Finnlands aktive Neutralitätspolitik in den siebziger Jahren Möglichkeiten und Grenzen der Außenpolitik eines neutralen Staates | APuZ 27/1975 | bpb.de
Finnlands aktive Neutralitätspolitik in den siebziger Jahren Möglichkeiten und Grenzen der Außenpolitik eines neutralen Staates
Wichard Woyke
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Zusammenfassung
Als Staat mit einem . westlichen'Regierungssystem, der jedoch eine über 1 000 km lange Grenze mit der Sowjetunion besitzt, hat Finnland nach dem Zweiten Weltkrieg den Versuch unternommen, eine eigene Neutralitätspolitik zu betreiben. Grundlage dieser Politik ist die sogenannte Paasikivi-Kekkonen-Linie, nach der ein freundschaftliches Verhältnis zwischen der UdSSR und Finnland angestrebt wird. Durch die Befriedigung des legitimen sowjetischen Sicherheitsbedürfnisses, wie es im finnisch-sowjetischen Freundschafts- und Beistandspakt von 1948 anerkannt wurde, soll die finnische Unabhängig und Handlungsfreiheit gewährleiset werden. Nach dieser ersten Phase der finnischen Nachkriegsaußenpolitik — Konsolidierung und Gewinnung der Handlungsfreiheit — begann unter Urho Kekkonen ab 1961 die zweite Phase mit der Öffnung nach Westen, die Ende der sechziger Jahre mit Finnlands aktiver Neutralitätspolitik in die dritte Phase übergegangen ist. Von nun an versucht Finnland vor allem, seine Neutralitätspolitik international abzusichern, indem es aktiv in der UNO mitarbeitet, die KSZE forciert und das Verhältnis zu beiden deutschen Staaten — als Prüfstein der finnischen Neutralität angesehen — normalisiert.
„Finnlandisierung" ist ein in der Bundesrepublik Deutschland viel gebrauchtes Wort, um den Zustand des Landes zu kennzeichnen, das durch seine enge Nachbarschaft mit der Sowjetunion gute nachbarliche Beziehungen zwischen zwei Staaten mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Systemen unterhält. „Finnlandisierung" wird in der Bundesrepublik aber meistens abwertend als eine Neutralität bezeichnet, die von der „Gnade" der UdSSR abhängt. Sie wird als politische Abhängigkeit trotz formaler Unabhängigkeit in der Außenpolitik angesehen. Wenn man sich aber einmal die finnische Außenpolitik etwas genauer vergegenwärtigt, wird man sehr bald zu der Feststellung kommen, daß Finnlands „aktive Neutralitätspolitik" sich jedoch von der bei uns üblichen Deutung unterscheidet. Dieser Beitrag setzt es sich zur Aufgabe, die Außenpolitik Finnlands nicht nur zu kennzeichnen — was hier natürlich nur schwerpunktartig geschehen kann —, sondern auch die besonderen Motive der finnischen Außenpolitik aufzuzeigen, die sich als Forschungsgebiet vor allem deshalb hervorragend eignen, weil die Außenpolitik einen hohen Stellenwert für die Stabilisierung des finnischen Regierungssystems besitzt. Da das politische System Finnlands bei uns weitgehend unbekannt ist, soll zunächst kurz der außenpolitische Entscheidungsprozeß aufgezeigt werden, um dann die besonderen finnischen Voraussetzungen für die Außenpolitik zu kennzeichnen. Die Darstellung erstreckt sich auf die drei Phasen der Nachkriegsaußenpolitik — zunächst die Konsolidierung von 1945 bis 1961, dann die Öffnung nach Westen von 1961 bis 1969 und schließlich die aktive Neutralitätspolitik ab 1969 — wobei das Schwergewicht auf die jüngste Entwicklung gelegt wird.
I. Politisches System und außenpolitischer Entscheidungsprozeß
Seit Dezember 1917 ist das bis dahin als autonomes Großfürstentum zum russischen Zaren-reich gehörende Finnland unabhängig und erklärte sich zu einer selbständigen Republik, die 1919 ihre erste und noch heute gültige Verfassung erhielt. Wenn der politisch interessierte Bürger auf Finnlands Außenpolitik angesprochen wird, so fällt ihm meistens der Name Kekkonen ein. Der Bekanntheitsgrad dieses Politikers — auch über die nationalen Grenzen hinaus — deutet bereits an, daß wir es in Finnland mit einem politischen System zu tun haben, in dem der Präsident auf dem Gebiet der Außenpolitik eine außerordentlich starke Position besitzt. Wenn auch von der Verfassungstheorie finnland als ein parlamentarisches System bezeichnet wird, so muß man jedoch feststellen, daß in der Verfassungswirklichkeit die finnische Regierungsform mehr dem politischen System der V. Republik Frankreichs entspricht. Sie tendiert formal ebenso wie die V. Republik zwar in die Richtung eines parlamentarischen Systems, muß jedoch auf Grund der Handhabung des Präsidentenamtes eher als präsidentielle Demokratie bezeichnet werden. Das finnische System ist in der Verfassungswirklichkeit ein Mischsystem, in dem die Gesetzgebung bei dem aus einer Kammer bestehenden Reichstag (Eduskunta) liegt. Die Regierungsgewalt wird vom Staatsrat ausgeübt, der aus dem Ministerpräsidenten und einer Reihe von Fachministern besteht, also dem Bundeskabinett entspricht. Jedoch sind die Eingriffsmöglichkeiten des Präsidenten zu groß, als daß man von einem reinen parlamentarischen Regierungs-System sprechen könnte: „Der Staatspräsident kann mit seinem Vetorecht Gesetze des Parlaments zu Fall bringen und so massiv in den Prozeß der Gesetzgebung eingreifen; er hat laut Verfassung zudem das bedeutsame Recht, Regierungs-und Verwaltungsangelegenheiten zu entscheiden, kann sich also unmittelbar in die Regierungsarbeit einschalten und sie maßgebend beeinflussen.“
Die hervorgehobene Stellung des Präsidenten im Bereich der Außenpolitik wird institutionell durch den Artikel 33 der Verfassung abgesichert, der folgendermaßen lautet: „Der Präsident bestimmt die Beziehungen Finnlands zu den auswärtigen Staaten; Verträge mit auswärtigen Staaten bedürfen jedoch insoweit der Zustimmung des Reichstags, als sie Vorschriften enthalten, die der Gesetzgebungskompetenz des Reichstags unterfallen oder gemäß der Verfassung auf sonstige Weise die Zustimmung des Reichstags erfordern. Uber Krieg und Frieden entscheidet der Präsident mit Zustimmung des Reichstags ..." Neben der verfassungsrechtlich stark abgesicherten Stellung waren es noch zwei weitere Faktoren, die die Position des Präsidenten dominierend machten: Erstens die Existenz eines Vielparteiensystems und zum anderen die Persönlichkeiten der Nachkriegspräsidenten Paasikivi und Kekkonen: Das Vielparteiensystem — bei der Reichstagswahl 1970 waren die Sozialdemokraten mit 23, 8 % die stärkste Partei vor der Nationalen Sammlungspartei, der Zentrumspartei und den Kommunisten, die alle jeweils 18% Wählerstimmen erhielten — erlaubt keine stabilen Regierungen und stärkt so wiederum die Position des Präsidenten, der als Garant der Kontinuität angesehen wird. Es ist leicht einsehbar, daß der Handlungsspielraum des Präsidenten bei einem heterogen zusammengesetzten Staatsrat noch zusätzlich erweitert wird. Der zweite Faktor liegt in der Amtsführung. J. K. Paasikivi, der von 1946 bis 1956 als Präsident amtierte, und Urho Kekkonen haben die Außenpolitik Finnlands nachhaltig durch ihre „Gipfeldiplomatie" bestimmt und damit ihre jeweilige Position als Staatspräsident gestärkt. Indem sie die Außenpolitik sehr stark personalisierten und die jeweiligen Ministerpräsidenten und Außenminister zu Exekutoren ihrer Außenpolitik machten, sicherten sie sich weitere Handlungsfreiheit. Finnlands heutiger Präsident Kekkonen regiert seit 1956 ununterbrochen und wurde erst am 1. 3. 1974 aufgrund eines Ausnahmegesetzes in einem Sonderverfahren für weitere vier 1974 aufgrund eines Ausnahmegesetzes in einem Sonderverfahren für weitere vier Jahre als Präsident bestätigt. Nach den Vorstellungen der regierenden Sozialdemokraten und der Bauernpartei soll Kekkonen auch 1978 für weitere sechs Jahre zum Präsidenten gewählt werden 2).
Die von der Verfassung vorgesehene Institutution des Parlamentes hat zwar begrenzte außenpolitische Rechte, doch beschränkt sie sich auf die Zustimmung zu internationalen Verträgen wie z. B. zum UNO-Beitritt. „Im finnischen Parlament gibt es, anders als in den Parlamenten größerer Nationen, keine außen-politischen Diskussionen ... Der außenpolitische Teil der Regierungserklärung wird gewöhnlich ohne große Aussprache angenommen" 3), obwohl in der Verfassungstheorie durchaus Mitbestimmungsrechte in der Außenpolitik vorgesehen sind Es ist deshalb auch nicht erstaunlich, daß in den Parteiprogrammen die Außenpolitik einen untergeordneten Rang einnimmt. Lediglich in Situationen, in denen von der Bevölkerung und den Parteien eine nationale Bedrohung angenommen wurde, fand sich auch die Außenpolitik des Landes im Mittelpunkt der Diskussion. Alle Parteien erklärten und erklären auch heute noch ihre Unterstützung für die finnische Neutralitätspolitik. Allein die Kommunisten fordern eine engere Anlehnung an die „sozialistischen Staatenwelt". Der entscheidende Faktor der Außenpolitik ist aber nach wie vor der Staatspräsident, der auch die Unterstützung der Bevölkerung besitzt. So sprachen sich bei einer Meinungsumfrage im Jahr 1964 mehr als 80 % der Finnen dafür aus, daß Finnlands Außenpolitik in den letzten Jahren sehr oder ziemlich gut gehandhabt worden ist
II. Grundzüge der finnischen Außenpolitik
Oberstes außenpolitisches Ziel eines jeden Staates ist die Gewährleistung der territorialen Integrität und die Erhaltung seiner Unabhängigkeit, d. h.den Fortbestand des politischen Systems und seiner sozio-ökonomischen Strukturen zu sichern sowie eine gewisse Optionsbreite außenpolitischer Entscheidungen zu bewahren Als Finnland 1917 ein unabhängiger und selbständiger Staat wurde, versuchte es seine Sicherheit sowie die Sicherheit seiner nordischen Nachbarn durch eine Neutralitätspolitik zu erreichen. So war der 1932 abgeschlossene Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion der erste klar erkennbare Meilenstein auf dem Wege der finnischen Neutralitätspolitik. Dennoch kam es 1939 zum Eingreifen seitens der Sowjetunion gegenüber Finnland, die für sich eine Art „Monroe-Doktrin" geltend machte, d. h., die Sowjetunion sah sich berechtigt, im Namen der eigenen Sicherheit Finnland daran zu hindern, unter deutschen Einfluß zu gelangen 1. Die Paasikivi-Kekkonen-Linie Seit dem Abschluß des deutsch-russischen Vertrages von 1939 hatte Finnland erkannt, daß es auf niemanden mehr zählen konnte. Die Kriegsereignisse führten zu dem Ergebnis, daß Finnland eine andere Neutralitätspolitik als gemeinhin betreiben müßte. Während eine streng legalistische Neutralitätspolitik bedeutet, daß sich ein Land an Bündnissen nicht beteiligen darf — wie z. B. von der Schweiz und Schweden seit Jahrhunderten praktiziert — ist man in Finnland davon abgewichen und von der besonderen finnischen Situation ausgegangen. Finnland hat mit der Sowjetunion eine mehr als 1000 km lange gemeinsame Grenze, bildet aber aufgrund der Lebensweise und Denkungsart seines Volkes sowie seines westlich orientierten Regierungssystems einen „Vorposten des Westens". Durch diese Doppelbelastung wurde Finnland ständig von den immer wechselnden Strömungen der Machtpolitik beeinflußt. Dieser Zustand verhinderte aber gleich-zeitig die Schaffung vertrauensvoller Beziehungen zur Sowjetunion. Wenn Finnland jedoch von diesen Entwicklungen unabhängig werden wollte, so mußte es sich in den Stand setzten, seine Politik selbst zu bestimmen, d. h., es mußte die Sowjetunion davon überzeugen, daß ihre Sicherheit auf keinen Fall durch Finnlands Verhalten gefährdet würde. Deshalb beteiligte Finnland sich auch nicht an der Marshalplanhilfe und trat auch nicht politischen Organisationen bei, die zum „westlichen Block" zählten. Andererseits lehnte Finnland aber ebenso einen sowjetischen Vorschlag aus dem Jahr 1955 ab, der ein gemeinsames europäisches Sicherheitssystem vorsah. Finnland suchte eine eigene Neutralitätspolitik zu betreiben, in dem es primär alles tat, was das sowjetische Sicherheitsinteresse befriedigte. Diese sogenannte Paasikivilinie der finnischen Außenpolitik wurde vom ersten Nachkriegspräsidenten folgendermaßen begründet: „Obwohl sich die Geschichte nicht immer wiederholt, trotz allem was man glauben mag, ist es jedoch eine Tatsache, daß alle bewaffneten Konflikte, die Finnland seit mehr als 250 Jahren mit Rußland gehabt hatte, unglücklich für unser Land verliefen, während wir dagegen bei den Treffen mit den Russen am Verhandlungstisch viele gute Ergebnisse erreichten. In unserer Geschichte ist es notwendig geworden für die Feder anzuerkennen, was das Schwert geschaffen hat ... Gute Beziehungen mit Rußland sind nun — und werden es immer bleiben — am wichtigsten für Finnland. Dieses wird durch die Geographie und die Geschichte bestimmt. Wir müssen in unserer Außenpolitik geographisch denken." Die Paasikivilinie geht von der Prämisse aus, daß die Sowjetunion als Großmacht nicht am 4, 5 Millionen Einwohner-Volk Finnland interessiert ist — und die nun 30jährige Unabhängigkeit Finnlands im Gegensatz zu den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland scheint die Richtigkeit dieser Annahme zu bestätigen — sondern daß die Sowjetunion vor allem an ihrer eigenen Sicherheit interessiert ist, zu der wiederum die finnische Neutralität beiträgt. Deshalb ist die sowjetisch» Sicherheit auch in gewisser Weise von der finnischen Sicherheit abhängig. Das bedeutet wiederum, daß in den finnisch-sowjetischen Beziehungen ein großes Maß an Vertrauen aufgebaut werden muß. Die Sowjetunion mußte also seitens Finnlands überzeugt werden, daß das finnische Territorium niemals als Vorbereitungsfeld oder als Durchmarschgebiet für einen Angriff auf die Sowjetunion genutzt wird, d. h., daß Finnland bereit ist, in einem Konfliktfall seine eigenen Grenzen zu verteidigen und somit mögliche Angriffe auf die Sowjetunion von finnischem Boden aus zu verhindern.
Paasikivilinie Die führte 1948 konsequenterweise zum Abschluß des „Vertrages über Freundschaft, und gegenseitigen Beistand" mit der Sowjetunion. Wenngleich der Anstoß für diesen Vertrag von der Sowjetunion ausging — sie hatte vor allem Leningrads und den Schutz der die Sicherung der Ver Murmansk-Bahn im Auge — paßte -trag in das neue finnische außenpolitische Konzept der Politik der guten Beziehungen zum Nachbarn Sowjetunion. Der Vertrag befriedigt nach finnischer Ansicht die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion und erlaubt somit Finnland die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung. Kernstück des Vertrages, der in der Präambel die finnische Neutralitätspolitik anerkennt (in Anbetracht des Strebens Finnlands, den Gegensätzen zwischen den Großmächten fernzubleiben) ist der Artikel 1, der folgendermaßen lautet: „Falls Finnland oder die Sowjetunion über das Territorium Finnlands zum Gegenstand einer militärischen Aggression seitens Deutschlands oder eines mit Deutschland verbundenen Staates werden sollte, so wird Finnland, seiner Pflicht als selbständiger Staat getreu, kämpfen, um die Aggression abzuwehren. Finnland wird dabei alle ihm zu Gebote stehenden Kräfte für die Verteidigung der Unantastbarkeit seines Gebietes zu Lande, zur See und in der Luft einsetzen, indem es innerhalb seiner Grenzen operieren wird, gemäß seinen Verpflichtungen laut dem vorliegenden Vertrag, nötigenfalls mit der Sowjetunion oder zusammen mit ihr. In den oben erwähnten Fällen wird die Sowjetunion Finnland die notwendige Hilfe erweisen, über deren Gewährung die Partner Übereinkommen werden."
Mit diesem Vertrag wurde natürlich die außenpolitische Handlungsfreiheit Finnlands eingeengt, aber gleichzeitig wurde dem Land auch eine Sicherheitsgarantie seitens der Sowjetunion gegeben, die aber erst dann wahr-genommen werden sollte, wenn die Finnen dies wünschten. Allerdings mußte Staatspräsident Kekkonen alle Mühe aufwenden, um den sowjetischen Parteichef Chruschtschow 1961 militärische Konsultationen auszureden In allen militärischen Konflikten, in denen finnisches Territorium nicht verletzt^ oder bedroht wird, bleibt das Land neutral. Der Vertrag wurde für einen Zeitraum von zehn Jahren geschlossen und 1955 für weitere zwanzig Jahre verlängert. Gleichzeitig erhielt Finnland 1955 den Marinestützpunkt Porkkala von der Sowjetunion Vorgang zurück. Dieser zeigte nicht nur eine Verbesserung der finnisch-sowjetischen Beziehungen, sondern er öffnete auch gleichzeitig den Weg zur internationalen Anerkennung der finnischen Neutralitätspolitik. 2. Die Zusammenarbeit mit den Nordischen Staaten Aufgrund geographischer und historischer Entwicklungen ist es für Finnland natürlich, daß seine zweite außenpolitische Blickrichtung Skandinavien sein muß. Jedoch bilden die fünf Staaten Norwegen, Schweden, Dänemark, Island und Finnland keine homogene politische Gruppe, denn Norwegen, Dänemark und Island sind NATO-Mitglieder, während Schweden seit mehr als 150 Jahren seine Unabhängigkeit und Neutralität bewahrt hat. So ist die skandinavische Region eine halb neutrale, halb losgelöste, „weder völlig neutral noch unzweideutig angeschlossen — die nach und nach außerhalb der unmittelbaren Reichweite internationaler Spannungen geblieben ist" Die Sicherheit dieser Region hängt jedoch von der Aufrechterhaltung ihres augenblicklichen Zustands ab, denn eine Veränderung im Status oder in der Politik eines zu dieser Region gehörenden Landes muß notwendigerweise Rückwirkungen auf die anderen Länder haben. Ende der vierziger Jahre wurde die Möglichkeit, ein skandinavisches Bündnis zu schaffen, von Dänemark, Norwegen und Schweden — aber ohne Finnland — diskutiert, das jedoch nicht zustande kam und zweifellos den Anschluß Finnlands an die skandinavische Integration erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht hätte.
Die institutioneile Zusammenarbeit der skandinavischen Staaten vollzieht sich in dem 8 1952 gegründeten „Nordischen Rat". Er ist ein beratendes Organ, das aus Mitgliedern der Parlamente und Regierungen der skandinavischen Staaten besteht Der Rat beschäftigt sich mit Wirtschafts-, Verkehrs-, Sozial-, Kultur-und Rechtsfragen; für Verteidigungsfragen ist er jedoch nicht zuständig. Der Nordische Rat unterzeichnete während seiner 10. Tagung am 23. März 1962 in Helsinki das „Grundgesetz“ des Nordischen Rats, das zwar formell nicht bindend, die bestehenden Formen der Kooperation kodifiziert und die zukünftige Zusammenarbeit auf kulturellem, rechtlichen und sozialem Gebiet festlegt.
Finnland trat aufgrund seiner exponierten Stellung erst 1955 dem Nordischen Rat bei, nachdem es sowjetisches Mißtrauen über die Ziele des Rates hatte beseitigen können. In diesem Beitritt sieht auch Präsident Kekkonen die Paasikivilinie erfüllt, denn im Zeichen gegenseitigen Vertrauens — Verlängerung des finnisch-sowjetischen Vertrages von 1955 mit gleichzeitiger Rückkehr Porkkalas — konnte sich Finnland weiter nach Westen orientieren Die Mitarbeit Finnlands im Nordischen Rat gilt heute ebenso als Selbstverständlichkeit wie die von Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland gebildete Paßunion.
III. Finnlands aktive Neutralitätspolitik
Nachdem zu Beginn der fünfziger Jahre Finnland vor allem seine Beziehungen zu der Sowjetunion auf eine vertrauensvolle Basis stellen mußte — und dadurch tatsächlich größeren Handlungsspielraum erreichte — begann Anfang der sechziger Jahre mit der Öffnung nach Westen die zweite Phase der finnischen Nachkriegsaußenpolitik, die aber wiederum erst durch das verbesserte Verhältnis zur Sowjetunion möglich geworden war. Präsident Kekkonen machte zu Beginn der sechziger Jahre offizielle Besuche in Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich, um wenige Zeit später seine politische Aktivität auf die führenden Länder der Dritten Welt — Jugoslawien, Vereinigte Arabische Republik und Indien — auszudehnen. „Kekkonen konnte es als Ergebnis seiner Westreisen bezeichnen, daß alle Großmächte explizit die Neutralität Finnlands anerkannt hatten. Premierminister Harold Macmillan drückte im Mai 1961 sein Verständnis für Finnlands Neutralitätspolitik aus. Präsident John F. Kennedy ging im Oktober 1961 noch weiter und konstatierte, die USA würden , den von Finnland gewählten Kurs gewissenhaft respektieren'. Ein Jahr später gab Präsident de Gaulle eine ähnliche Erklärung. Bei der Einstufung des Wertes solcher Deklarationen ist vielleicht ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung das primäre Kriterium. Sie halfen in den westlichen Ländern die weit verbreitete Vorstellung zu zerstreuen, Finnland wäre nur ein Satellit der UdSSR. In Finnland, wo die Men-sehen zwanzig Jahre lang am Gefühl der Isolierung gelitten hatten, schufen diese Äußerungen Selbstvertrauen und Zukunftsglauben" schreibt der finnische UN-Botschafter Max Jacobson. Diese alles in allem doch recht erfolgreiche Neutralitätspolitik — nämlich primär das Heraushalten aus den Konflikten der Großmächte — führte auch zu einer Politik, der man die Überschrift geben könnte: Die Neutralität muß mit Leben erfüllt werden. In keinem Dokument wurde je von der finnischen Neutralität gesprochen, sondern in allen Verträgen, Kommuniques und Erklärungen wird immer wieder die finnische Neutralitätspolitik unterstützt. Ausgangspunkt aller dieser Bemühungen bildet aber nach wie vor das Verhältnis zur Sowjetunion. Hiervon muß die gesamte finnische Außenpolitik abgeleitet werden. 1. Die finnisch-sowjetischen Beziehungen Grundlage der finnisch-sowjetischen Beziehungen bildet der 1948 abgeschlossene und 1955 um zwanzig Jahre verlängerte Freundschafts-, Zusammenarbeits-und Beistandspakt. Im Januar 1970 schrieb dazu der finnische Außenminister Karjalainen: „Der Vertrag hat auf bemerkenswerte Weise die gegenseitigen Beziehungen zwischen zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen zugehörigen Ländern nicht nur auf staatlicher Ebene, sondern auf vielen anderen Sektoren des Lebens aktiviert. Die vom Vertrag geschaffenen guten Beziehungen kann man wohl in vieler Hinsicht als Musterbeispiel dafür ansehen, wie man eine internationale Partnerschaft im positiven Sinne unabhängig von ideologischen Schranken und verschiedenen Gesellschaftssystemen aufbauen kann.“
Diese guten Beziehungen führten — in der internationalen Diplomatie nicht üblich — bereits zum zweiten Mal zu einer vorzeitigen Verlängerung des FreundschaftsVertrages im Juli 1970. Anläßlich des Besuches von Präsident Kekkonen im Juli 1970 in Moskau wurde der finnisch-sowjetische Vertrag um weitere 20 Jahre — also bis 1990 — verlängert, ein Akt, der von beiden Staaten angesehen wurde als „ein Ausdruck des aufrichtigen Strebens der Sowjetunion und Finnlands nach weiterer beidseitiger Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen ihnen auf der Grundlage der Bestimmungen des Jahre — also bis 1990 — verlängert, ein Akt, der von beiden Staaten angesehen wurde als „ein Ausdruck des aufrichtigen Strebens der Sowjetunion und Finnlands nach weiterer beidseitiger Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen ihnen auf der Grundlage der Bestimmungen des Vertrages. Beide Seiten trafen erneut die Feststellung, daß die Friedenspolitik der Neutralität Finnlands und seine freundschaftlichen Beziehungen zu allen Ländern die Entwicklung des internationalen gegenseitigen Verstehens und damit den Weltfrieden fördern." 16) Die enge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion wurde nicht nur an den zahlreichen Besuchen Kekkonens in Moskau oder sowjetischer Führer in Helsinki deutlich — ganz besonders zum 25. Jahrestag des finnisch-sowjetischen Beistandspaktes, der mit großen Feiern begangen wurde — 17) sondern machte sich auch in einer Intensivierung des Handels zwischen beiden Ländern bemerkbar. Im Unterschied zu den anderen skandinavischen Ländern sowie den Staaten Westeuropas mit Ausnahme Österreichs ist der Handel mit der sozialistischen Ländergruppe für Finnland besonders wichtig 18). Sowohl 1971 wie auch im September 1974 wurden Handelsverträge mit der Sowjetunion abgeschlossen, denen auch ein auf zehn Jahre befristetes Abkommen über wirtschaftliche, technische und industrielle Zusammenarbeit hinzugefügt wurde.
Die Sowjetunion ist durch den 1974 abgeschlossenen Handelsvertrag, der für die Jahre 1976 bis 1980 ein Volumen von ca. 9 Mrd. Ru-* bei vorsieht, zum größten Handelspartner Finnlands vor Schweden, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschand geworden 19).
„Finnland bezieht zwei Drittel seines Energie-bedarfs und 75 °/o der Einfuhren an Ölprodukten aus der Sowjetunion. Da die Sowjets ihr Erdöl zu Weltmarktpreisen verkaufen, mußten auch die Finnen tief in die Tasche greifen.
Moskau ist im vergangenen Jahr (1974 d. V.)
zum größten Handelspartner Finnlands aufgestiegen. Die Hälfte des vorjährigen finnischen Außenhandelsdefizits von 4, 5 Milliarden Finnmark entstand im Handel mit der Sowjetunion.
Um dieses Defizit abzutragen, muß sich Finnland noch mehr als bisher nach dem sowjetischen Markt orientieren, wie umgekehrt die sowjetische Stellung auf dem finnischen Markt gestärkt wurde. Die wirtschaftliche Abhängigkeit Helsinkis von Moskau ist größer geworden." 20)
So sind vor allem zwei Faktoren für die finnisch-sowjetischen Beziehungen ausschlaggebend: die Sicherheits-und die Handelspolitik. Um aber gerade die besondere finnische Neutralitätspolitik zu gewährleisten, ist Finnland an der Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zu Moskau fundamental interessiert. Max Jacobsen hat diese Situation einmal treffend mit einem Strafgefangenen auf Bewährung verglichen. Auf Finnland übertragen bedeutet das, daß Finnland seine Außenpolitik entsprechend der Linie Moskaus entwickeln muß. Um aber in dieser Situation die größtmögliche Freiheit zu erreichen, vollzieht Finnland bereits freiwillig außenpolitische Schritte, die genau in das außenpolitische Konzept der Sowjetunion passen, andererseits aber auch wieder die selbständige finnische Position erkennen lassen. So lag der Kekkonenplan der Denuklearisierung Skandinaviens ebenso auf der sowjetischen außenpolitischen Linie wie der finnische Vorschlag zur Einberufung der Europäischen Sicherheitskonferenz in Helsinki. Diese Position birgt natürlich auch einige Gefahren in sich. Da Finnland nun in einer doppelten Abhängigkeit von der Sowjetunion steht, ist auch die Einmischung in innere finnische Angelegenheiten seitens der UdSSR möglich. Aber auch hier zeigt sich bereits, daß die finnischen Behörden sowjetischen Einmischungen zuvorkommen, indem sie z. B.den sozialdemokratischen Tammi-Verlag an seiner Absicht hinderten, Solschenizyns „Archipel Gulag“ in finnischer Übersetzung herauszubringen. Weitere behördliche Maßnahmen lassen darauf schließen, daß in jüngster Zeit die finnische Innenpolitik stärker durch Versuche sowjetischer Einflußnahme gekennzeichnet ist
Dennoch wäre es falsch, Finnland als Sprachrohr der Sowjetunion anzusehen, dessen Innenpolitik der Sowjetunion unterstellt ist. Selbst bei der Kommunistischen Partei Finnlands, die bis 1971 noch in einer Volksfront-regierung mitwirkte und die die Suprematie der KPdSU anerkennt, ist es der Sowjetunion bisher nicht gelungen, „die beiden miteinander in bitterster Fehde liegenden Flügel der finnischen Kommunisten zu versöhnen, um ihre Parlamentsfraktion wieder koalitionsfähig zu machen. Daß Moskau die Kommunisten wieder in der Regierung sehen möchte, ist unzweifelbar. Aber so lange sich . Revisionisten'und . Stalinisten'nicht auf eine Politik einigen können, muß sogar Moskau einsehen, daß mit ihnen keine Politik in einer Regierungskoalition zu machen ist.“
Die Sowjetunion ist an einer weiteren engen Zusammenarbeit mit Finnland vor allem deshalb interessiert, weil sie 1. ihre eigenen strategischen Gebiete (Leningrad, Murmansk-Bahn, Halbinsel Kola) durch die finnische Neutralität gesichert weiß;
2. in Finnland einen Verbündeten hat, der als international anerkannter neutraler Staat außenpolitische Initiativen ergreift, die auch mit dem außenpolitischen Konzept der Sowjetunion übereinstimmen;
3.der Welt ein Modell liefern kann, wie .friedliche Koexistenz'zwischen zwei Staaten mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen praktiziert wird. 2. Finnlands Beziehungen zu den anderen RGW-Staaten Entscheidend für die Beziehungen Finnlands zu den RGW-Staaten sind: „ 1. langfristige bilaterale Zusammenarbeit zwischen Finnland und der Sowjetunion auf dem kommerziellen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichem und technologischem Gebiet, 2. bilaterale kommerzielle und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Finnland und den anderen sozialistischen Ländern Europas sowie 3. die Zusammenarbeit, die sich auf der Grundlage des Abkommens zwischen Finnland und dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), der der Zusammenarbeitsorganisation der sozialistischen Länder, entwickeln wird" meint der finnische Ministerpräsident Kalevi Sorsa. Finnland hat im Jahr 1973 sowohl mit den EG-Staaten als auch mit den RGW-Staaten seine Wirtschaftsbeziehungen auf eine vertragliche Grundlage gestellt. In der Gleichzeitigkeit des Abschlusses der Verträge wird erneut das finnische Bemühen deutlich, die im finnisch-sowjetischen Vertrag postulierte Neutralitätspolitik mit Leben zu erfüllen.
Im Februar 1972 wurden die ersten exploratorischen Gespräche mit dem RGW begonnen, denen die offiziellen Verhandlungen im März 1973 folgten Das Abkommen mit dem RGW, das am 16. Mai 1973 unterzeichnet wurde enthält keine zoll-und handelspolitischen Bestimmungen, sondern hat „eine multilaterale-wirtschaftliche und technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Republik Finnland" (Art. 1) zum Ziel. Das Abkommen legt also nur den äußeren Rahmen einer Zusammenarbeit fest, d. h. es enthält keine Bestimmungen über deren Inhalt und Formen. Dennoch ist dieses Abkommen nicht nur für die finnische Außenpolitik von fundamentaler Bedeutung. Zum ersten Mal wurde in den Ost-West-Beziehungen ein multilateraler Zusammenarbeitsvertrag zwischen einem Marktwirtschaftsland und sozialistischen Staaten geschlossen. Die .friedliche Koexistenz', innerhalb der letzten drei Jahrzehnte im politischen Verhältnis zwischen der Sowjetunion und Finnland nach Ansicht beider Staaten exemplarisch durchgeführt, sollte nun außerdem im ökonomischen Bereich vorgeführt werden Die Sowjetunion erzielt aus diesem Abkommen keine wirtschaftlichen Vorteile, da sie in den bilateralen Verträgen früherer Jahre mit Finnland bereits die Handelsschranken abgebaut hatte. Jedoch wurde durch dieses Abkommen die Zusammenarbeit Finnlands mit den anderen sozialistischen Ländern verbessert. So unterzeichnete Finnland im ersten Halbjahr 1974 Verträge mit Ungarn und Bulgarien über die gegenseitige Beseitigung der Handelsschranken. Im Dezember 1974 folgte ein Abkommen mit der Volksrepublik Polen über wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit Trotz aller formellen Vereinbarungen hat Finnland nicht verhindern können, daß der Osthandel mit den sozialistischen Ländern einem ständigen anteilsmäßigen Rückgang unterworfen war, wie aus nachstehender Tabelle deutlich hervorgeht.
Das bedeutete gleichzeitig für die finnische Außenpolitik, daß auch die Beziehungen zu den westlichen Staaten aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung — und hier insbesondere zu den EWG-Staaten — auf eine qualitativ andere Stufe gestellt werden mußten. 3. Finnlands Verhältnis zu der Europäischen Gemeinschaft Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat zwar zunächst mit dem Ziel einer Zollunion begonnen, jedoch sich als Endziel die politische Integration Westeuropas gesetzt. Aufgrund dieser Zielsetzung war es für das auf Neutralität bedachte Finnland nicht möglich, sich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzuschließen, wenngleich es „kraft seiner wirtschaftlichen und sozialen Struktur und Anschauung, seines Lebensstandards und seiner Lebensart, seiner Neigungen und Bestrebungen ... ein westliches Land'1 ist.
„Mehr als die meisten Nationen ist Finnland vom Export abhängig, der über eia Viertel seines Nationaleinkommens ausmacht, und Westeuropa ist ein natürlicher Markt für die Masse der finnischen Waren — nicht zuletzt für die Erzeugnisse der holzveredelnden und Holzindustrie." Jedoch hatte es sich im Lauf der Zeit herausgestellt, daß Finnland 80 °/o seines Handels mit OECD-Ländern abwickelte und daß allein der Handel mit den EWG-Ländern wie aus vorstehender Tabelle zu ersehen ist, 1961 noch 54% und 1973 immerhin noch 43 % betrug, d. h. zwar prozentual sich verringerte, jedoch absolut stark anstieg. „Die in der Folge der EWG-Gründung entstehende Europäische Freihandelszone (EFTA) konnte Finnland nicht mehr abseits stehen lassen, weil die wichtigsten Konkurrenzländer, die skandinavischen Nachbarn, in den Genuß wesentlicher Wettbewerbsvorteile gerieten und die größten finnischen Absatzmärkte hiervon tangiert wurden." So schloß Finnland 1961 mit der EFTA ein Sonderabkommen, das so-genannte FIN-EFTA, das ihm die gleichen Rechte wie den anderen EFTA-Staaten zusicherte. Finnland konnte wegen eventueller sowjetischer Einsprüche nicht der EFTA beitreten.
Im Jahr 1969 schlug der damalige dänische Ministerpräsident Hilmar Baunsgaard eine en-. gere ökonomische Kooperation der vier nordischen Staaten Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland vor, um angesichts der europäischen Stagnation Mittel und Wege zu finden, die vier Staaten für eine spätere Mitgliedschaft bzw. Assoziation der EWG besser vorzubereiten Nach anfänglicher Zustimmung und Mitarbeit erklärte jedoch der finnische Staatspräsident Kekkonen, daß Finnland das geplante Abkommen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit — unter dem Namen NORDEK bekannt — nicht unterzeichnen könnte. Kekkonen machte vor allem die finnische Neutralitätspolitik geltend, die durch diese Wirtschaftsunion nach finnischer Ansicht nicht mehr gewährleistet schien. Aber andere Gründe, die letztlich im Verhältnis zur EWG zu suchen sind, wurden von ihm auch genannt: „Unser Wunsch, unsere Wirtschaftsinteressen zu verfolgen, ist natürlich nicht allein auf Skandinavien begrenzt. Er setzt die Aufrechterhaltung und Verbesserung unserer Konkurrenzfähigkeit überall und in allen Richtungen voraus. Er läuft tatsächlich parallel mit der Verwirklichung unserer Neutralitätspolitik und ist in Wahrheit eine wichtige Bedingung für den Erfolg dieser Politik. Das Hauptgewicht des finnischen Außenhandels liegt bei der EFTA, der EWG und den sozialistischen Ländern ... Die Frage einer Ausweitung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft konfrontiert uns mit der Möglichkeit einer Veränderung in der europäischen Marktsituation. In dieser Lage müssen wir unsere Konkurrenz-position in dieser Richtung ebenfalls sichern." Obwohl handelspolitisch gesehen Finnland wesentlich stärker mit dem Westen verbunden war, mußte es durch seine aktive Neutralitätspolitik nach Sonderregelungen gegenüber der EWG suchen, um nicht das Mißtrauen der Sowjetunion zu wecken und eventuell Gefahr zu laufen, seitens der UdSSR Sanktionen hinnehmen zu müssen. So suchte Finnland eine spezielle Regelung mit der EWG und brauchte deshalb auch nicht den Umweg über NORDEK zu nehmen. „Finnlands Ziel war ein Abkommen, das nach einer Übergangsperiode die völlige, Abschaffung der Zölle für Industrieprodukte im Außenhandel sichern würde" erklärte der finnische Ministerpräsident Sorsa. Da 1970 die finnischen Exporte ein Viertel des Bruttosozialprodukts ausmachten, und zwei Drittel der Exporte in die Länder der EWG und der EFTA gingen, war Finnland bemüht, wettbewerbsfähig zu bleiben. Helsinki brauchte auch recht bald einen Vertrag, „weil die bis Ende Oktober 1973 wirksame Zwischenlösung der Gemeinschaft für Norwegen und Finnland nur die Ursprungsregeln bestimmte und Finnland es zu spüren bekommt, daß es außerhalb der Zollabwicklung der EWG mit Ländern wie Schweden steht, wodurch sich Finnlands Konkurrenzvermögen verschlechtert" Finnland erreichte tatsächlich ein reines Zollabkommen mit der EWG, das seine Neutralitätspolitik unangefochten läßt. In diesem Abkommen ist die stufenweise Abschaffung der Einfuhrund Fiskalzölle bis zum 1. Juli 1977 vorgesehen Das Abkommen enthält aber auch eine Anzahl von Schutzklauseln, die es den Vertragsparteien ermöglichen — und hier ist natürlich zuerst an Finnland gedacht — unilaterale Maßnahmen zu treffen.
Durch den Vertrag mit der EWG hat die Republik Finnland einen weiteren Schritt ihrer aktiven Neutralitätspolitik unternommen, der ihr unbestreitbare ökonomische Erfolge bringt, der aber auch gleichzeitig das besondere finnisch-sowjetische Verhältnis erneut zutage treten läßt. Anders als Island, Österreich, Portugal, Schweden und die Schweiz hatte Finnland nicht am 22. Juli 1972 das zwischen der EG und den nicht beitrittswilligen EFTA-Staaten ausgehandelte Freihandelsabkommen unterzeichnet, sondern sich eine weitere Prüfung vorbehalten. Die Prüfung lag aber insbesondere in dem Bemühen, die Sowjetunion zu überzeugen, daß Finnlands Abkommen mit der EG keine Naditeile für die Sowjetunion, die die EG zu jener Zeit nicht anerkannte, bringen würde. Präsident Kekkonen selbst hatte eine persönliche Haftung übernommen und darüber hinaus öffentlich versichert, daß Finnland das EG-Abkommen kündigen werde, falls der Vertrag die Ausweitung des Handels mit der Sowjetunion behindern sollte
Die finnische Regierung mußte aber auch gleichzeitig — um ihren Anspruch auf eine aktive Neutralitätspolitik aufrechtzuerhalten — in die Prüfung des EG-Abkommens Finnlands Verbindungen zum RGW einbeziehen. Das Abkommen mit dem RGW im Mai 1973 muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. 4. Der Prüfstein der finnischen Neutralität: die deutsche Frage Im Friedensvertrag von 1947 verpflichtete sich Finnland, sich aus den Konflikten der Groß-mächte herauszuhalten. Diese Grundhaltung wurde auf die geteilten Länder ausgeweitet. Solange diese Länder ihre Konflikte untereinander nicht beseitigt hatten, sollten zwar Beziehungen entwickelt und ausgebaut werden, jedoch unterhalb der diplomatischen Anerkennung. So unterhielt bis zu Beginn der siebziger Jahre Finnland mit der Bundesrepublik wie mit der DDR Beziehungen nur auf der Ebene von Handelsvertretungen. Jacobson gibt dafür folgende treffende Begründung: „Natürlich findet von den beiden deutschen Seiten keine die finnische Politik voll befriedigend. Aber keine hat sich ihr widersetzt. Für die Bundesrepublik, anerkannt von der Mehrheit aller Staaten in der Welt, ist Anerkennung durch Finnland weniger wichtig als Finnlands Weigerung, den ostdeutschen Staat anzuerkennen. Für die DDR, eifrig bemüht um Anerkennung von Ländern außerhalb des sozialistischen Blocks, wäre eine Anerkennung Finnlands offensichtlich eine wertvolle Trophäe, und die DDR kämpft weiterhin aktiv darum , . . Für Finnland ist Nichtanerkennung der deutschen Staaten mehr als nur ein bequemer Weg, einem lästigen Problem zu entgehen. Sie gibt dem finnischen Neutralitätsanspruch eine machtvolle Unterstützung. Präsident Kekkonen hat wiederholt die finnische Position in der deutschen Frage als Beweis für Finnlands Entschlossenheit herangezogen, sich aus den Konflikten der Großmächte herauszuhalten . . .
Offizielle finnische Verlautbarungen haben zur Bestätigung von Finnlands Standpunkt in der deutschen Frage auch auf den finnischen Friedensvertrag hingewiesen. Sein Artikel 10 verpflichtet Finnland, alle zukünftigen Friedensverträge oder andere Regelungen anzuerkennen, welche die alliierten Mächte eventuell in Hinblick auf Deutschland treffen. Dies ist so interpretiert worden, daß es die finnische Teilnahme an einseitigen Regelungen der deutschen Frage ausschließt. Nur ein Vertrag, der von allen betroffenen Mächten geschlossen wird, könnte von Finnland akzeptiert werden."
Nachdem am 3. September 1971 das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet wurde — es wird von der finnischen Regierung als ein unter diese Kategorien fallender Vertrag gesehen — ergriff Präsident Kekkonen am 10. September 1971 seine sogenannte Deutschlandinitiative die die Herstellung diplomatischer Beziehungen und Vereinbarungen über die noch vom Zweiten Weltkrieg herrührenden Probleme zum Ziel haben sollte. Kekkonen wandte sich an beide deutschen Staaten und bot ihnen förmliche Verhandlungen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen an. In der Gleichbehandlung beider Staaten — auch diesmal wieder optisch sehr deutlich praktiziert — hat Finnland immer einen Prüfstein seiner Neutralitätspolitik gesehen. In einer Rundfunkansprache am 11. September 1971 erklärte Kekkonen dazu u. a.: „Der jetzt Von uns unternommene Schritt bedeutet eine Neuordnung, aber gleichzeitig eine logische Fortsetzung unserer bisherigen Deutschlandpolitik . . . Jetzt ist die finnische Regierung zu der Schlußfolgerung gekommen, daß die gesamtpolitische Entwicklung es möglich gemacht hat, die Verhandlungen über die diplomatische Anerkennung der beiden deutschen Regierungen zu beginnen. Nach dem Grundsatz der finnischen Deutschlandpolitik werden auch diese Maßnahmen so durchgeführt, daß die beiden deutschen Staaten gleichbehandelt werden."
Damit vollzog sich zu Beginn der siebziger Jahre eine Umkehr der Nichtanerkennungsdoktrin, die im Zusammenhang mit der aktiven Neutralitätspolitik gesehen werden muß, die Finnlands außenpolitischen Handlungsspielraum vergrößern sollte. Finnland, das seine Neutralität um so stärker sichert, je weniger* Spannungen in Europa existieren, sah durch das Berlin-Abkommen die letzte von der NATO aufgestellte Vorbedingung für die Ab-haltung der KSZE erfüllt und wollte nur als Motor der europäischen Entspannung durch Einberufung dieser Konferenz seine Sicherheit und Unabhängigkeit weiter erhöhen. Da jedoch die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit für Europa nur über die Anerkennung der DDR möglich war, mußte Finnland sich beeilen, wollte es noch einen Preis für die Anerkennung der auf diesen Vorgang so viel Wert legenden DDR erzielen. Gleichzeitig geriet Finnland aber in das Dilemma, die Glaubwürdigkeit seiner Neutralitätspolitik zu verlieren, wenn es einseitig mit der DDR in Verhandlungen eingetreten wäre. Die logische Konsequenz war die gleiche und gleichzeitige Behandlung beider deutscher Staaten. „Vom Grundsatz der Gleichbehandlung wich Helsinki mit der Aufnahme und Paraphierung zweier Verträge mit der DDR im Sommer (1972 d. V.) ab, weil Finnland nicht mehr länger warten zu können glaubte, ohne zu riskieren, von der internationalen Anerkennungswelle überrollt zu werden, was die Bereitschaft der DDR zum Entgegenkommen auf finnische Wünsche zum Anerkennungspreis verhindert hätte."
So konnten bereits am 6. September 1972 zwischen Finnland und der DDR zwei Verträge über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sowie über die souveräne Gleichberechtigung geschlossen werden. Im Gemeinsamen Kommunique’ erklärte sich die DDR bereit, „daß sie das Bestreben Finnlands, die Neutralitätspolitik durchzuführen, und die daraus für Finnland entstehenden Verpflichtungen respektiert." Dennoch konnten die Verträge mit der DDR nicht in Kraft treten, weil Finnlands aktive Neutralitätspolitik eine entsprechende Abmachung mit der Bundesrepublik voraussetzte und damit die Bundesrepublik in eine günstige diplomatische Position versetzte. Die Gespräche zwischen Finnland und der Bundesrepublik wurden am 8. November 1972, also zwei Tage nach Abschluß der Finnland-DDR-Verträge aufgenommen. Am 19. November 1972, also am Tag der Wahlen zum 7. Deutschen Bundestag, sprach Finnland die Anerkennung der Bundesrepublik und der DDR aus, nachdem der Abschluß des Grundlagenvertrages zwischen beiden Staaten zehn Tage vor dem Wahltag zustande gekommen war.
Der Beginn der Vorkonferenz der KSZE am 22. November 1972 machte deutlich, daß die DDR ein nun international anerkannter Partner im europäischen Staatensystem geworden war und daß Finnland, wollte es nicht diplomatische Gepflogenheiten allzu sehr verletzen, die paraphierten Verträge mit der DDR ratifizieren mußte. Da aber die Verhandlungen mit der Bundesrepublik noch zu keinem Abschluß gekommen waren, Finnland aber nicht von der Gleichbehandlung beider deutscher Staaten abweichen wollte, half sich die finnische Regierung mit dem Ausweg, daß sie am 7. Januar 1973 mit beiden deutschen Staaten diplomatische Beziehungen aufnahm, obwohl mit der Bundesrepublik noch kein Vertrag ausgehandelt war. Erst 1974 wurde zwischen diesen beiden Staaten ein Vertrag abgeschlossen und mit dem Besuch Außenministers Karjalainens im September desselben Jahres — dem ersten eines finnischen Außenministers in der Bundesrepublik — wurden die Beziehungen zwischen Finnland und der Bundesrepublik normalisiert. Finnland erreichte in der deutsch-finnischen gemeinsamen Erklärung ebenso die Anerkennung seiner Neutralitätspolitik wie mit den anderen Staaten. Unter Bezugnahme auf den erklärten Willen Finnlands, außerhalb der gegensätzlichen Interessen der Großmächte zu bleiben, erklärte die Bundesrepublik Deutschland, daß sie Finnlands Absicht respektiert, seine Neutralitätspolitik zu verfolgen Außerdem spricht Bonn in diesem Dokument einen Gewaltverzicht aus, der — von Finnland ursprünglich gewünscht — für die Bundesrepublik nur als konsequente Fortsetzung der Gewaltverzichtsverträge mit den osteuropäischen Staaten gesehen werden kann.
Dieses Gewaltverzichtsabkommen, das auch im Vertrag zwischen der DDR und Finnland seinen Niederschlag findet, hat für die finnische -Neutralitätspolitik eine kaum zu unterschätzende Bedeutung. Denn durch das Abkommen wird der Artikel 1 des finnisch-sowjetischen Vertrages von 1948 zur bloßen Theorie, wonach die Sowjetunion bzw. Finnland sich bei einer evtl, deutschen Aggression zur Hilfe kommen müßten. Die finnische Position ist nicht — wie manche Beobachter meinen — durch die praktizierte Deutschlandpolitik geschwächt, sondern im Gegenteil: Finnland ist, zumindest was die Vertragsbedingungen mit Moskau angeht, freier gegenüber der UdSSR geworden. Finnland konnte jedoch seine ursprüngliche Absicht, die Kriegsfolgeschäden von der Bundesrepublik begleichen zu lassen, nicht durchsetzen. Im Teil V des finnisch-deutschen Abkommens heißt es dazu: „Ein Teil der rechtlichen und finanziellen Fragen, die am Ende des 2. Weltkrieges zwischen Finnland und Deutschland offen waren und für die die Haf-tung der BRD in Betracht kommt, ist in Übereinstimmung mit dem Abkommen über Deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 abschließend geregelt. Etwaige weitere finnische Forderungen sind entsprechend den Bestimmungen dieses Abkommens zu regeln, sofern die Anspruchsgrundlagen gegeben sind.
IV. Die dritte Phase der finnischen Neutralitätspolitik: Die aktive Teilnahme an der internationalen Politik
„Der Mangel eines Status der Neutralität mit gleichmäßigen Verpflichtungen nach allen Seiten wurde zum Hauptantrieb dafür, daß alle finnischen Regierungen bemüht waren, mit allen Kräften Merkmale der Neutralität nachträglich zu beschaffen, vor allem durch eine betriebsame Aktivität in allseits anerkannten internationalen Organisationen, wie den Vereinten Nationen, und allseits gebilligten Projekten, wie der Europäischen Sicherheitskonferenz" meint Günther Gillessen. Wenngleich diese Wertung die finnischen Möglichkeiten überspitzt einseitig aufzeigt, so wird doch bereits deutlich, daß Finnland durch eine aktive Mitarbeit in der UNO und im Zustandekommen der KSZE Vorteile für seine Neutralitätspolitik sah. Finnlands Rolle in den Vereinten Nationen wird in einer Beteiligung an der Errichtung einer Weltfriedensgemeinschaft gesehen, zu der Finnland nicht nur durch die Teilnahme im Sicherheitsrat (1969/70) beiträgt, sondern auch mit seinem Engagement für die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen in den Krisenherden der Welt als Mitglied der UNO-Truppen. Finnland sucht aber darüber hinaus nach weiteren Möglichkeiten, seine Neutralitätspolitik anerkennen zu lassen. So schaltete sich die politische Führung Finnlands immer dann in die internationale Politik ein, wenn es um Ausräumung potentieller -die Kon fliktsituationen ging. So unterstützte Finnland das Zustandekommen der Gespräche über die Begrenzung der strategischen Abrüstung (SALT) zwischen den beiden Supermächten und bot Helsinki als Verhandlungsort an. Indem Finnland damit international die Rüstungssteuerung unterstützte, erhielt es auf nationaler Ebene gleichzeitig eine erneute Anerkennung seiner Neutralitätspolitik durch die beiden Supermächte und stärkte damit auch wiederum seine außenpolitische Position.
Noch deutlicher wird die Nutzung des Eigen-interesses im Sinn einer aktiven Neutralitätspolitik am Beispiel der Europäischen Sicherheitskonferenz. Den von beiden Supermächten auf bilateraler Ebene eingeleiteten Entspannungsprozeß machte sich die finnische Regierung zu eigen und trat in die 3. Phase der Nachkriegspolitik ein, als sie am 5. Mai 1969 ein Memorandum unterbreitete, in dem sie die Einberufung der KSZE unterstützte und Helsinki als Verhandlungsort vorschlug. Nach Ansicht von Staatspräsident Kekkonen „besitzt Finnland eine ganz besondere Voraussetzung, das Zustandekommen der Konferenz zu fördern und sowohl in der Anfangsphase als auch während der Konferenz selbst als Gastgeber-land Diese Voraussetzungen sind unsere gleichmäßigen und neutralen Beziehungen zum Herzgebiet der Probleme in Europa, zu den beiden Erben des ehemaligen Deutschen Reiches."
Mit dem Zusammentritt der KSZE in Helsinki hat Finnland sein ständiges Bemühen als Neutraler bestätigt bekommen; eine Leistung, die angesichts der im Westen verbreiteten Vorstellung einer „Finnlandisierung" und der besonderen Problematik der sowjetisch-finnischen Beziehungen besonders beachtet werden muß. Der Erfolg war aber auch nur möglich, weil Finnland sich an die im Friedensvertrag geforderte Maxime hielt, sich außerhalb der Konflikte der Großmächte zu halten. Finnland suchte nach einem günstigen Zeitpunkt des Zusammentretens der Konferenz und wollte vor allem Berührungspunkte zwischen Ost und West schaffen, damit den Entspannungsprozeß fördern und somit gleichzeitig seine eigene Sicherheit und Unabhängigkeit stärken. Dieser Prozeß konnte natürlich nur gelingen, wenn die finnische Regierung tatsächlich eine Politik der Neutralität betrieb, die sowohl im Westen als auch im Osten als solche anerkannt wurde. Bei dieser Politik ließ sich die finnische Regierung von folgenden drei Prinzipien leiten: „ 1. Alle in Frage kommenden Regierungen sollten teilnehmen, d. h. neben den beiden deutschen Staaten auch die USA und Kanada; 2. die KSZE, die ohne Vorbedingungen abgehalten werden-muß, soll . angemessen'vorbereitet werden, was verständlicherweise nur die jeweiligen Regierungen selbst bestimmen können; und 3. Finnland enthält sich jeder Stellungnahme zu Fragen im Zusammenhang mit der Tagesordnung der Konferenz."
Die Einhaltung dieser Prinzipien hat Finnland bei allen europäischen Staaten. Vertrauen eingebracht. Die Abhaltung der ersten Runde der KSZE — d. h.der Außenministerkonferenz vom 3. bis 7. Juli 1973 in Helsinki — machte Helsinki zur Hauptstadt der Entspannung und bestätigte Finnlands Bemühungen um eine Neutralitätspolitik. . Die dritte und abschließende Phase der KSZE — die Zusammenkunft der Staatschefs, Regierungschefs und Parteichefs soll ebenfalls — wahrscheinlich im Herbst 1975 — in Helsinki stattfinden. Wenngleich das Ergebnis, das auf dieser Konferenz erzielt werden dürfte, die hochgesteckten Erwartungen mehrerer Teilnehmerstaaten kaum erfüllen wird, hat aber der Abschluß dieser Konferenz in Helsinki mehr als symbolische Bedeutung: Finnland kann sich in seinen Bemühungen nach mehr Unabhängigkeit durch eine aktive Neutralitätspolitik bestätigt fühlen.
Wichard Woyke, geb. 1943 in Wollstein (Prov. Posen), 1965 bis 1969 Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der FU Berlin, Akad. Rat am Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Veröffentlichungen u. a.: NATO und Warschauer Pakt, Internationale Politik, in: Handlexikon zur Politikwissenschaft, hrsg. von Axel Görlitz, München 1970; Die Entwicklung der Parteien nach der Bundestagswahl 1969, in: Wahl '72, Bd. 1, hrsg. v. Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster, Opladen 1972; Woyke/Nieder/Görtemaker, Sicherheit für Europa? Die Konferenz von Helsinki und Genf, Opladen 1974; Frankreichs Außenpolitik seit dem Rücktritt de Gaulles, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 30-31/74; zus. mit Uwe Andersen: Wahl ’ 75 in Nordrhein-Westfalen — Landtagswahl, Kommunalwahl: Parteien, Wähler, Wahlverfahren, Opladen 1974.
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