Wirtschaftsplanung und Investitionslenkung Zur ordnungspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland
Manfred Krüper
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Zusammenfassung
In allen westlichen Industriestaaten werden zunehmend Fragen der Wirtschaftsplanung und Investitionslenkung diskutiert. Das gilt für solche Länder wie Frankreich oder Großbritannien, in denen bereits umfangreiche Planungsansätze vorhanden sind, ebenso wie für die USA oder die Bundesrepublik Deutschland, wo bislang Wirtschaftsplanung und Investitionslenkung als Fremdworte angesehen wurden. Mit dem Siegeszug der Ideen von Walther Eucken, Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack nach dem Zweiten Weltkrieg schien die Entscheidung gegen Wirtschaftsplanung endgültig gefallen zu sein. Lediglich im Zusammenhang mit der von Frankreich beeinflußten Diskussion über eine gemeinsame wirtschaftspolitische Konzeption der Europäischen Gemeinschaft in der ersten Hälfte der sechziger Jahre flackerten noch einmal Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung auf. Anfang der siebziger Jahre setzte jedoch erneut eine Diskussion ein. So schlugen z. B. Zinn, Meißner und Wieczorek eine Form der direkten Investitionslenkung vor, mit der das gesetzte Ziel erreichbar erschien. In diesem Beitrag wird gezeigt, daß der Vorschlag der drei Autoren nicht praktikabel ist. Andererseits ist das kein Plädoyer für den Status quo. Überkapazitätskrisen in wichtigen Sektoren der Volkswirtschaft und eine mangelhafte Koordination staatlicher Maßnahmen im Bereich der regionalen und sekto-
Einleitung
In der folgenden Abhandlung wird die Ansicht vertreten, daß bei einem großen Teil der Wirtschaftspolitiker wegen der mangelnden Präzision der ordoliberalen Ordnungskriterien große Unsicherheit und Verwirrung über den Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente herrscht. Ein Beispiel: Der ordoliberale Okonomieprofessor Hoppmann wirft den Anhängern der Preiskontrolle auf der Basis des § 22 GWB (Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Konzerne) vor, sie schlügen hiermit den Weg in eine bürokratische Steuerung der Wirtschaft ein. Die Preiskontrolle sei folglich nicht markt-bzw. systemkonform und deshalb abzulehnen.
Demgegenüber befürworten Ordoliberale wie Staatssekretär Schlecht oder FDP-MdB Graf Lambsdorff den Ansatz des Kartellamts, halten ihn folglich für markt-bzw. systemkonform.
In anderen Fällen, etwa in der Frage der paritätischen Mitbestimmung, der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung oder der Investitionslenkung, ist das Lager der Ordoliberalen geschlossener: Ihre Ablehnung unter Hinweis auf die mangelnde Systemkonformität dieser Maßnahmen erweckt jedoch nicht selten den Eindruck, als ginge es mehr um die Verteidigung herrschender Machtverhältnisse als um eine problemgerechte Diskussion dieser Fragen. Da Ordnungspolitik primär Ordnungssicherungspolitik ist, kann das nicht verwundern. Die fehlende Präzision des Begriffsapparates (Marktkonformität, Systemkonfprmität) erleichtert dabei ganz wesentlich die Aufgabe: Alle Maßnahmen, die die Machtverhältnisse z. B. zugunsten der Arbeitnehmer verändern, werden mit dem Attribut der mangelnden Systemkonformität belegt.
Um diesen für die Mehrheit der Bevölkerung unbefriedigenden Zustand zu beseitigen, wird deshalb der Vorschlag gemacht, das traditionelle Ordnungsdenken im Stil von Eucken, Ehrhard oder Müller-Armack zugunsten eines Ziel-Mittel-Ansatzes in der Wirtschaftspolitik aufzugeben. Dies entspricht auch dem piecemeal social engineering der kritischen Rationalisten (K. R. Popper, H. Albert). Die konsequente Verfolgung dieser Linie ist ein wichtiger Beitrag, den Sozialdemokraten bzw. Demokratische Sozialisten für eine rationale Wirtschaftspolitik leisten können.
Nach ausführlicher Begründung dieser These wird ein wichtiger Bestandteil der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion — Wirtschaftsplanung und Investitionslenkung — im Lichte des Ziel-Mittel-Ansatzes untersucht. Dabei wird auch auf Planungsansätze in anderen westlichen Industrieländern Bezug genommen.
1. Ordoliberalismus und soziale Marktwirtschaft
Ausgehend von der Leitidee einer staatlich gesetzten Ordnung, in der der Wettbewerb konstituierendes Merkmal ist, hat Walter Eucken ein ordnungspolitisches Kontrastprogramm gegen
a) den historischen Determinismus, vor allem den Marxismus, b) den punktuellen Interventionismus des kapitalistischen Staates (vor allem in den faschistischen Diktaturen), c) den klassischen Liberalismus und seine Vorstellung einer prästabiiisierten Harmonie entwickelt Insbesonders im Zuge seiner Kritik am punktuellen Interventionismus entstand Euckens Idee, daß alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen an einer Gesamtkonzeption zu orientieren seien. . . vor jeder einzelnen wirtschaftspolitischen Entscheidung muß Klarheit darüber bestehen, welche Wirtschaftsverfassung im ganzen realisiert werden soll. Alle wirtschaftspolitischen Akte haben in Ansehung der wirtschaftlichen Gesamtordnung zu geschehen. Mag es sich um eine sozialpolitische, handelspolitische oder sonst eine ordnungspolitische Maßnahme handeln: jeder Akt kann nur dann einen Sinn gewinnen, wenn er im Rahmen einer Politik erfolgt, die auf Herstellung und Erhaltung einer gewissen Gesamtordnung ausgerichtet ist."
Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien haben vor allem einen Zweck, der Sicherung der einmal gewählten Gesamtordnung zu dienen. Ordnungspolitik ist damit im Kem Ordnungssicherungspolitik; Prozeßpolitik im Sinne der Beeinflussung der Markt-und Kreislaufprozesse darf nur insoweit betrieben werden, als sie den gegebenen Ordnungsrahmen nicht überschreitet.
An dieser Grundidee Euckens — dem Ordoliberalismus — hat sich im Grunde wenig geändert. Zwar haben die Verfechter der sozialen Marktwirtschaft (Erhard, Müller-Armack) ein und zugleich realistischeres „systematisches Konzept“ entwickelt — z. B., indem sie das Leitbild der vollständigen Konkurrenz, das bei Eucken erstes konstituierendes Prinzip war, fallen ließen —, doch der Gedanke der Ordnungssicherungspolitik bleibt voll bestehen. Wichtigstes Organisationselement dieser sozialen Marktwirtschaft ist der Wettbewerb, und zwar die — Ordnung des Wettbewerbs, — Ergänzung des Wettbewerbs, — Stabilisierung des Wettbewerbs, — Korrektur des Wettbewerbs.
Man will nicht die Unvollkommenheit des Marktes (z. B. mangelnde Markttransparenz, marktbeeinflussende Großunternehmen) rigoros durch Konstituierung der vollständigen Konkurrenz, in der die Marktparteien so zahlreich sind, daß sie lediglich als Mengenanpasser handeln können und den Preis als Datum ansehen, beseitigen. Vielmehr soll ein Leistungswettbewerb (Gäfgen) bzw. ein funktionsfähiger Wettbewerb zum Ziel erhoben werden: Nicht die Zerschlagung von Großunternehmen, sondern z. B.der Versuch, die Zahl der Marktteilnehmer wirksam zu vergrößern, soll den Wettbewerb sichern(Ordnung des Wettbewerbs) In Fällen, in denen der Wettbewerb als Steuerungsmittel versagt (z. B. beim bilateralen Monopol, verschiedenen oligopolistischen Verhaltensweisen und Elastizitäten), staatliche inversen sind Interventionen (z. B. Preissetzungen) anzuwenden (Ergänzung des Wettbewerbs).
Eine aktive Konjunkturpolitik soll für ein gleichmäßiges Wachstum bei stabilem Preis-niveau sorgen (Stabiliserung des Wettbewerbs). Und schließlich sollen die Ergebnisse des Marktprozesses hinsichtlich der Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht einfach hingenommen, sondern z. B. durch Sozial-und Steuerpolitik korrigiert werden. „Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden" (Korrektur des Wettbewerbs).
Jüngere Vertreter des Leitbildes der sozialen Marktwirtschaft stellen zwei einander ergänzende Programmpunkte dieser Konzeption in den Vordergrund 1. Die soziale Marktwirtschaft ist ein offenes System, das ständig im Lichte neuer Ideen und Erkenntnisse überprüft und verbessert werden kann und muß. Dabei sollen durch ein schrittweises Vorgehen (Poppers piecemeal social engineering) nicht aber durch einen »großen Wurf“, die gegenwärtigen Probleme gelöst werden.
2. Die Marktwirtschaft ist als flexibles Koordinations-und Rechensystem in den Dienst wirtschaftlicher, politischer und sozialer Zielsetzungen (persönliche Freiheit, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Leistungsfähigkeit) zu stellen und insofern instrumentalistisch zu interpretieren.
2. Die Unfruchtbarkeit der ordoliberalen Perspektive
Es läßt sich aber zeigen, daß man diesem Anspruch nicht gerecht wird. Was den ersten Punkt angeht, so stellt sich die Frage, wie groß die „Schritte" zur Problemlösung entsprechend dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft sein dürfen. Ordoliberale lehnen z. B. eine paritätische Mitbestimmung oder eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung als Problemlösung für mehr persönliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit ab, weil ihnen diese Schritte nicht nur zu groß, sondern prinzipiell unzulässig sind. Das entscheidende Kriterium ist hier — wie auch bei der Frage der Investitions-und Preiskontrollen — das der Markt- bzw. Systemkonformität. Es werden nur solche Schritte zugelassen, die markt-bzw. systemkonform sind. Diese Orientierung an der Marktkonformität versperrt dem Ordoliberalen in Wirklichkeit den Weg zum problemorientierten Vorgehen.
Deutlich wird dies besonders, wenn man die Diskussion zum Thema Investitionskontrolle bzw. Investitionslenkung verfolgt. Obwohl schon Harrod vor 35 Jahren darauf hingewiesen hat, daß die Regierung zur Vermeidung von Wachstumsstörungen der Wirtschaft ein langfristig angelegtes wirtschaftspolitisches Handlungsprogramm benötigt, und Keynes in seinem Standardwerk über die allgemeine Theorie der Beschäftigung gesagt hatte: „Ich folgere, daß die Aufgabe, die laufende Menge der Investitionen zu leiten, nicht ohne Gefahr in privaten Händen gelassen werden kann“, werden Ordoliberale nicht müde, auf die mangelnde Markt-und Systemkonformität von Investitionslenkungskonzepten zu verweisen. Ohne schon an dieser Stelle auf die Ziele, Vorteile und Schwächen bestimmter Lenkungskonzepte einzugehen: es steht fest daß solche Vorschläge nicht mit dem Argument sachlicher Unzulänglichkeit, sondern mit dem Hinweis auf mangelnde Systemkonformität verworfen werden.
Der wissenschaftlichen Absicherung einer auf Systemkonformität (und den traditionellen Machtstrukturen) aufgebauten Wirtschaftspolitik dient u. a. die äußerst fragwürdige „Olilecktheorie'der Freiburger Ordoliberalen (Eucken, Hayek, Rüstow). Hauptthese: Einem nicht marktkonformen Eingriff müssen zwangsläufig immer weitere Reglementierungen folgen. Damit aber werden letztlich die „individuellen Freiheiten zu Grabe getragen'(Schlecht), d. h., der Weg in die Zentralverwaltungswirtschaft wird eingeschlagen. Der unwissenschaftliche Status der Olflecktheorie ist leicht nachzuweisen. Hier seien nur die folgenden Gründe genannt:
1. Das Begriffspaar marktkonform — marktinkonform ist unpräzise (s. S. 7— 8).
2. Die These von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung für den Fall, daß ein erster marktinkonformer Eingriff erfolgt, ähnelt sehr stark dem „Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft", das die Marxisten vertreten. Solche „Gesetze" hält Popper für unwissenschaftlich
3. Es ist nicht zu leugnen, daß das französische System der Investitionslenkung (Planification) auf sektoraler und gesamtwirtschaftlicher Ebene durchaus Erfolge gehabt und auch keineswegs zur Zentralverwaltungswirtschaft geführt hat. Die Olflecktheorie ist also bereits durch Tatsachen widerlegt worden. Wenn ein so prominenter Ordoliberaler wie Otto Schlecht die These vertritt: „Wer das große A der Investitionslenkung spricht, muß auch das XYZ der Zentralverwaltungswirtschaft wollen" dann ignoriert er handfeste Fakten und beweist die Fragwürdigkeit der ordoliberalen Wirtschaftsordnungstheorie. Das Beispiel Investitionslenkung zeigt deutlich, daß die instrumentalistische Version des Ordoliberalismus nicht zu halten ist. Durch den Mitteleinsatz soll die Sicherung der Ordnung gewährleistet werden. Ordnung und Ziele werden derart miteinander verschmolzen, daß die Ordnung selbst das Ziel ist und so ihren instrumentellen Charakter verliert.
Wirtschaftspolitik im Stil des Ordoliberalismus ist Ordnungssicherungspolitik; sie dient damit zugleich der Zementierung der bestehenden Machtverhältnisse. Dies ist um so problematischer, je geringer die Möglichkeiten werden, soziale Konflikte mit dem Hinweis auf steigenden realen Lebensstandard zu vertagen. Verringerte reale Wachstumsraten im Gefolge der Ol-und Rohstoffpreissteigerungen werden den Spielraum der Lohnpolitik noch stärker einengen — die Verteilungserfolge der Arbeitnehmer in den Jahren 1973 und 1974 werden 1975 sicher wieder rückgängig gemacht, zumindest aber eingeschränkt werden. Um so wichtiger wird deshalb die Politik der sog. kostenlosen inneren Reformen, wie z. B. die Mitbestimmung, die Investitionslenkung oder die Reform der beruflichen Bildung.
Durch die einmal gewählte bzw. gesetzte Ordnung ist auch das Machtverhältnis zwischen Kapital und Arbeit festgeschrieben. Für die Gewerkschaften, die die bestehenden Verhältnisse zugunsten der Arbeitnehmer verändern wollen, ist folglich die ordnungspolitische Konzeption des Ordoliberalismus bzw.der sozialen Marktwirtschaft unbrauchbar.
Außer durch den Hinweis auf die Mitbestimmung wird dieses Urteil durch weitere Tatbestände erhärtet:
1) Die bisherigen Erfolge in der Vermögens-politik sind nicht zufriedenstellend, vor allem bezüglich der Verteilung des Produktivvermögens. Wirksame Maßnahmen wie eine über-betriebliche Ertragsbeteiligung werden als nicht systemkonform bezeichnet und abgelehnt. Die „Korrektur des Wettbewerbs" (Müller-Armack) scheiterte an der Frage der Systemkonformität.
2) Die „Ordnung des Wettbewerbs“ ist den Ordoliberalen und sozialen Marktwirten nicht gelungen; einen ersten Schritt haben die Sozialdemokraten mit der Kartellgesetznovelle getan. Auch die Macht der Multinationalen Konzerne oder der Großbanken, die in der Bundesrepublik Deutschland durch die Kumulation von Eigenbeteiligungen und Depot-stimmrecht beträchtlich ist, wird nicht ernsthaft im Lager der Ordoliberalen diskutiert.
Ausnahmen — wie etwa Willgerodt — bestätigen hier die Regel, ganz davon abgesehen, daß eine Chance zur politischen Realisierung etwaiger Lösungsvorschläge nicht besteht. Der Vorschlag Biedenkopfs etwa, die Vorteile der Multinationalität dadurch zu beseitigen, daß die Multis in den Bereich nationalstaatlicher Gesetzgebung rezentralisiert und praktisch entflochten werden sollen (Dialog, Jg. 3, Nr. 3/72), ist schon mehr als drei Jahre alt. Entsprechende Gesetzesinitiativen seiner Partei sind jedoch nicht in Sicht.
Wie oben schon angedeutet, kommt hinzu, daß das Begriffspaar marktkonform-marktinkonform ebenso wie die Begriffe systemkonformsysteminkonform nicht hinreichend exakt definiert werden können. Es gibt nach Müller-Armack Maßnahmen, die weder völlig marktkonform noch völlig marktinkonform sind Tuchtfeldt, an sich ein Anhänger des Klassifikationsschemas, konstatiert, daß eine klare Trennungslinie zwischen konformen und in-konformen Maßnahmen nicht zu ziehen ist, daß „an sich konforme Mittel inkonform wirken. .. und inkonforme ebenso konform.. . * wirken können Und auch Gäfgen weist darauf hin, daß „der Begriff Marktkonformität dann vieldeutig wird, wenn damit weder Konformität mit der Form marktwirtschaftlicher Preisbildung noch mit dem Ziel gegenwärtiger oder zukünftiger Effizienz gemeint ist, sondern mit den Zielen der sozialen Marktwirtschaft überhaupt"
Diese Unklarheit im Begriffsapparat ist aber möglicherweise vielen Vertretern der sozialen len Marktwirtschaft nicht unwillkommen: Mit unpräzisen Begriffen läßt sich leicht eine Politik der Sicherung bestehender Verhältnisse betreiben. Es gibt kaum eine wichtige wirtschafts-und gesellschaftspolitische Maßnahme zur Verbesserung der Lage der Arbeitnehmer, die nicht von ordoliberalen Theoretikern oder Praktikern mit dem Attribut „marktinkonform" belegt worden wäre bzw. belegt wird Wenn andererseits massive Eingriffe in den gewerkschaftlichen Gestaltungsrahmen (Tarifpolitik) nicht als System-bzw. marktinkonform gekennzeichnet werden, dann liegt die Kapitalorientierung dieser Konzeption auf der Hand.
3. Der Demokratische Sozialismus als regulative Idee
Wenn den Ordoliberalen der Weg zu einem Problemlösungsverhalten bzw. zum „piecemeal social engineering“ in der Wirtschaftspolitik durch das Haften am Systembegriff weitgehend versperrt bleibt, so gilt Gleiches — mit umgekehrtem Vorzeichen — auch für einen großen Teil der Marxisten. So bemerkt z. B. Kade, daß die Grundstruktur des Investitionslenkungsmodells von Zinn, Meißner und Wieczorek „eine fatale Ähnlichkeit mit den Optimierungskalkülen der marktwirtschaftlichen Ideologie (d. h.den Gewinn-und Nutzenmaximierungsmodellen — M. Kr.) aufweist"
Schwerwiegend ist nach Kade dieser Einwand deshalb, weil sich „der Denkstil der bürgerlichen Ökonomie im Prozeß der Konsolidierung der bürgerlich-kapitalistischen Produktionsverhältnisse zum Zwecke der Stabilisierung von Herrschaft entwickelt hat. Wie sollte also gerade eine solche ökonomische Theorie und das aus ihr herzuleitende Kommunikationsmodell von Sachverstand und Politik geeignet sein, dazu beizutragen, einen politischen Prozeß der Umverteilung von Macht einzuleiten?"
Da in dem erwähnten Investitionslenkungsmodell die Unternehmen alle Investitionen ab einer bestimmten Größenordnung von einem demokratisch kontrollierten Bundesamt für Investitionskontrolle genehmigen lassen müssen, ist wohl deutlich eine Umverteilung von Macht eingeleitet. Damit soll hier nicht dem Zinnschen Modell das Wort geredet wohl aber die Unhaltbarkeit der Kadeschen Position deutlich gemacht werden. Und außerdem: Welche Relevanz hat die Entstehung einer Theorie bzw. eines wirtschaftspolitischen Vorschlags für ihre Bewahrung bzw. Effektivität? Wissenschaftstheoretisch gesehen handelt es sich bei Kades Argument um eine Vermischung von Entdeckungs-und Begründungszusammenhang; die Entstehung bzw.der Ursprung einer Theorie hat nichts mit ihrer Gültigkeit bzw. Begründung zu tun Da für Kade praktische Probleme wie die der Erarbeitung von Kriterien, nach denen die Investitionsentscheidungen gefällt werden sollen, erst gelöst werden müssen und können, wenn die gegenwärtig vorherrschenden Produk-tionsverhältnisse beseitigt sind und damit der Abbau von Herrschaft erreicht ist, bleibt als Antwort auf praktische Probleme stets die stereotype Forderung nach Auflösung des Grundwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Mit dem Hinweis darauf, daß „Entscheidungsprozesse in neuen gesellschaftlichen Organisationsformen gelernt werden müssen und deshalb die Lernfähigkeit neuer Organisationsformen von entscheidender Bedeutung" sei entzieht er sich darüber hinaus auch der Fragestellung, wie denn z. B. Investitionskriterien im Sozialismus aussehen müssen. Bei Arbeitnehmern, die konkrete Alternativen zur Lösung ihrer Probleme erwarten, ist mit dieser Auffassung kein Staat zu machen Sie führt in ihrer Konsequenz zum gleichen Ergebnis wie die ordoliberale Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, nämlich zur Festschreibung der herrschenden Verhältnisse. Eine problemorientierte Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, bei der die schrittweise Verbesserung der Lebensverhältnisse vor allem der Arbeitnehmer sowie der kleinen und mittleren Selbständigen im Vordergrund steht, ist eine Verbindung aus a) einer realistischen und an den individuellen Bedürfnissen sowie dem kollektiven Bedarf (Infrastrukturinvestitionen) orientierten Sozialkritik mit b) einer sozialtechnologisch reformulierbaren positiven Sozialwissenschaft
Diese der Sozialphilosophie des Kritischen Rationalismus entstammende Fundierung rationaler Politik schließt die Zementierung bestehender und ungerechter Verhältnisse eben-so aus wie den radikalen Umsturz der »Gesellschaft als Ganzes". Sie ist Stückwerk-Technik im Gegensatz zur utopischen bzw.
holistischen Technik Das bedeutet: Sie betrachtet ihre Problemlösungsvorschläge ebenso wie die Probleme selbst stets als Ergebnis eines Prozesses, im Laufe dessen alle Beteiligten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Standpunkte im Lichte von Argumenten zu prüfen. Ebenso wie für Theorien gilt auch für politische Maßnahmen das Revidierbarkeitskriterium.
Im Falle des Auftauchens neuer Erkenntnisse können sie zurückgenommen werden. „Die durch den Sozialprozeß erreichbaren Entscheidungen sind weder Offenbarungen eines Gemeinwillens oder einer anderen platonischen Instanz noch Resultate einer mathematischen Transformation von vornherein feststehender und unverbundener Einzelinteressen, sondern in der Diskussion zwischen in ihren Informationen und Interessen nicht übereinstimmenden Individuen ausgehandelte und jederzeit revidierbare Kompromisse, die keine höhere Wahrheit für sich in Anspruch nehmen können."
Ebenso wie Theorien können auch politische Entscheidungen und politische Systeme keine endgültigen „Wahrheiten", sondern lediglich vorläufig beste Annäherungen an die „Wahrheit" sein. Wahrheit ist eine regulative Idee; man weiß nie genau, ob man sie erreicht hat. Demgegenüber haben sich die Ordoliberalen auf ein bestimmtes System versteift. Die ordoliberale Ordnungstheorie ist eine Rechtfertigungslehre für ein bestimmtes kapitalorientiertes System.
Man hat zwar die Freiheit, sich für eine bestimmte Wirtschaftsordnung zu entscheiden. Da die freie bzw. soziale Marktwirtschaft jedoch die „natürliche" Wirtschaftsordnung ist, ist die Entscheidung einprogrammiert. Danach gilt nur noch der Zwang, die Wirtschaftspolitik an der einmal getroffenen Wahl zu orientieren
Soziale Marktwirtschaft ist damit nicht das „offene System", von dem Watrin spricht. Die vorhandene Irreversibilität der ordnungspolitischen Entscheidung entspricht nicht der Methode der kritischen Prüfung, wie sie der Kritische Rationalismus propagiert. Sie entspricht im übrigen auch nicht der Verfassung der Bundesrepublik. „Die gegenwärtige Wirtschafts-
und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts-und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann“ (Bundesverfassungsgericht) Das Revidierbarkeitskriterium ist unabdingbare Voraussetzung für den wissenschaftlichen und politischen Fortschritt. Indem die Ordoliberalen dies für die ordnungspolitische Entscheidung negieren, verhindern sie notwendigerweise zumindest dort den politischen Fortschritt, wo er die bestehenden Machtverhältnisse tangiert.
Mit diesen Ausführungen soll nicht einer Problemlösung durch „Systemüberwindung“ das Wort geredet werden, die Kritik gilt lediglich der ständigen Orientierung an fragwürdigen Ordnungskriterien.
Der demokratische Sozialismus, wie er z. B.
im Grundsatzprogramm der SPD von Bad Godesberg (1959) seinen Niederschlag gefunden hat, vermeidet eine solche starre Fixierung an Wirtschaftsordnungskriterien. Bei einem Problemlösungsvorschlag geht es nicht darum, ob er markt-oder systemkonform ist, sondern ob das Problem damit — unter Berücksichtigung aller Nebenwirkungen und Zielkonflikte bzw. -Interdependenzen — tatsächlich gelöst oder einer Lösung nähergebracht wird.
Daß der demokratische Sozialismus ein offenes System sein will, geht aus dem Godesberger Programm ebenfalls hervor. „Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden.“
Dies hat Gerhard Weisser, einer der Väter dieses Programms, erst unlängst wieder deutlich gemacht Ebenso wie die jüngeren Vertreter des Ordoliberalismus betont er die instrumentelle Bedeutung der Marktwirtschaft und damit die Ablehnung jeglicher dogmatischer Positionen in diesem Punkte. Im Gegensatz zu den Ordoliberalen ist für ihn das Begriffspaar systemkonform — systeminkonform jedoch ohne Bedeutung, offenbar aus der Überzeugung heraus, daß hiermit eine Immunisierungsstrategie gegen Reformpolitik zugunsten der arbeitenden Bevölkerung verbunden ist. Weisser glaubt, daß die Marktwirtschaft in einer freiheitlichen Gesellschaft nur dann vertreten werden kann, wenn sie — im privatwirtschaftlichen Teil wirklich wettbewerblich gestaltet wird;
— durch eine starke Verbraucherpolitik vor freiheitsfeindlicher manipulativer Werbung geschützt wird;
— von den Diskriminierungswirkungen einer ungerechten Vermögensverteilung befreit wird;
— bestimmte lebenswichtige Güter aus dem Markt herausnimmt, weil die Versorgung auf marktwirtschaftlichem Wege zu sozialen Ungerechtigkeiten führen würde (z. B. bei Bildung, Gesundheitswesen etc.); — für eine Vielfalt der Untemehmenstypen sorgt, d. h. auch den Ausbau der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen betreibt (dies schließt die Ablehnung einer totalen Sozialisierung ebenso ein wie die der totalen Privatisierung). Solche zuletzt genannten Totallösungen entsprechen nicht der Politik des „piecemeal social engineering", d. h., es gilt Einzelprobleme anzupacken und zu lösen, die Veränderung „Stück für Stück” in konkreten Reformschritten herbeizuführen
Für demokratische Sozialisten bedeutet das vor allem: Kontrolle der Macht großer Konzerne durch Mitbestimmung. Die Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden noch viel damit zu tun haben, die demnächst zu erwartende Unternehmensmitbestimmung im Interesse der Betroffenen wirksam und problem-gerecht auszugestalten. Parallel dazu ist aber der Gedanke der überbetrieblichen Mitbestimmung weiterzuentwickeln. Es wäre nämlich falsch anzunehmen, daß die Unternehmens-mitbestimmung zur Lösung aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme in der Bundesrepublik Deutschland ausreicht. Es gibt heute kein Patentrezept für alle relevanten Probleme, und es ist verantwortungslos, wenn Wissenschaftler und/oder Politiker diesen Eindruck zu erwecken versuchen. Demo-kratischer Sozialismus ist eine Konzeption zwischen solchen Totallösungen und dem Bestreben, es beim Status quo zu belassen
Uber die Größe der einzelnen Stritte wird es auch unter demokratischen Sozialisten weiterhin zu heftigen Kontroversen kommen Die konsequente Anwendung des Revidierbarkeitskriteriums garantiert aber, daß es zu keinen „Glaubenskämpfen", d. h. zu einer dogmatischen Verhärtung der Fronten, kommen wird. Sie impliziert auch eine Absage an jegliche Umwegstrategie; bestimmte Reformen werden nach dieser Strategie nur deshalb akzeptiert, weil sie einen Beitrag zur Systemüberwindung leisten (z. B. Mitbestimmung). Eine solche Umwegstrategie ist nicht nur politisch gefährlich, weil sie Unsicherheit über die wahren Ziele bei vielen Bürgern verursacht. Sie ist auch undemokratisch, weil hier dem Wähler etwas vorgemacht wird. Jeder Wähler soll sich in voller Kenntnis der Alternativen, Pläne und Absichten der Parteien — sozusagen mit vollständiger Markttransparenz versehen — für eine entscheiden. Eine Partei, die ihre wahren Absichten versteckt, handelt diesem Demokratiegrundsatz zuwider.
Zwar schließt etwa die paritätische Mitbestimmung nicht auf jeden Fall und a priori eine Arbeiterselbstverwaltung aus; ebenso denkbar sind aber auch ganz andere Modifikationen — und zwar in jeder Richtung. Darin besteht die Offenheit des Systems; Regelungen, die sich nicht bewähren, werden außer Kraft gesetzt genauso wie Theorien, die falsifiziert werden, aus dem Wissenschaftsbereich verschwinden. Auf diesem Prinzip beruht letztlich jeder wissenschaftliche und politische Fortschritt. Und deshalb ist die kritische Auseinandersetzung konstitutiver Bestandteil des Demokratischen Sozialismus. „Criticism....... is the only way we have of detecting our mistakes, and of learning from them in an systematic way.“ *
4. Investitionslenkung in politischen Programmen
In Lehrbüchern oder Ubersichtsartikeln zum Thema „Allgemeine Wirtschaftspolitik" wird die Investitionslenkung als ein wichtiger Bestandteil der Konzeption des Freiheitlichen Sozialismus angesehen Freiheitlicher oder Demokratischer Sozialismus bejaht grundsätzlich die marktwirtschaftliche Ordnung, betont aber zugleich ihren instrumenteilen Charakter. Sie muß durch wichtige Elemente wie Mitbestimmung auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene, gemeinwirtschaftliche Unternehmen und überbetriebliche Vermögens-bildung in Arbeitnehmerhand ergänzt werden. Eine aktive Vollbeschäftigungs-, Wachstums-und Strukturpolitik erfordert darüber hinaus — eine Rahmenplanung volkswirtschaftlicher Gesamtgrößen in Form eines Nationalbudgets; — eine indirekte Lenkung der Investitionstätigkeit nach Volumen und Struktur. „Damit sollen Disproportionalitäten als Folgen privater Kurz-und Fehlsichtigkeit, die eine • richtige Lenkung der Investitionen ... auch nach der Auffassung macher liberaler Ökonomen verhindert, vermieden werden. Die Schwierigkeit aktiver Strukturpolitik liegt nicht in der Konzipierung koordinierter Strukturen, sondern in der Antizipation einer richtigen zukünftigen Struktur, die produktionswirtschaftliche Effizienz, regionalpolitische und gesellschaftspolitische Erwägungen sowie gegebenenfalls die Sicherung der Versorgung mit lebenwichtigen Gütern berücksichtigt." Die hier von Gäfgen beschriebene Konzeption der Investitionslenkung findet ihren Niederschlag — im Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aus dem Jahre 1959 (Godesberger Programm);
— im DGB-Grundsatzprogramm aus dem Jahre 1963;
— in dem zweiten Entwurf eines Orientierungsrahmens 1975-85.
Allerdings sind die Ausführungen hierzu im Godesberger Programm sehr kurz: „Wirksame öffentliche Kontrolle muß Machtmißbrauch der Wirtschaft verhindern. Ihre wichtigsten Mittel sind Investitionskontrolle und Kontrolle marktbeherrschender Kräfte." Ausführlicher befaßt sich das DGB-Grundsatzprogramm mit der Investitionslenkung bzw. -kontrolle. Weil Fehlleitungen von Arbeit und Kapital eine Belastung für die Lebensqualität darstellen, wird vom DGB eine Abstimmung der Investitionen auf die konjunkturellen wie strukturellen Erfordernisse der Gesamtwirtschaft gefordert: „Die in konjunktureller und struktureller Hinsicht notwendige Steuerung der privaten Investitionsfähigkeit erfordert zusätzlich zu der global wirkenden Kreditpolitik einzelwirtschaftliche, auf bestimmte Wirtschaftszweige oder auf regionale Bereiche gerichtete Maßnahmen. Diese differenzierte Investitionssteuerung kann z. B. durch gezielte steuerliche und kreditpolitische Mittel oder durch Änderung der Abschreibungsbedingungen erfolgen. Als Grundlage für die Investitionslenkung sind laufend Bedarfs-und Nachfragevorausschätzungen vorzunehmen und zu veröffentlichen. Auf diese Weise ist auch eine Beeinflussung der privatwirtschaftlichen Rahmenplanung zu erreichen, ohne die letzte Entscheidung über Art und Umfang der Investitionen aus dem Bereich des einzelnen Unternehmens herauszunehmen."
Erst ca. zehn Jahre später wird die Diskussion über die Investitionslenkung wieder zu einem zentralen Thema der wissenschaftlichen und politischen Diskussion. Der SPD-Parteivorstand legte am 2. Juni 1972 den „Entwurf eines ökonomisch-politischen Orientierungsrahmens 1973-1985" vor, der von der sog. Langzeitkommission unter Vorsitz von Helmut Schmidt erarbeitet worden war. Auftraggeber für diesen Entwurf war der Saarbrücker Parteitag der SPD im Jahre 1970. Ein wichtiger Satz des Parteitagsbeschlusses: „Die Kommission wird beauftragt zu untersuchen, wie das Instrumentarium der Planung und Koordinierung aller wichtigen privaten Investitionsentscheidungen unter sektoralen und regionalen Gesichtspunkten ausgebaut werden kann... Es kommt darauf an, gesellschaftlich unerwünschte Ergebnisse des marktwirtschaftlichen Selbststeuerungsprinzips zu verhindern, ohne seine Vorteile — Flexibilität und Vielfalt, Initiative und Dynamik — zu gefährden.“ Auch die neue SPD-Langzeitkommission unter Vorsitz von Peter von Oertzen, Horst Ehmke und Herbert Eh-renberg hat die „Möglichkeiten, die Investitionsentscheidungen der Unternehmen zum Zwecke der gesamtwirtschaftlich erwünschten Steuerung stärker als bisher zu beeinflussen", untersucht. Die Ergebnisse der Beratungen geben der indirekten Investitionsbeeinflussung durch Steuern, Anreize, Bereitstellung oder Verweigerung öffentlicher Leistungen den Vorzug
Dieser zweite Entwurf eines politisch-ökonomischen Orientierungsrahmens für die Jahre 1975-85, den der SPD-Parteivorstand Anfang 1975 beraten hat, stellt sich die Aufgabe, „auf der Grundlage des Godesberger Programms die Grundwerte des demokratischen Sozialismus zu präzisieren und zu konkretisieren, eingetretene und zu erwartende gesellschaftliche Entwicklungen zu analysieren und aufzuzeigen, wie durch Reformen die Gesellschaftsordnung der BRD in Richtung auf mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Solidarität verändert werden kann".
Ausgehend von der Tatsache, daß die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gemischte Wirtschaftsordnung ist, in der Marktmechanismen ebenso ihre Bedeutung haben wie staatliche Planung und Lenkung, werden Probleme und Bereiche aufgezählt, für die das Steuerungsinstrument „Markt" nicht ausreicht 1. Der sich selbst überlassene Markt neigt zur Aufhebung des Wettbewerbs und zur zunehmenden Konzentration und Vermachtung der Märkte.
2. Die Verteilung der Güter ist nur insoweit gerecht, wie die Einkommensverteilung gerecht ist.
3. Der Markt versagt bei der Bereitstellung von Infrastrukturleistungen. 4. Die Entwicklung zukunftsträchtiger Branchen oder die Schrumpfung bestimmter Produktionen kann nicht allein dem Markt überlassen bleiben.
5. Der Markt als Ordnungsprinzip bedarf der sozialen Korrektur. 6. Ungesteuerter Wettbewerb führt häufig zu ruinösen Marktverhältnissen.
Ausführlich beschäftigten sich die Verfasser des OR'85 dann mit der Frage, wie „die Investitionsentscheidungen der Unternehmen zum Zwecke der gesamtwirtschaftlich erwünschten Steuerung stärker als bisher zu beeinflussen sind". Dabei wird der Satz des Godesberger Programms, daß freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmer-initiative wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik sind, ausdrücklich hervorgehoben.
Wichtige Bestandteile des Investitionslenkungskonzepts sind:
1. Ein zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgestimmtes langfristiges Infrastruktur-konzept, das Orientierungshilfen für die einzelwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen liefert.
2. Die Ergänzung dieses Konzeptes durch einen Maßnahmenkatalog der regionalen und sektoralen Strukturpolitik einschließlich der Forschungs-, Innovations-, Berufsbildungs-, Rohstoff-und Energiepolitik.
Dieser so skizzierte Bundesentwicklungsplan setzt entscheidende Daten auch für die Investitionen der privaten Wirtschaft; er würde somit indirekt auch die Produktion lenken, andererseits aber den Privatinvestoren einen großen autonomen Entscheidungsspielraum belassen. Für den Fall, daß die Rahmensetzung für die privaten Investoren nicht ausreicht, um Fehlentwicklungen zu vermeiden, sollen weitere Instrumente erprobt werden:
1. Anzeigepflicht für Investitionen bestimmten Umfangs, bestimmter Art oder an bestimmten Standorten.
2. Feststellungen autorisierter öffentlicher Planungsträger gegenüber einzelnen privaten Unternehmen, ob und inwieweit Investitionen erwünschte oder schädliche Folgen hervorrufen könnten.
3. Investitionsauflagen (z. B. bau-, gemeinde-oder umweltrechtliche Genehmigungsvorbehalte). 4. Investitionsverbote (z. B. Ansiedlungsverbote, u. U. wäre das Produktionsverbot angemessener). Wie man aus dieser Aufstellung ersieht, enthält der OR'85 eine Reihe wichtiger Vorschläge zum Thema Investitionslenkung. Hinzu kommen Überlegungen zum Thema „Modernisierung unserer Wirtschaft als Grundvor-aussetzung langfristiger Arbeitsplatzsicherung" Hier wird die sektorale Entwicklung von Investitionen und Arbeitsplätzen in den Mittelpunkt der Strukturpolitik gerückt
Entscheidender Mangel der bislang betriebenen Wirtschaftspolitik ist das Fehlen einer abgestimmten regionalen und sektoralen Strukturpolitik. Die Konjunkturforscher sind zwar bemüht, ein für die gesamte Volkswirtschaft geltendes Frühwarnsystem zu entwikkeln bzw. zu verbessern; um Frühwarnsysteme, die regionale und vor allem sektorale Fehlentwicklungen anzeigen, bemüht man sich jedoch zu wenig. Das Bundesraumordnungsprogramm ist ein wichtiger Ansatz, doch er bezieht sich nur auf den regionalen und nicht auf den sektoralen Aspekt.
Es ist deshalb ein wichtiger Fortschritt, wenn im OR‘ 85 die Notwendigkeit vor allem der sektoralen Strukturpolitik betont wird. Sektoral differenzierte Status-quo-Prognosen sollen unter Einbeziehung der voraussichtlichen Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung über die Entwicklungschancen der einzelnen
Sektoren und über eventuell drohende strukturelle Schwierigkeiten Auskunft geben. Auf dieser Grundlage entwickelte Prognosen können Voraussetzungen für einen Orientierungsrahmen der privaten Wirtschaft und für eine Programmierung der Strukturpolitik liefern.
Karl Hauenschild, der Vorsitzende der IG Chemie-Papier-Keramik, hat darauf hingewiesen, daß die IG Chemie schon seit einiger Zeit die Erstellung eines regional und sektoral differenzierten Rahmenplans mit sektoralen Prognosen fordert Ein solcher Plan soll die Basis für eine indikative bzw. indirekte Investitionslenkung liefern, deren wichtigster Zweck die Vermeidung nicht nur der konjunkturellen, auch der strukturellen Arbeitslosigkeit ist. Wären auf Bundesebene festgelegte Rahmendaten verfügbar gewesen, an die sich die Länder, Gemeinden und Planungsverbände hätte« halten müssen, hätte es z. B. nicht zu den mit erheblichen öffentlichen Mitteln geförderten Überinvestitionen in der Automobil-und Aluminiumindustrie kommen können.
5. Der OR'85 — ein biedermeierlicher Weg zum Sozialismus?
Natürlich ist die Erstellung einer Sektor-bzw. Branchenprognose keine leichte Sache. Irrtümer sind nicht auszuschließen. Um so unverständlicher ist es, wenn vier „Gegner der Volksfront des Kapitals" diese Form der indirekten, indikativen oder pragmatischen Investitionslenkung im OR’ 85 kritisieren, weil sie ihnen nicht weit genug geht Während die indirekte Wirtschafts-bzw. Investitionslenkung die Letztentscheidung stets dem Unternehmen selbst überläßt, wird bei direkter Lenkung die Entscheidungsautonomie des Unternehmens ganz oder sehr stark aufgehoben, nämlich durch Gebote und Verbote. Indirekte Lenkung will durch Setzung von Daten (Steuern, Bereitstellung von Infrastrukturleistungen etc.) Einfluß nehmen.
Tatsache ist, daß eine direkte Lenkung — wie sie die Vier fordern — noch mehr und genauere Informationen bzw. Prognosen verlangt und daß sich Fehlprognosen weit negativer auswirken als bei indireker Lenkung. Die direkte Lenkung in der DDR hat schließlich dazu geführt, daß man beim Festhalten an den derzeitigen Prinzipien der Planung und Leitung für die Erfüllung der dadurch anfallenden Aufgaben in den achtziger Jahren ca. 80 °/0 aller Beschäftigten einsetzen müßte 42a).
Im einzelnen wäre zu dieser Kritik am OR'85 noch zu sagen: 1. Zwar ist es richtig, daß der Preismechanismus nicht so funktioniert, wie es sich die Verfechter der marktwirtschaftlichen Ordnung vorstellen. Doch wird unterschlagen, daß im OR eine Reihe von wichtigen wettbewerbspolitischen Maßnahmen vorgesehen sind! 2. Zwar bleibt indirekte Lenkung „auf das kapitalistische Unternehmen als Erfüllungsgehilfen" angewiesen, aber wie sehr sich der Unternehmenscharakter durch das Betriebsverfassungsgesetz und die paritätische Mitbestimmung ändert bzw. ändern wird, bleibt unerwähnt. Nicht das Bild vom Unternehmen, wie es der Orientierungsrahmen malt, ist falsch, sondern die Unterschätzung solcher wesentlichen Reformen.
3. Die These, Vollbeschäftigung und gerechtere Einkommensverteilung seien nicht gleichzeitig zu erzielen, wenn man — wie im OR vorgeschlagen — nur auf die Rahmenbedingungen Einfluß nehme, ist nicht haltbar. Das Konzept der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung zeigt einen Weg, wie man eine Umverteilung von Vermögen und Einkommen erreichen ohne Liquiditäts-und kann, den damit Investitionsspielraum der Unternehmen nennenswert einzuengen und die Vollbeschäftigung zu gefährden.
4. Die OR-Kritiker sprechen an mehreren Stellen von einer „gewünschten Produktionsstruktur", ohne sich genauer darüber auszulassen, wie denn nach ihrer Auffassung die Produktionsstruktur unserer Volkswirtschaft aussehen sollte. Gewiß hat der OR '85 hier auch noch nicht viel Konkretes zu bieten; es ist die Rede vom Abbau der Exportüberschüsse (ist das angesichts der abflauenden Auslandsnachfrage 1975/76 noch relevant?), von der Modernisierung der Volkswirtschaft und von Zielprojektionen der sektoralen Wirtschaftsentwicklung. Aber da auch die direkten Lenker konkrete Vorstellungen über die wünschenswerte Struktur haben müßten, wäre es interessant gewesen, sie zur Kenntnis nehmen zu können.
Das Patentrezept geben die vier Autoren mit ihrem Hinweis, man müsse — um die Ausweichstrategien der Kapitalseite rechtzeitig parieren zu können — den Hebel direkter Eingriffe in Produktion und Verteilung zumindest in Reserve haben. Und dann weiter: .... man braucht die politische Basis, die den Einsatz dieses Hebels deckt". Es ist offensichtlich, daß die vielbeschworene Basis den Einsatz dieser Hebel nicht deckt! Dazu müßten neben einer Kritik auch konstruktive Alternativen vorgelegt werden
Völlig unhaltbar ist auch die These, die im OR'85 skizzierte Reformpolitik verzichte auf eine Änderung der Machtverhältnisse und sei deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt. Neben der bereits erwähnten paritätischen Mitbestimmung und der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer enthält der OR'85 eine Reihe weiterer Vorschläge, deren Realisierung auf eine Änderung der Machtverhältnisse hinauslaufen würde. Umfassend ist z. B.der Katalog der Maßnahmen, mit denen der Bankensektor neugeordnet werden soll:
— Abschaffung des Systems der Universal-bank, wobei besonderer Wert auf die Trennung von Kredit-und Anlagegeschäft zu legen ist.
— Die Haltung oder der Erwerb von Schachtelbeteiligungen an Unternehmen soll melde-und genehmigungspflichtig sein, wobei die Genehmigung widerruflich ist.
— Banken darf es nicht gestattet sein, einzeln oder gemeinsam mit Hilfe des Depotstimmrechts und eigenem Aktienbesitz ein Unternehmen zu beherrschen.
An anderer Stelle wird vorgeschlagen, daß in den Fällen, in denen die Vermachtung und Konzentration der Märkte zu groß und deshalb die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu gering ist, rechtliche Vorschriften erlassen werden sollen. Diese sollen mit dem Ziel einer öffentlichen Kontrolle marktbeherrschender und die Marktmacht mißbrauchender Großunternehmen die Kalkulation der Unternehmen regeln.
Ein solcher im Verbraucherinteresse notwendiger Schritt läßt sich nicht von heute auf morgen vollziehen. Wie die Mißbrauchsverfahren des Kartellamts gegen die Mineralölkonzerne, VW, Merck, Hoffmann-La-Roche usw. gezeigt haben sind noch große praktische Schwierigkeiten zu bewältigen, bevor man in der Lage sein wird, die Kalkulation der Unternehmen zu regeln. Um nur einige Schwierigkeiten anzudeuten: — Wie lassen sich die Forschungs-und Entwicklungskosten angemessen auf die einzelnen Produkte verteilen?
— Wie läßt sich verhindern, daß durch die Manipulation der Verrechnungspreise Gewinne zwischen Mutter-und Tochtergesellschaften verschoben werden?
— Wann ist ein Gewinn als angemessen zu bezeichnen?
Die Verfasser des OR’ 85 beschränken sich auch bei der Behandlung der Multinationalen Konzerne nicht nur auf den Vorschlag, einen freiwilligen Kodex des verhaltens zu Wohl entwickeln. Vielmehr werden u. a. gefordert: — Schaffung eines internationalen Konzern-rechts, das eine direkte Interessenvertretung der Arbeitnehmer einschließt und die Öffentlichkeit informatorisch beteiligt;
— Information, Kommunikation und Vertretung der Arbeitnehmer auf Gesamtkonzernebene; — Einführung eines Systems präventiver Konzentrationskontrolle auf EG-Ebene;
— Garantiesystem für Investitionen in Dritt-ländern in Verbindung mit sozialen Auflagen, der Anerkennung der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation und der Anerkennung gewerkschaftlicher Vertretungen.
Niemand wird bezweifeln können, daß diese exemplarisch aufgezählten Maßnahmen eine deutliche Machtverlagerung beinhalten. Niemand kann allerdings auch an der Tatsache vorbei, daß nicht nur der Widerstand der Kapitalseite, sondern auch die praktischen Schwierigkeiten (rechtlicher, organisatorischer, fachlicher Art) die Reformgeschwindigkeit reduzieren. Mit Allgemeinplätzen, theoretischer Modellschreinerei und schwungvoller Rhetorik kann man aber die Geschwindigkeit nicht erhöhen.
Selbst wenn diese Maßnahmen noch nicht ausreichend erscheinen: Auch im neuen OR fehlt nicht der Satz des Godesberger Programms, daß in Einzelfällen auch die Über-führung von Produktionsmitteln in Gemeineigentum ein notwendiges Mittel zur Durchsetzung gesamtgesellschaftlicher Interessen sein kann. Der Nachweis dieser Notwendigkeit fällt — das hat z. B. die Diskussion über die Vergesellschaftung der Mineralölkonzerne gezeigt — nicht leicht, ganz davon abgesehen, daß eine Strategie zur Durchsetzung solcher wird wohl fehlt. Es noch lange dauern, bis die Kritiker sich mit den praktischen Schwierigkeiten beschäftigen und solche Durchsetzungsstrategien entwickelt haben. Bis dahin ist der OR'85 ein nützlicher Leitfaden für die Lösung der anstehenden Probleme.
6. Investitionslenkung in Frankreich
Die Investitionslenkungsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland führt zwangsläufig dazu, daß die Erfahrungen sowie die institutioneilen Besonderheiten der Wirtschaftspolitik in den Nachbarländern erneute Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In Frankreich wurde die Idee einer zentralen Steuerung der Investitionen durch den jahrhundertealten Zentralismus und Etatismus stark begünstigt Hinzu kamen — eine traditionell geringe Risikobereitschaft der französischen Unternehmer und Kapital-besitzer (Rentendenken), — ein geringes Bevölkerungswachstum in den Vorkriegsjahrzehnten, — umfangreiche Verstaatlichungen (Grundstoffindustrie, Fahrzeugbau, Banken, Energie), — geringe Vorkriegsinvestitionen und Kriegszerstörungen, d. h. knapper und überalterter Kapitalstock.
Vor allem im Hinblick auf die Wachstumsziele und die damit zusammenhängende Erneuerung des Kapitalstocks durch hohe Investitionen wurde von Jean Monnet das System der Planification eingeführt. Zentraler Bestandteil ist die mehrjährige Wirtschaftsplanung; die erste Planperiode umfaßte den Zeitraum 1947 bis 1952/53.
Mittelpunkt des Planungssystems ist das Commissariat General du Plan, das unmittelB bar dem Ministerpräsidenten untersteht Beteiligt sind an der Planung darüber hinaus die Modernisierungskommissionen, die entweder vertikal (d. h. für die sektoralen Programme zuständig) oder horizontal (d. h. mit gesamtwirtschaftlich wichtigen Spezialproblemen befaßt) zusammengesetzt sind. An der Erarbeitung des IV. Plans beispielsweise (1962-1965) waren 23 Vertikal-und fünf Horizontalkomissionen beteiligt. Neben den Ministerien müssen schließlich noch als Planungsträger der Wirtschafts-und Sozialrat und der Oberste Planungsrat erwähnt werden. Der Wirtschafts-und Sozialrat soll vor allem die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Wirtschaftsgruppen fördern und zum Planentwurf Stellung nehmen. Vorsitzender des Obersten Planungsrates (Conseil superieur du Plan de developpement economique et social)
ist der Ministerpräsident. Der Oberste Rat prüft den Planentwurf (noch vor dem Wirtschafts-und Sozialrat) und die jährlichen Durchführungsberichte. Er hat das Recht, der Regierung ergänzende Maßnahmen vorzuschlagen. Die Planerstellung erfolgt aufgrund von Direktiven, welche die Regierung nach Abstimmung mit dem Parlament und den beteiligten Gruppen vorgibt. Sodann erstellt das Planungskommissariat den Planentwurf, der die großen Linien der ökonomischen und sozialen Entwicklung in der Planperiode aufzeigt. In den Modernisierungskommissionen wird die Planskizze mit den konkreten Zahlen der Detailprogramme ausgefüllt. Unter Berücksichtigung von Nachfrageprognosen, Finanzierungsmöglichkeiten, Produktivitätsentwicklungen etc. wird die sektorale Entwicklung programmiert. Von Vorteil ist dabei die Mitarbeit von Fachleuten, die über ausgezeichnete Branchenkenntnisse verfügen. . Um zu möglichst zuverlässigen Ergebnissen zu gelangen und um gleichzeitig schon in dieser zweiten Phase die Gefahr der Entstehung sektoraler und regionaler Disproportionalitäten im gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprozeß zu reduzieren und/oder bestehende Ungleich-gewichte zu beseitigen, suchen die Kommissionen im Wege wechselseitiger Information ihre Detailprogramme nach Möglichkeit zu koordinieren.“
In der folgenden Phase fügt das Generalkommissariat die Detailprogramme in den gesamtwirtschaftlichen Rahmenplan ein. Wegen des Prinzips der Priorität der Detailprogramme müssen Unvereinbarkeiten zwischen den Einzelplänen und dem Entwurf des Gesamtplans durch Änderung des letzteren aufgehoben werden. Der weitere Gang wird im Schaubild deutlich Auch unter den veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen wird an den Grundsätzen der Planification in Frankreich festgehalten. Es ist daher unverständlich, wenn K. -P. Schmid in der ZEIT behauptet, Staatspräsident Giscard d'Estaing hielte wenig von der Planification (DIE ZEIT v. 22. 11. 1974, S. 38). Er selbst hat nämlich einen von ihm präsidierten zentralen Planungsrat (Conseil de Planification) ins Leben gerufen, dem der Premierminister, der Finanz-und Arbeitsminister, der Plankommissar und einzelne Ressortchefs je nach Thema angehören und der jeden Monat tagt. Der zentrale Planungsrat hat auch den Zweck, die bisher weitgehend dem Plankommissariat und seinen Sachverständigen überlassenen Planungsarbeiten enger an die Regierungspolitik zu knüpfen.
Der Prozeß der Planungsaufstellung für die Ausarbeitung des VII. Plans 1976— 1980:
In der 1. Phase würden allgemeine „Orientierungen“ festgelegt. Der Plankommissar legte der Regierung im April 1975 einen entsprechenden Bericht vor, der inzwischen verabschiedet worden ist. Zusätzlich holte die Regierung ein Gutachten des Wirtschafts-und Sozialrates ein. Im Anschluß daran wurden die Richtlinien für den VII. Entwicklungsplan der Nationalversammlung zur Stellungnahme vorgelegt. Die Nationalversammlung hat inzwischen die Richtlinien gebilligt.
In der 2. Phase wird nun das Plankommissariat den abgesteckten Rahmen ausfüllen und konkrete Entwicklungsziele für die Jahre 1976-80 ausarbeiten.
Die Beurteilung der französischen Planification ist nicht einheitlich. „Im ganzen gesehen kann man die Planung in Frankreich als erfolgreich ansprechen, wenn man lediglich die auf das Wachstum ausgerichteten Maßnahmen betrachtet.“ Allerdings ist die Einordnung der Arbeitnehmer und Konsumenten in die „economie concertee" — so PROGNOS weiter — nicht gelungen. Ähnliches urteilt auch das DIW: „Kein anderes europäisches Industrieland wies in den letzten Jahren ein so dynamisches Wirtschaftswachstum auf wie Frankreich; kaum anderswo sind auch die längerfristigen Wachstumsaussichten günstiger." Außerdem gelang es der franzö-sischen Wirtschaftspolitik im Gegensatz zu den meisten anderen Industrieländern, die konjunkturellen Schwankungen gering zu halten.
Dagegen ist die starke Unausgewogenheit der Einkommensverteilung nach wie vor ein entscheidendes Problem, ebenso wie die im Gefolge der Ölkrise aufgetretenen Inflationsund Zahlungsbilanzsorgen.
Die anfängliche Unterrepräsentation von Gewerkschaftsvertretern vor allem in den Modernisierungskommissionen scheint allmählich abgebaut zu werden. Deshalb kommt das DIW auch zu dem Schluß, daß die von Giscard d'Estaing verfolgte Politik des Interessenausgleichs keine schlechten Chancen hat.
„Erleichtert wird diese Aufgabe dadurch, daß alle Parteien die Planification grundsätzlich bejahen. Gerade die Planification scheint — betrachtet man ihre Entwicklung in den letzten Jahren — Voraussetzung für eine solche, auf Interessenausgleich bedachte Politik zu bieten."
Erwähnenswert ist auch die Auffassung von Giersch, daß sich durch die Planification in begrenztem Umfang langfristig Fehlinvestitionen vermeiden lassen, die einen ruinösen Wettbewerb und dann vielleicht eine Monopolisierung zur Folge haben
Obwohl die französische Planification im privaten Bereich indikativen und nur im staatlichen Bereich imperativen Charakter hat, hat der Staat doch umfassende Möglichkeiten, die Planziele auch im privaten Bereich zu realisieren. Die verstaatlichten Großbanken z. B. haben die Möglichkeit der Investitionskontrolle insofern, als sie Kredite vor allem für plankonforme Investitionen bereitstellen. Unmittelbar kann der Staat seine Ziele in den verstaatlichten Sektoren bzw. Unternehmen (Kohle, Strom, Gas, Eisenbahn, Flugzeuge, Automobile, Versicherungen) realisieren.
7. Investitionslenkung in Schweden
Auch in Schweden verfügt man über ein umfangreiches Instrumentarium der Wirtschaftslenkung. Man unterscheidet hier zwischen einem vierjährigen Staatshaushaltsplan, dem einjährigen Nationalbudget und dem fünfjährigen Rahmenprogramm; letzteres wird seit 1962 von einem Sekretariat für Langfristuntersuchungen im Finanzministerium und dem Wirtschaftlichen Planungsrat (bstehend aus Ministern, Reichsbank, Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertretern etc.) sowie verschiedenen Behörden (Statistisches Zentralbüro, Nationales Institut für Wirtschaftsforschung etc.) erstellt
Besonders ausgebaut ist in Schweden das System der regionalen Wirtschaftslenkung, was angesichts des sehr starken regionalen Ungleichgewichts (Nordproblem!) nicht zu verwundern braucht. Neben indirekt lenkenden Maßnahmen wie öffentliche Infrastruktur-investitionen, Arbeitsmarktpolitik und Beihilfen (bis zu 65 %) für private Investitionen sind die direkt wirkenden Maßnahmen seit 1973 erheblich erweitert worden Hierzu gehört vor allem das Ende 1972 beschlossene Genehmigungsverfahren für Investitionen bestimmter Sektoren und bestimmter Regionen. Die Regierung prüft und genehmigt bzw. verbietet Investitionen, sofern sie zur Errichtung neuer Betriebsstätten der folgenden Branchen in bestimmten Regionen führen: 1. Eisen-und Stahlwerke, Metallverarbeitende Industrie 2. Papier-und Zellulosenindustrie 3. Petrochemische Industrie 4. Raffinerien 5. Atomkraftwerke, Anlagen für Kernbrennstoffe, andere Kraftwerke 6. Düngemittelindustrie 7. Zementindustrie.
Der Antrag auf Genehmigung der Investition wird beim Ministerium für Raumordnung gestellt; die Genehmigung kann nur dann erfol-gen, wenn die entsprechende Kommune der Investition zustimmt.
Ein weiteres, eher globales Mittel der Investitionslenkung der ist der Investitionsfonds, seit 1938 existiert, seit 1958 eine wichtige Rolle als konjunkturpolitisches Instrument spielt und seit kurzem wieder im Schlag-licht der politischen Diskussion steht Jedes schwedische Unternehmen kann jährlich bis zu 40 % des Gewinns vor Steuern dem Investitionsfonds steuerfrei zuführen. Hiervon müssen 46°/o unverzinslich einem Sperrkonto bei der Reichsbank zugeführt werden. Uber die restlichen 54 % kann frei verfügt werden. Wird dieser Teil des Gewinns nicht dem Fonds zugeführt, muß er mit einem Körperschaftssteuersatz von 52 % versteuert werden.
Die Freigabe der Fondsmittel bedarf der Genehmigung durch die Arbeitsmarktbehörde AMS, deren Direktorium aus Vertretern der Regierung und der Tarifpartner besteht. Kriterium der Freigabe war bislang primär ein Ausgleich der Beschäftigungsschwankungen; es handelt sich also um ein Instrument antizyklischer Konjunkturpolitik, das schon allein wegen des beträchtlichen Umfangs der vorhandenen Fondsmittel eine große Bedeutung hat Die Mittel sind jedoch nicht im Rahmen einer branchenweise zentralisierten Form mobilisierbar (wie es die Gewerkschaften wollen), sondern verbleiben dem abführenden Unternehmen als Rücklage. Eine Verlagerung der Investitionsmittel von einem Unternehmen zum anderen innerhalb einer Branche oder sogar von Branche zu Branche ist damit nicht möglich. Theoretisch wäre eine branchenweise selektive Freigabe der Investitionsmittel denkbar, praktiziert wurde dies mit einer Ausnahme bislang jedoch nicht. Eine qualitative Investitionssteuerung mit dem Ziel einer Beeinflussung der sektoralen Struktur der Wirtschaft stand folglich in Schweden bislang nicht im Vordergrund. Meißner glaubt, daß dieser Aspekt jedoch zukünftig eine größere Rolle spielen wird
8. Neue Planungsansätze in den USA und Großbritannien
Audi in anderen westlichen Ländern gibt es Ansatzpunkte zur staatlichen Investitionslenkung, In Großbritannien wird seit 1962 im National Economic Development Council, in dem u. a. Vertreter der Regierung, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sitzen, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes geplant — ergänzt durch Economic Development Committee, in denen nach Art der französischen Modernisierungskommissionen die Entwicklung der einzelnen Wirtschaftsbereiche analysiert wird. Ähnlich gibt es in Italien seit 1962 eine Commissione Nazionale per la Programmazione Economica (CNPEI, in den Niederlanden seit 1945 das Central Planbureau (CPB) und seit 1950 den Sozialökonomischen Rat
Interessant ist, daß in Großbritannien und den USA ein starkes Wiederaufleben der Wirtschaftsplanungsdebatte zu verzeichnen ist. Die allgemeine Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre und das Unvermögen von Regierung und Industrie, auf die wirtschaftlichen Herausforderungen mit schnellen und angemessenen Maßnahmen zu reagieren, hat in den USA nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung 4 vom 13. /14. 5. 1975 erstmals den Ruf nach langfristiger, staatlicher Wirtschaftsplanung laut werden lassen. Neben Nobelpreisträger Leontief und den Senatoren Humphrey und Javits gehören der Gewerkschaftsvorsitzende Leonard Woodcock und der Industrielle Irwin Miller einer Gruppe von Gewerkschaftlern, Wissenschaftlern und Industriellen an, die die Gründung eines nationalen Planungsausschusses verlangen. Nach der im Senat bereits eingebrachten Gesetzesvorlage soll dieser Planungsausschuß alle zwei Jahre einen »ausgewogenen wirtschaftlichen Wachstums-plan“ vorlegen, der nach Anhörung von Kongreß, Kommunen und Bundesstaaten zustandekommt. Der Wachstumsplan soll für die Entscheidungen der privaten Industrie keinen bindenden Charakter haben, also indikativer und nicht imperativer Natur sein. Aufgabe des Ausschusses ist es, die Regierungsprogramme auf ihre Vereinbarkeit mit Planzielen* zu überprüfen und sehr frühzeitig auf mögliche wirtschaftliche Problemgebiete aufmerksam zu machen.
In Großbritannien wird seit kurzem die „Industry Bill" diskutiert, über die bestehenden Planungsansätze hinaus sollen nach diesem Gesetz zur „Regeneration of British Industry“ ein National Enterprise Board (NEB) und sog. Planning Agreements (PA) zwischen Privat-wirtschaft und Regierung installiert werden. Grundlage der Industry Bill ist das Labour-Programm von 1973.
Die Aufgabe des NEB besteht in der Förderung der industriellen Demokratie, der Verwaltung der Anteile und des Eigentums der öffentlichen Hand, der Errichtung neuer und der Unterstützung bereits bestehender Unternehmen sowie der Ausdehnung von Gemein-eigentum auch auf profitable Bereiche der industriellen Produktion.
NEB und PA sind komplementäre Instrumente. Wie die PA im einzelnen aussehen werden, ist eine noch offene Frage. Werner Meißner geht in seinem erwähnten Beitrag (Vgl. Anmerkung 60) ausführlich auf einen Vorschlag der Association of Scientific Technical and Managerial Staffs ein, der folgendermaßen aussieht:
Die Abmachungen dieser Übereinkunft sind nicht rechtlich bindend. Beide Parteien erklären jedoch, daß sie sich durch den Geist der Übereinkunft gebunden fühlen und sich bemühen werden, die Abmachungen einzuhalten. Die Regierung wird dann die finanziellen Verpflichtungen in Form von Krediten oder Beihilfen erfüllen, als ob es Verpflichtungen aus einem rechtlich bindenden Vertrag wären. Das Unternehmen dagegen erklärt, folgende von der Regierung aufgestellte Ziele so weit wie möglich zu verfolgen:
1. Arbeitsbeschaffung in bestimmten Regionen, 2. Energieeinsparungen bei den’ Produkten und im Produktionsprozeß selbst, 3. Exportmaximierung, 4. Importreduktion und -Substitution, 5. Herstellung gesellschaftlich nützlicher Produkte.
Das Unternehmen erkennt an, daß die Verfolgung dieser gesellschaftlichen Prioritäten im Interesse seiner Aktieneigner und seiner Beschäftigten liegt. Die Regierung stellt fest, daß das Unternehmen bei der Vorbereitung der Übereinkunft die betroffenen Gewerkschaften konsultiert hat.
Sodann folgen im PA nach Zweigwerken und Erzeugnissen detaillierte Planziffern über Investitionen, Produktion, Erträge, Preissetzung, Arbeitskräfte, Erträge, Außenwirtschaftliche Bilanz, Produktivitätsentwicklung, Werbungskosten und Finanzierung. Im letzten Punkt erscheinen dann auch die geplanten staatlichen Finanzhilfen. Ursprünglich sollten die PA für die größeren Unternehmen zur Pflicht gemacht werden. Davon ist man abgerückt Allerdings werden finanzielle Anreize durch den Staat für den Fall angeboten, daß die Unternehmen sich an Planübereinkünften beteiligen. Damit verbunden ist dann allerdings die Verpflichtung, wichtige Informationen aus dem Unternehmensbereich sowohl der Regierung als auch den Gewerkschaften zu übermitteln.
9. Von der Global-zur Struktursteuerung
In der Bundesrepublik ist das Instrumentarium der Wirtschaftsplanung — vor allem auch hinsichtlich der institutioneilen Aspekte — noch nicht so stark ausgebaut. Ausgehend von ordoliberalen Grundvorstellungen verhalf Ludwig Erhard 1949 dem marktwirtschaftlichen Selbststeuerungsmodell (Freisetzung der Marktkräfte) zum Durchbruch. Planungs-und Lenkungsansätze, wie sie SPD, Gewerkschaften der CDU (Ahlener Programm Teile
von 1947) verfolgten, konnten sich dagegen nicht durchsetzen. Erst mit Übergang zur dem Globalsteuerung des damaligen sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Karl Schiller wurden Ansätze einer allerdings rein globalen Planung der Wirtschaft sichtbar. Schiller beschreibt seine Konzeption so: „Die optimale Zuordnung der Mittel besteht in der kombinierten Anwendung des Prinzips der Selbst-steuerung (durch den Wettbewerb für die Mikrorelationen) und der Globalsteuerung (für den makroökonomischen Komplex). Dies ist die wirtschaftspolitische Grundentscheidung nach dem Prinzip: Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig.“ Bestandteil der Globalsteuerung wurden die im 1967 verabschiedeten Stabilitäts-und Wachstumsgesetz enthaltenen Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Untemehmensverbände (§ 3 StabG) sowie die im Jahreswirtschaftsbericht darzulegenden Ziel-projektionen (§ 2 StabG), die „das von der staatlichen Wirtschaftspolitik angestrebte Niveau der Gesamtwirtschaftsentwicklung anzeigen, das Urteil über die Entwicklung der Einzelmärkte und Einzelplanung aber voll den Marktteilnehmern überlassen"
Die Erhardsche Freisetzung der Marktkräfte führte ohne Zweifel zu einem starken Anstieg des Sozialprodukts und zu dem, was das Ausland bestaunte. als deutsches Wirtschafts Allerdings waren es nicht nur reine Marktkräfte, sondern z. T. ganz erhebliche staatliche Zuwendungen, die zu der hohen Investitionsbereitschaft und den daraus resultierenden Wachstumsraten führten Hinzu kamen eine „brave" Lohnpolitik und ein über unterbewerteter Jahre Wechselkurs der DM Negative Konsequenzen dieses wirtschaftspolitischen Kurses waren vor allem eine ungleiche und ungerechte Einkommens-und Vermögensverteilung, eine starke Konzentration und Vermachtung der Märkte und zu hohe Exportüberschüsse. Was den letzten Punkt angeht, so hatte schon der Sachverständigen-rat vor Jahren auf die Gefahren einer unterbewerteten DM insbesonders für die Stabilität hingewiesen H. Ehrenberg schreibt dazu: „Hinter dem Schutz des unterbewerteten Kurses der Deutschen Mark produzierten die Unternehmen zwei Jahrzehnte lang einen laufend größer werdenden Exportüberschuß. Dieser Entzug von Gütern für die heimische Verwendung in der Größenordnung von zehn bis zwanzig Mrd. DM jährlich vermehrte den Geldumlauf und trieb die Preise nach oben. Und dieser wohlstandsmindernde Exportüberschuß war wiederum nur zu produzieren mit der Hilfe einer ständig zunehmenden Anzahl von ausländischen Arbeitskräften. Das wiederum führt zwangläufig zu neuen Ansprüchen an die Infrastruktur und damit zur weiteren Verminderung der für den heimischen Markt zur Verfügung stehenden Produktionskapazität.“
Auslösendes Moment für den Übergang von Ehrhard zu Schiller war die Wirtschaftskrise der Jahre 1966/67 mit einer Arbeitslosenquote von 1, 7°/» im Durchschnitt des ersten Halbjahres 1967. Berücksichtigt man den konjunkturbedingten Rückgang der Zahl der abhängigen Erwerbspersonen einschließlich der abgewanderten Gastarbeiter, betrug die Arbeitslosenquote damals sogar 4, 5 °/0
Allerdings hat auch die Globalsteuerung den Beschäftigungseinbruch 1974/75 mit einer Arbeitslosenquote von über 5 0/0 nicht verhindern können. Dies hat wohl weniger mit dem falschen Einsatz des wirtschaftspolitischen Instrumentariums zu tun als mit den veränderten Rahmenbedingungen. Bundesbank und Bundesregierung reagierten auf den weltweiten Inflationsvirus mit einer klassischen Restriktionspolitik (z. B. Stabilitätsprogramm vom Mai 1973). Während die Bundesbankpolitik auch 1974 noch scharf restriktiv wirkte lockerte die Bundesregierung bereits im Dezember 1973 ihren Restriktionskurs durch weitgehende Aufhebung der Maßnahmen des Stabilitätsprogramms (z. B. Aufhebung der Investitionssteuer, Wiederzulassung der degressiven Abschreibung etc.). Diese Lockerungspolitik wurde im September 1974 (Sonderprogramm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung mit einem Volumen von 950 Mio. DM) und Dezember 1974 (Investitionszulage, Lohnkostenzuschüsse etc.) fortgesetzt. Allerdings zeigt sich, daß konjunkturpolitische Erfolge heute nicht mehr so einfach zu erzielen sind: Der konjunkturelle Aufschwung ist im Juli 1975 immer noch nicht in Sicht. Neben den rein binnenwirtschaftlichen Problemen — hohe Sparquote und deshalb zu geringe Nachfrage z. B. — wirken die außen-wirtschaftlichen Faktoren diesmal nicht als Konjunkturmotor, sondern als -bremse.
Die kontinuierliche Wechselkursanpassung der DM hat zusammen mit konjunkturdämpfenden Maßnahmen des Auslandes (z. T. infolge der Ölpreisexplosion) einen starken Exporteinbruch verursacht. Allerdings zeigt sich hier gleichzeitig ein strukturelles Problem: Branchen mit großen technologischen know-how wie etwa der Großanlagenbau sind von der Flaute kaum betroffen. Dieser strukturelle Wandel auf dem Weltmarkt kann von rein globalsteuernden Maßnahmen nicht genügend erfaßt und bewältigt werden. Dies zeigt z. B. die globale, über alle Branchen verstreute Gewährung einer 7, 5 °loigen Investitionszulage, die in vielen Sektoren überhaupt keine Wirkung gezeigt hat.
Strukturprobleme regionaler und sektoraler Art lassen sich durch die Globalsteuerung nicht lösen. Das Ausmaß der Strukturkrisen kann so stark sein, daß sogar das ganze Konzept der Globalsteuerung fragwürdig wird. Insofern muß die Globalsteuerung durch eine sektorale und regionale Steuerung ergänzt werden Das ist heute der Ansatzpunkt für die Investitionslenkung.
10. Vermeidung von Überkapazitäten: Das IG-Chemie-Modell
Schon in Kapitel 7 wurde hervorgehoben, daß eine Reihe von Vorschlägen aus dem Orientierungsrahmen '85 ihren Ursprung im Ge-werkschaftslager haben. Das ist insofern nicht verwunderlich, weil die Gewerkschaften in erster Linie die mit den Überkapazitäten und den sektoralen und regionalen Strukturproblemen verbundenen Beschäftigungsrisiken zu spüren bekommen. Spektakuläre Ereignisse, wie die durch Fabrikbesetzung erzwungene Zurücknahme eines Strukturplanes des Großkonzerns AKZO — der die Massenentlassung von ca. 6 000 Arbeitnehmern vorsah —, 70 lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein grundsätzliches Problem: Sollen Angebot und Nachfrage in allen Bereichen durch ex-post-Koordination (z. B. durch Uberkapazitäten, Preisverfall usw.) ins Gleichgewicht gebracht werden oder gibt es zumindest einige Bereiche, in denen Methoden der exante-Koordination erprobt werden könnten? Dieses quantitative Problem gilt vor allem für die Bereiche mit homogener Massenproduktion und oligopolistischer Marktstruktur Die Erfahrung hat gezeigt, daß in diesen Bereichen (weitgehend identische Güter, relativ wenig Anbieter) der ruinöse Investionswettkampf die Regel ist. Wenn aber alle Anbieter gleichzeitig investieren — weil keiner seinen Marktanteil verlieren will — und jede Investition infolge technologischer Entwicklungen gleich die doppelte oder dreifache Produktionskapazität der alten Anlagen mit sich bringt, dann läßt sich leicht ausmalen, daß periodisch Überkapazitäten auftreten müssen.
Die IG Chemie-Papier-Keramik hatte im Zusammenhang mit Uberkapazitätskrisen im Aluminium-und Chemiefaserbereich vorgeschlagen, einen aus Vertretern der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentlicher Hand besetzten Branchenausschuß für den jeweiligen Industriezweig zu bilden. Diesem Ausschuß (oder aber dem Wirtschaftsministerium) sollten alle Investitionen der Branche gemeldet werden. Aus dem Vergleich von Investitionsanmeldungen und Nachfrageprognosen könnten Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung der Branche gezogen werden. Zeichnen sich Überkapazitäten ab, warnt der Ausschuß vor der drohenden Fehlentwicklung. Wenn die Warnungen keine Wirkung zeigen, schlägt der Ausschuß in der zweiten Stufe vor, die öffentlichen Investitionsbeihilien, die z. B. aus regional-politischen Gründen gewährt werden, zu streichen. In der dritten Stufe wird das Wirtschaftsministerium auf Vorschlag des Ausschusses ermächtigt, Investitionsverbote auszusprechen. Es ist anzu-* nehmen, daß die beiden ersten Stufen ausreichen. Die letzte Stufe (Investitionsverbot) wäre deshalb ohne große Bedeutung. Grundlage dieser Überlegung war, daß in Industrie-zweigen mit bestimmten Eigenschaften (technologische Sprünge, homogene Massenproduktion, oligopolistische Marktstruktur) große Überkapazitätskrisen kontinuierlich wiederkehren, wenn man nicht eine ex-anteKoordinierung der Investitionen erreicht. Um solche Überkapazitäten zu vermeiden, wurde der hier kurz skizzierte Drei-Stufen-Plan von der IG Chemie vorgeschlagen. Wichtigste Ziele dieses Planes sind: a) Vermeidung von Massenentlassungen in einzelnen Sektoren, b) Vermeidung der Vergeudung von volkswirtschaftlichen Ressourcen durch Überinvestition und Stillegung von Produktionsanlagen, c) Verhinderung weiterer Konzentration als Folge eines ruinösen Machtkampfes in diesen Sektoren.
Mit dem zuletzt erwähnten Ziel wird zum Ausdruck gebracht, daß nicht die Absicht verfolgt wird, den Wettbewerbsmechanismus außer Kraft zu setzen. Es erfolgt vielmehr eine Abwägung zweier Tatbestände: Der Investitionswettkampf führt in den Bereichen homogener Massenproduktion zur Konzentration und damit letztlich zur Gefährdung eines funktionsfähigen Wettbewerbs. Die jetzt eingeführte vorbeugende Fusionskontrolle kommt für diese Bereiche teilweise schon zu spät, weil bereits ein hoher Konzentrationsgrad vorliegt und Entflechtungen nicht vorgesehen sind; teilweise kann sie aber auch nur begrenzt wirksam sein, weil schwerlich eine Fusion bzw. ein Aufkauf eines durch Machtkämpfe ruinierten Unternehmens verboten werden kann. Der andere Tatbestand ist die Gefahr von Wettbewerbsbeschränkungen, die durch eine Investitions-oder Kapazitätskoordination gegeben sein kann. Otto Schlecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, drückt das so aus: „Mit der Quotenzuweisung durch das Genehmigungsverfahren der Wirtschafts-und Sozialräte — und eine solche Quotenzuteilung ist auch in dem Vorschlag zur Bildung eines Aluminiumausschusses vorgesehen — wird der Markt unter den vorhandenen Produzenten im Sinne eines Investitionskartells aufgeteilt. Eine einmal erreichte Angebotsstruktur wird dadurch prinzipiell zementiert, nicht mehr die Bewährung im Wettbewerb ist entscheidend, sondern die Marktanteile werden sozusagen behördlich verordnet."
Der Vorteil des Drei-Stufen-Plans ist es dagegen, daß er — abgesehen von der Investitionsmeldepflicht — nur in Kraft tritt, wenn Über-kapazitäten und damit weitere Konzentration drohen. Damit ist er keine Institution zur Festlegung von Marktanteilen. Die anderen Aktionsparameter der Unternehmen (z. B. die Preispolitik) sind ohnehin nicht angesprochen; betroffen sind nur die Investitionen. Ob die dritte Stufe, in der tatsächlich eine gewisse, zumindest temporäre Festlegung der Marktanteile erfolgt, in Kraft tritt, hängt weitgehend vom Verhalten der Unternehmen selbst ab. Der Anreiz zur Entwicklung neuer Produktionsverfahren, d. h. zum technischen Fortschritt durch Prozeßinnovation, bleibt sogar in der dritten Stufe (Möglichkeit des Investitionsverbots) bestehen, wenn dies zum Kriterium für die Entscheidungsfindung im Brandienausschuß gemacht wird. Der jetzt vom DGB-Bundeskongreß angenommene Antrag 58 der IG-Chemie verzichtet im übrigen auf die dritte Stufe, weil von der Wirksamkeit der ersten beiden Stufen ausgegangen wird.
Wägt man die beiden Tatbestände gegeneinander ab, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß die größere Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf Dauer eher beim ruinösen Investitionswettkampf gegeben ist. Anders formuliert: Das Ziel eines funktionsfähigen Wettbewerbs und der damit verbundenen optimalen Versorgung des Verbrauchers bzw. Abnehmers ist in den Bereichen homogener Massenproduktion eher gewährleistet, wenn eine Kapazitätskooperation erfolgt.
11. Beseitigung der „öffentlichen Armut" — Das Modell von Zinn, Meißner, Wieczorek
Ein entscheidender Anstoß zur Investitionslenkungsdebatte kam von den drei Wirtschaftstheoretikern Zinn, Meißner und Wieczorek Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war die Schwierigkeit, mit dem bestehenden wirtschaftspolitischen Instrumentarium den Anteil der öffentlichen Hand am Sozialprodukt zu erhöhen. Eine solche Erhöhung erschien vor allem in bezug auf die Verbesserung der „Qualität des Lebens" notwendig. Sie war zentraler Punkt des ersten SPD-Langzeitprogramms; nur bei erhöhter Staatsquote ist der Staat in der Lage, „neben seinen laufenden Ausgaben genügend Investitionen zu tätigen, die das soziale Ungleichgewicht allmählich abbauen können" Um eine solche Politik der inneren Reformen betreiben zu können, müßte nach Auffassung der drei Autoren das Instrumentarium erweitert werden: Eine Erhöhung der Staatsquote durch entsprechende Gestaltung der Finanzpolitik scheiterte — und das bewiesen die Fakten — jedes-mal an konjunkturpolitischen Erfordernissen
Der Stellenwert der öffentlichen Güter kommt klar zum Ausdruck bei der von Zinn, Meißner und Wieczorek propagierten Bedarfsrangskala, die die Entscheidungsgrundlage für das ebenfalls von ihnen vorgeschlagene Bundesamt für Investitionskontrolle liefern soll. Der Gesamtbedarf der Gesellschaft wird in fünf Kategorien eingeteilt und nach seiner Wichtigkeit beurteilt:
1. Individueller Grundbedarf (z. B. Nahrungsmittel, Kleidung, Wohnung)
2. öffentlicher Grundbedarf (z. B. Bildung, Verkehr, Medizin)
3. Gehobener Individualbedarf (z. B. Farbfernseher, Geschirrspüler, Automobile)
4. öffentlicher Zusatzbedarf (z. B. internationale Leistungen, wissenschaftliche Experimentalprogramme) 5. Privater Luxus (z. B. Villen mit Garten).
Die Autoren stellen sich vor, daß alle Parteien sozusagen in Ergänzung ihres Wahlprogramms alternative Bedarfsrangskalen vorlegen. Die Bedarfsrangskala der Partei, die die Mehrheit der Wählerstimmen erhält, gibt so-76 zusagen die Prioritäten für die Investitionsentscheidungen der nächsten Legislaturperiode vor:
Angenommen, das Volkswagenwerk meldet beim Investitionskontrollamt eine Investition für eine neue Produktionsanlage für VW-Käfer dann wird das Amt diese Investition
nicht genehmigen, wenn der Bedarf an öffentlichen Nahverkehrsmitteln noch nicht ausreichend gedeckt ist. Der wird VW-Konzern dann möglicherweise auf den Bau von Kabinenbahnen für den öffentlichen Nahverkehr umsatteln müssen.
Die Kritik an dieser Art von Zielfindung kommt von allen Seiten. Der Marxist Kade stuft die Bedarfsrangskala als das Ergebnis einer Introspektion ein, die sich nur im kleinbürgerlichen Milieu eines deutschen Universitätsprofessors abspielen kann Hans Mundorf stellt im Handelsblatt fest, daß hierdurch die Bedürfnisse der Bürger durch Dekret oder aber durch entsprechende Bewußtseinsbildung über ein Propagandaministerium legalisiert würden
Beide Äußerungen gehen an der eigentlichen Problematik der Bedarfsrangskala vorbei; ihre Schwächen liegen woanders:
1. Demokratische Abstimmungen über Zielkataloge sind solange problematisch, wie der Wähler durch manipulative Werbung -beein flußt wird. Es besteht dann Gefahr, daß die voneinander die Zielkataloge kaum abweichen, es sei denn, eine Partei riskiert starke Stimmenverluste. Insofern läßt sich vermuten, daß ein solches Verfahren wenig am Status quo ändern wird Bevor man daran denkt, eine neue Planungsbehörde ä la Zinn zu installieren, wäre es deshalb sinnvoller, zunächst einmal über eine Kontrolle der Werbung die Produzentensouveränität abzubauen 2. Die Bedarfsrangskala wirft das Problem auf, wie stark die einzelnen Kategorien untergliedert sein sollen. Anders formuliert: Soll der Posten Nahrungsmittel in der ersten Gruppe noch weiter aufgeteilt werden (z. B. Fleisch, Obst, Getränke etc.)? Sollen auch die entsprechenden Mengen (z. B. 1 kg Fleisch pro Woche) in der Skala enthalten sein? Wenn dies wegen der ungeheuer großen Anzahl von Angaben und der damit verbundenen Unübersichtlichkeit nicht der Fall ist, sondern nur in makroökonomischen Proportionen geplant werden soll (Zinn), dann stellt sich Frage die nach der demokratischen Kontrolle des Investitionskontrollamtes. Denn Tatsache, die daß individueller Grundbedarf einen Vorrang vor dem öffentlichen hat und letzterer wieder einen Vorrang vor dem gehobenen Individualbedarf, besagt noch relativ wenig, wenn es um Entscheidungen über konkrete Investitionsprojekte geht. 3. Interessant ist der Hinweis von Zinn, daß die Bedarfsentwicklung der Gesellschaft in Komplementargüterkomplexen zu sehen ist, d. h., private Konsum-und Investitionsströme stehen in Ursache und Wirkungsbeziehung zu öffentlichen Investitionen. Beispielsweise gehören zum Komplementargüterkomplex privater Personenverkehr, weitere Indiyidualgüter (Reparatur, Versicherung, Benzin, Garagen) sowie öffentliche Güter (Verkehrsregelung, Verkehrsgerichtsbarkeit, Straßenbau). Berücksichtigt werden müssen ferner die entstehenden Sozialkosten (Lärm, Luftverschmutzung). Offensichtlich sollen solche Güterkomplexe Bestandteil der vorgeschlagenen Bedarfsrangskala sein. Dann ergibt sich jedoch die Frage, welche Relevanz der obige Zielkatalog seinen mit fünf Gruppen noch hat: Wenn ein Güterkomplex sowohl Individual-wie Kollektivgüter umfassen kann, dann erscheint eine Trennung z. B. in öffentlichen Grundbedarf und gehobenen Individualbedarf nicht mehr sinnvoll, weil in beiden Gruppen Güter desselben Komplementargüterkomplexes enthalten können.sein 4. Als weitere Güterkomplexe werden beispielhaft Bildung und Unterhaltungselektronik angeführt. Beläßt man es bei dieser groben Unterscheidung, dann tauchen die bereits erwähnten Abgrenzungsschwierigkeiten auf (gehört etwa eine Schallplatte von Johann Strauß zum Bereich Bildung?). Wenn der Wähler durch seine Stimme dem Bildungskomplex Vorrang vor der Unterhaltungselektronik gegeben hat, dann kann das Investitionskontrollamt noch nicht entscheiden, ob eine Investition zur Produktion klassischer Musik genehmigt werden soll oder nicht. Gliedert man die Güterkomplexe stärker auf, werden sie wieder zu umfangreich und unübersichtlich. Die Verfechter einer Bedarfsrangskala sehen die Kompliziertheit der Aufgaben und wollen sie durch eine personelle und institutioneile Ausweitung der demokratischen Entschei-dungsgremien lösen. Mit dem Hinweis hierauf sind die prinzipiellen Mängel jedoch nicht lösbar. Die Zielfindung bleibt für das Investitionskontrollamt ein Problem
12. Neue Wege der Zielfindung: Der strukturpolitische Ansatz der Investitionslenkung
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, daß es relativ leicht ist, das Profitmotiv als Kriterium bei Investitionsentscheidungen zu kritisieren, daß es aber relativ schwierig ist, an seine Stelle neue Kriterien zu setzen. Hinweise darauf, daß die Investitionen nach den gesellschaftlichen Kriterien der Bedarfsdekkung und Wohlstandsmehrung zu lenken sind, können deshalb nur Anregungen sein; sie bringen jedoch keine grundsätzliche Lösung.
Mittlerweile hat sich der Schwerpunkt der Investitionslenkungsdebatte verschoben. Nicht zuletzt als Folge der Preisexplosion bei den Rohstoffen, vor allem beim Rohöl, stehen heute weniger Fragen der generellen Unter-versorgung mit Kollektivgütern im Vordergrund, sondern stärker Fragen der regionalen und sektoralen Strukturpolitik Die gesellschaftlich unerwünschten Folgen des marktwirtschaftlichen Selbststeuerungsprinzips sind hier: 1. Das Entstehen von Ballungsräumen, in denen Verkehrs-und Umweltschutzprobleme immer größer werden, während gleichzeitig in Entleerungsgebieten der Bevölkerung keine ausreichenden Entfaltungsmöglichkeiten wegen fehlender Infrastruktur geboten werden. Außerdem sind die Beschäftigungsrisiken in diesen unterentwickelten Gebieten unverhältnismäßig hoch. 2. Neben den regionalen Ungleichgewichten erhöht sich die Zunahme an sektoralen Un-gleichgewichten. Branchenentwicklungen bzw. Branchenkrisen werden entweder nicht rechtzeitig erkannt oder man stellt sich nicht rechtzeitig darauf ein, und zwar meist in der stillen Hoffnung, daß der Staat schon einspringen wird. Der unverhältnismäßig hohe Anteil der Erhaltungssubventionen an den gesamten öffentlichen Subventionen scheint diesen Leuten recht zu geben. 3. Häufig sind sektorale Krisen gleichzeitig regionale Krisen, weil die unterentwickelten Gebiete stark monostrukturiert sind. So kann es passieren, daß regionale Förderungsmaßnahmen für Investitionsprojekte einer Branche ergriffen werden, deren positive wirtschaftliche Entwicklung mehr als zweifelhaft ist. Mit dem Sichtbarwerden der Branchenkrise tritt dann auch die ganze Problematik der Regionalförderung zutage.
Um aus dem Dilemma einer unkoordinierten, unsystematischen Strukturpolitik herauszukommen, werden derzeit Überlegungen zur Erstellung eines regional und sektoral differenzierten gesamtwirtschaftlichen Rahmen-plans angestellt. Ausgehend von Status-quo-Prognosen, aus denen regionale'und sektorale Fehlentwicklungen abzuleiten sind, müßte ein demokratisch legitimiertes Gremium — z. B. ein Wirtschafts-und Sozialrat — regionale und sektorale Zielprojektionen erstellen Aus diesen Projektionen würde ersichtlich, welches die wünschenswerte Entwicklung ist. Ein Beispiel: Angenommen die Status-quo-Prognose macht deutlich, daß eine bestimmte Branche als Krisenbranche anzuseheh ist; dann entscheidet das Parlament auf Vorschlag des Wirtschafts-und Sozialrates, ob diese Branche aus gesamtwirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gründen (z. B. aus Sicherheitsgründen) förderungswürdig ist oder nicht. Ist sie es nicht, dann scheiden regionale Förderungsmaßnahmen für diese Branche aus. Damit wird der Strukturwandel nicht durch eine falsche Politik des Staates aufgehalten. Ziel dieses hier nur kurz skizzierten indikativen Lenkungsansatzes sind aufeinander abgestimmte präventive strukturpolitische Maßnahmen zur Ausschöpfung der Wachstumsreserven der Volkswirtschaft und zur Sicherung der Vollbeschäftigung in allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland. Eine solche „klar formulierte Industriepolitik''des Staates, eine Orientierung an einem industriellen Gesamtkonzept, fordert auch Ernst-Wolf Mommsen
Die Strukturanalysen und Status-quo-Prognosen müßten von einem mit Experten besetzten Strukturrat — ähnlich dem Sachverständigen-rat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — erstellt werden. Unter Beachtung wichtiger Rahmenbedingungen und Ededaten, wie Umweltschutz, Energieverbrauch, Arbeitsintensität der Produktion, Wechselkursentwicklung, Einsatz ausländischer Arbeitnehmer, Nachfrageverschiebungen etc., würden regionale und sektorale Entwicklungen darzustellen sein Dabei ist von vornherein klar, daß bei plötzlicher Änderung Rahmenbedingungen auch die Prognosen geändert bzw. modifiziert werden müssen. Vor diesem Problem steht grundsätzlich jede Planung, auch die private Unternehmensplanung. Allerdings ist nicht zu erwarten, daß so starke Einbrüche wie die Energie-Preis-Krise oder die Umweltschutzproblematik sehr häufig vorkommen werden. Insofern sind langfristige Prognosen über sektorale Entwicklungen nicht so problematisch, wie manchmal angenommen wird.
Der Wirtschafts-und Sozialrat, ein Gremium bestehend aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und öffentlicher Hand, hätte auf der Basis der Status-quo-Prognosen sektorale und regionale Projektionen zu entwickeln, d. h. die wünschenswerte und an den realen Möglichkeiten orientierte Entwicklung darzulegen. Z. B. müßte überlegt werden, ob der Staat zu den bisher schon von ihm dauerhaft intervenierten Bereichen (Wohnungs-und Verkehrswirtschäft, Energiebereich) weitere Bereiche hinzuzieht — beispielsweise aus sicherheitspolitischen oder gesellschaftspolitischen Überlegungen. Andererseits muß transparent gemacht werden, welche Konsequenzen sich aus diesen dauerhaften Staatsinterventionen für andere Sektoren ergeben. Es hat z. B. erhebliche Bedeutung für den Bereich der privaten Bauwirtschaft, wenn der Staat den Umfang seiner Interventionen im Bereich der Wohnungswirtschaft einschränken oder erweitern will. Gleiches gilt z. B. für den Energiebereich, der praktisch alle Sektoren der Volkswirtschaft tangiert.
Die Notwendigkeit eines industriellen Gesamtkonzeptes erweist sich noch aus weiteren Gründen: — Die Industrieansiedlungspolitik von Ländern und Gemeinden wird häufig ohne fundierte Branchenkenntnis betrieben. Man verläßt sich auf das Gutachten eines einzelnen Wirtschaftsberaters, der häufig seine Prognosen auf den Angaben des anzusiedelnden Unternehmens aufbaut. — Die Wirkungen der heute schon vorgenommenen Staatsinterventionen sind so weitreichend, daß ein langfristig orientiertes staatliches Konzept im Interesse einer Konstanz Wirtschaftspolitik wesentlich erscheint.
— Die Forschungs-und Technologie-Politik muß in ein solches Gesamtkonzept integriert werden. Investitionslenkung muß auch Innovationslenkung sein. Es hat aber m. E. wenig Sinn, Forschungsförderung in den Sektoren zu betreiben, die aus strukturellen Gründen (z. B. wegen wenig „intelligenter" Technologie, zu hoher Arbeitsintensität oder zu hoher Energiekosten) wahrscheinlich nicht zu den gehören. Wachstumsbranchen
Der zuletzt diskutierte Rahmenplan soll keinen imperativen, nur sondern indikativen Charakter haben. Abgesehen von einer Investitionsmeldestelle, der alle Investitionen ab einer bestimmten Größenordnung gemeldet werden müssen, enthält er keinerlei Auflagen für die private Wirtschaft. Damit ist die Investitionsautonomie der Unternehmen nicht angetastet. Andererseits kann es dem Staat nicht verwehrt sein, seine Maßnahmen — alle grundsätzlich indirekt wirkend — stärker zu koordinieren.
Der Verzicht auf den direkten Eingriff in die Investitionsentscheidungen — durch generelle Gebote oder Verbote — ist aber nicht auf ordnungspolitische Bedenken zurückzuführen. Nicht weil solche Lenkungsmethoden systeminkonform, sondern weil sie wenig erfolgversprechend sind, werden sie abgelehnt.
Denn bislang ist der dezentrale Ansatz der Wirtschaftslenkung der effizientere. Nur droht er durch die unkoordinierten Eingriffe des Staates und wegen bestimmter eingebauter Schwächen (vgl. das Uberkapazitätsproblem) an Effizienz zuviel zu verlieren. Insofern muß der indikative Rahmenplan als notwendige Ergänzung des dezentralen marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus angesehen werden.
Manfred Krüper, Dr. rer. oec., Diplom-Volkswirt, geb. 1941; 1967— 1971 wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Bochum und Köln; seit Ende 1971 Leiter der Wirtschaftsabteilung beim Hauptvorstand der IG Chemie — Papier — Keramik, Hannover; Lehrbeauftragter an der Universität Essen (GHS). Veröffentlichungen u. a.: Wachstum und Terms of Trade, Berlin 1973; Qualitative und quantitative Investitionssteuerung im Kapitalismus, in: WSI-Mitteilungen 8/1973; Ziele und Methoden der Investitionslenkung, in: Wirtschaftsdienst 10/1973; Demokratische Kontrolle muß sein, in: Wirtschaftswoche Nr. 27/1974; Preisstabilisierung durch Wettbewerbspolitik, in: Wirtschaftsdienst 8/1974; Für ein Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte, in: Wirtschaftsdienst 2/1975. Herausgeber von: Investitionskontrolle gegen die Konzerne?, Reinbek 1974; (mit G. Fleischle) Investitionslenkung — Überwindung oder Ergänzung der Marktwirtschaft?, Köln 1975.
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