktion des Souveräns hinfällig oder verliert sie zumindest ihren absoluten, staatliche Herrschaft fordernden und begründenden Vorrang? Hierauf, richten sich alle in der Ge-* schichte immer wieder, von Kant wie von Engels, formulierten Hoffnungen auf das historische „Absterben" des repressiven Staates. Der Umkehrschluß aber lautet: In dem Maße, in dem Produktion und Verteilung in der Gesellschaft zwar an Umfang zunehmen, jedoch nicht zu einer gleichmäßigen Befriedigung der Lebensbedürfnisse aller Gesellschaftsmitglieder führen, verlagern sich die Bestimmungsgründe gesellschaftlicher Herrschaft in die Struktur von Produktion und Verteilung und das staatliche Gewaltmonopol übernimmt die Funktion ihrer Absicherung.

Max Webers These von der Rationalisierung durch bürokratische Verwaltung bezieht sich auch auf die Wirtschaftsbetriebe, in denen sich die gesellschaftliche Güterproduktion vollzieht, die betriebliche Herrschaftsstruktur zur Anleitung und Kontrolle der produktiven Arbeit. Und die „Rationalisierung“ dieser Bürokratie wird in den westlichen Gesellschaften — analog zum Willensbildungsprozeß der politischen Demokratie für den Staatsapparat — für den Unternehmensapparat ebenfalls von einer Außensteuerung, von der Anleitung durch den Marktprozeß erwartet.

Die Parallele ist von den Theoretikern der Marktwirtschaft weitergeführt und ausgebaut worden In Analogie zum Begriff der „Volkssouveränität", die im Modell der politischen Demokratie von der Stimmbürgerschaft im individuellen Akt der Stimmabgabe bei allgemeinen Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird, hat man von der „Konsumentensouveränität" gesprochen. Diese soll darin bestehen, daß der einzelne Konsument mit seinem Geldschein als Stimmzettel unter den auf dem Markt angebotenen Waren wählt. Insofern die Waren produzierenden Unternehmen sich am Markterfolg orientieren, wie die politischen Parteien am Wahlerfolg, werden die innerbetrieblichen Investitions-und Produktionsentscheidungen von außen, und zwar von den zusammengefaßten Auswahlentscheidungen der einzelnen Konsumenten gesteuert.

In diesem Modell nimmt der Einzelbetrieb den Platz ein, den im Modell der politischen Demokratie die vollziehende Verwaltung innehat: Der einzelne Betrieb „vollzieht" danach das vom Willensbildungsprozeß des Marktes gesetzte Programm. Das innerbetriebliche Gefälle der Anweisuhgsbefugnisse von oben nach unten rechtfertigt sich dann aus seiner Funktion, die Einhaltung des von außen gesetzten Programms zu veranlassen, d. h.den Rationalisierungseffekt bürokratischer Verwaltung. Und dieser Effekt ist auch wiederum in diesem Modell abhängig von je-. nem Kreislauf, dessen Herrschaft aufhebende Wirkung auch vom Modell politischer Demokratie in Anspruch genommen wird: Die innerbetriebliche Gehorsamspflicht gegenüber den Anordnungen, die das Programm vollziehen, wird kompensiert durch die Beteiligung an der Auswahl der Programme. Wie der Kreislauf im Falle der politischen Demokratie durch die Identität von gehorsamspflichtigem Staatsbürger und freiem Stimmbürger geschlossen werden soll, so soll er im Falle der Produktion für den Markt dadurch zustande kommen, daß der als Produzent abhängige Arbeitnehmer zugleich als freier Konsument am Willensbildungsprozeß des Marktes teilnimmt, der wiederum die Produktionsentscheidungen bestimmt.

Diese Modellannahmen liegen der verbreiteten Auffassung zugrunde, politische Demokratie und freie Marktwirtschaft bedingten einander, und gesellschaftliche Herrschaft werde in dem Maße geschichtlich rationalisiert, in dem die im Modell abgebildeten Kreisläufe auch in der Wirklichkeit realisiert würden. Diese Auffassung kann man als die herrschende westliche Ideologie bezeichnen. Dem stehen bekanntlich kritische Auffassungen gegenüber, die davon ausgehen, daß die auf Marktabsatz zielende kapitalistische Produktionsstruktur geschichtlich überflüssig gewordene Herschaft immer wieder neu herstelle und darum „irrational" geworden sei.

In dieser Kontroverse, die vor allem zwischen marxistisch und liberalistisch orientierten Analytikern ausgefochten wird, sind sich beide Seiten zunächst darin einig, daß die Grundstruktur des Produzierens in den entwik-kelten Gesellschaften des Westens darin besteht, Produktion für den Markt zu sein, und daß der „Markt" ein Tauschprozeß ist, ein Prozeß des Tauschens von Ware gegen Geld und von Geld gegen Ware. Als Produktion für den Markt ist die Produktion daher Warenproduktion. Ferner sind sich die Kontrahenten darin einig, daß die Warenproduktion in der Struktur des Einzelunternehmens sich in einem Abhängigkeitsverhältnis vollzieht, in dem die Masse der Arbeitnehmer — nach den neuesten Statistiken in der Bundesrepublik über 80% der Erwerbspersonen von den wenigen selbständigen Arbeitgebern abhängig sind. Unter dem Aspekt der Herrschaftsanalyse besteht die Kontroverse darin, daß die marxistische Analyse vom Abhängigkeitsverhältnis in der Produktionssphäre ausgeht und annimmt, die Produktion bestimme die Konsumtion. Daraus folgt der Schluß auf eine von der Produktionsweise bestimmte gesellschaftliche Herrschaftsstruktur, die dann von der diese Produktionsweise rechtlich garantierenden Staatsgewalt mit ihrem Monopollegitimer Gewaltsamkeit abgesichert wird.

Die liberalistische Analyse dagegen geht von den Wahlmöglichkeiten des individuellen Konsumenten aus, der ein alternatives Waren-angebot auf dem Markt vorfindet; sie interpretiert die Produktion für den Markt als Bestimmung der Produktion durch den Markt und sieht darum, wie zuvor erläutert, die Abhängigkeit des einzelnen in der Produktionssphäre durch seine individuelle Freiheit in der Konsumssphäre aufgewogen. Der Staat ist in dieser Perspektive grundsätzlich der Marktgarant, dessen „Ordnungspolitik", wie sie vom Liberalen genannt wird, beispielsweise durch Kartellkontrolle und Wettbewerbs-ordnungen die Marktkonkurrenz der Produzenten und damit die Wahlfreiheit der einzelnen Konsumenten sicherstellen soll. Der Kern der Kontroverse besteht offensichtlich in einer widersprüchlichen Einschätzung der für beide Auffassungen zentralen Struktur des Warentausches, der einerseits eine Herrschaft verfestigende, andererseits eine Herrschaft aufhebende Wirkung nachgesagt wird. Dem liegt eine objektive Widersprüchlichkeit zugrunde, die begrifflich und historisch aufgeschlüsselt werden kann.

Aus der begrifflichen Analyse der Ware als der zentralen Durchgangsform der Produktion für den Markt leitete Marx den Herrschafts-

Charakter dieser Produktionsweise ab in Gestalt des sogenannten „Kapitalverhältnisses". Die fertig produzierte und zum Tausch auf dem Markt bereite Ware hat danach drei Wertbestandteile: einmal den pro Wareneinheit verauslagten Betrag für die sächlichen Produktionsmittel, also Gebäude, Maschinen, Rohstoffe; zum anderen den Betrag, der für die zur Produktion erforderliche Arbeitskraft als Lohn verauslagt wurde, und drittens schließlich den Betrag, der den im Produktionsprozeß erarbeiteten zusätzlichen Wert, den von Marx so genannten Mehrwert, repräsentiert, und der im Tausch der Ware gegen Geld in Geld „realisiert" wird. Dieser im Pro-* duktionsprozeß neu geschöpfte Wert fällt nun demjenigen zu, dem im Tauschakt die Ware gehört. Und das ist eben jenes Unternehmen in seiner Rechtsform als Person oder Personenmehrheit des privaten Rechts, das das in die beiden ersten Wertbestandteile der Ware eingegangene Kapital vorgeschossen hat und das nun die Ware am Markt veräußert.

Was hat es nun mit dem „Herrschaftscharakter“ dieser Produktionsweise auf sich? Dafür müssen wir schärfer präzisieren, was mit dem Begriff des „KapitalVerhältnisses" gemeint ist, um sodann die Einwendungen dagegen zu prüfen.

Der Begriff des „KapitalVerhältnisses" liefert uns einen auf die Struktur des Produktionsprozesses in den entwickelten westlichen Gesellschaften bezogenen und darum strukturellen Herrschaftsbegriff. Er gibt das den Produktionsprozeß leitende und vorantreibende Prinzip an als das Prinzip der Kapitalvermehrung oder Kapitalverwertung, das in Gestalt der Kapitalanleger eine besondere und bevorrechtigte Klasse schafft und erhält. Deren Interessen haben vor den Interessenten der im Produktionsprozeß Arbeitenden strukturell Vorrang, da von der Erhaltung ihrer „Investitionsneigung“ der Fortgang der Produktion und damit auch der Fortbestand der Arbeitsplätze abhängen. Lohnerhöhungen können deshalb immer nur soweit gehen, daß die „Investitionsneigung" nicht gefährdet ist, d. h. das Kapital sich nicht ergiebigere Anlagefelder sucht, bei internationaler Freizügigkeit z. B.

im Ausland. Das Kapital hat gegenüber der Arbeit auch den Vorzug weitaus größerer Mobilität. Dem strukturellen Vorrang des Kapitalkalküls entspricht so schließlich auch die strukturelle Abhängigkeit der im Produktionsprozeß Arbeitenden.

Die Merkmale der Herrschaftlichkeit: Ungleichheit zugunsten Weniger auf Kosten der Vielen und Abhängigkeit der Vielen von den Wenigen, ergeben sich also nicht aus subjektiven „Herrschaftsansprüchen" sondern aus der Struktur, in der die Warenproduktion als „System" organisiert ist. Sie werden zwar im Einzelbetrieb durchaus in der Form von Befehls-und Gehorsamsbeziehungen wirksam und erlebbar. Doch liegt die Herrschaftsstruktur in der Art und Weise, in der alle Betriebe produzieren und ist daher auch im Einzelbetrieb allein, etwa in der Form der Mitbestimmung, grundsätzlich nicht aufzuheben. Dies ist der einfache Sinn der verbreiteten Rede, im Kapitalismus herrsche nicht der einzelne Kapitalist, sondern das „Kapital". Der einzelne „Kapitalist" oder Investor hat nur wie der einzelne Lohnarbeiter oder Angestellte eine vom Kapitalverhältnis vorstrukturierte Rolle, in die er sich einfügen oder aus der er ausscheiden muß. In der modernen Begriffssprache der Systemtheorie, die den Herrschaftsbegriff verschmäht ausgedrückt heißt das: Die eingebaute „Selektivität des Systems" ist asymmetrisch: sie begünstigt wenige Investoren auf Kosten der vielen Lohn-und Gehalts-empfänger, und sie macht jene selbständig und frei und diese abhängig und unfrei.

Auf dem Hintergrund der marxistisch/liberalistischen Kontroverse, die auch die aktuelle politische Diskussion in der Bundesrepublik bestimmt, nehmen wir jene Einwände, die eingangs als Behauptungen bereits vorgestellt wurden, in Frageform wieder auf:

Erstens: Wird die Herrschaftlichkeit des Kapitalverhältnisses durch die Marktfreiheit ausgeglichen, die unstreitig die Grundvoraussetzung der Produktion für den durch Geld vermittelten Warenaustausch ist? Oder wird die Freiheitlichkeit des Marktes gerade durch das eigene Entwicklungsgesetz der Waren-produktion aufgezehrt?

Zweitens: Wird ihre Herrschaft durch die politische Demokratie kompensiert, wie es die „pluralistische" Theorie behauptet? Oder hat umgekehrt die Herrschaftsstruktür der Produktion die Demokratie „transformiert“, um den Ausdruck Agnolis zu gebrauchen in eine neue Form des alten, herrschaftlichen „Staats"?

Betrachten wir im Lichte dieser Frage die andere, von der liberalen Theorie betonte Seite des Markttausches, so leuchtet unmittelbar ein, daß die Warenproduktion als gesellschaftlich bestimmende Produktionsweise „am größtmöglichen Umfang der Marktgängigkeit der Güter" interessiert ist, d. h. die Vervielfältigung des Marktangebots von Gütern und Dienstleistungen in der Warenform mit sich bringt. Der Tausch von Waren gegen Geld und die Auszahlung der Einkommen in Geld universalisieren zudem die Tauschmöglichkeiten, da das Tauschmittel von den zu tauschenden Gütern und Dienstleistungen nach Ort; Zeit, Person und Menge abgelöst ist. Es ist darum gar nicht zu leugnen, daß die Produktion für den Markt auf der anderen Seite, nämlich auf der Seite der Warenabnahme und -Konsumtion, die Möglichkeit des einzelnen mit sich bringt, nach persönlichen Präferenzen unter Alternativen zu wählen. Kompensiert aber diese Freiheit für die Masse der zugleich abhängig Arbeitenden die Herrschaft im Produktionsbereich? Um diese liberale These zu prüfen, müßten wir die Konsumentenfreiheit und davon ausgehend die Marktfreiheit näher analysieren.

Das freiheitliche Element des Markttausches schält sich erst dann ganz klar heraus, wenn wir analytisch die Tauschbeziehungen des Marktes von der Warenform trennen. Das läßt sich an einem einfachen Beispiel zeigen, wo auch die schärfsten Kritiker der Markt-freiheit ungern auf die Wahl verzichten würden: am Heiratsmarkt. Der Heiratsmarkt ist der Prototyp freier Austauschbeziehungen von Angebot und Nachfrage. In diesen Austauschbeziehungen werden Lebensbedürfnisse nach individuellen Präferenzen beschafft, und diese Beschaffung geschieht durch Auswahl unter einer Fülle alternativer Wahlmöglichkeiten. Das Beispiel zeigt zudem, daß die Freiheit der Marktwahl in der Wurzel abhängig ist von der Gleichheit der Tauschpotentiale. Freiheit als Gegensatz zu Herrschaft ist ohne Gleichheit nicht denkbar. Ebenso wird nun einsichtig, daß mit der Einführung der Warenform Herrschaftsbeziehungen in die Marktfreiheit eindringen: auf der Seite, die zur Ware wird, durch den Zwang zum Verkauf, durch die Herstellung von Herrschaftsbeziehungen zu ihrer Produktion, auf der Seite der Abnehmer durch die Kategorie des Warenpreises, die zwar für jene die Auswahl vervielfältigt, die über viel Tauschmittel verfügen, sie aber für jene einschränkt und gar ganz beseitigt, die wenig oder zu wenig bieten können — und die schließlich und nicht zuletzt das Getauschte zur Ware „verdinglicht". Selbst für den Heiratsmarkt kennen wir historische Beispiele der Einführung der Warenform mit ihrer Entmündigung, ihrer Verherrschaftlichung der Familienbeziehungen, die notwendig werden, um dem Kind jene Eigenschaften beizubringen oder zu erhalten, um es auf dem Heiratsmarkt günstig veräußern zu können, und ihren Erscheinungsformen der strukturellen über-und Unterversorgung, der Reduzierung und Verweigerung von Wahlmöglichkeiten auf der Seite der „Abnehmer". Markttausch ist also nicht zugleich Warentausch. Und im Warentausch, mit der Einzwängung der Tauschbeziehungen in die Warenform, ist von der Freiheitlichkeit des Austausches unter Gleichen schon viel, wenn nicht alles verloren.

Die durch die Warenproduktion bewirkte Warenfülle von Gütern und Dienstleistungen und die Vervielfältigung der Tauschmöglichkeiten durch den Tausch von Ware gegen Geld erscheinen uns nun in einem anderen Licht: Sie bedeuten zugleich Unfreiheit und Ungleichheit, wenn die volle Breite der Wahlmöglichkeiten nur für wenige eröffnet, für viele aber eingeschränkt wird. Umgekehrt können wir sagen: der Warentausch, d. h.der Tausch von Waren und Warenäquivalent, also Geld, bewahrt in dem Maße etwas von der Freiheitlichkeit des Markttausches, in dem er etwas von der Gleichheit der Tauschenden bewahrt. Ebenso wie die Rede von der Konsumentensouveränität als Entsprechung zur Volkssouveränität der Stimmbürger nur Sinn gibt, wenn die Stimmzettel des Geldes unter den Konsumenten gleich verteilt sind, laufen seit dem großen Adam Smith alle Vorstellungen von der freien Selbststeuerung des Marktes von Angebot und Nachfrage über den Preismechanismus auf die Annahme der Gleichheit von Anbietenden und Nachfragenden, von Produzenten und Konsumenten hinaus: Damit bei steigendem Angebot und hohen Preisen der Preismechanismus wirksam werden kann, muß der Konsument auf die Konsumtion ebenso souverän verzichten können wie der Produzent auf die Produktion, und das ist unter modernen, verstädterten Lebensbedingungen immer weniger der Fall. Damit bei steigender Nachfrage nicht nur mehr Ware auf den Markt kommt, sondern auch die Preise regulierend fallen, was wir uns heute sowieso nicht mehr vorstellen können, muß der Vielzahl der Konsumenten auch eine entsprechende Vielzahl voneinander unabhängiger Anbieter gegenüberstehen. Wobei im Modell der Ausgleichsfunktion des Markt-preises die Zerstörung auf beiden Seiten bereits mitgedacht war: die Unterschreitung lebensnotwendiger Versorgungsgrade auf seifen der Konsumenten bei steigenden Preisen, den Konkurs auf Seiten des Produzenten bei fallenden Preisen.

Dieser Aspekt führt uns zurück auf unsere Ausgangsfrage: die rationale Kompensation der Herrschaft im Produktionsbereich durch die Freiheit im Bereich der Konsumtion. Wir können diese Frage nicht mehr als statische akzeptieren, sondern müssen die Dynamik des Warentausches in Rechnung stellen. Da das leitende Prinzip der Warenproduktion die Akkumulation ist, wohnt ihr die Tendenz inne, von selbst jene Gleichheit von Waren-und Geldbesitzern im Tauschprozeß aufzuheben, die die von den Marktmodellen vorausgesetzte Bedingung der Freiheitlichkeit des Waren-tausches ist. Ist also die Warenproduktion die gesellschaftlich bestimmende Produktionsweise, so steht ihr der Markt nicht als stabiles Element der Freiheitlichkeit gegenüber, sondern sie tendiert aus sich selbst dazu, dessen Freiheitselement zu verdrängen. An diesem Punkt verschiebt sich die Argumentation auf die Rolle des Staates und die Einschätzung der politischen Demokratie.

Die marxistische Analyse — in allen ihren Varianten — geht im Kern von dem Satz des kommunistischen Manifests von 1848 aus, „die moderne Staatsgewalt“ sei „nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet", d. h. die Privilegierung jener „investierenden Klasse" fortschreibt, die ihre bevorzugte Stellung der Herrschaftlidikeit der Produktionsstruktur verdankt. Der politischen Demokratie kommt dann die Aufgabe zu, diese objektive Funktion des Staates legitimatorisch abzudek-ken. Nach liberaler Auffassung dagegen hat der Staat als Garant der Marktfreiheit die Aufgabe, die herrschaftlichen Tendenzen, die „Auswüchse der Marktwirtschaft", wie sie genannt werden, auf ein erträgliches Maß zurückzuschneiden. Und sie sieht im demokratischen Willensbildungsprozeß der staatlichen Politik das Mittel und die Kraft, diese Aufgabe auch zu erfüllen und damit die Freiheitlichkeit des Gesamtsystems zu gewährleisten. Wir nehmen diese Diskussion auf, indem wir die strukturelle Analyse stärker mit der historischen verknüpfen. Erinnern wir uns der politischen Stoßkraft, die die liberale Theorie in der Geschichte gehabt hat: In Anknüpfung an die Antike schuf sie mit dem öffentlichen Austausch auf dem Markt ein Grundmodell freiheitlicher Sozialbeziehungen unter Gleichen — in Opposition zu den erblich unentrinnbaren Abhängigkeitsverhältnissen ständisch-feudaler Ordnung und politischer Elite-herrschaft. In seiner Stoßrichtung gegen das Vergesellschaftungsmodell des herrschaftlichen „Staates“, die Gleichheit der gehorchenden Untertanen gegenüber dem souveränen Befehl des Monarchen und seiner Bürokratie, war der Markt, „der nicht nach Geburt fragt" das Modell einer „urbanen" Vergesellschaftung ohne herrschaftlichen Zwang, einer von der Kargheit der Natur freigestellten polis: So die historisch brisante Fortschrittsidee der klassischen politischen Marktökonomie

Der Grund für das faktisch-historische Verfehlen dieser Intention gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit liegt in der spezifischen Form der Verwirklichung des liberalen Modells, nämlich in der „Form der Freiheit als Tauschbeziehung von Warenbesitzern, die nur im Tausch von Waren ihre Freiheit realisieren können" Wie der einzelne zu tauschbaren Waren oder dem entsprechenden Geldäquivalent kommt, ist in diesem Modell seine Privatsache. Die Produktion der Waren spielt sich in der Privatsphäre dessen ab, der mit ihnen an den Markt herantritt, und diese Privatsphäre ist nach der Logik der Freiheit, die an den öffentlichen Austauschbeziehungen des Marktes ansetzt, von der Eigentumsgarantie geschützt. Die Eigentumsgarantie hat im Modell den Sinn, die Freiheit der waren-tauschenden Subjekte abzusichern. De facto schützt sie die sich mit der Entwicklung der industriellen Warenproduktion und der an der industriellen Betriebswirtschaft orientierten Rationalisierung der Landwirtschaft herausbildende Herrschaftsstruktur der Produktionssphäre. Die formale Gleichheit der Tauschenden auf dem Markt bringt nun mehr und mehr die unheimliche Ungleichheit zwischen jenen (natürlichen beziehungsweise juristischen) Personen hervor, deren Privatsphäre das ganze Arsenal riesiger Produktionsbetriebe umfaßt, und jenen Personen, deren Privatsphäre nur aus dem Äquivalent für die im Produktionsapparat des anderen geleistete Arbeit umfaßt. Da das Gesetz der Warenproduktion die Akkumulation ist, verschärft sie zudem mit ihrer zunehmenden Entwicklung die Ungleichheit unter den für den Markt produzierenden Warenbesitzern: Bei wachsendem Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz müssen immer mehr Privatunternehmer (also die klassischen „Bürger“) aus dem Konkurrenzkampf ausscheiden und lassen die wenigen marktbeherrschenden Unternehmen übrig. Die Konkurrenz verlagert sich auf die internationalen Märkte, und die nationalen Monopole oder Kartelle verlangen Abstützung und Rücken-deckung durch die politische Gewalt.

Aus dem liberalen Modell wuchert so historisch mit der Industrialisierung eine gesellschaftliche Herrschaftsstruktur hervor, die in dem Maße Schutz beim staatlichen Gewaltap-* parat suchte, in dem die wachsende Zahl der abhängig Arbeitenden in Gestalt der politischen Arbeiterbewegung ihrerseits die als natürlich und unveräußerlich proklamierten Menschenrechte der Freiheit und Gleichheit in Anspruch nahmen. Der politische Liberalismus geriet in einen Zweifrontenkrieg zwischen dem junkerlich-feudal geprägten Staatsapparat und der Sozialdemokratie, in dem die Mehrheit schließlich das liberale Programm fallen ließ und zur Verteidigung ihrer ökonomischen Herrschaftspositionen das wilhelminische Bündnis mit dem Obrigkeitsstaat einging.

Das NS-Regime schließlich lieferte den historischen Beweis, daß die kapitalistische Grundstruktur einer entwickelten Gesellschaft keineswegs notwendig mit der politischen Form der Demokratie verknüpft ist, sondern eine einheitliche Verbindung mit einer politischen Herrschaftsstruktur eingehen kann, deren Geschlossenheit und jederzeit bis zum Terror steigbare Gewaltsamkeit jede Hoffnung auf ihre Beseitigung durch Widerstand von innen heraus zunichte macht. Die Eindrücklichkeit dieses Beispiels bestimmte auch die Einschätzung der Situation nach der Niederringung des Faschismus von außen.

Die herrschaftlichen Züge der Kapitalismus-Struktur waren in der Verknüpfung mit dem Faschismus so offenbar geworden, daß die Zielsetzungen des Neuaufbaus von Demokratie als der politischen Organisationsform von Freien und Gleichen auch die Zielsetzung einer Wirtschaftsverfassung umfaßte, die diese Herrschaftsstruktur ausschloß und darum auch der Abstützung durch staatliche Gewaltsamkeit im Grunde nicht bedurfte Diese Zielsetzung ist als politische in das Grundgesetz eingegangen, das seinen konkreten politischen Sinn aus der alternativen Entgegen-setzung zur faschistischen Herrschaftsstruktur gewann. Schutz und Wahrung der Menschenwürde als die ratio des politischen Zusammenschlusses war der Gegenentwurf zur Entwürdigung des Menschen zum KZ-Insassen.

Das Grundgesetz war der Entwurf einer politischen Ordnung ohne Hobbes'schen Staat, ohne Militär, ohne zentrale Polizei bei Dezentralisierung der Polizei auf der Ebene der Länder, teils sogar der Kommunen, mit ausgefeiltem Rechtsschutz für die individuelle Freiheit gegenüber Eingriffen der Exekutive und — erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte — der Bestellung des Regierungschefs ausschließlich durch das vom Volk gewählte Parlament ohne das selbständige Ernennungsrecht, das noch dem Weimarer Reichspräsidenten als dem Wahrer der Staats-autorität zugestanden worden war und das die Regierung Hitler legalisiert hatte. „Das Bonner Grundgesetz", schrieb einer seiner konservativen Kritiker, „entwirft uns das Bild eines Verfassungslebens ohne ernstes Risiko, von beruhigender Sicherheit und einem beinahe bukolischen Frieden. Wir müssen nur fürchten, daß der tödlichen Bedrohung, unter der das deutsche Volk steht, dieser Friede nicht heilig ist." In dieser Kritik spiegelte sich, daß in der Tat das Grundgesetz die alte Zielvorstellung eines Gemeinwesens, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, aufnahm und historisch weiter trug. Und zugleich spiegelte sich darin der Widerspruch dieser Zielsetzung zu der Reaktivierung der Hob-bes'schen Situation in der geschichtlichen Lage, aus der heraus das Grundgesetz geschaffen wurde: Die unmittelbare Erfahrung bitterer materieller Not in den Nachkriegsjahren und die Angst vor physischer Gewaltsamkeit „aus dem Osten", die massenhafte Erwartung sowjetischer Rache für den Versuch faschistischer „Landnahme".

Die klassischen Herrschaftsgründe des Thomas Hobbes wurden so wieder zu Ausgangs-bedingungen der Wiedererrichtung einer ökonomisch-politischen Herrschaftsstruktur, die im Gegensatz zu den freiheitlich demokratischen Zielsetzungen des Grundgesetzes trat. Hunger und Entbehrungen der Nachkriegsjahre gaben der Ankurbelung und Steigerung der Produktion deutlichen Vorrang gegenüber dem Problem einer freiheitlichen Struktur des Produktionsprozesses selbst. Als Kriterium einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung konnte sogar die Fähigkeit gelten, so schnell und so viel wie möglich Konsumwaren auf den Markt zu bringen. Die millionenfache Erfahrung, daß die Rote Armee die deutschen Divisionen von der Wolga bis zur Elbe zurückgetrieben hatte, ließ den Satz: „Der Russe will an den Atlantik" ebenso plausibel wie angsterregend erscheinen und verhalf so dem Wiederaufbau des staatlichen Gewaltapparats zu schnellem politischen Erfolg — beginnend mit der Entscheidung zugunsten der Wieder-bewaffnung. Die Grundstruktur Hobbes'scher Staatlichkeit von Schutz und Gehorsam setzte sich gegenüber dem demokratischen Kreislaufmodell des Grundgesetzes wieder durch.

Unter der „freiheitlich demokratischen Grundordnung" wurde immer weniger jener ausfüllungsbedürftige Zielbegriff verstanden, den Adolf Arndt noch im Sinne hatte, als er 1960 vom „nicht erfüllten Grundgesetz" sprach. Als Inbegriff der „Freiheit“, also als das, was vor der Bedrohung von außen geschützt werden müsse, erschienen mehr und mehr jene gesellschaftlichen Zustände auf dem Territorium der Bundesrepublik, in die jedoch nach der ökonomischen Dynamik selbst wieder immer mehr herrschaftliche Stränge eingezogen wurden. Keim war die Beibehaltung der Struktur kapitalistischer Warenproduktion, deren Herrschaftspotential in der Verknüpfung mit dem Faschismus für jedermann sichtbar geworden war. Doch gewann das politische Versprechen breites Vertrauen, dieses Potential für die Zukunft gerade durch seine Ablösung von der Zwangswirtschaft und die Wiederherstellung der Marktwirtschaft im Zaume zu halten. Die Gleichheit der Kopfquote von DM 40, — am Tage der Währungsreform ließ an die Rede von der Konsumentensouveränität glauben. Marxistische Analyse, die demgegenüber zu rationalem Mißtrauen hätte verhelfen können, schien angesichts der Erfahrung des „Sozialismus" als Staats-und Militärmacht keine freiheitliche Alternative anbieten zu können und sah sich selbst alsbald zum Freiheitsfeind und damit zum Objekt staatlicher Gewaltmaßnahmen gesetzt. Das Gesetz der Akkumulation entfaltete angesichts leergefegter Märkte mit großer Schnelligkeit seine herrschaftliche Eigendynamik. Es begann jener Prozeß der Rückverflechtung, Fusionierung und Herausbildung marktbeherrschender Unternehmen, den Jörg Huffschmid in seiner Studie über Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik eindrucksvoll beschrieben und zahlenmäßig belegt hat

Als Ludwig Erhard versuchte, mit dem Kartellgesetz die'Rechtsmacht des Staates zur Rettung eines Mindestmaßes an Gleichheit der Konkurrenten und damit von Freiheitlichkeit des Marktes einzusetzen, war es bereits zu spät: Die normative Kraft des Faktischen hatte die Absicherung der Marktmacht des Großbetriebs zum Prüfstein ökonomischer Ra56 tionalisierung erhoben, die nun zum Inbegriff gesellschaftlicher Rationalisierung schlechthin ausgeweitet wurde. Erhard selbst war es, der kurz vor seinem Abschied von der politischen Bühne noch die Losung für die weitere Entwicklung ausgab: Die „formierte Gesellschaft" als das Ziel einer „Reform der deutschen Demokratie". Globalsteuerung, System-rationalität und Einführung moderner Management-und Planungstechniken wurden die Bannersprüche dieser Entwicklungsperspektive. Sie ließ als Zweck nur noch die Erhaltung des Organisationsbestandes und als Mittel das zur Kostennutzenanalyse universell ausgeweitete Renditekalkül übrig. Damit war nicht nur der politische Anspruch offen fallengelassen, die Herrschaftlichkeit der kapitalistischen Produktionsstruktur über die politische Durchsetzung der Marktfreiheit zu rationalisieren, jener Anspruch, mit dem einst ihre Wiedererrichtung gerechtfertigt worden war. Dieser Anspruch ließ sich angesichts der offenkundigen Tatsachen nicht mehr halten.

Statt dessen wurde nun die Festschreibung herrschaftlicher Strukturen entgegen den freiheitlichen Zielsetzungen des Grundgesetzes selbst als Entwicklungsleitlinie bestimmt. Hiergegen richtete sich der Protest der „antiautoritären" Bewegung, der in der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze kulminierte und bekanntlich damit endete, daß der Staatsapparat mit noch größerem Zwangspotential ausgestattet wurde. Damit wächst nicht nur die täglich präsente Gefahr, daß diejenigen, die rollenmäßig über dieses Potential verfügen, freiwillige Zustimmung durch Zwang ersetzen, sondern ganz allein durch die Drohung der Gewaltpräsenz jene Furchtsamkeit erzeugt wird, die Kant als Bedingung des Einverständnisses mit Herrschaft und damit als entscheidendes Hindernis der „Aufklärung" im Sinne gesellschaftlicher Rationalisierung identifiziert hatte 56a). Damit wird ein dem demokratischen Willensbildungsprozeß entgegenwirkender Kreislauf erzeugt. Herrschaft reproduziert sich selbst.

V. Die doppelte Abhängigkeit der Staatsbürokratie

Die klare Herausarbeitung der Tatsache, daß sich die gesellschaftliche Wertschöpfung in der Form der privaten Warenproduktion vollzieht, ist erforderlich, um die fiskalische Abhängigkeit des politischen Systems voll verstehen zu können, die bei einer vom politischen Willensbildungsprozeß ausgehenden Betrachtungsweise immer vergessen oder unterschätzt wird. Wert wird in der privaten Produktion geschaffen und über die Veräußerung der produzierten Waren in Geld realisiert. Der Geldwert fällt an in Form von privaten Gewinnen und privaten Lohneinkommen, aus denen das politische System seine finanziellen Ressourcen in Form von Gewinn-und Lohnsteuern „abschöpft". Dabei macht zwar, wie die Steuerstatistik zeigt, die direkte Lohnsteuer und die Umsatzsteuer, die wiederum indirekt die Lohneinkommen am stärksten belastet, den Löwenanteil der staatlichen Einnahmen aus. Die Abwälzbarkeit der Gewinnsteuern über die Preise auf die Verbraucher und damit auf die Netto-Lohneinkommen kommt noch dazu. Doch ist eben nach der Struktur des Kapitalverhältnisses die Erzielung von Gewinneinkommen die strukturelle Voraussetzung für die Erzielung von Lohneinkommen: Geht die Gewinnerwartung hinter eine Marge zurück, die zur Aufrechterhaltung der privaten „Investitionsneigung“ erforderlich ist, wird Arbeitskraft freigesetzt und das Lohneinkommen der Betroffenen entfällt. Der Staat erhält nicht nur weniger Lohnsteuer, sondern muß auch noch höhere Soziallasten tragen. Die aus Steuern bezahlte staatliche „Wertschöpfung" in Gestalt von staatlichen Löhnen, Sozialleistungen und Investitionen reist also „Huckepack". Der staatliche Autonomie-und Handlungsspielraum ist zweiter Hand. Und daraus folgt, daß ein wesentlicher Teil der abgeschöpften Mittel wieder so verwendet werden muß, daß der Prozeß der privaten Warenproduktion in Gang gehalten wird, um wieder Steuern aus ihm abschöpfen zu können. Hieraus folgt der strukturelle Zwang zur staatlichen Wachstumspolitik, d. h., um die staatlichen Einnahmen zu erhalten und zu verbessern, muß der Staat selbst die Weitere Akkumulation fördern, d. h. dafür sorgen, daß weitere Investitionen in die Warenproduktion immer weiter rentabel bleiben. Da diese Politik gewissermaßen von der Fiskalseite her festgelegt ist, ist auch der Konflikt mit den aus dem politischen Willensbildungsprozeß heraus entwickelten politischen Zielsetzungen angelegt, die sich an den grundgesetzlichen Zielnormen gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit orientieren. Fiskalisch motivierte Politik muß sich ihnen gegenüber legitimieren: Wachstumspolitik z. B. heißt unter legitimatorischem Gesichtspunkt „Vollbeschäftigungspolitik". Ihr erklärtes Ziel ist die Sicherung der Arbeitsplätze und damit der Lohneinkommen der Arbeitnehmer. Da die Lohneinkommen aber in der Struktur der privaten Warenproduktion verdient werden, kann die staatliche Politik nicht direkt, sondern nur indirekt etwas für die Arbeitnehmer-interessen tun — eben dadurch, daß sie direkt die Investitionsneigung der Investoren durch die Verschaffung von Gewinnaussichten anreizt. Sie muß also die von der Struktur der privaten Warenproduktion Begünstigten noch mehr begünstigen, um dadurch mittelbar auch etwas für die Abhängigen tun zu können. Die Politik, die unter dem legitimatorisehen Anspruch auftritt, die gesellschaftliche Gleichheit zu fördern, ist also aufgrund ihrer eigenen fiskalischen Abhängigkeit vom Prozeß der privaten Warenproduktion gezwungen, mit ihren praktischen Maßnahmen deren Struktur gesellschaftlicher Ungleichheit fort-zuschreiben. Sie muß weiterhin Arbeitskraft in den Prozeß der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die sich als Waren absetzen lassen, kanalisieren, um aus diesem Prozeß die Mittel abschöpfen zu können, mit denen allein öffentliche Dienstleistungen finanziert werden können.

Hier setzte die im politischen Willensbildungsprozeß erhobene Forderung nach einer Umschichtung der Ausgaben vom privaten Warenkonsum zu den öffentlichen Dienstleistungen hin an. Die Gründe hierfür sind oft genannt worden: Es war die Rede von dem privaten Reichtum und der öffentlichen Armut, dem Fehlbedarf an Krankenhausbetten, Kindergarten-, Altersheimplätzen und billigen Wohnungen, den überfüllten Schulen und Hochschulen. Der Begriff der „Qualität des Lebens“, gerichtet gegen die Politik der Garantie quantitativer Wachstumsraten, sollte diese Defizite thematisierten und der Forderung nach einer Umorientierung der Ausgabenpolitik die Richtung angeben.

Besondere Anschaulichkeit und Dringlichkeit erhielt diese Forderung angesichts der Lebensbedingungen in den Städten vor dem Hintergrund fortschreitender Verstädterung Betrug 1873 der Anteil der Großstadt-an der Gesamtbevölkerung des Reichs noch nicht einmal 3 0/o, so machte er 1965 über 30 °/o der Bevölkerung der Bundesrepublik aus, 1966 lebten 36 0/o der Gesamtbevölkerung in den zehn größten Verflechtungsräumen. Der Verstädterungstrend wird noch deutlicher, zieht man die relativen Wachstumsraten der Bevölkerung in ländlichen und in verstädterten Räumen heran: Zwischen 1960 und 1965 erhöhte sich die Bevölkerungsdichte in ländlichen Räumen von 116 Einwohnern pro qm auf 122 Einwohner, in Kerngebieten von 1 815 auf 1 895 und in den Umlandzonen der Verflechtungskerne von 183 auf 207. Bei zunehmender städtischer Agglomeration, die von der staatlichen Strukturpolitik unter dem Gesichtspunkt des Wachstums der Gesamtwirtschaft noch gefördert wird, gewinnen aber für das Lebensniveau zunehmend Leistungen an Bedeutung, die von der öffentlichen Hand erstellt werden müssen: von der Kanalisation, der Wasserversorgung und den Verkehrsanlagen über die zuvor genannten Einrichtungen der „Daseinsvorsorge", die einst der ländliche Haushalt — wenn auch mehr schlecht als recht, so doch wenigstens überhaupt — hatte abdecken können, bis zur ästhetisch befriedigenden Gestaltung'von Stadtbild und Wohnquartier, die ohne erhebliche finanzielle Aufwendungen nicht zu haben sind.

Es war darum kein Zufall, daß der Begriff der „Lebensqualität“ besonders bei Betrachtung der städtischen Szene verstanden und von den Kommunen aufgegriffen wurde. Der Appell des Deutschen Städtetages von 1971 „Rettet unsere Städte jetzt" war darum der dramatische Ausdruck der Forderung nach einem vermehrten öffentlichen Ausgabenvolumen auf Kosten des individuellen Konsums und seiner Orientierung an den Lebensansprüchen, die bei städtischer Lebensweise durch individuelle Kaufakte am Markt nicht mehr befriedigt werden können. Dem entsprach die Erfahrung, daß sich die destruktiven Begleiterscheinungen der industriellen Güterproduktion, insbesondere der in den Verflechtungsräumen konzentrierten Wachstumsindustrien mit ihren hohen Verschmutzungsgraden von Luft und Wasser und ihren Abfallproblemen gerade in den verstädterten Räumen konzentrieren. Folglich werden auch hier die Maßnahmen zur Kompensation dieser Schäden mit ihren entsprechenden Aufwendungen besonders dringlich und ihre Notwendigkeit zur Sicherung von „Lebensqualität" unmittelbar anschaulich.

Nun lassen sich alle diese Leistungen grundsätzlich auch in der Warenform erbringen, nur treten dann eben die bekannten Rationalitätsverluste auf. Im Falle der Umweltbelastung z. B. lassen sich Antitechnologien entwickeln und Umweltschutzgüter produzieren und verkaufen. Der Staat kann durch Reinhaltungsvorschriften einen künstlichen Markt er-21 zeugen, auf dem von den verschmutzenden Industrien Reinhaltungseinrichtungen nachgefragt werden müssen, die von anderen Industrien hierfür produziert und angeboten werden. Auf diese Weise lassen sich viele Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen; das Wachstum der Warenproduktion nimmt zu und der Warenexport läßt sich weiter steigern. Zu fragen ist nur, ob dies ein sinnvoller Einsatz der insgesamt verfügbaren Arbeitskraft ist, ob sie nicht an anderer Stelle dringender gebraucht wird. Das führt auf die Gebiete struktureller Unterversorgung zurück. Auch Leistungen wie Krankenversorgung und Unterricht lassen sich in der Warenform erbringen. Privat-Krankenhäuser und Privatschulen können durchaus rentabel betrieben werden, wenn die Preise entsprechend hoch gesetzt werden. Auch der Staat kann sich dem anpassen. Rationalisierung der Bundesbahn heißt: unrentable Strecken stillegen und die Fahrpreise erhöhen, also die Leistungen einschränken. Auf diese Weise sind z. B. die privat betriebenen amerikanischen Eisenbahnen bis auf einige lukrative Linien verschwunden. Der Numerus, clausus an den Hochschulen könnte aufgehoben und die Überfüllung schlagartig beseitigt werden, wenn so hohe Gebühren erhoben würden, daß nur so viele Studenten sich den Hochschulbesuch leisten könnten, wie Plätze vorhanden sind. Nach der Einkommensstruktur der privaten Warenproduktion wären dies freilich die Töchter und Söhne der Bezieher von Gewinneinkommen und Spitzengehältern.

Diese Kontrastbeispiele zeigen, daß die Forderung nach Ausdehnung und Umorientierung der öffentlichen Ausgaben darauf gerichtet ist, strukturelle Unterversorgung zu vermeiden, die die Warenform bei Leistungen mit sich bringt, die nicht durch Massenproduktion billig vermehrt werden können. Das ist typischerweise gerade bei den qualitativen Dienstleistungen der Fall, die nur über den zusätzlichen Einsatz qualifizierter Arbeitsplätze vermehrt werden können, also z. B. von Lehrern, Sozialarbeitern, Ärzten und Krankenschwestern. Gerade weil sich ihre Produktivität durch Erhöhung des Kapitaleinsatzes pro Arbeitsplatz, d. h. in der privatkapitalistisch rentablen Form, nur in engen Grenzen steigern läßt, muß deren Produktion zunehmend vom Staat organisiert werden. Das sind die von Vogt genannten „Gründe der ungleichmäßigen technischen Entwicklung“. Ein anderes aber kommt hinzu: Da das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit einem jeden zusteht, ist im Rahmen des Grundgesetzes keine Politik zu rechtfertigen, die diese Leistungen etwa nach dem Kostendeckungsprinzip für jene reserviert, die nach der Ungleichheitsstruktur des Kapitalverhältnisses notwendigerweise die höchsten Einkommen beziehen. Die unter dem Stichwort der „Qualität des Lebens" betriebene Politik der Übernahme von Dienstleistungen, die für das Lebensniveau immer wichtiger werden, durch den Staat und ihre Finanzierung aus allgemeinen Steuermitteln ist darauf angelegt, die durch die Warenform bedingte Ungleichheit der Versorgung auszuschalten und sie den grundgesetzlichen Zielnormen gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit aller näherzubringen. Das hat freilich zur Voraussetzung, daß an die Stelle von Gewinnerwartung und Marktpreis ein anderer Mechanismus der Zuordnung von Ressourcen und Leistungen tritt. Ein solcher ist in Gestalt des demokratischen Willensbildungsprozesses „an sich" auch bereits vorhanden: die Bürger artikulieren im Prozeß politischer Auseinandersetzung ihre Wünsche und klären die Leistungsstandards für eine ihnen ausreichende Versorgung ab. Die politische Diskussion schält heraus, welche Aufwendungen dafür erforderlich sind. Die Bürger entscheiden in Abstimmung direkt oder über ihre gewählten Vertreter, wieviel Arbeitskraft sie in Gestalt von Steuern dafür aufzuwenden bereit sind und wieviel sie in die Produktion individuell konsumierbarer Waren stecken wollen.

Das ist freilich ein Modell, dem die Wirklichkeit widerspricht. Doch die institutioneilen Regeln, nach denen mit gleichem Stimmrecht aller Volljährigen die Parlamentarier und Stadtverordneten gewählt werden, die nach den politischen Prioritäten, mit denen sie sich zur Wahl gestellt hatten, über Umfang und Art staatlicher Einnahmen und Ausgaben in Gestalt des Haushalts beschließen sollen, empfangen von diesem Modell her ihren Sinn. Diesem in die bestehenden demokratischen Institutionen eingebauten Sinn wird allerdings von der Struktur des gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozesses, aus dem der Staat seine Einnahmen ziehen muß, entgegengewirkt. D. h., die vorausgesetzten Wahlmöglichkeiten des demokratischen Willensbildungsprozesses, die für eine Umschichtung von privaten Konsum auf die öffentlichen Dienstleistungen erforderlich wären, bestehen de facto nicht, weil die öffentlichen Ausgaben nur „huckepack" finanziert werden können.

Vom einzelnen Verbraucher und Staatsbürger her gesehen sieht das so aus: Er hat auf dem Warenmarkt eine Fülle von Wahlmöglichkei-B ten zwischen Schwarz-Weiß-und Farbfernsehern, Autos verschiedener Karosserie usw. Die Alternative zwischen Fernseher und Krankenhausbett wird hier jedoch nicht gestellt. Hat der einzelne erkannt, daß er zwar einen Farbfernseher wählen kann, dafür aber, wenn er krank wird, im Krankenhaus auf dem Flur schlafen muß oder gar kein Bett bekommt, taucht die Frage auf, ob es nicht rationaler sei, statt für noch mehr Fernseher, Cassettenrecorder und Stereoanlagen, für mehr Kankenhausbetten mit entsprechender ärztlicher Versorgung zu arbeiten, d. h. für die Umschichtung vom sogenannten privaten auf den sogenannten öffentlichen Bedarf. So einleuchtend das ist, so schwierig ist es jedoch in der gegenwärtigen Struktur zu realisieren. Denn hörten die Menschen auf, für noch mehr Waren zu arbeiten, so gingen die staatlichen Einnahmen zurück und es gäbe noch weniger Krankenhausbetten als vorher. D. h., um eine bessere öffentliche Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, müssen vorab stets noch mehr Waren produziert und abgesetzt werden, damit aus den nachträglichen Abschöpfungsbeträgen auch mehr Krankenhausbetten finanziert werden können. Die Alternative Farbfernseher oder Krankenhaus-bett, die der Vorstellung einer „Umschichtung" vom privaten zum öffentlichen Bedarf zugrunde liegt, ist also in der Struktur der Wertschöpfung durch Warenproduktion und nachträglicher fiskalischer Abschöpfung gar nicht zu stellen. Die Alternative heißt: mehr Krankenbetten nur dann, wenn zuvor für mehr Fernseher gearbeitet worden ist. Der private Konsum behält seinen strukturellen Vorrang, weil die private Warenproduktion strukturellen Vorrang besitzt und den Konsum erfordert. Die Formel von der „Qualität des Lebens", die einst eine alternative Zielrichtung hatte angeben sollen, wird nun unter Berücksichtigung dieses strukturellen Zusammenhangs umgewendet. So lautet nun nach einer Forderung der Bremer Deputation für Wirtschaft und Außenhandel vom April 1973 die Devise: Stärkung der Lebensqualität durch Industrieansiedlung.

Der hier beschriebene Widerspruch ist auf Grund der doppelten Abhängigkeit des Staates, der fiskalischen wie der legitimatorisehen, in das politische System der Bundesrepublik eingebaut. Ihm entspricht der Gegensatz zweier gegenläuliger Rationalisierungsstrategien: der fiskalisch-administrativen und der politisch-programmatischen. Die administrative Strategie geht von der gegebenen Produktionsstruktur und der fiskalischen Abhängigkeit des Staates aus und nimmt in Kauf, die Zielsetzungen des Grundgesetzes so weit einzuschränken, bis sie sich in diese Struktur fügen. Die politische Strategie nimmt demgegenüber die legitimatorischen Ansprüche ernst und besteht auf ihrer fortschreitenden Verwirklichung als dem Sinn aller historischen Rationalisierung.

VI. Rationalisierung als administrative Strategie—und ihre ultima ratio

Der administrativen Rationalisierungsstrategie wird das betriebswirtschaftliche Kosten-kalkül zum zentralen Argument. Die Strategie setzt an der Einnahmen-wie an der Ausgabenseite an Auf der Einnahmenseite sucht sie durch die Schaffung von Investitionsanreizen durch Wachstumspolitik das Gesamtvolumen des abschöpfbaren Einkommens aus der Warenproduktion zu steigern. Diese „langfristige" Strategie kann durchaus mit „kurzfristigen“ Maßnahmen zur Steuerentlastung zum Zwecke der Konjunkturbelebung kombiniert sein. Die Hoffnung ist in jedem Falle, eine staatliche „Wachstumsdividende" zu erzielen, die nicht nur die Reinvestitionen in die Wirtschaftsförderung und die Abdeckung der Wachstumskosten ermöglicht, sondern dar-über hinaus noch einen Überschuß zur Verbesserung der Lebensqualität erbringt. Hierbei stößt sie jedoch auf strukturelle Grenzen und ökonomische Gegenstrategien.

Da jetzt bereits ein empfindliches Ungleichgewicht zwischen privater Warenproduktion und der Produktion öffentlicher Dienstleistungen besteht, dürfte bei weiterem Wachstum der Warenproduktion auch das Ungleichgewicht konstant mitwachsen. Deshalb käme es zu seiner Verringerung auf die vielberufene Verbreiterung des öffentlichen Korridors an. Der Abschöpfung aus Gewinnen ist jedoch strukturell jene Grenze gesetzt, bei deren überschreiten die Investitionsneigung soweit zurückgeht, daß Schrumpfungsprozesse und damit Einnahmenrückgänge ausgelöst würden. Der Abschöpfung aus Löhnen ist die Grenze gesetzt, die von einer Gefährdung der Gesamtnachfrage nach Waren markiert ist. Innerhalb dieser Grenzen wirkt einer anteils-23 mäßigen Ausdehnung der staatlichen Abschöpfung zugunsten erweiterter staatlicher Leistungen der Inflationsmechanismus entgegen, der den Staat zur . Stabilitätspolitik'zwingt: d. h., er kann zwar im Boom mehr abschöpfen, darf aber gerade dann nicht mehr ausgeben, sondern muß die Mittel stillegen, um sie in der Rezession via Investitionsanreize, öffentliche Aufträge und Schaffung von Massenkaufkraft in die Warenproduktion zurückzupumpen. Aus dieser Zwangslage des Staates heraus ist derzeit auch die Forderung nach einer Verbreiterung des staatlichen Korridors zur Produktion von mehr Lebensqualität wieder zu den Akten gelegt.

Da unter diesen Umständen die Einnahmen-seite praktisch zugemauert ist, liegt der Schwerpunkt der fiskalischen Rationalisierung auf der Anpassung der Ausgabenseite an den Einnahmenplafond, d. h., die staatlichen Dienstleistungen, von denen unter städtischen Lebensbedingungen zunehmend das Lebensniveau der Bevölkerung abhängt, richten sich nach dem Rotstift der Stabilitätspolitik und nicht nach politisch gewählten Leistungsstandards, wie es die neue Zielformel von der Qualität des Lebens gegenüber dem quantitativ bestimmten Lebensstandard einst verheißen hatte. Dies ist als die „kostenorientierte" Rationalisierung — im Gegensatz zur . qualitätsorientierten“ Rationalisierung — beschrieben worden*“), da ihr Kosteneinsparungen als Rationalisierungserfolg auch dann erscheinen, wenn die Qualität der Leistung darunter leidet. Das wurde am Beispiel des Schienenverkehrs bereits erläutert. Das Beispiel zeigt jedoch auch, daß die fiskalische Rationalisierung inzwischen gelernt hat, ihr Kostenkalkül langfristig anzulegen, wie es dem stabilisierten Großbetrieb entspricht. Als sich nämlich absehen ließ, daß die Stillegung unrentabler Nahverkehrsstrecken gesamtwirtschaftlich dadurch zu einer Wachstums-schranke zu werden drohte, daß nicht genügend Arbeitskräfte zu den Produktionsstätten und Kunden zu den Großeinkaufsstätten transportiert werden könnten, erhielt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrssystems verkehrspolitische Priorität trotz kurzfristiger Rentabilitätsverluste für die Deutsche Bundesbahn als Betrieb. Dagegen kann z. B. die Post durch Einschränkung der Briefzustellung rationalisieren. Doch läßt sich gerade an der Finanzierung des Verkehrsausbaues die gesellschaftliche Schlagseite auch der langfristigen fiskalischen Rationalisierung zeigen. Die öffentlichen Nahverkehrssysteme, wie sie in den westdeutschen Großstädten derzeit ausgebaut werden, werden in ihrer Erstellung voll aus den öffentlichen Haushalten finanziert. Die Vorteile der erhöhten Standortgunst werden also im Sinne der produktivitätsorientierten Strukturpolitik für die Arbeitsplätze anbietenden Unternehmen kostenlos vom Staat erstellt. Gegenüber den diese Arbeitsplätze aufsuchenden Benutzern ist er dagegen nicht so großzügig, denn der Betrieb der Verkehrssysteme ist nicht kostenlos. Die Forderung nach dem Null-Tarif galt politisch der Aufhebung dieser Ungleichheit, scheiterte aber am Kostenargument. Und Rationalisierung der Nahverkehrsbetriebe heißt immer noch, die Fahrpreise zu erhöhen, statt die Fahrpreise zu senken und die Forderung nach dem Null-Tarif als unvernünftig zurückzuweisen.

Die kostenorientierte Rationalisierungsstrategie trifft also ganz bestimmte Ausgabenbereiche und verschont andere. Das Auswahlkriterium, das dahinter steht, lautet: die Einnahmeerwartung darf nicht gefährdet werden, da sie strukturell nicht ausgedehnt werden kann. Die Wirkungen lassen sich aufzeigen, wenn wir die Ausgabenarten der öffentlichen Haushalte kurz durchgehen Unter den staatlichen Gesamtausgaben liegt der Block der Transferzahlungen, d. h. vor allem der Renten und Subventionen, mit einem Anteil von 40 “ /• relativ fest — nicht nur, weil sie gesetzlich festgeschrieben sind, sondern weil sie als Rentabilitätszuschüsse wie im Falle der Subventionen oder als Ausgaben zur Sicherung von Massenkaufkraft wie im Falle der Renten hohe Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der gegenwärtigen Produktionsstruktur haben. Ähnliches gilt für den Staatsverbrauch an laufenden Beschaffungen mit einem Anteil von rund 20 °/o, der ja nicht nur Papier und Radiergummi umfaßt, sondern auch die kostspieligen und technologisch hochgezüchteten Waffensysteme, deren Anreizwirkung für die Entwicklung der großindustriellen Produktivität bekannt ist. Es bleiben die Personalausgaben und die Investitionen mit je rund 20 °/o, wobei unter den Investitionen wiederum die Bauinvestitionen mit 80 0/o den Löwenanteil stellen, die vor allem im kommunalen Bereich anfailen.

Dieser Investitionsanteil der öffentlichen Haushalte aber ist der einzige, der als konjunkturpolitische Manövriermasse einsetzbar ist, weswegen mit dem Stabilitätsgesetz gerade die Gemeindeausgaben in die Strategie der Globalsteuerung einbezogen werden sollten. Das bedeutet aber im Rahmen der fiskalischen Rationalisierung,'daß der Einsatz von Investitionsmitteln nach dem Kriterium der Konjunkturlage gesteuert werden muß. Die Administration gewinnt damit ein eigenes Entscheidungskalkül: die Reaktion auf die zyklische Bewegung der freigesetzten Waren-produktion. Anders ausgedrückt: Die Koppelung der Ausgabengebarung an die programmatische Zielsetzung der Politik, etwa das Programm der Verbesserung städtischer Lebensqualität, muß gelöst oder umgekehrt werden, indem die programmatische Zielsetzung der konjunkturellen Entlastungsfunktion angepaßt wird.

Als Feld kostenorientierter Rationalisierung bleibt danach der Bereich der Personalausgaben, der unter dem Gesichtspunkt der Erbringung staatlicher Dienstleistungen vielfach mit dem Bereich der Bauinvestitionen verknüpft ist: Man denke nur an den Zusammenhang von Schulbau und Lehrpersonal, Krankenhausbau und Gesundheitspersonal. So ist es möglich, daß aus konjunkturellen Gründen zwar Schulen und Krankenhäuser gebaut werden, Schulklassen aber trotzdem groß und Patienten unterversorgt bleiben, weil aus Gründen der Personalkostenrationalisierung das zur Leistungssteigerung erforderliche Mehr-personal nicht eingestellt werden kann. Gerade im Bereich der Personalkosten werden die drei zentralen Taktiken der fiskalischen Rationalisierungsstrategie wirksam: Streichen, Umschichten und Intensivieren. Angesichts der Personalintensität öffentlicher Dienstleistungen erweisen sie sich alle als Leistungsverschlechterungen. Die Sicherungen des öffentlichen Dienstrechtes beschränken das Streichen auf Stellen, ihre Nichtbesetzung, ihr Auslaufenlassen, ihre Unterdotierung. Die Umschichtungstaktik fällt quantitativ weniger ins Gewicht und zeigt sich vor allem in ihrer negativen Variante: d. h. in der Bremsung einer von den qualitativen Standards einer Leistungsverwaltung „an sich" gebotenen Umschichtung von den Funktionen des traditionellen Machtapparates, Militär, Polizei, Justiz, allgemeine Verwaltung zu den Dienstleistungsfunktionen des Bildungs-, Gesundheits-und Sozialbereichs — und innerhalb des Machtapparates, z. B.des Strafvollzugs, von den „Schließern" zu den Sozialarbeitern.

Der dritte Bereich umfaßt die organisatorische Rationalisierung im engsten Sinne als Technisierung und Mechanisierung, vor allem also den Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung. Es ist viel kulturkritisches Aufhebens um die Ersetzung des Schalterbeamten durch den Computer und das Verhängnis des Molochs Technik gemacht worden. Richtig ist, daß das Ziel auch dieser Rationalisierungsform die Personalersparnis ist und damit Einbußen in der Qualität der Dienstleistungen verbunden sind, etwa, wenn dem Verwaltungskunden von der Steuerverwaltung die Ausfüllung computergerechter Mammutformulare für zentrale Datenverarbeitungsanlagen zugemutet wird, bei Rückgang der Chancen individueller Beratung. Dem ist jedoch mit Recht entgegengehalten worden daß die Computertechnik an sich die Vervielfältigung des Leistungsangebots erlaubte, beispielsweise den Anschluß einer beliebigen Zahl von Ein-und Ausgabestellen an einen zentralen Datenspeicher. Diese Stellen, mit Sachbearbeitern besetzt, würden „an sich" eine Individualisierung und Bürgernähe der Steuerberatung bei hoher Präzisionsleistung erlauben, wie sie die klassische Steuerverwaltung nie gekannt hat. Der Punkt ist, daß das zentrale Argument für den EDV-Einsatz eben nicht das technische Argument ist, das an sich eine erhebliche Qualitätsverbesserung erlauben würde, sondern das fiskalische, das von den technisch „an sich* gegebenen Möglichkeiten diejenigen auswählt, mit denen möglichst viel Personal wegrationalisiert werden kann — und das heißt eben zentraler EDV-Einsatz ohne korrespondierende Dezentralisierung.

Auch hier richtet sich die Rationalisierungsstrategie also nicht nach politisch diskutierten und gewählten Leistungsstandards, sondern nach der schlichten Übernahme des betriebswirtschaftlichen Kostenkalküls: Erhöhung des Kapitaleinsatzes pro Arbeitsplatz auf die öffentliche Verwaltung. Ähnliche Rationalisierungstendenzen in anderen Dienstleistungsbereichen werden nach diesem Beispiel in ihrer Fragwürdigkeit erkennbar, wie die Herabsetzung der Krankenhausverweildauer und der Regelstudienzeiten zur Erhöhung der Umschlaggeschwindigkeit pro Krankenbett und Studienplatz mit ihren fiskalischen statt wirklich „leistungsorientierten" Standards für Heil-bzw. Studienerfolg. Es sind die Kostensenkungskalküle der Massengüterproduktion, die als Rationalisierungsstrategie ausgegeben werden und deren Verlust an rationalem Sinn hier nur besonders deutlich wird. Das läßt darum zurückfragen, ob nicht auch im Betriebsbereich der Güterproduktion ganze Kostenarten dabei nicht mitkalkuliert werden, wie etwa der Verschleiß an Nerven und Arbeitskraft, der im Kapitalkalkül nicht auftaucht.

Die fiskalische Rationalisierung trennt zwangsläufig das administrative Handeln des Staates von der Politik ab, sofern Politik den Prozeß der inhaltichen, programmatischen Zielbestimmung meint, der nach dem Grundgesetz von den Wählern über die Parteien und das Parlament laufen und so die Staats-bürokratie anleiten soll. Sie weist die politisch-demokratische Zieldiskussion mit dem Knappheitsund Kostenargument ab oder dreht sie um, wie am Beispiel der Zielformel von der Qualität des Lebens in verschiedenen Teilbereichen gezeigt wurde. Die fiskalische Rationalisierung tendiert also zu einer spezifischen Entpolitisierung der Politik. Sie äußert sich im Verschwinden des Parlamentseinflusses auf die Haushaltsplitik, in der Entleerung der Haushaltsdebatten von programmatischer Zieldiskussion und in der Verschiebung der Auseinandersetzungen auf die konjunkturellen Auswirkungen. Die Gewährleistung einer günstigen Wachstumsrate der Warenproduktion und die mittelbare Beeinflussung der Warenpreise werden gegenüber den inhaltlichen Zielsetzungen der Politik zur eigentlichen Hauptsache. Die Verselbständigung der administrativen Politik gegenüber dem Parlamentseinfluß spiegelt sich in der Disziplinierung der Programmdiskussion innerhalb der Parteien und den Tendenzen zur Entschärfung der politischen Diskussion in den Großapparaten der Massenmedien. Das fiskalische Entscheidungskalkül der Verwaltung mit seiner inneren Abhängigkeit von den ökonomischen Mitteln des Steueraufkommens wird so gegen politische Kritik, die von den Zielnormen des demokratischen Prozesses ausgeht, schon im Vorfeld abgeschirmt. Seine Verselbständigung gegenüber der Legitimationsseite soll damit abgesichert werden, daß die inhaltlichen Zielforderungen selber als illusionär, Utopisch und unvernünftig abgetan oder gar als unzulässig aus der politischen Diskussion ausgeschlossen werden.

Das administrative Handeln wird von der inhaltlichen Anleitung durch den demokratischen Willensbildungsprozeß abgekoppelt: Das ist eine reale Tendenz. Sie stärkt das herrschaftliche Element des Staatsapparats, indem sie die institutionellen Vorkehrungen zu seiner inhaltlich-demokratischen Rationalisierung von außen zurückdrängt oder unterläuft. Damit wird die andere Seite, die fiskalische Abhängigkeit des Staatsapparats, vorherrschend. Diese Abhängigkeit besteht gegenüber einem Wertschöpfungsprozeß, der sich selbst in einer Herrschaftsstruktur voll-B zieht, die sich in ihren entwicklungsbestimmenden Teilen, den marktbeherrschenden Großunternehmen, ebenfalls von der ihr zugedachten rationalen Außenlenkung über den Markt losgemacht hat.

Die herrschaftlichen Strukturelemente gegenwärtiger Gesellschaft schließen sich über den wechselseitigen Austauschprozeß von produktivitätsorientierter Wachstumspolitik und fiskalischer Abschöpfung kurz. Sie stützen sich gegenüber dem antiherrschaftlichen Strukturelement des demokratischen Willensbildungsprozesses durch die Ökonomisierung der Staatsausgaben ab. Daß dies als Rationalisierungsstrategie ausgegeben werden kann, ist eine Leistung der auf die Politik angewendeten modernen Systemtheorie und ihres fremd-wortreichen, verschleiernden Jargons. Aus den widersprüchlichen institutionellen Strukturelementen, Parlamenten, Verwaltungen und Gerichten macht sie das „Staatsverwal-tungssystem" mit der Gewaltenteilung als „Innendifferenzierung" Da das System aus institutioneilen Rollenbeschrieben besteht, in der Systemsprache: aus „generalisierten Verhaltenserwartungen 1', d. h. also nicht aus den Stelleninhabern selbst, verlaufen die Grenzen des Systems gegenüber dem eigenen Personal, dem Publikum und der Politik, die die „Umwelt" des Systems bilden. Die Funktion des Systems ist, laufend verbindliche Entscheidungen zu fällen. Soweit die Beschreibung. Die Empfehlung der Systemtheorie lautet: „Invarianthalten" der Systemgrenzen, also Abtrennung der laufenden Entscheidungsfindung von der Politik, Beschränkung der Politik auf die Beibringung „generalisierten Konsenses“ für die „Selektionsleistungen des Systems", „interne Selbstprogrammierung", „Verstärkung der Selektivität durch wissenschaftliche Selbstreflektion" der Verwaltung

Warum? Die Umwelt von Politik und Publikum ist für den Systembestand gefährlich komplex; die „Komplexität" muß systemintern „reduziert" werden, um den Bestand zu sichern: „Die Umweltproblematik wird in systemeigene Begriffe gefaßt, als systemeigene Problematik widergespiegelt und nach gelernten Reaktionsmustern bearbeitet. Deshalb kann man sagen, daß ein System rational ist in dem Maße, als es seine Probleme bestands-sicher formulieren und lösen kann. Rationali-tat in diesem Sinne ist mithin eine Systemkategorie. Sie bezieht sich nicht auf inhaltlich vorgezeichnete Werte oder Wirkungen des Handelns, sondern auf Erhaltung einer relativ einfachen, begrenzten und dadurch dem menschlichen Erlebnispotential angepaßten Systemordnung in einer überkomplexen Welt."

Also: Jedes System, das seine Probleme bestandssicher formulieren und lösen kann, ist rational. Wie es das fertigbringt, zu wessen Gunsten und zu wessen Lasten, ist gleichgültig, denn Rationalität bezieht sich nicht auf inhaltlich vorgezeichnete Normen, beispielsweise auch nicht auf die Zielnormen des Grundgesetzes. Unter dem Aspekt des Systembestandes sind alle Lösungen gleich — „funktional äquivalent", wie es bei Luhmann heißt—: herrschaftliche und freiheitliche, gewaltsame, die den „generalisierten Konsens" erzwingen, und friedliche, die ihn durch Überzeugung gewinnen.

Soweit der Beitrag der Wissenschaft zur Aufhebung des politischen Unterscheidungsvermögens, der alle Strategien zur Bestandssicherung einer institutioneilen Systemordnung für rational erklärt, wenn sie nur Erfolg haben. In dieser Perspektive ist es dann allerdings richtig, „daß konservative Kräfte sich nur noch als Opportunisten halten können, während die Linke in der Bewahrung ihrer immer noch nicht erfüllten Ideale konservativ wird"

Dieser moderne Begriff der Systemrationalität tilgt gerade das Element, das dem Begriff der Rationalisierung den Sinn gibt, das Element der Ratio, dessen Wortsinn die vernünftige Berechnung ist. Es verschwindet die Vernunft, es bleibt die Berechnung allein übrig. Diese Leistung der Wissenschaft wird realisiert als Teil einer Strategie, die legitimatorischen Ansprüche soweit zu entleeren, daß sich mit ihnen alles rechtfertigen läßt und sie nichts mehr anmahnen. Auf eine solche Ausflucht ist die administrative Rationalisierungsstrategie auch angewiesen. Zwar kann sie den anscheinend so „weichen" politischen Zielkriterien gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit das „harte" Kostenkalkül entgegenstellen. Doch muß sie sich immer noch ihnen gegenüber rechtfertigen. Und das fällt ihr um so-schwerer, da ihr Trumpf des Knappheitsarguments gezinkt ist. Es spiegelt nicht die wirkliche gesellschaftliche Knappheit wider, nämlich die Grenzen der natürlichen Ressourcen und des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens, sondern lediglich die künstliche Knappheit des aus zweiter Hand finanzierten Staatshaushalts. Und da ihr der Weg einer Ausdehnung des Staatshaushalts auf Kosten der privaten Wertschöpfung, den sie selbst für vernünftig erklärt, auf Grund der eigenen fiskalischen Abhängigkeit von ihr verbaut ist, muß sie das Gegenteil von dem tun, was sie will. Sie muß eben bei den öffentlichen Dienstleistungen sparen, die sie erweitern will, weil in einer entwickelten — und das heißt verstädterten — Gesellschaft das Lebensniveau der Vielen zunehmend von einer solchen Erweiterung abhängt.

Die von John Kenneth Galbraith neu erweckte Hoffnung, „der Staat" — und wie es in den deutschen Varianten heißt, der „starke Staat" — der modernen Industriegesellschaft werde die außer rationale Kontrolle geratene Warenproduktion des Industriesystems wieder „in den Dienst sozialer Ziele stellen" geht im Wege der herrschenden administrativen Rationalisierung nicht auf. Sie kann auch nicht aufgehen, weil der bürokratisch organisierte Staatsapparat selbst eine Herrschaftsstruktur ist, die im Hinblick auf jene von Galbraith gemeinten sozialen Zielsetzungen selbst der politischen Außensteuerung bedarf. Diese aber sucht die Strategie der Verwal-tungsrationalisierung gerade abzukappen. Damit beraubt sie sich selbst der politischen Kraft, die erforderlich wäre, um die fiskalische Abhängigkeit zu lösen und liefert sich ihr statt dessen um so stärker aus.

Zur Lenkung der Entwicklung in Richtung auf die sozialen Zielsetzungen gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit ist eine politische Strategie erforderlich, die über den Weg des demokratischen Willensbildungsprozesses den Staatsapparat anleitet. Denn dieser bringt aus sich selbst die Tendenz zur Verselbständigung der Administration gegenüber der Politik hervor, die die herrschaftlichen Strukturelemente auf Kosten der demokratischen Ziel-ansprüche stärkt. Daraus folgt auch ihre gro-ße Gefahr. Denn die mangelnde Überzeugungskraft dessen, was sie als Rationalisierung ausgibt, ist durch Gewalt zu ersetzen.

Die ultima ratio der Herrschaft war stets die Gewalt. Aus diesem Grunde ist die Ansammlung und Konzentration von staatlichem Gewaltpotential in der Demokratie so bedenklich und steter Anlaß zur Wachsamkeit. Denn Ge-waltsamkeit als Ersatz für rationale Überzeugung trifft zunächst jene, die an der Rationalität der herrschenden Politik Zweifel äußern und die man deshalb aus der Politik auszuschließen versucht. Doch dieser Zweifel ist das politisch fruchtbare und historisch weiterbringende Element, das freilich nur um den Preis der Auseinandersetzung mit historisch rückwärts gewandten Positionen zu haben ist. Das Verbot politischer Kritik in der Form des Verbots politischer Parteien ist deshalb für eine freiheitlich-demokratische Verfassung ebenso problematisch wie die Aberkennung individueller Grundrechte. Grundrechte können nicht aberkannt werden — oder sie sind keine. Daß das Grundgesetz beides zuläßt, widerspricht seinen eigenen Zielgrundsätzen und ist nur aus der Angstsituation zur Zeit seiner Entstehung erklärbar: Der Angst vor dem „inneren Feind“ als dem Agenten der als real empfundenen „Bedrohung aus dem Osten".

Die Vernunft der Demokratie zeigt sich in der Nichtanwendung dieser Vorschriften, die im Falle der individuellen Grundrechtsaberkennung durchgehalten wurde, während im Falle des ParteiVerbots die Entscheidung von 1956 offenbar durch die Tolerierung von NPD und DKP korrigiert werden sollte. Zwar wird keine Rechtsordnung umhin können, terroristische Akte zu verbieten. Der politische Terrorist als Überzeugungstäter muß es stets auf sich nehmen, sowohl Verbrecher als auch Märtyrer zu sein. Der Unterschied, den eine freiheitlich-demokratische Verfassung machen muß, liegt darin, daß sie zwar konkrete gewaltsame Handlungen verbieten, politische Kritik aber als solche nicht unterdrücken darf — sei es in Form des Parteiverbots, der Grundrechtsbeschränkung oder der beruflichen Benachteiligung, ohne sich selbst als unfreiheitliche zu überführen. Die Bereitschäft, die institutionelle Gewaltsamkeit des Staates nicht nur zur Ahndung konkreter, vom Strafgesetztatbestand klar bezeichneter Gewaltakte einzusetzen, sondern um auch radikale politische Kritik aus der öffentlichen Diskussion auszuschließen, ist das sichere Zeichen einer herrschaftlichen Politik, die mit Gewalt aufrechterhalten will, was gegenüber politischer Kritik rational nicht zu rechtfertigen ist.

VII. Krise als gesellschaftliche Entscheidungssituation

Es besteht also durchaus Anlaß, sich über die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft Sorgen zu machen. Gesellschaftliche Freiheit und Gleichheit sind zwar ganz allgemein als Zielnormen akzeptiert, doch die darauf hinarbeitenden Tendenzen sind in der Gesellschaftsstruktur nur vergleichsweise schwach verankert. Sie unterliegen zudem einer starken herrschaftlichen Gegentendenz. Diese Tendenz ist in den bürokratischen Herrschaftsstrukturen von Industrie und Staat abgesichert und bildet sich in der Form des großindustriellen Produktionswachstums und der davon abhängigen fiskalischen Ausgabenrationalisierung des Staates immer wieder neu heraus. Sie eröffnet eine bedrohliche Entwicklungsperspektive. Die verselbständigte, organisatorisch und räumlich konzentrierte Warenproduktion läßt sich nicht mehr im Zaum ihres historischen Sinnes halten, nämlich jene Warenfülle herzustellen, die die Abhängigkeit der Menschen von der Natur aufhebt. Sie muß unabhängig davon ständig neue Produkte auf den Markt werfen und vermarkten, weil ihre innere Uhr der Akkumulation auf Warenvermehrung eingestellt ist. Die Ausbeutung der Natur, die zur Beseitigung der Abhängigkeit von ihr erforderlich war, schießt über das rationale Maß hinaus; ihre destruktiven Züge der Erschöpfung natürlicher Ressourcen innerhalb wie außerhalb der menschlichen Natur treten deshalb so deutlich hervor.

Dem Staat, der diese Schäden kompensieren sollte, sind aufgrund seiner eigenen fiskalischen Abhängigkeit von diesem Prozeß die Hände gebunden; seine Strategie der Ausgabenrationalisierung, die ihn institutionell im Gleichgewicht halten soll, trifft gerade die öffentlichen Dienstleistungen. Und genau deren Erweiterung wäre zur Kompensation jener Schäden, zur Herstellung von „Lebensqualität" unter den Bedingungen verstädterter Lebensweise erforderlich. Die Entwicklungsrichtung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, die eine qualitative Weiterentwicklung der schon entwickelten Gesellschaft erlaubte, wird von der gegenwärtigen Produktions-Struktur blockiert. Die Fortschreibung dieser Struktur eröffnet also einen durchaus krisenhaften Ausblick. Vor allem zwei Krisenherde sind es, an denen die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Struktur der Wertschöpfung immer wieder aufbricht:

1. Die andauernde Weltwährungskrise, eine Überschußkrise des internationalen Geldüberhangs, der nach neuen Verwertungs-und Anlagemöglichkeiten sucht und dessen inflationstreibende Kraft die nationalen Regierungen in Atem hält. 2. Die andauernde Krise der städtischen Lebensbedingungen, eine durch permanente Finanzschwäche hervorgerufene Erscheinungsform der Mangelkrise auf der anderen Seite, die sich in immer neuen Protestaktionen der Bevölkerung ausdrückt.

Die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Struktur wird bewirken, daß vor allem an diesen beiden Herden immer wieder aktuelle Krisen auftreten. Sie werden sich jedoch nicht zu der großen Zusammenbruchskrise aufaddieren, von der manche hoffen, die gesellschaftliche Vernunft werde ihnen dann wie eine reife Frucht vom Baume der Geschichte in den Schoß fallen, wenn sie nur lange genug zu warten wüßten. Hier spricht das historische Beispiel der deutschen Bewältigung der Weltwirtschaftskrise eine zu deutliche Sprache.

Aktuelle Krisen stellen Auswahlsituationen dar, in denen sich die Probleme so zuspitzen, daß neue Handlungswege gewählt werden müssen. Sie sind die Situationen der Unruhe, in denen offenbar wird, daß unsicher ist, was sicher schien. Sie können bei den Betroffenen stets Angst und Hoffnung zugleich auslösen. Die angstauslösende Wirkung der Krise ist stets der Anknüpfungspunkt von Strategien zur Festigung der je bestehenden Herrschaft.

In diesem Gleis kann eine geschickte Handhabung des staatlichen Drohpotentials, beispielsweise mit einem gezielten Herausgreifen von „Sündenböcken“ in Situationen sich zusammenballender Unruhe, in der Tat „aus einem Gramm Gewalt ein Pfund Schrecken gewinnen", wie Bertram Gross es ausgedrückt hat Der verstärkte Rückgriff auf staatliche Gewalt als die institutioneile Strategie in Krisensituationen kann durchaus erfolgreich sein. Das schrittweise Abgleiten in einen „freundlichen Faschismus", vor dem Gross gewarnt hat, ist eine reale Möglichkeit.

Doch es gibt auch Anzeichen, daß die Karte der Angst überreizt werden kann: die Drohung mit der Gefahr aus dem Osten und der materiellen Not ist angesichts der veränderten Weltlage nicht mehr so wirksam wie 1948. Hohe Arbeitsproduktivität und Aktiengesellschaften, in denen sich Kommunisten und Kapitalisten die Anteile 51 : 49 teilen, sprechen eine andere Sprache. Auch ist es wieder erlaubt, über die weitere Entwicklung der schon entwickelten westlichen Gesellschaft nachzudenken. Die anscheinend so unveränderliche Alternative zwischen östlichem und westlichem System, wie sie sich 1948 zu stel”) len schien, hat sich zunehmend differenziert. Halten wir kurz die Fixpunkte der Entwicklung fest:

Das letzte Wort zu einer über die kapitalistische Gesellschaftsformation hinausweisenden Entwicklung in Richtung auf mehr gesellschaftliche Freiheit und Gleichheit war in der deutschen Geschichte der Zielbegriff der Arbeiterbewegung, der „Sozialismus" gewesen. Was Sozialismus inhaltlich sei, schien lange durch den von der Sowjetunion eingeschlagenen Entwicklungsweg definiert. Rossana Ros-sanda hat das Dilemma der westeuropäischen Linken angesichts der Wirklichkeit des Sozialismus als Staatsmacht beschrieben Diese Wirklichkeit widersprach ihren eigenen Vorstellungen, aber sie war eben die einzige „nachkapitalistische" und schien so allein einen Fortschrittsweg offenzuhalten. Am Ende schien es sogar, als richteten sich die sowjetischen Entwicklungsziele darauf, das zu erreichen, was die entwickelten westlichen Länder schon hatten. Das machte wieder bewußt, daß die Sowjetunion ein Entwicklungsland war, das über eine forcierte Industrialisierung die Fülle der verbrauchbaren Güter und Dienstleistungen der entwickelten Länder erst erreichen mußte.

Unter der Parole des „Einholens" und „Überholens" wurden Konsumstandards entwickelter kapitalistischer Gesellschaften plötzlich zu inhaltlichen Kriterien sozialistischer Entwicklung. Die innersozialistische Kritik am sowjetischen Entwicklungsmodell, sei es vom jugoslawischen, chinesischen oder vom Standpunkt der westeuropäischen kommunistischen Parteien aus, machte wieder bewußt, daß die marxistische Theorie kein ausgearbeitetes Zielmodell gesellschaftlicher Entwicklung enthielt und jeder praktisch eingeschlagene Entwicklungsweg Anlaß zur Kritik bot.

Die Blockierung, die das sowjetische Entwicklungsmodell in den Köpfen derer ausgelöst hatte, die über die weitere Entwicklung der westlichen Gesellschaft nachdachten, löste sich. Das Starren auf das sowjetische Modell — sowohl als Vorbild wie als Abschrek-

kung — als der einzigen Alternative zum gegenwärtigen Gesellschaftszustand, wich der nüchternen Einschätzung, daß jede Gesellschaft von ihren eigenen Strukturbedingungen und Entwicklungsstadien aus über ihre Weiterentwicklung nachzudenken habe.

„Fortschritt“ hatte stets das Vorantreiben des Geschichtsprozesses in Richtung auf gesell-schaftliche Freiheit und Gleichheit gemeint, also den Kampf gegen die Elemente gesellschaftsstruktureller Ungleichheit und Abhängigkeit. Stadien auf diesem Wege waren die Erringung bürgerlicher Rechtsgleichheit und Willensfreiheit und der politischen Demokratie mit ihrer Gleichheit der Stimmbürger, deren Wahlprozeß den Staatsapparat anleiten soll Und die Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte der Bürger. Doch begleitet war dieser Weg von der Herausbildung der Herrschaftsstruktur des industriellen Betriebs. Deren Ungleichheit — nämlich der Vorrang des Kapitals vor der Arbeit und die Abhängigkeit des Arbeitsverhältnisses — steht der bürgerlichen Rechtsgleichheit und Willensfreiheit entgegen, füllt sie mit herrschaftlichen Inhalten. Ebenso war die Erringung der politischen Demokratie begleitet von der Vervollkommnung der staatlichen Herrschaftsapparate, mit ihrem gegenüber dem demokratischen Prozeß verselbständigten Fiskal-und Gewalt-Kalkülen.

Strategien gesellschaftlichen Fortschritts würden also die Elemente von Freiheit und Gleichheit auf Kosten der herrschaftlichen Strukturelemente vorantreiben, um sie zu den gesellschaftlich bestimmenden zu machen.

VIII. Die freiheitliche ratio historischer Rationalisierung

Doch haben nicht die geschichtlichen Anstrengungen der Aufhebung gesellschaftlicher Herrschaft stets ein noch größeres Herrschaftspotential hervorgebracht? Ist nicht der Versuch zur Rationalisierung von Herrschaft im emphatischen Sinne der Aufklärung deshalb stets zum Scheitern verurteilt, weil der Begriff der Vernunft, der sich gegen Herrschaft auflehnt, selbst herrschaftlicher Natur ist, so daß er gar keine freiheitliche Alternative begründen kann? Wäre dem so, dann wäre eine politische Strategie gesellschaftlichen Fortschritts nicht deshalb unmöglich, weil die herrschaftlichen Kräfte sich real als stärker erweisen, sondern weil sie sich selbst stets von allein aufhebt. Der sogenannte „Fortschritt" reduzierte sich dann auf den Eliten-wechsel, auf den Austausch der Herrschenden, wie Skeptiker schon immer behauptet haben. Dann aber wäre zur Tatsache gesellschaftlicher Herrschaft die grundsätzliche Alternative einer freiheitlichen Gesellschaft unmöglich. Solche Skepsis hat ihren subtilsten Ausdruck in Horkheimers und Adornos These von der . Dialektik der Aufklärung' gefunden. Und der von ihnen gesäte Zweifel ist in der gegenwärtigen politischen Diskussion um die Möglichkeit weiteren gesellschaftlichen Fortschritts auch keineswegs ausgeräumt.

Der aufklärerische Begriff der . Vernunft', der die Basis der Kritik an sozialen Herrschaftsverhältnissen abgibt, hat in der Tat selbst ein herrschaftliches Element, wie Horkheimer und Adorno an Kants . doppelsinnigem’ Vernunftbegriff demonstrieren: „Vernunft als das transzendentale überindividuelle Ich enthält die Idee eines freien Zusammenlebens der Menschen... zugleich bildet Vernunft die Instanz des kalkulierenden Denkens, das die Welt für die Zwecke der Selbsterhaltung zurichtet und keine anderen Funktionen kennt als die der Präparierung des Gegenstandes aus bloßem Sinnenmaterial zum Material der Unterjochung" Und dieser Doppelsinn erklärt sich aus dem historischen Prozeß seiner Entstehung: „Denken entstand im Zuge der Befreiung aus der furchtbaren Natur" in dem Maße, in dem sich der bewußt werdende Mensch gegen die Übermacht der unbegriffenen Natur zur Wehr setzt, die ihn mit ihren „Naturgewalten" bedroht, mit ihrer Kargheit der Not aussetzt und sein eigenes Bewußtsein immer wieder überschwemmt und verdunkelt. In diesem Sinne reicht der Prozeß der . Rationalisierung’, wie Horkheimer und Adorno am Mythos des Odysseus zeigen, bis in die Vorgeschichte zurück. In diesem Prozeß wird . Vernunft'als . Instanz kalkulierenden Denkens’ zur Gegenmacht, um die Abhängigkeit des Menschen von den zunächst . übermächtigen’ Zwängen der Natur aufzuheben, denn erst danach setzt die Freiheit des Wählen-Könnens ein: diese bleibt also der . Zweck', das Sinnelement aller historischen Rationalisierung. Doch im Kampf gegen die Übermacht der Natur bildet sich das herrschaftliche Element der Vernunft: Der Mensch, so scheint es, kann sich aus ihr nur dadurch befreien, daß er sie und sich — die , äußere'wie seine . innere’ Natur — beherrscht, das heißt „am Schluß anz unterjocht"

Die Vernunft als Instanz der Gegenwehr gegen die unbegriffene Natur wird in dem Moment zur Instanz ihrer Unterdrückung, in dem sie sich aus ihr befreit hat — und dennoch die . Naturbeherrschung'fortsetzt, statt nunmehr ihren Sinn zu erfüllen. Ist die Freiheit des Wählen-Könnens historisch erreicht, erfüllt die Vernunft ihren Sinn als „Eingedenken der Natur im Subjekt“ — als „Selbstbesinnung eben des Denkens"

Doch der . Doppelsinn'des aufklärerischen Vernunftbegriffs liegt auch darin, daß der abstrakte Begriff der . menschlichen Natur'beides umfaßt: Männer und Frauen. Vernunft als das . Eingedenken der Natur im Subjekt'kann nicht davon absehen, ob diese Natur männlichen oder weiblichen Geschlechts ist. Die ausdifferenzierte herrschaftliche , Ratio'des europäischen Rationalismus ist eben die Ratio des „Herrn" auch im Sinne einer ganz naiven Gleichsetzung von Mann und Mensch, der im Prozeß der Naturbeherrschung die Frau , als Repräsentantin/der Natur in der bürgerlichen Gesellschaft zugleich mit unterwirft. Doch die „menschliche Natur" gab hier jeder Frau die Macht, die „Ratio" des „Herrenmenschen" zu kippen — auch dies eine Gegen-macht zur herrschaftlich-patriarchalischen Struktur —, sei es in den entfremdeten Formen des umgekehrten Sadismus, der „Kraft Kirkes, welche die Männer als Hörige sich unterwirft" oder dem „Blutdurst des Weibs im Progrom" sei es, daß sie im bürgerlichen Heldenleben aus dem übermächtigen Patriarchen die komische Figur des Pantoffelhelden machte. Daraus folgte die spezifische Angst des sich als „Herrn“ verstehenden Mannes vor den Frauen als „Naturwesen" mit den entsprechenden Mythologiebildungen.

Die Frauen, die aus dieser Struktur einfach ausgestiegen sind, indem sie sich nicht mehr von der Denkfigur des herrschaftlich-„überlegenen“ Mannes her definieren, sondern aus sich selbst heraus begreifen, haben darum auch einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß der sich seiner selbst bewußte Mann wieder „natürlich" werden kann. Hier hat bereits ein tiefgreifender gesellschaftlicher Entwicklungsprozeß eingesetzt.

Der freiheitliche Austausch unter Gleichen, der zu wählen versteht, ohne herrschen zu müssen, ist in unserer Gesellschaft zuerst im Bereich der erotischen Beziehungen zwischen Männern und Frauen als möglich und als der „menschlichen Natur" natürlich begriffen worden. Heute wird weithin eine Ehe oder partnerschaftliche Beziehung dann nicht als „normal" verstanden, wenn der eine Partner herrscht und der andere Partner sich unterwirft, wenn es immer nur der Eine ist, der zurückstecken, sich einschränken oder die unangenehmen Arbeiten machen muß, während dem Anderen primär die Annehmlichkeiten zufallen.

Ausgehend von der Aufklärungsarbeit der Psychoanalyse ist zuerst in diesem Bereich wieder das sinnliche als das sinngebende Element im Begriff der Vernunft bewußt geworden, welches das herrschaftliche Element des Verstandes aus einer Unterdrückungsinstanz zur eisernen Niederhaltung und Verdrängung der Natur in ihr Form-und Bewußtseinselement zu verwandeln versteht. Damit wird im Stadium des Wählen-Könnens ein Naturvertrauen möglich, das durch den Verstand hindurchgegangen ist und sich damit von der Angst vor der unbegriffenen Natur befreit hat, weil es die Angst des Ichverlusts überwunden hat. Die Befreiung der Sexualität aus dem Herrschaftsmodell ist so eine wesentliche Bedingung dafür, die Idee einer „vernünftigen" Gesellschaft nach dem Grundmuster des freiheitlichen Umganges der Menschen miteinander als Gleichen historisch weiterzubringen. Stets ist ein solcher Begriff gelungener Aufklärung letztlich der Inhalt dessen gewesen, was in der städtischen Lebensweise, die den Menschen von den Zwängen der Natur freistellen kann, als . Urbanität'bezeichnet und erhofft worden ist. . Urbanität'ist das Kennzeichen einer freiheitlichen Entfaltung menschlichen Lebens — und zwar aller Bereiche menschlicher Produktivität.

IX. Zur Produktivität menschlicher Arbeit: die politische Produktion

Die Warenproduktion und ihre herrschaftliche Struktur lassen sich nun historisch einordnen und den über sie hinausgehenden Fortschritt erkennen: Die historische Aufgabe der Warenproduktion war, die Abhängigkeit des Menschen von der Kargheit der Natur aufzuheben. Ist ein Stadium der Güterfülle erreicht, das die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder mit den notwendigen Lebensgütern ermöglicht, die Herrschaft der materiellen Not also überwunden, wird eine Produktionsstruktur unvernünftig, die immer weiter fingiert, als Waren produzierte Güter seien knapp, während in Wahrheit nunmehr die Dienstleistungen von Ärzten, Lehrern und Sozialarbeitern und die Leistungen öffentli31 eher Versorgungseinrichtungen knapp sind. Um in dieser Lage die Freiheit des Wählen-könnens historisch weiterzubringen, ist zunächst eine Umorientierung des Begriffs der gesellschaftlichen Produktivität erforderlich, der die Veränderung der Knappheitsbedingungen überhaupt erfassen läßt.

Volkswirtschaftliche Produktivität wird heute grundsätzlich immer noch als Ausstoß der Warenproduktion definiert und zu Marktpreisen gemessen Die Leistungen, die nicht in der Warenform erbracht werden, können deshalb mangels Marktpreis auch nicht als Beiträge zur Produktivität gemessen werden, wie etwa die Leistungen des Lehrers, des Sozialarbeiters und des planenden Verwaltungsmannes. Sie werden deshalb entweder schlicht als unproduktiv definiert — oder ihre Produktivität wird nach Kosten gemessen, also nach dem Gehalt. Gehaltserhöhungen zählen dann in der Berechnung des Bruttosozialprodukts als Erhöhung der Produktivität. Wirkliche Leistungssteigerungen, etwa von Lehrern oder Sozialarbeitern, werden dagegen nicht gemessen.

Warum diese Ungereimtheiten? Weil die Warenproduktion die gesellschaftlich dominante Produktionsweise ist und man deshalb für die Arbeiten, die nicht in Waren eingehen, auf Hilfskonstruktionen ausweichen muß. Sie werden als Wertschöpfung ganz unberücksichtigt gelassen, als Kosten verbucht — oder, was die neueste Variante ist, mit Hilfe von sogenannten Sozialindikatoren (. social in-dicators') zu erfassen gesucht. Darin kündigt sich an, daß unter der Decke der Warenproduktion sich bereits eine neue Art des Produzierens entwickelt hat, wenn man als Produktion die Bereitstellung der für die Befriedigung der Lebensbedürfnisse zusammenlebender Menschen erforderlichen Güter und Dienstlei-

stungn versteht. In diesem Sinne ist selbstverständlich auch die Leistung des Lehrers, der den Menschen Bildung vermittelt, . produktiv' ebenso wie die Leistungen des Stadtplaners und Stadtarchitekten, die ein bestimmtes Stadtbild schaffen, das von den darin lebenden Menschen als mehr oder weniger wertvoll erlebt wird.

Und hier kündigt sich auch bereits die neue Bewertungsweise an, die bei kollektiven Gütern und Dienstleistungen nicht über einen individuell zurechenbaren Preis erfolgen kann, zu dem der einzelne die Leistung als Ware abnimmt, sondern nur über die politische Diskussion und über die politische Auswahl. Soziale Indikatoren, wie die Klassengrößen pro Lehrer oder die Bettenanzahl pro behandelndem Arzt, können Anhaltspunkte und Kriterien der politischen Willensbildung sein, können diese aber als Bewertungsverfahren nicht ersetzen. Und je breiter und tiefer die politische Programmdiskussion ist, die der politischen Programmwahl vorausgeht, um so demokratischer ist sie.

Bei einigen Gütern ist die politische Bewertungsweise aufgrund der Art des Gutes erfor-> derlich, wie z. B. bei der Gestaltung des Stadt-i bildes und der dafür aufzuwendenden Planungs-und Gestaltungsleistungen. Insofern ist die Rede von den sogenannten „öffentlichen Gütern", die deshalb nicht zu Waren werden können, weil sie nicht individuell konsumierbar sind, also entweder allen oder keinem zugänglich zu machen sind, richtig. Im Falle des Stadtbildes kann das Gut nur kollektiv erstellt werden, oder man muß darauf verzichten, also das Aussehen der Stadt dem überlassen, was beim Drauflosbauen der einzelnen Bauherren dabei herauskommt. Hier verdankt sich das Gut selbst der politischen Wertsetzung und der kollektiven — zumindest mehrheitlichen — Bereitschaft, dafür Ressourcen einzusetzen.

Andere Güter können sowohl in der Waren-form wie in der politischen Form bereitgestellt werden, wie am Beispiel der rentierli-chen Privatschule gezeigt worden ist. Ihre Definition als „öffentliche Güter" verdanken sie dem Willen der Bürger, der auf die Gleichheit der Versorgung aller abzielt.

Die Produktionsstruktur in unserer Gesellschaft ist also bereits gespalten. Aber die für eine Weiterentwicklung der Lebensbedingungen bei städtischer Lebensweise erforderliche Verschiebung der Produktion zu den soge-nannten „öffentlichen Dienstleistungen" hin , wird durch die institutioneile Trennung und die fiskalische Abhängigkeit der öffentlichen Produktion von der privaten Warenproduktion behindert. Sie übt den Druck auf die öffentliche Produktion aus, nach Maßstäben der Warenform zu rationalisieren, d. h. öffentliche Dienstleistungen zu Warenpreisen oder kostendeckenden Gebühren abzugeben und in 'personalintensiven Diensten die Leistungen einzuschränken. Dem steht ein politischer Gegendruck gegenüber, der von der politischen Bewertungsweise anhand inhaltlicher Leistungskriterien ausgeht. Er will mit allgemeinen Mitteln eine die freie Entfaltung aller ermöglichende Versorgung sicherstellen. Auch die politische Rationalisierungsstrategie hat Erfolge aufzuweisen. So ist bereits die Benutzung öffentlicher Schulen gebührenfrei möglich — die der öffentlichen Verkehrsmittel dagegen nicht. Im Hochschulbereich dringt die fiskalische Rationalisierung mit der Einführung der Regelstudienzeiten zur Erhöhung der Umschlagsgeschwindigkeit pro Studienplatz auf Kosten der Ausbildungsbedürfnisse der Benutzer wieder vor. Die Entdek-kung, daß öffentliche Bildungsinvestitionen auch „produktiv“ sind, ist sofort in die fiskalische Rationalisierungsstrategie vereinnahmt worden. Als „produktiv" ist sofort nur das verstanden worden, was unmittelbar der Berufsausbildung dient, sich also wieder „auszahlt". Die volle Produktivität menschlicher Bildung wurde damit gleich wieder wegdefiniert. „Der Staat" als Planungsund Entscheidungsapparat hat auch, wie gezeigt, aufgrund seiner eigenen fiskalischen Abhängigkeit nicht das erforderliche Gegengewicht, um die Produktivität nach politischen Kriterien gegenüber der Warenform auszudehnen, also die notwendige Verschiebung in den Bereich öffentlicher Dienstleistungen zu bewirken. Dafür fehlt schon gewissermaßen die Verschiebungsebene, solange die staatliche Wert-schöpfung selbst auf der privaten Warenproduktion huckepack reitet, d. h., solange als allgemeine Mittel nur Abschöpfungsbeträge aus der privaten Wertschöpfung zur Verfügung stehen. Dem entspricht auf der Ebene des einzelnen, daß er in die institutionell vor-geprägten Rollen von Produzent, Konsument und Staatsbürger auseinanderdividiert ist. Er kann als Staatsbürger nur über die Mittel verfügen, die er, im Rahmen der Warenproduktion erarbeitet hat und die ohne Gefährdung der Akkumulation aus ihr wieder abschöpfbar sind. Er kann sich in dieser Struktur nicht entscheiden, weniger Waren und dafür mehr öffentliche Güter zu produzieren oder einen geringeren Güterausstoß für angenehmere Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Deshalb muß man auf den der politischen Produktion zugrunde liegenden Kreislauf zurückgehen: der Staatsbürger als Konsument öffentlicher Güter artikuliert seine Bedürfnisse politisch; im Auseinandersetzungsprozeß wird geklärt, welche Aufwendungen an natürlichen Ressourcen und an Arbeitskraft für die Erstellung der Güter erforderlich sind. Im Auswahlprozeß wird entschieden, welche Güter mit welchen Aufwendungen erstellt werden. Die Verwaltung produziert entsprechend dem politisch gewählten Produktionsprogramm beispielsweise den Output Bildung und setzt dafür die zur Verfügung gestellten Ressourcen ein: Baumaterialien, zu deren Gewinnung aus Steinen und Erden wieder Arbeitskraft erforderlich war, Bauarbeiten für Schulen und die Arbeitskraft der Lehrer, die dann den Bürgern in Form von Aus-und Fortbildung zugute kommt.

Mit Bedacht sage ich nicht, daß der Bürger das „Produkt" Bildung „abnimmt", denn es kommt darauf an, auch in der Form d'er Leistungserbringung die Warenform zu überwinden. Der Lehrer kann ein Lehrprogramm anbieten, das die Lernenden abnehmen wie eine Ware. Das ist an sich noch nicht schlecht, kann aber nicht alles sein, vor allem nicht in einer länger andauernden Unterrichtsperiode. Denn gerade die auf den ersten Blick so „versachlichende" und deshalb vom Befehls-Gehorsams-Verhältnis anscheinend absehende Warenbeziehung schlägt in Herrschaft um: der die Leistung des Lehrers „abnehmende" Schüler gerät unter die Sachherrschaft des Lehrers als des Herrn des Sachwissens. Der Lehrer ist fachlich immer der Stärkere — der Schüler ihm unterlegen. Gegen den Lehrer als den „Besitzer" der Ware Sachwissen bildet sich der Widerstand des Schülers — insbesondere wenn er unter Abnahmezwang gesetzt ist — als Lernhemmung oder als offene Aggressivität. Denn die „versachlichte" und das heißt eben auch „verdinglichte" Waren-form schlägt das Element des Umgangs, des freiheitlichen Austauschs unter Menschen tot.

Die Lernsituation aber ist auf dieses Element des Umgangs angewiesen, um „leistungsfähig" zu sein. Das erklärt den hohen Stellenwert, den die „Lernmotivation" in der jüngsten Pädagogik gewonnen hat. Der Lehrer kann die Schüler nur zum Selbstlernen „motivieren", wenn er mit ihnen als Gleichen umgeht, die „Sache" von seiner Person ablöst, sie nicht als seinen Besitz anbietet, sondern zum Gegenstand gemeinschaftlicher Arbeit macht, die vom Kenntnisstand der Schüler ausgeht. Gegenüber dem „Stoff" als dem Gegenstand der Arbeit sind Lehrer und Schüler gleich. Der Wissensvorsprung des Lehrers setzt ihn in Stand, die Schüler „einzuarbeiten", d. h. sie sich selbst am Gegenstand des Stoffes bilden zu lassen und in der gemeinschaftlichen Arbeit den freiheitlichen Umgang mit sich und anderen zu lernen. Nicht zuletzt deshalb ist „Lernen" immer auch Sozialisation in gesellschaftlicher Praxis. x

Die „Arbeit" des Lehrers umfaßt gerade auch die „Interaktion", wenn sie „leistungsstark" sein soll. Die Habermas'sche Unterscheidung von „Interaktion" als „umgangssprachlich vermittelter Kommunikation" und „Arbeit" als einem „Subsystem zweckrationalen Handelns" auf die er die „Zweideutigkeit im Begriff der Rationalisierung" zurückführt, wird gerade dem Bereich der produktiven Dienstleistungen nicht gerecht. Sie sind Arbeit in der Interaktion. Für sie gilt deshalb, daß gerade eine am Prinzip der „Leistungsstärke" orientierte Rationalisierung nicht in Widerspruch zur „Rationalisierung in Richtung auf Gleichheit" tritt Daran zeigt sich das kardinale Mißverständnis Max Webers, der im zunehmenden Erfordernis professionellen Sachverstands in den öffentlichen Dienstleistungen den Beweis für die „Unentrinnbar-keit" bürokratischer Herrschaft sah Zunehmende „Professionalisierung" von Lehrern, Ärzten, Sozialarbeitern schließt gerade unter dem Leistungsgesichtspunkt zunehmende Bürokratisierung im Sinne herrschaftlicher Formen der Leistungserbringung aus.

Alle höheren Dienstleistungen, deren Inhalt darin besteht, daß Menschen nicht Dinge, sondern Menschen „behandeln“, unterliegen der Gefahr, daß die Dienstleistenden ihr Gegenüber wie ein Ding bearbeiten, statt als Menschen mit ihnen umzugehen. Gerade gegenüber den Leistungsempfängern kann die politische Produktion zur administrativen Abfertigung entarten, wenn die Warenform nicht als Normalstandard überwunden wird. Das ist solange nicht der Fall, wie es als normal gilt, daß einzelne Leistungen gegen Gebühr erbracht werden, wie es beispielsweise unser Krankenkassenystem voraussetzt. Dieses zwingt geradezu zum Denken und Kalkulieren in der Warenform und entwürdigt damit den Arzt ebenso wie den Patienten. Ein freiheitlicher Umgang ist erst dann möglich, wenn „Geld keine Rolle spielt“. In der herrschaftlichen Form der Freiheit, die wenige sich ermöglichen, indem sie die Vielen von ihr ausschließen, spielt Geld dann keine Rolle, wenn der Patient soviel davon hat, daß er den Arzt „standesgemäß" honorieren kann, ohne nachrechnen zu müssen. So hielten es einst auch die reichen Familien mit ihren Hauslehrern. In der Form der Gleichheit spielt die Geldfrage in der Leistungsbeziehung dann keine Rolle mehr, wenn sowohl der Unterhalt der Leistenden als auch die Leistung selbst aus der Warenform gelöst ist, wie es etwa im Umgang der aus öffentlichen Mitteln besoldeten Lehrer mit ihren Schülern heute schon weithin zur gesellschaftlichen Norm geworden ist.

Das Beispiel widerlegt auch den gängigen Einwand, daß der Leistungswille sofort erlischt, wenn die Leistung nicht mehr unmittelbar gegen Geld getauscht wird. Das Argument spielt zur Verteidigung etwa der kaufmännisch betriebenen Arztpraxis immer noch eine entscheidende Rolle. Hier können wir an Galbraiths Erörterung der Arbeitsmotivation anknüpfen. Er hatte besonders ausführlich dargelegt, daß selbst im modernen Wirtschaftsunternehmen für die anspruchsvolleren Dienstleistungen der von ihm so genannten „Technostruktur“ die Einkommenshöhe nicht mehr der entscheidende Antrieb zur Leistung ist. Die Sicherstellung des Lebensunterhalts vorausgesetzt, nehmen gerade für die komplizierteren Dienstleistungen andere Motive die entscheidende Rolle ein. Galbraith hatte hier insbesondere „das Machtstreben in einer Welt der Organisationen" hervorgehoben — sicher ein in der Wirklichkeit vorhandenes und entscheidendes Antriebsmotiv des geborenen Bürokraten; aber kann es überhaupt „Leistungen" im Sinne der produktiven Dienstleistungen erbringen? Denken wir an die modernen Lehrer zurück, so tritt ein anderes Motiv in den Vordergrund, das Claus Offe die „Identifikation des Arbeitenden mit der Arbeitsaufgabe" genannt hat Es ist die sinn-und zweckentsprechende Bewältigung der gestellten Aufgabe, die zum entscheidenden Leistungsmotiv produktiver Arbeit werden kann — und die allein durch Geld nicht gekauft oder durch Anweisung nicht zu erzwingen ist. So ist als Gefahrenquelle politisch organisierter Produktivität auch stets zu beachten, daß administrative, inhaltlich nicht gerechtfertigte Zwangsmaßnahmen, letztlich also staatliche Gewaltsamkeit, in die Leistungsbeziehung eindringen können. Das ist ihre spezifische, herrschaftliche Gefährdung. Dafür ist die Rohrstockpädagogik der alten Volksschulen das klassische Beispiel, die den Schülern den Gehorsam der Volksgenossen einbleute. Das formale Recht der öffentlichen Schule als „Anstaltsrecht", das die Schüler als „Anstaltsbenutzer" dem „besonderen Gewaltverhältnis" der Schule unterwirft, wie es in der juristischen Fachsprache hießt, und ihre Selbsttätigkeit in möglichst engen Grenzen reglementiert, spricht noch diese Sprache. Halten wir fest: Das Kriterium der Freiheitlichkeit ist an beiden Seiten des Prozesses politischer Produktion anzusetzen: an der „Output" -wie an der „input" -Seite. Das Freiheitselement liegt beide Male im Wählen-Können, das nicht durch die Warenform strukturell ungleich verteilt sein darf. Das Wählen-Können auf der Leistungsseite setzt auf der input-Seite Wahlprozesse voraus, aus denen sich ergibt, welche Leistungen überhaupt erbracht werden sollen und welche Aufwendungen dafür als gerechtfertigt angesehen werden. Praktisch ist dafür eine Struktur „doppelten Inputs" erforderlich, in der auch von der Leistungsseite aus Vorschläge ungehindert und unverformt in den Entscheidungsprozeß eingehen können. Konkret gesprochen: daß auch Lehrer und Schüler aus der konkreten Situation der Leistungserbringung heraus einen offengelegten Zugang zum Prozeß der Aufstellung der Lehrpläne erhalten — und nicht nur als allgemeine Staatsbürger. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Der Kreislauf ist im Modell geschlossen, wenn die Wählenden auf der einen Seite im Prinzip auch die Wählenden auf der anderen Seite sind, d. h., daß eine solche Übereinstimmung nicht strukturell ausgeschlossen sein darf.

Aus der Gesellschaftlichkeit des Produktionsprozesses ergibt sich zwar, daß diejenigen, die politisch wählen, die, die Aufwendungen erbringen, und die, denen die Leistungen zugute kommen, nicht im Einzelfalle miteinander identisch sind. Das aber ist im Kreislauf der Marktproduktion auch nicht anders. Auch auf dem Markt nimmt nicht jeder nur gerade das ab, an dessen Produktion er selber mitgewirkt hat. In der Konsequenz der politischen Produktion liegt es indes, daß die sozialen Rollen von Staatsbürger, Produzent und Konsument zusammenfallen, so daß Auswahlen möglich werden, in denen Arbeitsbedingungen, Produktion für individuellen Konsum und Inanspruchnahme von Arbeitskraft für öffentliche Leistungen untereinander abgewogen und über politische Präferenzen entschieden werden können. Das strukturelle Hindernis hierfür ist, wie ich oben dargelegt habe, die fiskalische Abhängigkeit der politischen Produktion von der Wertschöpfung im Rahmen der privaten Warenproduktion. Zwar ist auch die politische Produktion grundsätzlich nicht davon zu entbinden, Aufwand und Leistung einander gegenüberzustellen und abzuwägen. Doch die Alternativen für politische Auswahlprozesse müssen entsprechend den wirklichen Knappheitsrelationen, d. h.den verfügbaren natürlichen Ressourcen und der verfügbaren Arbeitskraft rechenbar gemacht werden. Dafür wird eine Verrechnungseinheit erforderlich, die sich aus der Bindung an die Tauschbeziehungen auf dem Markt löst. Die Beibehaltung bzw. Wiedereinführung des Marktelements in den entwickelten staats-sozialistischen Ländern beweist zumindest soviel, daß grundsätzlich der Tauschprozeß von Ware gegen Geld mit einer primär nach politischen Prioritäten rechenbar gemachten Produktion vereinbar ist. Das Manko dieser Gesellschaften ist, daß die Produktionsprioritäten nicht über demokratische Wahlprozesse, sondern über bürokratische Entscheidungsprozesse bestimmt werden 85a). Das Problem der entwickelten westlichen Gesellschaften ist, überhaupt erst die Dominanz der Warenproduktion zu überwinden, deren Kriterien das gesamte volkswirtschaftliche Rechnungswesen bestimmen.

Da es aber über die Warenproduktion hinaus die politisch vermittelte Produktivität von Arbeit gibt, die nicht in veräußerbare Waren eingeht, muß die Knappheit der gesamten Produktivität auch in einer nicht am Marktprozeß orientierten Menge von Verrechnungseinheiten ausgedrückt werden können. Zur gesamten Gütermasse gehören auch die politisch produzierten Güter, die nicht nach Marktpreisen, sondern nach den von den Konsumenten im politischen Prozeß festgesetzten Gebrauchs-werten berechnet werden. Denn die Werte der Persönlichkeitsbildung, des persönlichen Wohlbefindens durch Gesundheitsvorsorge und der Urbanität städtischer Siedlungen müssen politisch bestimmt werden, im Sinne der Entscheidung, wieviel Arbeit dafür den Bürgern die Sache wert ist. Dafür ist zunächst erforderlich, die Funktion, gesamtwirtschaftlich Produktionsprioritäten rechenbar zu machen, von der Funktion, Ware gegen Geld tauschbar zu machen, abzulösen.

Die Warenproduktion kann aus ihrer die wirklichen Knappheitsverhältnisse verzerrenden dominierenden Stellung verdrängt werden und — wie Galbraith es vom „Staat" erhoffte — auf ein vernünftiges Maß gebracht werden, indem die Aufteilung der gesellschaftlich verfügbaren Arbeitskraft auf die Bereiche der politischen und der Warenproduktion auf dem Wege des demokratischen Wahlprozesses vorgenommen wird. Das würde eine Umkehr der Dominanzverhältnisse bedeuten, d. h.der demokratische Willensbildungsprozeß würde die für die Warenproduk-tion verfügbaren Ressourcen bestimmen und nicht umgekehrt. Auch hier ergeben sich im Modell die Produktionsprioritäten aus einer Millionenzahl individueller Wahlakte, wie auch das Marktmodell behauptet. Doch bestimmen die einzelnen hier nicht in der Form der Warennachfrage, die von den Unternehmen registriert und umgesetzt werden muß, sondern in der Form der politischen Präferenzen, die von den Parteien registriert und im institutioneilen Entscheidungsprozeß umgesetzt werden müssen.

Der Weg ist im Modell komplizierter, aber in der Realität einfacher als der umgekehrte Versuch, die monopolisierte Warenproduktion den Marktbedingungen vollständiger Konkurrenz zu unterwerfen und auch sämtliche Staatsleistungen in Warenform anzubieten. Denn dem Versuch der Konzernentflechtung steht die auf Akkumulation und Rekonzentration gerichtete Eigendynamik der Produktion für den Markt entgegen; und die Warenform staatlicher Leistungen muß ganze Bevölkerungsgruppen von ihrer Erlangung ausschließen oder zur administrativen Abfertigung entarten. Dennoch ist die Strategie zur Rationalisierung in der Warenform real vorhanden und gesellschaftlich mächtig. Denn die „politische" Produktion ist bei dominanterprivater Waren-produktion die (fiskalisch) abgeleitete und abhängige, die immer dem Druck unterliegt, nach den Kriterien der dominanten Produktionsweise zurück-„rationalisiert" zu werden. Die damit notwendig verbundene Leistungsverschlechterung gerade im Bereich der personal-intensiven Dienstleistungen fordert jedoch jeden politischen Widerstand heraus — nicht zuletzt des professionellen Dienstpersonals und der Klientengruppen.

Angesichts der wahren gesellschaftlichen Knappheitsverhältnisse auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe mündet dieser Widerstand in die Gegenstrategie, die politische Produktion zur gesellschaftlich dominanten zu machen und die Warenproduktion zu ihrem Unterfall. „Fortschritt" kann jedoch, wie gesagt, nicht heißen, die staatliche Herrschaftsstruktur gegenüber der industriellen übermächtig zu machen, um „die Wirtschaft" der Kontrolle „des. Staates" zu unterwerfen. Die Ersetzung der großbetrieblichen Bürokratie durch die staatliche oder ihre Zusammenlegung zu einer Superbürokratie wäre keine freiheitliche Alternative. Eine Alternative wäre der Ausbau der Strukturen politischen Wählens gegenüber den Strukturen bürokratischen Entscheidens. Die programmatische Auseinandersetzung und politische Zielwahl der Bürger muß es strukturell ermöglichen, das Handeln der Groß-apparate anzuleiten und ihre innere Struktur entsprechend zu verändern. Und das ist ohne eine gegen die herrschaftlichen Strukturelemente gerichtete politische Konfliktstrategie, die die Widerstände ins Auge faßt und sich auf die Gegenstrategien einstellt, nicht zu haben.

X. Rationalisierung als politische Strategie

Die Identifizierung des Gegners und das zielgerichtete Handeln zu seiner Überwindung sind die Merkmale des Begriffs der Strategie. Das Kennzeichen einer auf die Erringung gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit angelegten Strategie ist, daß sie sich nicht gegen eine gesellschaftliche Gruppe richtet, die zum Feind gesetzt werden soll. Das unterscheidet sie von allen herrschaftlichen Strategien. Sie richtet sich vielmehr gegen jene Strukturelemente der gesellschaftlichen Organisation, die strukturelle Ungleichheit und Abhängigkeit erzeugen und deshalb einer freiheitlichen Selbstorganisation der Gesellschaftsmitglieder entgegenstehen. Sie muß deshalb jene Strukturelemente aktivieren, die bereits jetzt auf Freiheit und Gleichheit hin angelegt sind. Und das ist nur in ständiger Auseinandersetzung mit den Gegenstrategien möglich, die bestrebt sind, die herrschaftlichen Elemente der Gesellschaft voranzutreiben. Das unterscheidet den Begriff der politischen Strategie von dem Begriff der politischen Planung, wie er Mitte der sechziger Jahre als Medium des gesellschaftlichen Fortschritts verstanden wurde.

In der seinerzeitigen Planungsliteratur, die „politische Planung“ als Vehikel „gesellschaftlicher Strukturreformen“ zugunsten der gesellschaftlich abhängigen Interessen verstand und die vorwiegend im Auftrag der „Projektgruppe Regierungsund Verwaltungsreform" beim Bonner Innenministerium entstand, wurde das zentrale Problem in der Erhöhung der internen „Steuerungskapazität'einer „aktiven Politik" an der Spitze des bürokratischen Apparates gesehen Regierungsinterne Informationsund Planungssysteme sollten die politischen „Herren“ der Bürokratie instand setzen, „mittels Verwal83) tungsstabes" eine Veränderung der gesellschaftlichen Interessenberücksichtigung zu erzwingen. Im Kern also das alte herrschaftliche Modell — und zwar im Grunde noch das Vor-Weber'sche, weil das ganze Problem der äußeren Anleitung der Bürokratie übersehen oder völlig unterschätzt wurde Der Verfall des Planungsstabes im Kanzleramt und der Sieg des fiskalischen, „stabilitätspolitischen" Rotstifts über das politische Programm der „Inneren Reform“ zeigte dann auch, daß dieser Art von „aktiver Politik" sehr schnell der Atem ausging. „Politische Planung“ in diesem Sinne bleibt unter den gegenwärtigen Strukturbedingungen im administrativen Ghetto befangen und verfällt, wenn sie nicht von einer politischen Strategie von außen vorangetrieben wird, den institutionellen Zwängen der fiskalischen Abhängigkeit. Die Folgen der Niederlage des Programms der „Inneren Reform“ zeigen sich aber gerade in der Verschlechterung der städtischen Lebensbedingungen.

Gesellschaftlicher Fortschritt ist auf administrativem Wege nicht möglich. Denn administrative Strategien können die Ungleichheits-Strukturen nicht in Frage stellen, in denen sie sich selbst bewegen. Nur eine politische Strategie, die die äußere Linie des demokratischen Willensbildungsprozesses einschlägt und dabei die für ihn bereitgestellten Strukturen wieder belebt, ausweitet und zusätzliche schafft, kann ein Gegengewicht zu den Strategien der Festigung und Absicherung der herrschaftlichen Strukturelemente unserer widersprüchlichen Gesellschaft bilden. Der hohe Zentralisationsgrad der großbetrieblichen und staatlichen Verwaltungen erfordert zu ihrer politischen Anleitung ein. Zusammenwirken innerer und äußerer Auseinandersetzungsprozesse. In diese Richtung zielen einige in der Bundesrepublik beobachtbare Entwicklungen.

Hier ist zunächst anzuführen, daß innerhalb und außerhalb der Parteien die programmatische Auseinandersetzung um gesellschaftliche Entwicklungsziele wieder erwacht ist. Die neuere Kapitalismus-und Herrschaftskritik kommt ja nicht von ungefähr. An der Entwicklung der Lebensbedingungen in den städtischen Verflechungsräumen zeigte sich selbst für einen Konservativen, wie den ehemaligen britischen Premier Edward Heath, „the ugly faceof capitalism" (das häßliche Gesicht des Kapitalismus).

In dem Maße, wie dieses Gesicht erkannt wurde, wurden auch zunehmend wieder kritische Fragen gestellt: Ob die gegenwärtige Struktur der privaten Warenproduktion, die doch angeblich alle menschlichen Bedürfnisse bestmöglich erfüllen soll, nicht ganze Bedürfnisgruppen ausfallen läßt, für deren Befriedigung dann am Ende „kein Geld mehr da“ ist; ob die Verteilung der tatsächlich produzierten Warenfülle wirklich so ist, daß sie die zunehmende Disziplinierung der Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des „Leistungsprinzips" rechtfertigen kann usw. Die kritischen Fragen wurden außerhalb der Parteien und Gewerkschaften meist in spontanen Aktionen in der Form des Widerstandes aufgeworfen. Denn es zeigte sich, daß nicht jede Neuerung auch „Fortschritt" im Sinne seiner qualitativen Kriterien ist. So erwies sich manche „Innovation", wie etwa die „Umstrukturierung" städtischer Wohnquartiere in Büro-und Geschäftsviertel, als eklatante Begünstigung weniger, finanzstarker Interessen zu Lasten der vertriebenen Wohnbevölkerung, der höhere Mieten und längere Verkehrswege zur Arbeit aufgebürdet wurden. Auch wenn viele der „Bürgerinitiativen" und Protestveranstaltungen der letzten Jahre im Detail nur „Halteaktionen" waren und sein konnten, die sich einzelnen Planungsund Entwicklungsmaßnahmen spontan entgegenstemmten, so warfen sie in ihrer Häufung und Wiederkehr doch zunehmend die Frage nach Sinn und Vernünftigkeit des gegenwärtig vorherrschenden Entwicklungsprozesses auf.

Diese je punktuellen Widerstandsaktionen sind deshalb im Zusammenhang mit den innerparteilichen Auseinandersetzungen zu sehen, am offenkundigsten, aber nicht allein, in der SPD. Bürgerinitiativen und ad hoc organisierte Protestaktionen haben nämlich eine Rückbesinnung auf den gemeinten Sinn der Parteiorganisationen in der politischen Demokratie mit sich gebracht: Eingabe-Strukturen des politischen Entscheidungsprozesses zu sein. Spontane politische Willensbildungen waren ein Zeichen dafür, daß die Parteien diesen ihren gemeinten Sinn offensichtlich nicht erfüllten. Andererseits wies die notwendige Schwäche „spontaner“ politischer Initiativen, eben ihre mangelnde organisatorische Stetigkeit darauf hin, daß die Parteien „an sich" ja gerade jene organisatorische Kontinuität für die Anleitung der staatlichen Apparate durch die Bürger selbst zur Verfügung stellen sollen. Tatsächlich aber hatte sich die Struktur der Parteien immer mehr in umgekehrter Richtung entwik-kelt: wie die Parlamente zur Ratifikationsorganen geworden waren, die die von der Administration vorformulierten* Programme ab-segnen, waren auch die Parteien zu Apparaten geworden, die vom Vorstandstisch aus gesteuert werden. Aufgabe der Parteien ist es dann, die allgemeine Zustimmung zu den politischen Führungsentscheidungen sicherzustel-len.

Die Strukturdebatte innerhalb der politischen Parteien hat diesen Widerspruch zum Gegenstand der innerparteilichen Auseinandersetzung gemacht. Dabei ist der Widerstand gegen die herrschaftlichen Tendenzen in den Parteien vorwiegend von den lokalen Parteiorganisationen der großen Verflechtungszentren ausgegangen. Zwischen dem Aufbrechen der sozialen Problematik des gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses in den Verflechtungsräumen, den zunehmenden spontanen politischen Aktionen und der Wiederbelebung der innerparteilichen Diskussion besteht also ein enger Zusammenhang. Die Auseinandersetzung zwischen der Tendenz, einerseits die Willensbildung innerhalb der Parteien von oben straff zu führen und an den administrativen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der fiskalischen Abhängigkeit zu orientieren, und der Tendenz, andererseits die Willensbildung von unten anzuleiten und an programmatischen Zielsetzungen gesellschaftlicher Entwicklung zu orientieren, entzündete sich am innerparteilichen Rekrutierungsprozeß. Der Aufstieg zu Führungspositionen innerhalb der Parteien vollzieht sich in der Regel von der lokalen Ebene aus. Insofern bieten die Parteien formal einen gegenläufigen Einflußweg zum staatlich-administrativen Gefälle von den Zentral-zu den Lokalinstanzen. Doch es macht eben einen entscheidenden Unterschied aus, ob die Kandidaten für politische Mandate jeweils vom Vorstand präsentiert und als solche akzeptiert werden oder ob sie auf ihre programmatischen Zielsetzungen hin befragt werden, ob Gegenkandidaten aufgestellt werden, ob sie auf der Basis einer inhaltlichen Programm-Diskussion ausgewählt werden. Einflußweg mehr von oben nach unten — oder mehr von unten nach oben: auf dem Hintergrund dieser strukturellen Alternative ist die Auseinandersetzung um das „repräsentive" oder „imperative" Mandat zu sehen.

Die Formel, daß die Abgeordneten an „Aufträge und Weisungen nicht gebunden" seien (Artikel 38 GG), die ursprünglich den einzelnen vor Pressionen ökonomisch Mächtiger schützen sollte, ist zunehmend zur Schutzbehauptung jener politischen Tendenz geworden, die programmatische Zielangaben zwar gern benutzt, um Wahlen zu gewinnen, die Mandatsträger aber dann davor bewahren möchte, an deren Einhaltung auch erinnert zu werden. Die mißverständliche Rede vom „imperativen", also „befehlenden" Mandat meint nichts anderes, als daß Kandidaten für politische Ämter sich nicht nur als Personen, sondern auch mit einem politischen Programm zur Wahl stellen sollen und daß sie eben abgewählt werden können, wenn sie im Amt das Gegenteil von dem tun, was sie zur Erlangung des Amtes versprochen haben. Das liegt in der Konsequenz des funktionalen Sinnes der Parteien, Vermittler des Willensbildungsprozesses von den Bürgern zu den institutionellen Entscheidungsinstanzen zu sein und damit die administrativen Apparate von außen anzuleiten. Für die Politiker selbst, die in instutionelle Entscheider-Rollen gewählt werden, kann erst dadurch ein Gegengewicht gegen ihre völlige Vereinnahmung in das administrative Entscheidungskalkül der fiskalischen Abhängigkeit geschaffen werden. Sie reicht ohnehin über die staatliche Parteienfinanzierung schon in die Parteien hinein, wo sie den Einfluß der Parteizentralen gegenüber der Mitgliederschaft aufgrund des Gewichts der Zentralkasse gegenüber den Mitgliedsbeiträgen stärkt.

Nun bleiben alle Versuche, die Parteien zu jenen Strukturen für die äußere Anleitung der administrativen Apparate auszubauen, die ihrem demokratischen Sinn entsprechen, zum Scheitern verurteilt, wenn sie an der geschlossenen Front der Bürokratie abprallen Die zunehmenden Auseinandersetzungen innerhalb der planenden Verwaltungen um die Planziele und die sich daran anschließende Diskussion um neue Organisationsformen sind deshalb im Zusammenhang mit den parallelen Bewegungen innerhalb der politischen Parteien zu sehen und einzuschätzen Auch diese Diskussion ist von der Lokalebene aus in Gang gesetzt und durch spontane politische Protestaktionen gegen Verwaltungsplanungen aktualisiert worden.

Der nachgeholte politische Konflikt im Stadium der administrativen Ausführung hat das Pro blem einer „Demokratisierung der Planung überhaupt erst aufgeworfen Dabei zeigte sich immer wieder, daß den politischen Konflikten, die durch Betroffenen-Proteste ausgelöst wurden, innerbürokratische Konflikte vorangegangen waren. Die gesellschaftsstrukturellen Widersprüche spiegeln sich in innerbürokratischen Konfliktmustern wider, in denen allerdings regelmäßig fiskalische Argumente die Oberhand gegenüber den inhaltlich-problembezogenen Argumenten gewinnen: Zur Organisationsspitze hin nimmt die Orientierung an den Kriterien: Einnahmequellen erweitern, Einnahmeausfall vermeiden, Ausgaben sparen, Kosten abwälzen zu. Das sichert den Expansionswünschen finanziell bedeutender Unternehmen auch mächtigte Fürsprecher innerhalb der Verwaltung, wenn sie mit den Absichten etwa der Stadt-und Grünplanung in Konflikt geraten — oder: eine inhaltlich schlechtere Verkehrslösung erhält Vorrang, weil der Finanzierungsbeitrag des Bundes größer zu sein scheint Dagegen orientieren sich oft gerade die unteren Ränge der Hierarchie aus ihrer unmittelbaren Konfrontation mit den Problemen der Ausführung an den Interessen der „Betroffenen" und den Kriterien inhaltlicher Lösungen.

Innerhalb der bürokratischen Struktur brauchen diese Gegensätze nicht argumentativ ausgetragen zu werden, sondern können von der vorgesetzten Hierarchie-Ebene „entschieden" werden, sei es durch Weisung, sei es, indem sie die Sache an sich zieht. Als planende ist die Verwaltung aber, analog den Parteien, Eingabe-Struktur der politischen Entscheidungsfindung — ohne jedoch entsprechend „von unten nach oben" strukturiert zu sein. Das hat zu der Forderung geführt, den Verwaltungen überhaupt die Planungsbefugnis zu entziehen und diese ausschließlich auf der Seite des durch Wahlen vermittelten input-Prozesses bei den Parlamenten anzusiedeln. Was Parteien und Parlamentarier danach an eigener Planungskapazität nicht aufzubringen vermögen, sollte über „freie" Planungsteams erlangt werden, zumindest durch Planungs-gruppen, die nicht selbst organisatorisch-hierarchischer Weisung unterstünden. Die Problemdiskussion ist damit aus der engen Fixierung auf das Verhältnis „Planende Verwaltung — Planungsbetroffene" gelöst worden und in den Zusammenhang des generellen Problems einer demokratischen Anleitung der Bürokratien „von außen" gestellt worden. Das einseitige Beharren auf der „Planungshoheit der Exekutive", die die Parlamente auf die „Kontrolle" beschränken will lähmt sich in Wahrheit selbst. Es muß gerade darum gehen, ein Planungsmonopol der Verwaltungen zu verhindern und darauf zu bestehen, daß planende Verwaltungen als politische Eingabe-Strukturen Organisationsformen erhalten, die Widerspruch und Auseinandersetzungsprozesse um die Programmalternativen zur Norm erheben und ihrer Verzerrung durch die hierarchische Weisungsbefugnis entgegenwirken. Das heißt, auch die jetzt nichtöffentlichen Planungskonflikte innerhalb der Bürokratien sind politische und müssen daher offengelegt werden. Verstärkte Anstrengungen zur Anleitung der Großapparate von außen über den demokratischen Willensbildungsprozeß müssen so mit Anstrengungen zu ihrer inneren Umstrukturierung einhergehen, um die internen Auseinandersetzungen der Bürokratien mit ihrem spezifischen Informationsvorsprung für den demokratischen Entscheidungsprozeß fruchtbar zu machen.

Für alle diese Forderungen gibt es in der gegenwärtigen politisch-administrativen Wirklichkeit der Bundesrepublik praktische Ansätze. Doch lassen sich diese Anzeichen nicht einfach in eine optimistische Entwicklungsprognose ummünzen. Die herrschaftlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft sind stark und aufgrund ihrer guten strukturellen Absicherung dominant. Ihr Einschüchterungspotential ist groß. Die Entwicklung der Gesellschaft vollzieht sich krisenhaft, d. h. als Abfolge sich zuspitzender Entscheidungssituationen, deren Ergebnis Fortschritt, aber stets huch Rückschritt sein kann. Die Rationalisierung bürokratischer Herrschaft im aufklärerischen Sinne ist kein selbständiges Entwicklungsgesetz der Geschichte, sondern ihre weiteren Schritte müssen unter Anspannung aller verfügbaren Kräfte in jeder größeren oder kleineren Entscheidungssituation politisch neu gewählt werden. Angesichts dessen muß die Scheinalternative von Reform und Revolution verblassen. Denn die gegen gesellschaftliche Herrschaft gerichtete Revolution ist seit zweihundert Jahren im Gange — eben als Teil-strang des widersprüchlichen historischen Prozesses der „Rationalisierung", in dem wir uns gegenwärtig befinden und aus dem wir hic et nunc nicht einfach aussteigen können. Das Grundgesetz setzte in ihm eine entscheidende und noch immer zukunftweisende Wegmarke des „Fortschritts" im Sinne von mehr gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit. Fortschritt in diese Richtung hat auch in den entwickelten westlichen Gesellschaften noch eine Chance, wenn auch die Chancen für eine Verstärkung der herrschaftlichen Elemente noch besser stehen. Die in Gang gesetzte Aufklärung — immer wieder zurückgeworfen und von Herrschaft eingeholt, und auch in Zukunft stets pervertierbar — entbindet niemanden von der ständig neu gestellten Aufgabe, zu erkennen und zu wählen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Produktivität und Rationalisierung, Chancen, Wege, Forderungen, hrsg. vom Rationalisierungs-Kuratorium der deutschen Wirtschaft e. V. (RKW), Frankfurt 1971, (Fischer-Bücherei 6134), Einleitung S. 10.

  2. A. a. O., S. 9.

  3. Martin Kluge, Produktivität. Der Schlüssel zu wachsendem Lebensstandard, a. a. O., S. 14.

  4. Vgl. a. a. O„ S. 324.

  5. Günther Friedrichs, Das RKW und die Gewerkschaften, a. a. O., S. 33.

  6. Friedrichs, ebd.

  7. Kluge, a. a. O., S. 16 f.

  8. Ursula Schumm-Garling, Perspektiven einer Reform der öffentlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O„ S. 66.

  9. Erich Potthoff, Rationalisierungsaufgaben in der Unternehmerorganisation, a. a. O., S. 138 f.

  10. Rationalisierung und Mechanisierung im öffentlichen Dienst, OTV-Druck, Stuttgart 1968, S. 5.

  11. Klaus Steinitz, Marx und Probleme der Rationalität der sozialistischen Produktion, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, hrsg. von Walter Euchner und Alfred Schmidt, Frankfurt 1968, S. 334.

  12. Karl Marx, Das Kapital III. Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion, Frankfurt u. a. 1971 (Ullstein-Buch 2807), S. 765 f.

  13. Arch + Nr. 3, 1971, Editorial.

  14. Niklas Luhmann, Zweck — Herrschaft — System. Grundbegriffe und Prämissen Max Webers, in: Renate Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation, Köln und Berlin 1968, S. 36.

  15. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Johannes Winkelmann, Köln und Berlin 1964, S. 164.

  16. Max Weber, ebd.

  17. Max Weber, a. a. O., S. 162.

  18. Max Weber, a. a. O., S. 159.

  19. Max Weber, a. a. O., S. 38.

  20. Max Weber, a. a. O., S. 165.

  21. Max Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Soziologie, weltgeschichtliche Analysen, Politik, Stuttgart 1964, S. 152.

  22. Dieses und die folgenden Zitate: Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., S. 159 bis 163.,

  23. Max Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, a. a. O„ S. 154 f.

  24. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., S. 60.

  25. Max Weber, a. a. O., S. 164.

  26. Niklas Luhmann, a. a. O., S. 52.

  27. Max Weber, Der Sinn der „Wertfreiheit" der Sozialwissenschaften, in: Soziologie ..., a. a. O., S. 272.

  28. Max Weber, ebd.

  29. Max Weber, Der Beruf zur Politik, ä. a. O., S. 167.

  30. Max Weber, a. a. O„ S. 170.

  31. Max Weber, a. a. O., S. 181.

  32. Max Weber, ebd.

  33. Max Weber, a. a. O., S. 177.

  34. Max Weber, a. a. O., S. 182.

  35. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Neudruck Berlin 1963, Vorwort S. 5, und an der gleichen Stelle: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren".

  36. Thomas Hobbes, Leviathan — oder Wesen, Form und Gewalt des kirchlichen und bürgerlichen Staats, ro ro ro Klassiker 187/189, Reinbek 1969, S. 96 f.

  37. Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt 1973 (stw. 39), S. 90.

  38. Foucault, a. a. O., S. 73.

  39. Foucault, a. a. O., S. 96.

  40. So der treffende Ausdruck von Eckart Kehr, Zur Genesis der preußischen Bürokratie und des Rechts-staats, in: ders., Der Primat der Innenpolitik, Berlin 1965, S. 36 f.

  41. Vergleiche Wolfgang Schluchter, Aspekte bürokratischer Herrschaft, München 1972, S. 112 ff.

  42. Winfried Vogt, Zur langfristigen ökonomischen Entwicklung eines kapitalistischen Systems — eine Präzisierung, in: Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 2 — 1974, S. 303.

  43. Eine zusammenfassende Darstellung und Kritik findet sich in: Elmar Altvater, Die Mitbestimmung — ein Herrschaftsinstrument, in: G. Schwarz, L. Romain (Hrsg.), Abschied von der autoritären Demokratie, München 1970, S. 147— 157.

  44. Materialien zur Lebens-und Arbeitssituation der Industriearbeiter in der Bundesrepublik Deutschland, Studienreihe des soziologischen Forschungsinstituts Göttingen, Frankfurt 1973, S. 27.

  45. Vgl. Karl Marx, Das Kapital Bd. I: Der Produktionsprozeß des Kapitals, Ullstein-Ausgabe, Frankfurt 1969, 7. Kapitel, S. 179 ff.

  46. Im Unterschied zu „soziologischen" Herrschaftsdefinitionen, die von „Herrschaft" nur dort sprechen wollen, wo einzelne oder soziale Gruppen subjektiv „Herrschaftsansprüche" geltend machen, vgl. dazu W. Schluchter, a. a. O., S. 187 ff.

  47. Vgl. Niklas Luhmann, in: Jürgen Habermas —• Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt 1971, S. 399.

  48. Johannes Agnoli, Peter Brückner, Die Transformation der Demokratie, Frankfurt 1968.

  49. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., S. 59.

  50. Vgl. die Darstellung bei Erich Preiser, Nationalökonomie heute, München 1969, S. 14 ff.

  51. Max Horkheimer — Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947, S. 23.

  52. Vgl. dazu: Winfried Vogt, in: Seminar Politische Ökonomie, Frankfurt 1973 (stw 22), S. 181 f.

  53. Ulrich K. Preuß, Legalität und Pluralismus, Frankfurt 1973 (es 626), S. 19.

  54. In dem berühmten Ahlener Programm der CDU hieß es, „das kapitalistische Wirtschaftssystem" sei „den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden" und „Inhalt und Ziel der sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn-und Machtstreben . ..sein", zitert bei Jörg Huffschmid, Die Politik des Kapitals — Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik, Frankfurt 1970 (es 313), S. 138.

  55. Werner Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart 19582,

  56. Vgl. Anmerkung 54.

  57. Vgl. dazu: Rolf-Richard Grauhan /Wolf Linder, Politik der Verstädterung, Frankfurt 1974 (FAT 4030), mit weiteren Nachweisungen.

  58. Vgl. zum folgenden: Claus Offe, Volker Ronge, Eiskalische Krise, Bauindustrie und die Grenzen staatlicher Ausgabenrationalisierung, in: Leviathan, Heft 2/1973, S. 189 ff.

  59. Rationalisierung und Mechanisierung im öffentlichen Dienst, a. a, O., S. 42— 76.

  60. Vgl. dazu Offe /Ronge, a. a. O., S. 169 ff.

  61. Rationalisierung und Mechanisierung a. a. O., S. 66 f.

  62. Niklas Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, Köln 1966, S. 63 ff.

  63. Niklas Luhmann, Politikbegriffe und die „Politisierung" der Verwaltung, in: Demokratie und Verwaltung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 50, Berlin 1972, S. 228.

  64. Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, a; a. O„ S. 92.

  65. Luhmann, in: Habermas /Luhmann, a. a. O., S. 399.

  66. John Kenneth Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, Münchn und Zürich 1968, S. 434.

  67. Bertram Gross, Friendly Fascism — A Model for America, in: Social Policy, Bd. 1 (1970).

  68. Rossana Rossanda, Die sozialistischen Länder: Ein Dilemma der westeuropäischen Linken, In: Kursbuch 30, 1972, S. 1 ff.

  69. Horkheimer /Adorno, a. a. O., S. 102 f.

  70. Horkheimer /Adorno, a. a. O., S. 127.

  71. Horkheimer /Adorno, ebd.

  72. Horkheimer /Adorno, a. a. O., S. 102.

  73. Horkheimer /Adorno, a. a. O., S. 90.

  74. Horkheimer/Adorno, a. a. O., S. 91.

  75. Horkheimer /Adorno, a. a. O., S. 300.

  76. Vgl. hierzu Gottfried Bombach, Konsum oder Investitionen für die Zukunft?, in: Qualität des Lebens, Bd. 7, Qualitatives Wachstum, Frankfurt 1972, S. 38 ff.

  77. Vgl. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie", Frankfurt 1968 (es 287), S. 92 bis 100.

  78. Habermas, a. a. O., S. 94.

  79. Schluchter, a. a. O., S. 169.

  80. Schluchter, a. a. O., S. 135.

  81. Galbraith, a. a. O., S. 153.

  82. Claus Offe, Tauschverhältnis und politische Steuerung. Zur Aktualität des Legitimationsproblems, in: ders., Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972 (es 549), S. 47.

  83. Repräsentativ hierfür ist der von Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf herausgegebene Band: Planungsorganisation. Die Diskussion und die Reform von Regierung und Verwaltung des Bundes, München 1973.

  84. Vgl. dazu die Kritik von Hartmut Häussermann, 1 administrative Organisation als Problem politibsihse 2r 61In. novation, in: Leviathan, Heft 2/1974, S. 254

  85. Vgl. dazu Claus Offe, Bürgerinitiativen und Reproduktion der Arbeitskraft im Spätkapitalismus, in: Heinz Grossmann (Hrsg.), Bürgerinitiativen — Schritte zur Veränderung?, Frankfurt 1971 (Fischer-Bücherei 1233), und in: Rolf-Richard Grauhan (Hrsg.), Großstadt-Politik, Gütersloh 1972 (Bauwelt Fundamente 38).

  86. Vgl. dazu die illustrative Fallstudie von Pierre Hoffmann /Nikitas Patellis, Demokratie als Nebenprodukt. Versuch einer öffentlichen Planung, München 1971 (Reihe Hanser 82), und — am gleichen Material (München), aber stärker die inneradministrativen Probleme behandelnd —: Rolf-Richard Grauhan, Strukturwandlungen planender Verwaltung, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, Heft 4/1972, S. 15— 37, in gekürzter Form auch in: Bernhard Schäfers (Hrsg.), Gesellschafliche Planung, Stuttgart 1973, S. 231— 252.

  87. Vgl. die ausführliche Fallstudie von Wolf Liner Der Fall Massenverkehr — Verwaltungsplanung und städtische Lebensbedingungen, Frankfurt

  88. So z. B. noch: Reimut Jochimsen/Peter Treuner, Staatliche Planung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/74, S. 44.

Weitere Inhalte

Rolf-Richard Grauhan, Dr. phil., geb. 1934; Studium der Rechtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft und Neueren Geschichte in Heidelberg, Berlin und Kiel; Research Associate am Joint Center for Urban Studies Harvard/Städtischer Rechtsrat in München, Habilitation für Politische Wissenschaft an der Universität Konstanz; seit 1971 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Modelle politischer Verwaltungsführung, Konstanz 1969; Politische Verwaltung, Freiburg 1970; Großstadtpolitik — Texte zur Analyse und Kritik lokaler Demokratie, Gütersloh 1972 (Hrsg.); Politik der Verstädterung (mit Wolf Linder), Frankfurt 1974 (Fischer-Athenäum-Taschenbuch 4030).