Die Studenten an den Hochschulen der Bundeswehr. Aspekte ihrer Sozialisation
Arwed Bonnemann /Dieter Jörgensen
/ 17 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
In dem vorliegenden Aufsatz wird versucht, der Frage nach der Herkunft der Studenten, die gleichzeitig Offizier sind, nachzugehen. Wer sind die Studenten der Hochschule der Bundeswehr (HSBw)? Welche psycho-sozialen Bedingungen und Einflüsse spielen für ihre Berufswahl eine Rolle? Finden sich charakteristische Merkmale oder Motive, nach denen sich die Studenten der Hochschule der Bundeswehr unterscheiden von denen an „zivilen" Hochschulen? Welche Rolle spielt die Dienstzeit vor Studienbeginn? Diese Fragen, die im Mittelpunkt des Aufsatzes stehen, werden anhand von Ergebnissen einer unter den Studenten der ersten drei Jahrgänge der HSBw Hamburg durchgeführten Umfrage analysiert. Es zeigte sich hierbei, daß sich die Studenten der HSBw in den hier untersuchten Sozialisationsdeterminanten nicht von den Studenten einer „zivilen" Hochschule unterscheiden; insbesondere ergaben sich in dieser Untersuchung keine spezifischen Determinanten für die Wahl des Offizierberufes. Auch das Numerus-clausus-Problem scheint relativ wenig Einfluß auf die Wahl des Offizierberufs mit dazugehörigem Studium gehabt zu haben. In dieser Arbeit können und sollen zu den untersuchten Fragestellungen keine endgültigen Antworten gegeben werden. Insbesondere wird darauf hingewiesen, daß alle Fragen, die institutionelle Merkmale der Hochschule und Leistungsverhalten der Studenten betreffen, hierin nicht aufgegriffen werden.
Einleitung
Das Gutachten der Bildungskommission über die Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr von 1971 orientierte sich in der Leitidee vor allem daran, das interne Ausbildungs-und Bildungssystem in der Bundeswehr entsprechend dem gesellschaftlichen Wandel demjenigen außerhalb der Bundeswehr anzugleichen Ein wissenschaftliches Studium als Teil der Ausbildung zum Offizier wurde in diesem Konzept als besonders notwendig erachtet — einmal, um die Attraktivität des Offiziersberufs zu erhöhen und zum anderen, um den neuen Anforderungen, die an die berufliche Qualifikation des Offiziers gestellt werden, besser gerecht zu werden. Aus den Thesen, die dem Gutachten und seiner Konzeption zugrundelagen, ergaben sich bestimmte Erwartungen an die neuen Offiziere der Bundeswehr. Auch erhoffte man sich hinsichtlich der Rekrutierung des Offizier-nachwuchses einen bestimmten Wandel. Dabei setzte man vor allem auf die durchaus als attraktiv zu bezeichnenden äußeren Bedingungen eines zusätzlichen akademischen Studiums. Die Hochschulen der Bundeswehr (HSBw) in Hamburg und München bestehen jetzt vier Jahre; die ersten Diplome wurden im Herbst 1976 vergeben. Grund genug für den Versuch, einige Hinweise und sich abzeichnende Trends darzustellen.
Abbildung 6
Tabelle 6: „Wie reagierten Ihre Eltern im allgemeinen auf schlechte Noten?“
Tabelle 6: „Wie reagierten Ihre Eltern im allgemeinen auf schlechte Noten?“
Wer sind die Studenten der Hochschule der Bundeswehr? Welche psycho-sozialen Bedingungen und Einflüsse spielen für ihre Berufswahl eine Rolle? Finden sich charakteristische Merkmale oder Motive, nach denen sich die Studenten der Hochschule der Bundeswehr unterscheiden von denen an „zivilen" Hochschulen? Welche Rolle spielt die Dienstzeit vor Studienbeginn?
Abbildung 7
Tabelle 7: „Wenn Sie während der Schulzeit persönliche Probleme hatten, mit wem haben Sie sich dann in der Regel darüber unterhalten?"
Tabelle 7: „Wenn Sie während der Schulzeit persönliche Probleme hatten, mit wem haben Sie sich dann in der Regel darüber unterhalten?"
Anhand empirischer Daten sollen im folgenden diese und andere Fragestellungen aufgegriffen werden. Es wird dabei nicht der Anspruch erhoben, mit den Ergebnissen schon endgültige Antworten zu liefern; es soll aber versucht werden, Anhaltspunkte und Anregungen für weitere Diskussionen zu geben.
Abbildung 8
Tabelle 8: „Wie schätzen Sie die Dienstzeit vor dem Studium ein?"
Tabelle 8: „Wie schätzen Sie die Dienstzeit vor dem Studium ein?"
Für die in diesem Beitrag untersuchten Fragestellungen interessiert vor allem auch ein Vergleich der Studenten der Hochschulen der Bundeswehr mit Studenten an „zivilen" Hochschulen. Wo immer es möglich ist, werden daher die Ergebnisse einer Untersuchung an der Universität Saarbrücken herangezogen die im WS 72/73 durchgeführt wurde. Untersuchungen jüngeren Datums in gleicher Größenordnung und mit ähnlich hoher inhaltlicher Relevanz für unsere Fragestellungen liegen unserer Kenntnis nach nicht vor. In der Anlage und Konzeption unseres Fragebogens haben wir uns aus Gründen der Vergleichbarkeit in einigen Bereichen an der Saarbrücker Untersuchung orientiert.
Zu dieser Untersuchung
Der vorliegende Bericht geht zurück auf eine empirische Untersuchung des Hochschuldidaktischen Zentrums vom Frühjahrstrimester 1976, in der eine Analyse des allgemeinen Studienverhaltens der Studenten der Hochschule der Bundeswehr Hamburg erstellt wurde, um aus diesen Ergebnissen entsprechende Folgerungen und Konsequenzen abzuleiten, die der Weiterentwicklung von Studium und Lehre dienen. In der Konzeption der Untersuchung gingen wir davon aus, daß die unterschiedlichen Bedingungen und Auswirkungen von Lehre und Lernen nur in einem funktionalen Zusammenhang sowohl individueller als auch institutioneller Merkmale untersucht werden können: Auftretende Schwierigkeiten sind nicht nur abhängig von den aktuellen Bedingungen des jeweiligen Hochschulsystems, sondern auch von der individuellen Lerngeschichte, der personalen Prädisposition, von den Sozialisationseinflüssen durch Elternhaus, Schule, vorangegangener Dienstzeit usw., durch die sich wiederum unterschiedliche individuelle Merkmale wie spezielle Interessen, Einstellungen, Erwartungshaltungen, Formen von Leistungsanspruch usw. herausbilden.
Die in diesem Aufsatz vorgestellten Ergebnisse stellen nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Datenmaterial der Untersuchung dar; Variablen, die institutioneile Merkmale der Hochschule beschreiben, werden hier nicht berücksichtigt. Die Daten wurden mittels eines Fragebogens gewonnen, der an alle Studenten der Hochschule verschickt wurde. Es beteiligten sich insgesamt N = 621 Studenten; das entspricht 53, 4 % der zu diesem Zeitpunkt an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg eingeschriebenen Studenten der Jahrgänge
1973, 1974 und 1975
Zur Wahl des Studienfachs
Abbildung 2
Tabelle 3: „Welche Gründe waren vor allem maßgebend für (Bitte höchstens zwei Antworten ankreuzen.
Tabelle 3: „Welche Gründe waren vor allem maßgebend für (Bitte höchstens zwei Antworten ankreuzen.
Altersstruktur und Familienstand der befragten Studenten
Wenn die zum Offizierberuf entschlossenen Abiturienten das Prüfungsverfahren bei der Offizierbewerberprüfzentrale (OPZ) und das Abitur erfolgreich abgeschlossen haben, ist zunächst der weitere Ablauf bis zum Beginn des Studiums an einer Hochschule der Bundeswehr mit 15 Monaten Ausbildung in der Bundeswehr im Prinzip vorgegeben. Es er -staunt daher nicht, daß auch die Altersstruktur der in der Stichprobe erfaßten Studenten dementsprechend homogen ist: 85 Prozent der Befragten sind zwischen 20 und 23 Jahre alt, 12 Prozent zwischen 24 und 25 Jahre.
Ein sehr entscheidender Unterschied zu den Studenten an anderen Hochschulen besteht darin, daß die Studenten der HSBw Beamten-status haben, ein regelmäßiges Gehalt bezie-hen und die beruflichen Zukunftsperspektiven weitgehend Überschaubar sind. Dies legt die Vermutung nahe, daß deswegen mehr Studenten der 1 ISBw verheiratet sein müßten, als dies an anderen l lochschulen der Fall ist. Der Vergleich mit den Ergebnissen der genannten Saarbrücker Untersuchung bestätigt eine derartige Vermutung Jedoch nicht, wie aus der vorstehenden Tabelle hervorgeht.
In den aufgeführten „eindeutigen" Kategorien sind die in den beiden Untersuchungen gefundenen Prozentwerte ähnlich: die Anzahl der verheirateten und der verlobten Studenten unterscheidet sich gegenüber denen an „zivilen" Hochschulen nicht. Ein Unterschied ist aber insofern zu erkennen, daß 9 Prozent mehr Studenten der Universität Saarbrücken angeben, eine „feste Freundin" zu haben als Studenten der HSBw. In diesem Zusammenhang spielt wohl der Sondercharakter einer reinen „Männer-Hochschule" eine Rolle, in der Kontaktmöglichkeiten zum anderen Geschlecht über das Studium nicht gegeben sind.
Die weitgehende Übereinstimmung in der Verheiratetenquote relativiert sich etwas dadurch, daß das Durchschnittsalter der Saarbrücker Stichprobe mit 23, 6 Jahren genau um ein Jahr über dem der Studenten der HSBw liegt. Erwartungsgemäß steigt der Prozentsatz verheirateter Studenten an der HSBw von Jahrgang zu Jahrgang; bei den Befragten des Jahrgangs 1973 beträgt er schon 40 Prozent.
Numerus clausus
Die Möglichkeit, den Offizierberuf mit einem vollen Hochschulstudium zu verbinden, fiel in eine Zeit, in der sich der Numerus clausus für fast alle Studienfächer an den öffentlichen Hochschulen verschärfte. Es kann daher vermutet werden, daß diese bildungspolitische Situation in verstärktem Ausmaß Abiturienten veranlassen könnte, über den Weg Bundeswehr und Offizierberuf einen Studienplatz und ein akademisches Studium zu erreichen. Aber schon bei der allgemein abgefaßten Fra-ge, ob das Numerus-clausus-Problem einen Einfluß auf die Berufswahl hatte, antworteten wider Erwarten nur 16 Prozent der Studenten mit „Ja". Auch in der Aufteilung nach Fachbereichszugehörigkeit, nach Studentenjahrgangen und nach Offiziersstatus zeigt sich keine grundlegende Verschiebung.
Es antworten zwar mehr künftige Offiziere auf Zeit, daß der Numerus clausus einen Einfluß hatte, aber doch nicht in der Häufigkeit, die man hätte erwarten können. Das gleiche gilt für den Vergleich der Jahrgänge: Es ist zwar ein Anstieg zu erkennen, erwartungsgemäß besonders stark zwischen Jahrgang 73 und 74, dann ein weiterer Anstieg zu Jahrgang 75, aber insgesamt bleibt die Anzahl der Studenten, für die das Numerus-clausus-Problem einen Einfluß auf die Offizierberufswahl hatte, mit weniger als 20 Prozent relativ niedrig.
In dieser Deutlichkeit ist dieses Ergebnis unerwartet, zumal wir — darauf kann in diesem Zusammenhang nur hingewiesen werden — in dieser Untersuchung auch festgestellt haben, daß in wichtigen Schulfächern des Abiturs die Durchschnittsnoten der Saarbrücker Ver-
gleichsstichprobe signifikant höher lagen. Es bleibt zu prüfen, ob und in welcher Richtung sich hier bei den neuen Jahrgängen Veränderungen oder Verschiebungen ergeben.
An anderer Stelle des Fragebogens wird noch einmal in modifizierter Form nach dem Zusammenhang von Offizierberufswunsch und Erhalt eines Studienplatzes gefragt. Die Ergebnisse sind ähnlich, so daß gesagt werden kann: das Motiv, als Offizier zur Bundeswehr zu gehen, scheint nur in geringem Umfang darin begründet zu liegen, relativ schnell und sicher einen Studienplatz zu bekommen.
Wahl des Studienfachs
Das Zustandekommen einer Entscheidung für ein Studienfach — eine Entscheidung, die das ganze weitere Leben maßgeblich bestimmt — ist ein komplexer Vorgang. Das dürfte erst recht der Fall sein, wenn damit im Zusammenhang die Realisierung des Berufswunsches Offizier steht. Motivzusammenhänge können nur vom Individuum her, unter Einbeziehung seiner gesamten Sozialisations-und Lerngeschichte, geschlossen und erklärt werden. Andererseits ist ein solcher Entschluß oft auch abhängig von mehr pragmatischen Gesichtspunkten wie z. B. familiäre oder ökonomische Zwänge, Studiendauer oder von außen gesetzter Beschränkungen wie Numerus clausus oder Berufsaussichten. Von daher ist interessant, daß immerhin zwei Drittel der befragten Studenten der HSBw erklären, das Studien-fach gewählt zu haben, das sie schon vor Eintritt in die Bundeswehr interessierte. Die Angaben liegen bei den Fachbereichen MB, ET und Päd und auch bei den Zeitoffizieren über 70 Prozent, während die Wahl des Studienfachs für die WOW-Studenten auch von anderen Bedingungen abhängig zu sein scheint.
Das Numerus-clausus-Problem an den öffentlichen Hochschulen hat, wie oben aufgezeigt wurde, auf die Wahl des Offizierberufs mit dazugehörigem Studium einen nur geringen Einfluß; das mag auch daran liegen, daß die Disziplinen an der HSBw keine „harten" Numerus-clausus-Fächer sind. Eine weitere in diesem Zusammenhang gestellte Frage (vgl. Tabelle 3) bekräftigt das erste Ergebnis: Das persönliche Interesse am Fach schon während der Schulzeit war für fast zwei Drittel der
Studenten der wichtigste Grund für die Wahl des Studienfachs. Das läßt den Schluß zu, daß sehr viele Studenten ihren in der zweiten Sozialisationsphase entstandenen Studienfachwunsch auch wirklich durch ein Studium an der HSBw realisieren.
An zweiter Stelle, aber mit deutlichem Abstand, wird als Begründung für das gewählte Fach das berufliche Fortkommen nach der Verpflichtungszeit genannt (32 Prozent) Erst dann folgen mit wiederum deutlichem Abstand die Angaben, nach denen die Entscheidung für das gewählte Fach bundeswehrspezifische Hintergründe hat: Da ist einmal die Einflußnahme der Offizierbewerberprüfzentrale; dann spielen Überlegungen hinsichtlich besserer Aufstiegschancen in der Truppe eine gewisse Rolle; bei den Jahrgängen 1974 und 1975 haben sich einige nach den Ratschlägen ihrer Studienvorgänger gerichtet; in geringem Umfang scheinen auch Empfehlungen durch die Truppe die Entscheidung zu beeinflussen.
Unterschiede in der Beantwortung dieser Frage bestehen erwartungsgemäß zwischen den Studenten, die Berufsoffiziere werden wollen und denen, die nach insgesamt 12 Jahren die Bundeswehr wieder verlassen wollen. Alle Merkmale, die hierbei die Bundeswehr unmittelbar oder mittelbar betreffen, sind für die Zeitoffiziere bei der Wahl des Studienfachs von einer weniger wichtigen Bedeutung; das berufliche Fortkommen nach der Verpflichtungszeit ist für sie ein sehr viel stärkeres Motiv.
Die Wahl des Offiziersberufs in Abhängigkeit vom sozialen Hintergrund
Abbildung 3
Tabelle 2: „Konnten Sie das Studienfach wählen, das Sie schon vor dem Eintritt in die Bundeswehr interessierte?
Tabelle 2: „Konnten Sie das Studienfach wählen, das Sie schon vor dem Eintritt in die Bundeswehr interessierte?
Die These eines Zusammenhangs zwischen autoritärer Einstellung und militärischer Tätigkeit wird häufig aufgestellt. Dabei wird hypothetisch und nicht immer frei von Vorurteilen behauptet, daß Persönlichkeiten mit Bedürfnis nach Autorität und festgefügter Ordnung häufiger bei der Bundeswehr anzutreffen seien als in anderen Berufen. Es werden Parallelen gezogen zwischen militärischer Autoritätsstruktur und dem Merkmal „autoritärer Persönlichkeit". Im folgenden wird versucht, von einem etwas anderen Ausgangspunkt dieser These nachzugehen.
Die Ergebnisse der Sozialisationsforschung weisen nach, daß primäre und sekundäre Sozialisationserfahrungen weitgehend Schulerfolg und Berufswahl bestimmen. Das bedeutet für unsere Fragestellung, daß der Entschluß, Offizier zu werden, nicht allein und unmittelbar mit dem Organisationscharakter der Institution Bundeswehr zu erklären ist. Es kann vielmehr angenommen werden, daß bestimmte Sozialisationsbedingungen und -Inhalte während der primären und sekundären Sozialisation bei den Heranwachsenden solche Einstellungen und Verhaltensweisen hervorbringen, die dem Bild vom Offizier oder den Erwartungen der Institution entsprechen.
Familientradition und -erziehung, Schichtzugehörigkeit und soziale Position, Anregungsniveau im Elternhaus usw. haben nicht nur einen hohen Einfluß auf das Bildungsund Schulverhalten, auf Berufswahl, Berufserwartungen oder Studienfachwahl, sondern dieser Einfluß hat innerhalb bestimmter Wahrscheinlichkeiten gesetzmäßigen Charakter.
Die Eltern unterschiedlicher sozialer Schichten vermitteln aufgrund der Erfahrungen ihrer jeweiligen Arbeitsund Lebensbedingungen ihren Kindern unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensdispositionen. Es findet ein schichtspezifischer Selektionsprozeß statt, der abhängig ist von Bedingungen wie z. B. Leistungsstreben, Aufstiegsorientierung, Zukunftsplanung, Betonung kognitiver Fähigkeiten, aber auch von Berufsposition, Ausbildungsniveau, Einkommen und Besitz.
In der Sozialisationsforschung wird nachgewiesen, daß psychische Dispositionen wie — Bedürfnis nach Autorität und festgefügter Ordnung, — Machtstreben (der Wunsch, andere Menschen zu führen und zu beeinflussen), — die Suche nach einem legitimen Aggressionsfeld, — Kontaktprobleme und die Suche nach väterlicher Zuwendung sich mit größerer Wahrscheinlichkeit in Familien entwickeln, in denen ein eher starres Rollenschema herrscht, statusorientierte Inter-aktionsund Kommunikationsmuster dominieren, dem einzelnen geringer Handlungsspielraum geboten wird, die Kommunikation zwischen Eltern und Kind hierarchisch verläuft und persönliche Probleme und Konflikte nicht oder wenig angesprochen werden Dabei wird zwar von den Jugendlichen eine selbständige und selbstkontrollierte Einhaltung von Normen sowie die selbständige Ausführung von Anweisungen erwartet, die Selbständigkeit beschränkt sich aber auf die durch Autorität definierten Grenzen
Auf dem Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen müßten bei einer Analyse der entsprechenden Sozialisationskriterien spezifische Merkmale erkennbar werden, welche die Entscheidung, Offizier zu werden, verursacht haben. Daher ist bei den folgenden Darstellungen der Vergleich mit den Ergebnissen der Saarbrücker Untersuchung von besonderer Bedeutung.
Sozialstatus
Bei der Beschreibung des sozialen Hintergrundes der Studenten benutzen wir einen 1972 von Bauer entwickelten Index, den „Bildungsrelevanten Sozialstatus (BRSS)" Zur Berechnung dieses Index gehen drei Indikatoren ein: die berufliche Position des Vaters, die Schulbildung des Vaters und die Schulbildung der Mutter.
Das Ergebnis: Die Gesamtstichprobe der Studenten der HSBw unterscheidet sich in ihrem bildungsrelevanten Sozialstatus nicht von der der Studenten der Universität Saabrücken; im Mittel können die Studenten beider Stichproben nach dieser Einteilung der unteren bis mittleren Mittelschicht zugeordnet werden — bei aller Pauschalität, die eine solche Aussage hat. Gleichwohl ist hiermit die Aussage möglich, daß die Studenten mit dem Berufswunsch Offizier in dem Merkmal „bildungsrelevanter Sozialstatus" keine Sonderrolle einnehmen. Die soziologischen Voraussetzungen und Bedingungsgrößen scheinen für beide Stichproben ähnlich zu sein.
Vergleiche zwischen den Fachbereichen ergeben, daß die Studenten der Fachbereiche Päd und WOW jeweils einen signifikant höheren bildungsrelevanten Sozialstatus haben als die Studenten der Fachbereiche MB und ET, während zwischen den Fachbereichen Päd und WOW einerseits sowie zwischen den Fachbereichen MB und ET andererseits die Unterschiede statistisch nicht relevant sind.
Bei der Betrachtung der einzelnen Studentenjahrgänge ist zunächst kein durchgehender Trend ersichtlich; dennoch ist festzustellen, daß der Studentenjahrgang 1973 gegenüber den beiden Studentenjahrgängen 1974 und 1975 einen signifikant niedrigeren bildungsrelevanten Sozialstatus besitzt
Die Stichprobe der Studenten, die Berufsoffiziere werden wollen, hat einen signifikant höheren bildungsrelevanten Sozialstatus als die Stichprobe der Studenten, die sich nur für 12 Jahre als Offiziere auf Zeit verpflichten wollen. Die Berufsoffiziere unterscheiden sich auch deutlich von den Saarbrücker Studenten, die Zeitoffiziere jedoch nicht.
Bei der Berechnung des bildungsrelevanten Sozialstatus wurde auf rein soziologische Da-ten Bezug genommen. In diesem Abschnitt soll nun versucht werden, den Sozialisationshintergrund der Studenten durch Einbeziehung weiterer Determinanten in Familie und Elternhaus zu beschreiben, wobei im einzelnen betrachtet werden:
— Haupterziehungsziele der Eltern, — Verhalten der Eltern bei Auseinandersetzungen, — Reaktion der Eltern auf schlechte Noten, — Kontaktpersonen bei persönlichen Problemen,
— Haltung der Eltern zur Berufswahl.
Zum Vergleich werden wieder die Ergebnisse der Saarbrücker Untersuchung herangezogen. Es ist ersichtlich, daß bei den Angaben beider Stichproben die Übereinstimmung in der Rangfolge der Nennungen hoch ist. überdauernde Erziehungsziele, die von den Studenten der HSBw am meisten angegeben werden, werden auch von den „zivilen" Studenten am häufigsten genannt; seltener aufgetretene Merkmale in der Saarbrückener Untersuchung sind ebenfalls bei den Hamburger Studenten weniger häufig zu verzeichnen.
Darüber hinaus wird deutlich: Nach der Einschätzung der Studenten beider Stichproben haben diejenigen elterlichen Erziehungsziele die größte Rolle gespielt, die kennzeichnend sind für aufstiegsorientierte Mittelschichtsozialisation: Selbständigkeit und Durchsetzungsvermögen, späterer beruflicher Erfolg, Aufrichtigkeit und Pflichtbewußtsein, d. h. normenund rollenstabile sowie leistungsbetonte Merkmale. Auch hier läßt sich der Tabelle entnehmen, daß im Prinzip die Formen des Verhaltens bei Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Sohn in beiden Gruppen nicht sehr unterschiedlich verlaufen sind. Die Studenten geben an, mit den Eltern Probleme vor allem sachlich und argumentiv besprochen zu haben; auf der anderen Seite beharrten aber vor allem die Väter ähnlich häufig auf ihrem Standpunkt. Das Verhalten der Eltern, besonders der Väter, bei Auseinandersetzungen scheint sich in der rationalen Wahrnehmung der Heranwachsenden in Form sachlicher Argumentation darzustellen, was aber nicht bedeutet, daß die Erwachsenenautorität geschmälert wäre, wie im häufigen Beharren des Vaters auf seinem Standpunkt zum Ausdruck kommt. Die studentische Wahrnehmung elterlichen Verhaltens entspricht dabei dem traditionellen Geschlechtsrollenstereotyp, wobei die Frau eher gefühlsbetont, der Mann eher sachlich orientiert ist. Schulnoten als ein quasi objektives Maß für den Leistungsfortschritt der Kinder sind im allgemeinen ein gutes Kriterium, um die Art der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern zu veranschaulichen, besonders wenn bei schlechten Noten wegen bestimmter Erwartungshaltungen Enttäuschungen damit verbunden sind. Bei dieser Frage wiederholt sich der gleiche Trend wie bei den vorangegangenen Fragestellungen: Bei den Studenten beider Hochschulen verteilen sich die meisten Antworten auf drei Kategorien, wenn auch graduell etwas unterschiedlich. Dabei fällt auf, daß jeweils mit mehr als der Hälfte die Väter und Mütter der HSBw-Studenten häufiger mit Trost, Ermutigung und Hilfestellung reagierten als die Eltern der Saabrücker Studenten (Summe der ersten beiden Kategorien). Die Übereinstimmung in der Rangfolge der Antworten ist wiederum hoch, doch zeigt sich ein interessanter Unterschied insofern, als beide Eltern der HSBw-Studenten deutlich öfter die Ansprechpartner für die Besprechung persönlicher Probleme waren als für die Studenten der Universität Saarbrücken, die sich häufiger an Personen außerhalb des Familienrahmens gewandt haben. Der familiäre Zusammenhalt scheint bei den Studenten der HSBw enger gewesen zu sein.
c) Haltung der Eltern gegenüber Offizierberuiswunsch
Der im Laufe der Schulzeit und vor allem vor dem Abitur sich festigende Entschluß des Sohnes, Offizier zu werden, scheint für die El-tern im allgemeinen ein problemloser bzw. positiv-angemessener Vorgang gewesen zu sein. 58 Prozent der Studenten geben an, daß ihnen die Entscheidung völlig überlassen worden ist, 31 Prozent wurden in ihrem Entschluß durch die Eltern bestärkt. Ausnahme bleibt, daß Eltern trotz schwerer Bedenken den Entschluß dennoch respektieren (6 Prozent), oder daß es wegen des Berufswunsches zum Konflikt gekommen wäre (1 Prozent).
Von daher erstaunt es nicht, daß 82 Prozent der Eltern heute dem gewählten Beruf des Sohnes positiv gegenüberstehen, sich nur 18 Prozent neutral verhalten und negative Elterneinstellungen dem Beruf gegenüber überhaupt nicht vorkommen.
Faßt man die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen, so läßt sich sagen:
1. Weder in ihrem bildungsrelevanten Sozialstatus noch in den erlebten familiären Verhaltensmustern unterscheiden sich die Studenten der HSBw wesentlich von den Saabrücker Studenten. Beide Stichproben sind nach der hier verwendeten Skala der unteren bis mittleren Mittelschicht zuzuordnen.
2. Im allgemeinen wird diese soziale Schicht als aufstiegsorientiert beschrieben. Ein sol-ches Motiv dürfte in beiden Stichproben eine Rolle spielen; für die Studenten der HSBw konnten jedoch keine spezifischen Merkmale, die die Wahl des Offiziersberufs determinieren, aufgezeigt werden.
Bundeswehrdienstzeit vor Studienbeginn
Abbildung 4
Abbildung 4
Abbildung 4
Es scheint für das Studium an den HSBw von hoher hochschuldidaktischer Relevanz zu sein, daß die Studenten vor Beginn ihres Studiums in der Truppe eine 15monatige Ausbildung erhalten und Erfahrungen in ihrem soldatischen Berufsfeld sammeln. Für die Hochschul-bzw. die Sozialisationsforschung im sogenannten tertiären Bereich ist damit eine interessante, quasi-experimentelle Situation dadurch gegeben, daß zwischen Abitur und Studienbeginn eine auf einen anderen als den akademischen Beruf vorbereitende Sozialisationsphase eingeschoben ist. Diese Konstellation ist an keiner anderen Hochschule gegeben bzw. gibt es in dieser Form für keine andere akademische Disziplin.
Die Vermutung liegt nahe, daß die Studenten des HSBw aufgrund der erlebten spezifischen Merkmale des Militärlebens, wie z. B.dem Prinzip von Befehl und Gehorsam, hierarchischer Struktur, Uniform, vorgegebenen Dienstablauf usw., auch mit spezifisch anderen Haltungen, Erwartungen und Verhaltensdispositionen das darauf folgende Studium mit dem Prinzip der akademischen und auch der persönlichen Freiheit beginnen als Studenten, die diese Erfahrungen nicht gemacht ha-ben
Der Abiturient erfährt durch das Beteiligtsein an der Bundeswehrberufswelt, daß die hier gestellten Anforderungen, erwarteten Leistungen und Werte andere sind als sie für die vorangegangenen schulischen Arbeits-und Lernprozesse geforderten. Er hat gelernt, daß z. B. gute kognitiv-abstrakte Leistungen in der Schule mit guten Noten belohnt worden sind, und nimmt nun wahr, daß das Erleben von Erfolg und Mißerfolg auch von anderen, ungewohnten Maßstäben abhängig ist. Mit Studienbeginn gelten diese neuen Erfahrungen schlagartig nicht mehr, es wechseln wieder Anforderungen, Anspruchsniveau, Selektionsmechanismen, das soziale Bezugssystem, es wechselt die „Rolle", die er einnehmen muß.
Zu dieser Thematik waren im verwendeten Fragebogen einige Aussagen formuliert, die mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten. Damit sollten die HSBw-Studenten die Relevanz der dem Studium vorangegangenen Dienstzeit für die eigene Zukunftsperspektive, für die Persönlichkeitsentwicklung und für das Studium einschätzen. Für 79 Prozent der Befragten war die Dienstzeit vor Studienbeginn zwar eine wichtige berufliche Vorerfahrung, die Richtlinien für die Zukunft hat sie jedoch nur für weniger als die Hälfte (47 Prozent) weisen können — den angehenden Berufsoffizieren deutlich mehr als den Offizieren mit Zeitverpflichtung.
Durch die Bundeswehrdienstzeit wurde für die meisten Studenten (83 Prozent) der Erfahrungsbereich im Vergleich zur Schulzeit sehr stark erweitert; für zwei Drittel (68 Prozent) wurde erkennbar, daß nicht nur „intellektuelle" Fähigkeiten für das Bestehen im Leben von Wichtigkeit sind; die Hälfte der Befragten (51 Prozent) gab an, daß im Vergleich zu Schule und Studium eine gute Verbindung von Theorie und Praxis geherrscht habe.
Für drei Viertel der Befragten (73 Prozent) hatte die Dienstzeit eine Stabilisierungsfunktion für die eigene Persönlichkeit und gab ebenfalls für drei Viertel wichtige zusätzliche Maßstäbe für das eigene Verhalten (77 Prozent). Bei den zwei vorgegebenen Statements, die sich direkt auf das Studium beziehen, ist höchst interessant zu sehen, daß nur für auffallend wenig Studenten (7 Prozent) während der Dienstzeit Sinn und Ziel des Studiums transparent oder erkennbar wurden; darüber hinaus geben die Hälfte aller Befragten (51 Prozent) an — bei den Studenten der beiden ingenieurwissenschaftlichen Fachbereiche sogar 58 Prozent bzw. 57 Prozent —, daß die Umstellung auf wissenschaftliches Arbeiten erschwert wurde. Bei aller gebotenen Vorsicht einer Interpretation deutet sich hiernach an, daß die Bundeswehrdienstzeit vor Studienbeginn nicht unbedingt eine positive Funktion für das Studium zu haben scheint.
Zusammenfassung
Abbildung 5
Elternverhalten bei Auseinandersetzungen
Elternverhalten bei Auseinandersetzungen
Die vorgestellten Untersuchungsergebnisse stellen einen Diskussionsbeitrag dar. Sie können und sollen Anregungen und Hilfestellungen für die Weiterentwicklung der Hochschule geben, die zwar aus den elementaren Anfangsschwierigkeiten heraus ist, ihre endgültige Struktur aber nach vier Jahren noch nicht gefunden hat. 1. Die Studenten der Hochschule der Bundeswehr Hamburg sind im allgemeinen zwischen 20 und 23 Jahre alt, ein Fünftel von ihnen ist verheiratet. 2. Das Numerus-clausus-Problem scheint relativ wenig Einfluß auf die Wahl des Offiziersberufs (mit Studium) zu haben. Es wird in der Regel das Fach studiert, für das sich die Studenten schon vor der Verpflichtung interessiert und entschieden haben. 3. In den untersuchten Sozialisationsdeterminanten unterscheiden sich die Studenten der HSBw nicht von den Studenten der Saarbrükker Vergleichsstichprobe. Spezifische Merkmale, die den Berufswunsch Offizier determinieren, ergaben sich nicht.
4. Die Berufsvorerfahrungen während der Bundeswehrdienstzeit vor Studienbeginn scheinen Funktion und Stellenwert des Studiums für den Offizierberuf nicht genügend transparent zu machen.
Die empirischen Ergebnisse haben vorläufigen Charakter; sie beziehen sich auf die ersten drei Jahrgänge (inzwischen studiert der vierte und fünfte Jahrgang). Manche Bedingungen und Voraussetzungen innerhalb und außerhalb der Hochschule haben sich inzwischen verändert oder modifiziert; weitere begleitende empirische Forschungen werden sich anschließen.
Arwed Bonnemann, Dr. phil., Dipl. -Psych., geb. 1938; Lehrund Forschungstätigkeit auf den Gebieten des Programmierten Lernens sowie der Pädagogischen Psychologie; seit Oktober 1975 Leiter des Hochschuldidaktischen Zentrums der Hochschule der Bundeswehr Hamburg.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).