Zusammenfassung
Hermann Borgs-Maciejewski: Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung. Erwiderung auf den Beitrag von D. Hörnig Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42 77, S. 33— 38
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Hermann Borgs-Maciejewski: Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung. Erwiderung auf den Beitrag von D. Hörnig Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42 77, S. 33— 38
Zu meinem vorausgegangenen Beitrag über die Nachrichtendienste hat D. Hömig in dieser Ausgabe eine klare Gegenposition bezogen. Der von mir erhobenen Forderung nach zusätzlicher parlamentarischer Kontrolle setzt er eine Apologie des Bestehenden entgegen. Auf dem Niveau und im Stile einer staatsrechtlichen Fachzeitschrift legt er dar, daß an der geltenden Rechtslage im wesentlichen nichts zu kritisieren sei. Die beiden kontroversen Artikel spiegeln zum Teil sicherlich den unterschiedlichen dienstlichen Standort der Autoren wider. (Hömig ist Referent für Verfassungsrecht im Bundesinnenministerium.) Ein Regierungsbeamter wird natürlich in geringerem Maße dazu neigen, schwächliche Einflußmöglichkeiten des Parlaments auf exekutive Einrichtungen für anstößig zu halten als ein-Parlamentsbeamter. Hömig geht an seine Untersuchung auch mit einer etwas anderen Zielrichtung heran: Er beschränkt sich im wesentlichen darauf, seine Ansicht zu begründen, daß die vorhandene Normgebung und Kontrolle das rechtsstaatlich gebotene Minimum wahren. ging es mir Demgegenüber in meinem Artikel nicht nur um die Beschreibung des juristisch Unerläßlichen, sondern auch um die des verfassungspolitisch Erwünschten.
Im Gegensatz zu Hömig bin ich der Überzeugung, daß durch den „Fall Traube" die Unzulänglichkeit der parlamentarischen Kontrolle wie auch der Gesetzgebung schonungslos offengelegt worden ist. Die Veröffentlichung der Lauschmitteloperation des BfV gegen den Atomwissenschaftler Dr. Traube erschütterte Regierung und Koalition in nachhaltiger Weise. Der Verbleib des verantwortlichen Bundesinnenministers im Kabinett erschien lange Zeit fraglich. Solche außergewöhnlichen Turbulenzen lassen sich nur schwer mit der Auffassung in Einklang bringen, im Verhältnis der Nachrichtendienste zu Parlament und Regierung sei strukturell alles in Ordnung. Hö-mig verweist u. a. auf die Sitzungen des Innenausschusses, bei denen der Minister ausführlich über alle Aspekte dieses Falles berichtet habe. Zugegeben, aber hätte es auch eine parlamentarische Kontrolle ohne die Publikation im SPIEGEL gegeben? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Die Ausübung des parlamentarischen Kontrollrechts kann aber doch nicht von — womöglich strafbaren — Indiskretionen der Presse abhängig gemacht werden. Für das Ansehen des Parlaments ist es in hohem Maße abträglich, wenn die Abgeordneten in der Informationsgewinnung über die ihrer Kontrolle unterliegenden Gegenstände überwiegend auf die Medien angewiesen sind oder wenn gar bei Skandalaffären ä la Traube der Sitzungsrhythmus kontrollierender Ausschüsse mit dem Erscheinungsdatum des SPIEGEL zusammenhängt.
Hömig bezweifelt
Hörnig stützt sich in seiner Erwiderung zum Teil auf lehrbuchhaft-theoretische Aussagen, die mit der Wirklichkeit der Nachrichtendienste und ihrer Kontrolle wenig gemeinsam ha-ben. Typisch hierfür erscheint mir seine These, daß „die stets wirksame Verantwortlichkeit des zuständigen Ressortministers gegenüber dem Parlament auch und gerade im Betätigungsfeld der Nachrichtendienste von zentraler Bedeutung" 3) sei. In der Realität ist
Im übrigen hat Hörnig meine Forderung nach systematischer Kontrolle exzessiv interpretiert. Ich habe weder eine „stets präsente", ggf. „vor Ort" tätig werdende, mit „unbeschränkten Durchgriffsrechten" versehene Kontrolle, noch eine Überwachung „bis ins letzte Detail" gefordert. Im Gegenteil habe ich vor entsprechenden Tendenzen im hamburgischen Gesetzentwurf über den Verfassungsschutz gewarnt. Die systematische Kontrolle bezweckt zunächst, die derzeitige faktische Abhängigkeit der Kontrolle von Indiskretionen zu beseitigen. Nachrichtendienstliche Maßnahmen vom Schweregrad des Lauschangriffs gegen Dr. Traube darf das parlamentarische Kontrollorgan nicht erst — wenn überhaupt — aus der Presse erfahren. Die Kontrolle wäre bereits dann „systematisch", wenn das Gremium die Regierung darum ersuchen würde, ihm unaufgefordert alle nachrichtendienstlichen Operationen, die eine näher zu definierende Schwelle überschreiten, nach Abschluß vorzutragen. Als Schwellen-wert kämen etwa die der Post-und Telefon-kontrolle vergleichbaren Eingriffe in Betracht. Dazu würde ferner gehören, daß sich das Kontrollorgan mit den unterhalb dieser Schwelle liegenden Maßnahmen wenigstens in allgemeiner Form befaßt, also losgelöst von Einzelfällen z. B. mit den tatbestandlichen Voraussetzungen für Observationen oder für die Weitergabe von Daten an nicht-staatliche Stellen. Die Kontrollinstanz könnte auch etwa den Katalog der zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes erklärten Organisationen überprüfen. Systematische Kontrolle bedeutet also vor allem die Möglichkeit, sich mit all jenen Aspekten der Nachrichtendienste abstrakt oder in concreto befassen zu können, von denen nach Ansicht des Kontrollorgans Gefährdungen für die Rechtssphäre des Bürgers ausgehen. Die Einräumung von Informationserzwingungsrechten halte ich für entbehrlich, wenn auch für zulässig. Dabei gehe ich allerdings davon aus, daß eine durch Ge35 setz oder Verfassung berufene Instanz zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste ohne weiteres das Recht hat, von der Regierung uneingeschränkt Auskunft über den ihrer Kontrolle unterliegenden Bereich zu verlangen. Dieses Auskunftsrecht steht dem Kollegium insgesamt zu, so daß im Konfliktfall die Mehrheit der Kontrolleure über die Zulässigkeit eines Auskunftsbegehrens zu entscheiden hätte. Dem Recht, unbeschränkt Auskunft zu verlangen, entspricht die Pflicht der Regierung, in gleichem Umfang Auskunft zu erteilen. Hörnig befürchtet, daß dadurch die bisher gute Zusammenarbeit der deutschen Nachrichtendienste mit befreundeten ausländischen Diensten gefährdet würde. Die wichtigsten Partner unserer Nachrichtendienste sind sicherlich die der USA. Die amerikanischen Dienste unterliegen u. a.der Aufsicht durch einen Geheimdienstausschuß des Senats (Select Intelligence Committee). In seiner Pressekonferenz vom 9. März 1977 hat Präsident Carter diesem Ausschuß vollständigen Einblick in alle Geheimdienstoperationen zugesagt
Zur Begründung seiner Schlußfolgerung, daß die vorhandenen Ko
Zur Begründung seiner Schlußfolgerung, daß die vorhandenen Kontrollen ausreichend seien, verweist Hörnig zunächst auf die Fach-und Dienstaufsicht sowie auf die innerbehördliche Kontrolle. Ich bleibe dabei, daß diese inner-exekutiven Kontrollen, so intensiv sie auch sein mögen, der Forderung nach parlamentarischer Kontrolle nicht entgegengehalten werden können. Es käme auch niemand auf die Idee, die gerichtliche Überprüfung einer Verwaltungsmaßnahme für entbehrlich zu halten, weil sie von der vorgesetzten Behörde im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht gebilligt worden ist. Die korrekte Ausübung der Fach-und Dienstaufsicht über die Nachrichtendienste kann vielmehr selbst Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle sein. Im „Fall Traube" hat sich dieses Instrument übrigens gerade nicht als über jeden Zweifel erhaben erwiesen. Hörnig führt ferner ins Feld, daß eine parlamentarische Kontrolle, die nur dann tätig wird, wenn hierzu konkreter Anlaß besteht (Untersuchungsausschuß), dem Verhältnis von Parlament und Regierung angemessener sei als ein permanentes Kontrollgremium.
Das ist im Prinzip richtig, soweit es sich um transparente Kontrollgegenstände handelt. Es kann aber nicht gelten gegenüber den systematisch abgeschotteten Nachrichtendiensten, bei denen das Parlament normalerweise gar nicht bemerken kann, daß ein „konkreter An*laß zur parlamentarischen Kontrolle gegeben ist. Schließlich verteidigt Hörnig die Legitimation des Parlamentarischen Vertrauensmännergremiums (PVMG) als parlamentarisches Kontrollorgan. Zur realen Einschätzung des PVMG dürfte es von Bedeutung sein, daß langjährige Mitglieder des Gremiums ihre eigene Tätigkeit mit erheblicher Skepsis betrachten. Kann der Bürger persönliches Vertrauen in eine Einrichtung haben, von der etwa der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner öffentlich erklärt hat, daß sie „mehr schlecht als recht“ 6) funktioniere oder die der CDU-Abgeordnete Friedrich Vogel als „Scheinkontrolle" und „untaugliches Mittel parlamentarischer Kontrolle" 7) bezeichnet? Hömig hält es für unerheblich, daß das PVMG nicht auf eine Rechtsnorm zurückgeführt werden könne und verweist statt dessen auf das Selbstorganisationsrecht des Parlaments und der Fraktionen. Auch ich habe selbstverständlich die Bildung und das Wirken des PVMG für rechtlich zulässig gehalten, wenngleich Hörnigs Darstellung den gegenteiligen Eindruck erweckt. Aber die Zulässigkeit seiner Existenz besagt noch nichts über die Relevanz seines Wirkens. Rechtliche Bedeutung kommt dem PVMG deshalb nicht zu, weil eine dem Gesamtparlament obliegende Aufgabe wie die Kontrolle der Nachrichtendienste nicht ohne ausdrücklichen Beschluß des Inhabers des Kontrollrechts von einem anderen Gremium wahrgenommen werden kann. Interfraktionelle Abmachungen sind kein Ersatz für Parlamentsbeschlüsse. Hörnigs Einwurf, daß auch die Mitglieder der Parlamentsausschüsse von den Fraktionen, nicht vom Plenum, nominiert werden, führt nicht weiter, weil jedenfalls die Ausschüsse als Institutionen des Parlaments auf das Grundgesetz, die Geschäftsordnung und förmliche Parlamentsbeschlüsse zurückgehen. Die Ausschüsse sind „Organe des Bundestages" 8) und werden von ihm „eingesetzt" 9); weder das eine noch das andere trifft auf das PVMG ZU. Auch kann sich das PVMG nicht wie ein Ausschuß mit Berichten und Anträgen an das Plenum wenden. Die beliebige Unverbindlichkeit des PVMG erweist sich auch darin, daß es seit dem Ende der 7. Wahlperiode noch nicht wieder zur Bildung dieses Gremiums gekommen ist.
Auf eine gefährliche — weil abschüssige — Bahn begibt sich m. E. Hörnig seinem Versuch, die Notwendigkeit einer förmlichen Ermächtigung für nachrichtendienstliche Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht wegzudiskutieren. Zur Rechtfertigung solcher Eingriffe soll es ausreichen, daß „verfassungsrechtliche Prinzipien im Einzelfall Beachtung verlangen“
Die von Hornig zur Beschränkung nachrichtendienstlicher Machtentfaltung für ausreichend erachtete Güterabwägung zwischen den Belangen des Staatsschutzes und dem Recht auf unbehinderte Entfaltung der Persönlichkeit trägt dem Rechsschutz des Bürgers vor allem dann nicht genügend Rechnung, solange dahinter keine ernstzunehmen-13 de Kontrollmöglichkeit steht. Daß eine mit Staatsschutzaufgaben betraute Behörde bei der von ihr selbst vorzunehmenden Abwägung dazu neigen wird, dem Staatsschutzinteresse im Zweifel Vorrang vor Individualinteressen einzuräumen, liegt auf der Hand. Zu welch gegensätzlichen Ergebnissen die Güter-abwägung führen kann, wenn die Eingriffsermächtigung unbestimmt ist, hat die Diskussion über den „Fall Traube" eindringlich gezeigt. An die Normgebung für die Nachrichtendienste privilegierte Maßstäbe anzulegen, weil die Dienste Einrichtungen „sui gene-ris"
Hörnig bestreitet schließlich meine These, daß die Unbestimmtheit einer Eingriffsermächtigung für die Nachrichtendienste durch eine verbesserte parlamentarische Kontrolle kompensiert werden könne. Ich verkenne nicht, daß meine Konstruktion angreifbar ist. Sie ist jedoch das Ergebnis einer von Hömig in anderem Zusammenhang vermißten „integrierten"
Hermann Borgs-Maciejewski, Dr. jur., geb. 1938 in Düsseldorf, Regierungsdirektor beim Deutschen Bundestag. Veröffentlichungen u. a.: Die Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche des Dienstherrn gegen Beamte, Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 74, Bonn 1967; Radikale im öffentlichen Dienst. Dokumente, Debatten, Urteile (Godesberger Taschenbuch) Bonn-Bad Godesberg 1973; Radikale im öffentlichen Dienst, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/73 und B 5/74; Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz (zusammen mit H. Meyer), Frankfurt 1976; Parlament und Nachrichtendienste, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/77.
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