Abschied vom Protest oder Ruhe vor dem Sturm? Studenten und Politik in der Bildungskrise
Karl-Josef Does
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Zusammenfassung
4. So mobilisierend das Stichwort „Reform'Anfang der siebziger Jahre wirkte, so desillusionierend muß es letztlich sein, wenn im Zusammenhang der verschiedensten Krisen die prinzipielle Kritik an der politischen Illusion den „Zeitgeist" bestimmt. Einsicht in die Grenzen des „Machbaren" trifft sich mit der Selbstgewißheit derjenigen, die es „immer schon gewußt" haben. Skepsis war die herrschende Stimmungslage in den „Zeitgeist" produzierenden und reproduzierenden Gazetten, die allenthalben zur Suche nach der Tendenzwende aufbrachen. Ob das latente Protestpotential wieder manifest wird, hängt nicht von einer einzelnen Ursache ab, genausowenig, wie politische (Selbst-) Disziplinierung in einem Einzelaspekt der politischen Atmosphäre (z. B.dem „Radikalenerlaß") begründet liegt. Entscheidend ist hier wie dort das Zusammenwirken vieler Faktoren. Die Bildungskrise allein wird noch kein Protestpotential in größerem Ausmaß aktivieren können; dazu sind ihre restriktiven Konsequenzen wohl zu stark. Jedoch könnte hier der Ausgangspunkt für kumulative Wirkungen aus anderen Ursachenbereichen liegen. Kurzfristig ist es sicherlich einfacher für das politische System, die drohenden Konflikte durch die Gewährung scheinbarer Freiräume zurückzudrängen. Auf lange Sicht aber kann dies nur zu einem Stau von Konflikten führen: Solches Taktieren verlängert die Ruhe vor dem, was ein erfrischender Wind sein, was aber auch ein zerstörerischer Sturm werden könnte. Die Demokratie lebt jedoch von der Konfliktartikulation, nicht von deren Verdrängung und Unterdrückung.
Kaum waren in den letzten Jahren die sichtbaren Zeichen studentischen Protestes und des Interesses in der Politik verschwunden oder jedenfalls seltener geworden, da wurden in der veröffentlichten Meinung Stimmen laut, die in fast wehmütiger Erinnerung an eine kritische und protestierende Studenten-generation eine vermeintliche politische Profillosigkeit der heutigen akademischen Jugend beklagten. Befürchtungen wurden immer stärker, daß Wirtschaftskrise, staatliche Finanzkrise und Bildungskrise im Zusammenwirken zu einer politischen Disziplinierung der Jugend, damit unweigerlich zu einem in dieser Art nicht wünschbaren Konformismus und zu politischer Apathie führen werde Zumindest unterschwellig kommt die Sorge zum Vorschein, daß eine von besorgten Demokraten wohl zunächst mehr beschworene als geglaubte Tendenzwende hin zu einer gemäßigten ideologischen Orientierung der Studenten sich auf eine neue Art gegen das politische System wenden könnte: Die kritische Studentenschaft, der „Vorreiter" gesellschaftlichen Wandels, der „Sauerteig“ der Nation funktioniert offensichtlich nicht mehr.
Die Befürchtungen gelten jedoch nicht nur den unmittelbar politischen Aspekten des anhaltenden Klimawechsels. So verweist man auf den zunehmenden Konkurrenzdruck an den Schulen und Universitäten, der sich nicht nur in vermehrtem Auftreten psychischer Schäden unter Studenten und Schülern verdeutlicht, sondern darüber hinaus eine Umschichtung der Wertmaßstäbe nach sich zieht, die den bisherigen Stellenwert von Begriffen wie „Solidarität" und „Gemeinschaftssinn", ja das Konzept einer „humanen Schule" fundamental in Frage stellt Die Erörterung der Situation braucht nicht ohne immer neue reichhaltige Illustrationen von der „Numerus clausus-Front" auszukommen, wo die Entwicklung vereinzelt so groteske Formen anzunehmen beginnt, daß selbst der zynische Betrachter der Szene auf seine Kosten kommen dürfte Kongruente Veränderungen sind ebenfalls auf der kulturellen Szene zu beobachten: Die Literatur hat zum Rückzug aus der Politik geblasen und sucht selbstbesinnendes Engagement im Privaten auch in der Theaterlandschaft dominiert der „Rückgriff auf Bewährtes" In der (Auslands-) Presse beginnt man, zunächst vom Inland ungehört, in lauteren Tönen die Gefahr eines McCarthyismus in der Bundesrepublik zu beschwören Krise, Disziplinierung, Anpassung, Rückgriff auf Bewährtes — dies scheinen also kennzeichnende Stichworte für eine Situation, in der „Tendenzwende" eine selbst für politische Schlagworte bemerkenswerte Inflationierung erfuhr Damit ist ein bezeichnender Rahmen für eine Untersuchung über politische Orientierungen der akademischen Jugend in der Bundesrepublik abgesteckt, deren wesentliche Ergebnisse im folgenden vorgestellt werden Das Erkenntnisinteresse der Studie richtete sich entsprechend schwerpunktmäßig auf zwei Fragestellungen: a) Wirken sich die ungelösten bildungspolitischen Probleme an den Hochschulen auf die politischen Einstellungen und auf politisches Verhalten der Betroffenen aus? b) Worin unterscheidet sich die heutige Studentengeneration über ihre offen-sichtlich veränderte „objektive Situation* hinaus von der „Protestgeneration" der sechziger Jahre?
Abbildung 7
Tabelle 6
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Die Ergebnisse der Studie liefern sicherlich keine erschöpfenden Antworten, jedoch geben sie einige Hinweise, die auf ihre politische Relevanz hin zu prüfen sind. Zunächst sind hier einige Grundlinien des Bildes aufzuzeigen, das die Betroffenen von ihrer eigenen Situation zeichnen, um dann einige Aspekte der „politischen Kultur" der akademischen Jugend im Kontext dieser Situation zu bewerten. Zum Vergleich sind einige Ergebnisse von Untersuchungen aus Tagen der Studentenbewegung herangezogen; dies erleichtert die heutige Standortbestimmung und macht gleichzeitig die Bewertung weniger beliebig.
I. Die hochschul-und bildungspolitische Lage aus der Sicht der Betroffenen
Abbildung 2
Tabelle 1
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37% der im Sommer 1975 befragten Studenten sind in ihrem Studienfach von Zugangs-beschränkungen betroffen; so erhielten 20 % ihr Studienfach nur aufgrund ihres Noten-durchschnittes, 7 % mußten einige Zeit auf den gewünschten Studienplatz warten, 4 % verlegten sich auf ein anderes Studium und 2 % studierten ein Ausweichfach. Die Situation hat sich insofern verschärft, als noch im Wintersemester 1973/74 nach eigenen Angaben nur 23 % der Studenten wissenschaftlicher Hochschulen vom Numerus clausus betroffen waren Diese Relationen muten auf den ersten Blick nahezu harmlos an; dieser Eindruck ändert sich jedoch schon, wenn man in absoluten Zahlen (hoch-) rechnet. Geht man davon aus, daß sich die Untersuchungsstichprobe im Sommersemester 1975 auf eine Grundgesamtheit von ca. 450 000 Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen bezieht, sind mindestens 165 000 Studenten in ihrem Fach vom Numerus clausus betroffen, 89 000 studieren nur aufgrund des Noten-durchschnittes, 31 000 haben gewartet, 18 000 haben ihren Studienwunsch aufgegeben, 10 000 blockieren zur Zeit Plätze in Ausweichfächern. Differenziert man nach Fachsemestern, dann verlieren die Relationen gänzlich ihre Harmlosigkeit und illustrieren die zunehmende Problematik des Numerus clausus in den letzten Jahren. Bei den Erstsemestrigen z. B.sehen sich mehr als 50 % vom Numerus clausus betroffen, 16% von ihnen haben auf den Studienplatz gewartet, 6% betreiben ein Ausweichstudium und bereits jeder zehnte hat sich zu einem anderen Studium entschlossen. Betroffen sind mittlerweile alle Fachbereiche, so daß sich hier keine sehr großen Unterschiede mehr ergeben, sieht man von der Ausnahmesituation bei den Medizinern ab. Dort macht die Aussicht auf spätere materielle Belohnungen das Fach so attraktiv, daß 35 % der Medizinstudenten in Kauf genommen haben, auf den Studienplatz zu warten (vgl. Tab. 1). Die tatsächlichen Zahlen liegen eher über als unter diesen Angaben. Man kann wohl zur Zeit davon ausgehen, daß jährlich ca. 35 000 Studierwillige keinen Studien-B platz erhalten Für das Wintersemester 1975/76 mußte die ZVS 45 000 Bewerbern endgültig ablehnenden Bescheid geben. Es fehlten z. B. 23 000 Plätze für Medizin, je 5 000 für Zahnmedizin und Psychologie, 3 000 in Pharmazie und ca. 2 000 in Biologie
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Tabelle 7
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Es kann nicht ohne einen gewissen Beigeschmack von Zynismus bleiben, die quantitativen Relationen des Problems hervorheben zu müssen, wo eigentlich die verfassungsethische Relevanz von Einzelschicksalen im Vordergrund zu stehen hätte, selbst dann, wenn die Verfassungskonformität der Zulassungsbeschränkung im Prinzip und formal bestätigt ist. Verfassungskonform sind sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 13. Juli 1972 dann, wenn „Vergleichbarkeit von Anforderungen“ gewährleistet ist. Die Anwendung dieses Kriteriums mag zwar laut juristischer Abstraktion erfüllt sein; von einer Legitimation der Entscheidungskriterien kann jedenfalls dann keine Rede sein, wenn man sie nicht von einer grotesken Scheingerechtigkeit, sondern von der Akzeptierung durch die Betroffenen abhängig macht. So einschneidend nämlich die Zugangsbeschränkungen für die Studienbewerber sind, so einhellig werden die praktizierten Zulassungskriterien abgelehnt: Nur 16% halten das Auswahlverfahren für gerecht, % enthalten sich einer Beurteilung und 72 % disqualifizieren die Verfahren als ungerecht 12). Diese negative Beurteilung geht quer durch die Reihen einzelner Gruppierungen, sieht man einmal davon ab, daß sich positive Stellungnahmen vergleichsweise etwas häufiger bei Studenten in Bayern sowie unter den Jurastudenten finden. Als Begründung für die Ungerechtigkeit des Auswahlverfahrens wird eine Vielzahl detaillierter Kritikpunkte angeführt. Im Vordergrund steht erwartungsgemäß Kritik daran, daß die Studienchance an die Abiturnote gebunden ist. Ein eher prinzipieller Bezug der Kritik findet sich bei 6 % der Unzufriedenen, die die soziale Chancengleichheit verletzt sehen. Negative Auswirkungen des Leistungsdrucks stehen bei 7 % im Vordergrund. Es ergeben sich keine wesentlichen Verschiebungen der Kritikschwerpunkte, wenn man die Befragten nach Semesterzahl gruppiert. Unterschiede dagegen gibt es zwischen einzelnen Fachbereichen. So wird die Subjektivität der Notengebung besonders von Studenten der Naturwissenschaften hervorgehoben; Mediziner wenden sich in erster Linie dagegen, daß alle Fächer mit in die Bewertung einbezogen werden. Entsprechend dieser Kritik -bevorzu gen sie häufig -vergleichsweise „fachspezifi sche Eignungstets" als Problemlösungsalternative. Allgemein ist die Kritik an den Zuständen von einer weitgehenden Ratlosigkeit darüber begleitet, wie man die Probleme lösen könnte, wenn man vom „weiteren Ausbau der Hochschulen" absieht. Vorschläge, die auf eine Kürzung und Straffung des Studiums hinauslaufen, lehnt man bezeichnenderweise nahezu einhellig ab oder zieht sich allenfalls auf abstrakte Leerformeln wie „Neustrukturierung der Studiengänge" zurück.
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Tabelle 8
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Die langjährigen Bemühungen der Bildungspolitiker als Hochschul-und Studienreformer haben sich offensichtlich im günstigen Fall überhaupt nicht auf die Betroffenen ausgewirkt (44 % äußern sich dementsprechend);
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für fast jeden dritten haben sie jedenfalls zu negativen Konsequenzen geführt; nur 12 % sehen positive Ergebnisse. Damit stellt sich die Beurteilung im Sommer 1975 um einiges skeptischer dar als noch eineinhalb Jahre früher, als bei identischer Fragestellung 24 % der Studierenden an wissenschaftlichen Hochschulen die Auswirkungen der Reformen positiv beurteilten, 24 % negative und 27 % keine Auswirkungen sahen Die Kritik an Prüfungsordnungen und Studienabläufen ist dabei sehr detailliert und bezeichnet die bekannten Mängel. Die Unzufriedenheit wird um so deutlicher, je länger die Betroffenen studieren und insofern wohl auch in der Lage sind, eine kritische Distanz zum Studienbetrieb zu gewinnen. Will man noch Schwerpunkte setzen, dann sind es in Wiso-Fakultäten und noch mehr bei Juristen der Studienbetrieb, bei Medizinern die Prüfungsordnung, auf die sich die Kritik vornehmlich richtet. Didaktische Unzulänglichkeiten (11%), Massenveranstaltungen (11 %)
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und Praxisferne des Studiums (12%) liegen im Zentrum der Detailkritik. Unter mangelnder Qualifikation der Lehrkräfte leiden offensichtlich besonders Juristen und Lehramtskandidaten. Faßt man die Befunde zu einem Gesamteindruck zusammen, so bilden diese Einstellungen nicht nur ein Spiegelbild von Fakten, sondern ebenfalls der Ratlosigkeit und Verwirrung in der interessierten Öffentlichkeit unter den Politikern. Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang die eher resignierende Haltung gegenüber Verantwortlichkeiten und Problemlösungskompetenz der Bildungspolitiker. Fragt man nach den Ursachen für zu erwartende verschlechterte Berufsaussichten von Akademikern, nehmen hier nur 3 % Bezug auf eine „verfehlte Bildungspolitik"; in erster Linie werden in der aktuellen Wirtschaftslage, der Finanzkrise des Staates oder einfach im „Überangebot" von Bewerbern die Ursachen gesehen. Letzteres trifft besonders für Juristen zu, während bei Studenten der philosophischen Fachbereiche, dies sind in erster Linie also Kandidaten für das höhere Lehramt, Einsparungen im Fachbereich maßgebend sind und noch am ehesten eine Verbindung zu Fehlern und Versäumnissen der Bildungspolitik gesehen wird.
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Tabelle 11
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Geht man davon aus, daß noch vor einigen Jahren ein Universitätsexamen nahezu als ein Freibrief für überdurchschnittlich gute Berufs-Perspektiven zu betrachten war, dann zeugt es von weitgehender Ernüchterung und Pessimismus, wenn weniger als die Hälfte der Studierenden ihre beruflichen Aussichten als „gut" und zum geringsten Teil als „sehr gut" einstufen. Eine Ausnahme machen hier allerdings — wie zu erwarten — die Mediziner, die mit ungebrochenem Optimismus in ihre berufliche Zukunft schauen. Allgemein wird die Situation um so pessimistischer gesehen, je weiter der Eintritt ins Berufsleben noch in der Zukunft liegt. Beruflicher Pessimismus orientiert sich also nicht nur an kurzfristigen Aspekten der aktuellen wirtschaftlichen Lage, sondern ist durchaus von einer längerfristigen Perspektive getragen, in der der strukturelle Aspekt einer möglichen Akademikerarbeitslosigkeit gesehen wird. Offensichtlich beginnt sich hier die Überzeugung durchzusetzen, daß in den nächsten Jahren für die in Frage kommenden Positionen eine wachsende Zahl von Bewerbern zur Verfügung stehen wird und die eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt entsprechend sinken werden.
Abbildung 13
Tabelle 12
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Diese tendenziell eher pessimistische Beurteilung der Zukunft räumt der Frage ein besonderes Gewicht ein, welche Maßstäbe für beruflichen Erfolg man akzeptiert und inwieweit man glaubt, daß diese Maßstäbe in der Gesellschaft der Bundesrepublik verwirklicht seien. 80 °/o der befragten Studenten sehen in der Sachkompetenz des einzelnen, wie sie in Begriffen wie „Leistung" oder „Erfahrung“ zum Ausdruck kommt, das vorrangige Legitimationsprinzip für beruflichen Erfolg. Dieser Einschätzung entspricht dabei weitgehend die als in der Bundesrepublik maßgebend perzipierte Rangfolge von Erfolgskriterien. Es scheint also (noch) die Überzeugung maßgebend zu sein, verschlechterte Berufschancen könne man durch persönlichen Einsatz und Leistungbereitschaft kompensieren. Es sind jedoch einige Zweifel angebracht, ob die hier anklingende „privatistische" Leistungsideologie mehr als nur ein verbales Bekenntnis oder kurzfristige Reaktion auf widrige Umstände bleibt und einer härteren faktischen Beanspruchung standhalten kann. Umfragen aus der Zeit kurz vor dem Beginn der Studenten-bewegung kamen zu ganz ähnlichen Befunden und dennoch wurde das Leistungsprinzip in der Folge der Studentenbewegung zu einem der zentralen Begriffe, an denen sich aufgrund seiner negativen Symbolkraft die Kritik am politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik verdichten konnte (vgl. Tab. 2). Sieht man von dem Schimmer eines privatistischön Optimismus'ab, bleibt ein Tenor von Resignation und Pessimismus. Die Perzeption der Lage böte somit in der Tat eine gute Grundlage für eine weitergehende politische und soziale Disziplinierung in Überzeugung und Verhalten, wie sie von manchen gewünscht, von vielen mittlerweile gefürchtet wird Der Augenschein von allenfalls gelegentlich gestörter Ruhe an den Universitäten, auf der anderen Seite nicht zuletzt manche Aspekte des „Radikalenerlasses" lassen vermuten, daß eine Disziplinierung im Verhalten mittlerweile auch greift. Es erscheint außerdem nahezu auffällig, daß Verantwortlichkeiten für die Misere der bildungspolitischen Situation offensichtlich noch nicht einmal „verbal" in Verbindung mit einer allgemeineren Systemkritik seitens der Studenten gesehen werden, sieht man von einem heute quantitativ unbedeutenden Teil der Studentenschaft ab. Das Pendel einer Situation, deren Ambivalenz sowohl den Impetus zur Anpassung an Systemzwänge als auch zur Kritik im erneuten Streben nach System-veränderung enthält, scheint also zunächst zur Anpassung hin auszuschlagen. Die Frage, ob einer Disziplinierung selbst auf nur mittelfristige Sicht Erfolg beschieden sein kann, wird nun entscheidend gerade daher bestimmt, wie Studenten allgemein und die Betroffenen im besonderen bereit, in der Lage und veranlaßt sind, ihre Situation politisch einzuordnen, zu artikulieren und entsprechende organisatorische Konsequenzen zu ziehen. Es geht hierbei nicht nur um die Konstatierung quantitativer Relationen zwischen der Gruppe von mehr oder weniger angepaßten Studenten und den mehr oder weniger radikalen Systemveränderern, sondern auch und gerade um eine Veränderung dieser quantitati-ven Relationen sowie um die Bedingungen, unter denen Verhaltens-und Organisationspotentiale aktivierbar sind.
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Frage: Man hört oft die Ansicht, daß zu einer funktionierenden Demokratie eine Führungelite gehört. Teilen Sie diese Ansicht?
Frage: Man hört oft die Ansicht, daß zu einer funktionierenden Demokratie eine Führungelite gehört. Teilen Sie diese Ansicht?
Der Kern einer möglichen Entwicklung beginnt sich bereits abzuzeichnen: Mit dem Pessimismus der Befragten hinsichtlich zukünftiger beruflicher Perspektiven ist vergleichsweise häufig eine Neigung zu linksextremen Ideologien verbunden. Dies ist sicherlich ein Zusammenhang, wo Ursache und Wirkung nicht klar zu identifizieren und zu trennen sind, da politische Präferenzen für die Wahl des Studienfaches vorbestimmend sind und umgekehrt, und damit auch für die späteren beruflichen Aussichten. Politische Bedeutsamkeit gewinnt dieser Zusammenhang dann, wenn das Fehlen von Integrationsmechanismen durch „Sachzwänge" der späteren beruflichen Sozialisation dazu führt, daß linksextreme Ideologie und Habitus verstärkt über die Studienzeit hinaus beibehalten werden. Denn unausbleibliche Frustrationen im persönlichen sozioökonomischen Bereich dürften von diesem politisch interessierten Kern eines — möglicherweise auch vom Selbstverständnis her — „akademischen Proletariats" eben unmittelbar politisch artikuliert werden Die faktische Ruhe an Universitäten verweist allerdings entsprechende Tendenzen heute noch ins Hypotetische. Jedoch zeigen die im folgenden skizzierten Einstellungen der Befragten zum politischen Verhalten im Bereich der Hochschule zu politischem Verhalten allgemein und zum politischen System der Bundesrepublik ein Verhaltenspotential, dessen Aktivierung zwar nicht in jedem Fall und in ganzer Breite zu erwarten ist, das gleichwohl noch deutlich genug vom Pfad gängiger Spielregeln demokratischer Tugend abweichen dürfte, um der Problematik der Bildungspolitik eine neue (alte) Dimension hinzuzufügen.
II. Politisches Verhalten im Bereich der Hochschule
Abbildung 3
Tabelle 2
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Die Bandbreite von praktizierten Alternativen, politische Überzeugungen und Interessen im Bereich der Hochschule außerhalb institutioneller Regelungen zu artikulieren und durchzusetzen, ist bekanntlich sehr groß. Sie reicht von themen-spezifischen Diskussionsveranstaltungen, allgemein bekannt unter der Bezeichnung „teach in", bis hin zu Störungen und Boykott von Lehrveranstaltungen sowie zü Hochschul-und Institutsbesetzungen im kleinen und großen Stil. Dabei beruht die Wirksamkeit „unkonventionellen" Verhaltens nicht so sehr auf einer objektiven Machtposi-tion der Studenten, sondern mißt sich in moralischen Kategorien, konzentriert sich darauf, die institutionalisierten Autoritäten zu verunsichern und deren Legitimität in Frage zu stellen Während vormals entsprechende Verhaltensstrategien erst im Verlauf der Studentenbewegung entwickelt werden mußten, somit die Ritualisierung entsprechender Verhaltensweisen das Resultat eines andauernden innovativen und kreativen Prozesses war, könnte eine protestierende Studentenschaft heute auf ein breites Erfahrungsspektrum zurückgreifen 17). Eine Verankerung in „historischen Erfahrungen" der Studentenbewegung zeichnet sich jedenfalls deutlich in der derzeitigen Beurteilung solcher unkonventionellen Verhaltensmöglichkeiten ab. Drei Aspekte der Beurteilung sind in der Untersuchung erfaßt; 1. inwieweit befürwortet man bestimmte Verhaltensweisen, 2. inwieweit hat man sich schon an ihnen beteiligt oder würde sich gegebenenfalls daran beteiligen und 3. für wie wirksam hält man sie zur Durchsetzung von studentischen Interessen und Bedürfnissen (vgl. Tab. 3).
Erwartungsgemäß werden Aktivitäten am Rande oder außerhalb der Legalität nur von einer kleinen Minderheit befürwortet; die tatsächliche Beteiligungsquote ist dort dementsprechend gering, dürfte jedoch möglicherweise in Wirklichkeit ’ eher höher liegen als in der Befragung angegeben. Die politischen Aktivitäten beschränken sich bei der Mehrzahl vorzugsweise auf die spontane Artikulation von politischen Überzeugungen in Diskussionen und entsprechenden Veranstaltungen; an stetiger politischer Arbeit in politischen Gruppen oder in Universitätsgremien haben sich jeweils nur ca. 10 °/o beteiligt.
Der Quote tatsächlicher Beteiligung steht ein „hypothetisches" Beteiligungspotential „für außergewöhnliche Situationen" gegenüber, das ungleich größer ist. Zwar ist auch die potentielle, d. h. latente Bereitschaft zum politischen Engagement um so seltener, je mehr eine Aktivität persönliches Engagement erfordert und je stärker betreffende Aktivitäten am Rande der Legalität angesiedelt sind, jedoch schließen vier von fünf befragten Studenten ihre Beteiligung an einem Vorlesungsboykott oder einem „totalen Verwaltungsstreik" nicht aus, für jeden zweiten kommt eine Beteiligung an Hochschulbesetzungen oder Störungen von Lehrveranstaltungen in Frage. Die Einschätzung der Wirksamkeit der Aktivitäten laufen tendenziell parallel mit der grundlegenden Bewertung, illegale Aktivitäten fallen in ihrer eingeschätzten Wirksamkeit gegenüber konventionellen Formen ab, übersteigen hier jedoch immer noch die Beteiligungsquote. Besonders auffällig ist bezeichnenderweise die Diskrepanz, wenn es um „konsequente Arbeit der Studenten an der Universität" geht: 74 °/o halten dieses Engagement für wirksam, aber nur 10 0/0 haben sich schon beteiligt.
Die Einstellung gegenüber den Partizipationsformen ist verständlicherweise wesentlich bestimmt durch das politische Interesse und die politisch-ideologische Ausrichtung des einzelnen — zwei Faktoren, die sich insofern gegenseitig verstärken, als größeres politisches Interesse in der Regel mit einer Präferenz links-ideologischer Inhalte verbunden ist.
Generell ist die Zustimmung, Beteiligung und die Einschätzung der Wirksamkeit um so höher, je größer das politische Inleresse und je ausgeprägter die Linksorientierung ist, wobei sich die politische Orientierung besonders deutlich auf die Einschätzung der unkonventionellen Aktivitäten auswirkt. Einen Boykott von Lehrveranstaltungen befürworten z. B. 56°/o der politisch sehr stark interessierten Studenten, demgegenüber nur (aber immer noch) 37% der desinteressierten; von Studenten mit extrem linker Orientierung sind es 75 %, von denen der gemäßigt linken Richtung 47 °/o, die z. B. einen Vorlesungsboykott befürworten. 26 % der stark Interessierten gegenüber 14 % der Desinteressierten befürworten eine Hochschulbesetzung; dies tun 53% der Studenten mit extremer, aber nur (oder auch immer noch!) 14% derjenigen mit gemäßigt linker Orientierung. Ähnliche Differenzierungen finden sich entsprechend auch bei der Beteiligungsbereitschaft und besonders in der Einschätzung der Wirksamkeit. Die Effektivität konventioneller Aktivitäten wird dabei besonders von Studenten der extremen linken Richtung in Zweifel gezogen und die der unkonventionellen Formen besonders positiv beurteilt. Bei Studenten der gemäßigten Linie und bei Studenten mit geringem politischen Interesse ist es dagegen umgekehrt.
Diese Zusammenhänge sind nicht überraschend und bestätigen den Augenschein von studentischen politischen Aktivitäten der letzten Jahre. Bedeutungsvoller als die Tatsache, daß politische Interessiertheit mit einer weitgehenden Bejahung von Formen der Interessenartikulation am Rande oder außerhalb der Legalität zusammengeht, erscheint der Umfang des Beteiligungspotentials in der gesamten Studentenschaft. Auch wenn die Teilnahme hypothetisch bleibt — es werden sich kaum jemals 50 % der Studenten an einer Hochschulbesetzung beteiligen —, so zeigt sich doch ein breites Reservoir von mobilisierbaren Studenten und zumindest eine weitverbreitete Duldung sowie zum Teil auch stillschweigendes Einverständnis eines großen Teils der „schweigenden Mehrheit" mit illegalen Formen politischer Aktivität im Hochschulbereich. Die Randzonen politisierter oder zu politisierender Studenten um den Kern entsprechender Aktivisten reichen also weit in diese Mehrheit hinein, jedenfalls zu weit, als daß man von einem prinzipiellen Gegensatz zwischen Verhaltensnormen linker Aktivisten und denen der schweigenden Mehrheit sprechen könnte — eine Mehrheit, die auf gar keinen Fall als eine homogene oder gar profillose Masse zu betrachten ist Charakteristisch für die Entwicklung der letzten Jahre scheint vielmehr, daß Studenten sich wieder mehr auf die Rolle des interessierten Zuschauers zurückziehen, dessen Gunst den Akteuren im politischen Raum von Fall zu Fall wechselnd erwiesen wird. Ein entscheidendes Merkmal dieser Rolle ist eine vergleichsweise großzügige Auslegung von Verhaltensspielregeln zugunsten der strukturell benachteiligten Akteure, sprich den Studenten selbst, sowie die bekannte Distanz zu einigen institutionalisierten Kanälen politischer Interessenartikulation im Bereich der Hochschule.
Das Theoretische am Interesse und die Distanz zum „Spiel" zeigt sich besonders in der Einstellung zu institutionalisierten Formen von Demokratie im Hochschulbereich. So konnte sich die Teilnahme an Wahlen zum Studentenparlament als allgemein akzeptierte Wahlnorm weder in der Zeit studentischer Proteste noch zur heutigen Zeit ähnlich etablieren wie z. B. die Wahlbeteiligung auf anderen politischen Ebenen. Während vormals die institutionalisierten Möglichkeiten zur politischen Artikulation vergleichsweise wenig frequentiert wurden und hinter plebiszitären Bekundungen und Aktionismus zurücktraten oder allenfalls als Vehikel für die Mobilisierung der Studenten benutzt wurden, scheint das Hemmnis für eine größere Attraktivität derartig institutionalisierter Interessenartikulation heute eher im verminderten partizipativen politischen Interesse selbst begründet; unterschiedliche Ausgangspunkte also für eine im Zeitablauf gleichbleibende Erscheinung, Ausdruck jedoch einer gemeinsamen Begründung, daß man politisches Verhalten in einem normativ so wenig fixierten Raum wie dem der Hochschule nicht eindeutig institutionell absichern kann. Im Bereich der Hochschule werden vielmehr unkonventionelles Engagement und Desinteresse an Formalismen geradezu provoziert, da ein Experimentierfeld mit begrenztem politischen Risiko vorhanden und die Freiheit des -ist Experi mentierens zudem für die Jugend, insbesondere die akademische Jugend (zumindest in Grenzen), sozial positiv sanktioniert ist.
Möglicherweise sind es die „gleichen" Studenten, die gestern mobilisiert werden konnten und auf die Straße gegangen sind und die sich heute darauf beschränken zu wählen; möglicherweise ist es der „gleiche" Kem von Studenten, die gestern ideologisch frei im linken Spektrum vagabundierten und heute sich verstärkt ans organisierte Dogma klammern — nämlich immer eine mehr oder weniger aktive Minderheit von politisch Interessierten unter den Studenten. Insofern hat heute sicherlich eine Kanalisierung von Aktivitäten in eher überschaubare Institutionalsierungen stattgefunden. Eine Aufwertung institutionalisierter demokratischer Partizipationsformen im Bereich der Hochschule im Bewußtsein der Studenten ist daraus jedoch kaum abzuleiten.
Auf die Frage, warum sie an der letzten Wahl zum Studentenparlament nicht teilgenommen haben (im Sommersemester 1975 mindestens 40 °/o der Befragten) gaben 33 0/0 der Nicht-wähler als Grund eine bewußte Wahlabstinenz an, weil kein geeigneter Kandidat oder keine geeignete Hochschulgruppe gesehen wurden. Eine Mehrheit von 52 °/o der Nicht-wähler wählte wegen Desinteresse nicht: 30% hatten keine Zeit, 17% interessieren sich generell nicht für Wahlen, 5 °/o wußten nicht, daß Wahlen stattfinden (vgl. Tab. 4).
Es ergeben sich dabei einige erklärliche Besonderheiten, wie z. B., daß für ältere Semester Zeitmangel eine stärkere Rolle spielt, und daß es für Studenten der gemäßigten politischen Richtung vergleichsweise häufig keine wählbare politische Hochschulgruppe gibt; letzteres entspricht auch insofern dem Spektrum hochschulpolitischer Gruppierungen, als auf der linken Seite ein differenziertes und weitgehend auch profiliertes Angebot an politischen Gruppierungen existiert, während der nicht-linke Bereich allein durch den RCDS als einzige Gruppe repräsentiert wird, die einen nennenswerten Bekanntheitsgrad und politisches Profil besitzt. Die überwiegende Mehrheit der Nichtwähler ist jedoch weder für Wahlen noch für etwas anderes mobilisierbar. Mobilisierung oder „Demobilisierung" bei den Wahlen betrifft also in erster Linie den Teil der Studentenschaft, der ohnehin als Voraussetzung ein Minimum an politischer Interessiertheit mitbringt.
Die Stimmabgabe selbst ist in erster Linie ein Votum für die gewählte Gruppe, nicht für den Kandidaten, wobei allgemeine politische Überzeugung und der Einsatz für Probleme der die entscheidenden -Studenten beiden De terminanten der Wahlentscheidung sind: 34 % derjenigen, die gewählt haben, sehen den Grund für ihre Wahlentscheidung darin, daß sich die gewählte Hochschulgruppe für studentische Belange einsetzt, gleichviele (35 %) geben als Grund an, die Hochschulgruppe stimme mit den eigenen allgemeinen politischen Überzeugungen überein (vgl. Tab. 5). Die allgemeine politische Ausrichtung spielt für die Wahlentscheidung eine um so größere Rolle, je stärker man sich für Politik interessiert und je polarisierter die politische Ideologie vorhanden ist — auf dem linken wie auch auf dem rechten Teil des Spektrums. Dies führt insofern auch zu Unterschiedlichkeiten zwischen Fachbereichen, als in vergleichsweise stark politisierten Fachbereichen wie in philosophischen, wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen und bei den Juristen politisch gewählt wird, während z. B. in mathematisch/naturwissenschaftlichen Fakultäten, einem Bereich, der traditionell vergleichsweise wenig politisiert ist, studentische Belange oder die Qualifikation der einzelnen Kandidaten im Vordergrund standen.
Ob sich eine politische Artikulation der Probleme an der studentischen „Basis" innerhalb der institutionellen Möglichkeiten vollzieht, hängt entscheidend davon ab, ob eine Problemlösungskompetenz den politischen Gruppen zugesprochen wird, die explizit innerhalb dieses vorgegebenen institutionellen Rahmens bleiben. Als einzelner Gruppe wird am häufigsten dem RCDS (Ring-Christlich-Demokra-tischer-Studenten) eine Problemlösungskompetenz für bestimmte hochschulpolitische Fragen zugesprochen, wobei sich die Abstände zu linken Gruppierungen dann etwas vergrößern, wenn es sich um konkrete Probleme des Studiums und der Lebensbedingungen bei Studenten handelt. Als Gegenpol zum RCDS im linken Bereich scheint sich mehr und mehr die Juso-Hochschulgruppe herauszukristallisieren, die trotz ihrer vergleichsweise geringen Bekanntheit ein ausgeprägtes Profil in der Lösungskompetenz besitzt, wahrscheinlich bedingt durch den Namen und die Affinität der Gruppe zur SPD. Bedeutsamer als diese Polarisierung erscheint jedoch die Tatsache, daß die meisten Befragten gar nicht in der Lage waren, eine hochschulpolitische Gruppierung zu nennen, die sich jeweils für die Lösung von hochschulpolitischen Problemen im Sinne des Befragten einsetzt (vgl. Tab. 6 u. 7).
Diese Orientierungslosigkeit bezüglich Personen oder Gruppen im Hochschulbereich macht es notwendig, politisches Verhalten und politische Einstellungen im Hochschulbereich nach politischen Einstellungen und politischem Verhalten auf anderen politischen Ebenen auszurichten. Sie ist Folge und Beschleuniger eines ideologischen Klimas an den Hochschulen, das durch zwei gegensätzliche Strömungen gekennzeichnet ist: Auf der einen Seite eine organisatorische und ideologische Dogmatisierung von Haltungen derjenigen Studenten, die eigenes politisches Engagement im Hochschulbereich als system-politisches Handeln verstehen; auf der anderen Seite eine bewußte Theorieabstinenz und ein Problemlösungspragmatismus sowohl derjenigen, die an konkreten Problemlösungen arbeiten, als auch bei der Masse derjenigen, die davon betroffen sind — von den Problemen und auch von deren Lösungen.
Im Problemlösungspragmatismus treffen sich Nachklang einer Bewegung, Lernprozeß aus vergangenem (schon historischem) vergeblichem Diskurs, mit der Notwendigkeit des Faktischen und der Anforderung aus der Aktualität der Probleme. Es liegt nahe, hierin das Resultat einer Disziplinierung durch die Probleme zu sehen, in gewisser Weise ein Spiegelbild der politischen Großwetterlage. Aus dieser Disziplinierung des Verhaltens auf eine „Tendenzwende" in der politischen Orientierung zu schließen, erscheint jedoch voreilig und einseitig, solange diese nicht von einer entsprechenden Veränderung der Einstellungen und Überzeugungen gestützt wird. Hier stellt sich die Frage nach der Beziehung der Studenten zum politischen System der Bundesrepublik.
III. Einstellungen zum politischen System der Bundesrepublik
Abbildung 4
Tabelle 3
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Die Studenten gehören erfahrungsgemäß zu der Bevölkerungsgruppe, die sich mit Abstand am meisten für Politik interessiert. Dies bestätigt sich darin, daß über die Hälfte der befragten Studenten stark bzw.sehr stark an Politik interessiert sind, weniger als 10% sind wenig oder überhaupt nicht an Politik interessiert. Damit hat sich im Vergleich zu 1968 am (verbal bekundeten) allgemeinem politischen Interesse der Studenten wenig geändert. Je nach Gruppierung ist das politische Interesse innerhalb der Studentenschaft unterschiedlich. Wie in der Gesamtbevölkerung sind Männer wesentlich stärker interessiert als Frauen; politisches Interesse wird dann häufiger, je älter der Befragte ist und je länger er studiert. Besonders häufig findet sich politisches Interesse bei Studenten der wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen sowie der juristischen Fakultäten, am wenigsten bei den Medizinern (vgl. Tab. 8).
Die maximal ausschöpfbare Quote von zu interessierenden Studenten scheint während der Studentenbewegung erreicht gewesen zu sein, hat sich in der Folge aber bis heute kaum verringert. Verringert hat sich allenfalls das Interesse an konkreter politischer Aktion. Grundsätzlich ist in den letzten Jahren wohl nicht so sehr eine Veränderung in der politischen Interessiertheit der Studentenschaft, sondern ein deutlich steigendes politisches Interesse in der übrigen Bevölkerung das bemerkenswerte Ergebnis oder zumindest eine zeitliche Folge der Studentenbewegung. Im Rückblick auf die Studentenbewegung bleibt von größerer Bedeutung als die Interessiertheit selbst die Frage, mit welcher politischen Ideologie, mit welcher Verhaltensdisposition politisches Interesse heute verbunden ist.
Die Befragten waren aufgefordert, sich entsprechend ihrer politischen Ansichten auf einem Rechts/Links-Kontinuum einzuordnen, das von rechts (10) über die Mitte (0) bis links (10) nach Intensität abgestuft war. Nur 16°/0 der Befragten ordnen sich auf dem rechten Teil der Skala ein, 11 °/o rechnen sich der Mitte zu, während 76 °/o auf dem linken Teil des Kontinuums ihren Standort sehen. Damit unterscheiden sich die Studenten erheblich von der Gesamtbevölkerung, die sich tendenzteil wesentlich stärker auf gemäßigt linke und gemäßigt rechte Positionen bezieht. Jedoch sind die Differenzierungen auch innerhalb der Studentenschaft erheblich. So geht die Orientierung besonders stark nach links bei Erstsemestrigen und bei Höhersemestrigen, während mittlere Semester eher zu gemäßigten Standorten tendieren. Der Links-trend bei den älteren Semestern mag dabei als Nachklang der vergangenen Protestgeneration gelten, derjenige unter jüngeren Semestern ist zumindest überraschend und mag eher als Reaktion auf die stark sozialisierende Wirkung des neuen Kontextes Universität verstanden werden, zu dem sich eine möglicherweise kritische Distanz erst entwickeln muß; darin etwa den Beginn einer neuen linken Protestgeneration zu sehen, wäre zwar nicht von der Hand zu weisen, aber nichtsdestoweniger kaum mehr als vage Spekulation. Es liegt dagegen wieder im Bereich des Möglichen, daß Studenten politisierter Fachbereiche wie der wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen und philosophischen Fachbereiche am stärksten nach links tendieren, und daß bei Juristen und Medizinern der Links-trend nur schwach bleibt.
Entsprechend dieser generellen ideologischen Ausrichtung gestalten sich die Parteipräferenzen der Studenten: 46 °/o der Befragten würden der SPD ihre Erststimme geben, 21 % der CDU/CSU, 10% der FPD, 3% der DKP, 3% würden nicht wählen, 2 % sind unentschieden, 12 % verweigerten die Angabe. Der Anteil der CDU/CSU ist bei den Zweitstimmen gleich hoch, der der SPD verringert sich auf 39 °/o, während sich für die FDP eine Steigerung auf 18% ergibt. Die DKP bleibt auch in den Zweitstimmen unterhalb der 5 Prozent-marge, die Angabe zur Zweitstimme verweigerten 18 %.
Bei einer Gruppierung der Studenten nach einigen formalen Kategorien, die gerne zur Erklärung oder Beschreibung von Wahlverhalten herangezogen werden, ergeben sich einige Besonderheiten. So ist der Anteil der CDU/CSU-Wähler besonders hoch bei katholischen Studenten (33%), niedriger bei den Protestanten (16%) und sehr niedrig (5 %) bei konfessionslosen Studenten. Hier ist auch die Verweigerungsquote sehr hoch (33%). SPD-und DKP-Wähler finden sich vergleichsweise häufig unter politisch stark interessierten Studenten; der Anteil der FDP-Wähler ist dort besonders niedrig. Eine Differenzierung nach Altersgruppen ist vorhanden, aber nicht sehr deutlich. Während DKP-Präferenzen in allen Altersgruppen ähnlich häufig geäußert werden, zeigt sich eine leichte Tendenz zugunsten von SPD und FDP bei älteren Studenten; CDU-Präferenzen finden sich etwas häufiger bei jüngeren Studenten. Unterscheidet man noch nach Studienrichtung, ist der Anteil der CDU/CSU-Wähler vergleichsweise hoch bei den Juristen und Theologen; Mediziner wählen besonders häufig FDP: Studenten der philosophischen und wirtschafts-sozialwissenschaftlichen Fachbereiche wählen besonders stark die SPD.
In der Tendenz das gleiche Bild — sowohl was die Strukturierung des Wähierpotehtials als auch die Höhe der Stimmenanteile der Parteien anbetrifft — zeigt sich im Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 1972, das in der Rückerinnerung erfragt wurde. Zwar erhielt damals die SPD 4 % mehr an Zweit-stimmen, jedoch ist davon auszugehen, daß sowohl die zur Zeit noch Unentschlossenen als auch die . Verweigerer“ überwiegend SPD wählen. Die Stimmenfluktuation zwischen den Parteien ist vergleichsweise sehr niedrig, wenn man von Erfahrungswerten mit der Gesamtbevölkerung als auch mit Jungwählern allgemein ausgeht. Die im Prinzip vergleichsweise hohe Quote von Stammwählern ist bei SPD und besonders bei der FDP deshalb kleiner als bei der CDU, weil der Austausch zwischen den Parteien der Koalition relativ groß ist. als Studenten erscheinen also eher jeweils stabiler Wählerblock denn als typische Wechselwähler, obwohl 37 °/o der Befragten angeben, keiner Partei verbunden besonders zu sein — eine parteipolitische Indifferenz, die sich besonders oft bei politisch uninteressierten Studenten findet. FDP-Wähler besitzen, bei den Studenten ebenso wie bei der Gesamtbevölkerung, vergleichsweise selten eine enge Bindung an die Partei ihrer Wahl (38 0/0), während SPD und CDU über einen größeren Kreis von Parteianhängern verfügen (60 0/0 bzw. 55%).
Wenn trotz verbreiteter parteipolitischer Indifferenz ein vergleichsweise stabiles Wahl-verhalten zu beobachten ist, hat dies seinen Grund darin, daß die ideologische Ausrichtung der Studenten eindeutig nach links tendiert und die Koalitionsparteien in diesem Rechts/Links-Spektrum die politischen Orientierungen der Studenten abdecken können. Die CDU/CSU liegt weitgehend außerhalb des Bereichs, der der politischen Orientierung der Studenten entspricht. Stabilisiert wird die Parteipräferenz zudem durch ein tendenziell verzerrtes Bild von den jeweils nicht präferierten Parteien, je weiter sie vom eigenen politischen Standort entfernt sind. SPD-Wähler unter den Studenten sehen z. B. die CDU weiter „rechts" als dies FDP-Wähler oder CDU-Wähler tun. CDU-Wähler sehen die SPD weiter links als die SPD-Wähler und die FDP-Wähler. Geht man von der Selbsteinschätzung der Befragten anhand einer Rechts-Links-Skala aus, werden die Parteien am jeweils nicht präferierten Ende des Spektrums in extremeren Positionen gesehen, je weiter man selbst einer extremen Position zuneigt. Die eigene Partei wird dagegen bevorzugt in die politische Mitte gerückt. Dies ist einem „Feindbild-Mechanismus" vergleichbar, der eine Fluktuation zwischen Orten der politischen Orientierung und Wahlentscheidung durch verzerrte Wahrnehmung verstärkt verhindert.
Obwohl sich also offensichtlich in der prinzipiellen ideologischen Ausrichtung wie auch besonders in den Parteipräferenzen weniger zumindest geändert hat, als manche Apologeten von Tendenzwenden glauben machen, hat sich im Vergleich zu 1968 doch ein bedeutsamer Wandel vollzogen: Während 1968 48 % der Studenten angaben, keiner Partei besonders verbunden zu sein, sind es 1975 nur 37 %. Offensichtlich wird heute nicht nur das Spektrum politischer Überzeugungen, sondern auch das Bedürfnis nach Transparenz im demokratischen politischen Willensbildungsprozeß durch die Parteien und die gegenwärtige Rollenverteilung zwischen den -Parteien bes ser abgedeckt als zur Zeit der Großen Koalition. Das Bedürfnis nach Transparenz im politischen Entscheidungsprozeß ist zwar nur ein Aspekt — vielleicht jedoch der entscheidende — eines im Verlauf der letzten Jahre sensibilisierten allgemeinen politischen Bewußtseins unter den Studenten. Es ist zur Zeit der Studentenbewegung und auch vorher schon oft genug herausgestellt worden, daß die akademische Jugend eine vergleichsweise positive Einstellung zu demokratischen Werten und Prinzipien allgemein wie auch zum politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik entwickelt hat und hatte. Die aus Umfragen ersichtliche eindeutige Ablehnung des Nationalsozialismus, die Zustimmung zum Parteienpluralismus und die — wenn auch reservierte — positive Einstellung zur demokratischen Verfassung der Bundesiepublik lassen die Grundhaltung in der akademischen Jugend heute wie vordem demokratischer erscheinen als die der übrigen Bevölkerung Darin drückt sich der mehrfach beobachtete Zusammenhang aus, daß reflektierende Kritik als auch die Internalisierung und Akzeptierung demokratischer Spielregeln vom Bildungsniveau abhängig sind
Mag die demokratische Einstellung von Studenten vor der Studentenbewegung ein Korrelat des höheren Bildungsstandards, Ausdruck eines indoktrinierten formalen Staatsbürger-und Demokratieverständnisses gewesen sein; heute jedenfalls besitzen demokrati19 sehe Werte und Prinzipien offenkundig auch eine Bedeutung als kritischer Maßstab zur Rezeption politischer Wirklichkeiten. Die fundamentale Infragestellung der formalen Prinzipien des politischen Systems der Bundesrepublik durch eine radikale Minderheit hat zu einer breiteren und reflektierteren Akzeptierung des Konzeptes von Demokratie geführt, wie es-in der Bundesrepublik verwirklicht ist, gleicherweise aber auch zu einer größeren Sensibilität gegenüber politischen Details, Defiziten und Mängeln einer politischen Wirklichkeit, die heute von der überwiegenden Mehrheit weitaus differenzierter gesehen wird als noch vor Jahren. 1968 z. B. hielten 50 °/o der Studenten die studentische Kritik am politischen System der Bundesrepublik für gerechtfertigt, weitere 32 °/o zumindest für teilweise gerechtfertigt; 1975 sind es nur noch 32 °/o, die der Kritik ohne Einschränkung zustimmen, und 37 °/o, die sie teilweise für gerechtfertigt halten. Den-noch bleibt die Grundhaltung kritisch — dies um so eher, je größer das politische Interesse des Studenten und je ausgeprägter seine Linksorientierung ist. Als kennzeichnende Ansatzpunkte für die Kritik am politischen System stehen heute auch nicht so sehr prinzipielle Bezüge, als vielmehr Kritik an konkreten Politikbereichen, insbesondere Bildungspolitik und Sozialpolitik. Dabei kristallisieren sich die „gerechte Vermögensverteilung" und besonders die „Chancengleichheit" als zentrale Begriffe heraus (vgl. Tab. 9).
So zeigt sich eine ausgeprägte Sensibilität für und konkrete Vorstellungen über nichtverwirklichte Chancengleichheit, wenn man nach privilegierten und unterprivilegierten Gruppen in der Gesellschaft der Bundesrepublik fragt. 83 °/o der Befragten sind der Meinung, daß es privilegierte Gruppen gibt, die „mehr bekommen als ihnen zusteht", 72 0/0 sehen unterprivilegierte Gruppen, „die weniger bekommen, als ihnen eigentlich zusteht, oder denen sogar grundlegende Rechte vorenthalten werden". Die Skepsis ist wiederum um so deutlicher, je größer das politische Interesse und je stärker die Linksorientierung ist (vgl. Tab. 10 u. 11).
Bei privilegierten Gruppen wird mit Abstand zuerst Bezug genommen auf die „Kapitalisten" (47 °/o), dann folgen die Arzte (23 °/o), die politische Elite (16 °/o) und Beamte (12°/o). Es entspricht dabei der eingangs beschriebenen Einschätzung von Erfolgskriterien in unserer Gesellschaft, daß hier „Privilegien durch Herkunft" nur relativ selten (6 ®/o) erwähnt werden.
Auf der Seite unterprivilegierter Gruppen stehen bezeichnenderweise „die Arbeiter" an der Spitze der Nennungen (30%). Es folgen „Gastarbeiter" (21 %), „sozial schwache Gruppen" (14%), „Rentner" (12 °/o) und „Frauen" (11 °/o). 5% der Befragten sehen „Studenten", also sich selbst, als unterprivilegiert an. 46 % der Studenten stimmen ohne Einschränkung der Ansicht zu, daß auch vor Gericht Privilegien maßgebend seien, der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz also zumindest eingeschränkt sei. Diese Detailkritik ist im Vergleich zu 1968 besonders stark vorhanden; damals waren es nur 29 %, die diese Meinung vertraten. Rechnet man diejenigen hinzu, die mit Einschränkung zustimmen, stehen heute 74 0/0 (1968: 64 %) mit einiger Skepsis der Jurisdiktion in der Bundesrepublik gegenüber. Diese Skepsis setzt sich fort in der Einstellung zum Bundesverfassungsgericht. 43 % sind nicht der Meinung, das Bundesverfassungsgericht werde es „zu verhindern wissen, sollten Bundestag und Bundesregierung einmal etwas tun wollen, was mit unserer Verfassung und unserer Rechtsordnung nicht L übereinstimmt". Ähnlich kritisch steht man der Kontrollfähigkeit des Bundestages gegenüber: 38 °/0 sind heute nicht der Meinung, daß „der Bundestag in Bonn alles tut, um die Bundesregierung wirksam zu kontrollieren".
Die Notwendigkeit von Führungseliten in einer Demokratie wird wesentlich stärker in Zweifel gezogen als noch 1968. Gleichzeitig werden politische Vorrechte für eine politische Elite eindeutig (eindeutiger als 1968) abgelehnt. Hier treffen sich Abneigung gegen geschichtlich belastete Begriffe wie „Elite" mit einem Konzept von Demokratie, daß starke plebiszitäre Elemente enthält (vgl. Tab. 12 u.
13). Dies liegt ebenfalls auf der Linie einer gesteigerten Sensibilität gegenüber nicht kontrollierbaren Machtstrukturen, wie auch eines zwar kritisierbaren, so doch nichtsdestoweniger kritischen Demokratieverständnisses.
Diese Betonung demokratischer Werte und Prinzipien mit einem Faible für plebiszitäre V Willensbildung und Interessenartikulation kommt auch deutlich in den Einstellungen der Studenten zu unkonventionellen Möglichkeiten politischer Partizipation zum Ausdruck.
Ein Vergleich mit Erfahrungswerten aus der Gesamtbevölkerung macht deutlich, daß bei Studenten hinsichtlich der Bewertung von Be] teiligungsformen, deren eingeschätzter Wirksamkeit wie auch der tatsächlichen und potentiellen Beteiligungsquote eine weitaus partizipativere Haltung zu finden ist als in der übrigen Bevölkerung. Innerhalb der Studentenschaft selbst sind es erwartungsgemäß gerade die politisch Interessierten, die einzelne Aktivitäten jeweils besonders befürworten, für wirksam halten und sich auch beteiligen würden. In die gleiche Richtung zeigt der Trend, wenn man nach der politischen Ideologie differenziert; je stärker die Orientierung nach links tendiert, desto positiver beurteilt man die einzelnen Verhaltensweisen. Zwar werden illegale Formen wie Gewalt gegen Personen oder Sachen nur von einer kleinen Minderheit akzeptiert, jedoch sind die bezeichneten Zusammenhänge immer erkennbar. Was für den Bereich der Partizipation in der Hochschule gilt, gilt auch hier: Die Spielregeln von Gruppen, die sich außerhalb des verfaßten demokratischen Reglements befinden, liegen keinesfalls außerhalb der Zustimmung oder zumindest der prinzipiellen Duldung eines großen Teils der Studentenschaft: Nur einer von zehn Studenten lehnt Beteiligung an Unterschriftenaktionen oder genehmigten Demonstrationen ab, 32 °/o befürworten wilde Streiks, 42 °/o halten diese auch für wirksam, und jeder vierte würde sich gegebenenfalls daran beteiligen. Die Lahmlegung des Verkehrs durch eine Demonstration findet noch eine wesentlich breitere Zustimmung. Die Besetzung von Fabriken, Ämtern oder Behörden etc. wird von jedem vierten Befragten befürwortet; 39 °/o halten diese Verhaltensweisen für wirksam zur Durchsetzung von Interessen und 16°/o würden sich gegebenenfalls daran beteiligen. Aktivitäten im Grenzbereich kriminellen Handelns kommen zwar nur für ca. 4 % der Befragten in Frage, jedoch verdeckt hier die Relation natürlich die faktische Wirkung der Aktivitäten von Minderheiten.
Schlußfolgerungen
Abbildung 5
Tabelle 4
Tabelle 4
Betrachtet man die Befunde zusammenfassend unter der Perspektive der eingangs gestellten Fragen, zeichnen sich folgende Konturen ab:
Man. kann davon ausgehen, daß das demokratische System der Bundesrepublik in der Beurteilung differenzierter gesehen wird. Auf der einen Seite werden Detailaspekte der politischen Wirklichkeit kritischer gesehen als 1968 — sicherlich eine Konsequenz der Dis-kussionen in den letzten Jahren und eines dadurch verstärkten Problembewußtseins —, auf der anderen Seite findet sich heute jedoch offensichtlich eine größere Bereitschaft, das demokratische politische System der Bundesrepublik in seinen Grundlagen zu akzeptieren.
Die Diskrepanz zwischen der Betonung demokratischer Werte und Prinzipien auf der einen Seite und der Kritik an politischen Wirklichkeiten in der Bundesrepublik auf der anderen Seite erhält jedoch dadurch ein besonderes Gewicht, daß diese Diskrepanz bei politisch interessierten Studenten besonders groß ist.
Es brauchen nicht, aber es können die gleichen sein, die in ihren Fachbereichen vor schlechte berufliche Aussichten gestellt sind. Einer Disziplinierung des politischen Interesses und der politischen Aktivitäten gerade dieser Gruppe dürfte auf Dauer kein Erfolg beschieden sein, wenn sich Frustration im sozioökonomischen Lebensbereich mit reflektierter Distanz zum politischen System trifft. Vielmehr dürfte die Aktualität der Probleme, d. h. die zeitweilig disziplinierende Wirkung des Faktischen, lediglich den Ausgangspunkt der Tendenz verdecken, das politische System der Bundesrepublik diesmal nicht nur auf normativ-ideologischer Ebene in Frage zu stellen, sondern zudem noch mit einem besser zu belegenden Verweis auf seine Unfähigkeit, aktuelle konkrete politische Probleme zu lösen. Der wesentliche Aspekt einer Beziehung zwischen Bildungs-und anderen Krisen auf der einen und politischem Bewußtsein auf der anderen Seite liegt also im längerfristigen Krisenpotential. Die kurzfristige Beziehung, die direkte gegenseitige Bedingtheit zwischen Bildungskrise und politischem Bewußtsein ist nicht eindeutig zu beurteilen. Es dürfte jedoch schwerhalten, der heutigen Studentengeneration politische Profillosigkeit vorzuwerfen, ohne darauf zu verweisen, daß jede „Generation" ihre eigenen politischen Probleme zu bewältigen hat. Diese Probleme stellen sich heute anders dar als vor einigen Jahren. Das politische Bewußtsein der Studenten heute ist kritischer und differenzierend genug, um im nachfolgenden Lernprozeß einer protestierenden Bewegung zu stehen, so wenig partizipativ und dynamisch in der Aktion, als daß sich nicht erste Konsequenzen einer Verhaltensdisziplinierung zeigen — sicherlich zuerst eine Disziplinierung des oft zitierten Sachzwangs, (noch) nicht so sehr einer bewußten „Repression des politischen Systems". Die Bildungsmisere ist nicht lediglich ein bildungspolitisches Problem, genausowenig wie politischer Protest von damals und fehlender Protest heute eine Frage der politischen Disziplinierung sein konnte und kann. Es geht heute in der Bildungspolitik exemplarisch um die Legitimation des politischen Systems in der Sachkompetenz, nicht mehr wie vordem in der Wertkompetenz, wobei die Herausforderung der Sache der entsprechenden Herausforderung durch die Personen noch vorausgeht, aber letztere wird sicherlich folgen, wenn der Fierausforderung der Sache nicht begegnet wird Aus Orientierungslosigkeit vielleicht, vielleicht auch aus Pragmatismus, hat man protestierende Partizipation ad acta gelegt, jedoch kaum endgültig, eher griffbereit. Es kann nicht übersehen werden, daß dieser Pragmatismus nicht zuletzt darin begründet liegt, daß seine Notwendigkeit von dem nahegelegt wurde, was man mit dem diffusen Begriff der „sozioökonomischen Rahmenbedingungen" umschreibt, und auch von den präferierten Parteien propagiert wird. Es gibt somit keine Alternative, als Politik im Rahmen der Institutionen zu machen. Protest und Engagementbereitschaft konnten in der Folge des vormaligen Regierungswechsels absorbiert, kanalisiert und wohl auch diszipliniert werden. Der Regierungswechsel brach also in gewisser Weise die Studentenbewegung. Flat er aber auch zu einer „Tendenzwende" geführt?
Will man die heutige Situation in der Studentenschaft charakterisieren, ist es mehr denn je notwendig, nach verschiedenen Bereichen des politischen Verhaltens zu differenzieren. Der im Ansatz erkennbare Trend zu hochschulpolitischen Gruppierungen, die den demokratischen Parteien nahestehen, ist kaum der Startpunkt eines neuen Konservatismus, der in die Richtung einer verstärkten Präferenz von Parteien auf dem rechten Teil des politisch-ideologischen Spektrums hinzielt. Die parteipolitische Orientierung der Studenten bleibt vielmehr, wie vormals, ziemlich eindeutig auf die SPD bzw, die FDP fixiert. Nicht zuletzt diese Fixierung, die sich ja auf Parteien in der Regierungsverantwortung bezieht, mag verantwortlich dafür sein, daß die Einstellung zum politischen System trotz detailliert geäußerter Kritik im wesentlichen von einem gewissen Pragmatismus gekennzeichnet ist.
Die so oft zitierte Tendenzwende in der politischen Orientierung der Studenten (die wievielte eigentlich nach der Studentenbewegung?) ist ähnlich offensichtlich wie sie schwierig inhaltlich zu erfassen und zu bestimmen ist. Mit einiger Sicherheit läßt sich sagen, was sie nicht ist: Ein Trend zu einem neuen Konservatismus, der sich an einer Präferenz von Parteien auf dem traditionell rechten Bereich des politischen Spektrums orientiert. Wie sie ist. Vielleicht eine Konsolidierung auf der Position eines gemäßigten Links-Liberalismus, nicht eine Veränderung von politischen Einstellungen, sondern eine Verlagerung gleicher oder zumindest ähnlicher Einstellungen von deren Artikulation in die Latenz. Soweit dies Ausdruck einer Disziplinierung ist, ist es eine Disziplinierung vielleicht des Verhaltens, jedoch nicht der Verhaltens-disposition. Eine Verlagerung vollzieht sich von der Unkonventionalität auf die Konventionalität des Verhaltens, weil die persönlichen Freiräume des Verhaltens enger geworden sind.
Aus der „Systemsperspektive" ist es kurzfristig sicherlich „einfacher" für das „politische System", wenn es diese engen Freiräume setzt. Auf längerer Sicht kann es nur zu einem Stau von Konflikten führen, weil sie nicht deutlich genug artikuliert und die Dringlichkeit von Problemlösungen verdrängt werden. Es verlängert die Ruhe vor dem, was ein erfrischender Wind sein und was ein zerstörerischer Sturm werden könnte.
Karl-Josef Does, Diplom-Volkswirt, geboren 1946 in Nievenheim/Dormagen-, Studium der Soziologie, Sozialpsychologie und Wirtschaftswissenschaften in Köln; zur Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung; Forschungsschwerpunkte: Wahl-forschung, politische Sozialisation. Veröffentlichung u. a.: Tendenzwende in der politischen Orientierung der Jugend? Zur Stabilität von politischen Einstellungen Jugendlicher, in: Material zu Problemen der Jugendpolitik, Bonn 1975.
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