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Bürgerliche und proletarische Revolution. Skizze zu einem vergleichenden sozialgeschichtlichen Überblick | APuZ 42/1975 | bpb.de

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APuZ 42/1975 Artikel 1 Bürgerliche und proletarische Revolution. Skizze zu einem vergleichenden sozialgeschichtlichen Überblick

Bürgerliche und proletarische Revolution. Skizze zu einem vergleichenden sozialgeschichtlichen Überblick

Imanuel Geiss

/ 120 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Aufsatz versteht sich als Beitrag zur längst überfälligen Einengung des in jüngster Zeit schon grotesk aufgeblähten Revolutionsbegriffs. Jenseits von Revolutions-Theoriescholastik, von Revolutionsdämmerung und Revolutionsromantik wird Revolution zeitlich wie sachlich doppelt eingegrenzt: Als Revolution sollen nur erfolgreiche und tiefgreifende soziale und politische Umwälzungen seit dem Einsetzen der industriellen Revolution gelten, also seit dem 17. oder 18. Jahrhundert, seit der Englischen oder Französischen Revolution. Entsprechend ihrem sozialen Inhalt werden zwei Hauptkategorien unterschieden: bürgerliche und proletarische Revolutionen. Ihre Entfaltung wird wenigstens versuchsweise durch eine historische Skizze vorgeführt, die die Vermittlung elementarer historischer Fakten mit einer Einordnung in weitere historische Perspektiven verbindet: Bürgerliche Revolutionen entstanden in einigen westlichen Ländern zu Beginn der Industrialisierung, nachdem die Periode der „ursprünglichen Akkumulation" von Kapital (Marx) vorausgegangen war. Selbst wenn das nicht das ursprüngliche Motiv war, so förderten bürgerliche Revolutionen den Aufstieg moderner Wirtschaftskräfte zum modernen bürgerlichen Kapitalismus, der sich in seinem weltweiten Aufstieg zum modernen Imperialismus ausbildete. Als Gegenreaktion entstanden seit dem Ersten Weltkrieg die proletarisch-kommunistische Revolution und die nationale Emanzipationsbewegung der Kolonialvölker, die sich jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzte. Beide haben, unter Fortführung von Elementen aus der Tradition der bürgerlichen Revolution, inzwischen das imperialistische System fast völlig aufgelöst, indem sich beide revolutionäre Prozesse gegenseitig beeinflußten und insgesamt unterstützten. In universalhistorischer Perspektive erscheinen somit das Zeitalter der Entdeckungen und der Expansion Europas in Ubersee seit dem 15. Jahrhundert, die ursprüngliche Akkumulation, industrielle Revolution, Ausbildung des modernen Nationalstaats und der modernen Kolonialimperien, der bürgerlichen Demokratie wie der proletarisch-sozialistischen Bewegung als Faktoren in dem welthistorischen Prozeß, der die modernen Revolutionen ermöglichte und bedingte. In der Gegenwart geht dieser globale revolutionäre Prozeß weiter, unter Freisetzung von gewaltigen Spannungen, die auch in Zukunft zu gewaltsamen Konflikten führen können.

Vorbemerkung

Das Aufbrechen sozialrevolutionärer Bewegungen und Konflikte in unserem Jahrhundert zwingt immer wieder zur rationalen Besinnung auf Wesen und Funktion der Revolution im welthistorischen Prozeß. Weil wir noch mitten in diesem Prozeß stehen, erschweren zahlreiche Hindernisse die notwendige historische Analyse: Ideologisch-politische Parteinahme auf der einen oder anderen Seite belastet das Bemühen um wissenschaftliche Objektivität (soweit sie überhaupt zu erreichen ist), während der Ablauf der Geschichte selbst immer wieder die Perspektiven der jeweiligen Gegenwart verändert. Die Fülle von zu verarbeitenden historischen Fakten — entsprechend die Flut wissenschaftlicher Literatur über die wichtigsten Revolutionen — spottet den Bemühungen eines einzelnen, das Phänomen Revolution rational aufzuarbeiten. Ferner ist der Begriff „Revolution" derart aufgebläht, daß er wissenschaftlich kaum noch verwendbar wird. Jüngste sozialwissenschaftliche Bemühungen haben'die Sachlage eher kompliziert, weil sie eine verwirrende Fülle von Theorien zustande brachten — oft jedoch ohne Verbindung zum realhistorischen Prozeß, den sie zu abstrahieren versuchen Endlich zeigt sich in politischen und wissenschaftlichen Diskussionen, daß zwar neuerdings wieder viel von Revolution die Rede ist, aber der Rückgriff auf historische Beispiele und Parallelen gerät immer wieder zur fast inhaltsleeren Stereotype, weil in der Regel nicht genügend konkretes historisches Wissen über die großen historischen Revolutionen besteht.

Selbst der Marxismus, der noch am ehesten Anspruch auf eine in sich geschlossene, umfassende und historisch begründete Revolutionstheorie erhebt, ist durch die Verknüpfung der Revolutionsproblematik mit dem Dogma von den fünf aufeinanderfolgenden sog. Produktionsweisen oder Gesellschaftsformationen kaum über — unvermeidlich dogmatische — Lehrbücher der Politischen Ökonomie und die Sammlung von in sich instruktiven Spezialaufsätzen hinausgekommen, die, abgesehen von der gemeinsamen historischen Fragestellung, fast nur noch das Bekenntnis zur marxistischen Methode oder Theorie zusammenhält

Eine moderne historische Revolutionsforschung muß auf empirischer historischer Forschung aufbauen, ohne jedoch brauchbare theoretische Klärungsversuche durch Sozial-wissenschaften und Marxismus zu ignorieren. Nach einem ersten Versuch jüngerer Historiker aus der Bundesrepublik in diese Richtung möchte die folgende Skizze die dort erarbeiteten Ergebnisse selbständig weiterführen, unter Verwertung der dort vorgelegten Ergebnisse ebenso wie eigener Überlegungen. Gleichzeitig soll die strukturierende Analyse zur theoretischen Klärung beitragen, in der Hoffnung, konstruktive und weiterweisende Kritik am Gesamtkonzept oder an Details später in eine geplante größere Abhandlung über die gleiche Thematik einbringen zu können.

I. Zur Definition der Revolution

An der Aufblähung des Revolutionsbegriffs beteiligen sich marxistische wie „bürgerliche" Autoren in denkwürdiger Übereinstimmung — Dynastienwechsel im Alten Ägypten griechische und römische Verfassungskämpfe in der Antike Übergang von der römischen Republik zum Prinzipat die angebliche Revolution von Sklaven und Barbaren, die den Sturz der sogenannten Sklavenhaltergesellschaft und den Übergang zur so-genannten Feudalgesellschaft bewirkt haben soll die angebliche „Papstrevolution" im mittelalterlichen Investiturstreit der deutsche Bauernkrieg Aufstand der Niederlande im späten 16. und frühen 17. Jahr-hundert bis hin zum Sieg des deutschen Faschismus 1933 den die Marxisten allerdings richtiger und folgerichtiger als Gegen-oder Konterrevolution einordnen. Aber im weitesten historischen Rückgriff treffen sich wieder West und Ost: der sogenannten „neolithischen Revolution", also der Umstellung auf die agrarische Weise des Produzierens seit der jüngeren Steinzeit, entspricht beim führenden sowjetischen Historiker Zhukov, Direktor des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, Ex-Präsident des Internationalen Historiker-Komitees, die Entstehung der Klassengesellschaft als Revolution

Die Beispiele für die Verwendung des Revolutionsbegriffs durch (meistens) Historiker unserer Zeit lassen erkennen, wie wenig sinnvoll eine so aufgeblähte Definition von Revolution ist: In dem Bemühen, überall in der Weltgeschichte „Revolutionen" zu entdecken, wird die an sich nützliche Kategorie inhalts-leer, weil sie zu viele unterschiedliche Ereignisse abdecken soll. Statt dessen empfiehlt es sich, die Definition von Revolution so eng wie möglich zu fassen, um sie wissenschaftlich wieder brauchbar zu machen Eine wissenschaftlich strenge Definition muß den Revolutionsbegriff daher zeitlich wie inhaltlich begrenzen: Von Revolution zu sprechen, wird erst in der Neuzeit sinnvoll, nämlich mit dem Durchbruch der industriellen Weise des Produzierens ungefähr um die Mitte des heil seither buchstäblich umwälzenden Konsequenzen. Zur sinnvollen Definition von Revolutionen sollten drei weitere Faktoren hinzutreten: 1. Relativ plötzliche Umwälzung politischer Herrschaft durch bisher untergeordnete Schichten oder Klassen, mithin das Element des Erfolgs; 2. relative Dauerhaftigkeit der Umwälzung, selbst wenn sich im Laufe der weiteren Entwicklung wieder Rückbildung zu früheren Zuständen ganz oder teilweise durchsetzen sollte; 3. Bewußtheit und Organisiertheit revolutionärer Subjekte.

Nicht jeder beliebige Aufstand war also Revolution. Unter Zurückstellung eigener theoretischer Definitionen genügt es im Augenblick, von der im genannten Sammelband zugrunde gelegten groben Arbeitshypothese auszugehen: Als Revolutionen gelten die Revolutionen seit dem späten 18. Jahrhundert, in denen im Zuge der Industrialisierung (auch „industrielle Revolution" genannt, in Parallele zur „neolithischen Revolution") bewußt und konsequent in relativ plötzlichen, meist auch gewaltsamen Eruptionen ältere herrschende Klassen gestürzt wurden

Zwei große Phasen lassen sich in diesem allgemeinen Revolutionsprozeß unterscheiden: bürgerliche Revolutionen, die den Durchbruch des neuen industriellen Prinzips politisch überhaupt erst ermöglichten, und proletarische Revolutionen, getragen im Namen des Industrieproletariats von einer revolutionären Intelligentsia meist bürgerlicher Abstammung. Beide — bürgerliche wie proletarische — Revolutionen hatten als eigentliche Massenbasis Bauern, die ihrerseits auf die Abschaffung anachronistisch gewordener aristokratischer Herrschafts-und Ausbeutungssysteme drängten.

Bürgerliche Revolutionen entstanden aus der Spannung zwischen dem mit der anlaufenden Industrialisierung aufsteigenden modernen Industrie-und Handelsbürgertum und den die Ausweitung der Produktivkräfte hemmenden aristokratisch-monarchischen Gesellschaftsstrukturen, die noch ganz auf der agrarischen Art des Produzierens beruhten. Der revolutionäre Aufstieg des Bürgertums seit der Englischen Revolution im 17. Jahrhundert, parallel zur Industrialisierung in ihrer historisch ersten, nämlich kapitalistischen Form, etablierte das Bürgertum allmählich in den Zentren der -niger onen öder direkt nerrscnenae . mässe, selbstverständlich mit charakteristischen nationalen Nuancen, und führte im weltweiten Imperialismus zu einem System seiner sozusagen kollektiven Weltherrschaft, wenn auch in verschiedene Nationalstaaten und Kolonialimperien aufgeteilt.

Die weiterlaufenden systeminternen Spannungen und Rivalitäten führten jedoch zu weltweiten Konflikten zwischen den imperialistischen Mächten, zugespitzt in den beiden Weltkriegen. In zwei großen Etappen setzen die beiden Weltkriege die proletarische Revolution unter Führung kommunistischer Parteien frei — am Rande der Industrie-Metropole (Rußland 1917, Osteuropa ab 1945) und an der Nahtstelle zwischen modernem imperialistischen System und traditioneller imperialer Machtstruktur, die aber schon auf den Status einer kollektiven europäisch-nordamerikanisch-japanischen Wirtschafts-Kolonie herabgesunken war (China 1949). Im Anschluß an die kommunistischen Revolutionen entstanden nach 1945 — nur teilweise unter kommunistischer Führung — nationaldemokratische oder nationalrevolutionäre Emanzipationsbewegungen in den früheren Kolonialländern, die zunächst ihren historischen Präzedenzfall im Kampf der südslawischen Nationalbewegung auf dem Balkan vor 1914 fanden.

Zu den historischen Voraussetzungen der proletarischen Revolution in Rußland und China, aber auch der sozialrevolutionären Prozesse in der sogenannten Dritten Welt in oder nach der Phase der nationalen Emanzipation gehören das mindest punktuelle Eindringen der Industrialisierung und das ungewöhnlich starke Anwachsen der ländlichen Bevölkerung. Beide Faktoren zusammen sprengten (und sprengen noch immer) das traditionelle, meist feudale gesellschaftliche und politische Macht-gefüge. Da sich die herrschende Klasse nirgends zu rechtzeitigen und tiefgreifenden Strukturreformen bequemen konnte — sie hätten ja die freiwillige Abschaffung oder Beschneidung der eigenen Privilegien und Machtpositionen bringen müssen —, kam es früher oder später zum Ausbruch revolutionärer Bewegungen, in denen der nationalrevolutionäre und sozialrevolutionäre Faktor, je nach unterschiedlichen historischen Voraussetzungen, unterschiedlich früh oder spät auftraten — in China beide ungefähr gleichzeitig.

Der gleichsam makrohistorische Überblick über den modernen globalen Revolutionsprozeß unterstreicht, warum gegen die Revolutions-Inflation von links und rechts auf einer hen ist: Erst die Umwälzung der ökonomischen Basis von der agrarischen zur industriellen Produktion in der „industriellen Revolution" seit rund 200 Jahren ließ eine globale Revolutionssituation entstehen, die unter zahlreichen gewaltsamen Konflikten zur Ablösung der für rund sechs Jahrtausende gültigen agrarisch-aristokratisch-monarchischen Ordnung durch eine (wie auch immer geartete) industriell-demokratisch-republikanische Ordnung führen wird, sollte die Menschheit die schmerzhafte Umstellung überhaupt überleben. Alles, was vor diesem ebenso globalen wie einschneidenden Umstellungsprozeß an heftigen, plötzlichen und gewaltsamen politischen Änderungen lag — Aufstände, Revolten, Bürgerkriege usw. —, war im Rahmen der bestehenden agrarisch-aristokratisch-monarchischen Ordnung geblieben, über Jahrtausende erwies sich das Gesamt-System, allen internen Spannungen und Konflikten zum Trotz, als dermaßen stabil, daß es solche Eruptionen immer wieder zu absorbieren verstand, solange seine ökonomische Basis unangetastet blieb — die agrarische Produktion. Immer wieder erfolgreiches Integrationsmittel war die (freiwillige oder erzwungene) Überlassung von Herrschaftsfunktionen an aus der Empörung aufgestiegene Kräfte. Der sog. „dynastische Zyklus" in der Geschichte des alten China ist eine geradezu klassische Institutionalisierung für den Einbindungs-und Regenerationsmechanismus: Eine Herrschaftsdynastie, die das „Mandat des Himmels" zur Herrschaft über China verloren hatte —• abzulesen am Niedergang von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, an hohen Steuern und Versagen in der Regulierung der großen Ströme —, wurde durch eine Bauernerhebung gestürzt. An die Spitze des Staats trat nicht selten der bedeutendste Bauernführer als neuer Kaiser, der seinerseits eine neue Dynastie begründete ähnlich, wenn auch in den Details mit erheblichen Abweichungen, müssen wir uns vermutlich die eingangs als angebliche Revolutionen zitierten Dynastien-Wechsel im pharaonischen Ägypten vorstellen. In der griechischen und römischen Antike ebenso wie im Mittelalter stellten sich im System immer wieder neue Varianten ein, um innere Spannungen und Konflikte entweder repressiv zu unterdrücken oder in systemkonforme Repräsentationsformen abzuleiten, solange eben die ökonomische Basis des Systems fast völlig agrarisch blieb. Erst das dynamische Auftreten moderner Wirtschaftsformen provozierte im späten 18. Jahrhundert im bis dahin überwiegend agrarisch-aristokratisch-monarchischen System eine tiefe Systemkrise, die Stück für Stück zu seinem Zerfall und zunächst zur Herrschaft der modernen Wirtschaftsbourgeoisie auf nationaler wie globaler Ebene führte, in der Auflehnung dagegen in unserem Jahrhundert aber aüch zu proletarischen Revolutionen. So erscheint es also berechtigt und sinnvoll, sich zur Bewältigung der Problematik ganz auf die modernen Revolutionsprozesse und ihre unmittelbaren historischen Voraussetzungen zu konzentrieren. Das Thema bleibt immer noch weit genug. Im Zeitalter weltweiter politischer und ökonomischer Interdependenzen sollte einleuchten, daß jetzt auch historische Zusammenhänge, die bisher durch überwiegend je nationale Geschichtsperspektiven verdeckt geblieben waren, in den Blick kommen. So wird es unvermeidlich, bei der historischen Behandlung der Revolution universalhistorische Faktoren wie Nationalismus und Imperialismus, Kapitalismus und Sozialismus, Konservativismus und Liberalismus, Bürgerkriege, nationale Kriege und Weltkriege mitsamt ihren Auswirkungen zur Sprache zu bringen, während umgekehrt auch Revolution in all diese Faktoren direkt oder indirekt hineinspielt.

II. Vorindustrielle Bewegungen

1.

Antike Nach den grundsätzlichen Vorbemerkungen brauchen sich die weiteren Überlegungen im Altertum und Mittelalter nicht lange aufzuhalten, weil den dort allenthalben entdeckten „Revolutionen" nach den oben genannten strengen Kriterien keine revolutionäre Qualität zuzuerkennen ist. Die sogenannte „neolithische Revolution" mit ihrer Entsprechung bei Zhukov erstreckte sich in einem langwierigen Prozeß über Jahrtausende, hat keinerlei bewußt, gar revolutionär agierende Subjekte aufzuweisen, die den gesamten Umstellungsprozeß vom Jagen, Sammeln und Fischen auf die agrarische Produktion überblickt oder gar gewollt hätten. Die Dynastiewechsel im alten auch als Revolution apostrophierte) dynastische Zyklus im alten China als turbulenter Regenerationsvorgang innerhalb eines festgefügten Systems zu sehen. Die Stände-und Verfassungskämpfe im antiken Hellas und Rom spielten sich unter herrschenden Minderheiten ab, während die überwiegende Masse der unterworfenen Bevölkerung außerhalb des Herrschaftssystems stand. Zwar stammen wesentliche Begriffe der modernen politischen Terminologie aus der Antike, z. B. Aristokratie, Monarchie, Demokratie, Republik, Proletariat. Auch verweisen die Mechanismen sozialer Konflikte in der Antike wie im Mittelalter durchaus auf Parallelen in modernen Revolutionsprozessen. Da die sozialen Konflikte im Altertum aber keine das Gesamt-System wirklich umstürzende Auswirkungen hatte, können sie hier außerhalb der Betrachtung bleiben.

Auch die sogenannte „römische Revolution“, der Übergang von der römischen Republik seit den Gracchenschen Reformen 133— 121 v. Chr. zum Prinzipat und zum Kaisertum, erweist sich mit dem Instrumentarium einer modernen wirtschafts-und sozialgeschichtlichen Analyse in Wirklichkeit nur als eine sich über ein Jahrhundert hinziehende Adaptionskrise des relativ rasch angewachsenen römischen Imperiums von seiner ursprünglichen Stadtstaatsverfassung auf angemessenere Organisationsformen für das Imperium, das nunmehr das gesamte Mittelmeer umspannte Erst recht bleibt nichts von der plakativen Sklavenrevolutions-Theorie übrig, die angeblich den Sturz der sogenannten Sklavenhaltergesellschaft im Zusammenwirken mit den Germanen herbeigeführt und den Beginn der angeblich „fortschrittlicheren" sogenannten Feudalgesellschaft herbeigeführt haben soll

Protestbewegungen Eugen Rosenstock-Husseys „Papstrevolution“

als allegorische Umschreibung des mittelalterlichen Investiturstreits ist bei näherem Zusehen kaum viel mehr als eine geistreiche, aber irreführende Identifizierung mit der einen Partei im Investiturstreit, der kaiserlichen.

Der Begriff „Papst-Revolution" unterstellt nämlich, daß die Überordnung des Kaisers über dem Papst das Normale war. In Wirklichkeit handelte es sich um einen system-internen Machtkampf zwischen den höchsten Spitzen der damals herrschenden Klasse um die geistliche und weltliche Macht, natürlich wegen der damit verbundenen ökonomischen und politischen Konsequenzen im Lehenswesen des Feudalismus, auch mit ökonomischen und politischen Implikationen.

Etwas ganz anderes ist es, daß sich im Investiturstreit und — freigesetzt durch die mit ihm verbundenen politischen Erschütterungen — im europäischen Mittelalter erstmals Vorgänge registrieren lassen, die in ihren Ursachen und Verlaufsformen von ferne an revolutionsähnliche Prozesse erinnern: die ersten städtischen Sozial-und Protestbewegungen, die in die Bildung erster städtischer Kommunen einmündeten. Ihre historischen Voraussetzungen und Wirkungen gehören gewiß in die weitere Vorgeschichte der modernen Revolution, haben jedoch einen historischen Eigenwert und verdienen das volle Interesse der Forschung Für die Revolutionsproblematik zeigen sie wegen ihrer räumlichen und zeitlichen Überschaubarkeit den Zusammenhang zwischen ökonomischen und politisch-sozialen Wandlungsprozessen: Die ersten mittelalterlichen Sozialbewegungen traten nicht zufällig in Städten auf, die zu den wichtigsten und frühen Zentren von Fernhandel und Gerwerbe zählten — Mailand um 1060, Huy in Wallonien 1066. Oberitalien war seit der Wiederbelebung des durch die arabische Expansion gestörten Fernhandels in den Orient seit dem späten 10. Jahrhundert das primäre Wirtschaftszentrum des mittelalterlichen Europa, Flandern-Wallonien (im heutigen Belgien) seit dem 11. Jahrhundert das nächstwichtige Zwischen 1073 und 1077, also zu Beginn des Investiturstreits, griff die Bewegung auf Städte an der Verbindungslinie zwischen Oberitalien und Flandern-Wallonien über, als es in mehreren Bischofsstädten zur Vertreibung des bischöflichen Stadtherrn kam (Worms 1073, Köln 1074, Mainz und Cambrai 1077), kulminierend in der am ausführlichsten überlieferten Erhebung in Köln, die eine Generation später, in Wiederholung des Vorgangs, zur Bildung der ersten städtischen Kommune auf deutschem Boden führte (1106).

Den unmittelbaren Nutzen daraus zogen die Fernhandelskaufleute. Spätere Sozialkonflikte des Mittelalters in den Städten entstanden aus dem Nachdrängen von Handwerkszünften und städtischen Unterschichten gegen die oligarchische Machtausübung durch das städtische Patriziat, häufig kombiniert mit chiliastisehen und sozialutopischen Bewegungen Politisch und sozial wurden die Städte kurzfristig zwar in das Feudalsystem einigermaßen integriert — abzulesen am Aufstieg von reichen Kaufmannsfamilien in den Fürsten-stand (Fugger, Medici), der größeren Städte insgesamt in ständische Repräsentationsorgane der feudalen Monarchie (Städtebank im Reichstag, Vertretung in den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ständeversammlungen u. ä.) —, aber ökonomisch wirkte das in den Städten konzentrierte Handelskapital langfristig als Fremdkörper. Mit der Entwicklung moderner Wirtschaftsformen gab es allmählich den entscheidenden inneren Anstoß zur inneren Zersetzung des Feudalsystems, mithin zu den historischen Voraussetzungen erst der „ursprünglichen Akkumulation" (Marx), dann der „industriellen Revolution", mit all ihren sozialen und politischen Rückwirkungen. Trotzdem kommt den Vorgängen im späten 11. Jahrhundert noch keine revolutionäre Qualität zu, weil die Verbindung zu den modernen Revolutionsprozessen über zu viele Stationen vermittelt ist. Ähnlich wie bei vergleichbaren Vorgängen in der Antike ist kein tionäres Subjekt zu erkennen, keine revolutionäre Partei, kein revolutionäres Programm, auch keine direkte revolutionäre Wirkung auf die Umgebung. Allerdings läßt sich bereits im kleinen ein wichtiger Mechanismus herausarbeiten, der auch in den modernen Revolutionsprozessen wirksam ist: die Diskrepanz zwischen ökonomischer und sozialer Entwicklung einerseits (z. B. Entstehen neuer wohlhabender Schichten mit entsprechendem Selbstbewußtsein) und politischen Strukturen andererseits, die sich den veränderten Verhältnissen nicht anpaßten, so daß aus Diskrepanzen Spannungen, aus Spannungen Konflikte entstanden. Der Kölner Aufstand von 1074 bietet ein Musterbeispiel für das Funktionieren dieses Mechanismus: Er brach Ostern 1074 aus, weil der Kölner Erzbischof Anno (später heiliggesprochen) von einem der reichen Kaufleute ein Schiff für die Abfahrt des Bischofs von Münster requirierte, wozu er als Stadtherr dem Feudalrecht nach durchaus berechtigt war, diesmal aber auf den Widerstand der inzwischen selbstbewußt gewordenen Kaufmannschaft stieß

Ein weiteres, komplizierteres und inzwischen gut erforschtes Beispiel bietet der Ciompi-Aufstand in Florenz von 1378, weil er genau auf der Nahtstelle zwischen mittelalterlichem Sozialprotest und potentiell revolutionärem Vorgang liegt Florenz als Fortsetzung des lombardischen Wirtschaftszentrums lebte im 14. Jahrhundert überwiegend von der gewerblichen Textilproduktion, die schon in quasifrühkapitalistischen Formen organisiert war, mit einer quasi-proletarisierten Wollarbeiterschaft, die, im Unterschied zu den Webern in Flandern, keine anderen Existenzmittel besaß als die eigene Arbeitskraft. Ihre große Zahl — rund ein Drittel der Stadtbevölkerung von 1348 — und ihre relativ leichte Organisierbarkeit gaben den Ciompi ein erhöhtes politisches Gewicht. Als ihr sozialer Protest gegen die Folgen ökonomischer Krise im Sommer 1378 die Bahnen des spätmittelalterlichen Ständekampfes zu verlassen und in eine wirkliche revolutionäre Bewegung schon modernen Stils auszuufern schien, wurde die Bewegung gewaltsam niedergeworfen — im Bunde mit einem ursprünglich in der ersten Phase der Auseinandersetzungen zu politischer Macht aufgestiegenen früheren Vertreter der Ciompi. Es ist daher müßig darüber zu spekulieren, ob sich eine noch so radikale Umgestaltung durch eine siegreiche Ciompi-Bewegung in dem sonst noch ungebrochenen Feudalsystem Europas überhaupt hätte halten können. Anpassung früher oder später oder die gewaltsame Repression wie bei späteren isolierten Kommunal-Revolten oder -Revolutionen (Münster 1534/35, Mainz 1793, Paris 1871, München 1919) wären unvermeidlich gewesen. Schließlich hatte die Ciompi-Bewegung keine unmittelbare Nach-oder Fernwirkung. Obwohl sie bis an die Schwelle revolutionärer Qualität auch im modernen Sinne herankam, verbieten Scheitern und Folgelosigkeit der Ciompi-Bewegung, sie ernsthaft schon als Revolution gelten zu lassen. Mit der Ciompi-Bewegung verbundene ökonomische Faktoren weisen jedoch auf die unmittelbare Vorgeschichte des Kapitalismus, der seinerseits wiederum zu den historischen Bedingungen für das Entstehen des modernen Bürgertums und der mit seinem Aufstieg verknüpften bürgerlichen Revolutionen gehört.

Auch das gesteigerte historiographische Interesse in der DDR am Deutschen Bauern-krieg dem auf westlicher Seite einige ältere, neuerdings auch einige jüngere Arbeiten entsprechen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Bauernkrieg von 1525 kein revolutionäres Ereignis im strengen Sinne war, auch nicht als Teil einer angeblichen „frühbürgerlichen Revolution" im Zusammenhang mit der Reformation. Historisch gesehen war er Fortsetzung und deutsche Variante von Bauernbewegungen in Europa seit dem späten Mittelalter, von der Schweizer Eidgenossenschaft im späten 13., über die Jacquerie in Frankreich und den Aufstand von Wat Tyler in England im späten 14., die Hussitenbewegung in Böhmen im frühen 15. Jahrhundert bis zum ungarischen Bauernkrieg 1514, kurz vor dem Einbruch der Türken Aber so sehr diese und viele andere agrarischen Bewegungen im späten Mittelalter Fürsten und Könige beunruhigten, so wenig bewirkten sie schon eine direkte oder ernsthafte Erschütterung des feudalen Systems, schon weil die Erhebungen (mit Ausnahme der Schweiz)

alle niedergeschlagen wurden. Abgesehen von England, wo der Aufstand unter Wat Tyler (1381) die Beseitigung der Leibeigenschaft vielleicht beschleunigte, verschlechterte sich anschließend überall der Rechtsstatus der Bauern zunächst, was kurzfristig zwar die Konsolidierung des feudalen Systems bewirkte, langfristig aber auch seine Verhärtung und Unfähigkeit zur Reform.

Der Bauernkrieg in Deutschland war noch nicht einmal ein wirklich „nationales“ Ereignis, sondern beschränkte sich auf den Süden, den Südwesten (vom Elsaß über Württemberg bis Tirol) und Mitteldeutschland (Franken und Hessen bis nach Thüringen). Es gab noch kein einheitliches oder auch nur koordinierendes revolutionäres Programm, sondern nur ähnliches Reagieren auf ähnliche Mißstände und Ausbeutungsverhältnisse im Rahmen einer allgemeinen politischen und geistigen Erschütterung, in diesem Fall ausgelöst durch die Reformation. Die Kooperation mit dem Bürgertum blieb auf einige kleine bis mittlere Städte beschränkt — insgesamt also ein nahezu folgenloses Intermezzo.

\ Erst recht läßt sich nicht mit den politisch zweifelhaften Vertretern des niedergehenden Rittertums, deren Aufbegehren in die Zeit des Bauernkrieges fällt, heute revolutionärer Staat machen, weder mit Florian Geyer noch gar mit Götz von Berlichingen, nur weil sie (freiwillig oder gezwungen) auf Seiten der Bauern kämpften. Der „Ritter mit der eisernen Hand" hatte nämlich, ebenso wie seine Standesgenossen und die aufständischen Bauern selbst, für den Kaier — also den höchsten Re-präsentanten des aristokratisch-monarchischen Prinzips — »wie immer schuldigen Respekt“ (wie bei Goethe so schön nachzulesen) und münzte sein populär gewordenes Kraft-wort nur auf den kaiserlichen Hauptmann, der ihn zur Kapitulation hatte auffordern lassen.

Eher ließe sich schon auf die quasi-revolutionären Bewegungen unter Thomas Müntzer in Mitteldeutschland und Michael Gaismair in Tirol (mit mehr oder minder religiös-chiliastischem Einschlag), ferner auf die noch stärker in der Überlieferung der Sektenbewegungen und des mittelalterlichen Sozialprotests stehenden Täufer eine revolutionäre Tradition begründen, wie es die DDR-Geschichtsschreibung aus auf der Hand liegenden ideologischen Gründen versucht. Die Bewegungen Müntzers und Gaismairs scheiterten mit dem Deutschen Bauernkrieg 1525/26, die Täufer unter den chaotischen Bedingungen eines kommunal isolierten Art „Kriegs-Kommunismus“ in Münster 1534/35 Danach trat von Genf aus, einer konsolidierten reformierten Stadtrepublik, der Calvinismus als geistig disziplinierte und politische organisierte Kraft an die Stelle der Täuferbewegung. Als Anabaptisten in den Niederlanden des späten 16., als Baptisten und Quäker in England des 17. und frühe Methodisten des 18. Jahrhunderts in England und Nordamerika fand die Täuferbewegung eine gewisse Fortsetzung, jetzt aber weitgehend quietistisch gewendet, wenn auch noch immer mit radikalen politischen Bezügen, z. B. in der Englischen Revolution oder im ersten Protest von Quäkern in der Neuen Welt gegen die Sklaverei. 3. Ursprüngliche Akkumulation und erste revolutionsähnliche Bewegung des Bürgertums, 16. bis 18. Jahrhundert

Je mehr sich die Analyse dem Beginn der „industriellen Revolution" nähert — verstanden als Durchbruch der Industrialisierung in England im späten 18. Jahrhundert mit ihren universalhistorischen Folgewirkungen seitdem —, um so plausibler erscheint die Zuordnung von turbulenten Ereignissen als Revolutionen.

In der Tat hat die neuere Forschung ein ganzes Bündel von quasi-revolutionären Erschütterungen im frühneuzeitlichen Europa festgestellt, von Spanien bis zur Ukraine, die im laxem Sprachgebrauch schon als „Revolutionen" gelten könnten Sicherlich befand sich Europa — wie in anderen Jahrhunderten davor und danach — in einer schweren Krise, die allenthalben in gewaltsame interne Konflikte einmündete. Drei Ereignisse werden häufig schon als Revolutionen bezeichnet, und das mit einem gewissen Recht: der Aufstand der Niederlande gegen Spanien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der 1609 im 12jährigen Waffenstillstand zwischen Spanien und den nördlichen sieben, in der Utrechter Union (1579) verbundenen Provinzen endete, die Englische Revolution im 17. und die Amerikanische Revolution im 18. Jahrhundert.

Alle drei Ereignisse liegen gewissermaßen in einer Dämmerzone zwischen eindeutig noch nicht-revolutionärer und im globalen Sinn revolutionärer Periode seit Einsetzen der „industriellen Revolution". Sie sind, in unterschiedlicher Intensität, mit einer wesentlichen historischen Voraussetzung für bürgerliche Revolutionen verknüpft: der Herausbildung des bürgerlichen Handelskapitalismus noch vor Beginn der eigentlichen Industrialisierung, also mit dem, was Marx die „ursprüngliche Akkumulation" nannte In allen drei Vorgängen sind jedoch traditionelle und moderne Faktoren so miteinander verquickt, daß nur eine sorgfältige Analyse sie für theoretische Überlegungen nachträglich wieder trennen könnte. Für den frühesten Vorgang, den Abfall der Niederlande von Spanien, ist die Einstufung als Revolution noch am wenigsten geläufig für die Ereignisse in England noch heute aus ideologisch-politischen Gründen umstritten, für den Abfall der nordamerikanischen Kolonien von England die Regel. Nach den oben zugrunde gelegten strengen inhaltlichen und formalen Kriterien erscheinen die Abfallbewegungen der Niederlande und nordamerikanischen Kolonien hier jedoch nicht als Revolutionen. Der englische Fall liegt komplizierter: Der Sache nach ließen sich die Ereignisse zwischen 1640 und 1660 sehr wohl bereits als Revolution einstufen, auch wenn sich einige wesentliche Faktoren erst im Laufe des Prozesses selbst entwickelten, namentlich Bewußtheit und Organisiertheit der revolutionären Subjekte. Vor allem hatten sie gleichsam als Mutterrevolution stilprägende Wirkung auf spätere Revolutionen. Der terminologischen Einfachheit halber sei im folgenden „Englische Revolution" der Vorzug gegenüber der gängigsten Alternative in England selbst („Civil War" = „Bürgerkrieg") gegeben, wenn man sich stets der komplizierten Problematik bewußt bleibt, die dahintersteht. Ähnlich wäre es unsinnig, gegen die festgefügte Konvention anzugehen, den Abfall der nordamerikanischen Kolonien von England als die „Amerikanische Revolution" zu bezeichnen, obwohl, wie später darzulegen ist, es zweifelhaft erscheinen kann, ob die Amerikanische Revolution inhaltlich, nach den hier benutzten Kriterien, wirklich schon eine Revolution war.

Um den Beitrag der ursprünglichen Akkumulation zum Entstehen des bürgerlichen Kapitalismus — damit auch der bürgerlichen Revolutionen — besser zu verstehen, wird es erforderlich, noch einmal auf das Mittelalter zu-rückzugreifen. Am Anfang stand das Bemühen des italienischen, genauer des lombardisch-toskanischen Handelskapitals, direkten Zugang zu den seit Jahrtausenden überlegenen orientalischen Produktionsstätten, vor allem Indien, und zu den westafrikanischen Geldquellen zu gewinnen, die für die Finanzierung des über die Jahrhunderte . stets gewachsenen Fernhandels das notwendige Gold lieferten Daraus entwickelte sich die Expansion Westeuropas in Übersee, zunächst Portugals und Spaniens, ausgelöst durch die Suche nach dem Seeweg nach Indien und dem westafrikanischen Gold. Das Gesamtergebnis war u. a. die Überflügelung und weitgehende Vernichtung des Orients als bisher primäres ökonomisches Zentrum der Welt seit dem Entstehen der großen Hochkulturen zugunsten Westeuropas durch eine Kombination militärischer und ökonomischer Faktoren. Führend wurden nach Portugal und Spanien zunächst die Niederlande, die im 16. Jahrhundert zur bedeutendsten Wirtschaftsregion Europas aufgestiegen waren, ferner — im steter Rivalität zueinander — England und Frankreich. Das Entstehen des modernen Kapitalismus hängt somit unlösbar mit dem Entstehen der ersten Handels-und Kolonialreiche in Ubersee zusammen, die ihrerseits Ausgangspunkt für die späteren Kolonialreiche im Zeitalter des modernen Imperialismus mit Höhepunkt um 1900 wurden. Zugleich wird deutlich, daß die Länder, die nach außen Träger des Imperialismus waren, nach innen auch Wegbereiter moderner, gegen den Feudalismus gerichteter Herrschaftsformen wurden — Holland, England, Frankreich. a) Der Aufstand der Niederlande, 1558— 1609

Der Aufstand der Spanischen Niederlande gegen die spanische Herrschaft begann 1558 als Oppositionsbewegung nahezu aller 17 Provinzen unter Führung des Hochadels und endete 1609 im Waffenstillstand mit Spanien als Selbstbehauptung der nördlichen sieben Provinzen, die sich 1579 unter der Führung von Holland und Seeland zur Utrechter Union zusammengeschlossen hatten und u. a. dank günstiger geographischer Bedingungen sich gegen die spanische Rückeroberung (1580— 1588) erfolgreich verteidigen konnten. Für die historischen Voraussetzungen des AufStands sind somit alle ursprünglich 17 Provinzen der Spanischen Niederlande (also ungefähr das heutige Belgien und die Niederlande) zu berücksichtigen, für die historischen Wirkungen nur noch die sieben Provinzen der heutigen Niederlande

Seit dem Mittelalter waren Flandern und Wallonien bereits bedeutende Zentren des Handels und der gewerblichen Produktion, mit Brügge, Gent und Lüttich als den bekanntesten Städten. Seit dem allmählichen Abstieg Oberitaliens ab ungefähr 1500 und dank der Zugehörigkeit zur spanischen Monarchie ab 1515 stieg die Region, dazu noch Brabant, im 16. Jahrhundert zur wichtigsten Wirtschaftsregion Europas auf — Brüssel als Sitz der Produktion feiner Textilien (Spitzen, Gobelins), Antwerpen als wichtigster Umschlags-, Handels-und Börsenplatz Europas bis zur spanischen Rückeroberung 1585. Die Aufstandsbewegung entzündete sich allmählich am Widerstand gegen zwei politische Absichten der spanischen Monarchie: Durchsetzung der Zentralisierung als Vorstufe zur späteren absoluten Monarchie und die katholische Gegenreformation. Die Erhebung begann ursprünglich als Verteidigung mittelalterlicher Privilegien für Provinzen, Städte und Adel, die es ablehnten, sich zur Finanzierung der Kriege für die spanische Universalmonarchie einer modernen, d. h. permanenten und rigorosen Besteuerung zu unterwerfen. Der Versuch, die offiziell noch immer katholischen Niederlanden, in denen latent aber schon starke Sympathien für den Calvinismus entstanden waren, mit eiserner Faust zu disziplinieren und zu einer Ausgangsbasis für die gewaltsame Re-Katholisierung in Europa zu machen, stärkte umgekehrt die Forderung nach religiöser Toleranz. Die berüchtigte Militärdiktatur des Herzog Alba in den Niederlanden (1567— 1573) wurde durch den großen Bildersturm von 1566 ausgelöst.

Die zweite Phase des Aufstands begann 1572 mit der Revolte der Provinzen Holland und Seeland unter der doppelten Einwirkung von zwei zugleich externen und internen Faktoren: die Rebellion der Geusen und die politisch-militärische Führung durch Wilhelm von Oranien. Die Geusen — der Name wurde ursprünglich von „les gueux" = „die Bettler" als herablassende Bezeichnung für 400 niederländische Adlige, die im April 1566 in Brüssel der Gouverneurin, Margarete von Parma, eine Petition überreicht hatten, abgeleitet — repräsentierten ein radikales, bis zu Piraterei und Exzessen überbordendes Element, allerdings angeführt von Aristokraten. Wilhelm von Oranien, gestützt auf deutsche Fürsten — vor allem das mit ihm verwandte Haus Nassau-Dillenburg —, repräsentierte ein eher konservatives Element Nach der Ausschaltung der Geusen, die mit ihrer von außen einwirkenden Rebellion den ersten Funken zum Aufstand von Holland und Seeland geliefert hatten, setzte sich ab 1573 mit der Herrschaft der General-Staaten (d. h.der Generalstände) unter der Statthalterschaft der Oranier für fast alle nördlichen Provinzen eine Mischung von bürgerlichen und aristokratischen, von republikanischen und monarchischen Elementen durch: Generalstände und Beibehaltung der Statthalterschaft (für den nur noch fiktiven König) weisen auf traditionelle Herrschaftsformen; das Überwiegen bürgerlicher Elemente in der herrschenden Oligarchie, moderne Wirtschaftsformen und Selbstverständnis der General-Staaten als Republik weisen in die Zukunft. Prägend wurde vor allem die innere Struktur der führenden Provinz Holland, wo das aristokratische Element so gut wie beseitigt war. Zugleich gehört die Etablierung der General-Staaten in den nördlichen Provinzen zur Geschichte der europäischen Nationalstaaten, weil sich die neue Nation gegen den Anspruch der spanischen Universalmonarchie, noch einmal die Restauration eines übernationalen Imperiums zu erzwingen, hatte durchsetzen müssen.

Von überragender Bedeutung erwiesen sich die ökonomischen Veränderungen. Die Holländer und Seeländer, ursprünglich ein relativ zurückgebliebenes Volk (überwiegend Bauern und Fischer) — jedenfalls im Vergleich zu Brügge, Gent und Antwerpen zurückgeblieben —, profitierten von der ökonomischen Lähmung der südlichen, teils freiwillig (Wallonien), teils durch Waffengewalt (Flandern, Brabant) unter die spanische Herrschaft zurückgekehrten Provinzen. Amsterdam nahm ab 1585 die Stellung Antwerpens als erster Handels-und Börsenplatz Europas ein. Flüchtlinge aus den Südprovinzen brachten dort traditionelle Produktionsmethoden in ihre neue Heimat mit. Der Reichtum der Generalstaaten beruhte schon nicht mehr primär auf der agrarischen oder gewerblichen Produktion, sondern zu einem erheblichen Teil auf dem Handel, bis 1600 vor allem auf dem traditionellen Nord-Ostseehandel, ab 1600 zunehmend auf dem modernen Überseehandel, der im wesentlichen aus drei Komponenten bestand: direkter Zugang vor allem zur in-donesischen Gewürzproduktion, Beteiligung am sich damals entfaltenden transatlantischen Sklavenhandel nebst Import von tropischen „Kolonialwaren" aus Südamerika und den Westindischen Inseln, endlich aus dem faktischen Monopol des Überseetransports für andere Länder. Alle Faktoren zusammengenommen erklären den plötzlichen, gleichsam explosionsartigen Reichtum der Niederlande, der Europa so tief beeindruckte

Nicht minder wirkte auf das sich formierende Bürgertum Europas die geistig disziplinierende und politisch organisierende Kraft des Calvinismus — selbst wenn es nicht selbst calvinistisch oder auch nur protestantisch wurde —, vor allem durch die zahlreichen calvinistischen Flüchtlinge aus den Niederlanden. Eine besondere Ausstrahlung hatte die Universität Leyden, gegründet unmittelbar nach der erfolglosen Belagerung durch die Spanier 1574. An der Universität Leyden wurden die praktischen Naturwissenschaften — Domäne des aufsteigenden Bürgertums — besonders stark gepflegt, ebenso wie an der venezianischen Universität Padua, wo später Galileo Galilei lehrte. Alle diese Ausstrahlungen wirkten nirgends so stark wie in dem benachbarten, nur durch den Ärmelkanal getrennten England: Flüchtlinge aus den Niederlanden siedelten besonders häufig in East Anglia, der späteren Hochburg des Parlaments in der Englischen Revolution. Umgekehrt wichen protestantische Flüchtlinge aus England in Zeiten religiöser Verfolgung in die Niederlande aus, und wohlhabende Engländer studierten mitVorliebe (außer in Padua) vor allem in Leyden. Die Naturwissenschaften wiederum wirkten in England gerade als die Oppositionswissenschaft par excellence für die aufsteigende Gentry-Bourgeoisie

Schließlich ist der Aufstand der Niederlande instruktiv für die beginnende Verknüpfung von bürgerlicher Herrschaft und modernem Imperialismus: Noch in der letzten Phase ihres Krieges gegen Spanien verfolgten die selbstbewußt gewordenen Niederländer die Spanier (und die mit ihnen zeitweilig, 1580— 1640, in Personalunion verbundenen Portugiesen) in Ubersee und zerstörten deren Monopole im Gewürz-und Sklavenhandel. Die Gründung der Niederländischen Ostindien-Handelskompagnie 1602 markiert den Beginn der kolonialen Expansion der Niederlande nach West und Ost mit Rückwirkungen, die jeweils ein Kapitel für sich sind: die niederländische Prägung des heutigen Indonesiens und die Gründung der Kapkolonie als Zwischenstation auf dem Weg nach Indonesien — Keimzelle der heutigen Südafrikanischen Republik. b) Die Englische Revolution im 17. Jahrhundert Bei allen terminologischen Differenzen, die noch zur Charakterisierung der Englischen Revolution bestehen, sollte es jedoch keinen Streit über die zentrale Bedeutung der wie auch immer benannten turbulenten Ereignisse in England zwischen 1640 und 1660 sowie 1688/89 für die Geschichte des globalen Revolutionsprozesses mehr geben. Galt die erste Phase noch den Zeitgenossen als „The Great Rebellion" (Clarendon) oder später als „Civil War", so taucht mit der „Glorious Revolution" zur Bezeichnung der zweiten Phase von 1688/89 erstmals überhaupt der Begriff „Revolution" in der uns geläufigen modernen Form auf, wobei sich „Glorious" aus der Tatsache ableitete, daß diese Revolution (wenigstens auf englischem Boden, von Irland abgesehen) unblutig abgelaufen war.

Inhaltlich läßt sich die Englische Revolution als gelungene Abwehr des Versuchs verstehen, nach kontinentalem Vorbild auch in England die absolute Monarchie durchzusetzen, so daß im Endergebnis, unter formaler Beibehaltung der Monarchie, die faktische Souveränität des Parlaments die der Krone ablöste. Die erste Phase der Revolution bewirkte auch eine Umstülpung in der Machtverteilung innerhalb des zweigegliederten Parlaments: Das Oberhaus (House of Lords) blieb seit seiner Restaurierung 1660 im Zuge der Restauration der Monarchie dem Unterhaus (House of Commons) an realer politischer Macht unterlegen. Träger und Hauptnutznießer der Revolution war jedoch nicht einfach das Bürgertum, sondern eine neue Schicht, die sich aus zwei Gruppen zusammensetzte und der Einfachheit halber als „Gentry-Bourgeoisie" bezeichnen läßt. Entstehen und Zusammenwachsen dieser beiden Gruppen gehören zu den wesentlichen sozialgeschichtlichen Voraussetzungen der Englischen Revolution In England zeigte das Feudalsystem am frühesten Zeichen seiner Auflösung — die faktische Beseitigung der Leibeigenschaft Ende des 14. Jahrhunderts. Als Reaktion auf die feudale Anarchie in den Rosenkriegen (1455 bis 1485) setzte sich mit den Tudors eine starke Zentralgewalt durch, gerichtet gegen den Hochadel und gestützt vom Bürgertum der Städte. Die Reformation in England beseitigte ab 1536 durch Konfiszierung, anschließend mit Verkauf oder Vergabe von Klöster-und Kirchengut später (vor allem unter den Stuarts) auch mit Verkauf von Krongütern eine wesentliche Grundlage der feudalen Monarchie. Krone und Kirche waren früher die größten Grundbesitzer gewesen und hatten damit über die damals ausschlaggebenden Produktionsmittel und Einkommensquellen verfügt — Land und Leute. Das mobil gewordene Land kam nun überwiegend in die Hände des kleinen und mittleren Landadels (Gentry) und des Bürgertums, so daß sich, wie James Harrington, der die Geschichte der Englischen Revolution als erster am Ende ihrer ersten Phase unter diesen Gesichtspunkten analysierte, eine entscheidende Verschiebung im Machtgleichgewicht („balance") zwischen Krone und „Volk" (= Gentry und Bürgertum) ergab

Die Konsequenzen aus den Verschiebungen stellten sich jedoch erst mit der Englischen Revolution ein, nachdem die Krone ab 1629 versucht hatte, die absolute Monarchie durchzusetzen und so das neue gesellschaftliche Gleichgewicht, das politisch noch nicht institutionalisiert und damit abgesichert war, wieder zu ihren Gunsten zu verändern. Gleichsam elementarer Streitpunkt war das ehemalige Kirchenland; vordergründig ging es jedoch vor allem um die Frage der Steuern, ähnlich wie zuvor in den Niederlanden und später zu Beginn der Amerikanischen und der Französischen Revolution. Die mittelalterlichen Stände, in England das Parlament, waren als Organe zur jeweils punktuellen Aufbringung von Finanzmitteln durch Steuern und Abgaben entstanden, meist zur Finanzierung von Kriegen, hatten sich aber dafür im Gegenzug politische Rechte von der Krone erkämpft. Der Versuch von Charles L, ohne Parlament auszukommen (1629— 1640), scheiterte an einem unlösbaren Dilemma, mit dem sich die Krone in England konfrontiert sah: Das Parlament zwang Charles eine anti-spanische Außenpolitik im „nationalen Interesse" auf, in Wirklichkeit als Auftakt zur englischen Expansion in Übersee an Stelle des spanischen Kolonialimperiums, überwiegend im Interesse der Gentry-Bourgeoisie, verweigerte ihm aber die dafür notwendigen finanziellen Mittel. Das Parlament hatte nämlich den (sicher nicht unbegründeten) Verdacht, der König wolle die so verfügbar gewordenen finanziellen und militärischen Mittel zur Durchsetzung des eigenen Machtanspruchs (absolute Monarchie) einsetzen. Die ständig wachsenden Kosten der Kriegsrüstung (u. a. dank der wachsenden Technisierung) und der ständige Preisanstieg (Einfuhr von Gold und Silber aus Amerika, verteilt bis 1585 über Antwerpen, seitdem über Amsterdam) erschöpften die traditionellen Finanzmittel der feudalen Monarchie-Einkünfte aus Krongütern, Zöllen usw. In dieser Situation versuchte Charles I., sich zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen: durch Verkauf von Adelstiteln, zuletzt sogar durch den Zwang für Bürgerliche, wenn ihr Landbesitz eine bestimmte Größe überschritt, den Adelstitel gegen Zahlung von beträchtlichen Summen anzunehmen. Hinzu kamen die Vergabe von Monopolen für Handel und Produktion, oft an Höflinge. Monopole wirkten sich zwar kurzfristig für die Krone günstig aus, langfristig jedoch politisch verheerend bei denen, die sich durch die Monopole von lukrativen Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossen sahen. So ist es kein Zufall, daß in der Revolution die Inhaber königlicher Monopole die Krone unterstützten, vor allem in den herrschenden Oligarchien großer Städte, gerade in London

In der Zeit ohne Parlament wollte der König weitere Mittel durch den Rückgriff auf alte Feudalrechte flüssig machen, um so finanziell vom Parlament unabhängig zu werden. Der Konflikt mit den aufrührerischen, inzwischen längst presbyterianisch gewordenen Schotten zwang jedoch 1640 zum Appell an das Parlament, das sofort gegen die Bewilligung von zusätzlichen Steuern politisches Wohlverhalten des Königs forderte, d. h. Verzicht auf absolute Machtgelüste. Die sofortige Auflösung des Parlaments (Short Parliament) konnte die Krise nicht lösen, denn noch im gleichen Jahr mußte Charles I. ein zweites Parlament einberufen, das wegen seiner langen, wenn auch immer wieder unterbrochenen Amtsdauer (1640— 1660) als „Long Parliament" in die Geschichte eingegangen ist. Mit diesem, durch seine erwiesene Unentbehrlichkeit selbstbewußt gewordenen Parlament geriet Charles I. 1641 über die Frage einer Aufstellung und Entsendung einer Armee gegen die aufständischen, katholisch gebliebenen Iren in Konflikt, der in die Englische Revolution einmündete. Die Kräfteverteilung zwischen Krone und Parlament (d. h. stets Mehrheit des Parlaments) zu Beginn der Revolution ergab sich ungefähr aus der sozioökonomischen Struktur des Landes: Der relativ unterentwickelte Westen und Norden optierten überwiegend für den König, der am weitesten entwickelte Süden und Osten für das Parlament. Selbst die lokalen Ausnahmen bestätigen noch die Richtigkeit dieser groben Einteilung: Städte im Norden, die von der gewerblichen Produktion lebten, schlugen sich für das Parlament, die befestigten Sitze von Magnaten im Süden und Westen für den König. Die Flotte und die meisten Hafenstädte waren für das Parlament, aber in der Hauptstadt London mußte erst eine Art innerstädtische Revolution die Parteinahme für das Parlament sicherstellen. Insgesamt waren die mittleren und unteren Schichten eher für das Parlament, die oberen, oft mit dem von ihnen abhängigen Anhang auf dem Lande, für die Krone

Frontenwechsel, vor allem auf die Seite des Königs, ergaben sich aus der raschen Radikalisierung der Revolution — ein wichtiger Mechanismus in modernen Revolutionen, der sich in England zum ersten Mal zeigte. Ein bedeutender Teil der parlamentarischen Opposition wollte von vornherein nicht mehr als eine konstitutionelle Beschränkung der Monarchie zur Verhinderung der absoluten Monarchie. Schon bei der beginnenden Radikalisierung verließen 1642 die konstitutionellen Monarchisten die Seite des Parlaments. Es folgten 1645, unter dem Druck der aufsteigenden Independenten unter Oliver Cromwell, der konservative Flügel der Parlamentsmehrheit, kirchlich organisiert als Presbyterianer. Die Independenten warfen ihrerseits 1647/48 die überwiegend kleinbürgerliche radikaldemokratische Bewegung der Leveller gewaltsam nieder, die ihre Massenbasis vor allem in der neuen Armee und in London gefunden hatten, während sich die Leveller ihrerseits weiter links von den Agrarkommunisten unter Whinstanley, den Diggers, distanzierten.

Nachdem der König es in seiner Gefangenschaft abgelehnt hatte, sich auf ein Programm festzulegen, das faktisch auf das der konstitutionellen Monarchisten und der Presbyterianer hinausgelaufen wäre, gab Cromwell dem steigenden anti-monarchischen Druck, vor allem in der Armee, nach und ließ den König am 30. Januar 1649 hinrichten. Die Exekution des Königs auf Befehl des Parlaments sollte demonstrieren, wo fortan der Sitz der Souveränität war. Zugleich war sie ein gezielter Angriff auf die Spitze des aristokratisch-monarchischen Systems, und sie gilt zu Recht als der äußere, spektakuläre Höhepunkt der Englischen Revolution. Wesentlicher waren jedoch sozialgeschichtliche Prozesse, die weniger auffällig waren, aber noch stärkere historische Nachwirkungen besaßen. 1604 hatte James I. Vorschläge zur Kirchenreform, die auf die Abschaffung des Bischofsamts hinausliefen, mit dem klassischen Diktum abgewehrt: „No bishop, no king, no aristocracy!" Der König hatte richtig erkannt, daß im feudalen System die geistlichen und die weltlichen Hierarchien zusammengehörten und sich gegenseitig stützten. Fiel ein Stück aus dem System, so drohte der Zusammensturz der gesamten Struktur. Genau das war drei Jahre vor der Königshinrichtung schon erfolgt: 1646 wurden das Bischofsamt und das House of Lords abgeschafft, wurde Erzbischof Laud, unter Charles I. faktisch (so noch nicht genannter) Premierminister Englands, hingerichtet und das sog. „feudal tenure" abgeschafft, d. h. die feudale Lehensbindung des Adels nach oben an den König (allerdings nicht der Bauern an den Adel, also nach unten).

In der Periode des Protektorats unter Cromwell war England in einem verfassungsmäßigen Schwebezustand. Dem ideologischen Selbstverständnis kam das „Commonwealth“ einer Republik gleich, aber Cromwell stützte sich nur vorübergehend auf Parlamente, die immer wieder einberufen und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst wurden, weil auch sie nicht in der Lage waren, eine stabile Neuordnung zu finden. Zeitweise wurde England faktisch von einer Militärdiktatur regiert; in den letzten Jahren Cromwells lebte es unter einer neuen, wenn auch verschleierten Monarchie. Obwohl Cromwell mit der Navigationsakte (1651) und der Eroberung Jamaicas (1655) als Auftakt zur geplanten kolonialen Verdrängung Spaniens wesentliche Forderungen der Gentry-Bourgeoisie auf dem Gebiet der Wirtschafts-und Außenpolitik erfüllt hatte, konnte er nach innen nicht der gleichen Problematik entgehen wie zuletzt die Stuart-Monarchie. Die Häufigkeit und Kurzlebigkeit der Parlamente unter Cromwell sowie die Fülle der versuchten politischen Experimente legen nahe, daß es den neuen politischen Kräften noch nicht gelungen war, im ersten Anlauf die ihren ökonomischen Interessen entsprechenden politischen Institutionen zu entwikkeln. So mündete die innenpolitische Labilität, nach Cromwells Tod (1658) zu politischem Chaos gediehen, folgerichtig in die Restauration der Stuart-Monarchie von 1660 unter Charles II. ein.

Erleichtert wurde die Restauration durch die veränderte außenpolitische Konstellation in Europa. Durch den Dreißigjährigen Krieg — fortgesetzt im französisch-spanischen Krieg, der erst im Pyrenäenfrieden (1659) beendet wurde — war Europa so sehr engagiert, daß eine Intervention in die Englische Revolution zugunsten der Krone unterblieb. Nach dem Pyrenäenfrieden zeichnete sich nun aber die Möglichkeit einer Intervention der spanischen und französischen Monarchien in England ab. Aber noch in ihrem Erlöschen bewies die Englische Revolution ihre, stilprägende Kraft: Die Restauration von 1660 war, ähnlich wie später die Restauration der Bourbonen 1814/15 nach Abschluß der Französischen Revolution, keineswegs einfach eine Rückkehr zum vorrevolutionären Status quo. Vielmehr bezeichnet „Restauration“ nur den relativ formalen Vorgang, daß die Monarchie wieder hergestellt wurde, während wesentliche gesellschaftliche Veränderungen oder „Errungenschaften", wie es seit der Französischen Revolution hieß, nicht wieder rückgängig gemacht wurden: In England wurden 1660 zusammen mit der Krone zwar Bischofsamt und House of Lords wiederhergestellt, aber die Landverteilung, wie sie sich seit der Reformation eingestellt hatte, blieb unangetastet. Ein wesentlicher Grund für die Existenzangst der neuen Grundbesitzer, die ihre Existenz daher mit dem politischen Schicksal der Revolution verbunden hatten, entfiel somit. Verfassungspolitisch setzte sich unter Führung von Hyde/Clarendon, der schon 1642 zur Königspartei übergegangen war und der eigentliche Architekt der Restauration von 1660 war, das Programm der konstitutionellen Monarchisten durch — konstitutionelle Beschränkung der Krone, Verzicht auf absolute Monarchie, faktische Souveränität des Parlaments, ideologisch abgesichert im Primat der Anglikanischen Kirche als Staatskirche. Hinzu kamen die Behauptung des bürgerlichen Rechts-staats, dem auch die restaurierte Monarchie untergeordnet blieb, und die Trennung von öffentlichen und königlichen Finanzen.

Erst als James II. mit seinen Re-Katholisierungstendenzen diese so blutig errungene Kompromißlösung wieder bedrohte und, gestützt auf das Frankreich unter Ludwig XIV., offensichtlich doch noch auf eine absolute Monarchie in England zusteuerte, wurde er 1688 mit Hilfe der protestantischen Niederlande unter Wilhelm von Oranien III. gestürzt Die „Glorious Revolution" bestätigte die Lösung von 1660, erhielt aber durch John Locke eine zusätzliche ideologische Weihe. Sie wurde zugleich Ausgangspunkt des englischen Liberalismus, der zwar noch starke aristokratische Anklänge hatte, insgesamt aber den Interessen der aufstrebenden Wirtschaftsbourgeoisie diente. Ein Jahrhundert später war der revolutionäre historische Hintergrund der „Glorious Revolution" — die erste und eigentlich revolutionäre Phase der Englischen Revolution zwischen 1640 und 1660 — schon so weit vergessen oder verdrängt, daß Edmund Burke 1790, gegen die Französische Revolution gewendet, die „Glorious Revolution“ zur historischen Folie für die Entfaltung seines gegenrevolutionären Entwurfs machen konnte, der seinerseits zum ideologischen Ausgangspunkt für den europäischen Konservativismus wurde

Inzwischen hatten sich aber die weiterführenden Wirkungen der Englischen Revolution bemerkbar gemacht — in England selbst wie in Europa, vor allem in Frankreich und in den nordamerikanischen Kolonien Englands: Die Wahl Wilhelms von Oranien zum englischen König kam praktisch der Fusionierung mit der inzwischen schwächeren Konkurrenz der Niederlande in Übersee gleich. Außerdem strömte mit den niederländischen Beratern des neuen Königs auch finanz-und wirtschaftstechnisches Know-how nach England, symbolisiert in der Gründung der Bank of England(1694) als private Aktiengesellschaft nach niederländischem Vorbild. Das Prinzip der Staatsverschuldung (an die Bank of England) wurde nunmehr systematisiert und auf neue Grundlagen gestellt, während die Wirtschaftsexpansion enormen Auftrieb erhielt. Die gleiche Wirkung hatte die Einführung des Frei-handels auf Beschluß des Parlaments (1698), allerdings zunächst nur im Sklavenhandel, wodurch die Einfuhr von Sklaven aus Afrika in die südlichen der englischen Kolonien in Nordamerika sowie auf den Westindischen Inseln sprunghaft anstieg, damit auch ihr ökonomischer Wert, vor allem des tabakanbauenden Virginia

Ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor rätselte nun Europa über den wahren Grund für den plötzlichen Reichtum Englands. Viele sahen ihn in der (ungeschriebenen) englischen Verfassung als konstitutionelle Monarchie mit einer starken Stellung des Parlaments. Die Wirkung machte sich unmittelbar vor allem im benachbarten und rivalisierenden Frankreich bemerkbar, wo die absolute Monarchie das genaue Gegenbild zu den englischen Verfassungsverhältnissen darstellte, so daß die französischen Intellektuellen der Aufklärung immer mehr England als das nachahmenswerte Vorbild sahen, meist unter Abstrahierung von der revolutionären Vorgeschichte seiner oft idealisierten Verfassung. Am einschneidendsten waren jedoch die Auswirkungen der neuen englischen Verfassung für England selbst im Abfall seiner Kolonien vom Mutterland im späten 18. Jahrhundert. c) Die Amerikanische Revolution, 1776— 1787

Die USA leben zwar immer wieder gern vom Pathos ihrer revolutionären Staatsgründung; aber im Vergleich zu den tiefgreifenden Wirkungen der Englischen Revolution und der sie an umstürzenden Folgen für die Welt noch übertreffenden Französischen Revolution erweist sich die Amerikanische Revolution insgesamt doch nur als regionales Ereignis. Selbstverständlich hängt es historisch mit der vorausgegangenen Englischen und der folgenden Französischen Revolution eng zusammen. Eine Analyse, die sich nicht auf die herrschenden Weißen beschränkt, sondern auch die andersfarbige Unterschicht der (damals überwiegend versklavten) Afro-Amerikaner mit einbezieht, läßt vielmehr eine „Revolution“ eher antiken oder mittelalterlichen Charakters erkennen Denn die amerikanische Gesellschaft wurde durch die Revolution nicht entscheidend verändert. Vielmehr errang eine Siedlergesellschaft unter Führung von quasi-aristokratischen Plantagen-und Sklavenbesitzern, vor allem in Virginia, und der Handelsbourgeoisie, vor allem in Neu-England, nur die volle Souveränität von der englischen Krone jenseits des Atlantiks, nachdem die Kolonien seit der „Glorious Revolution" ohnehin schon die innere Autonomie besaßen.

Vor allem der radikale Flügel in der Amerikanischen Revolution, z. B. Thomas Paine, berief sich auf demokratische bis anti-royalistische Tendenzen der Englischen Revolution; aber nach der Etablierung der USA zeigte sich, daß er kaum einen effektiven Einfluß auf eine nie gewollte und nie versuchte Umgestaltung der amerikanischen Gesellschaft hatte. An die Stelle des fernen Königs in London trat der Präsident im Weißen Haus mit der Machtfülle und starken Stellung eines gewählten Ersatz-Monarchen auf Zeit. Sonst blieb alles beim alten: Gouverneure an der Spitze der Staaten (ähnlich wie es in den Niederlanden nach dem Abfall von Spanien noch „Statthalter" gab); die Flerrschaft der Plantagen-Aristokratie (meist bürgerlicher Abstammung) vor allem im Süden, des Handels-, bald auch Wirtschaftsbürgertums im Osten bzw. Norden, beide intensiv an Sklavenhandel und Sklaverei direkt oder indirekt beteiligt; die Ausbeutung der jeweils zuletzt eintreffenden Einwandererwellen, die permanente Ausbeutung der Afro-Amerikaner als Sklaven oder als Emanzipierte (nach dem Bürgerkrieg 1865), der permanente Ausschluß der Indianer aus der neuen Gesellschaft und ihre Verdrängung aus ihrem Land.

Die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776, entworfen von einem (wenn auch liberalen) Sklaven-und Plantagenbesitzer aus Vir-ginia, Thomas Jefferson, beschwor zwar die hohen Idele der Volkssouveränität, des Widerstandsrechts gegen eine tyrannische Regierung, der Gleichheit und Demokratie, aber diese Ideale galten allenfalls für die weiße, herrschende Mehrheit. Hauptbeschwerdepunkte der amerikanischen Siedlergesellschaft gegen die englische Krone waren die Politik, zum Schutze der Indianer die Ohio-Grenze gegen weitere besiedelnde und erobernde Expansion zu sperren, und die Absicht, die Kolonien durch Steuern zur Dekkung der Kosten für einen Krieg heranzuziehen, den die englische Kolonialmacht auch im Interesse der Kolonisten geführt hatte. Nur weil sich die Krone weigerte, auf das an sich vernünftige Prinzip der parlamentarischen Mitsprache der Kolonisten einzugehen („No taxation without representation"), entwickelte sich allmählich ein Konflikt, der nachträglich „revolutionäre" Dimensionen angenommen haben soll, jedoch im Grunde nur die Fassade britischer Herrschaft über eine Gesellschaft zerstörte, die schon fast ein Jahrhundert in ihren Grundzügen voll autonom und fast fertig ausgebildet war.

Der Mythos von der Amerikanischen Revolution nährt sich aber u. a. aus der unmittelbaren Wirkung, die sie auf die sich ihr zeitlich anschließende Französische Revolution hatte, so daß es sogar bis zur These von der insgesamt einheitlichen, eben von Nordamerika ausgehenden „Atlantischen Revolution“ kommen konnte, die die Revolution in Nord-und Lateinamerika zu Ende des 18. bis zum frühen 19. Jahrhundert umspannt hätte, mit der Französischen Revolution samt ihren Auswirkungen in Europa gewissermaßen nur als Zentrum. Solcher weitgespannter Erklärungsversuche bedarf es jedoch nicht, um die tatsächlich vorhandenen Verbindungen zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution in den universal historischen Revolutionsprozeß einzuordnen. Denn die Rückwirkungen des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes auf das Frankreich des Ancien Regime waren enorm: Republikanische Staatsform, Volksvertretung, Betonung der bürgerlichen Gleichheit und der Menschenrechte, der Beschluß, in der (damaligen) Mitte der neuen Republik eine neue Hauptstadt auf dem Reißbrett zu planen, der (scheinbare) Verzicht auf historische Traditionen — all das machte einen tiefen Eindruck auf das alte Europa, besonders auf Frankreich. So galt die Neue Welt, repräsentiert von den jungen USA, mit ihrer „Demokratie in Amerika" für die Alte Welt der Aristokratie und Monarchie ungefähr ein halbes Jahrhundert lang als furcht-oder hoffnungserregendes Beispiel für eine radikale, revolutionäre Umwälzung, bis hin zu den Hoffnungen der 1848er Revolution auf Kooperation mit den republikanischen USA nach der Niederlage der Revolution zu den Hoffnungen, die die gescheiterten Revolutionäre bei ihrer Emigration auf die amerikanische Republik und Demokratie gesetzt hatten Im 20. Jahrhundert, vor allem im Kalten Krieg nach 1945, verhielten sich die USA insgesamt als konservative Groß-und Weltmacht zur Abwehr der kommunistisch-proletarischen Revolutionen.

III. „Industrielle Revolution" und moderne politische Revolution

1. Die „Industrielle Revolution"

Im übertragenen Sinne läßt sich die „industrielle Revolution" als universalhistorischer Prozeß begreifen, der, ausgehend von der beginnenden Industrialisierung Englands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, allmählich die gesamte Erde erfaßte und überall früher oder später, in der einen oder anderen Form tiefgreifende soziale und politische Umwälzungen auslöste. Der Begriff wird im allgemeinen auf eine 1887 als Buch erschienene

Vorlesungsreihe des älteren Toynbee zurückgeführt, deckt dort aber nur im wesentlichen den Beginn des Industrialisierungsprozesses in England um 1760 Im ähnlichen Sinn findet sich der gleiche Begriff, jeweils für . England bzw. Frankreich (genauer für Paris) * gemeint, bereits bei Marx und Tocqueville Der Begriff kam also zunächst in einer engeren Definition auf, zeitlich und regional begrenzt, gilt aber im folgenden in einer weiteren, immer noch rationalen Definition, als Kürzel für die Totalität des mit der Industrialisierung seit rund zwei Jahrhunderten ablaufenden Prozesses buchstäblich umstürzender sozialer und politischer Veränderungen, nicht nur in einem Lande, sondern, über die beiden Jahrhunderte gesehen, insgesamt auf der ganzen Erde.

„Industrielle Revolution" als historische Kategorie bezeichnet also die Gesamtheit der universalhistorischen Rahmenbedingungen, unter denen sich seit rund 200 Jahren die Entwicklung der Menschheit vollziehen, unter denen aber auch die einzelnen, meist national begrenzten modernen Revolutionen ablaufen — die Französische von 1789 mit den Folge-revolutionen im 19. Jahrhundert innerhalb wie außerhalb Frankreichs, die Russische von 1917, die Chinesische von 1949, die Kubanische von 1959, um nur die wichtigsten und folgereichsten hier zu nennen.

Wesentliche Voraussetzung der „industriellen Revolution" waren die vorausgegangene „ursprüngliche Akkumulation" (Marx) von Kapital, das in England aus den verschiedensten internen und externen Quellen zusammenfloß und — aus historischen Gründen hier zuerst — zum Ausbau der modernen Industrie investiert wurde und die revolutionsähnlichen Prozesse in den Niederlanden, England und Nordamerika zwischen dem Ende des 16. und des 18. Jahrhunderts. Historische Voraussetzung zur „ursprünglichen Akkumulation" wiederum war die Expansion Westeuropas (von Portugal bis Dänemark und Schweden) in Übersee seit dem Zeitalter der sog. Entdekkungen, für diese wiederum die vorausgegangene Kumulierung von technisch-naturwissenschaftlichem Wissen und ihre praktische Anwendung, das über die Jahrhunderte im wesentlichen aus dem lange Zeit zivilisatorisch fortgeschritteneren Orient in das ursprünglich unterentwickelte Europa eingefiltert war Die beginnende koloniale Eroberung vor allem Indiens um die Mitte des 18. Jahrhunderts besiegelte den ökonomisch-politischen Abstieg des alten Orient und den rasanten Aufstieg des westlichen Europa und nördlichen Amerika zur faktischen Weltherrschaft. Nicht nur gab die Ausplünderung des sagenhaft reichen Indien durch die englische Ostindien Kompagnie und ihre führenden Repräsentanten in Indien (Clive, Hasting) der ursprünglichen Akkumulation in England neuen Antrieb. Von noch langfristigerer Bedeutung erwies sich ein im allgemeinen wenig beachteter wirtschaftshistorischer Vorgang mit einschneidenden Konsequenzen — die systematische Zerstörung der bis dahin blühenden Textilproduktion auf der Grundlage von Baumwolle, vor allem in Bengalen, durch die siegreiche englische Kolonialmacht, die anschließend bewußt die Baumwollverarbeitung nach Lancashire verlegte.

Die Textilindustrie —namentlich auf der Grundlage der Baumwolle — aber brachte den ersten großen Durchbruch des industriellen Prinzips, erst recht nach der Erfindung der „cotton gin", einer Maschine zum Entkernen der Baumwollfrucht, in den USA 1794. Erst die „cotton gin" ermöglichte die rapide Expansion des Anbaus von Baumwolle in den USA, die territoriale Expansion der USA selbst nach Süden und Südwesten und die damit einhergehende Expansion der Sklaverei in den USA „King Cotton", auf der Basis von Baumwoll-und Sklavenplantagen des Südens, trat in der Republik der USA für über ein halbes Jahrhundert seine fast absolute Herrschaft an.

Alle späteren Industrien und Transportzweige entwickelten sich im Grunde genommen zunächst nur als direkte oder indirekte Hilfsfunktionen für den weiteren Ausbau der Baumwolltextilproduktion: Die Eisen-und Stahlindustrie diente zum Bau von immer neuen Textilmaschinen für rascheres Spinnen und Weben und zum Bau von Dampfmaschinen, die die Maschinen in Gang hielten, wozu immer mehr Energie in Form von Kohle notwendig wurde. Die Dampfmaschine wiederum diente ursprünglich zum Entwässern der in immer größere Tiefe vorgetriebenen Kohle-schächte. Die Eisenbahn, zunächst zum Transport der Kohle unter Tage entwickelt, verkehrte über Tage zum ersten Mal 1825 zwischen Manchester, dem Zentrum der modernen Textilproduktion auf Baumwollbasis in Lancashire, und seinem neuen Ausfuhrhafen Liverpool Damit schließt sich der Ring, in dem sich historisch ursprüngliche Akkumulation, Industrialisierung, bürgerliche Revolutionen und bürgerliche Demokratie bewegen. Nach dem Durchbruch der industriellen Revolution in England seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und seit dem endgültigen Durchbruch der modernen politischen Revolution in Frankreich 1789 mußten alle Gesellschaften auf die „industrielle Revolution“ reagieren, auf ihre ökonomisch-technische Seite, zunächst führend repräsentiert von England, im 20. Jahrhundert von den USA, ebenso wie auf ihre politische Seite, in ihrer bürgerlich-kapitalistischen Phase geprägt zunächst von der Französischen, in ihrer proletarisch-kommunistischen Phase zunächst von der Russischen Revolution. 2. Die Französische Revolution, 1789— 1815

Bis vor kurzem herrschte allgemein Überein-stimmung über das Datum für den Beginn der Französischen Revolution — 1789. Neuerdings legt jedoch die Forschung großen Wert auf die auch schon von Tocqueville betonte unmittelbare Vorgeschichte der Revolution: die Revolte der Notabein und Privilegierten gegen die Reformversuche der Krone von oben ab 1787, da sie die Reformunfähigkeit des Systems besiegelte und die Revolution von unten provozierte. Die neueste, ins Deutsche übersetzte französische Darstellung läßt die Französische Revolution 1799 mit Napoleons Machtantritt enden Im folgenden soll jedoch die napoleonische Zeit noch mit unter der Französischen Revolution begriffen werden. Denn Napoleon war, wie oft genug richtig bemerkt wurde, nicht nur Erbe der Revolution, sondern auch in vielen Punkten ihr Vollstrecker. Die konservativen Mächte, die ihn 1812/15 niederwarfen, betrachteten ihn ganz folgerichtig als Repräsentanten der verhaßten Revolution selbst, und trotz Kaisertum stellte das napoleonische Frankreich in vieler Beziehung die sozial fortgeschrittenste Entwicklung seiner Zeit dar.

Auch wurde erst mit der Restauration der Bourbonen 1814/15 sichtbar, was die Revolution an sozialen Veränderungen tatsächlich bewirkt hatte, wieweit sie nämlich mit der Restauration konsolidiert und damit bestätigt wurden. Die auffallende Parallele zur Restauration nach der (ersten und eigentlich revolutionären Phase der) Englischen Revolution 1660 macht den entscheidenden Punkt deutlich: Hinter der Fassade der restaurierten Monarchie, die jedoch ohnehin nicht mehr als absolute zurückkehren konnte, blieb die von der Revolution bewirkte Neuverteilung des Grundbesitzes unangetastet — weder Kirche noch Adel erhielten ihr jn der Revolution verlorenes Land wieder zurück. Der Versuch von KarlX., 1825 mit der „Milliarde der Emigranten" den zurückgekehrten aristokratischen Emigranten zum Wiedererwerb wenigstens eines Teils ihrer früheren Güter zu verhelfen, gehört durch den scharfen Protest, den Karl X. beim Bürgertum auslöste, schon zur Vorgeschichte der Juli-Revolution 1830. Mit dem Code Napoleon blieb auch die damals dem aufsteigenden Bürgertum angemessenste Rechtsstruktur weiterhin in Kraft. Die Einbeziehung Napoleons in die Französische Revolution erlaubt es auch, die Ausstrahlungen der Revolution unter Napoleon, z. B. auf Ruß-land, plausibler zu machen.

Nach den quasi-revolutionären (oder revolutionären) Vorspielen in den Niederlanden und in England, die jedoch um 1780 fast schon wieder vergessen waren, wirkte die Französische Revolution auf das Ancien Regime wie eine elementare Eruption. Ihre Bedeutung als zentrales Ereignis der Neuzeit erklärt ihre immerwährende Faszination auf Wissenschaft und Belletristik. Die Flut an Literatur erschwert den Zugang zum Verständnis der Französischen Revolution eher als ihn zu erleichtern. Zur ersten weiterführenden, gleichwohl wissenschaftlich soliden Information seien daher hier nur drei Bücher genannt: Instruktiv für die weitere und engere Vorgeschichte der Französischen Revolution ist noch immer die brillante, schon ganz sozial-geschichtlich fundierte Analyse von Tocqueville Auf sie kann auch die neuere Gesamt-darstellung Albert Soboul nur weiter aufbauen, die aber zugleich für den Ablauf der Revolution bis 1799 die Summe der überwiegend französischen und der eigenen Forschung zieht Mit im Prinzip ähnlichem Ansatz, aber in anderer Form gehalten, ist die wertvolle Dokumentensammlung nebst ausführlicher Bibliographie und Zeittafel über die wichtigsten Ereignisse von Walter Grab zu empfehlen

über den bürgerlichen Charakter der Französischen Revolution kann es keinen Streit geben. Obwohl die Bauern in dem noch immer überwiegend agrarisch strukturierten Land die Massenbasis für die revolutionäre Bewegung stellten, lag die politische Führung insgesamt doch stets beim Bürgertum, und dieses allein zog den größten politischen Nutzen aus der Revolution. Wichtiges Instrument der politischen Umwälzung waren anfangs die Generalstände — und hier liegen zahlreiche Parallelen zu den vorausgegangenen revolutionären oder quasi-revolutionären Erschütterungen (Niederlande, England, Amerika) auf der Hand. Wie stets bei bürgerlichen Revolutionen ging es zunächst um die Aufbringung von Steuern und die Art ihrer Verwendung. Die absolute Monarchie sah sich dem Staatsbankrott und der Weigerung der privilegierten Schichten, vor allem Schwertadel und (bürgerlicher) Amtsadel, gegenüber, durch Verzicht auf das Privileg der faktischen Steuerfreiheit zur Reform des Steuerrechts und damit der Staatsreform beizutragen. Die immens gewachsenen Staatsausgaben, nicht zuletzt verursacht durch die Kosten für die inoffizielle Beteiligung Frankreichs am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, und die Reformverweigerung der Privilegierten hatten die Neuordnung der Staatsfinanzen zu einer Frage nach der Neuordnung des Staates schlechthin gemacht. In dieser Situation half nur noch der Rückgriff auf die von der absoluten Monarchie seit 1614 verdrängte ständische Repräsentation der Nation, die nach alter, fast vergessener Tradition allein das Recht hatte, neue Steuern für das gesamte Königreich festzulegen. Die Einberufung der Generalstände nach 175 Jahren absoluter Monarchie kam somit auch dem Eingeständnis deren politischen Bankrotts gleich.

Unter dem doppelten Druck der Bauernbewegungen auf dem Land und der städtischen Massen, vor allem in Paris, brach das Ancien Regime in den Generalständen rasch zusam-men — symbolisiert in der Umwandlung der Generalstände zur Nationalversammlung und ihrer anschließenden Souveränitätserklärung. Ähnlich wie in der Englischen Revolution folgten Abschaffung der Feudalität (1789), sogar des Adels (1791), die Umwandlung zur Republik (1792) und die Hinrichtung des Königs (1793), ab 1791 beschleunigt unter dem Druck ausländischer Intervention, die in der Englischen Revolution wegen der allgemeinen Lage Europas ausgeblieben war. Eine weitere Neuerung, sichtlich dem nordamerikanischen Vorbild folgend, war die Ausarbeitung einer schriftlichen Verfassung, deren verschiedene Versionen das Auf und Ab der inneren Radikalisierung in der Französischen Revolution gut widerspiegeln: Die erste Verfassung von 1791, ausgearbeitet von der ersten Verfassunggebenden Nationalversammlung der Geschichte überhaupt, unter Führung der Girondisten, begnügte sich noch mit einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Muster. Die zweite Verfassung des von den Jakobinern beherrschten Konvents von 1793 sah eine radikaldemokratische Republik vor, trat jedoch nie in Kraft, da sie erst für die Zeit nach der Beendigung des inneren und äußeren Notstands gedacht war und nach dem Sturz Robespierres und der Jakobiner-Diktatur (1794) außer Kraft gesetzt wurde. Die Direktorialverfassung des Thermidor (1795) legalisierte die oligarchische Herrschaft des Großbürgertums, und die Konsular-Verfassung Napoleons von 1799 diente bereits der Verschleierung und Vorbereitung der faktischen Einmann-Herrschaft Napoleons unter dem Empire (1804) Unabhängig von dieser konstitutionellen Labilität Frankreichs in seiner revolutionären Periode, die der Englands zwischen 1640 und 1660 entsprach, ist für die allgemeine historische Bedeutung der Verfassungsfrage festzuhalten, daß von nun an die Forderung nach einer schriftlichen Verfassung schon als revolutionäre Forderung galt. Wo sie zum ersten Mal nach Beginn der Französischen Revolution außerhalb Frankreichs aufgegriffen und verwirklicht wurde — in Polen 1791 —, führte schon die Proklamierung einer eigenen Verfassung nach französischem Vorbild prompt zur gewaltsamen Intervention der Polen benachbarten Monarchien (Rußland, Österreich, Preußen), die in den sog. 2. und 3. Teilungen Polens (1793, 1795) den aus Frankreich in den Osten übergesprungenen revolutionären Funken sofort austraten, bevor er das Ancien R-gime auch in Ost-und Zentraleuropa hätte bedrohen können

Erst eine sozialgeschichtlich fundierte Forschung, wie sie in der Gegenwart vor allem von Soboul repräsentiert wird, vermag jedoch die hinter diesen an sich wohlbekannten politischen Prozessen stehende sehr viel komplexere soziale Realität aufzuschlüsseln, die wiederum die politischen Vorgänge besser verständlich macht. Die Französische Revolution war schließlich weder Teufelswerk noch blindwütende Eruption ungehemmter Leidenschaft, wie vor allem die konservative deutsche Geschichtsschreibung es hinzustellen liebte sondern das Produkt von höchst komplexen gesellschaftlichen und politischen Faktoren und Mechanismen, die ihrerseits wieder von ökonomischen Faktoren beeinflußt wurden — einerseits langfristiges Anwachsen der materiellen Produktion und des Lebensstandards vor allem für das Bürgertum, andererseits kurzfristiges Absinken des Lebensstandards, ja Notlage für breite Schichten in Stadt und Land durch einen strengen Winter 1788, Teuerung und Hungersnot, die vor allem das besitzlose Agrarproletariat Und die Kleinbauern auf dem Lande sowie die proto-proletarischen Schichten in den Städten, besonders Paris, trafen

Die verschiedenen gesellschaftlichen Faktoren, die den Gang der Französischen Revolution bestimmten, lassen sich hier nur stichwortartig nennen: Krone, hoher und niederer Adel, hohe und niedere Geistlichkeit, als Amtsadel privilegiertes Großbürgertum, das vor allem in der königlichen Verwaltung und in den sog. Parlamenten repräsentiert war, besitzendes, aber nichtprivilegiertes und damit politisch einflußloses Bürgertum, (oft wohlhabende) Pächter, Mittel-und Kleinbauern, landlose Tagelöhner, dazu in den Städten Handwerker, Angehörige freie Berufe (besonders wichtig Advokaten), Kleinhändler und besitzlose Volksmassen, die in der Revolution selbst als die proto-proletarischen Sansculotten auftraten Sie alle waren in den unterschiedlichen Phasen der Revolution von klar erkennbaren, jeweils in sich rationalen Zielen getrieben, die sie in praktische Politik umzusetzen versuchten: Erhaltung oder Wiederherstellung der absoluten Monarchie durch die Krone und die Royalisten; Erhaltung oder Wiederherstellung der Privilegien für die Privilegierten, gleichgültig ob aristokratischer oder bürgerlicher Abstammung; ökonomische Freiheit und politische Macht für das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum gegenüber den parisitär gewordenen Privilegierten; Land für die Bauern und Behauptung der revolutionär erworbenen neuen Rechtstitel; Brot und Arbeit für die Volksmassen in Land und Stadt.

Jeder der hier genannten Faktoren war wieder in sich gespalten mit meist gegensätzlichen politischen Konsequenzen: Der jüngere Zweig der Bourbonen-Dynastie — die Orleans •— waren von vornherein für die konstitutionelle Monarchie zu haben. Der hohe Klerus war zwar, von einzelnen Karrieristen wie Talleyrand abgesehen (der sich als Bischof des Ancien Regime, Parteigänger der Revolution, Außenminister Napoleons und bis 1816 auch der restaurierten Bourbonen durch alle Regime Frankreichs im Laufe eines Vierteljahrhunderts schlängelte), insgesamt gegen die Revolution. Aber der niedere Klerus, der nach Abstammung, Ausbildung und Lebensumständen mehr mit den Bauern verbunden war, votierte zu Beginn der Revolution zu einem großen Teil für die revolutionäre Nationalversammlung, während 1790 ein erheblicher Flügel den Eid auf die Zivilverfassung des Klerus verweigerte, ja sogar teilweise die Gegenrevolution im eigenen • Land mit anführte (Vendee).

Im Adel gab es zumindest Individüen, die aus politischer Berechnung oder persönlichem Ehrgeiz in der Anfangsphase der Revolution gemeinsame Sache mit dem Dritten Stand, dem Bürgertum, machten (Mirabeau, Lafayette). Das Handelsbürgertum, politisch vertreten in den Girondisten, war mit der liberalen, konstitutionellen Monarchie zufrieden. Das radikalere Kleinbürgertum und zahlreiche freiberufliche Intellektuelle wollten jedoch eine von ihnen parlamentarisch beherrschte Republik.

Nur die Fülle von — meist in sich auch noch gespaltenen — sozialen Faktoren mit insgesamt unvereinbaren ökonomischen und politischen Zielen, die in der Französischen Revolution innerhalb relativ kurzer Zeit auf einem klar begrenzten Gebiet zusammenstießen, läßt die Vorstellung von einem Chaos aufkommen, das sich in der Revolution ausgetobt hätte. In Wirklichkeit war die französische Gesellschaft — hinter der politisch so simpel strukturierten absoluten Monarchie — bereits so kompliziert geworden, daß der erste Versuch, für die soziale Komplexität eine neue adäquate politische Form zu finden, eben nur in einem äußerst komplizierten, scheinbar chaotischen Prozeß verlaufen konnte. Da sich der Prozeß wegen der Unreformierbarkeit des Alten Systems — zuletzt demonstriert am kurzfristig erfolgreichen Widerstand der Privilegierten gegen Reformen von oben 1787/88 — nicht mehr evolutionär hatte einleiten lassen, brach er sich eben in irregulärer, gewaltsamer, revolutionärer Weise Bahn und erzwang, ähnlich wie in der Englischen Revolution, auf einem weiten Umweg eine Veränderung der französischen Gesellschaft, die erst 1815 mit der Restauration sichtbar wurde: die Etablierung des Bürgertums als neue herrschende Klasse. Monarchie und Adel konnten zwar wieder zurückkehren, aber ohne ausschlaggebende politische Macht, wie der Sturz von Karl X. durch die Juli-Revolution bewies. Die danach auch in Frankreich sich allmählich durchsetzende Industrialisierung, die jedoch regional auf Paris, den Nordosten und Osten beschränkt blieb, verstärkte nur noch die politische Machtstellung des sich allmählich vom Handels-zum Industriebürgertum um-strukturierenden Bürgertums, erst recht unter dem „Bürgerkönig" Louis Philippe aus dem Hause Orleans nach der Juli-Revolution 1830. 3. Die Auswirkungen der Französischen Revolution Welthistorisch gesehen brachte die Französische Revolution den bewußten und systematischen Bruch mit der aristokratisch-monarchischen Gesellschaftsordnung. Die neue bürgerliche Gesellschaftsordnung beruhte auf den Prinzipien von persönlicher Freiheit und rechtlicher Gleichheit und verwertete, vermittelt über die von den Intellektuellen des post-revolutionären England beeinflußte Aufklärung, indirekt Erfahrungen aus der Englischen Revolution des 17. Jahrhunderts, jetzt aber auf einem höheren Niveau der ökonomisch-sozialen Entwicklung und des politischen Bewußtseins. Die Konstituierung der Nation in einem bewußten politischen Akt gegen die alten Mächte von Krone, Adel und feudaler Kirche, in späteren nationalen Revolutionen auch gegen dynastische Imperien, führte folgerichtig zum Prinzip der Volkssouveränität und der Demokratie und kam damit schon, zumal in der Regel durch Gewalt herbeigeführt, der Revolution gleich. Sie führte zugleich zum Sturz der traditionellen, auf der agrarischen Produktion basierenden herrschenden Klasse durch eine neue, die im wesentlichen mit den modernen Wirtschaftsformen entstanden war.

Die enorme Wirkung der Französischen Revolution auf das zeitgenössische Europa und darüber hinaus, räumlich wie zeitlich, erklärt sich daraus, daß sich das feudal-monarchische System überall in Europa —-ähnlich wie im Ancien Regime Frankreichs, vor 1789 — bereits an seiner ökonomischen Basis und in seiner gesellschaftlichen Substanz zu zersetzen begann, ungefähr mit von Westen nach Osten abnehmender Intensität Entsprechend nahm die direkte politische Erschütterung des übrigen Europa durch die Französische Revolution ungefähr von Westen nach Osten ab: In den an Frankreich angrenzenden östlichen Nachbarländern entstanden republikanisch-revolutionäre Strömungen, die sich jedoch nur mit Hilfe der französischen Revolutionsarmeen im Nachdrängen gegen die bewaffneten Interventionsheere des monarchischen Europa vorübergehend durchsetzen konnten, z. B. in Mainz 1793. Diese Nachbarländer wurden anschließend in die erweiterte französische Republik einverleibt oder als formal selbständige Republiken angeschlossen, dann entsprechend dem Empire unter Napoleon als neue synthetische Quasi-Monarchien (Königreich Westfalen, Italien usw.) zugeordnet. Eine Ausnahme von dieser generellen Tendenz bildet jedoch Polen, wo als Reaktion auf die Aufteilung des Landes durch die konservativen Ostmächte die Wir-kung der Französischen Revolution besonders groß war.

Darüber hinaus wirkte sich die Umwälzung in Frankreich auf die Rheinbundstaaten im westlichen und südlichen Deutschland aus, die mit dem Code Napoleon und moderner Verwaltung bereits entscheidende Elemente des bürgerlichen Rechtsstaats übernahmen, selbst wenn sie ökonomisch noch nicht so weit entwickelt waren. Selbst nach dem Sturz Napoleons und der Restauration hielten diese Regionen Deutschlands am Code Napoleon als einer für sie wesentlichen fortschrittlichen Errungenschaft fest, auch die 1815 Preußen zugeschlagenen Rheinlande. Die süddeutschen Länder bestanden nach 1815 sogar auf einer, wenn auch abgeschwächten Form der konstitutionellen Monarchie und setzten sie mit der Einrichtung von parlamentarischen Kammern als politischer, Vertretung des Bürgertums auch durch. In Preußen dagegen erhielt die Reformbewegung als Reaktion auf die militärische Niederlage und den politischen Zusammenbruch von 1806/07 eine betont anti-französische, gegenrevolutionäre Spitze, ideologisch verstärkt durch die romantisch-konservative Bewegung

Die positive Rezipierung der Französischen Revolution in Polen wurde, wie schon erwähnt, durch die Zerschlagung des sich gerade formierenden konstitutionellen Nationalstaats 1793 und 1795 sozusagen im Keime erstickt. In Österreich hatte die Französische Revolution, äußerlich gesehen, so gut wie keine Auswirkung. Hier wie in Ungarn, aber auch in anderen Ländern (Deutschland, Italien, Niederlande, Irland), markiert das meist nur im Untergrund agierende Element der Jakobiner den Einzugsbereich des revolutionären Prozesses bei der nächsten großen Revolutions-Krise, die in Europa zwei politische Generationen nach Abschluß der Franzöischen Revolution 1815 erfassen sollte — 1848/49. Das Element der Jakobiner außerhalb Frankreichs wurde in der politischen Situation verfolgt und unterdrückt, anschließend im öffentlichen Bewußtsein und von der Geschichtsschreibung so gut wie völlig verdrängt. Die neuere Forschung zeigt, daß es oft stärker war als bisher angenommen, ohne jedoch irgendwo eine wirkliche Chance zu haben, sich politisch durchzusetzen

Mit dem erst jetzt allmählich wiederentdeckten Auftreten des jakobinischen Elements außerhalb Frankreichs ist jedoch die Fernwirkung der Französischen Revolution noch nicht erschöpft: Die revolutionäre Konstituierung der Nation in Frankreich wirkte auch auf dem Balkan als Vorbild, vor allem mit dem Serbischen Aufstand von 1804 als Auftakt zur nationalrevolutionären Bewegung der Südslawen nach der Restauration von 1815 auch auf die Griechen 1821/29, beide in Auflehnung gegen die Fremdherrschaft des Osmanischen Reichs Der Zug Napoleons nach Rußland 1812 und der Einmarsch der russischen Armee in Paris 1814 im Gegenzug gehören zur weiteren Vorgeschichte der Russischen Revolution Selbst die Geschichte des modernen Nationalismus unter den Arabern und den Ägyptern beginnt mit der Expedition Napoleons nach Ägypten und Syrien 1798/99 Und der Unabhängigkeitskampf der spanischen Kolonien in Lateinamerika, der so viele Parallelen mit der sog. Amerikanischen Revolution von 1776/87 hat und häufig ebenfalls als Revolution gilt, hatte die Vertreibung der spanischen Krone aus Spanien durch Napoleon (1808) zur wesentlichen und unmittelbaren Voraussetzung Schließlich ist noch eine historische Fernwirkung zu nennen, die mit der inneren Entwicklung der Französischen Revolution und ihrer Radikalisierung zusammenhängt: Noch stärker und bewußter als in der Englischen Revolution 1640— 1660 trat auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution ein proto-proletarisches Element in Erscheinung, das sich, im Unterschied zu den Diggers in der Englischen Revolution, in seinen ökonomischen und politischen Forderungen schon eher an der sich abzeichnenden industriellen Zukunft als an der agrarischen Vergangenheit orientierte, allerdings noch auf die Distributionssphäre beschränkt. Gracchus Babeuf wurde mit seiner „Verschwörung der Gleichen" der Urvater des modernen Kommunismus Unabhängig davon prägten Interpretation und Rezeption der Französischen Revolution, vor allem durch Marx, die sich mit dem gerade entstehenden Industrieproletariat identifizierende Intelligenz bürgerlicher Abstammung und damit die sozialistisch-kommunistische Bewegung zutiefst bis hin zu Lenin.

Aber schon vorher galt die Französische Revolution — positiv oder negativ — als die stilprägende Modell-Revolution schlechthin: Die Heilige Allianz der konservativen Mächte von 1815 institutionalisierte und systematisierte gleichsam die permanente Gegenrevolution auf staatlicher und internationaler Ebene, während die neuen Revolutionäre im 19. Jahrhundert das Erbe der Französischen Revolution — besonders ihres radikalsten Flügels — verwirklichen wollten. Denn der Sieg des Bürgertums unter den Parolen „Gleichheit und Freiheit“ brachte mit der Durchsetzung des industriellen Prinzips in seiner kapitalistischen Form neue Arten der Ungleichheit, Ausbeutung und Unfreiheit, namentlich für das entstehende Industrieproletariat, das sich im wesentlichen aus dem landlosen Agrarproletariat und aus landlos werdenden Kleinbauern rekrutierte. So enthält die Französische Revolution trotz ihres überwiegend bürgerlichen Charakters bereits den Keim zur sich erst später entfaltenden proletarischen Revolution, so daß in den auf die Französische Revolution folgenden Revolutionen bürgerliche und proletarische Elemente nicht immer leicht zu trennen sind und die Zuordnung ei-* niger Revolutionen zur bürgerlichen oder proletarischen Kategorie manchmal schwierig wird. 4. Bürgerliche Revolutionen bis zum Ersten Weltkrieg Da die erste erfolgreiche proletarische Revolution unmittelbar aus dem Ersten Weltkrieg entstand — die Russische Revolution 1917 —, erscheint es sinnvoll, die bürgerlichen Revolutionen bis zu diesem Zeitpunkt zusammenzufassen. Nachdem die Explosion der Französischen Revolution erst in Frankreich, anschließend in weiten Gebieten Europas die gesellschaftlichen und politischen Kräfte mehr oder weniger hatte auffächern lassen, ließen sie sich auf die Dauer nicht wieder gewaltsam unter den einen Hut der absoluten und angeblich von Gott eingesetzten Monarchie zusammenhalten, weder durch die Restauration noch durch die Repression der Heiligen Allianz. Verkörpert bis 1848 in Metternich, seit 1848/49 in Zar Nikolaus I., versuchte die Heilige Allianz als , Feuerwehr'der aristokratisch-monarchischen Ordnung regionale oder lokale Ausbrüche der Revolution immer wieder zu ersticken. Die Spannungen zwischen ökonomischen und sozialen Wandlungen durch die nun auch auf dem Kontinent einsetzende industrielle Revolution einerseits und vorrevolutionären, agrarisch fundierten Herrschafts-und Machtstrukturen andererseits drängten überall zu revolutionären Eruptionen. Frankreich blieb zwar im 19. Jahrhundert das Epizentrum des revolutionären Prozesses, aber insgesamt breitete er sich fortan über Europa, ja weite Teile der übrigen Welt aus, mit mannigfachen nationalen Abweichungen und Komplizierungen a) Haiti und Lateinamerika Noch in den Zusammenhang der vorausgegangenen Amerikanischen und der noch laufenden Französischen Revolution gehört ein in der Geschichte des revolutionären Prozesses meist ignoriertes Ereignis in einem kleinen Land — Haiti. Als unmittelbare Folge der Französischen Revolution, die 1794 die Abschaffung der Sklaverei für die französische Kolonie brachte, kam es 1791 zum Aufstand der (überwiegend schwarzen) Sklaven aut San Domingo. Als begabtester militärischer Anführer in dem wechselnden, zeitweise als Kampf aller gegen alle ausartenden Ringen schälte sich bald Toussaint L’Ouverture her-aus Einige Anführer des Aufstandes hatten bereits im amerikanischen Unabhängigkeitskampf auf Seiten der Franzosen, damit also auch der aufständischen Kolonisten gekämpft und dort erste militärische Erfahrungen gewonnen. Toussaint L’Ouverture konnte — u. ä. begünstigt durch die politische Labilität Frankreichs und sein militärisches Engagement überwiegend in Europa — für San Domingo eine Art Autonomie erkämpfen. Napoleon wollte aber 1802, u. a. im Interesse der der Handelsbourgeoisie Gironde, San Domingo wieder voll in seine Gewalt bringen. Eine militärische Expedition, Wiedereinführung der Sklaverei und die hinterhältige Ge -fangennahme L’Ouvertures provozierten einen solchen Widerstand, daß jedoch die Reste des französischen Expeditionskorps kapitulieren mußten. Am 1. Januar 1804 konstituierten die siegreichen Ex-Sklaven sich als neue Nation Haiti. Was der Beginn einer wirklichen politischen und Revolution hätte werden können, mit weitreichender Wirkung auf damalige geriet jedoch die Kolonialwelt, bald zu einem nun wirklichen Chaos von Staatsstreichen, Bürgerkriegen und die französiche Entwicklung nachahmenden Experimente bis hin zur Errichtung eines kurzlebigen Kaisertums auf Haiti. Sozial und politisch setzte sich die aus historischen Gründen gegenüber den meist schwarzen Sklaven begünstigte Mulatten-Elite als die neue herrschende Klasse durch. Die Konflikte, die Haiti seitdem immer wieder erschütterten, spielten sich teils innerhalb der Mulatten-Oligarchie ab, teils zwischen Mulatten und Schwarzen, die sich immer wieder — erfolglos — von der neuen Klassenherrschaft der Mulatten zu emanzipieren suchten.

Trotzdem griff das noch junge Haiti, als die künftige Fehlentwicklung noch nicht abzusehen war, einmal in den Revolutionsprozeß jenseits seiner Grenzen aktiv ein, als nämlich Präsident Pieton 1816 dem vorübergehend geschlagenen Simone Bolivar Asyl sowie finanzielle und militärische Hilfe gegen dessen Versprechen gab, nach seinem Sieg in Venezuela die Sklaverei abzuschaffen. Diese Episode und das Faktum, daß Haiti sich überhaupt die nationale Unabhängigkeit hatte erringen können, verhalfen ihm bei afrikanischen und afro-amerikanischen Intellektuellen, die nach Anhaltspunkten zur Gewinnung eines neuen Selbstbewußtseins in ihrem Kampf gegen Sklaverei, Kolonialherrschaft und Rassismus suchten, zu idealisierten und romantisierten Sympathien

Haitis ver Die steckengebliebene Revolution -weist auf den ebenfalls durch die Französische Revolution initiierten Unabhängigkeitskampf der spanischen Kolonien in Lateinamerika (bis auf Kuba und Puerto Rico). Ähnlich wie in Nordamerika rebellierten ab 1810 gegen durch Napoleon Spanien vertriebene aus und damit geschwächte Krone Kolonisten-Oligarchien, schon längst -die weitgehen de Autonomie genossen und nur noch die formale Souveränität zu gewinnen brauchten, um sich als neue Nationalstaaten zu konstituieren. Ähnlich wie in Nordamerika spielten sich die Kämpfe weitgehend ohne Beteiligung der durch das quasi-feudale Encomienda-System und Sklaverei gebundenen Urbevölkerung der Indios und der aus Afrika zwangs-importierten Sklaven ab. Nur in zwei Ländern kam es zur vorübergehenden Mobilisierung der nicht-europäischen unterworfenen oder abhängigen Bevölkerung und damit zu Ansätzen einer sozialen Revolution: in Mexiko und Venezuela In beiden Bewegungen spielten die Forderungen nach Abschaffung der Sklaverei, nach Gleichstellung der verschiedenfarbigen Gruppen und nach ökonomischer Besserstellung der Unterschichten eine große Rolle; beide Bewegungen scheiterten aber. Als Ergebnis blieb die Etablierung neuer Staaten, beherrscht von weißen Oligarchien, die fortan ihre Konflikte untereinander in einer Fülle von Staatsstreichen und Pronunciamentos austrugen, im Prinzip nicht anders als im von ihnen sonst so verachteten Haiti. Durch ihre Ausbeutungs-und Herrschaftsmethoden, die auch unter einer allmählich einsetzenden Industrialisierung die seit der Eroberungszeit im 16. Jahrhundert bestehenden quasi-feudalen Strukturen verhärteten, ließen sie jedoch soziale Konfliktstoffe heranreifen, die teils in der Gegenwart, teils aber erst in einer vermutlich nicht mehr allzuweiten Zukunft zu Explosionen mit dann vermutlich revolutionären Konsequenzen drängen.

Für die allgemeine Weltgeschichte, indirekt auch für den universalhistorischen Revoluti-onsprozeß, gewann der Abfall der spanischen Kolonien trotzdem eine unmittelbare Bedeutung: Dem Versuch der Heiligen Allianz, wie vorher schon in Europa (Neapel 1820/21, Spanien 1823) auch im spanischen Kolonialreich zugunsten der monarchischen Legitimität und Erhaltung des politischen Status quo militärisch einzugreifen, und der sich abzeichnenden Hegemonie Englands in Südamerika setzten die jungen USA unter Präsident Monroe 1823 die bekannte Monroe-Doktrin entgegen, die auf die schlichte Formel hinauslief: „Amerika den Amerikanern". Die Heilige Allianz als Institutionalisierung des Konservativismus und der Gegenrevolution sah sich somit auf die Alte Welt beschränkt. Gleichzeitig scherte England, das schon über Griechenland in Dissens zu Österreich geraten war, inVerteidigung seiner ökonomischen Interessen (Investitionen) in Lateinamerika aus der Kooperation mit der Heiligen Allianz endgültig aus und unterstützte fortan überwiegend (wenn auch nicht immer und konsequent) national-staatliche Bewegungen im Namen des Liberalismus. b) Die Entwicklung im Vormärz Der Aufstieg der nationaldemokratischen bis nationalrevolutionären Bewegung in Europa läßt sich umgekehrt auch am Niedergang der Heiligen Allianz ablesen: 1821 war es ihr noch gelungen, einen revolutionsartigen Aufstand in Neapel zusammenschießen und 1823 eine Revolution konstitutioneller Liberaler in Spanien durch das restaurierte Frankreich niederwerfen zu lassen. Dazwischen hatte bereits der Unabhängigkeitskampf Griechenlands von 1821 Österreich — die Vormacht der Heiligen Allianz — mit dem prinzipiell gleichen Dilemma konfrontiert, das sich, noch zu Napoleons Zeiten, für Österreich bereits vor dem serbischen Aufstand von 1804 aufgetan hatte: Damals hatten sich vor dem geplanten Aufstand die serbischen Führer an Österreich — die traditionelle Schutzmacht der christlichen Balkanvölker gegen die islamische Türkei — mit der Bitte um Unterstützung gewandt. Schwankend zwischen dem — historisch älteren — Prinzip der Solidarität mit (wenn auch überwiegend griechisch-orthodoxen) christlichen Glaubensbrüdern und dem jüngeren Prinzip monarchischer Solidarität, hatte sich Österreich damals gegen die Aufständischen auf dem Balkan entschieden, 'die fortan Unterstützung vom ebenfalls slawischen und -orthodoxen Rußland erhielten — init ’ welthistorischen Rückwirkungen. 1821 entschied sich Österreich wieder gegen eine nationale Erhebung, diesmal der Griechen.

England aus liberalen und Rußland aus orthodoxen (ideologischen) Motivierungen unterstützten jedoch die Griechen, so daß die Heilige Allianz erste Auflösungserscheinungen zeigte. Während sich England 1823 wegen des Unabhängigkeitskampfes der spanischen Kolonien in Lateinamerika endgültig von der Heiligen Allianz distanzierte, blieb Rußland insgesamt Bollwerk der konservativen Koalition.

Die griechische Unabhängigkeitsbewegung erreichte im ersten Anlauf jedoch nur einen Teilerfolg und mußte sich, trotz internationaler Unterstützung, 1830 mit der Errichtung eines griechischen Nationalstaats auf dem Peloponnes und um Athen begnügen. Befreiung und Anschluß („Enosis") der übrigen griechischen Gebiete durch Krieg gegen die Türkei oder Aufstände (z. B. in Kreta 1896/97) in mehreren Etappen (1863, 1881, 1908, 1912/13) lösten jedes Mal größere oder kleinere internationale Krisen aus. Die letzte Enosis-Problematik — Zypern — dauert noch heute an, mit allen Komplikationen seit dem Sturz von Erzbischof Makarios im Juli 1974.

Die Errichtung des — wenn auch noch embryonalen — griechischen Nationalstaats im Jahre 1830 war von einem Begleitumstand buchstäblich gekrönt, der in ähnlichen Fällen Schule machen sollte: Wenn schon die Heilige Allianz nicht mehr verhindern konnte, daß in einem revolutionären Vorgang neue Nationalstaaten entstanden, die also gegen das ältere Prinzip dynastischer, auf Eroberung gegründeter und auch weiter gerichteter Imperien verstießen, so hatten die Verfechter des monarchischen Legitimitätsprinzips immer noch so viel Macht, den neuen Staaten wenigstens einen König , zu verpassen". Die zahlreichen deutschen Fürstenhäuser boten ein zunächst unerschöpfliches Reservoir: 1831 erhielt das neugegründete Belgien seine Dynastie aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha, Griechenland seinen ersten König 1832 aus dem Hause Wittelsbach, 1863 seine längerregierende Dynastie (bis 1974) aus dem Hause Glücksburg-Sonderburg, Rumänien 1866 aus der süddeutsch-katholischen Seitenlinie der Hohenzollern (Sigmaringen), Bulgarien 1879 als Fürst einen Battenberg (als Mountbatten 1917 im Namen anglisiert und heute männlicher Fortsetzer der gegenwärtigen britischen Königsfamilie), als sich Alexander von Battenberg 1886 nicht mehr halten konnte, 1887 wieder einen Fürsten; diesmal aus Sachsen-Coburg-Gotha, der sich 1908 zum König erheben ließ. Nur Serbien, das sich insgesamt aus fast eigener Kraft befreite und vergrößerte, brachte gleich zwei einheimische Dynastien hervor (Karageorgevi und Obrenovi), deren Rivalität die nationale Unabhängigkeitsbewegung der Südslawen teils lähmte, teils weiter antrieb.

Das Jahr 1830 bündelte wieder gleichsam revolutionäre Tendenzen, ausgehend von der Juli-Revolution in Frankreich, in der zum ersten Mal die städtische Arbeiterschaft als erkennbare politische Größe auftrat, aber vom Bürgertum nur als Massenbasis zur Erweiterung und Konsolidierung der eigenen Herrschaft gegen eine wieder mit absoluten Tendenzen spielende Krone gebraucht wurde.

Die Auswirkungen der Juli-Revolution waren am direktesten in Belgien sichtbar. Gegen die 1815 auf dem Wiener Kongreß vollzogene Wiedervereinigung der ehemals spanischen Niederlande, die sich 1579 getrennt hatten, und die damit verbundene holländische Vorherrschaft im bis 1715 spanisch gebliebenen, bis 1795 österreichischen Süden (dem heutigen Belgien), erhob sich im Süden die Bevölkerung, angeführt vom liberalen Bürgertum, und konstituierte sich als neue Nation Belgien In Deutschland kam es zu revolutionsähnlichen Ausbrüchen in einigen kleineren Staaten, vor allem in Braunschweig, Hannover und Sachsen mit Weiterwirkungen, die zur Vorgeschichte der Revolution 1848/49 gehören (Hambacher Fest 1832, Frankfurter Wachensturm 1833, Göttinger Sieben 1837). Polen erlebte 1830/31 den ersten großen nationalen Aufstand seit seiner erneuten, eigentlich vierten Aufteilung auf dem Wiener Kongreß durch die drei Teilungsmächte, allerdings in gegenüber dem Status von 1795/1807 modifizierten Grenzen zwischen Rußland und Preußen. Alle diese Bewegungen jenseits des Rheins scheiterten zwar, zeigten jedoch an, daß in der Gesellschaft des Vormärz Spannungen heranreiften, die sich bei Erschütterungen von außen relativ leicht in Konflikte revolutionären Charakters umsetzen konnten.

Auf eine revolutionäre Situation schien um die gleiche Zeit England über der Frage des Wahlrechts zuzusteuern. Durch die Reform des seit dem 15. Jahrhundert unreformiert gebliebenen Wahlrechts und die Neueinteilung der Wahlkreise gelang es jedoch, die bedrohliche Situation wieder aufzulösen, fortgesetzt in einer Kette von Wahlrechtsreformen bis hin zur Einführung des allgemeinen Frauen-wahlrechts in England 1918 1832 erhielt nunmehr auch das bisher In England unter-repräsentiert gebliebene Wirtschaftsbürgertum in den neuen großen Industriezentren (Manchester, Sheffield usw.) einen stärkeren Einfluß auf die politische Machtausübung. Als Reaktion auf die nur ungenügende Parlamentsreform bildete sich aber mit der Chartisten-Bewegung eine erste quasi-sozialistische Strömung in England heraus, deren Massenagitation, u. a. für das allgemeine und gleiche Wahlrecht, bis in die erste Hälfte des Jahres 1848 hineinreichte cj Die Revolution 1848/49 und Folgen ihre Noch stärker als 1830 brachte das große Revolutionsjahr 1848 fast in ganz Europa den Ausbruch revolutionärer Konflikte, wiederum ausgehend vom Epizentrum Frankreich: Paris, Wien, Berlin, von da das übrige Deutschland, Budapest, Prag, Italien waren die wichtigsten Etappen der revolutionären Bewegung. In England scheiterte 1848 die Chartisten-Bewegung in einer auch für England scheinbar revolutionären Situation. Dafür verband sich in Irland der nationale Widerstand gegen die englische Herrschaft bereits mit sozialen Komponenten

Die meisten Revolutionsbewegungen wollten — entsprechend den sozialen und politischen Zuständen in ihren Gesellschaften — erst einmal die Ergebnisse der Französischen Revolution von 1789 nachholen. Sie wurden sämtlich entweder sofort militärisch niedergeworfen oder blieben nach ersten Anfangserfolgen stecken, arrangierten sich mit Krone und Aristokratie oder wurden dann doch noch militärisch erstickt. Als rocher de bronze der Reaktion und Gegenrevolution erwies sich das zaristische Rußland unter Zar Nikolaus I., das die militärisch schwächeren Partner der Heiligen Allianz, Österreich und Preußen, die ihrerseits von der Revolution bedroht waren, durch die Drohung militärischer Intervention zur energischen Niederwerfung der Revolution auch außerhalb des eigenen Gebiets zwang (z. B. Preußen in Baden 1849). In Ungarn, wo sich die bürgerliche Revolution unter teils aristokratischer, teils bürgerlicher Führung zunächst behauptete, griff Rußland 1849 militärisch selbst ein, weil der Kaiser-staat Österreich offensichtlich nicht mehr in der Lage war, die Revolution niederzuwerfen

In Frankreich dagegen, seit 1789 Europa in diesem Punkt stets während des 19. Jahrhunderts um einen Schritt voraus, setzte sich die 1830 erstmals sichtbar gewordene Tendenz fort: Das Industrieproletariat, vor allem in Paris, war bereits so stark geworden, daß es in den ersten Monaten Miene machte, sich diesmal die Erfolge der im wesentlichen abermals von ihm getragenen Revolution nicht wieder aus der Hand winden zu lassen. Das Bürgertum, verbündet mit den Resten der alten Aristokratie, suchte daher von sich aus die militärische Entscheidung und warf in einer dreitägigen Straßenschlacht im Juni 1848 das bewaffnete Pariser Proletariat nieder — ein Vorspiel zum Kampf gegen die Pariser Kommune von 1871. Die Entscheidung in Paris war von weitreichender Signalwirkung, weil nunmehr das Mittel-und Großbürgertum in anderen revolutionierten Gesellschaften mehr oder weniger Anschluß an die Aristokratie suchte, um Schutz gegen das Industrie-proletariat zu finden, gleichgültig ob dieses schon ein nennenswerter Faktor war oder nicht. Aus den Erfahrungen der Revolution 1848/49 bereitete sich jene Trennung der „proletarischen von der bürgerlichen Demokratie" vor, die sich in Deutschland eine politische Generation später, in der Mitte der 1860er Jahre, tatsächlich vollzog

Entsprechend den unterschiedlichen historischen Voraussetzungen und dem Verlauf der jeweiligen Revolutionsbewegung in den verschiedenen Ländern stellen sich auch die Ergebnisse der Revolution von 1848/49 unterschiedlich dar: In Frankreich konsolidierte das Bürgertum seine Macht; selbst im Kaiserreich unter Napoleon III. (1852— 1870). Nach Napoleons Scheitern 1870 fand das Bürgertum — kompliziert durch die Pariser Kommune 1871 und monarchische Restaurationsbestre-bungen unterschiedlicher Art (bourbonischlegitimistisch, orleanistisch, napoleonisch) — erst 1875 eine stabile Form für seine Herrschaft, nämlich die parlamentarische Republik, regiert von der Mitte, mit Abweichungen nach rechts (1940, 1958) und links (1944/45) in den Krisenzeiten des nationalen Notstands

In Deutschland, vor allem in Preußen, ließen sich Ruhe und Ordnung nur um den Preis einer komplizierten — und sich mit der von nun an erst stürmisch einsetzenden Industrialisierung immer weiter komplizierenden — Kompromißlösung herstellen: Die politische Macht, repräsentiert in der Krone, blieb weiterhin bej der Aristokratie, aber das Bürgertum erhielt freie Bahn für ökonomische Aktivitäten, die auf die Dauer auch politische Konsequenzen haben sollten. Sie wurden sichtbar im preußischen Abgeordnetenhaus, in dem gerade unter dem 1849 eingeführten Drei-Klassen-Wahlrecht das liberale Bürgertum eine solche parlamentarische Machtstellung um 1860 errungen hatte, daß Preußen am Rande der vollen Parlamentarisierung unter liberalem Vorzeichen und damit einer Art konstitutionellen Umwälzung zu stehen schien. Mit dem preußischen Heereskonflikt nach innen und militärischer Expansion nach außen wies Bismarck jedoch im Sinne der alten Ordnung die Liberalen in die ihnen durch die Kompromißlösung von 1849 gezogenen Schranken und konsolidierte den Status quo noch einmal für ein halbes Jahrhundert, gekrönt in der Reichsgründung von 1867/71, die kurzfristig mit dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für die Wahl zum Reichstag ein als im konservativen Sinn stabilisierendes Element einführte, das sich gleichwohl langfristig als demokratisierendes, ja revolutionierendes Element erwies

In Italien gehörte die Revolution von 1848/49 zur unmittelbaren Vorgeschichte des Risorgimento, d. h.der Errichtung des italienischen Nationalstaats gegen den Widerstand Österreichs, das 1848/49 seine Herrschaft über Oberitalien und Teile von Mittelitalien in Form habsburgischer Nebenlinien in den 181585 im Wiener Kongreß restaurierten italienischen Fürstentümern militärisch noch einmal hatte behaupten können. Immerhin erwies sich das Königreich Piemont-Sardinien mit seiner zwar ursprünglich aus dem französischen Savoyen abstammenden, sich aber ganz mit Italien identifizierenden Dynastie als die einzige sich italienisch fühlende Monarchie und wurde Ausgangspunkt des nationalrevolutionären Risorgimento 1859/61 durch den Sturz der fremden habsburgischen Fürstenhäuser und Regierungen

Nach dem Verlust Lombardiens 1859 an Italien verschärfte der Verlust Veneziens 1866 die Staatskrise des Kaiserstaats Österreich im Anschluß an die Verdrängung aus Deutschland durch Preußen. Vor allem suchte Österreich Ersatz für den oberitalienischen Verlust auf dem Balkan. Mit der Okkupation Bosnien-Herzegowinas 1878 und der Annexion 1908 einverleibte es sich nur zusätzlichen nationalrevolutionären Sprengstoff, an dem die 1867 unter dem inneren Druck der Ungarn zur Doppelmonarchie Osterreich-Ungarn umgewandelte Donaumonarchie über Sarajevo 1914 und den Ersten Weltkrieg 1914/18 zugrunde ging.

Ungarn gehörte mit der russischen Intervention 1849 zu den großen Verlierern der Revolution von 1848, nutzte aber schon 1866/67 seine Chance und zwang, unter der Drohung eines nationalrevolutionären Aufstandes im Bunde mit Preußen, den bis dahin führenden Deutschen Österreichs die faktische Teilung des Kaiserstaats Österreich in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn mit dem Ausgleich von 1867 auf. Mit der Zurückgewinnung der inneren Autonomie und sogar einer nur noch dürftig verschleierten faktischen Souveränität zeigte sich aber rasch die innere Problematik des ungarischen Nationalismus, die wahrscheinlich auch bei einer 1849 siegreich gebliebenen Revolution durchgebrochen wäre: Die Kombination eines magyarischen Nationalismus mit der Idee vom angeblich ungarischen Charakter aller Länder der Stephans-kröne — also einer quasi-imperialen Ideologie — ergab konsequent ein rigoroses Magyarisierungs-und Unterdrückungsprogramm gegen die nichtmagyarische Mehrheit, die vor allem die Südslawen allmählich erst recht in die nationalrevolutionäre Empörung hinein-trieb d) Der Aufstieg der nationalrevoiutionüren Bewegung auf dem Balkan 1848 sah die Slawen in einem Zustand totaler politischer Zerrissenheit. In Prag, Posen und Zagreb (Agram) beteiligten sich West-und Südslawen an der Revolution, während die stärkste Macht der Slawen, Rußland, eben diese Revolution gewaltsam unterdrückte, unterstützt von Serben und Kroaten, die mithalfen, die ungarische Revolution niederzuwerfen. Gleichwohl zeichnete sich zu Beginn der Revolution mit dem ersten All-Slawischen Kongreß in Prag ein Programm gesamtslawischer Solidarität und Kooperation ab, dessen Haupthoffnung in Moskau, dem Hort der alt-russischen Idee, lag. Voraussetzung war allerdings, daß sich die Hoffnungen auf eine austro-slawische Föderativlösung, wie sie der tschechische Historiker Paläcky formulierte, nicht erfüllte.

Sobald sich Rußland dieses Programm einigermaßen zu eigen machen und die potentiell nationalrevolutionären Kräfte vor allem auf dem Balkan, aber auch bei den Tschechen in Böhmen und Mähren, sich zuordnen würde, entstand, kombiniert mit der russischen Militärmacht, ein explosives Gemisch: Der Panslawismus, identifiziert mit dem nationalen Selbstbestimmungsrecht der Völker auf dem Balkan, von außen politisch, notfalls auch militärisch gestützt vom zaristischen Rußland, entstand so als ambivalente Bewegung mit teils reaktionären, teils fortschrittlich-emanzipatorischen Zügen Als sich 1877/78 der Panslawismus im offiziellen Rußland erstmals vorübergehend teilweise durchsetzte, verbunden mit einem Vordringen liberaler, an Frankreich orientierter Kräfte und dem erstmaligen Auftreten russischer Revolutionäre (Anarchisten und Narodniki), schloß Bismarck, daß Rußland im Kern keine konservative Macht mehr sei; er wandte sich 1879 mit dem Zweibund ganz Österreich-Ungarn zu, dessen anachronistische Struktur in der Zange zwischen dem Deutschen Reich und dem magyarischen Chauvinismus erst recht in wachsender Reformunfähigkeit erstarrte Nach der Revolution von 1848/49 erschien die Pariser Kommune vom Frühjahr 1871 nur noch als letzte Nachgeburt des scheinbar abgeschlossenen Revolutionszeitalters’ Obwohl sie mit ihren schon proletarisch-sozialistischen Elementen Ausgangspunkt sozialistischer Agitation und bürgerlicher Revolutionsfurcht wurde kam es im Kern des damals auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung stehenden Europa kaum noch zu Revolutionen — bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Revolutionäre Erschütterungen kamen höchstens an der Peripherie Europas vor oder jenseits des Kontinents: nationalrevolutionäre Aufstände im Osmanischen Reich, von Armenien und Kreta über Mazedonien, Albanien bis zur Herzegowina (1875), der Sturz der Obrenovic-Dynastie in Serbien 1903, die erste Revolution in Rußland 1905/07 als innere Reaktion auf die äußere Niederlage des Zarismus im Krieg gegen Japan 1904/05, die quasi-nationalrevolutionäre Trennung Norwegens von Schweden 1905, die sogenannte Revolution der Jungtürken im Osmanischen Reich 1908, der Sturz der Monarchie und die Errichtung der ersten Republik in Portugal 1910 — die sich allerdings nur bis 1926, bis zur Machtergreifung Salazars hatte halten können—, schließlich die bürgerliche Revolution in China unter Sun Yat-sen 1911/12, die eine lange Periode von revolutionären und gegenrevolutionären Wirren und Bürgerkriegen einleitete, bis der Sieg der chinesischen Kommunisten unter Mao Tse-tung 1949 die Volksrepublik China errichtete

Nur zwei Prozesse seien an dieser Stelle besonders herausgehoben, nicht nur weil sie inhaltlich zusammengehören, sondern weil sie auch am leichtesten zum Ersten Weltkrieg überleiten, der mit der proletarischen Revolution eine ganz neue Qualität des revolutionären Prozesses freisetzte — die jüngtürkische Revolution und die nationalrevolutionäre Bewegung auf dem Balkan.

Wie beim magyarischen Nationalismus nach seinem Triumph von 1867 demonstriert die jungtürkische Revolution das unlösbare Dilemma, das beim Versuch entsteht, national-staatliche Prinzipien auf eine auf Eroberung und Unterwerfung beruhende Machtstruktur zu übertragen, in diesem Fall das Osmanische Reich Die jungtürkische Bewegung war äußerlich den liberalen, nationalstaatlichen Bewegungen des „Jung-Europa" unter Mazzini mit ihren je nationalen Varianten („Jung-Deutschland", Jung-Italien, usw., bis zuletzt Jung-Bosnien, das 1914 das Attentat von Sarajevo plante und durchführte) nachempfunden.

Ihre Träger waren vor allem westlich beeinflußte, liberal gesonnene türkische Offiziere, die durch einen liberalen Verfassungsstaat zugleich das Osmanische Reich erneuern wollten. Als ersten Erfolg konnten sie 1876 sogar die liberale, parlamentarische Verfassung buchen. Hier begann nun das eigentliche Dilemma: In einer imperialen Machtstruktur läßt sich das nationalstaatliche und demokratische Prinzip nur auf zwei Arten umsetzen: entweder Föderalisierung und Gleichberechtigung für alle Nationalitäten des Imperiums, was auf eine Auflösung der imperialen Machtstruktur hinausgelaufen wäre, oder aber Zentralisierung und „nationale"

Homogenisierung durch das historische Eroberer-und Reichsvolk, im Fall des Osmanischen Reichs der Türken. Die letzte Alternative führte zu Assimilierungskampagnen unter Druck, mithin zu nationalem Widerstand der zu assimilierenden Nationalitäten, der wiederum zur offenen oder versteckten Repression. Die Osmanische Türkei entschied sich für die Lösung „Zentralisierung plus Assimilierung"

und provozierte prompt noch mehr nationale Aufstände ihrer Nationalitäten als zuvor, die die Türken mit Massakern gegen Armenier, Bulgaren und Mazedonier beantworteten.

Die jungtürkische Revolution von 1908 hielt an diesem Prinzip fest und steuerte das Os-manische Reich erst recht in die Unformierbarkeit.

Schon ihr gutgemeinter Versuch, die (1878 aufgehobene) Verfassung von 1876 wieder in Kraft zu setzen und für das Parlament Wahlen auszuschreiben, führte zu Komplikationen, die wiederum das gesamte Dilemma schlagartig offenbarten: Die jungtürkische Regierung schrieb Wahlen auch für die beiden Provinzen Bosnien und Herzegowina aus, die durch ihren Aufstand 1875 die große Orientkrise ausgelöst hatten. Auf dem Berli-ner Kongreß war 1878 Osterreich-Ungarn formal nur die Okkupation der beiden Provinzen zugestanden worden, während die Souveränität formal bei der Türkei bleiben sollte. Wahlen in Bosnien und Herzegowina für das osmanische Zentralparlament aber wären dem Anspruch der Türkei gleichgekommen, nunmehr auch die effektive Souveränität von Österreich-Ungarn zurückzuverlangen. Um einer solchen Entwicklung vorzubeugen, erklärte Osterreich-Ungarn im Oktober 1908 die Annexion beider Provinzen, löste dadurch aber den heftigen Widerspruch Serbiens und damit die bekannte Annexionskrise von 1908/09 aus, die zur Vorgeschichte sowohl des Attentats von Sarajevo als auch des Ersten Weltkriegs gehört.

Das Attentat von Sarajevo wiederum war nur die schärfste Zuspitzung der nationalrevolutionären Bewegung auf dem Balkan, deren Hauptträger Serbien war. Ausgangspunkt war der serbische Aufstand von 1804 gewesen. Mit dem weitgespannten Ziel der vollen Souveränität unter der Führung von Karageorgevic scheiterte er 1813 nach Beendigung der revolutionären Krise in Europa, gelangte aber nach Wiederaufnahme 1815 zu dem bescheideneren Ziel einer Autonomie für das neuzuschaffende Fürstentum Serbien unter den Obrenovic (1817). 1844 entwarf der bedeutendste serbische Politiker im 19. Jahrhundert, Garasin, das Programm einer revolutionären Vereinigung aller Südslawen in einem einzigen Staat unter serbischer Führung, anknüpfend an das nach der Schlacht auf dem Amselfeld (1389) untergegangene (aber ohnehin nur kurzlebige) großserbische Reich. Das Programm mußte sich erst gegen die Osmanische Türkei, dann gegen Österreich richten. Seine schwachen Punkte waren die Anknüpfung an die großserbische Reichsidee des Mittelalters und die damit unvermeidliche Überschneidung mit entsprechenden, erst später zu Tage tretenden Forderungen von Griechen und Bulgaren auf das im Schnittpunkt der jeweiligen „nationalen" Ansprüche liegende Mazedonien. Mazedonien wurde zum Zankapfel zwischen den entstehenden und sich vergrößernden Nationalstaaten auf dem Balkan, wie sich vor allem im 2. Balkankrieg (1913) zeigt, aber auch in den noch heute latenten Spannungen zwischen Bulgarien und Jugoslawien über Mazedonien.

Die Serben nutzten geschickt — in rivalisierender Kooperation mit Montenegro und den allmählich entstehenden neuen Balkanstaaten (Rumänien 1859/78, Bulgarien 1878/87) — jede Schwierigkeit der Osmanischen Türkei aus, um mit militärischen oder politischen Mitteln den eigenen Status zu erhöhen und ihr Territorium zu vergrößern. Der Berliner Kongreß von 1878, der die große Orientkrise von 1875/78 abschloß, brachte für Serbien die Anerkennung als vollsouveränes Fürstentum und einigen territorialen Gewinn. Die Erhebung Rumäniens zum souveränen Königreich und Bulgariens zum noch autonomen Fürstentum paßte weiterhin in die südslawische Gesamtstrategie nationaler Emanzipation. Anschließend sank Serbien jedoch in ein verschleiertes Satellitenverhältnis zu Österreich-Ungarn ab, das erst mit dem Sturz der inzwischen korrupt gewordenen, das südslawische Programm nicht mehr vertretenden Obrenovic-Dynastie (samt Ermordung des Königspaars) 1903 endete. Der Versuch Österreich-Ungarns, Serbien mit ökonomischen Repressalien im sog. „Schweinekrieg“ von 1906/11 wieder in die alte Abhängigkeit zurückzuzwingen, schlug jedoch fehl und mobilisierte die nationalen Energien der nun politisierten Bauern.

In diesen Zusammenhang gehört auch wieder die Bosnische Annexionskrise von 1908/09 hinein, weil Serbien gehofft hatte, die stammesverwandten Provinzen bei nächster Gelegenheit zu gewinnen. Die nationale Erregung in Serbien griff auf die beiden umstrittenen Provinzen selbst, aber auch auf die schon länger in Österreich-Ungarn integrierten südslawischen Provinzen über, vor allem auf Kroatien und Dalmatien. Es zeichnete sich vor den entsetzten Politikern und Staatsmännern Österreich-Ungarns die Perspektive ab, daß Serbien als Kristallisationspunkt eines großen südslawischen Nationalstaats alle südslawischen Gebiete der Donaumonarchie bis nach Slowenien hin früher oder später an sich ziehen würde, so daß Österreich-Ungarn aus dem Kreis der Großmächte ausscheiden würde.

Die Folgen der Annexionskrise für die südslawische Bewegung lassen sich auf zwei Ebenen verfolgen: In Serbien und Bosnien provozierte das kurzfristige Scheitern der nationalen Vereinigungen neue Energien, das Ziel doch noch zu erreichen. In Serbien entstanden Spannungen zwischen der eher pragmatisch vorgehenden Regierungspartei der Alt-Radikalen unter Pasic und der als Art offener Geheimgesellschaft gegründeten „Schwarzen Hand", bestehend aus nationalistischen Offizieren und Intellektuellen, die im Juni 1914 fast bis zum Rand eines Bürgerkriegs, jedenfalls zu einer schweren Staats-und Regierungskrise führten. Die „Schwarze Hand“ unterstützte organisatorisch, finanziell und durch Ausbildung die illegale Bewegung „Jung-Bosniens", die von Angehörigen der noch jungen bosnischen Intelligenz (Junglehrer und Gymnasiasten) getragen wurde. Aus der in ihr lebendigen Tradition des bewaffneten Widerstands, erst gegen die Türkei, dann (1878 bei der Okkupation) gegen ÖsterreichUngarn, entstand der Plan zum Attentat von Sarajevo, das die Gruppe jedoch letztlich allein und mit einer anderen politischen Gesamtkonzeption durchführte — die „Schwarze Hand" vertrat eine großserbische Variante der südslawischen Strategie, „Jung-Bosnien“ eher eine föderative Variante Das Attentat von Sarajevo löste bekanntlich den Ersten Weltkrieg aus, weil das Deutsche Reich seit dem 2. Balkankrieg (1911) die österreich-ungarische Argumentation übernommen hatte und nach dem Attentat erst recht weder den Sieg der südslawischen Nationalbewegung noch die weitere selbständige Existenz des unbequemen Serbien hinnehmen wollte — aus inneren wie äußeren Gründen

Den nationalrevolutionären Dimensionen des Konflikts zum Trotz stimmte die kleine sozialdemokratische Partei Serbiens — neben den Bolschewik! in Rußland — bei Kriegsbeginn als einzige sozialdemokratische Partei gegen ihre Regierung. Sie bildete — neben einem eher sozialrevolutionären Flügel in der in sich heterogenen „Schwarzen Hand" — den Ausgangspunkt zur Gründung der KP Jugoslawiens. Unter dem Kroaten und österreichungarischen Kriegsteilnehmer Tito, der in russischer Gefangenschaft die Oktoberrevolution erlebte, führte die KP Jugoslawiens nach dem Scheitern der großserbisch-monarchischen Variante zwischen den beiden Weltkriegen nach 1945 die föderative Variante für den jugoslawischen, d. h. südslawischen Nationalstaat durch. An diesem kurzen Ausblick läßt sich ablesen, wie auf dem Balkan die proletarisch-kommunistische Komponente im 20. Jahrhundert eng mit der bürgerlich-nationalstaatlichen verflochten ist.

IV. Die proletarische Revolution

Die bisherige Geschichte der proletarischen Revolutionen ist kürzer als die vorangegangenen bürgerlichen Revolutionen, aber komplizierter, weil im Fortschreiten der Industrialisierung der revolutionäre Prozeß — die Reaktion auf den die gesamte Erde umspannenden Imperialismus — nunmehr tatsächlich fast die gesamte Menschheit erfaßt hat. Außerdem laufen selbstverständlich auch nach der ersten erfolgreichen proletarischen Revolution, der Oktoberrevolution 1917, bürgerliche Revolutionen weiter in Gesellschaften, die sich noch auf mit dem Ancien Regime strukturell vergleichbarem Niveau der ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklung befinden. Hinzu kommen Revolutionen ambivalenten Charakters, vor allem in der sog. Dritten Welt, in denen manchmal bürgerliche und proletarische Elemente in unterschiedlicher Reihenfolge und mit unterschiedlichem Erfolg auftreten konnten (und können). Schließlich kam es innerhalb der sich ursprünglich oder noch heute als proletarisch begreifenden Kräfte immer wieder zu Spaltungen und Konfrontationen, die den historischen Prozeß weiter komplizieren — von der Sozialdemokratie trennte sich in und nach dem Ersten Weltkrieg der Kommunismus ab, im auslaufenden Kalten Krieg tat sich etwa ab 1960 eine Kluft zwischen dem Kommunismus sowjetischer und chinesischer Prägung auf, mit entsprechenden Spaltungen in fast allen kommunistischen Parteien.

Nur das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der noch größeren Flut von Fakten, Faktoren und Zusammenhängen, vor der erst recht nicht mehr zu bewältigenden Flut von Literatur, die zum größten Teil noch nicht historisch gehalten ist, zwingt dazu, die folgende Skizze noch weiter zu raffen, obwohl die inhaltliche Bedeutung des Stoffes eigentlich eine ausführlichere Behandlung verlangen würde

Die russische Oktoberrevolution 1917 — historische Voraussetzungen und Wirkungen Zum Verständnis der russischen Oktoberrevolution wird es erforderlich, sich drei histori-sche Dimensionen klarzumachen: 1. die Tradition (bis dahin) erfolgloser Revolutionen mit proletarisch-sozialistischem Inhalt oder Anspruch; 2. die Entwicklung der europäischen Sozialdemokratie seit dem späten 19. Jahrhundert, weil sich die Bolschewiki von der russischen Sozialdemokratie schon 1903 abgespaltet hatten; 3. schließlich die innerrussische Vorgeschichte der revolutionären Entwicklung, in die immer wieder äußere Faktoren mithineinspielen.

1. Am kürzesten läßt sich die Tradition sozialistischer Revolutionen vor 1917 abhandeln. Zentrale Bedeutung für die alte Sozialdemokratie, erst recht für die junge kommunistische Bewegung, besaß die Pariser Kommune von 1871 als politisches Studien-und ideologisches Identifizierungsobjekt Den russischen Revolutionären vermutlich nicht bewußt, aber um der historischen Zusammenhänge von einigem Reiz, ist die Erwähnung von zwei weniger bekannten Bewegungen: Die Radikale Partei in Serbien, Hauptträgerin des großserbisch-südslawischen Emanzipationsprogramms, fühlte sich als sozialistisch. Da es aber in dem unterentwickelten Bauernland kaum etwas zu sozialisieren gab außer der fast allen gemeinsamen Armut, saßen die Radikalen handlungsunfähige -als Agrar-So zialisten gewissermaßen auf dem Trockenen. Schließlich gab es auf Kuba schon einen Revolutionsversuch zumindest sozialistischen Anspruchs (1895/98), der zur Vorgeschichte der kubanischen Revolution gehört. Historisch ist die zweite sozialistische Revolution in Kuba aus zwei Gründen von allgemeinerem Interesse: Unter den Kugeln kubanischer Guerilleros erlebte auf spanischer Seite 1895 der junge Winston Churchill als Kriegsberichterstatter seine erste Feuertaufe, und — welthistorisch noch — wichtiger die kubanische Revolution gab den USA (ähnlich wie ein nationaler Aufstand auf den Philippinen gegen die spanische Kolonialherrschaft) den Anlaß, 1898 auf Kuba gegen Spanien militärisch zu intervenieren, zunächst für, nach der Niederlage Spaniens aber gegen die Revolution. a) Die europäische Sozialdemokratie vor 1914

Ein kompliziertes Kapitel für sich ist die Entwicklung der alten Sozialdemokratie, die sich selbstverständlich nicht einfach als Teil der Vorgeschichte zur Russischen Revolution abtun läßt. Aber vielleicht läßt sich hier, wenn auch noch so skizzenhaft, die historische Perspektive so erweitern, daß sie die Vorgeschichte der Revolution in Deutschland (mutatis mutandis auch in Österreich) 1918 und der Abspaltung des Kommunismus von der alten Sozialdemokratie als eine Folge des Ersten Weltkriegs mit umfaßt.

Die Sozialdemokratie als politische Organisation der mit der Industrie entstehenden und zunehmenden Industriearbeiterschaft gab sich in zwei entscheidenden Punkten über ihre eigene Lage einer Täuschung hin: Allem proletarischen und internationalistischen Pathos zum Trotz, von dem ihr Selbstverständnis und ihre revolutionäre Agitation lebte, stand die Industriearbeiterschaft keineswegs auf der untersten Stufe ihrer Gesellschaft, weder auf je nationaler noch gar auf globaler Ebene; ferner war die Sozialdemokratie zunächst nur auf die europäischen Industriestaaten beschränkt, später kamen die Agrarstaaten sowie die weißen Dominien Englands (Kanada, Australien, Neuseland, Südafrika) hinzu. Für das andersfarbige Proletariat in den Kolonial-ländern war in der II. Internationale kein Platz

Die erste Illusion erweis sich unmittelbar als folgenreicher: Trotz aller Ausbeutung durch den Kapitalismus hatte die Industriearbeiterschaft in den Städten gegenüber ihren in den Dörfern zurückgebliebenen Landsleuten mit (von Krisen und Arbeitslosigkeit abgesehen) insgesamt höherem Einkommen und besseren Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder objektiv eine ökonomisch bessere Lage als das landlose Agrarproletariat der Tagelöhner und Kleinbauern. Sonst wären die agrarischen Unterschichten auch nicht ständig in die Städte gezogen. Im Weltmaßstab, mit den Massen in den armen Agrarländern Ost-und Südeuropas, gar der Kolonialländer, stand die europäische Industriearbeiterschaft zudem vermutlich im oberen Drittel der Einkommens-und Lebensstandardpyramide, wenn auch eher am unteren Ende des oberen Drittels. Außerdem stammten die politischen Führer der Sozialdemokratie, jedenfalls in Deutschland, in der Regel gar nicht aus der Industrie-arbeiterschaft, sondern (vermutlich quantitativ leicht überwiegend) aus der Handwerkerschaft und (vermutlich zu einer knappen Minderheit) aus dem Bürgertum. Für die politischen Konsequenzen in der zentral werdenden Frage: Sozialismus durch Reform oder Revolution? spielte der soziale Hinter-grund offenbar keine Rolle: Vertreter aus beiden Schichten nahmen, insgesamt gesehen, entweder die eine oder andere Position ein, reformerisch-revisionistisch oder revolutionär, also nach der Spaltung der Sozialdemokratie kommunistisch.

Aus dieser, dem Bewußtsein der alten Sozialdemokratie noch verdeckten, im historischen Rückblick aber leichter zu erkennenden Zwischensituation ergaben sich wichtige Konsequenzen, die die weitere Entwicklung der Sozialdemokratie und damit auch den revolutionären Prozeß insgesamt bestimmten: 1. Die modernen Proletarier der Industrieländer hatten tatsächlich mehr zu verlieren als nur ihre Ketten. Hieraus ergaben sich Ansätze für eine die sozialistische Agitation unterlaufende oder konterkarrierende Strategie: Identifizierung mit dem bestehenden System auf nationaler und mit dem Imperialismus auf globaler Ebene (vermittelt durch angebliche oder wirkliche materielle und immaterielle Gewinne aus dem jeweiligen Kolonialreich und den für die Industriemetropolen günstigen Terms of trade — niedrige Rohstoffpreise für die Industrieländer, hohe Fertigwarenpreise für die rohstoffliefernden Kolonialländer) band einen Teil der Arbeiterschaft an konservative Parteien. Es läßt sich vermuten, daß in allen Industrieländern ungefähr ein Drittel der Arbeiterschaft für konservative, konfessionelle (vor allem katholische) oder gar reaktionäre Parteien stimmte (und vermutlich noch heute stimmt). Hieraus erwuchs in der Periode langanhaltender Hochkonjunktur ungefähr ab 1895, die in Kern-Europa mit dem scheinbaren Schwinden des revolutionären Prinzips zusammenfiel, die Problematik von Revisionismus oder Festhalten am ursprünglichen revolutionären Programm. 2. Eng damit verknüpft ergab sich die Unmöglichkeit, sozusagen in ungestümem Anlauf — wenn einmal die entsprechende numerische Überlegenheit vorhanden gewesen wäre — das ganze System einfach über den Haufen zu rennen. Vielmehr zwang die soziale Zwischen-position die politische Vertretung der sozialistisch orientierten Arbeiterschaft dazu, ihrerseits taktisch zwischen (niedergehender) Aristokratie und (aufstrebendem, sich aber schon vom Industrieproletariat bedroht fühlendem) Bürgertum zu wählen. So drängten sich für das noch junge und schwache Proletariat im politischen Dreieck Aristokratie-Bourgeoisie-Proletariat grundsätzlich zwei Alternativen auf, in der Phase der anfänglichen eigenen Schwäche eine Bündnispolitik zu betreiben: Entweder mit der Bourgeoisie gegen die Aristokratie, um sich später gegen die Bourgeoisie zu wenden, oder mit der Aristokratie (und der Krone) die kapitalistische Bourgeoisie als nächsten Feind in die Zange zu nehmen, um die Aristokratie gleichsam als Nebenprodukt nach dem Sieg über die Bourgeoisie zu erledigen. Marx und Engels plädierten im „Kommunistischen Manifest" im Januar 1848, erst recht nach Ausbruch der Revolution, für die erste Variante, Lassalle, ursprünglich auf der Linie von Marx und Engels, versuchte nach ihrem Scheitern 1848/49 in seinen bekannten Geheimunterredungen mit Bismarck 1863 die zweite Alternative einzuleiten, scheiterte aber am wachen Mißtrauen Bismarcks.

Die gleiche Problematik wurde später im Rahmen der III., der Kommunistischen Internationale wieder durchgespielt. In der Debatte zwischen Lenin und dem ersten indischen Kommunistenführer N. N. Roy ging es 1920 um die Frage — allerdings mit verändertem Akzent —, ob die proletarische Revolution zusammen mit der einheimischen nationalen Bourgeoisie gegen die Kolonialmacht oder gegen die nationale Bourgeoisie und zugleich gegen die Kolonialmacht durchzuführen sei. Lenin nahm die der Linie von Marx und Engels 1848 entsprechende Haltung ein, also Kolonial-Revolution mit Hilfe der nationalen Bourgeoisie, während Roy gegen einen solchen Umweg der revolutionären Aktion plädierte. Lenin setzte sich durch — mit praktischen Konsequenzen, so das Umwerben und Einspannen bürgerlicher Intellektueller aus den Kolonialländern auf dem Brüsseler Kongreß der „Liga gegen den Imperialismus“ 1927, aber auch das den chinesischen Kommunisten von Moskau angeratene Bündnis mit der Kuomintang, das im gleichen Jahr 1927 mit dem Massaker an den Kommunisten, vor allem in Shanghäi, endete.

Die Bolge aus beiden Faktoren war zusammengenommen, daß Spaltung und innere Labilität in die nach außen scheinbar so monolithisch festgefügte sozialistische Bewegung einprogrammiert waren, sobald sich die Grundfragen nach Wahl des Bündnispartners und Identifizierung mit dem bestehenden System in einem existentiellen Ausmaß stellten. Es wird auch zu leicht übersehen, daß in den wichtigsten Ländern, wo es zur Gründung einer einheitlichen sozialistischen Partei kam, die Gründung von mehreren sozialistischen Parteien mit inhaltlichen Divergenzen vorausgegangen war (Deutschland, Frankreich, England). Spätere Spaltungen bewegen sich daher durchaus im Rahmen des üblichen und Normalen. Nach dem Scheitern der prä-sozialistischen Chartisten-Bewegung in England 1848 und der sozialistischen Bewegung in Frankreich mit der Pariser Kommune, der sich eine langanhaltende Illegalisierung und Lähmung des Sozialismus in Frankreich anschloß, ging der Schwerpunkt der sozialistischen Entwicklung auf das sich nun am stürmischsten industrialisierende Land Europas über, auf Deutschland Schwankend in ihrer Position zwischen halber Duldung und halber Illegalisierung (durch das Sozialistengesetz 1878— 1890) schwankte auch die Stellungnahme der Sozialdemokratie zum bestehenden System zwischen fast einheitlich grundsätzlicher Opposition mit revolutionären Obertönen (vor allem unter dem Sozialistengesetz) und dem Auffächern in ein breiteres Meinungsspektrum. So fällt der Beginn der Revisionismusdebatte in der deutschen Sozialdemokratie nicht nur in die Anfangsphase einer längeren Hochkonjunktur, sondern auch der relativen innenpolitischen Entspannung, angezeigt durch die Nichtverlängerung des Sozialistengesetzes, den Sturz Bismarcks, die Kanzlerschaft des relativ liberalen Caprivi (1890— 1894) und den Übergang zur imperialistischen Weltpolitik, die dem Abrücken von bis dahin immer wieder kursierenden Staatsstreichplänen von rechts gegen den Reichstag, das allgemeine gleiche Wahlrecht und die Sozialdemokratie gleichkam. Dem Revisionismusstreit in Deutschland entsprach ungefähr zur gleichen Zeit in Frankreich die Auseinandersetzung der Sozialisten, die eine Beteiligung an bürgerlichen Regierungen ablehnten und den sog. Possibilisten unter Millerand, die pragmatisch das „Mögliche", z. B.den Eintritt in eine bürgerliche Regierung, wahrnehmen wollten

In England löste sich die politische Vertretung der Arbeiterschaft um 1900 nur langsam aus der langanhaltenden organisatorischen Fürsorge und politischen Bevormundung durch die Liberalen in der sog. Lib-Lab-Periode: 1893 erfolgte die Gründung der Independent Labour Party, 1900 die des „Labour Representation Committee" als unmittelbarer organisatorischer Vorläufer der 1906 gegründeten Labour Party In beiden großen bürgerlich-parlamentarischen Demokratien des Westens war, ebenso wie in den kleineren (Belgien, Niederlande, Schweiz) und des Nordens (skandinavische Länder) das Hineinwachsen der Sozialdemokratie in eine im Prinzip weiter demokratisierbare Gesellschaft kein grundsätzliches Problem mehr — anders als in Deutschland und Osterreich-Ungarn anders auch als in Rußland. b) Die Entwicklung zur Russischen Revolution Unter den besonderen Bedingungen der fast permanenten Illegalisierung hatte sich im zaristischen Rußland die Spaltung der erst 1898 gegründeten Sozialdemokratischen Partei in einen reformerischen und einen revolutionären Flügel schon fünf Jahre später im Exil vollzogen. Während die auf dem Londoner Parteitag unterlegene Minderheit (Menschewiki) an der Strategie der Reformen durch ein (damals noch gar nicht vorhandenes) Parlament unbedingt festhielt, organisierten sich die Bolschewik! unter Lenin als bewußt revolutionäre Kaderpartei, die aus dem ihr aufgezwungenen Untergrund alle Chancen zur Organisierung des revolutionären Umsturzes wahrzunehmen suchte.

Zum Verständnis der innerrussischen Vorgeschichte der Russischen Revolution muß bis zur napoleonischen Zeit 1812/14 zurückgegriffen werden Damals kamen vor allem russische Offiziere bürgerlicher und adliger Abstammung in folgenreichen Kontakt mit westlichen Ideen — Verfassung, liberale Reformen, Rechtsstaat, moderne Wirtschaftsreformen. Die Folgen stellten sich nach dem Tod Alexander I. im Dezember 1825 mit demDekabristenaufstand ein, als liberalgesinnte jüngere Offiziere, unterstützt von liberalen Intellektuellen, versuchten, mit einem Staatsstreich Reformen nach westlichem

Vorbild durchzusetzen. Der Militärputsch scheiterte zwar rasch, aber zeigte an — zumindest im historischen Rückblick , daß — selbst im zaristischen Rußland bereits das Ferment der (zunächst noch bürgerlichen) Revolution zu wirken begonnen hatte. 1848/49 ermöglichte zwar gleiche Rußland unter das Nikolaus I. noch einmal den Triumph von Reaktion und Gegenrevolution in fast ganz Europa, aber schon ein knappes Jahrzehnt danach löste die Niederlage in der großen Konfrontation mit den industrialisierten liberalen Westmächten, dem Krimkrieg 1853 1856, im — agrarisch rückständigen Rußland eine ’ tief-greifende Bewußtseinskrise aus. Sie hatte Ökonomische und soziale Folgen, die zur unmittelbaren Geschichte des Revolutionsprozesses in Rußland gehören: Aus den Erfahrungen des Krimkriegs zog das Zaren-Regime den Schluß, daß sich Rußland auch rasch und intensiv industrialisieren müsse, wollte es sich in der modernen Welt behaupten.

Industrialisierung war jedoch, wie deren bisherige Geschichte zeigte, undenkbar ohne wenigstens vier Voraussetzungen: Mobilität, d. h.freie Verkäuflichkeit von Boden, sowie Freizügigkeit und damit Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Kapital und technische Kenntnisse. In Rußland gab es weder Mobilität von Boden und Landkräften noch ausreichend Kapital und technische Kenntnisse, die sich allerdings ohne grundsätzliche Schwierigkeiten auch aus dem schon weiter industrialisierten westlichen Ausland beschaffen ließen. Zur Herstellung der beiden anderen Bedingungen setzte die zaristische Regierung 1861 eine Agrarreform in Gang, die sich bewußt an den preußischen Reformen von 1807/11 nach der Niederlage gegen Napoleon orientierte. Hauptkern war die Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft, so daß sie fortan als Arbeiter für die entstehende moderne Industrie in die Städte ziehen konnten. Da die Klein-bauern, wieder nach preußischem Vorbild, nicht genügend Land zur freien Verfügung erhielten und sich rasch verschuldeten, kam die Agrarreform vor allem dem grundbesitzenden Adel und den Großbauern zugute. Es entstand ein enormer Druck auf das Land, verschärft noch durch eine nun einsetzende agrarische Bevölkerungsexplosion, zumal die Industrialisierung erst langsam anlief und zunächst nur wenige Arbeiter aus dem Lande. absorbieren konnte. Ausdruck der inneren Spannungen waren 1877/79 das erste Auftreten von Narodniki, des Panslawismus und von Anarchisten, die 1881 Zar Alexander II. ermordeten.

Die Krise verschärfte sich weiter durch das Agrar-und Industrialisierungsprogramm des Finanzministers Witte ab 1892, das sich auf an Eisenbahnbau und die Bedürfnisse einer Rüstungsproduktion orientierten Großindustrie in wenigen Zentren (Moskau, St. Peters-burg, Donezbecken, Ural) und einer leistungsstarken, am Weltmarkt orientierten Landwirtschaft durch Großgrundbesitzer konzentrierte. Da die spektakulären französischen Anleihen längst nicht genügend Kapital zur erstrebten raschen Industrialisierung einbrachten, mußte die Landwirtschaft die notwendigen Kapitalien im wesentlichen durch den Export von Getreide (über das Schwarze Meer und Konstantinopel) und einen durch hohe Besteuerung und entsprechende Preisgestaltung erzwungenen der un Konsumverzicht bei -günstigen Witterungsverhältnissen und Ernteerträgen vor allem für die Masse des land-losen und landarmen Agrarproletariats zu schweren Hungerkatastrophen führen konnte.

Die gezielte und rasche Industrialisierung zu Lasten der breiten agrarischen Massen provozierte daher soziale Spannungen, die schon ein Dutzend Jahre nach Beginn des Wittesehen Industrialisierungs-und Agrarprogramms mit der ersten russischen Revolution von 1905/07 aufbrachen, wie so oft in der Revolutionsgeschichte ausgelöst durch äußere Krisen oder gar militärische Niederlagen. Bürgerliche (parlamentarisch-demokratische) und proletarische Faktoren (sozialistische Bestrebungen und Räte) mischten sich damals noch bunt durcheinander. Verschiedene Faktoren erklären, warum es dem System noch einmal gelang, die revolutionäre Krise wieder aufzufangen: die numerische Schwäche des gerade erst entstehenden Industrieproletariats; die organisatorische Schwäche der noch jungen revolutionären Partei, die vom spontanen Ausbruch revolutionärer Unruhen in der Hauptstadt selbst überrascht wurde; die noch weitgehend unerschütterte Bindung der Agrarbevölkerung an traditionelle Autoritäten (Zar, orthodoxe Kirche); die regionale Begrenzung der Krise, die noch nicht die Existenz des Systems in Frage stellte; ferner die Isolierung der revolutionären Bewegung in der übrigen Welt, die scheinbar noch stabil blieb.

Nach oberflächlicher Bereinigung der revolutionären Krise, u. a. dank der Konzession eines pseudo-liberalen Schein-Konstitutionalismus, institutionalisiert in der Duma, konnte Stolypin mit seinen Agrarreformen sogar an Witte wieder anknüpfen, indem er nun auch die Mittelbauern in das staatlich gezielte Förderungsprogramm zum Aufbau einer modernen, rationalisierten Landwirtschaft einbezog. Im Juni 1914 ließen aber ausgedehnte Streiks in den Putilow-Werken in der Hauptstadt St. Petersburg erkennen, daß neue soziale Konflikte bevorstanden. Sie wurden nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wie in anderen Ländern, durch die Welle nationaler Begeisterung und Zerschlagung oppositioneller Organisationen als Folge von gezielten Verfolgungen wie als erwünschte Nebenwirkung der Einberufungen in die Streitkräfte zunächst noch einmal überdeckt. c)

Die Oktoberrevolution und ihre Folgen Mit der Dauer des Krieges traten die sozialen Spannungen wieder hervor. Die militärischen Niederlagen des zaristischen Rußland und die durch die geographische Isolierung von den westlichen Alliierten verschärfte Versorgungskrise diskreditierten das alte Regime und trieben es in die revolutionäre Krise. Aus Streiks und Hungerrevolten in Petrograd Anfang März 1917 entwickelte sich, ähnlich wie 1905, die Revolution als zunächst spontane Aktion. Da die Provisorische Regierung auf liberal-sozialdemokratischer Basis die Kriegsanstrengung verstärkt fortsetzte und die Frage der gesellschaftlichen Umstrukturierung vertagte, ergaben sich aus der Situation logisch zwei konkrete Forderungen (ähnlich wie in der Französischen Revolution für die breiten Volksmassen): Land für die ländlichen, Brot für die städtischen Massen, beides zu erreichen nur durch Frieden. Alle drei Forderungen kombinierten die Bolschewiki unter Lenin zum schlagkräftigsten Programm in Rußland, durchzuführen durch die wiederentstandenen Räte. Nach dem Scheitern eines gewaltsamen Aufstands der Bolschewiki im August 1917 gab der gegenrevolutionäre Schlag von General Kornilov den Bolschewiki neuen Auftrieb. Die „Oktoberrevolution" des 7. November (neuer Zeitrechnung) brachte die Bolschewiki durch eine Kombination von gezielter Militäraktion und Beherrschung der Räte vor allem in Petrograd an die Macht. Zwei sozialgeschichtliche Faktoren erklären den Durchbruch der proletarischen Revolution in Rußland Ende 1917: der Druck der Bauern auf das Land und das politische Über-gewicht, das die Bolschewiki durch die Räte in den großen Industriezentren gewonnen hatten — Moskau, Petrograd, Donezbecken, Ural. Die ländlichen und die städtischen Unter-schichten zusammen ergaben die Massenbasis für die neue revolutionäre Ordnung, die sich zunächst als Koalition von linken Sozialrevolutionären und Bolschewiki präsentierte.

Da die erste proletarische Revolution wider alle sozialistische Theorie in dem noch relativ unterentwickelten Rußland ausgebrochen war, glaubte selbst Lenin nicht daran, daß sie sich in der Isolierung lange halten könne. Deshalb hoffte er auf die sozialistische Revolution im Westen, vor allem in Deutschland, die die russische Revolution erst aus ihrer Isolierung würde befreien und sie damit langfristig überhaupt erst retten können. Jedoch schienen zunächst die Kräfte der weißen Gegenrevolution, ab November 1918 unterstützt von der militärischen Intervention der meisten westlichen Länder, einschließlich Japan, die rote Revolution zu erdrücken. Die Weite des Landes und die relative Bedürfnislosigkeit seiner Bevölkerung, gerade Folge ihrer ökonomischen Unterentwicklung, trugen dazu bei, daß sich die Bolschewiki behaupten konnten, wenn auch im Westen nicht in den Grenzen des Zarenreichs von 1914.

Nach Beendigung des Bürgerkriegs, des Interventionskriegs und des polnisch-russischen Kriegs 1921 mußte sich die formal 1922 gegründete Sowjetunion in der politischen und (fast vollständigen) ökonomischen Isolierung konsolidieren. Lenins Formel „Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung des Landes“ weist auf den inhaltlichen Charakter der proletarischen Revolution in einer noch überwiegend agrarischen Gesellschaft hin — systematische und rasche Industrialisierung, wie sie im ersten Fünfjahresplan (1929— 1934) begonnen wurde. Durch die weltpolitische Isolierung war die Einfuhr von fremdem Kapital ausgeschlossen, so daß das für die Industrialisierung notwendige Kapital aus dem Innern aufgebracht werden mußte, ähnlich wie im zaristischen Rußland auf Kosten der Landwirtschaft. Die von Witte und Stolypin geförderten Mittel-und Großbauern (Kulaken) wurden unter Stalin wieder systematisch unterdrückt zugunsten einer kollektivierten Landwirtschaft.

Die Landwirtschaft hatte in einem doppelten Sinn die gesellschaftlichen und ökonomischen Kosten für das Programm der forcierten Industrialisierung zu tragen: Staatlich festgesetzte (niedrige) Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse und (hohe) Preise für Industriegüter bewirkten die sozialistische „ursprüngliche Akkumulation" in Sowjetrußland durch den gleichen ökonomischen Mechanismus wie einst die kapitalistische „ursprüngliche Akkumulation" in Westeuropa im Vergleich zu den Rohstoff-und Kolonialländern der heutigen sog. Dritten Welt. Außerdem wurde ein erheblicher Teil der Landbevölkerung durch direkten Druck in die Städte und neue Industriezentren gezwungen, wo sie innerhalb von wenigen Jahren die moderne Arbeitsdisziplin lernte, für die im Westen die Industriearbeiterschaft mehrere Jahrzehnte Zeit benötigt hatte, ohne politisch-administrativen Druck, allerdings unter den Bedingungen des ökonomischen Zwangs. Die aus der Situation des „Kriegskommunismus" zunächst unvermeidlichen Zwangs-und Terrorapparate konnten sich so unter Stalin in immer wieder neuen Kampagnen zur Industrialisierung, Mechanisierung der Landwirtschaft und Eliminierung von „Volksfeinden" und „konterrevolutionären Elementen" bürokratisieren und perfektionieren, bis sie sich auf dem Höhepunkt der stalinistischen Säuberungswellen (1935— 1938) praktisch gegen die eigene Gesellschaft selbst richteten.

Für den welthistorischen Revolutionsprozeß hatten Oktoberrevolution und Industrialisierung der Sowjetunion unter Stalin mehrere Wirkungen: Sie gewannen Modellcharakter für proletarische Revolutionen zunächst vor allem in überwiegend agrarischen Gesellschaften, weil sie demonstrierten, daß Industrialisierung auch auf nicht-kapitalistischem Weg möglich war und ist. Durch die Gründung der III. (Kommunistischen) Internationale erhielten zugleich die als Kommunisten von der alten Sozialdemokratie in und nach dem Weltkrieg abgespalteten sozialrevolutionären Elemente einen organisatorisch und ideologisch koordinierenden Rahmen, zunächst für die kommunistischen Parteien im Einzugsbereich der II. (Sozialistischen) Internationale, später auch für die in unterentwickelten und kolonialen Ländern neu entstehenden kommunistischen Parteien. Durch die Strategie des „Sozialismus in einem Lande", die Stalin gegen Trotzki durchsetzte, wurde andererseits die aktive Verbreitung der proletarischen Weltrevolution, gar auf der Spitze sowjetischer Bajonette, wie sie Trotzki vertreten hatte, zunächst vertagt und das revolutionäre Engagement außerhalb der Sowjetunion gewissermaßen nur auf Sparflamme gesetzt. So konnten sich proletarische Revolutionen erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzen, der in seiner revolutionsfördernden Wirkung, vor allem in den früheren Kolonien und Ländern mit kolonialähnlichem Status, mit der des Ersten Weltkriegs zu vergleichen ist.

Eine historische Voraussetzung allerdings war, daß sich die Sowjetunion, u. a. dank ihres inzwischen erreichten Industrialisierungsniveaus, gegen den militärischen Überfall durch das nationalsozialistische Deutsche (Dritte) Reich zu behaupten vermochte, das zwischen 1933 und 1945 die mächtigste Form staatlich organisierter Gegenrevolution repräsentierte. Wesentliche Voraussetzung für den Sieg der Sowjetunion war allerdings auch die materielle und militärische Unterstützung durch die schon älteren liberalen bürgerlich-parlamentarischen Demokratien, mit denen der deutsche Faschismus aus seiner rechtsextremen Position ebenfalls in Konflikt geraten war, obwohl für ihn der eigentliche Todfeind die Vertretung der proletarischen Revolution war, der Kommunismus — staatlich organisiert damals nur in der Sowjetunion. So erklärt sich, daß im Gegenschlag 1945 die kommunistische Revolution Ost-und Teile Zentraleuropas im Anschluß nach Westen an die ungefähr auf die Grenze des Zarenreichs von 1914 erweiterte Sowjetunion erreichen konnte, ferner daß sich die westlichen Kolonialmächte einem insgesamt revolutionsähnlichen Emanzipationsprozeß in ihren Kolonien gegenübersahen. Die unmittelbarste Nachwirkung der Oktoberrevolution stellte sich jedoch in Europa ein, weil sie die Abspaltung der Kommunisten von der alten Sozialdemokratie beschleunigte und in der militärischen Niederlage von Osterreich-Ungarn und Deutschland 1918 Revolutionsabläufe schon durch ihr Vorbild beeinflußte, in denen bereits bürgerliche und proletarische Elemente stärker miteinander verknüpft waren als je zuvor in der Geschichte Deutschlands bzw. Österreichs. d) Novemberrevolution und ihre Wirkung 1918 in Deutschland Revolutionshistorisch gesehen war die Novemberrevolution von 1918 in Deutschland eine bürgerliche Nachhol-Revolution der Französischen Revolution 1789 und der gescheiterten Revolution von 1848'49 einerseits, und eine proletarische Anschlußrevolution an die-Oktoberrevolution 1917 andererseits. Weil gleichsam zwei Revolutionen unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Typs in einen Revolutionsablauf verschachtelt waren, waren auch Verlauf und Ergebnis so konfus und in sich gebrochen Wie die russische Oktoberrevolution begann die deutsche Novemberrevolution als proletarische Revolution, ausgelöst von der Erschütterung des Systems durch eine Niederlage nach außen mit dem unmittelbaren Ziel von Frieden und Brot, auch wenn die gesellschaftlichen Gründe für die Revolution selbstverständlich tiefer lagen. In der komplexen Struktur des hochindustrialisierten Deutschen Reichs und wegen der geographischen Nähe zu den siegreichen Alliierten im Westen blieb jedoch die proletarische Komponente nur auslösendes, nicht voll durchschlagendes Element. Im Nachvollzug der bürgerlichen Nachfolgerevolution von 1789 kam das Bürgertum in Deutschland 1918 politisch zur Macht, abzulesen an der Parlamentarisierung des Reichs schon im Oktober 1918 — also gleichsam im präventiven Vorgriff gegen die herannahende Revolution. Unter dem Einfluß der russischen Oktoberrevolution drängten sich 1918 bereits so starke proletarische Elemente in den Vordergrund, daß der Sieg der proletarischen Revolution um die Jahreswende 1918/19 unmittelbar bevorzustehen schien und von Lenin, wenn auch nur zur Entlastung der Russischen Revolution, erwartet und herbeigesehnt wurde. Ihr kurzfristiges Scheitern läßt sich aus der inneren Struktur des Deutschen Reichs von 1918 erklären, die erheblich von der des zaristischen Rußland 1917 abwich: Im Gegensatz zu Rußland war Deutschland bereits ein hochindustrialisiertes Land mit zahlreichen regionalen und lokalen Schwerpunkten. In seiner herrschenden Klasse stellte die Aristokratie zwar noch immer das spektakuläre Element, namentlich in nach außen gewandten repräsentativen Bereichen — so in der Armee und im diplomatischen Dienst. Aber im Zuge der in Deutschland früher und daher weniger hektisch verlaufenden Industrialisierung war das deutsche Bürgertum seit der 1848/49 gescheiterten Revolution in die ökonomischen Schlüsselstellungen eingerückt, von denen aus es schon hinter der Fassade der obrigkeitsstaatlichen, parlamentarisch verbrämten Militärmonarchie erheblichen politischen Einfluß ausübte. Als die Monarchie daher unter den Belastungen der militärischen Niederlage am Ende eines langen und verlustreichen Krieges zusammenbrach, hätte das Bürgertum eigentlich problemlos die Macht übernehmen können, wenn nicht eben die Arbeiterschaft im Krieg auf so vielfältige Weise engagiert gewesen und nicht die proletarische Oktoberrevolution unmittelbar vorausgegangen wäre.

So organisierten sich große Teile des Proletariats im November 1918 teils spontan, teils nach russischem Beispiel in Arbeiter-und Soldatenräten und versuchten, die an sich anstehende bürgerliche Revolution, wiederum nach russischem Vorbild, gleich zur proletarischen Revolution voranzutreiben. In dieser revolutionären Krise nahm daher das Bürgertum es hin, daß in der ersten Phase der von der Arbeiterschaft (in Uniform oder Zivil)

ausgelösten Revolution zunächst nach außen mit dem Rat der Volksbeauftragten eine quasi-proletarische provisorische Regierung aus Mehrheitssozialdemokraten und inzwischen von der SPD abgesplitterten Unabhängigen Sozialdemokraten entstand. Tatsächlich behielt jedoch das Bürgertum in Wirtschaft, Gesellschaft, Armee und Bürokratie die effektive Macht. Die Vertreter der proletarischen Revolution — Spartakusbund und verschiedene linksradikale Gruppen, ab 1. Januar 1919 zusammengefaßt in der KPD, ferner der linke Flügel der USPD — erwiesen sich als zu schwach, weil in dem hochindustrialisierten Deutschland verschiedene Faktoren anders geartet waren als im 1917 noch immer überwiegend agrarischen Rußland:

1. Nur ein Teil der Arbeiterschaft identifizierte sich mit der proletarischen Revolution, weil der übrige Teil, vermutlich die Mehrheit, sich bereits so weit in die Gesellschaft integriert fühlte, daß er — politisch bei den Konservativen, dem Zentrum, der MSPD gebunden — eine proletarische Revolution ablehnte.

2. Das Bürgertum war quantitativ sehr viel stärker als in Rußland und verfügte, wie schon erwähnt, bereits über so viele Machtpositionen, daß es sich 1918/19 nicht einfach beiseite schieben ließ. Teile des Bürgertums, vor allem des Kleinbürgertums und der Angestellten, lieferten daher auch eine städtische Massenbasis für konservative, ja reaktionäre Politik.

3. Die Bauern waren, nachdem 1848 die letzten feudalen Lasten im wesentlichen gefallen waren, 1918 insgesamt überwiegend konservativ eingestellt, auf keinen Fall revolutionär, und gaben im allgemeinen die ländliche Massen-ab.

4. Ein proletarisch revolutioniertes Deutschland wäre dem militärischen Eingriff der bürgerlichen, gerade eben siegreichen Groß-mächte des Westens so gut wie schutzlos ausgeliefert gewesen. Aus geographischen wie strukturellen Gründen hätte sich eine proletarische Revolution in Deutschland 1918/19 gegenüber einer militärischen Intervention, wie sie im weiter abgelegenen Rußland ja auch versucht wurde, kaum halten können. Schon die stärkere Verletzbarkeit der höher-entwickelten, damit aber auch anfälligeren Wirtschaftsstrukturen mit einer einen höheren Lebensstandard gewöhnten Bevölkerung durch einen Bürgerkriegs-Kommunismus hätte eine siegreiche proletarische Revolution in Deutschland nicht verkraften können. Hinzu kam die Abhängigkeit von außen für Lebensmittel und Rohstoffe, dramatisch unterstrichen und verstärkt durch die alliierte See-blockade. Nachdem heute die frühere Dolchstoßlegende von rechts ad absurdum geführt ist, als wäre im November 1918 ein ungeschlagenes Reich nur Opfer einer heimtückischen Verschwörung im Innern zum Opfer gefallen, ist eine neue Dolchstoßlegende von ganz links historisch nicht minder absurd, so als ob die schon siegreiche oder kurz vor dem Sieg stehende proletarische Revolution nur durch „Arbeiterverräter" von innen her erdolcht und zum Scheitern gebracht worden wäre Für den Historiker reicht die Feststellung, daß 1918/19 die proletarische Revolution in Deutschland scheiterte oder steckenblieb, aus Gründen, die in sich plausibel und rational erklärbar sind, ohne Zuhilfenahme einer neuen, linksextremen Dolchstoßlegende. Die Gründe sind überwiegend struktureller Art, nicht persönlicher, wie sie auch einer modernen, sozialgeschichtlichen Geschichtsschreibung angemessen sind.

Entsprechend lassen sich auch die historischen Auswirkungen der Novemberrevolution in Deutschland strukturell analysieren unter Verzicht auf Personifizierung und Dämonisierung: Durch Abwehr der erstmals in Deutschland andrängenden proletarischen Revolution, gar noch mit Hilfe der Sozialdemokratie, kratie so schwach lundiert, daß sie spateren Belastungen, vor allem der Weltwirtschaftskrise von 1929/33, nicht standhielt. Während die aristokratischen Elemente in der deutschen Gesellschaft ihre politischen Machtpositionen nach außen hin zum größten Teil verloren, konnten sie ihre sozialen und wirtschaftlichen Positionen fast unangefochten behaupten. Zur Niederhaltung der proletarischen Revolution befestigte sich das inzwischen traditionelle Bündnis mit dem konservativen Flügel des Wirtschaftsbürgertums, das sich bereits in der Vorkriegszeit abgezeichnet und mit der Gründung der Vaterlandspartei im September 1917 eine chauvinistisch-reaktionäre Akzentuierung erhalten hatte. In der Weimarer Republik entwickelte sich daraus ganz konsequent zunächst die Position der Deutschnationalen, die anschließend von der NSDAP, der deutschen Version des Faschismus, Überboten und zugleich aufgehoben wurde. Der Sieg des Faschismus, u. a. ermöglicht durch die Angst des Bürgertums vor der proletarischen Revolution, d. h.dem Kommunismus, führte zum Zweiten Weltkrieg als deutschem Revanchekrieg für den verlorenen Ersten Weltkrieg und setzte im Gegen-schlag die proletarische Revolution nun erst recht in Osteuropa und China frei, ferner die zunächst überwiegend nationale Revolution in den Kolonialländem. e) Die revolutionierende Wirkung des Zweiten Weltkriegs: Osteuropa, China, Kolonialländer

Die Revolutionen nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Problematik fort, die sich bereits in Rußland gezeigt hatte: In den industrialisierten, vom Krieg verwüsteten oder ökonomisch gelähmten Ländern des Westens blieb die Revolution im allgemeinen aus, u. a. mit ökonomischer, politischer und militärischer Nachhilfe durch die Westmächte, vor allem die USA (Marshallplan, Intervention im griechischen Bürgerkrieg), während sie sich auf noch weniger industrialisierte Länder ausbreitete, als es Rußland 1917 war. In Osteuropa half die Sowjetunion im Kalten Krieg durch politischen Druck und militärische Präsenz nach, vor allem in der Tschechoslowakei und der Ostzone Deutschlands, später der DDR, die 1947/48 beide stärker industrialisiert waren als die Sowjetunion selbst. Sonst aber spielten die agrarischen Massen eine erhebliche Rolle, vor allem in der Chinesischen Revolution. In China, aber auch in den meisten Kolonialländern, kamen rasche Bevölkerungszunahme, Druck auf das Land rung unter kapitalistischen, meist ausländischen Vorzeichen sowie Aufbegehren gegen die politische Fremdherrschaft in der einen oder anderen Form zusammen und brachten aufgehäuftes Revolutionspotential zur Explosion. Die Chinesische Revolution In China traf die europäische Expansion seit dem Opiumkrieg (1842) auf den Niedergang der letzten kaiserlichen Dynastie und trug dazu bei, den traditionellen dynastischen Zyklus der chinesischen Geschichte in revolutionäre Bahnen'zu lenken. Das Ergebnis war eine langanhaltende Systemkrise, die sich erst 1949 mit der Errichtung der Volksrepublik China löste. Das „Jahrhundert der chinesischen Revolution" begann mit dem Taiping-Aufstand 1851/64, bei dessen Niederwerfung die Mandschu-Dynastie schon ausländische Hilfe in Anspruch genommen hatte Die Anfänge der imperialistischen Expansion Japans, das sich seinerseits gegen den europäischen Imperialismus durch die freiwillige Übernahme moderner Elemente immunisiert hatte (Meji-Reformen ab 1868) und selbst imperialistische Macht wurde, lösten mit der Niederlage Chinas im chinesisch-japanischen Krieg (1894/95) in China eine kurzlebige Reformbewegung von oben, -vom kaiserlichen Hof aus (1898), schon im folgenden Jahr eine massive, aber noch wenig artikulierte nationale Reaktion gegen die imperialistischen Mächte, die im Westen sogenannte „Boxer" -Bewegung.

1911/12 begann die eigentliche Chinesische Revolution als bürgerliche Revolution unter Sun Yat-sen. In einem fast 30jährigen Bürgerkrieg, kompliziert und vorangetrieben durch Einwirkungen von außen, vor allem die japanische Aggression (1915, 1919, 1931, 1937/45), die in Ostasien den Zweiten Weltkrieg gewissermaßen schon 1937 eröffnete, setzte sich schließlich 1949 der chinesische Kommunismus durch. Zu den Auswirkungen von außen gehört auch die Industrialisierung im Zug der ökonomischen Durchdringung Chinas durch die imperialistischen Mächte, z. B.der Eisenbahnbau als auslösendes Moment für die Chinesische Revolution von 1911/12. Die Mas-ten jedoch überwiegend die chinesischen Bauern, mit Mao Tse-tung sogar den bestimmenden Faktor in der revolutionären Führung.

Die nationale Emanzipation im übrigen Asien Noch vor Abschluß der Chinesischen Revolution begannen in Asien die schwerwiegenden Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg: die nationale Unabhängigkeit der meisten europäischen Kolonien in Asien und im Nahen Osten — von Syrien bis zu den Philippinen und Indonesien, das beispielsweise nur einen Monat nach der Errichtung der Volksrepublik China unabhängig wurde Die größte unmittelbare Auswirkung ging vom Rückzug Englands aus Indien aus, das die älteste und am besten organisierte nationale Bewegung unter bürgerlicher Führung aufzuweisen hatte, die „All-India National Congress Party“ unter Nehru und Gandhi. Schon 1937 hatte Indien den Status der inneren Autonomie erreicht. Nach dem Rückzug Englands führte der Weg zur vollen Unabhängigkeit aber durch schwere Bürgerkriege und Massaker zwischen Hindus und Muslims als Begleiterscheinung der Teilung des Subkontinents in die Staaten Indien und Pakistan. Da außerdem Burma noch 1947, Ceylon (heute Sri Lanka) 1948 unabhängig wurden, entstanden aus dem früheren britischen Vizekönigreich Indien vier Staaten, durch die Sezession Bangla Deshs von Pakistan 1971 sogar fünf Staaten. Uneinheitlich — entsprechend den unterschiedlichen historischen Voraussetzungen — verlief der nationale Emanzipationsprozeß in Südostasien: Die Philippinen, 1898 von den USA Spanien abgenommen, erhielten zwar 1946 ihre Unabhängigkeit, blieben aber bis heute in starker Abhängigkeit von den USA. Auf den Philippinen, in Malaya, Indonesien und Indochina hatte die vorübergehende japanische Okkupation im Zweiten Weltkrieg die europäische bzw. nordamerikanische Kolonialherrschaft erschüttert und nationale Widerstandsbewegungen gegen Japan provoziert. Sie setzten sich nach Kriegsende 1945 als nationale Unabhängigkeitsbewegungen fort und suchten neue nationale Staaten zu konstituieren, entwickelten aber auch schon mehr oder minder starke sozialrevolutionäre Elemente. In Malaya entstand aus der Spannung zwischen den eingesessenen Maiayen (mit traditionellen Dynastien) und zugewanderten Chinesen (mit oft kommunistischen* die britische Kolonialmacht durch eine erstmalige (und fast letztmalige) erfolgreiche Anti-Guerilla-Strategie zugunsten der eher konservativen Maiayen entschied. Ergebnis war die Errichtung einer Föderation Malaysia unter eindeutiger Führung des autochthonen und traditionellen Elements, d. h.der einheimischen Dynastien.

In Indonesien und Indochina scheiterten die kolonialen Rückeroberungskriege der Niederlande bzw. Frankreichs früher oder später. Indonesien und Vietnam hatten sich im Vakuum der japanischen Kapitulation von Mitte August 1945 für unabhängig erklärt, aber die früheren Kolonialmächte versuchten, ihre Herrschaft noch einmal zu errichten. In Indonesien mußten die Niederlande schon 1949 unter dem Druck der USA aufgeben, offensichtlich, weil die USA die Ausweitung des kommunistischen Einflusses in der Abhängigkeit befürchteten. Unter Sukarno hatte Indonesien in vieler Beziehung eine ambivalente Position, die sich nicht nur in der neutralen Außenpolitik niederschlug Im Innern tendierte das Land mit Verstaatlichungen usw. zuletzt in sozialistische Richtung mit stillschweigender Billigung durch die KPI, bis 1965 Sukarno vom Militär gestürzt und die Kommunistische Partei samt Anhängern durch ein entsetzliches Massaker und anhaltende Verfolgung nachhaltig geschwächt wurde.

Komplizierter und langwieriger, im Grunde bis zur Gegenwart noch nicht abgeschlossen, verlief die Entwicklung in Indochina, vor allem in Vietnam Der koloniale Rückeroberungskrieg Frankreichs ab 1946 scheiterte an der überlegenen politisch-militärischen Kriegführung des Vietminh unter Ho-Tschi-Minh, obwohl die USA nach dem Koreakrieg ab 1950 Frankreich finanziell und rüstungstechnisch massiv unterstützten, militärisch in Dien-Bien-Phu und politisch in Genf 1954. Eine der Voraussetzungen für den Sieg des Vietminh war der Erfolg der Chinesischen Revolution und die Errichtung der Volksrepublik China 1949, weil nunmehr der Vietminh aus China fast ungestört Nachschub, vor allem Waffen und Munition, erhalten konnte. Die

Zwischenlösung zu freien allgemeinen Wahlen 1956 gedacht, die aber die USA und das Diem-Regime in Saigon gemeinsam hintertrieben. Aus der vertragswidrigen Repression im Süden gegen Vietminh-Anhänger entwickelte sich ab 1959 der zweite Vietnamkrieg, in den die USA zur Stützung der Saigoner Regierung ab 1963 verdeckt, ab Anfang 1965 offen eingriffen, unter Ausdehnung des Luftkriegs auf Nordvietnam. Trotzdem setzte sich die Nationale Befreiungsbewegung in Südvietnam (allgemein im Westen als „Vietcong" bezeichnet) mit Hilfe aus dem Norden soweit durch, daß die USA aus dem Süden militärisch abzogen und das Thieu-Regime 1974 kapitulieren mußte.

Parallel dazu verlief die Entwicklung in Laos und Kambodscha, wo die USA selbst neutrale Regime stürzen ließen (1961 bzw. 1970), um sie unter rechter Führung in den Indochina-krieg hineinzuziehen, mit dem Ergebnis, daß heute in Laos und Kambodscha kommunistisch geführte Befreiungsbewegungen entscheidend an Einfluß gewonnen bzw. die Regierung übernommen haben.

Revolutionsgeschichtlich ist der Indochina-krieg in seiner amerikanisierten Phase (1965/74) von besonderer Bedeutung, weil er zum politischen und moralischen Debakel der USA führte und in westlichen Ländern eine weit-verbreitete Solidarisierungsbewegung vor allem in der jüngeren Generation provozierte, aus der sich weiter radikalisierte Tendenzen herauskristallisierten, die (angeblich oder wirklich) die proletarische Revolution auch in den bürgerlichen Staaten vorantreiben wollen, jetzt oft unter „maoistischem" Vorzeichen

Arabische Länder und Nordairika Die nationale Emanzipation Asiens unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Signalwirkung zunächst auf den arabischen Raum, anschließend auch auf Schwarz-Afrika. Im Nahen Osten erhielten Staaten, die nach dem Ersten Weltkrieg aus der Konkursmasse des Osmanischen Reichs unter dem Völker-113 und Frankreichs entstanden waren (Jordanien, Irak, Syrien, Libanon), volle Souveränität bzw. Bewegungsfreiheit, ebenso Ägypten, das seit der britischen Okkupation (1882) formal selbständig geblieben war. Libyen, als ehemalige italienische Kolonie unter UN-Treuhand-mandat gestellt, wurde 1951 unabhängig, zunächst unter einer Monarchie. Tunesien und Marokko — beide formal französische Protektorate und keine Kolonien — folgten in die Unabhängigkeit (1956), Tunesien nur kurze Zeit unter seinem traditionellen Herrscher, dem Bey, Marokko noch immer unter einer Monarchie. Die Unabhängigkeit der beiden Flankenstaaten erfolgte bereits unter dem Druck der algerischen Revolution, die am 1. November 1954 begann. Um ein übergreifen auf Marokko und Tunesien, ferner auf Französisch-Schwarzafrika zu verhindern, entließ Frankreich 1956 Marokko und Tunesien in die Unabhängigkeit und führte südlich der Sahara die Autonomie ein, die, über die Zwischenstation der „Communaute", ab 1960 die Unabhängigkeit seiner meisten schwarzafrika-nischen Kolonien ermöglichte. Kompliziert wurde die Situation im Nahen Osten durch die Gründung des Staates Israel 1948 und die Kette von arabisch-israelischen Kriegen (1948/49, 1956, 1967, 1973), die noch bis vor kurzem in einem fünften arabisch-israelischen Krieg ihre Fortsetzung hätte finden können. Zwei weitere Faktoren stellen die angestrebte arabische Einheit immer wieder in Frage: der Unterschied zwischen erdölreichen und erdölarmen Ländern auf der einen sowie zwischen monarchisch regierten und republikanischen Regimen mit dem Anspruch auf sozialistische Politik auf der anderen Seite. Besonders die Ol-Monarchien der Arabischen Halbinsel und am Persischen Golf produzieren seit einigen Jahren in geradezu atemberaubenden Tempo Diskrepanzen zwischen einem, allerdings oft nur sehr partiellem, hyper-modernen ökonomischen Unterbau und einer archaischen, politisch erstarrten Herrschafts-und Machtstruktur, die nach allen historischen Erfahrungen früher oder später zur gewaltsamen Entladung drängen, d. h. zur Revolution.

Inzwischen haben sich die palästinensischen Befreiungsbewegungen in ihrer politischen Ohnmacht immer weiter radikalisiert und fühlen sich als Speerspitze der arabischen Revolution, wenn auch aus Untergrund und Exil. Aus dieser Position ergeben sich der mehr oder minder permanente Konflikt mit König Hussein in Jordanien, als dem Vertreter des dynastisch-konservativen Prinzips, und die grundsätzliche Feindschaft gegenüber Israel, sehe der Großmächte zur friedlichen Beilegung des Nahostkonflikts hinwegsetzt. In diesem Punkt ähneln die palästinensischen Befreiungsbewegungen den Aufständischen im Balkan vor dem Ersten Weltkrieg, die mit ihrem elementaren Unabhängigkeitswillen den Balkan zur europäisch-politischen Wetterecke Europas machten.

Schwarzafrika Inzwischen war bereits Schwarzafrika politisch in Bewegung geraten Vorreiter der Entwicklung war Britisch-Westafrika, wo 1951 die Goldküste (heute Ghana) und Nigeria die innere Autonomie erhielten, als Über-gang zur vollen Unabhängigkeit 1957 bzw. 1960. Namentlich die Unabhängigkeit Ghanas unter der dynamischen und charismatischen Führung Nkrumahs hatte elektrisierende Wirkung auf den übrigen Kontinent. Dort hatte es nur zwei afrikanische Staaten gegeben, die formal stets ihre Unabhängigkeit behauptet hatten, dafür aber in der sozialen und politischen Entwicklung weit zurückgefallen waren — Liberia (ab 1847) im Westen und Äthiopien im Osten, das, abgesehen von der kurzen Spanne italienischer Kolonialherrschaft (1936/41), ebenfalls formal stets unabhängig gewesen war. Im Zuge der nationalen Emanzipation hatte der Sudan, der mit seiner südlichen Hälfte bereits nach Schwarzafrika hineinragt, 1955 die Unabhängigkeit erhalten.

Ghana stellte sich bewußt in den Dienst einer panafrikanischen Befreiungsbewegung Im isolierten Vorpreschen schloß sich aus den Kolonien Französisch-Afrikas Guinea unter Sekou Toure 1958 Ghana in die zunächst isolierte Unabhängigkeit an. Unter dem doppelten Druck des algerischen Unabhängigkeitskriegs und der panafrikanisch motivierten Unabhängigkeit Ghanas, das Elemente eines eigenen „afrikanischen Sozialismus" zu entwickeln suchte, konnte sich die Struktur der „Communaute Francaise", die de Gaulle, aufbauend auf den Vorarbeiten der IV. Republik, als Auffangbecken für den afrikanischenNationalismus konstruiert hatte, nicht lange halten. Schon mit der Verleihung der regionalen Autonomie 1956 an die früheren Kolonien zeichneten sich die künftigen afrikanischen Nationalstaaten ab. Aus regionalen Egoismen schlugen die jeweils relativ reichsten Gebiete (Elfenbeinküste bzw. Gabon) die Chance zur Umwandlung der schon bestehenden Kolonial-Föderationen (Französisch-Westafrika bzw. Französisch-Äquatorialafrika) in unabhängige Föderalstaaten aus, so daß durch die isolierte Unabhängigkeit der einzelnen neuen Staaten die „Balkanisierung", d. h. staatliche Aufsplitterung Afrikas weiter Fortschritte machte.

Im „Afrikanischen Jahr" 1960, als der große Schub unabhängig werdender afrikanischer Staaten, vor allem französischer Prägung, einsetzte, demonstrierte der Belgisch-Kongo (heute Zaire) die Problematik einer sich überstürzenden nationalen Unabhängigkeit, nachdem sich die Belgier bis 1959 hartnäckig geweigert hatten, auch nur die ersten Maßnahmen zur inneren Autonomie für die Afrikaner einzuleiten, z. B. durch Zulassung von afrikanischen Parteien und modernen Organisationen. Die mangelnde Vorbereitung der Afrikaner auf die Unabhängigkeit, die starken ethnischen Unterschiede und die neokolonialistischen Interventionen zur Sicherung ökonomischer Interessen (die Sezession Katangas mit seiner reichen Kupferförderung) vergrößerten und komplizierten die an sich schon unvermeidlichen Anlaufschwierigkeiten unmittelbar nach der nationalen Unabhängigkeit. In den folgenden Jahren wurde das übrige Schwarzafrika unabhängig, zunächst aber nur bis zum Sambesi. Dort stieg nach ihrem Ausscheiden aus dem britischen Commonwealth (1961) die Südafrikanische Republik zum zunächst dominierenden Faktor auf, mit der Tendenz zur Sub-Hegemonie zumindest über das südliche Afrika.

Südafrika repräsentiert bis heute das scheinbar paradoxeste Beispiel für die bisherige Umkehrung der Faktoren Industrialisierung und Revolution Die Südafrikanische Republik ist das am längsten und intensivsten industrialisierte Land Afrikas und hat zudem, erst recht nach Abzug der europäischen Siedler aus Algerien sowie dem derzeitigen aus Angola und Mozambique, die verhältnismäßig und absolut stärkste Gruppe europäischer Abstammung, die als herrschende Klasse alle ökonomischen und politischen Machtmittel in Händen hält. Die Afrikaner sind jedoch allen Restriktions-und Repressionsmaßnahmen zum Trotz ökonomisch und sozial gegenüber dem übrigen Kontinent am weitesten entwickelt, weil sie als Arbeits-und Dienstleistungskräfte in einer (vorläufig noch) expandierenden Wirtschaft unentbehrlich sind und zur Erfüllung der ihnen zugedachten Funktionen unvermeidlich, wenigstens am Rande und getrennt, an Modernisierung und (bisherigem) Wohlstand partizipieren Andererseits hat die Apartheid die soziale und politische Position der Afrikaner in einem solchen Ausmaß gedrückt, daß aus der Spannung zwischen (relativ) hohem ökonomischen und gedrücktem politischen Status in Zukunft sehr wohl ernsthafte innere Konflikte entstehen könnten, zumal wenn der Wohlstand nicht mehr steigen, sondern gar fallen sollte.

Zum Glacis der Apartheid-Republik sind mehrere Länder zu zählen: Rhodesien, dessen weiße Siedler zum Teil ursprünglich aus Südafrika stammten und das sich 1964 im Protest gegen die liberalere Afrika-Politik Englands als selbständig erklärte unter Berufung auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776; Namibia (früher Deutsch-Südwestafrika), das die Südafrikanische Republik ursprünglich als Mandat des Völkerbunds, nach dem Zweiten Weltkrieg der UN erhalten und widerrechtlich annektiert hatte; die ehemaligen britischen Protektorate Basutoland, Swaziland und Bechuanaland, die heute faktisch Satelliten der Südafrikanischen Republik sind; ferner Malawi nördlich des Sambesi; bis zum Umsturz in Portugal vom April 1974 faktisch auch Angola und Mozambique.

Seit 1974 ist das Glacis der Apartheid jedoch reduziert: Die nationale Unabhängigkeit der beiden seit Jahrzehnten als portugiesische „Überseeprovinzen“ deklarierten ehemaligen Kolonien Portugals wird tiefe Rückwirkungen auf das übrige Südliche Afrika haben: Rhodesien ist nun seinerseits fast isoliert, Namibia drängt stärker zur eigenen Unabhängigkeit, und das Apartheid-Regime wird sehr rasch seine endgültige Entscheidung treffen müssen, ob es noch die allerletzte Chance zum Wandel durch friedliche und rasche Reformen wahrnehmen will. Die Alternative wäre, daß es, erstarrt in Reformunfähigkeit, in eine südafrikanische Revolution hineintreibt, sollte es in der kontinentalen Isolierung in innere Schwierigkeiten kommen und nicht mehr, wie bisher, aus dem Westen direkte oder indirekte Unterstützung erhalten, weil der Westen in absehbarer Zeit seinerseits mit seinen eigenen Problemen zu sehr beschäftigt sein wird.

Südamerika Ein bedeutsames Revolutionspotential stellt Süd-und Mittelamerika dar. Seit der Konstituierung unabhängiger nationaler Staaten im frühen 19. Jahrhundert herrschen dort schmale Oligarchien europäischer Abstammung, deren zahlreiche Staatsstreiche und Pronunciamentos fälschlich oft als „Revolutionen“ gelten. In weitgehender ökonomischer und finanzieller Abhängigkeit von außen, bis 1914 vor allem von England, seitdem von den USA, haben diese Oligarchien die materiellen Gewinne aus der auch in Süd-und Mittelamerika anlaufenden Modernisierung und Industrialisierung zum eigenen Nutzen verwendet, namentlich zur Befestigung der eigenen politischen Machtstellung. Die Problematik zwischen teilweise hypermodernen Industrie-, Handels-und Wirtschaftszentren in großen Städten und Stadtregionen, z. B. Säo Paulo in Brasilien, Caracas in Venezuela (allerdings auch mit riesigen Armen-und Elendsvierteln), einerseits und der teilweise modernisierten, teilweise archaisch erstarrten Agrarstruktur andererseits kompliziert sich in den meisten Ländern noch durch die historische Überlagerung der europäischen Eroberer und Einwanderer sowie ihrer Nachfahren über politisch entrechtete und ökonomisch ausgebeutete Indios, Mestizen, teilweise auch noch (formal gleichberechtigte) Afro-Amerikaner, vor allem in Brasilien, wo die Sklaverei am spätesten abgeschafft wurde (1888). Diese elementaren Faktoren treten in jedem Land mit so unterschiedlicher Stärke und in unterschiedlichen Konstellationen auf, daß eine detaillierte oder auch nur vergleichende Behandlung hier für den Nicht-Fachmann hoffnungslos ist und erst gar nicht versucht wird

Hervorzuheben ist an dieser Stelle, daß sich revolutionäre Konsequenzen bisher nur an wenigen Stellen durchgesetzt haben — Mexiko mit seiner ersten Agrar-Revolution schon 1911, die jedoch längst ihrerseits wieder oligarchisch erstarrt ist, wie die inner-mexikanische Explosion im Herbst 1968, kurz vor Beginn der Olympiade, nahelegt. Kuba hat seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bisher die längste Tradition von sozialistischen Revolutionsversuchen und brachte es 1959 mit dem Sturz des Battista-Regimes auch tatsächlich zur ersten sozialistischen Revolution in der Neuen Welt, die, u. a. als Reaktion auf die Isolierung durch die USA, rasch ins kommunistische Lager abdriftete. Als ökonomische Aufgabe stellte sich das revolutionäre Kuba, die aus der kolonialen Vergangenheit übernommene Abhängigkeit von einem einzigen agrarischen Produkt — Zuckerrohr — abzubauen, was die Modernisierung der Landwirtschaft auf anderen Sektoren und den Aufbau einer eigenen Industrie (mit sowjetischer Hilfe) erforderte. In den 1960er Jahren stand die Entwicklung in Lateinamerika unter dem Schatten der sich auch gegen Interventionsversuche von außen behauptenden kubanischen Revolution (Invasion an der Schweinebucht, April 1961). Che Guevara, Fidel Castros bedeutendster militärischer Helfer in der Revolution selbst, versuchte in seiner revolutionären Ungedüld, den Ausbruch der Revolution auf dem Kontinent durch eigene Guerillaaktionen auszulösen oder zu beschleunigen, scheiterte aber 1968 in den Wäldern Boliviens.

Mit Hilfe der USA vermochten sich die herrschenden Oligarchien in den meisten Ländern vorläufig noch zu behaupten, in der Regel durch Militärdiktaturen und Repression, die aber häufig genug nur die unmittelbare Vorstufe zum revolutionären Gegenschlag selbst sind. Verheerend für die Zukunft muß sich auswirken, daß der einzige Versuch, ein sozialistisches System auf konstitutionellem und friedlichem Weg aufzubauen, durch den gewaltsamen Sturz und die Ermordung des Präsidenten Allende im September 1973 blutig beendet wurde, nachdem er vorher schon durch allerlei Methoden von innen her sabotiert worden war. Abgesehen von Peru und Bolivien, wo seit einigen Jahren eine Art militärsozialistisches System herrscht, haben sich in zahlreichen Ländern als Reaktion auf die wachsende Repression und offensichtliche Reformunfähigkeit im Untergrund revolutionäre Gruppen gebildet, die nur auf ihre Chance warten, wenn die USA durch ihre eigenen Probleme zu sehr beschäftigt sein werden, um den lateinamerikanischen, höchst undemokratischen Oligarchien noch beispringen zu können. Der wachsende Bevölkerungsdruck und die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich werden die innere Polarisierung weitertreiben. Ausblick Mit der nun fast vollständigen Liquidation des kolonialen Systems, zuletzt noch einmal unterstrichen im Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft in Afrika 1974/75, wird sich auch die innere Krise des Westens weiter verschärfen, wie sie sich, ausgehend von den USA, seit Mitte der 1960er Jahre abzeichnete. Die phantastischen Unterschiede im Lebensstandard zwischen den industrialisierten und agrarischen Ländern, vor allem denen ohne Rohstoffe, der wachsende Problemdruck, der sich z. B. in der Umweltproblematik ankündigt, und der vorläufig noch wachsende Bevölkerungsdruck in weiten Teilen der Welt lassen Spannungen heranreifen, die sich in Konflikten mit möglicherweise revolutionären Konsequenzen auch in den bisher scheinbar so stabilen Industriemetropolen entladen können, nachdem die durch die bürgerlichen Revolutionen seit dem 17. bzw. 18. Jahrhundert entstandenen Systeme eine Generation nach dem Zweiten Weltkrieg ihrerseits in eine nicht mehr zu ignorierende Krise geraten sind.

Der vergleichende revolutionshistorische Überblick legt nahe, daß die einzige konstruktive Alternative zur Revolution die rasche und energische Strukturreform ist, daß aber die Chancen des Prinzips Reform im allgemeinen nur theoretisch bleiben, wenn eine Gesellschaft in Reformunfähigkeit erstarrt ist

Fussnoten

Fußnoten

  1. Z. B. Klaus v. Beyme (Hrsg,), Empirische Revolutionsforschung, Opladen 1973. Einige der dort neu abgedruckten Aufsätze waren vorher schon in deutscher Sprache zugänglich bei Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, Köln 1969, 3. Aufl. 1971; ähnlich auch Martin Jänicke (Hrsg.), Politische Systemkrisen, Köln 1973. Einflußreich Crane Brinton, The Anatomy of Revolution, New York 1938, 4. Aufl. 1965, dt.: Die Revolution und ihre Gesetze, Frankfurt 1959, und Chalmers Johnson, Revolutionstheorie, Köln 1971; höchsE tv ea ns als Steinbruch für Zitate brauchbar jüngstens Hesse, Die Wurzeln der Revolution. Theorien der individuellen und der kollektiven Freiheit, München 1974.

  2. Politische Ökonomie. Lehrbuch, Berlin (Ost) 1955, dazu die heute gültige erweiterte zweibändige Fassung: Lehrbuch Politische Ökonomie, 2 Bde., Berlin (Ost) 1973.

  3. Manfred Kossok (Hrsg.), Studien über die Revolution, Berlin (Ost) 1969, 2. Aufl. 1971. Als inhaltliche Fortführung und Präzisierung jetzt wesentlich konziser und auch theoretisch reflektierender ders. (Hrsg.), Studien zur vergleichenden Revolutionsgeschichte 1500— 1917, Berlin (Ost) 1974, vor allem der einleitende Beitrag von M. Kossok/Walter Markov, Zur Methodologie der vergleichenden Revolutionsgeschichte der Neuzeit, S. 29— 52, und der abschließende von Albert Soboul, Im Lichte von 1789. Theoretische Probleme der bürgerlichen Revolution, S. 199— 216.

  4. Imanuel Geiss/Rainer Tamchina, Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft, Bd. 2: Revolution. Ein historischer Längsschnitt, München 1974; dort auch ein knapper Überblick über die historische und sozialwissenschaftliche Revolutionsliteratur (S. 8, 12— 14); Kaplan (Hrsg.), Revolutions. A Comparative Study, New York 1973. Jetzt auch der brillante Rapport von Eric J. Hobsbawin auf dem XVI. Internationalen Historikerkongreß in San Franzisco, Ende August 1975, „Revolution", mit einer wertvollen Bibliographie.

  5. Peter Calvert, Revolution, London 1970, S. 17 f.

  6. E. M. Zhukov, über die Periodisierung der Weltgeschichte, in: Ernst Schulin (Hrsg.), Universalgeschichte, Köln 1974, S. 107— 121; ursprünglich als Vortrag auf dem Internationalen Historikerkongreß in Stockholm 1960 in englischer Sprache veröffentlicht, in der DDR 1961 in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 3/1961, S. 241-— 254. Zhukov bezeichnet hier unter pauschaler Berufung auf Engels die Reformen des Kleisthenes in Athen im 6. Jh. v. Chr. bereits als Revolution (S. 110).

  7. Seit Theodor Mommsen; für eine kritische Über-prüfung der bisherigen wichtigsten Literatur zu diesem Komplex vgl. jetzt Joachim Molthagen, Rückwirkungen der römischen Expansion. Der Übergang von der Republik zum Prinzipat — eine Revolution?, in: I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, 34— 53.

  8. Lehrbuch Politische Ökonomie, Bd. 1, Vorsozialistische Produktionsweisen, S. 82: „Im Jahre 476 unserer Zeitrechnung brach das von den Aufständen der ausgebeuteten Massen (vor allem der Sklaven) bis ins Innerste erschütterte und geschwächte Weströmische Reich unter den Schlägen der genannten Barbarenstämme endgültig zusammen. Damit war das Ende der Sklaverei, der Untergang der Sklavenhalterordnung gekommen."

  9. Eugen Rosenstock-Huessy, Die Europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena 1931; Neuausgabe: Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Stuttgart-Köln 1951, 3. Aufl 1961 (das Kapitel: „Die Papst-revolution“).

  10. S. dazu vor allem die Literatur aus der DDR; vgl. unten Anm. 25.

  11. J. W. Smit, The Netherlands Revolution, in: Robert Forster/Jack P. Greene (Hrsg.), Preconditions of Revolution in Early Modem Europe,

  12. Für einige Nachweise nur aus der bundesdeutschen Geschichtsschreibung vgl. I. Geiss/R.

  13. E. M. Zhukov, Periodisierung, S. 110 (vgl. oben Anm. 6): „Der Übergang von der Urgesellschaft zur Klassengesellschaft, der ein gewaltiger Sprung in der gesellschaftlichen Entwicklung der Welt war, trug revolutionären Charakter. Er war von einem heftigen, ganze Jahrhunderte währenden Kampf begleitet." Es folgt der auf Engels gestützte Hinweis auf die Reformen des Kleisthenes als einzigen Beweis. Zwar nicht dem strengen Wortlaut, wohl aber der Sache nach lassen sich „Übergang von der Urgesellschaft zur Klassengesellschaft“ und „neolithische Revolution in Verbindung setzen, weil die Errichtung der Sklavenhalterstaaten nur auf der Basis der agrarischen Produktion möglich war.

  14. Vgl. auch Karl Grieschank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, Entstehung und gechichte, Jena 1955, 8. Auflage, Frankfurt/Main 1973 S. 21 f.

  15. I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, S. 11— 14.

  16. Vgl. Wolfgang Franke, Das Jahrhundert der chinesischen Revolution 1851— 1949, München 1958.

  17. Vgl. Eva Hesse, Die Wurzeln der Revolution, a. a. O., S. 230. In diesem Zusammenhang gelingt es der Vf., einen Bogen von Konfuzius zu Mao zu schlagen, in dem Mao als Vollstrecker von Konfuzius erscheint, der die Lehre vom „Mandat" (des Himmels) und damit die „Revolution in Permanenz" entwickelt habe, woraus sich, u. a. durch die Rezeption Chinas in der Aufklärung, die . Chinesische Wurzel der Revolution" (so ein Kapitel) erkläre.

  18. Vgl. oben Anm. 7.

  19. Für eine sowjetische Erledigung dieses Dogmas vgl. E. M. Staerman, Progressive und reaktionäre Klassen im spätrömischen Kaiserreich, in: M. Kossok (Hrsg.), Studien über die Revolution, Berlin 1969, S. 19— 32. Für einen aufschlußreichen Erfahrungsbericht über die Rezeption dieses weniger marxistisch als stalinistischen Dogmas in Teilen der heutigen Studentengeneration vgl. Wolfgang Schuller, „Sklavenarbeit und technischer Fortschritt im römischen Reich". Franz Kiechles Buch in der Dis-

  20. Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter. Von der Römerzeit bis zu den Zunftkämpfen, Graz-Köln 1954, 2. Auf). 1973, Kapitel II: „Die Eidgenossenschaft in den älteren Städten", S. 98— 129; für die Stadt Köln vgl. jetzt Toni Diedrich (Hrsg.), Revolutionen in Köln 1074— 1918, Köln 1974, Historisches Archiv, S. 11— 15. Ferner die ältere, noch immer lehrreiche Einführung von Henri Pi-renne, Les villes du Moyen Age, Brüssel 1927; englisch: Medieval Cities. Their Origins and the Revival of Trade, Princeton, N. J., 4. Aufl. 1973, vor allem Kap. VI, „The Middle Class", S. 130— 167. Allgemein jetzt auch Edith Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1972, 2. Aufl.

  21. Allgemein Henri Pirenne, Sozial-und Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter, Bern 1946, 2. Aufl. München 1971.

  22. Norman Cohn, The Pursuit of the Millennium. Revolutionary millenarians and mystical anarchists of the Middle Ages, London 1970, 3. Aufl. 1972.

  23. Vgl. oben Anm. 20.

  24. Achatz Freiherr von Müller, Ständekampf oder Revolution? Die Ciompi-Bewegung in Florenz (1343— 1378), in: I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, S. 54— 75.

  25. Vgl. jetzt vor allem das repräsentative Werk der DDR-Geschichtsschreibung zu diesem Thema mit vorzüglichen Illustrationen: Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Autorenkollektiv: Adolf Laube, Max Steinmetz, Günter Vogel, Berlin (Ost) 1974. Für einen Einblick in die DDR-Forschung und -Diskussion über den Bauernkrieg vgl. Rainer Wohlfeil (Hrsg.), Reformation oder frühbürgerliche Revolution?, München 1972; ders. (Hrsg.), Der Bauernkrieg 1524— 26. Bauernkrieg und Reformation, München 1975, vor allem S. 35— 42. In der DDR wurde auch der Stammvater der liberal-sozialistischen Bauernkriegsforschung (Wilhelm Zimmermann, Der Große Deutsche Bauernkrieg, Volksausgabe, Berlin (Ost) 1975) neu herausgebracht, auf dessen Darstellung sich Friedrich Engels in seinem Buch „Der deutsche Bauernkrieg" weitgehend stützte.

  26. Vgl. vor allem Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg, München/Berlin 1933, 10. Aufl. Darmstadt 1975; Horst Buszello, Der deutsche Bauern-krieg von 1525 als politische Bewegung, Berlin 1969. Als problemorientierter Forschungsbericht s. Franklin Kopitzsch, Bemerkungen zur Sozialgeschichte der Reformation und des Bauernkrieges, in: R. Wohlfeil (Hrsg.), Der Bauernkrieg, S. 177 bis 218; vgl. auch die folgende Anm. 27.

  27. Als vorzüglichen überblick, allerdings unter Einbeziehung städtischer Konflikte, vgl. Michel Mollat/Philippe Wolff, The Populär Revolutions of the Late Middle Ages, London 1973; dazu auch der bald erscheinende Sammelband mit den Referaten des Memminger Internationalen Symposiums „Revolte und Revolution in Europa“. Vgl. auch die inhaltlich instruktive, allerdings sprachlich schwer-fällige Studie von Horst Gerlach, Der englische Bauernaufstand von 1381 und der deutsche Bauern-krieg: Ein Vergleich, Meisenheim am Glan 1969.

  28. Vgl. Richard van Dülmen (Hrsg.), Das Täuferreich zu Münster 1534— 1535, dtv-Dokumente 4150, München 1974, mit einer guten Bibliographie, so daß hier nur die beiden letzten wichtigen Neuerscheinungen zum Thema genannt seien: Karl Heinz Kirchhoff, Die Täufer in Münster 1534/35. Untersuchungen zum Umfang und zur Sozialstruktur der Bewegung, Münster 1973; Günther List, Chiliastisehe Utopie und radikale Reformation. Die Erneuerung der Idee vom Tausendjährigen Reich im 16. Jahrhundert, München 1973.

  29. Trevor Aston (Hrsg.), Crisis in Europe, 1560— 1660. Essays from Past and Present, London 1965, 3. Aufl. 1969; Roland Mousnier, Peasant Uprisings in Seventeenth-Century France, Russia and China, London 1971, vor allem die Einleitung: „A Century of Revolts all over the World", S. XVII-XX, wo der Vf.den Bogen von Westeuropa bis Indien, China und Japan spannt. Für die Bedeutung des agrarischen Faktors in der modernen Revolution vgl. auch die ähnlich universalhistorisch weitgefaßte Untersusuchung von Barrington Moore: Social Origins of Dictatorship and Democracy. Lord and Peasant in the Making of the Modern World, New York 1966, 3. Aufl. Harmondsworth 1969; dt.: Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie. Die Rolle der Grundbesitzer und Bauern bei der Entstehung der modernen Welt. Frankfurt/Main 1969, 2. Aufl. 1974; ferner R. Forster/J. P. Greene (Hrsg.), Preconditions of Revolution in Early Modern Europe (vgl. oben Anm. 11) mit Beiträgen über die Niederlande, England, Spanien, Frankreich (Die Fronde) und Rußland.

  30. So das berühmte 24. Kapitel im 1. Band des „Kapital“ (MEW = Marx-Engels-Werke, Bd. 23): „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation", das leider in der neomarxistischen Dogmatik inzwischen als Nonplusultra sozialgeschichtlicher Forschung kanonisiert wurde. Für eine moderne sozial-und wirtschaftsgeschichtliche Darstellung des gleichen Gegenstands jetzt Christopher Hill, From Reformation to Industrial Revolution. The Pelican History of Britain, Vol. 2. 1530— 1780, London 1967, 4. Aufl. Harmondsworth 1971. Das Buch ist allerdings, wie Marx'ursprünglicher Ansatz, ganz auf England konzentriert und faßt „ursprüngliche Akkumulation", wie hier versucht, noch nicht in einem erweiterten Sinn als universalhistorische Kategorie. Vgl. auch Heinz Gollwitzer, Geschichte des weltpolitischen Denkens, I; Vom Zeitalter der Entdeckungen bis zum Beginn des Imperialismus Göttingen 1972 mit einer umfassenden Analyse der geistesgeschichtlichen Zusammenhänge.

  31. So J. W. Smit, The Netherlands Revolution (vgl. auch oben Anm. 11); dagegen die ältere, heute noch immer repräsentative Darstellung von Pietet Geyl: The Revolt of the Netherlands, 1555— 1609, London 1932, 6. Aufl. 1970.

  32. E. W, Bovill, The Golden Trade of the Moors, London 1958, 3. Aufl. 1970, vor allem S. 106— 119.

  33. Zur Literatur vgl. oben Anm. 31; dazu, von belgischer Seite, Henri Pirenne: Histoire de Belgique, 7 Bde., hier vor allem Bd. III und IV, 3. Aufl. Brüssel 1923, 1927.

  34. Horst Lademacher, Die Stellung des Prinzen von Oranien als Statthalter in den Niederlanden von 1572 bis 1584. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Niederlande, Bonn 1958.

  35. K. H. D. Haley, The Dutch in the Seventeenth Century, London 1972: C. R. Boxer, The Dutch Seabome Empire 1600— 1800, Harmondsworth 1973.

  36. C. Hill, The Intellectual Origins of the English Revolution, Oxford 1965, 3. Aufl. 1971, vor allem das Kapitel II, „London Science and Medicine", S. 14— 84.

  37. Da die Literatur zur Geschichte der Englischen Revolution unübersehbar ist, empfiehlt sich als beste Einführung das in sich schon wieder umfassende Werk des gegenwärtig wohl führenden Historikers über diese Periode, Christopher Hill, Oxford, dessen zahlreiche Bücher und Aufsatz-Sammlungen in der Regel auch als Taschenbücher zur Verfügung stehen: The Century of Revolution, 1603- 1714. London 1961; Puritanism and Revolution. Studies in the English Revolution of the 17th Century, London 1958; God’s Englishman. Oliver Cromwell and the English Revolution, London 1970; The World Turned Upside Down. Radical Ideas during the English Revolution, London 1972; vgl. auch oben Anm. 30 und 36. Als weitere Einführung eignet sich ferner der Reader von Lawrence Stone: Social Change and Revolution in England, 1540- 1640, London 1965, 5. Aufl. 1973.

  38. G. W. O. Woodward, Dissolution of the Monasteries, London 1966, 2. Aufl. 1969; Joyce Youings, The Dissolution of the Monasteries, London 1971 (zr Hälfte aus Dokumenten bestehend).

  39. James Harrington, The Commonwealth of Oceana, hrsg. von S. V. Liljegren, Heidelberg 1924; vgl. auch Jürgen Gebhardt, James Harrington, in: Eric Voegelin (Hrsg.), Zwischen Revolution und Restauration. Politisches Denken in England im 17. Jahrhundert, München 1968, S. 83— 111, vor allem S. 101 f.

  40. Vgl. C. Hill, The Century of Revolution, a. a. O., S. 28— 37.

  41. Ebenda, S. 119— 126.

  42. Vgl. S. A. G. Taylor, The Western Design. An Account of Cromwell’s Expedition to the Caribbean, Kingston, Jamaica, 1965, 2. Aufl. 1969; A. L. Rowse, The Expansion of Elizabethan England, London 1955, 2. Aufl. 1973, vor allem S. 175— 348.

  43. Für eine moderne Interpretation J. R. Jones: The Revolution of 1688 in England, London 1972.

  44. Vgl. Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, München 1971, S. 18 f„ 36 f., 43, 164, 190, mit dort verwendeter Literatur.

  45. David B. Davis, The Problem of Slavery in Western Culture, Ithaca, N. Y. 1966, S. 134; Herbert S. Klein, Slavery in the Americas. A Comparative Study of Virginia and Cuba, London 1967, S. 177. Allgemein vgl. Eric Williams, Capitalism and Slavery, Chapel Hill 1944, 2. Aufl. London 1964; Philip D. Curtin, The Atlantic Slave Trade. A Census, Madison 1969; Michael Craton, Sinews of Empire. A Short History of British Slavery, London

  46. Die uferlose Historiographie über die Amerikanische Revolution fällt in diesem Punkt noch ganz auseinander — bisher überwiegend vom weißen Standpunkt aus geschrieben, einerlei, ob affirmativ oder selbstkritisch, oder neuerdings auch vom afroamerikanischen. Als Ansatz zum Zusammenfassen beider zueinander gehörenden Aspekte — allerdings eher mit systematisch-politologischer Absicht, dazu noch belastet mit einem überzogenen theoretisch-ideologischen Anspruch — vgl. jetzt Heide Gerstenberger, Zur politischen Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft. Die Bedingungen ihrer historischen Konstitution in den USA, Frankfurt 1973.

  47. Vor allem Robert R. Palmer: The Age of the Democratic Revolution. A Political History of Europe and America, 1760— 1800, 2 Bde., Princeton, N. J. 1959/64; dt.: Das Zeitalter der demokratischen Revolution, 2 Bde. Frankfurt 1970; vgl. auch H. Gollwitzer: Geschichte des weltpolitischen Denkens, S. 253 f.

  48. Günther Moltmann, Atlantische Blockbildung im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1973.

  49. Zusammenfassend Helmut Böhme, Industrielle Revolution, in: Theodor Schieder (Hrsg.), Revolution und Gesellschaft. Theorie und Praxis der Systemveränderung, Freiburg 1973, S. 47— 63.

  50. Für die wichtigen ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme dieses historischen Prozesses vgl. die beiden Sammelbände von Rudolf Braun u. a. (Hrsg.), Industrielle Revolution. Wirtschaft-liehe Aspekte, Köln 1972; dies., Gesellschaft in der industriellen Revolution, Köln 1973.

  51. Vgl. oben Anm. 30.

  52. Vgl. oben Anm. 30.

  53. Boies Penrose, Travel and Discovery in the Renaissance, 1420— 1620, Cambridge, Mass. 1952, 4. Aufl. New York 1971; J. H. Parry: The Establishment of the European Hegemony: 1415—-1715. Trade and Exploration in the Age of the Renaissance, London 1959, 3. Aufl. 1966; ders., The Age of Reconaissance. Discovery, Exploration and Settlement 1450— 1650, London 1963, 2. Aufl. 1973.

  54. Das ist eines der wesentlichen, die Geschichte des weißen und schwarzen Amerika zulässig verknüpfenden Ergebnisse der Geschichtsschreibung von afroamerikanischer Seite. Als Beispiel für viele vgl. John H. Franklin, From Slavery to Freedom. A History of Negro Americans, New York 1947, 4. Aufl. 1969, vor allem das Unterkapitel „Emergence of the Cotton Kingdom“, S. 171— 175. Allgemein vgl. Eugen D. Genovese, The Political Economy of Slavery, New York 1965.

  55. Allgemein vgl. Eric J. Hobsbawm, Industrie und Empire. Britische Wirtschaftsgeschichte seit 1750, 2 Bde., Frankfurt 1969; Robin M. Reeve, The Industrial Revolution 1750— 1850, London 1971.

  56. Albert Soboul, Die Große Französische Revolution, 2 Bde., Frankfurt 1973.

  57. A.de Tocqueville, L’Ancien Regime et la Revolution, Paris 1856, mit zahlreichen Auflagen und Übersetzungen seitdem; in deutscher Sprache zuletzt: Der Alte Staat und die Revolution, rororo Klassiker 234/235, Reinbek 1969. Der Band ist leider seit langem vergriffen; bis zur wünschenswerten Neuauflage s. als Ersatz die etwa auf die Hälfte komprimierte Auswahl bei I. Geiss (Hrsg.), Tocqueville und das Zeitalter der Revolution, München 1972, S. 138— 205, dazu Teile aus dem fragmentarisch gebliebenen zweiten Band des „Ancien Regime“, S. 211— 231.

  58. Vgl. oben Anin. 56.

  59. Walter Grab (Hrsg.), Die Französische Revolution. Eine Dokumentation, München 1973; s. vom selben Herausgeber demnächst auch den Sammelband: Die Diskussion um die Französische Revolution, München 1975.

  60. Die verschiedenen Verfassungen Frankreichs zwischen 1791 und 1799 lassen sich jetzt auch in deutscher Übersetzung bei W. Grab, Die Französische Revolution, nachlesen.

  61. Das ist ein Gesichtspunkt, den die traditionelle preußisch-deutsche Geschichtsschreibung bisher weitgehend ignoriert hat, der aber für das polnische Nationalbewußtsein zu Recht eine große Rolle spielt; vgl. Martin Broszat: 200 Jahre deutsche Polenpolitik, München 1963, 2. Aufl. Frankfurt 1972, S. 53— 65, der diesen Aspekt endlich zur Geltung kommen läßt.

  62. W. Grab, Französische Revolution und deutsche Geschichtswissenschaft, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv, III/1974, S. 11— 43, mit für sich sprechenden Beispielen.

  63. Für eine eingehendere Analyse unter Verwendung der neueren Literatur vgl. jetzt Inge Stephan: Wachstumskrisen und Herrschaftsstrukturen.: Die-Französische Revolution,'in: L Geiss/R. Tamchinä, a. a. O., Bd. 2, S. 76— 102; vgl. auch dies., Antoine Barnaves Revolutionstheorie, in: Jahrbuch, Tel Aviv, III/1974; S. 45— 72. * : ''£’ '

  64. Die Forschung hat, in der Gesellschaftspyramide ungefähr von oben nach unten vorgehend, erst in den letzten Jahrzehnten die Sansculotten erreicht. Hauptvertreter der Sansculotten-Forschung ist Albert Soboul: Les sans-culottes parisiens en Tan II. Histoire politique et sociale des sectiohs de Paris, 2 juin 1793 — 9 thermidor an II. Paris 1958. Der Mittelteil in-deutscher Übersetzung von Walter Markov unter dem Titel: Die Sektionen von Paris im Jahre II, Berlin (DDR) 1962; vgl. auch W. Markov/A. Sqboul(Hrsg.), Die Sansculotten von Paris. Doküniente ‘zur " Geschichte * der Volksbewegung 1793— 1794, Berlin 1956; weitere Literatur bei 1 Stephan, Die Französische Revolution, S. 101, Anm. 24— 26. ''

  65. Einen Sonderfall in diesem west-östlichen Gefälle stellt natürlich Polen dar; vgl. oben Anm. 61. Für einen guten Überblick vgl. Louis Bergeron u. a., Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780 bis 1948. Fischer Weltgeschichte Bd. 26, Frankfurt 1969, S. 88 ff.

  66. Für eine ältere und eigenwillige, heute aber noch immer lesbare und wertvolle Darstellung vgl. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 4 Bde., Freiburg 1929/37, 2. Aufl. 1948/51; als Taschenbuch in 8 Bänden 1964/65, vor allem Bd. 2 und 3; für die preußischen Reformen jetzt Reinhart Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung 1791 bis 1848, Stuttgart 1967; Heinrich Scheel (Hrsg.), Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs-und Verwaltugsgeschichte aus den Jahren 1807/08, 3 Bde., Berlin (Ost) 1966/68.

  67. Die internationale Jakobiner-Forschung hat sich im letzten Jahrzehnt rasch ausgedehnt. Für Deutschland bildeten den Auftakt Heinrich Scheel, Süddeutsche Jakobiner. Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin (Ost) 1962; W. Grab, Demokratische Strömungen in Hamburg und Schleswig-Holstein zur Zeit der Ersten Französischen Republik, Hamburg 1966. Eine erste vergleichende Zusammenfassung ist demnächst von einem von W. Grab organisierten internationalen Symposium in Berlin zu erwarten.

  68. Bisher leider nur in französischer Sprache vorliegend die beste zusammenfassende Übersicht von Dimitrij Djordjevic: Revolutions nationales des peuples balkaniques, 1804— 1914, Belgrad 1965. Eine deutsche Ausgabe wäre dringend erwünscht.

  69. Vgl. auch M. S. Anderson, The Eastern Ques-tion, 1774— 1923, London 1966, 4. Aufl. 1972, S. 53— 77.

  70. Carsten Goerke u. a., Rußland. Fischer Weltgeschichte Bd. 31, Frankfurt 1973, S. 213 f.; Lionel Kochan, The Making of Modern Russia, London 1962, 3. Aufl. Harmondsworth 1967, S. 143.

  71. Friedemann Büttner (Hrsg.), Reform und Revolution in der islamischen Welt. Von der osmanischen Imperialdoktrin zum arabischen Sozialismus, München 1971, S. 8— 10.

  72. John Lynch, The Spanish American Revolutions, 1808— 1826, London 1973, S. 41 ff.

  73. V. M. Dahlin, Babeuf-Studien. Gedenkband aus Anlaß des 200. Geburtstages von Gracchus Babeuf am 23. 11. 1960, eingeleitet und hrsg. von W. Markov, Berlin (Ost) 1961; Karl Hans Bergmann, Babeuf. Gleich und Ungleich, Köln/Opladen 1965.

  74. Eine gute Analyse und Darstellung findet sich in der Fischer Weltgeschichte, Bd. 26, S. 199— 222.

  75. Ebenda, S. 222 ff.

  76. Als allgemeiner Überblick über die Geschichte Haitis vgl. James G. Leybum, The Haitian People, New Haven 1941, überarbeitete 2. Aufl. New Haven/London 1966; als Darstellung des Unabhängigkeitskampfes, die, ideologisch etwas stilisierend, schon im Titel die Ereignisse in Verbindung zur Französischen Revolution bringt, vgl. C. L. R. James, The Black Jacobins. Toussaint L'Ouverture and the San Domingo Revolution, 2. Aufl. New York 1963.

  77. I. Geiss, Panafrikanismus. Zur Geschichte der Dekolonisation, Frankfurt 1968, S. 105— 107.

  78. Allgemein vgl. H. Gollwitzer, Ideologische Blockbildung als Bestandteil internationaler Politik im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 3/201, 1965, S. 306— 333.

  79. L. Bergeron u. a., Fischer Weltgeschichte, Bd. 26, S. 262— 295, mit dort angegebener Literatur.

  80. Dazu jetzt ausführlic Hans Setzer, Wahlsystem und Parteientwicklung in England. Wege zur

  81. Als knappe Skizze ebenda S. 45— 51; an älterer Literatur vor allem R. G. Gammage, History of the Chartist Movement, 1837— 1854, London 1854, 3. Aufl. 1969; Mark Hovell, The Chartist Movement, London 1918, 7. Aufl. 1966, mit einem Bericht über die neuere Literatur ebenda, S. III—IX; G. D. H. Cole, Chartist Portraits, London 1941, 2. Aufl. 1965; Asa Briggs, Chartist Studies, London

  82. Guy Palmade, Das bürgerliche Zeitalter, Fischer Weltgeschichte, Bd. 27, Frankfurt 1974, S. 9— 67. Ausführlicher: Jean Sigmann, 1848. The Romantic and Democratic Revolutions in Europe, London

  83. Für die innere Entwicklung Ungarns 1848/49 vgl. I. Barta u. a„ Die Geschichte Ungarns, Budapest 1971, bes. das Kapitel „Die bürgerliche Revolution und der nationale Unabhängigkeitskrieg", S. 299— 334.

  84. Gustav Mayer, Die Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie in Deutschland, 1863— 1870, in: ders., Radikalismus, Sozialismus und bürgerliche Demokratie, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt 1969, S. 108— 178.

  85. Umfassend jetzt Charles Bloch, Die Dritte Französische Republik. Entwicklung und Kampf einer parlamentarischen Demokratie 1870— 1940, Stuttgart 1972.

  86. Theodore S. Hamerow, The Origins of Mass Politics in Germany 1866— 1867, in: I. Geiss/B. J. Wendt (Hrsg.), Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (Festschrift für Fritz Fischer), Düsseldorf 1973, S. 105— 120; für die in Deutschland implizierte Staatsstreichproblematik vgl.den grundlegenden Aufsatz von Michael Stürmer, Staatsstreichgedanken im Bismarckreich, in: Historische Zeitschrift, 3/209, 1969, S. 566— 615.

  87. G. Palmade (Hrsg.), Das bürgerliche Zeitalter, Fischer-Weltgeschichte, Bd. 27, S. 262— 269, mit der dort genannten Literatur.

  88. Vladimir Dedijer, The Road to Sarajevo, New York/London 1966; dt.: Die Zeitbombe, 1967. Robert A. Kann, Werden und Zerfall des Habsburger Reiches, Graz 1962.

  89. Hans Kohn, Die Slawen und der Westen. Die Geschichte des Panslawismus, Wien 1956.

  90. Vgl. oben Anin. 88. Für eine ebenso scharfsinnige wie eigenwillige Analyse des Zweibunds von 1879, seine Voraussetzungen und Wirkungen vgl. Stephan Verosta, Theorie und Realität von Bündnissen. Heinrich Lammasch, Karl Renner und der Zweibund (1897— 1914), Wien 1971, vor allem S. 83— 139; dort auch ein vorzügliches Kapitel über die magyarische Problematik, „Größe und Torheit der Magyaren", S. 207— 226.

  91. Zum Jubiläumsjahr der Pariser Kommune, 1971, erschien eine Fülle von höchst unterschiedlichen Publikationen, u. a.: Helmut Svoboda (Hrsg.), Die Pariser Kommune 1871, München 1971; Peter M. Schneider (Hrsg.), Die Pariser Kommune 1871, Reinbek 1971, 2 Bde.; Franz Jellinek, The Paris Commune of 1871, London 1971; Steward Edwards, The Paris Commune, London 1971.

  92. Werner Pöls, Sozialistenfrage und Revolutionsfurcht in ihrem Zusammenhang mit den angeblichen Staatsstreichplänen Bismarcks, Lübeck/Hambürg 1960.

  93. Eine, wenigstens skizzenhafte, vergleichende Analyse dieser zahlreichen Konflikte wäre dringend erwünscht. Sie fehlt in den gängigen Darstellungen des modernen Imperialismus.

  94. Allgemein vgl. Ahmad Feroz, The Young Turks. The Committee of Union and Progress in Turkish Politics 1908— 1914, Oxford 1969.

  95. V. Dedjier. Die Zeitbombe, a. a. O.

  96. Vgl. Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914— 1918, Düsseldorf 1961, 3. Aufl. 1964; I. Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Eine Dokumentensammlung, 2 Bde., Hannover 1963/64, mitsamt der sich anschließenden Diskussion; vgl. auch für die inneren Faktoren jetzt Dieter Groh, „Je eher, desto besser!". Innenpolitische Faktoren für die Präventivkriegsbereitschaft des Deutschen Reiches 1913/14, in; Politische Vierteljahresschrift, 3/1972, S. 501— 521.

  97. Beispiele für die hier als „proletarische Revolution" dargestellten Prozesse behandelt eine nehr systematische Analyse von John Dunn: Moderne Revolutionen. Analyse eines politischen Phänomens, Stuttgart 1974, nämlich Rußland, Mexiko, China, Jugoslawien, Vietnam, Algerien, Türkei. Kuba, mit jeweils nützlichen Bibliographien und chronologischen Datentabellen.

  98. Im Schnittpunkt beider Interessen vgl. Klaus Meschkat, Die Pariser Kommune von 1871 im Spiegel der sowjetischen Geschichtsschreibung, Wiesbaden 1965.

  99. Allgemein vgl. Georges Haupt, Programm und Wirklichkeit. Die internationale Sozialdemokratie vor 1914, Neuwied 1970.

  100. Aus der umfangreichen Literatur seien hier nur zwei leicht erreichbare Taschenbände genannt: Wolfgang Abendroth, Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie, Frankfurt 1964, und Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 3. Aufl. München 1973. Als Materialsammlung und mit einer nützlichen, wenn auch knappen Übersichts-Bibliographie jetzt auch die offiziöse Publikation Heinrich Potthoff/Susanne Miller, Kleine Geschichte der SPD, 2 Bde., Bonn-Bad Godesberg 1974.

  101. Für eine vergleichende Skizze s. W. Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung, Frankfurt 1965.

  102. Als beste Einführung vgl. noch immer die seit ihrem ersten Erscheinen (1925/27) immer wieder erweiterte und verbesserte Darstellung von G. D. H. Cole, A Short History of the British Working Class Movement, 1789— 1947, 7. Aufl. 1960, vor allem S. 237 ff.

  103. Hans Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 1964.

  104. Dietrich Geyer, Die Russische Revolution. Historische Probleme und Perspektiven, Stuttgart 1968; ders., Oktoberrevolution, in: T. Schieder (Hrsg.), Revolution und Gesellschaft, S. 117— 161; ders. (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft im vor-revolutionären Rußland, Köln 1975, u. a. mit einer vorzüglichen Bibliographie; Karl-Heinz SchlarP, Revolution und ökonomische Rückständigkeit. Die Russische Revolution als Modellfall, in: I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, S. 103— 128; Edward H. Carr, The Bolshevik Revolution 1917— 1923, 3 Bde., New York/London 1950/53, 5. Aufl. Harmondsworth 1973; Lionel Kochan, Russia in Revolution, 1890— 1918, London 1966.

  105. Vgl. Jörg Berlin, Strukturkrise des Deutschen Reichs. Die Revolution 1918/19, in: I. Geiss/R. Tam-China, a. a. O., Bd. 2, S. 129— 149. Zur neueren Literatur vgl.den Literaturbericht von H. Grebing, Konservative Republik oder soziale Demokratie? Zur Bewertung der Novemberrevolution in der neueren westdeutschen Historiographie, in: Eberhard Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Köln 1972, S. 386— 403; nützlich selbstverständlich auch der gesamte von E. Kolb herausgegebene Band.

  106. Walter Tormin, Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie. Die Geschichte der Rätebewegung in der deutschen Revolution 1918/19, Düsseldorf 1954; Eberhard Kolb, Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918— 1919, Düsseldorf 1962; Peter von Oertzen, Betriebsräte in der Novemberrevolution. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung über Ideengehalt und Struktur der betrieblichen und wirtschaftlichen Arbeiterräte in der deutschen Revolution 1918/19, Düsseldorf 1963; allgemein auch Helmut Neubauer (Hrsg.), Deutschland und die Russische Revolution, Stuttgart 1968.

  107. Das ist natürlich der Grundtenor der DDR-Geschichtsschreibung, vgl. Thesen des Zentralkomitees der SED über die Novemberrevolution 1918 in Deutschland aus dem Jahr 1958, in: E. Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, S. 369— 385; für eine westdeutsche Variante vgl. Sebastian Haffner, Die verratene Revolution. Deutschland 1918/19, Bern/München 1969.

  108. W. Franke, Das Jahrhundert der chinesischen Revolution, a. a. O.; vgl. auch Helmut Bley, Zusammenhänge zwischen Industrialisierung und Revolution. Erläutert am Beispiel der Entwicklung in Japan und China, in: I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, S. 150— 175.

  109. Paul Akamatsu, Meiji 1868. Revolution and Counter-Revolution in Japan, London 1972.

  110. Allgemein vgl. Henri Grimal, La Decolonisation 1919— 1963, Paris 1965; Franz Ansprenger, Auflösung der Kolonialreiche, dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 13, München 1966.

  111. Bernhard Dahm, Sukarnos Kampf um Indonesiens Unabhängigkeit, Frankfurt 1966; ders., Emanzipationsversuche von kolonialer Herrschaft in Südostasien, Wiesbaden 1974.

  112. Zum Verständnis der historischen Voraussetzungen auf vietnamesischer Seite vgl. Jean Chesnaux, Geschichte Vietnams, Berlin (Ost) 1963; ders., Vietnam. Geschichte und Ideologie des Widerstandes, Frankfurt 1968.

  113. Der Zusammenhang wird faßbar in der politischen Entwicklung von Jürgen Horlemann, vom (offensichtlich führenden) Ko-Autor der bisher noch immer besten westdeutschen Darstellung des Vietnamkriegs (J. Horlemann/Peter Gäng, Vietnam. Genesis eines Konflikts, Frankfurt 1966) zum führenden Funktionär der neuen KPD. Ähnlich ist, zumindest äußerlich, die Baader-Meinhof-Problematik mit dem Vietnamkrieg verknüpft, nämlich über die Frankfurter Kaufhausbrandstiftung 1968 als Protest gegen den Vietnamkrieg.

  114. Als erster Überblick nach Ländern noch immer brauchbar (leider ohne wissnschaftlichen Apparat und Bibliographie) James Cameron, The African Revolution, London 1961; für eine knappe Analyse vgl. Hans Detlef Laß, Nationale Befreiung und sozialer Wandel. Dekolonisation und Revolution in Afrika, in: I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, S. 202— 224.

  115. Allgemein I. Geiss, Panafrikanismus, a. a. O.

  116. Allgemein jetzt Monica Wilson/Leonard Thompson (Hrsg.), The Oxford History of South Africa, 2 Bde., Oxford 1969, 3. Aufl. 1973.

  117. Für eine nüchterne Analyse vgl. Heribert Adam, Südafrika — Soziologie einer Rassengesellschaft, Frankfurt 1969; jetzt auch H. D. Laß, Nationale Befreiung, a. a. O., S. 216— 219.

  118. Vorläufig sei daher nur auf Hans-Joachim König, Nationale Befreiung und sozialer Wandel. Unabhängigkeit, Unterentwicklung, Agrarreform in Lateinamerika, in: I. Geiss/R. Tamchina, a. a. O., Bd. 2, S. 176— 201, verwiesen.

  119. Vgl. jetzt Erhard Eppler, Ende oder Wende. Von der Machbarkeit des Notwendigen, Stuttgart

Weitere Inhalte

Imanuel Geiss, Dr. phil., geb. 1931 in Frankfurt/Main; Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Der polnische Grenzstreifen. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersteh Weltkrieg, Hamburg und Lübeck 1960 (polnische Ausgabe, Warschau 1964); Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Eine Dokumenten-sammlung, 2 Bde., Hannover 1963/64; Juli 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, München 1965 (dtv 293); Gewerkschaften in Afrika, Hannover 1965; Panafrikanismus. Zur Geschichte der Dekolonisation, Frankfurt/Main 1968; Die Afro-Amerikaner, Frankfurt/Main 1969; Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfurt/Main 1972 (edition suhrkamp 569); Was wird aus der Bundesrepublik? Die Deutschen zwischen Sozialismus und Revolution, Hamburg 1973; (mit Rainer Tamchina, Hrsg.), Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft, 2 Bde., München 1974.