Seit Jahrzehnten ist der Nahe Osten ein Krisenherd der internationalen Politik; nationale religiöse, soziale und ideologische Gegensätze treffen hier aufeinander. Der Nahost-Konflikt ist nicht nur ein begrenzter, regionaler Konflikt, sondern seine Ursachen reichen weit in die europäische Geschichte zurück, und seine Auswirkungen sind weltweit zu spüren. Den Konflikt zu lösen oder ihn auch nur dauerhaft zu entschärfen, ist deshalb so schwierig, weil die Zahl der Beteiligten so groß, die Interessen so unterschiedlich und ihre wechselseitigen Verflechtungen und Abhängigkeiten so vielfältig sind. Die Frage, wer im Recht oder Unrecht ist, läßt sich so schwer beantworten, weil die unmittelbaren Gegner — Israel und Palästinenser — sich beide auf das Selbstbestimmungsrecht und die Menschenrechte berufen können. Die vorliegenden Ausführungen sollen dazu dienen, für den Unterricht diesen vieldimensionalen und komplexen Konflikt zu strukturieren, in dem die Ursachen des Konfliktes, die Grundpositionen der Beteiligten und ihre zentralen außenpolitischen Aktionsmuster anhand von Materialien dargestellt und belegt werden. Das erscheint als notwendige Voraussetzung für die Bewertung der Entscheidungen und Handlungen der am Konflikt beteiligten Nationen und für die Diskussion von Lösungsvorschlägen. Darüber hinaus lassen sich am Beispiel des-Nahost-Konfliktes exemplarisch Einsichten über die Entstehung internationaler Konflikte, die Bestimmungsfaktoren nationaler Außenpolitik, die Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen den Staaten und die Handlungsmuster internationaler Organisationen gewinnen.
I. Didaktische Überlegungen
Seit mehr als 60 Jahren gibt es im Nahen Osten Konflikte zwischen Palästinensern und Juden. In den letzten 30 Jahren haben Israel und die arabischen Staaten drei Kriege gegeneinander geführt, es gab zahllose Terrorakte und Vergeltungsaktionen zwischen Israelis und Palästinensergruppen. Eine Vielzahl von Kommissionen, Unterhändlern und Konferenzen versuchte, dem Nahen Osten mit Resolutionen, Programmen, Sicherungs-, Entflechtungs-und Friedensvorschlägen den Frieden oder mindestens Waffenruhe zu verschaffen. Bislang vergebens; der Konflikt ist offensichtlich zu tief verwurzelt, die Gegensätze sind zu groß, als daß Lösungen gefunden werden konnten, die von allen Beteiligten als zufriedenstellend und gerecht akzeptiert wurden. Von daher sind die Hoffnungen und Wünsche nicht nur der Ägypter und Israelis zu verstehen, die an den Besuch des ägyptischen Präsidenten Sadat in Israel im November 1977 geknüpft worden sind. Die Welt hoffte, daß direkte Gespräche der Repräsentanten der beiden Todfeinde eine Wendemarke setzen könnten, den Anfang machen würden zu neuen, endlich zum Frieden führenden Verhandlungen. Der Verlauf der Gespräche hat den Optimismus gedämpft; beide Seiten bestehen auf sich ausschließenden Bedingungen. Die politischen Verhandlungen sind ins Stocken geraten. Dennoch bleibt die Hoffnung, daß die Bereitschaft, miteinander zu reden, ein Zeichen ist, daß die verhärteten Fronten sich gelockert haben, daß vielleicht ernsthafter und mit mehr Aussicht auf Erfolg als bisher in der Geschichte des Nahost-Konflikts von allen Beteiligten der Friede gesucht wird.
Abbildung 6
Mat. 4
Mat. 4
Die Frage, ob Krieg oder Frieden im Nahen Osten, betrifft nicht allein die unmittelbar Beteiligten. Nicht nur, daß die Massenmedien (besonders das Fernsehen) die räumliche Distanz aufheben, die Weltöffentlichkeit zum Augenzeugen machen; spätestens das Ol-Embargo nach dem Oktoberkrieg 1973 hat jedermann gezeigt, wie sehr sein unmittelbares Wohlergehen von den Ereignissen im Nahen Osten beeinträchtigt werden kann.
Abbildung 7
Mat. 5
Mat. 5
Für die Thematisierung des Nahost-Konflikts in der politischen Bildung, im Unterricht, bedeutet das: der Konflikt ist bekannt, ein Bewußtsein von seiner regionalen und weltpolitischen Bedeutung ist mindestens in Ansätzen vorhanden. Das Thema Nahost-Konflikt genügt von daher drei zentralen Kriterien für die Auswahl von Inhalten der politischen Bildung: Es ist aktuell, es ist relevant, es erzeugt Betroifenheit. Weiterhin ist das Thema komplex und vieldimensional: Im historischen Ablauf des Konflikts entfalten und verschränken sich die Interessen und Aktionen zahlreicher Handlungsträger auf der nationalen und der internationalen Ebene. Historische, geographische und politische Faktoren beeinflussen die Entstehung und den Verlauf des Konflikts. Das Thema provoziert die Frage nach den Maßstäben zur Bewertung von Interessen und politischem Handeln. Gerade weil in diesem Konflikt die Position beider Seiten (der Israelis wie der Palästinenser) als verständlich und berechtigt erscheint, stellt sich die Frage nach den der Politik vor-und übergeordneten Kategorien. Beide Seiten können sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen, auf die Menschenrechtspostulate; beide fordern einen gerechten Frieden.
Abbildung 8
Vom Mandatsgebiet Palästina zum Staat Israel Quelle: Informationen zur politischen Bildung Ml . 1971. S. 13 Z
Vom Mandatsgebiet Palästina zum Staat Israel Quelle: Informationen zur politischen Bildung Ml . 1971. S. 13 Z
Diese Arbeit ist kein Unterrichtsmodell in dem Sinn, daß sie eine detaillierte Strukturierung und Verlaufsplanung einer Unterrichts-einheit im Hinblick auf bestimmte Lehrplan-forderungen für eine bestimmte Jahrgangsstufe bietet. Sie entwirft vielmehr ein didaktisches Schema (Übersicht I und II), das helfen soll, den vieldimensionalen Konflikt zu strukturieren, auf zentrale Aspekte zu reduzieren und ihn transparent zu machen. Gleichzeitig liefert dieses Schema eine Verlaufsplanung. Diesem Schema ensprechen die einzelnen Abschnitte der Arbeit, sie enthalten jeweils die Lernziele (Wissensziele), die mit dieser Sequenz vermittelt werden sollen und eine in-23 haltliche Übersicht mit Verweisen auf die Materialien. Die Konzeption ist für den Unterricht in Politik und Geschichte auf der Sekundarstufe II ausgearbeitet. Mit Kürzungen und Vereinfach-ungen läßt sie sich auch in der Sekundarstufe I (10. Klasse) und in der außerschulischen Bildungsarbeit (Vorbereitungsseminare zu Israel-Reisen für Jugendgruppen z. B.) verwenden.
II. Die Geschichte des Nahost-Konflikts
Abbildung 2
Übersicht II
Übersicht II
Zum Verstehen und Bewerten der gegenwärtigen Konfliktlage, der Position der Beteiligten, ist die historische Dimension unerläßlich. Die besonderen Probleme und Schwierigkeiten, für alle Beteiligten befriedigende Lösungen in diesem Konflikt zu finden, erklären sich großenteils aus seiner Geschichte (Übersicht I).
Abbildung 9
Mat. 7
Mat. 7
Zentral erscheinen folgende Gesichtspunkte:
Abbildung 10
Mat. 8
Mat. 8
1. Die unmittelbar Beteiligten rechtfertigen mit historischen Argumenten ihren Anspruch. Der heutige Staat Israel stützt seine Gebietsansprüche u. a. auf das biblische Israel; die Neugründung des Staates ist eine „Wiedergutmachung" des Unrechts der Vertreibung der Juden im Römerreich. Die Palästinenser berufen sich auf ihre jahrhundertelange Besiedlung Palästinas.
Abbildung 11
Mat. 9 Quelle: Aus Informationen zur politischen Bildung
Mat. 9 Quelle: Aus Informationen zur politischen Bildung
2. Spezifische Entwicklungen der europäischen Geschichte, Antisemitismus und Impe rialismus, haben erst zur Konfrontation der gegenwärtigen Gegner geführt, haben den Konflikt erst entstehen lassen. Der Antisemitismus, der aus rassistischen, nationalistischen, wirtschaftlichen und religiösen Motiven heraus die Juden in Europa diskriminierte, führte zur Entstehung des Zionismus, zur Forderung nach einer nationalen Heimstatt in Palästina (Mat. 1). Das imperiale Streben der europäischen Großmächte machte die arabische Welt von sich abhängig; der Nahe Osten erschien als ein Faustpfand, das entsprechend der jeweiligen Interessenlage der jüdischen oder arabischen Volksgruppe zugesprochen wurde (Mat. 2). 3. Die Judenverfolgungen der Nationalsozialisten ließen die Zahl der Einwanderer anwachsen (Mat. 3). Die europäischen Juden kamen in ein Entwicklungsland mit einer rückMat. ständigen Feudalstruktur (Mat. 4). Dieser Entwicklungsunterschied und der Landhunger der Flüchtlinge verschärften den Konflikt zwischen arabischer und israelischer Bevölkerung; ein Konflikt, den die britische Mandatsmacht vergeblich zu lösen versuchte. Ihr Plan, den Konflikt durch eine Teilung des Landes zu entschärfen (Mat. 5), wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den Vereinten Nationen, denen die britische Mandatsmacht das ungelöste Problem übergeben hatte, übernommen. Gegen den Widerstand der arabischen Staaten beschloß die UN die 4. Teilung Palästinas (Mat. 6 und 7). Die Gründung des Staates Israel führte zur Flucht der Palästinenser; das Flüchtlingsproblem (Mat. 8), das Problem des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser verschärften den Konflikt.
Abbildung 12
Mat. 10
Mat. 10
Lernziele: — Geschichte dient zur Rechtfertigung (Legitimation) politischer Forderungen — Der Nahost-Konflikt hat seine Ursprünge in Europa (Antisemitismus, Zionismus, Imperialismus) — Der Gegensatz von Arabern (Palästinensern) und Juden (Israelis) ist eine Folge der europäischen Großmachtpolitik.
III. Die unmittelbaren Akteure im Nahost-Konflikt
Abbildung 3
Mat. 1
Mat. 1
Unser Ansatz geht davon aus, daß der Nahost-Konflikt zu verstehen ist als ein Konflikt mit historischer Dimension, zahlreichen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen auf mehreren Handlungsebenen. Von daher gilt es jeweils zu fixieren: — die Beteiligten auf der jeweiligen Handlungsebene, — ihre Positionen, verstanden als Summe von Faktoren wie geographische Lage, Bevölkerung, Wirtschaftsmacht, technologische Entwicklung, militärische Stärke, organisatorische Leistungskraft des Staates, internationale Beziehungen (Bündnispartner, Schutzmächte) — ihr handlungsleitendes Interesse.
Abbildung 13
Mat. 10 a
Mat. 10 a
Wir müssen uns hier darauf beschränken, die Position der Beteiligten nur in ganz groben und sicher vereinfachten Umrissen anzudeuten. Das handlungsleitende Interesse soll nur soweit skizziert werden, wie es Bedeutung für den gegenwärtigen Stand des Konflikts hat.
Abbildung 14
Mat. 11
Mat. 11
Lernziele: — Das Leben in Gemeinschaft auf nationaler Ebene erfordert einen geographischen Raum, Institutionen und Legitimation (Konsens) — Die Position eines Staates in internationalen Beziehungen ist abhängig von einer Summe teils teils stabiler, änderbarer Faktoren. Israel Die Karte (Mat. 9) zeigt die geographische Lage des Staates Israel und seine strategischen Probleme (sichere Grenzen). Unerläßlich erscheinen Israel die Golan-Höhen; im Sinai ist Israel gegenwärtig bereit, Entmilitarisierungsplänen und einer Sicherung durch UNO-Truppen zuzustimmen, wenn der freie Zugang zum und vom Roten Meer gesichert ist; dem westlichen Jordanufer (Westbank) und dem Gazastreifen will Israel eine gewisse Selbstverwaltung gewähren, aber unter Wahrung israelischer Militärhoheit und des Siedlungsrechts für Israelis (Mat. 12 a). Das Recht auf Selbstbestimmung und die Schaffung eines palästinensischen Staates ist Israel nicht bereit zuzugestehen, er wäre — so die israelische Argumentation — die Operationsbasis für extreme palästinensische Kräfte und der Ausgangspunkt für dauernde Infiltrationen über die israelische Grenze. Die Hauptursache für das Palästinenserproblem sieht Israel in der bewußt durch die arabischen Staaten verschleppten Integration der Flüchtlinge. Weder die PLO noch einzelne Palästinensergruppen sind für Israel Verhandlungspartner, solange ihr Ziel die Zerstörung Israels und die Errichtung eines „säkulären, multireligiösen, demokratischen palästinensischen" Staates auf dem Gebiet des heutigen Israel ist. An dieser Weigerung, mit Vertretern der PLO zu verhandeln, scheiterte bislang auch die Einberufung der Genfer Konferenz zur Erarbeitung von Friedensregelungen. Als Begründung und Rechtfertigung für die territorialen Ansprüche dienen den gesetzestreuen Juden die biblischen Verheißungen; für nicht-orthodoxe Israelis spielen primär strategische und wirtschaftliche Momente (sichere Grenzen, neues Land für Neueinwanderer) eine Rolle.
Abbildung 15
Mat. 12
Mat. 12
Die zahlenmäßige Überlegenheit der arabischen Gegner (Mat. 10) wird in gewisser Weise kompensiert durch den Entwicklungsvorsprung Israels, seine technologische Überlegenheit und seine besonderen zwischenstaatlichen Beziehungen zu den USA.
Abbildung 16
Mat. 12
Mat. 12
Die Legitimationsgrundlage des Staates, der Zionismus (Mat. 11), sichert ihm die Unterstützung weltweiter jüdischer Organisationen.
Abbildung 17
Mat. 12 a
Mat. 12 a
Die wirtschaftlichen Kosten (Inflation, Verschuldung) und sozialen Folgen einer dauernden extremen Verteidigungsbereitschaft sind für Israel hoch, aber bislang — noch — nicht existenzbedrohend.
Abbildung 18
Mat. 13
Mat. 13
Zur Zeit (Frühjahr 1978) scheint Israel nur bereit, Frieden zu schließen, wenn 1):
Abbildung 19
Mat. 14
Mat. 14
— Jerusalem eine ungeteilte Stadt unter israelischer Kontrolle bleibt — auf dem westlichen Jordanufer (Westbank) kein palästinensicher Staat errichtet wird (wobei die Gewährung von Selbstbestimmung für die dort ansässigen Palästinenser nach israelischer Ansicht zu einem palästinensischen Staat führen würde) (Mat. 12 und 12 a)
Abbildung 20
Mat. 15
Mat. 15
— mindestens einige der 52 jüdischen Siedlungen auf der Westbank bestehenbleiben — sichere Grenzen garantiert sind (die Grenzen vor 1967 waren nach israelischer Ansicht keine sicheren Grenzen)
Abbildung 21
Mat. 16
Mat. 16
— die Friedensverhandlungen nicht mit der PLO geführt werden. 2. Die Palästinenser Die Palästinenser sind — neben den Israelis — sicher die im Nahost-Konflikt am stärksten und unmittelbarsten Betroffenen. Dennoch ist es schwierig, sie als Gruppe mit einer festumschriebenen Identität überhaupt auszumachen und ihre Position und Interessen zu bestimmen. Sie leben in der Zerstreuung (Mat. 13), z. T. mehr oder weniger integriert in Staaten mit sehr unterschiedlichen Gesellschaftsund politischen Systemen, z. T. aber immer noch als Flüchtlinge der Kriege von 1948 und 1967 in Lagern. Es gibt keine aus einem Recht auf Selbstbestimmung hervorgegangene oder auch sonst von allen Palästinensern legitimierte und akzeptierte politische Führung.
Abbildung 22
Mat. 17
Mat. 17
Die Palästinenser waren über Jahrhunderte Objekt und nicht Akteure in der Geschichte des Nahen Ostens; zuletzt, vor der Errichtung des Staates Israel, unter türkischer und britischer Oberhoheit. Die Entstehung einer palästinensischen Identität wurde hierdurch und durch die Zerstreuung der Palästinenser nach 1948 gestört. Zwischen 1948 und 1967 traten die Palästinenser als Akteure im Nahost-Konflikt praktisch nicht auf, die unmittelbare Konfrontation vollzog sich zwischen Israel und den arabischen Staaten. Erst nach der Niederlage der arabischen Staaten im Juni-krieg 1967 entwickelte sich die PLO (Palästi-nensiche Befreiungsorganisation, Mat. 14 und 15) zum Vertreter des palästinensischen Volkes und seiner nationalen Interessen. (Die längerfristigen Ursachen für dieses Herausbilden eines spezifisch palästinensischen Bewußtseins sind wohl in dem sozialen und ökonomischen Wandlungsprozeß der arabischen Staaten und dem Einfluß der Unabhängigkeitsbewegungen der Dritten Welt zu suchen.) Erst verhältnismäßig spät (1974) haben die arabischen Staaten selbst den Alleinvertretungsanspruch der PLO anerkannt. Dieses Zögern erklärt sich dadurch, daß die Hauptforderung der PLO, Selbstbestimmungsrecht und ein eigener Staat, nicht nur die Existenz Israels betroffen hat, sondern auch die Existenz arabischer Staaten, beson37 ders von Jordanien. Zudem bedrohte die antimonarchistische, sozialrevolutionäre Ausrichtung einiger PLO-Gruppen das religiös-feudale System der konservativen arabischen Staaten. Die Solidarisierung aller Araber gegen Israel überdeckte oft nur dürftig eine PLO-feindliche Einstellung. (Jordanien hat z. B. 1971 mit Waffengewalt PLO-Gruppen, die die haschemitische Monarchie stürzen wollten, zerschlagen; Syrien hält die Aktivitäten der PLO auf seinem Territorium unter strikter Kontrolle.)
Abbildung 23
Mat. 18
Mat. 18
Die Anwesenheit einer politisch aktiven palästinensischen Minderheit im Libanon (Fatah-Land) hat wohl als Katalysator für die starken sozialen und religiösen Spannungen in diesem Land gedient und mit zum Ausbruch des Bürgerkriegs beigetragen. Die neuerlichen Über-griffe palästinensischer Guerillas über die libanesische Grenze nach Israel haben (Februar 1978) zu einschneidenden Beschränkungen der PLO-Aktivitäten auf libanesischem Territorium durch die Vertreter der arabischen „Friedenstruppen" (Saudiarabien, Kuweit, Ägypten, Syrien) geführt. Dies ist ein Zeichen dafür, daß die friedensbereiten arabischen Staaten durch die Aktionen einzelner PLO-Gruppen ihre Ziele gefährdet sehen.
Abbildung 24
Quelle: US-Verteidigungsministerium (Aus Newsweek vom 20. 3. 1978.) Mat. 20
Quelle: US-Verteidigungsministerium (Aus Newsweek vom 20. 3. 1978.) Mat. 20
Gegenwärtig ist in Syrien (Damaskus) die Kommando-und Operationszentrale der PLO, über Syrien kommen wohl auch die Waffen (vielfach aus der UdSSR) und die finanziellen Mittel (von den Erdölstaaten). Die politischen Programme der PLO (Mat. 15— 17) fordern die Vernichtung der staatlichen Existenz Israels und bejahen die Gewalt als Mittel der Erreichung ihres Zieles. Die PFLP hat als Reaktion auf die Friedensbemühungen Sadats neuerdings wiederum sich zum Ziel eines „laizistischen palästinensischen Staates", der die Zerstörung des gegenwärtigen zionistischen Staates Israel voraussetzt, bekannt und Gewaltanwendung, die Weiterführung des Guerillakampfes, bejaht Gemäßigtere Palästinenser-Gruppen, zu denen inzwischen auch PLO-Führer Arafat neigt, erklären dagegen, daß sie sich mit einem „Klein-Palästina" zufrieden geben könnten, das neben Israel bestünde und sprechen von der Möglichkeit eines Zustandes der „Nicht-Krieg-Führung" mit Israel
Abbildung 25
Mat. 19
Mat. 19
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Abbildung 26
Quelle: Empfängerregionen SIPRI Yearbook 1974, S. 147 Mat. 21
Quelle: Empfängerregionen SIPRI Yearbook 1974, S. 147 Mat. 21
Die schwerwiegenden Probleme der Palästinenser, ihre Zerstreuung, ihre soziale und politische Heterogenität, das Fehlen einer von allen legitimierten Führung, sind wohl Hauptschwierigkeiten bei der Suche nach Lösungen für den Nahost-Konflikt. Ein dauerhafter Friede ohne die Palästinenser ist unmöglich; Wege für Friedensverhandlungen mit den Palästinensern sind bislang noch nicht gefunden. 3. Die arabischen Staaten im Nahen Osten Die arabischen Staaten im Nahen Osten und Nordafrika einen die Religion, die Sprache, eine gemeinsame Kultur und Tradition. Im 19. Jahrhundert machte die arabische Welt eine Erneuerungsbewegung durch, die 'unterbrochen wurde durch den europäischen Imperialismus. Der Nahe Osten und Nordafrika wurden aufgeteilt in vorwiegend französische und britische Kolonien und Einflußbereiche; die arabische Einheit wurde durch die enge wirtschaftliche und kulturelle Bindung (der arabischen Elite) an die Kolonialmächte gestört. Mit wenigen Ausnahmen (Saudi-Arabien, Ägypten, Irak) wurden die meisten Staaten erst nach dem Zweiten Weltkrieg souverän, z. T. waren sie zur Zeit der Entstehung des Staates Israel noch Kolonien (Nordafrika). Die außenpolitische Handlungsfähigkeit der arabischen Staaten war zu diesem Zeitpunkt noch sehr beschränkt, die Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten groß. (Die nationalrevolutionären Bewegungen in Ägypten und dem Irak in den 50er Jahren sind als Versuche zu sehen, diese Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten abzuwerfen und einen gesellschaftlichen Modernisierungsprozeß einzuleiten, der im Interesse der Kolonialmächte zurückgehalten worden war). Vor diesem Hintergrund, dem Kampf um die eigene Unabhängigkeit von den europäischen Großmächten, ist zu verstehen, daß die Errichtung des Staates Israel aus arabischer Perspektive als ein neuer imperialistischer Akt erscheinen konnte. Der Plan zur Teilung Palästinas wurde gegen die Stimmen der arabischen Staaten in den Vereinten Nationen beschlossen, Israel wirkte als Fremdkörper: ein Land mit einer mehrheitlich europäischen Bevölkerung, die ihre Normen und Lebensweise in einer arabischen Umwelt zu wahren suchte; Hilfe und Waffenlieferungen aus Westeuropa, der UdSSR und den USA sicherten seine Existenz im ersten Krieg gegen die arabischen Staaten. Die meisten arabischen Staaten haben bis heute das Erbe der kolonialen Vergangenheit noch nicht überwunden. Sie sind Entwicklungsländer (Mat. 10 und 10 a) mit allen deren demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Nur die kleine Gruppe der Erdölländer nimmt eine Sonderstellung ein (Mat. 10). Ihre Finanzkraft ermöglicht ihr einen schnellen Modernisierungsprozeß. Dem stehen allerdings (mit Ausnahme des Irak) die geringe Bevölkerungszahl und die stark traditionell ausgerichtete Gesellschaftsordnung entgegen. Ihre Wirtschaftskraft erlaubt ihnen aber, sowohl auf die erdölimportierenden Länder Druck auszuüben (die „Erdölwaffe" wurde erstmals 1973/74 eingesetzt, mit einem Lieferembargo gegen die Niederlande und die USA), als auch die Entscheidungen der von ihrer Finanzhilfe abhängigen arabischen Staaten zu beeinflussen. (Das bevölkerungsmäßig große, aber mit drückenden Entwicklungsproblemen belastete Ägypten muß z. B. auf das reiche Saudi-Arabien Rücksicht nehmen.)
Abbildung 27
Mat. 22
Mat. 22
Die großen, aber armen Staaten (wie z. B. Ägypten oder Sudan) sind mit schwerwiegenden Entwicklungsproblemen belastet; Rüstung und Krieg verschärfen die ohnehin angespannte wirtschaftliche und soziale Lage fast unerträglich. Den reichen Staaten (wie Saudi-Arabien oder Libyen) fehlen die Menschen, um ihr Finanzpotential militärisch einzusetzen. Diese Situation schafft wechselseitige Abhängigkeiten.
Abbildung 28
Mat. 23
Mat. 23
Neben der Unterscheidung in große und kleine, reiche und arme Staaten gibt es noch weitere Trennlinien. Vom politischen System her gibt es das weite Spektrum von der absoluten Monarchie bis zur Einparteiendiktatur (Mat. 10); die ideologische Ausrichtung reicht von religiös — konservativ bis zu laizistisch — sozialistisch; es gibt traditionell-beharrende und sich revolutionär-moderni-sierende Gesellschaftssysteme. a) Die „Frontstaaten"
Abbildung 29
Mat. 24
Mat. 24
Eine gewisse Konstante in den Beziehungen zu Israel seit 1948 — und wieder verstärkt seit 1967 — besteht in der arabischen Zielsetzung, daß die „legitimen Rechte der Palästinenser" wieder zur Geltung gebracht und die besetzten arabischen Gebiete zurückgewonnen werden sollen. Dabei ist dieses Ziel vor allem bei den unmittelbaren Anrainern (die Araber bezeichnen die Staaten Ägypten, Jordanien, Syrien, die 1967 Gebiete an Israel abtreten mußten und auch die Palästinenser (!) als „Frontstaaten"), das zentrale Thema ihrer Außenpolitik. (Die Spannungen zwischen den religiösen und sozialen Gruppen im Libanon machen diesen Staat zum Sonderfall, seine außenpolitische Aktionsfähigkeit in bezug auf Israel ist durch seine inneren Konflikte praktisch gelähmt.)
Die Grundhaltung Ägyptens, des wichtigsten „Frontstaates", hat Präsident Sadat in seinen fünf Punkten zu den Verhandlungen mit Israel dargelegt: — Rückzug aus dem Sinai, aus Golan, Westbank und Gaza, entsprechend der UN-Resolution 242 (Mat. 18) und gemäß dem Prinzip, daß keine Territorien durch Gewalt erobert werden dürfen (Charta der Vereinten Nationen); — Sicherheit des territorialen Bestandes und der politischen Unabhängigkeit aller Staaten des Nahen Ostens, und zwar auf Grund von ihnen selbst zu treffender Anordnungen und wechselseitiger Garantien; — Recht aller Staaten auf Souveränität, territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit; — eine gerechte Lösung des Palästina-Problems auf der Grundlage der Selbstbestimmung; diese Lösung müßte durch Verhandlungen zwischen Ägypten, Jordanien, Israel und Vertretern der Palästinenser erreicht werden. — Aufgabe der Kriegführung, Herstellung friedlicher Beziehungen zwischen allen Staaten und Friedensverträge Ägypten hat als volkreichster, aber auch als einer der ärmsten der arabischen Staaten das größte Interesse an einem Frieden mit Israel, um sich endlich den in den Jahren des Krieges und der permanenten Rüstungsanstrengungen vernachlässigten drängenden inneren Aufgaben zuwenden zu können. Syrien distanziert sich von dieser Haltung, aber es kann einen Einfrontenkrieg gegen Israel keinesfalls durchführen; auch eine Allianz mit Jordanien könnte Israel nicht militärisches Gleichgewicht bieten, zudem ist es noch dem Druck des verfeindeten Irak im Osten ausgesetzt. b) Der „Äußere Ring“
Um diesen inneren Ring der „Frontstaaten", gibt es einen äußeren Ring der Staaten, die in arabischer Solidarität die „Frontstaaten" und die Palästinenser gegen Israel unterstützen, aber, bedingt durch ihre geographische und wirtschaftliche Lage, ihre politische und ideologische Ausrichtung, durchaus divergierende Positionen gegenüber Israel einnehmen.
Die gegenwärtige Politik der Frontstaaten unter Führung Ägyptens kann auf die Unterstützung der „gemäßigten" Erdölländer Saudi-Arabien, Kuweit und der Emirate rechnen. Neben den „Gemäßigten" lassen sich in dem äußeren Ring noch die Fronten der „Zuschauer“ ausmachen (hierzu wären die auch räumlich weiter entfernten Staaten Sudan, Tunesien und Marokko zu zählen); dann die erklärten Gegner der Sadatschen Friedens-und Verhandlungspolitik, die Front der „Zurückweisung", die der Irak repräsentiert, der jeden Frieden mit Israel zurückweist und die „Wiederstandslront" der Staaten Syrien, Algerien, Libyen, Jemen und die PLO. Diese fünf lehnen nicht generell einen Frieden mit Israel ab, aber sie verurteilen Sadats Vorstoß, weil er der Sache der Palästinenser eher schade und einen „gerechten Frieden" verhindere.
IV. Der Nahost-Konflikt auf der internationalen Ebene
Abbildung 4
Mat. 2
Mat. 2
In unserem Modell des Nahost-Konflikts gehen wir aus von der Annahme, daß dieser Konflikt über der Ebene der Nationalstaaten und der Region als den unmittelbaren Akteuren weitere Ebenen der Konfliktaustragung und Entscheidungsfindung hat, mit der Mög-lichkeit der wechselseitigen Einwirkung von oben nach unten und von unten nach oben. Die Schichtung der Konfliktebenen bedeutet keine Hierarchisierung im Sinne einer ausschließlichen Kompetenz der höheren Ebene, einer untergeordneten Weisungen zu erteilen. Sie geht vielmehr auch davon aus, daß Druck, Impulse einer unteren Ebene Handlungen einer höherrangigen auslösen und beeinflussen können.
Wir beschränken uns (ver in unserem Modell -einfachend) auf der Entscheidungsebene der Großmächte auf die USA und UdSSR und auf der Ebene der internationalen Organisationen auf die Vereinten Nationen.
Die Einbeziehung der beiden Großmächte in den Nahost-Konflikt hat mehrere Ursachen. a) Die historisch — machtpolitische Dimension. Als dominierende Siegermacht des Zweiten Weltkrieges verhinderten die USA die Wiedererrichtung der Machtstellung der historischen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich und übernahmen aufgrund ihrer wirtschaftlichen und militärischen Überlegenheit selbst deren Position als Großmacht im Nahen Osten. Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Judenpolitik und aufgrund des Einflusses der jüdischen Bevölkerungsgruppe in den USA sahen die USA eine Verpflichtung darin, die Existenz der Juden im Nahen Osten zu schützen In dieser jüdischen Lobby hat der Kleinstaat Israel eine gewisse Möglichkeit, die Entscheidungen der Großmacht USA zu seinen Gunsten zu beeinflussen. b) Eine zweite Ursache der Einbeziehung der Großmächte in den Nahost-Konflikt ist der Entwicklungsstand (wirtschaftlich, technologisch, militärisch, sozial) der Staaten des Nahen Ostens, eine Folge ihrer geschichtlichen Entwicklung; er hatte wirtschaftliche und soziale Bindungen an die hochentwickelten Industriestaaten zur Folge, die allein den Bedarf an Industriegütern und Waffen decken konnten. Dieses zunächst vielfach einseitige Abhängigkeitsverhältnis hat allerdings eine gewisse Korrektur erfahren: die Abhängigkeit der Industriestaaten vom Rohstoff Erdöl gibt den erdölproduzierenden arabischen Staaten mehr Druckmittel, ihre Interessen gegenüber den Industriestaaten durchzusetzen. c) Die ideologischen, wirtschaftlichen und sozialen Verschiedenheiten der beiden Groß-mächte sind eine weitere Ursache für ihre Verflechtung in den Nahost-Konflikt. Die arabischen Staaten befanden sich zu Beginn ihrer eigenstaatlichen Existenz weitgehend auf der Stufe einer agrarisch-feudalen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung. Ob im Prozeß der Modernisierung diese Staaten das kapitalistische oder das sozialistische System übernehmen würden, galt in der Konkurrenz der rivalisierenden Gesellschaftssysteme gleichzeitig die Überlegenheit auch als ein Beweis für des Systems.
Lernziele: — Die Staatengesellschaft ist hierarchisch, ist geschichtet (die Position wird weitgehend durch die in III. genannten Faktoren bestimmt) ; — Staaten mit höchstem Rang im Schichtungsgefüge kontrollieren die internationalen, zwischenstaatlichen Beziehungen; sie beeinflussen die zwischenstaatlichen Beziehungen von Staaten untergeordneten Ranges entsprechend ihren Interessen;
— Die Schichtung ist verhältnismäßig stabil, die Abhängigkeit der unterentwickelten von den Industriestaaten läßt sich nur in Ausnahmefällen verringern (Erdölländer); — Zwischen den beiden Großmächten besteht eine Systemkonkurrenz. Die Einschaltung der Großmächte in zwischenstaatliche Konflikte kann konfliktverstärkend wirken. Sie kann den beteiligten Staaten mit niedrigerer Position aber auch mehr Handlungsspielraum ermöglichen; — Die internationale Politik eines Staates wird mitbestimmt von nationalstaatlichen Interessengruppen. 1. Die Großmächte im Nahost-Konflikt 1. Die USA Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben die USA die Nachfolge Großbritanniens als entscheidende Macht im östlichen Mittelmeer übernommen. Neben dem machtpolitischen und strategischen Interesse (Eindämmung des sowjetischen Verstoßes zum Mittelmeer) wurden zunehmend wirtschaftliche und innenpolitische Motive für das wachsende amerikanische Engagement im Nahen und Mittleren Osten bedeutsam: Die Wirtschaft forderte gesicherte Erdöllieferungen; die einflußreiche jüdische Lobby in den USA forderte Garantien und Hilfe für Israel.
Der jüdische Bevölkerungsanteil in den USA beträgt ca. 5, 8 Millionen, knapp 3 ’/o der Bevölkerung. Wegen der hohen Wahlbeteiligung und der Konzentration der jüdischen Wähler in wahlentscheidenden Staaten (New York, Kalifornien, Illinois, Pennsylvanien, New Jersey) ist ihr politischer Einfluß aber sehr bedeutsam, vor allem für die demokratische Partei (ca. 8O°/o der amerikanischen Juden wählen demokratisch). Die großen jüdischen Verbände haben eine gemeinsame Interessenvertretung zugunsten israelischer Interessen in Washington (AIPAC — Ausschuß für Angelegenheiten Israels).
Die Programme der zionistischen Organisationen verstehen — den Staat Israel als den Ort, wo sich jüdisches Sein ungehindert entfalten kann — betonen den besonderen Charakter des israelischen Staates (heilsgeschichtlicher Anspruch) — fordern Hilfe der Juden in der Diaspora für Israel (Mat. 11).
Diese besondere Bedeutung der Existenz des Staates Israel für die Juden in der Diaspora erklärt den Einsatz der jüdischen Lobby in den USA. Neben beträchtlichen privaten Spenden, die sozusagen als Quasi-Steuer für Israel von den amerikanischen Juden aufgebracht werden, hat Israel seit 1973 aus den USA ca. 10 Milliarden Dollar Hilfe erhalten, davon mehr als die Hälfte in Form von Waffen (Mat. 19— 21); nach amerikanischen Schät-zungen ist Israel heute militärisch um 60 % stärker als 1973.
Diese, vor allem innenpolitisch motivierte Stellung einer Garantie-und Schutzmacht Israels, hat die USA (ähnlich wie vor dem Zweiten Weltkrieg Großbritannien) zwangsläufig in ein Spannungsverhältnis zu den arabischen Staaten gebracht, das ihr aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen unerwünscht sein mußte.
In der Zeit von 1955 bis 1967 etwa sind die Beziehungen zwischen den USA und Ägypten, Irak, Syrien auf einem Tiefpunkt. Die USA befürchten den Verlust ihres Einflusses zugunsten der UdSSR, die wegen der ideologisch-politischen Gegensätze zwischen dem „kapitalistischen" und „imperialistischen" Amerika und den „nationalrevolutionären", „arabischsozialistischen" Staaten die Aufgabe des Lieferanten von Wirtschafts-und Militärhilfe an diese Staaten übernehmen konnte. Die USA sehen sich zurückgedrängt auf die Beziehungen zu den konservativen Monarchien (Jordanien, Saudi-Arabien) und auf Israel, das nun als „Brückenkopf des Westens" gesehen wird.
Diese Entwicklung ist Ursache für eine Neuorientierung der amerikanischen Politik zugunsten eines gewissen Ausgleichs der arabischen und israelischen Position in den 60er Jahren.
Der Krieg von 1967 hatte beiden Großmächten ihre beschränkten Einflußmöglichkeiten auf die Aktionen der unmittelbaren Gegner deutlich gemacht und die Gefahr gezeigt, gegen ih45 ren Willen in eine direkte Konfrontation hineingezogen zu werden. Mit der Zustimmung zur Resolution des Sicherheitsrates Nr. 242 vom 22. 11. 1967 (nach dem Sechs-Tage-Krieg zwischen den arabischen Staaten und Israel) dokumentieren die USA erstmals offenkundig, daß sie bereit sind, arabische und palästinensische Interessen gegenüber Israel zu berücksichtigen. (Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems, Anerkennung Israels.)
Der ohne Zutun der USA vollzogene Bruch zwischen Ägypten und der UdSSR ermöglichte es den USA, ihre Beziehungen zu einer der wichtigsten arabischen Führungsmächte zu verbessern.
Den USA ist es gelungen, im Gegengeschäft zu technischer und wirtschaftlicher Hilfe zwischen Israel und Ägypten zu vermitteln (Truppenentflechtung 1974). Die USA definieren ihre Rolle heute als „Freund" beider Staaten, Israels und Ägyptens; die Abkehr von einer eindeutig pro-israelischen Haltung zeigt sich gegenwärtig deutlich in der amerikanischen Kritik an der israelischen Siedlungspolitik in den nach 1967 besetzten Gebieten, in der Anerkennung der Rechte der Palästinenser (Präsident Carter hat 1977 den Palästinensern die Errichtung eines „homeland" zugesichert), und in den Versuchen, mit Waffenlieferungen an beide Seiten (Saudi-Arabien/Ägypten-Israel) ein gewisses Gleichgewicht zu schaffen.
Die guten Beziehungen der USA zu Israel, den konservativen arabischen Staaten (Saudi-Arabien) wie auch zu Ägypten ergeben wohl gegenwärtig einen Vorteil zugunsten der USA: ihre Chancen, eine Vermittlerrolle in direkten Verhandlungen der Beteiligten zu übernehmen — und damit den eigenen machtpolitischen Einfluß zu bestätigen — sind größer als die der UdSSR. 2. Die UdSSR Die UdSSR hatte nach der Gründung des Staates Israel zunächst verhältnismäßig große Sympathien für diesen „sozialistischen" Staat im „reaktionären" und feudalen Staatensystem der arabischen Welt. Die Weigerung der Westmächte, die neuen revolutionären arabischen Staaten (Ägypten, Syrien) zu unterstützen, gab dann der UdSSR die Chance, mit wirtschaftlicher und militärischer Hilfe sich einen Einflußbereich im Nahen Osten zu schaffen. Als Höhepunkt kann man den zwischen Ägypten und der UdSSR 1971 abgeschlossenen Freundschaftsund Kooperationsvertrag ansehen. Der Sowjetunion kam zugute, daß sie ohne koloniale Vergangenheit im Nahen Osten, ohne offenkundige wirtschaftliche (Ol-) Interessen auftreten konnte; sie erschien den progressiven arabischen Staaten als Schutzmacht gegen den „Imperialismus" und „Zionismus" des Westens und seines „Brückenkopfs" Israel. Dabei mußte die UdSSR ein gewisses Interesse daran haben, die arabisch-israelische Konfrontation aufrechtzuerhalten, weil nur von daher ihre Rolle als Hilfe-und Beratermacht ihre Legitimation erhalten konnte. Allerdings hat die Sowjetunion nie die Existenz des Staates Israel in Frage gestellt; seit 1969 gestattete die UdSSR auch Tausenden von Juden die Auswanderung nach Israel. Die massive sowjetische Präsenz (Militärberater) ließ Ägypten eine sowjetische Vorherrschaft im Mittelmeerraum und im arabischen Raum befürchten; die Verweigerung der Lieferung von modernen Angriffswaffen ließ es an der Ernsthaftigkeit des Zerstörungswillens der Sowjetunion gegenüber Israel zweifeln. Die Folge war der spektakuläre Bruch (Ausweisung von 20 000 Militärberatern) zwischen Ägypten und der UdSSR. Enge Kontakte, Wirtschaftsund Militärhilfe der UdSSR gibt es hegte nur mit dem Irak, Syrien und neuerdings Libyen. Die Sowjetunion hat heftig die gegenwärtigen ägyptischen Nahost-Initiativen und den ägyptischen Präsidenten angegriffen und sich in der innerarabischen Auseinandersetzung um die Friedensbemühungen mit Israel auf die Seite der „Harten" geschlagen. Die gespannten Beziehungen zu Israel, Ägypten und den konservativen arabischen Staaten lassen die Sowjetunion als direkten Vermittler im Nahost-Konflikt ungeeignet erscheinen. Die UdSSR drängt denn auch auf die Einberufung der Genfer Konferenz als dem Ort für Friedensverhandlungen, da sie nur dort eine aktive Rolle zwischen allen Beteiligten spielen könnte. Das sowjetische Konzept einer politischen Lösung sieht dabei vor: — Garantie der Existenz und Unabhängigkeit Israels — Räumung der 1967 von Israel besetzten arabischen Gebiete — Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und dessen Anspruch auf einen eigenen Staat.
In diesen globalen Zielformulierungen besteht ein Konsens zwischen beiden Großmächten; die Probleme und Kontroversen stecken im Detail, z. B. wie die Garantie der Existenz Is47 raels gesichert werden soll; in der Art der Verwirklichung des Rechts der Palästinenser auf Selbstbestimmung.
Der Nahost-Konflikt hat seinen Ursprung nicht vorrangig in der machtpolitischen Rivalität zweier Großmächte und er ist auch nicht nur Schauplatz des Kampfes zweier rivalisierender Gesellschaftssysteme (kapitalistisches — sozialistisches System; entwickeltes — unterentwickeltes System); von daher erklärt sich, daß keine der beiden Großmächte einen entscheidenden und dauernden Machtvorsprung in dieser Region erwerben konnte und auch, daß ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf die unmittelbar am Konflikt Beteiligten vergleichsweise gering sind. Allerdings ist deutlich, daß die politischen und vor allem die militärischen Unterstützungen (Mat. 19 und 20) den direkten Gegnern erst die Möglichkeit gegeben haben, ihren Konflikt mit Waffen aus-zutragen. Die beidseitigen Bemühungen, den militärischen Konflikt unter Kontrolle zu halten, Verhandlungen zu fördern, wirken fragwürdig vor dem Hintergrund massiver Waffenlieferungen der beiden Großmächte in diesen Krisenherd (Mat. 21). 3. Die Vereinten Nationen Der Nahost-Konflikt ist praktisch seit Bestehen der UN ein zentrales Verhandlungsthema. Dabei zeigt die Geschichte der Beratung dieses Themas fast exemplarisch Möglichkeiten und Grenzen dieses internationalen Organs. Die UN haben die Aufgabe, Lösungen für internationale Probleme zu erarbeiten, die die Möglichkeiten von Einzelstaaten und Regionen überfordern Allerdings haben sie nur dann die nötigen politischen, militärischen, wirtschaftlichen Mittel, um ihre Vorschläge auch durchzusetzen, wenn sie ihnen von den souveränen Nationalstaaten zugestanden werden. Die UN gehen von der formalen Gleichheit aller Mitglieder aus trotz der z. T. extremen sozialen, ideologischen wirtschaftlichen und militärischen Ungleichheiten zwischen den Staaten. Die Organisation der UN trägt diesen Unterschieden insoweit Rechnung, indem sie bei den Problemen, die den Großmächten am bedeutsamsten erscheinen, eine Entscheidung von ihrem Votum abhängig macht, das gilt z. B. für das Organ der Friedenssicherung, den Sicherheitsrat
Lernziele: — Die UN ist eine Einrichtung zur Lösung von zwischenstaatlichen und internationalen Problemen; — die Vetoposition der Großmächte im Sicherheitsrat spiegelt die Rangposition der Staaten wider; — die UN ist nur handlungsfähig, wenn ein Konsens der Großmächte besteht (Sicherheitsrat); — die Organisationsstruktur der UN kann die Vorrangposition der Großmächte zusätzlich absichern (einstimmige Entscheidung im Sicherheitsrat); — die UN bietet die Möglichkeit, Probleme zu artikulieren, der internationalen Öffentlichkeit bewußt zu machen (Generalversammlung).
Die UN übernehmen von der britischen Mandatsmacht die Palästinafrage als ungelöstes Problem. Der Teilungsplan der UN (vgl. Mat.
6 und 7) wird von den Arabern als ungerecht abgelehnt (Mat. 15). Hier, wie in den späteren Phasen des Nahost-Konflikts, zeigt sich, daß die UN keine Mittel haben, um gegen den Willen eines Betroffenen Maßnahmen durchzusetzen (das gilt z. B. auch für die in der Resolution 242 und 338 des Sicherheitsrates enthaltenen Forderungen; (vgl. Mat. 22 und 18). Sie kann Probleme, wie das Flüchtlingsproblem, versuchen zu lindern beim Konsens der Großmächte Konflikte auf dem Status quo einfrieren und Wege und Vermittlung zu einer Verhandlung den Gegnern anbieten. (Mat. 18) In den letzten Jahren haben die UN z. B. das Zustandekommen der ägyptischen und israelischen Militärverhandlungen an der Sinai-Grenze vermittelt und die Genfer Konferenz, die zu dem israelisch-ägyptischen und israelisch-syrischen Truppenentflechtungsabkommen führte, vorbereitet. Handlungsgrundlage für die UN im Nahost-Konflikt ist bis heute immer noch die Resolution 242 (Mat. 18). mit ihrer in ihren Hauptpunkten bei den Betroffenen und den Großmächten keineswegs einhellig akzeptierten bzw. interpretierten Grundsätzen:
— Rückzug aus den 1967 von Israel besetzten Gebieten
— Anerkennung der Souveränität und territorialen Integrität aller Staaten — sichere und anerkannte Grenzen — gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems.
Die Behandlung des Palästinenserproblems als bloßes Flüchtlingsproblem und nicht als Frage der Selbstbestimmung ist der Grund für die Ablehnung der Resolution durch die Palästinenser. Auf Antrag der arabischen Staaten behandelte die UN in ihrer Vollversammlung dieses Problem und gab PLO-Führer Arafat Gelegenheit, die palästinensische Position zu vertreten (Mat. 16). Die anschließende Resolution der Vollversammlung (Mat. 23) ist als Korrektur zur entsprechenden Resolution 242 des Sicherheitsrates gedacht, aber ohne Auswirkung auf das Handeln der UN geblieben. Die Verabschiedung der Anti-Zionismus-Resolution (Mat. 24) zeigt, daß auf der Ebene der Vereinten Nationen der Nahost-Konflikt als ein Konflikt zwischen entwickelten und unterentwickelten Staaten (Nord-Süd-Konflikt) aus-getragen wird. In den Augen der unterentwickelten Staaten, die das Votum der Araber gegen Israel übernommen haben, erscheint Israel als Vertreter der imperialistischen Industrienationen.
Zeittafel zum Nahost-Konflikt
Abbildung 5
Mat. 3
Mat. 3
1. Bis zur Gründung des Staates Israel 1896 Theodor Herzl veröffentlicht sein Buch „Der Judenstaat".
1897 Erster Zionistenkongreß in Basel formuliert Programm des politischen Zionismus: Wiedererrichtung einer jüdischen Heimstatt in Palästina.
1916 Sykes-Picot-Abkommen: Aufteilung des Türkischen Reiches in eine britische und französische Einfluß-Sphäre.
1917 Balfour-Deklaration: Sympathie-Adresse der britischen Regierung zugunsten der zionistischen Bestrebungen.
1918 Ende der 400jährigen Türken-Herrschaft über Palästina.
1920 Friedenskonferenz von San Remo überträgt Großbritannien das Palästina-
Mandat (24. 4.).
1922 Völkerbund bekräftigt das britische Mandat über Palästina (24. 7.).
1933 Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Judenverfolgung verstärkte Einwanderung von Juden nach Palästina.
1936 Konstituierung eines „Arabischen Hohen Komitees", das einen gegen die jüdische Immigration gerichteten Generalstreik ausruft und damit blutige und langwierige Unruhen auslöst.
1937 Bericht der sog. Peel-Kommission: Teilungsvorschlag für Palästina (7. 7.). 1939 Veröffentlichung des britischen Weißbuchs (17. 5.).
1945 Gründung der Arabischen Liga (22. 3.)
1947 Großbritannien trägt das Palästina-Problem vor die UNO (18. 2.). Die Vereinten Nationen votieren für die Teilung Palästinas in je einen jüdischen und arabischen Staat (29. 11.). Beginn von Kampfhandlungen zwischen palästinensischen Arabern und Juden (November). 2. Seit der Gründung des Staates Israel bis heute 1948 Proklamation des Staates Israel (14. 5.), Abzug der letzten britischen Truppen aus Palästina (15. 5.), am selben Tag Invasion der arabischen Armeen.
Flüchtlings-Resolution der UN-Vollversammlung.
1949 Abschluß von Waffenstillstandsabkommen (nach UN-Vermittlung) zwischen Israel und Ägypten, dem Libanon, Jordanien und Syrien. Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen (11. 5.).
1950 Jordanien nimmt den arabischen Teil Palästinas (sog. Cis-Jordanien) in Besitz (24. 4.). Westliche Drei-Mächte-Erklärung proklamiert das Interesse an der Erhaltung des Friedens und des Status quo in Nahost und droht Maßnahmen gegen Friedensbrecher an (25. 5.). Ermordung König Abdullas von Jordanien (20. 7.), der mit Israel Geheimverhandlungen über eine jordanisch-israelische Friedensregelung geführt hatte.
1951 Sicherheitsrat verurteilt die Blockade des Suez-Kanals durch Ägypten (1. 9.).
1952 Militärputsch der „Freien Offiziere" in Ägypten unter faktischer Regie Nassers (23. 7.).
1955 Abschluß eines Waffenlieferungsabkommens zwischen Ägypten und der Tschechoslowakei bzw.der Sowjetunion (27. 9.). Abschluß eines irakisch-türkischen Militärbündnisses (Bagdad-Pakt vom 24. 2.), dem Großbritannien, Pakistan und der Iran im Laufe des gleichen Jahres beitreten. Bagdad-Pakt führt zu einer schweren Krise in der Arabischen Liga. 1956 Präsident Nasser verstaatlicht die Suez-Kanal-Gesellschaft (26. 7.). Der Suez-Krieg: Großbritannien, Frankreich und Israel gegen Ägypten (29. 10.
bis 7. 11.). 1957 Rückzug Israels aus der Sinai-Halbinsel und dem Gaza-Streifen. UN-Truppen an der ägyptisch-israelischen Grenze (Januar bis März).
1964 Erste Gipfelkonferenz der arabischen Staaten in Kairo (Januar) zur Koordinierung arabischer Israel-Politik.
Gründung der PLO. 1967 Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten (5. — 10. 6.).
Israel besetzt die Westbank (Westjordanien), Golanhöhen, Gaza, Sinai.
UdSSR brechen diplomatische Beziehungen zu Israel ab. Resolution 242 des Sicherheitsrats, Gipfeltreffen von 8 arabischen Staaten legt fest: kein Frieden, keine Anerkennung, keine Verhandlungen mit Israel.
1968 Programm der PLO, verstärkte Aktivitäten der Palästinenserorganisationen.
1970 Sadat wird nach Nassers Tod ägyptischer Staatspräsident.
1971 Freundschafts-und Beistandspakt zwischen Ägypten und der UdSSR.
1972 Abzug der sowjetischen Militärberater aus Ägypten.
1973 Oktoberkrieg (6. — 22. /24. 10.). Ol-Boykott arabischer Förderländer. Direktes israelisch-ägyptisches Abkommen zur Festigung des Waffenstillstands an der Suezfront.
1974 Truppen-Entflechtungs-Abkommen zwischen Israel und Ägypten und Syrien (vermittelt von USA und UdSSR). Arabische Gipfelkonferenz in Rabat anerkennt die PLO als einzige legitime Vertretung der Palästinenser.
PLO-Vorsitzender Arafat spricht vor der UN-Vollversammlung; Resolution der UN-Vollversammlung zur Palästina-Frage.
1975 Bürgerkrieg im Libanon; Sinai-Vertrag zwischen Israel und Ägypten (vermittelt von den USA).
1976 Israel gestattet Kommunalwahlen auf der Westbank. Syrien beschränkt die Aktivität der PLO im Libanon.
1977 Parlamentswahlen in Israel, Niederlage des seit der Staatsgründung Israels regierenden sozialdemokratischen Parteiblocks, Regierung unter Minister Präsident Begin (Likud-Partei). US-Präsident Carter sichert den Palästinensern ein „Homeland“ zu. Gemeinsame Erklärung der USA und der UdSSR-
Anerkennung der „legitimen Rechte des palästinensischen Volkes". Einladung des israelischen Ministerpräsidenten Begin an den ägyptischen Präsidenten Sadat. Besuch Sadats in Jerusalem (19. — 21. 11.). Beginn von Vor-verhandlungen für eine Nahost-Friedenskonferenz, Gegenbesuch Begins in Ägypten, israelische Friedensvorschläge für die Westbank, arabische Front gegen Sadats Friedensbereitschaft.
Abbruch der politischen Verhandlungen zwischen Israel und Ägypten, aber Fortdauer der Militärverhandlungen.
1978 Zusage von Waffenlieferungen der USA an Israel und Ägypten und Saudi-
Arabien, Kritik Präsident Carters an der israelischen Siedlungspolitik (nach Hans Jendges, Der Nahostkonflikt, Bonn 1976, ergänzt.)
Rosemarie Wehling, geb. 1941, Oberstudienrätin, unterrichtet Gemeinschaftskunde, Geschichte und Deutsch am Friedrich-List-Gymnasium in Reutlingen; politikwissenschaftliche und fachdidaktische Veröffentlichungen.