Jugendarbeitslosigkeit in der europäischen Gemeinschaft
Hans-Christian Harten
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Zusammenfassung
In wachsendem Maße werden Jugendliche aus dem Arbeitsmarkt hinausgedrängt; seit langem schon tragen sie in vielen Industrieländern ein überproportionales Arbeitslosigkeitsrisiko, das sich in der jüngsten internationalen Wirtschaftskrise noch auf dramatische Weise verschärft hat. In der EG hat der Anteil der Jugendlichen an allen Arbeitslosen 1977 37, 4 Prozent erreicht. Dieser Anteil liegt in einigen Staaten noch höher — für die älteren Arbeitnehmer besteht hier praktisch Vollbeschäftigung. Die Gründe für diese besonders hohe Betroffenheit Jugendlicher von Arbeitslosigkeit sind vielfältig: sie liegen in arbeitsrechtlichen Regelungen, die Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen, in bestimmten personalpolitischen Strategien der Betriebe, die — ungewollt — Jugendliche treffen, in mangelnden beruflichen und betrieblichen Erfahrungen Jugendlicher, die im Zustand allgemeinen Arbeitsplatzmangels ihre Einstellungschancen herabsetzen, u. a. Die Maßnahmen, die bisher in den verschiedenen Ländern ergriffen worden sind, werden der Situation in keiner Weise gerecht. Sie verschieben und verdecken die Probleme, wie dies vor allem für die meisten bildungspolitischen Maßnahmen gilt, sind zu wenig auf die Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche ausgerichtet und bleiben allein in quantitativer Hinsicht völlig unzulänglich. Die unzureichende finanzielle Ausstattung des Europäischen Sozialfonds (für die die Bundesrepublik mitverantwortlich ist) verhindert darüber hinaus eine angemessene, koordinierte Reaktion auf die regionalen Dimensionen der Jugendarbeitslosigkeit. Aufgrund der andauernden Arbeitsplatzknappheit, der demographischen Entwicklung (in den meisten Ländern der EG verlassen in den nächsten Jahren geburtenstarke Jahrgänge die Schulen) und des geringen Umfangs staatlicher Maßnahmen muß mit einer Fortdauer, wenn nicht Verschärfung der Arbeitsmarkt-probleme Jugendlicher gerechnet werden.
I. Strukturelle Jugendarbeitslosigkeit in der EG
Die Zahl der in den Statistiken registrierten Arbeitslosen in der EG ist von 2, 25 Mio. im Jahr 1973 auf 5, 73 Mio. im Jahr 1977 gestiegen; sie überschritt im Dezember 1977 die 6-Mio. -Grenze. Mehr als ein Drittel von ihnen sind Jugendliche unter 25 Jahren. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist überproportional gewachsen: Lag ihr Anteil an der Gesamtarbeitslosigkeit im Durchschnitt der Jahre 1969— 1973 noch bei 26, 5 Prozent, stieg er 1975 auf 35, 3 Prozent und erreichte 1977 37, 4 Prozent. In einigen Ländern liegt dieser Anteil noch wesentlich höher — beispielsweise waren im Sommer 1977 in den Niederlanden 46, 3 Prozent, in Großbritannien, Belgien und Frankreich zwischen 40 und 45 Prozent aller Arbeitslosen unter 25 Jahre alt. Bei solchen Zahlen wird nahezu das gesamte Arbeitslosigkeitsrisiko von Jugendlichen getragen — für die älteren Arbeitnehmer besteht in vielen Ländern Vollbeschäftigung.
Die weit überproportionale Betroffenheit Jugendlicher von Arbeitslosigkeit besteht in vielen Ländern schon seit langem und ist nicht erst ein Resultat der letzten internationalen Wirtschaftskrise, sondern strukturell bedingt; mit dem Anwachsen der allgemeinen Arbeitslosigkeit hat sich aber in allen Ländern auch die Jugendarbeitslosigkeit erhöht. In den letzten Jahren haben sich daher strukturelle ünd konjunkturelle Faktoren überlagert und gemeinsam die gegenwärtig außerordentlich hohe Jugendarbeitslosigkeit ausgelöst. Gleichzeitig hat die Rezession in jenen Ländern, in denen die Beschäftigungsprobleme Jugendlicher zuvor eine geringe Rolle spielten, auch dort zum Entstehen einer strukturellen Jugendarbeitslosigkeit von größerem Ausmaß geführt. Dies gilt insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland und für Belgien, wo die Zuwachsraten der Jugendarbeitslosigkeit während der Krisenjahre am höchsten waren, wenn sie auch noch nicht das Niveau des EG-Durchschnitts erreicht haben.
Die strukturellen Faktoren der überproportionalen Betroffenheit Jugendlicher von Arbeitslosigkeit sind vielfältig und in den verschiedenen Ländern jeweils unterschiedlich ausgeprägt — arbeitsrechtliche Regelungen in allen Ländern, die zu Benachteiligungen Jugendlicher auf dem Arbeitsmarkt führen (Teilzeitberufsschulpflicht, Jugendarbeitsschutz, Wehrpflicht, stärker ausgebauter Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer);
— geringere oder fehlende berufs-und betriebsspezifische Erfahrungen benachteiligen vor allem Schulabgänger (dies hängt auch mit der mangelnden beruflichen Orientierung der Schule zusammen);
— vor allem in der Krise vermeiden es die Betriebe eher, bereits länger Beschäftigte zu entlassen und nehmen statt dessen keine Neu-einstellungen vor, so daß sich der globale Mangel an Arbeitsplätzen für neu auf den Arbeitsmarkt Tretende besonders bemerkbar macht;
— das Arbeitslosigkeitsrisiko erscheint zudem unter sozialpolitischen Gesichtspunkten leichter auf Jugendliche überwälzbar, weil sie zumeist noch bei ihren Eltern leben, und man ihnen Arbeitslosigkeit deshalb eher zuzumu-ten zu können glaubt als älteren Arbeitnehmern mit Familie;
— Jugendliche werden durch Strukturprobleme bestimmter Branchen besonders getroffen (Beispiel: der besonders hohe Anteil arbeitsloser junger Frauen aus der Textil-und Bekleidungsindustrie in den Niederlanden, oder die große Zahl arbeitsloser weiblicher Waren-kaufleute aus dem Einzelhandel in der Bundesrepublik); — Strukturprobleme im Verhältnis zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem (zum Beispiel führen Fehlqualifikationen in einem mangelhaften Ausbildungssystem und die unzulängliche berufspraktische Orientierung der Schule (s. o.) zu Ubergangsproblemen vom Bildungs-ins Beschäftigungssystem); — ein Zurückbleiben der Qualität und Zusammensetzung des Arbeitsplatzangebots hinter den Erwartungen der Jugendlichen (Arbeitslosigkeit als Folge mangelnder Bereitschaft, eine unattraktive Tätigkeit aufzunehmen); — ein Rückgang des Lehrstellenangebots in einigen Ländern, der die Beschäftigungsprobleme der Jugendlichen zusätzlich vergrößert hat; die Gründe für diesen Rückgang sind vor allem gestiegene Ausbildungskosten und ein im Zuge der technologisch-ökonomischen Entwicklung („Rationalisierungen") sinkender Bedarf an Qualifikationen;
— die besonders hohe Arbeitslosigkeit weiblicher Jugendlicher als (unter anderem) eine Folge des wachsenden Wunsches nach Erwerbstätigkeit bei jungen Frauen.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen wird, ist die demographische Entwicklung. In den meisten Ländern sind in den 60er Jahren die Geburtenraten stark gestiegen, infolgedessen treten jetzt geburtenstarke Jahrgänge ins Erwerbsleben. Die Zahl der Sechzehnjährigen in der EG stieg von 3, 7 Mio. 1971 auf 4, 0 Mio. 1975; sie wird 1980 bei 4, 4 Mio. liegen und erst 1988 wieder auf den Stand von 1971 zurückgegangen sein Von daher ist ein weiterer Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu befürchten, wenn es nicht gelingt, das Arbeitsplatzangebot entscheidend auszuweiten.
Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß die strukturelle Jugendarbeitslosigkeit im wesentlichen eine Folge der Abschließung des Arbeitsmarkts nach außen unter Bedingungen eines allgemeinen Arbeitsplatzmangels ist. Weil die Betriebe, wenn es um Personalverringerung geht, versuchen, den bereits eingearbeiteten, seit langem beschäftigten Teil der Belegschaft zu halten, und weil die Arbeit von Jugendlichen wegen arbeitsrechtlicher und anderer Einschränkungen, zusätzlich erforderlich werdender Einarbeitungsund Ausbildungskosten usw. für den Betrieb weniger „profitabel“ ist, ist der Zugang zum betrieblichen Arbeitsmarkt für sie mit besonders hohen Barrieren versehen. Dies sind strukturelle Faktoren, die aber erst bei generell bestehendem Arbeitsplatzmangel wirksam werden. In Zeiten der Hochkonjunktur und der Arbeitskräfteknappheit treten sie zurück, da die Betriebe dann auf jede Arbeitskraft angewiesen sind; die rechtlichen Einschränkungen, denen die Beschäftigung Jugendlicher unterliegt, Defizite an beruflichen Qualifikationen und betrieblicher Erfahrung fallen dann nicht mehr ins Gewicht. Erst im Zustand der Arbeitslosigkeit, wenn man unter vielen Arbeitskräften auswählen kann, wird eine Auswahl vorgenommen, die zu Lasten der Jugendlichen geht. Wenn dieser Zustand andauert, verstärken sich die Auswahl-mechanismen und vergrößern sich damit die Beschäftigungsprobleme der Jugendlichen; das gesamte Arbeitslosigkeitsrisiko verlagert sich dann immer mehr auf sie. Dies kennzeichnet in besonders dramatischer Weise die italienische Situation.
Tritt Arbeitslosigkeit dagegen nur vorübergehend als konjunkturelles Problem auf, klettern zwar auch die Arbeitslosenzahlen bei Jugendlichen in die Höhe; mit konjunkturellem Aufschwung und wachsendem Arbeitskräfte-bedarf finden die Jugendlichen aber relativ schnell wieder eine Stelle, so daß es gar nicht erst zu einer größeren strukturellen Jugend-arbeitslosigkeit kommen kann. Dies war z. B.
1967/68 in der Bundesrepublik der Fall. Daß der prozentuale Anteil der Jugendlichen an der Arbeitslosigkeit seitdem allmählich gestiegen und auch 1977 noch gewachsen ist, weist jedoch darauf hin, daß die strukturellen Faktoren auch hier langsam in den Vordergrund treten.
II. Förderungseinrichtungen in den einzelnen Ländern
Die Maßnahmen in den einzelnen Ländern sowie auf EG-Ebene haben ihre Schwerpunkte in Beschäftigungsprämien, direkten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und in bildungspolitischen Maßnahmen — In fast allen Län-dem gibt es mittlerweile Lohnkostenzuschüsse, die einen Anreiz für zusätzliche Einstellungen bilden sollen; in einigen Fällen — so in Belgien und Frankreich — nehmen diese Anreize die Form der Befreiung von Arbeitgebersozialabgaben an, woran der Charakter dieser Maßnahmen als Unternehmenssubventionen besonders deutlich wird. Ob solche Unterstützungen sehr sinnvoll sind, läßt sich bezweifeln, nachdem sich in fast allen Ländern der Lohnkostenanstieg stark abgeschwächt hat, die Bereitschaft zu Neueinstellungen damit aber nicht gewachsen ist
die Frage ist daher berechtigt, ob die „zurückhaltende" Einstellungspolitik eine Folge zu hoher Lohnkosten ist und durch Lohnkostensubventionen abgebaut werden könnte.
Darüber hinaus sind globale Beschäftigungsprämien in erheblichem Maß mit (kaum kontrollierbaren) Mitnahme-und Verlagerungseffekten verbunden, die ihre Wirksamkeit relativieren (d. h. die Zuschüsse werden oft nur für Arbeitsplätze in Anspruch genommen, die ohnehin eingerichtet worden wären oder aber mit Entlassungen an anderer Stelle verbunden sind).
In allen Ländern gibt es staatliche Arbeitsbeschailungsmaßnahmen und -programme für Arbeiten, die im öffentlichen Interesse liegen und vom Markt selbst nicht oder nicht ausreichend angeboten werden. Der Beschäftigungseffekt dieser Maßnahmen ist deshalb wesentlich höher als bei Lohnkostenzuschüssen. Problematisch an ihnen ist jedoch ihr kurzfristiger Charakter, da sich daraus „Schwierigkeiten für den wirkungsvollen und konstruktiven Einsatz der Arbeitskräfte" ergeben und die Arbeitslosigkeit hinterher oft fortbesteht. Da es zumeist an langfristigen Planungen fehlt, sind sie bislang auch kaum mit größeren öffentlichen Anlageinvestitionen verbunden gewesen, die ihre Dauerhaftigkeit — etwa im Rahmen längerfristiger Infrastrukturentwicklungsprogramme — sicherstellen könnten. Insgesamt werden in der EG mit Hilfe von Lohnkostenzuschüssen und Arbeitsbeschaffungsprogrammen gegenwärtig ungefähr 250 000 Jugendliche beschäftigt — Strategien der Arbeitsplatzteilung sind zwar viel diskutiert, bislang aber unter anderem wegen ihrer ungesicherten Beschäftigungswirkungen nur wenig praktiziert worden. Nur in Belgien und Frankreich ist die Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens älterer Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozeß geschaffen worden, wenn dafür jüngere Arbeitskräfte zusätzlich eingestellt werden; der Beschäftigungseffekt wird auf zusammen etwa 63 000 geschätzt
Auf berufsbildungspolitischem Gebiet sind vor allem Maßnahmen zur Erweiterung des Lehrstellenangebots auf allen Ebenen zu nennen, wobei es sich häufig um Unternehmens-subventionen handelt, die ohne Berücksichtigung qualitativer Kriterien vergeben werden. Außerdem gibt es in allen Ländern spezielle berufsvorbereitende Maßnahmen, die die Eingliederungsfähigkeit der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt verbessern sollen, oft aber ebenfalls nur mit öffentlichen Mitteln subventionierte Formen der Arbeit von Jugendlichen darstellen (dies gilt z. B. für einige Formen der „Betriebspraktika" in vielen Fällen aber auch nichts anderes als „Verwahrmaßnahmen" mit beschäftigungstherapeutischem Charakter sind
Darüber hinaus sind in einigen Ländern allgemeine bildungspolitische Maßnahmen wie die Ausdehnung der allgemeinen Schulzeit ergriffen worden, um Jugendliche länger vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Insgesamt ist die Zahl der Schulund Hochschulbesucher in der EG zwischen 1971 und 1976 von 46 auf 51 Mio. angewachsen — den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit von 0, 5 auf 2 Mio. hat dies freilich nicht verhindern können. Die Verlängerung der Bildungszeit hat immer nur einen kurzfristigen Entlastungseffekt auf dem Arbeitsmarkt zur Folge, wie das Beispiel Englands zeigt, wo mit der Einführung eines Pflichtschuljahrs 1972 zwar die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen stark reduziert, der langfristige Trend eine wachsenden Jugendarbeitslosigkeit damit aber nicht aufgehalten werden konnte.
Die Maßnahmen, die auf EG-Ebene ergriffen werden können, halten sich aufgrund der mangelhaften finanziellen Ausstattung der entsprechenden Institutionen in Grenzen. Sie erstrecken sich auf Beschäftigungsbeihilfen im Rahmen des Europäischen Sozialfonds, auf den Ausbau seiner Handlungsmöglichkeiten und auf internationale Koordinationen, die vor allem zur Förderung der Institutionen des Arbeitsmarkts (Berufsberatung, Arbeitsvermittlung, Statistik) beitragen. 1975— 1977 sind im Rahmen des Sozialfonds rund 280 Mio. RE für Beteiligungen an Bildungsprogrammen zugunsten arbeitsloser Jugendlicher aufgewendet worden. Wegen der Mittelknappheit — die Zuschußanträge überstiegen diese Höhe um mehr als das Doppelte — werden die Zuschüsse nür für Jugendliche auf der Suche nach einer Erstbeschäftigung vergeben
Bei der Beurteilung der laufenden und möglichen weiteren Maßnahmen muß man zunächst davon ausgehen, daß das vorrangige Problem bei allen strukturellen Faktoren der allgemeine Arbeitsplatzmangel ist. Sämtliche Bemühungen, die Qualifikationen der Jugendlichen den herrschenden Arbeitsplatzanforderungen anzupassen und ihre Arbeitskraft mit öffentlichen Mitteln zu „subventionieren", finden daran eine prinzipielle Grenze. Sie können bestenfalls eine etwas „gerechtere" Aufteilung der vorhandenen Arbeitslosigkeit auf die verschiedenen Gruppen herbeiführen, werden aber grundsätzlich an der überproportionalen Betroffenheit Jugendlicher nichts ändern, weil sie aufgrund geringerer beruflich-praktischer Erfahrungen immer im Nachteil gegenüber älteren Arbeitnehmern bleiben müssen. Deshalb muß das größte Gewicht solchen Maßnahmen zukommen, die unmittelbar beschäftigungswirksam sind, ohne dabei lediglich zu einer Verlagerung des Arbeitslosigkeitsrisikos auf andere Gruppen zu führen. Dies sind vor allem spezielle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Jugendliche, die zusätzliche, vom Markt sonst nicht angebotene Arbeitsplätze schaffen.
Auf der anderen Seite genügt es aber nicht, Arbeitsplätze schlechthin zu schaffen: „Das Problem der Beschäftigung der Jugendlichen ist mit der Bereitstellung von genügend Arbeitsplätzen für die Heranwachsenden allein nicht zu lösen. Es geht auch um die Qualität der Arbeit und die Aussichten der Schulabgänger." Arbeitsplätze, die keine Zukunftsperspektiven eröffnen, nützen den Jugendlichen wenig, und Arbeitsplätze, die ihren Bedürfnissen nicht entgegenkommen, sollten nicht auch noch gefördert werden — dies hieße, eine einseitige Anpassung der Jugendlichen an die herrschenden Arbeitsmarktbedingungen zu verlangen — Natürlich gibt es aber auch Fälle, in denen Jugendliche einfach aufgrund mangelnder Informationen un-realisierbare Berufswünsche entwickeln; hier bedarf es vor allem einer intensiveren Berufsberatung.
Unter dem Aspekt, möglichst qualifizierte, langfristig bedeutsame und gesellschaftlich interessante Arbeitsplätze zu schaffen, erhalten auch bildungspolitische Maßnahmen ihr Gewicht, weil sie Grundlagen für die Verwirklichung eines Zuwachses an qualifizierten Arbeitsplätzen schaffen können. Sie müssen aber auch an diesem Ziel orientiert sein. Als bloße „Verwahr-oder Aufbewahrungsmaßnahmen" vermögen sie zwar mitzuhelfen, die Arbeitslosenstatistiken aufzubessern, lösen aber nicht die Beschäftigungsprobleme der Jugendlichen. Statt dessen tragen sie eher zur Entmotivierung und Entmutigung der Jugendlichen bei, weil sie selbst merken, daß mit ihnen nur eine Art Beschäftigungstherapie getrieben wird, wie dies für viele der berufsvorbereitenden Lehrgänge gilt Aus dem gleichen Grund muß die verbreitete These zurückgewiesen werden, irgendeine Ausbildung sei besser als gar keine, und man müsse deshalb alles unternehmen, um so viele Ausbildungsplätze wie möglich zu gewinnen, ohne Rücksicht auf ihre Qualität. Nur allzu oft werden den Jugendlichen dann Ausbildungen vermittelt, die den Berufs-oder Betriebswechsel — und damit in vielen Fällen auch Arbeitslosigkeit — nach der Lehre schon vorzeichnen.
Ebensowenig ist es sinnvoll, einfach die allgemeinen Bildungszeiten zu verlängern, um die Jugendlichen für ein weiteres Jahr vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Dies führt, wenn sich damit keine inhaltliche Reform des Unterrichts verbindet, nur dazu, daß die Selektionsmechanismen des Arbeitsmarkts noch stärker in die Schule hineinverlagert werden und daß individualisierenden Deutungsmustern für die unterschiedlichen Betroffenheiten von Arbeitslosigkeit Vorschub geleistet wird (nach dem Motto: Wer es in der Schule nicht geschafft hat, hat eben hinterher zu Recht — weil er weniger leistungsfähig scheint — schlechtere Arbeitsmarktchancen). Hinzu kommt, daß eine Schule, die nicht oder nur unzulänglich lebens-und berufspraktisch orientiert ist, von den Jugendlichen nur als notwendiges Übel hingenommen wird, in ihnen aber kaum echte Lernund Erkenntnis-motivationen auszulösen vermag. Die Verhaltens-und Motivationsprobleme in den Schulen (vor allem den Hauptschulen) sind ja bekannte Phänomene, und sie haben sich mit den wachsenden Beschäftigungsproblemen der Jugendlichen noch erheblich verstärkt. Zugleich wird das Bildungssystem immer mehr als Wartestation benutzt, um den Problemen auf dem Arbeitsmarkt für eine Zeit-lang zu entkommen. Damit erhöhen sich noch die genannten pädagogischen Probleme; darüber hinaus breiten sich leicht Perspektivlo-sigkeit und Desorientierung bei den Jugendlichen aus, weil Schule und Hochschule zu wenig berufsbezogen sind und sich ihre Beschäftigungsmöglichkeiten dadurch nicht unbedingt verbessern. In einigen Ländern — vor allem in Italien — hat diese Situation bereits zur Entwicklung eines schulisch hoch qualifizierten bzw. „akademischen Proletariats" geführt. Und schließlich bedeutet dies auch eine Vergeudung von „Humankapital", das unter anderen Bedingungen zur Vermehrung des gesellschaftlichen Wohlstands beitragen könnte. Dies zeigt sich besonderes deutlich in Italien: Die Probleme, die die Unterentwicklung des Südens und der unzulängliche Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft aufwerfen, sind so lange nicht zu lösen, wie es nicht gelingt, die jugendliche Arbeitskraft in den Produktionsprozeß zu integrieren und für die Erfordernisse eines wirtschaftlichen Wieder-aufschwungs zu qualifizieren — wozu die Bildungsinstitutionen bislang nicht beitragen
In industriell höherentwickelten Regionen ist dieser Zusammenhang zwischen mangelnden Qualifizierungsleistungen des Bildungswesens und Arbeitslosigkeit nicht so evident. Hier ist es eher so, daß der technische Fortschritt in seiner gesellschaftlichen Form-bestimmtheit zu einer tendenziellen Verringerung des Bedarfs an Qualifikationen und damit auch zu Einschränkungen der Ausbildungsleistungen der Betriebe führt Aber man muß sich fragen, ob dies gesellschaftlich erwünscht ist und ob nicht mit bildungsund beschäftigungspolitischen Maßnahmen dieser Entwicklung entgegengesteuert werden sollte (statt daß die staatliche Bildungspolitik beispielsweise noch eine Anpassung daran vollzieht, indem etwa Bildungsreformen wieder zurückgenommen werden). Und wenn es schon unter den Bedingungen der Jugendarbeitslosigkeit unumgänglich scheint, das Bildungssystem unter beschäftigungspolitischen Erwägungen auszuweiten, dann sollte dies wenigstens dazu genutzt werden, so vielen Jugendlichen wie möglich eine so gute Aus-bildung wie möglich zu vermitteln. Auch wenn dadurch unmittelbar keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen werden, käme dies doch der psychischen und sozialen Entwicklung der Jugendlichen zugute, weil es ihr Selbstvertrauen stärkt, und schließlich könnte von einem höheren allgemeinen Qualifikationsniveau ein Innovationsdruck auf das Beschäftigungssystem ausgehen, mehr und besser qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. Allerdings bedarf es, damit ein solcher Innovationsdruck überhaupt wirksam werden kann, ergänzender beschäftigungsund wirtschaftspolitischer Strategien, die gegenwärtig freilich in keinem Land in Sicht sind.
Es gibt, darauf sei in diesem Zusammenhang verwiesen, bereits eine ganze Reihe von Modellversuchen, in denen die „Nutzung" von Bildungseinrichtungen als „Aufbewahrungsorten" zugleich mit inhaltlichen Reformen verbunden wird, die eine bessere Vermittlung von Arbeit, praktischen Erfahrungen und in-
novatorischem Lernen zum Ziel haben. Solche Reformmodelle sind am weitesten fortgeschritten in Dänemark ; sie finden sich ansatzweise auch in den Niederlanden. Hier gibt es eine Reihe von Schulen, die als eigene Produktionsstätten der Jugendlichen konzipiert sind; die Jugendlichen besuchen hier nicht nur den Unterricht, sondern leisten auch selbstverantwortliche Arbeit. Solche Modelle gehen über die demotivierende Beschäftigungstherapie vieler berufsvorbereitender Maßnahmen weit hinaus; die Schule wird hier — der Tendenz nach — selbst zum Arbeitsplatz. Ein anderes alternatives Modell für die Lösung von Beschäftigungsproblemen, auf das hingewiesen sei, ist das italienische Modell des Bildungsurlaubs; die Arbeitnehmer sollen die Fähigkeit erwerben, sich gegen Dequalifi-zierungstendenzen zur Wehr zu setzen und eine größere Einsicht in den gesellschaftlichen Zusammenhang der Arbeit zu gewinnen, damit sie für Mitbestimmungsund Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Produktion qualifiziert sind Solche Phasen des Bildungsurlaubs könnten tariflich oder arbeitsrechtlich damit gekoppelt werden, zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche zu schaffen; gleichzeitig würde sich damit ein Weg anbieten, die Beschäftigungsprobleme von Hochschulabsolventen abzubauen und die Hochschulen stärker für die Probleme der Arbeitswelt zu öffnen.
III. Zur Situation in den einzelnen Ländern — Ein Überblick über die wichtigsten Daten
Belgien Der Anteil der Jugendlichen an allen Arbeitslosen betrug in Belgien Ende der 60er Jahre im Durchschnitt 15— 16 Prozent, sank dann vorübergehend und stieg seit 1973/74 stark an, auf etwa ein Drittel aller Arbeitslosen. Die höchsten Zahlen erreicht die Jugendarbeitslosigkeit jeweils nach den Schulentlaßterminen im August und September; September 1977 waren 147 000 Jugendliche arbeitslos (= 43, 6 Prozent allere Arbeitslosen), 34 000 mehr als zwei Jahre zuvor und rund 90 000 mehr als 1974. Dieser außerordentlich hohe Anstieg war von einer im Vergleich zu anderen Ländern ungewöhnlich starken Zunahme der Dauer der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen begleitet: Während 1974 noch 42 Prozent aller Jugendlichen weniger als drei Monate arbeitslos waren, lag dieser Anteil 1976 nur noch bei 26 Prozent; ebenfalls 26 Prozent waren länger als ein Jahr arbeitslos, gegenüber 17 Prozent 1974. In Belgien ist die Dauer der Arbeitslosigkeit Jugendlicher wesentlich länger als in den meisten anderen Ländern, in denen der Anteil der Jugendlichen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, in der Regel unter zehn Prozent liegt.
Ein weiteres auffallendes Strukturmerkmal der Jugendarbeitslosigkeit in Belgien ist die sehr hohe Betroffenheit weiblicher Jugendlicher: Ihr Anteil an allen Arbeitslosen unter 25 Jahren lag im Durchschnmitt der Jahre 1969— 1977 bei 68, 7 Prozent. Entsprechend lagen die Arbeitslosenquoten etwa doppelt so hoch wie bei den Jungen. 1976 waren 18, 8 Prozent (!) aller erwerbstätigen weiblichen Jugendlichen arbeitslos, gegenüber 9, 2 Prozent aller männlichen Jugendlichen. Dies ist nur ein Aspekt der generell sehr hohen Frauenarbeitslosigkeit in Belgien; die Arbeitslosenquoten für alle Frauen lagen bei 14, 8 Prozent, bei Männern bei 5, 5 Prozent. Weibliche Jugendliche sind außerdem etwa doppelt so lang arbeitslos wie männliche; über ein Drittel von ihnen waren 1977 bereits länger als ein Jahr ohne Arbeit.
Jugendliche mit niedrigem Bildungsniveau sind am strärksten betroffen; 42 Prozent der arbeitslosen Jugendlichen hatten einen Abschluß, der dem deutschen Hauptschulabschluß entspricht. Die Arbeitslosigkeit sinkt mit steigendem Bildungsgrad und ist am geringsten bei Universitätsabsolventen. — Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf bestimmte Wirtschaftszweige konzentriert, bei den weiblichen Jugendlichen auf die Bereiche Handel und Dienstleistungen und Bekleidungswesen, bei den männlichen Jugendlichen auf die Bereiche Bauwirtschaft, Handel und Dienstleistungen und Metallverarbeitung. — Fast 12 000 arbeitslose Jugendliche waren 1976 Ausländer — das waren etwa 31 Prozent aller ausländischen Arbeitnehmer.
An Förderungseinrichtungen sind zu nennen: — staatlich finanzierte Betriebspraktika von sechs Monaten Dauer;
— die Einführung einer gesetzlichen Pflicht für Betriebe mit mindestens 100 Beschäftigten, eine bestimmte Anzahl von Praktikanten aufzunehmen (auch für diese Praktika gibt es inzwischen eine staatliche Prämie);
— die Einrichtung besonderer „Beobachtungs-und Beratungszentren" mit berufsvorbereitenden Kursen für arbeitslose Jugendliche; — die Ermöglichung eines vorzeitigen Abgangs ins Rentenalter, wenn dafür Arbeitslose unter 30 Jahren eingestellt werden.
Generelle Lohnzuschüsse gibt es in Belgien bislang nur im Rahmen der Regionalpolitik; wie in anderen Ländern werden aber spezielle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Jugendliche durchgeführt.
Dänemark Uber Dänemark liegen nur wenig Daten vor. Der Anteil der Jugendlichen an allen Arbeitslosen ist mit nicht ganz 25 Prozent am niedrigsten in der EG, und er hat sich auch während der Krisenjahre praktisch nicht erhöht; allerdings werden in der Statistik nicht die Jugendlichen erfaßt, die auf der Suche nach einem Erstarbeitsplatz sind. Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen lag 1975 nach einer Stichprobenerhebung des Statistischen Amts der EG, die die Erstbeschäftigungssuchenden mit einbezieht, sehr hoch, nämlich bei 12, 7 Prozent für die 14— 19jährigen und 14 Prozent für die 20— 24jährigen (zum Vergleich: in der Bundesrepublik lag sie nach der gleichen Erhebung bei 6, 5 Prozent bzw. 4, 4 Prozent). Geschlechtsspezifisch differieren die Arbeitslosenquoten nur unwesentlich; bei den 14— 19jährigen sind Frauen, bei den 20— 24jährigen Männer leicht stärker betroffen.
Wenn der Anteil der registrierten Jugendlichen an den Arbeitslosen sich seit 1971 kaum verändert hat, dann dürfte dies damit Zusammenhängen, daß der Anteil der 15— 19jährigen an der Gesamtbevölkerung von 1969 bis 1975 gesunken ist. Da er seitdem aber wieder steigt, wird auch für die Zukunft mit einer wachsenden Jugendarbeitslosigkeit zu rechnen sein. — Ungefähr 45 Prozent aller arbeitslosen Jugendlichen sind Schulabgänger aus der 7. — 10. Klasse; am geringsten ist das Arbeitslosigkeitsrisiko bei Jugendlichen mit abgeschlossener Berufsausbildung.
Wegen der besonders hohen Betroffenheit Jugendlicher mit niedrigem Bildungsabschluß oder ohne Berufsausbildung liegt das Schwergewicht der Maßnahmen auf dem Gebiet der beruflichen Bildung. Vor allem ist das schulische Angebot an Kursen, Lehrgängen usw. für ungelernte Jugendliche erweitert worden (die berufsvorbereitenden Maßnahmen werden größtenteils von den Schulen durchgeführt). Außerdem ist eine Reform der beruflichen Bildung begonnen worden, in der an die Stelle der herkömmlichen Lehrlingsausbildung ein System der „experimentellen Berufsbil-, düng" treten soll, in dem die Jugendlichen zunächst ein Jahr überbetriebliche, praktisch-theoretische Ausbildung und anschließend zwei bis drei Jahre betriebliche Ausbildung absolvieren sollen. — Auf alternative Modelle der Verknüpfung von Arbeit und Lernen haben wir bereits hingewiesen.
Dänemark hat es bisher abgelehnt, Arbeitsplätze für Jugendliche durch Beschäftigungsprämien zu „subventionieren", weil dadurch andere Arbeitnehmergruppen automatisch benachteiligt würden. Statt dessen ist relativ viel für Arbeitsbeschaffungsprogramme ausgegeben worden, durch die 1974— 1977 insgesamt 10 000 Jugendliche beschäftigt werden konnten; finanziert werden vor allem Arbeiten zur Verbesserung der Umwelt, zum Bau von Museen, Schulen, Sportplätzen usw.
Frankreich In Frankreich ist die Jugendarbeitslosigkeit wie die gesamte Arbeitslosigkeit seit 1969 kontinuierlich gestiegen, aber erst 1975 kam es zu einer tiefen Krise auf dem Arbeitsmarkt; die Arbeitslosenzahlen verdoppelten sich innerhalb von zwei Jahren, und der Anteil der Jugendlichen wuchs um 10 Prozent.
Im Oktober 1977 erreichte die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen mit 557 800 ihren bisherigen Höhepunkt — bei insgesamt 1, 2 Mio.
Arbeitslosen machte ihr Anteil zu diesem Zeitpunkt 46, 3 Prozent aus, d. h. nahezu jeder Zweite Arbeitslose war noch nicht 25 Jahre alt; für ältere Arbeitnehmer bestand also praktisch Vollbeschäftigung.
Weibliche Jugendliche sind besonders stark betroffen: Ihr Anteil an allen arbeitslosen Jugendlichen lag im Durchschnitt der Jahre 1969— 1977 bei etwa 60 Prozent. Ebenfalls stark betroffen sind Berufsanfänger, deren Anteil im September 1974 27 Prozent, ein Jahr später bereits fast 40 Prozent ausmachte, davon waren wiederum 60 Prozent Mädchen. Die Frauenarbeitslosigkeit geht mit dem Alter deutlich zurück und ist mit fast einem Drittel wesentlich auf die Gruppe der 18— 21jährigen konzentriert; hierin kommen zum einen Probleme des Übergangs von der Schule in den Beruf bzw. Qualifikationsprobleme, zum anderen der steigende Wunsch nach Erwerbstätigkeit bei jungen Frauen zum Ausdruck — Die Arbeitslosenzahlen schwanken regional z. T. beträchtlich. Sie sind am niedrigsten in der Pariser Region, am höchsten in der Bretagne, der Basse-Normandie und dem Südwesten, also den wirtschaftlich weniger entwickelten Gebieten.
Besonders hoch ist der Anteil unqualifizierter Jugendlicher. 1974 waren 61 Prozent aller arbeitslosen Jugendlichen Un-und Angelernte, und nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1973 hatte jeder Dritte von ihnen die berufliche Ausbildung abgebrochen. Von den arbeitslosen Jugendlichen hatte 1975 ein Drittel die Schule ohne Abschluß verlassen. Ein großer Teil dieser Jugendlichen mit niedrigem Bildungsniveau ist aus der Landwirtschaft abgewandert. Allerdings gibt es auch einen hohen Anteil qualifizierter Angestellter (28, 5 Prozent 1974) an den Arbeitslosen unter 25 Jahren. Daß es auch für Jugendliche mit berufli-cher Qualifikation große Beschäftigungsprobleme gibt, wird u. a> daran deutlich, daß 1976 von den als Angelernten oder Hilfsarbeitern tätigen Jugendlichen 19 Prozent einen Facharbeiterbrief, von den als ungelernten Arbeitern im tertiären Sektor beschäftigten Jugendlichen sogar über 40 Prozent einen Fachschulabschluß hatten Das bedeutet, daß beim Übergang vom Berufsbildungsins Beschäftigungssystem ein Prozeß der „Dequalifizierung" stattfindet, der darauf hinweist, daß die Entwicklung des Qualifikationsbedarfs im Beschäftigungssystem hinter der durch die berufliche Bildung vermittelten „Nachfrage" der Jugendlichen zurückbleibt.
Maßnahmen speziell zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sind vor allem die Einführung von „Arbeits-Ausbildungsverhältnis-sen“ (contrats emploi-formation"), die Arbeitserprobung, außerdem die Befreiung der Arbeitgeber von Sozialabgaben bei der Einstellung jugendlicher Arbeitskräfte und Lehrlinge, größere finanzielle Unterstützung für die Lehrlingsausbildung, Zuschüsse zur Arbeitsplatzbeschaffung und die Ermöglichung eines vorzeitigen Ausscheidens älterer Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozeß, wenn dafür Jugendliche eingestellt werden.
Ziel der „Arbeits-Ausbildungsverhältnisse" ist es, die Einstellung von Jugendlichen ohne Qualifikation für die Betriebe zu erleichtern. Der Arbeitgeber muß sich verpflichten, einen Jugendlichen für mindestens sechs Monate zu beschäftigen und ihn während einer bestimmten Zeit auszubilden; der Staat zahlt die Kosten der Ausbildung und subventioniert die Löhne der Jugendlichen. So sehr auch die Verbindung von Arbeit und Ausbildung berufspädagogisch sinnvoll ist, problematisch ist daran, daß mit dieser Maßnahme, wie die CGT kritisiert hat, das Gesetz zur Neuordnung der beruflichen Fortbildung von 1971 unterlaufen wird; danach sollten solche Ausbildungsleistungen unter Beteiligung der Arbeitgeber über einen Fonds finanziert werden, der vorgesehene Finanzierungssatz ist aber längst noch nicht erreicht
Großbritannien Großbritannien ist das Land mit der höchsten Zahl arbeitsloser Jugendlicher; im Juni 1977 waren mit 738 400 45, 5 Prozent aller Arbeitslosen Jugendliche. Allerdings werden diese Zahlen dadurch relativiert, daß die Dauer der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen in Großbritannien am kürzesten ist. 80 Prozent waren weniger als drei Monate arbeitslos (in der Bundesrepublik und Frankreich lag dieser Anteil bei 61 Prozent bzw. 62 Prozent). Da außerdem ein sehr großer Teil dieser Jugend-liehenSchulabgänger sind, ist die Jugendarbeitslosigkeit unmittelbar nach den Schulentlaßterminen zwar ungewöhnlich hoch, geht dann aber sehr schnell im Laufe des Jahres wieder zurück; so ist die Zahl der arbeitslosen Schulabsolventen von 160 000 im August 1975 bis zum Februar/März auf 25 000 gesunken. Offenbar handelt es sich bei der Jugend-arbeitslosigkeit in Großbritannien zu einem großen Teil nur um kurzfristige Friktionen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Allerdings sind die Zahlen unvollständig, weil unter den arbeitslosen Berufsanfängern nur die unter 18jährigen aufgeführt werden
Auf der anderen Seite sind aber die Beschäftigungsprobleme der Jugendlichen immer stärker angewachsen. Zum einen hat sich die Dauer erhöht — weniger als drei Monate arbeitslos waren 1976 nur noch 69 Prozent. Zum anderen sind die Arbeitslosenquoten vor allem bei den jüngeren Altersgruppen sehr stark angestiegen; so ist die Arbeitslosenquote der unter 18jährigen bei den männlichen Jugendlichen von 13, 8 Prozent im Juli 1975 auf etwa das Doppelte im Juli 1976 angestiegen, bei den Mädchen von 10, 4 auf 25, 6 Prozent. Und schließlich liegen die Arbeitslosen-quoten auch zum Jahresbeginn mittlerweile sehr hoch — im Januar 1977 waren immer noch 12, 8 Prozent der Jungen und 14, 1 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren ohne Stellung.
Die Arbeitslosenquoten der weiblichen Jugendlichen lagen lange Zeit deutlich unter denen der männlichen Jugendlichen. Die Kehrseite ist, daß Mädchen in Großbritannien kaum Chancen haben, eine Lehrstelle zu finden; die Arbeitslosenquoten der weiblichen Jugendlichen sind in den letzten Jahren aber wesentlich stärker gestiegen und nähern sich langsam denen der männlichen Jugendlichen an — bei den unter 18jährigen lagen sie im Januar 1977 bereits höher. Außerdem ist der Anteil der weiblichen Jugendlichen an allen arbeitslosen Frauen besonders hoch; er lag in den letzten Jahren zwischen 57 und 65 Prozent. Das bedeutet, daß für die älteren berufstätigen Frauen kaum eine größere Arbeitslosigkeit besteht; bei den männlichen Jugendlichen liegt dieser Anteil mit 36— 40 Prozent wesentlich niedriger. — Auch in Großbritannien sind Unqualifizierte besonders betroffen: Nach einer 1972 durchgeführten Untersuchung besaßen 70 Prozent der Jugendlichen ohne Arbeit weder eine anerkannte schulische und berufliche Qualifikation. Als Förderungsmaßnahmen sind zu nennen:
Die Regierung finanziert einjährige Ausbildungslehrgänge für Jugendliche, die keine Lehrstelle finden konnten; außerdem werden berufsvorbereitende Kurse veranstaltet und Zuschüsse für zusätzliche Ausbildungsplätze vergeben. Wie in anderen Ländern gibt es auch in Großbritannien Lohnkostenzuschüsse. 1972 wurde die Pflichtausbildungszeit um ein Jahr verlängert; die Jugendarbeitslosigkeit ging daraufhin zwar zurück, aber trotzdem — und obwohl die Zahl der Schüler zwischen 15 bis 18 Jahren bis 1974 um Prozent zugenommen hat — konnte dies das Anwachsen der Jugendarbeitslosigkeit seither nicht verhindern. Am umfangreichsten sind in Großbritannien die direkten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Mit den hierfür bereitgestellten Mitteln konnten 1975— 1977 fast 100 000 Jugendliche beschäftigt werden; hinzu kommen weitere 40 000 Jugendliche, die 1977 an Formen der Arbeitserprobung teilnahmen („work ex-perience Programme" = Betriebspraktika, in denen Arbeit und Ausbildung verknüpft werden soll). Das Arbeitsbeschaffungsprogramm sieht Zuschüsse ah öffentliche Behörden und Wohlfahrtsverbände vor, die Arbeiten von gemeinnützigen Wert — insbesondere Arbeiten zur Modernisierung der Städte — durchführen; „die Vorhaben befassen sich zu 48 Prozent mit der Verbesserung und Erhaltung der Umwelt und zu 11 Prozent mit der Errichtung sozialer Dienste" 24).
Irland Uber Irland sind keine näheren Zahlen bekannt; die arbeitslosen Jugendlichen werden nicht speziell erfaßt, da sich die meisten von ihnen doch nicht melden, weil sie von vornherein nicht mit einer Vermittlungschance rechnen. Für 1977 wird ihr Anteil an allen Arbeitslosen auf 44 Prozent geschätzt; in der Stichprobenerhebung der EG wurde 1975 eine Arbeitslosenquote von 21, 6 Prozent bei den 14 bis 19jährigen ermittelt — die mit Abstand höchste in der EG. Einzeluntersuchungen ergaben, daß die Jugendarbeitslosigkeit am höchsten in städtischen Arbeitervierteln ist (Arbeitslosenquoten um Prozent) und dort vor allem Arbeiterjugendliche mit niedrigen Bildungsabschlüssen betroffen sind. Irland hat im übrigen auch die höchsten allgemeinen Arbeitslosenquoten (1976: 10, 9 Prozent; 1977: J 0, 7 Prozent).
Diese extrem hohe Arbeitslosigkeit erklärt sich nicht nur aus dem besonders rückständigen Charakter der Wirtschaft, sondern auch daraus, daß die Auswanderungsbewegung, die in Irland traditionell sehr ausgeprägt war, in den letzten Jahren zum Stillstand gekommen ist: „Nachdem die traditionellen Einwanderungsgebiete für irische Arbeitskräfte in Ubersee ... einen Wirtschaftsabschwung nahmen, kommt es nur noch vereinzelt zur Auswanderung. Das Land erlebt daher einen Anstieg der Bevölkerung und damit einen Zugang an Jugendlichen, die erstmals Arbeit suchen." 25)
In Irland gibt es Prämien für die zusätzliche Einstellung von Schulabgängern und Ausbildungszuschüsse für neue oder sich ausweitende Industriezweige. Außerdem ist die Berufsausbildung reformiert und die Lehrzeit verlängert worden; das erste Jahr soll in Zukunft in einer außerbetrieblichen Ausbildungsstätte stattfinden, die Zahl der Plätze dafür ist vermehrt worden. Daneben gibt es berufsvorbereitende Maßnahmen für Schulabgänger, die noch keinen Berufsweg eingeschlagen haben, und ein Sonderausbildungsprogramm, in dem jugendlichen Arbeitslosen unter Aufsicht eines Handwerksmeisters in Projekten von allgemeinnütziger Bedeutung (z. B. Inneneinrichtung von Gemeinschaftszentren, Jugendklubs und -herbergen) Arbeiterfahrungen vermittelt werden.
Italien In Italien war die Arbeitslosigkeit schon vor der Krise relativ hoch; zwischen 1965 und 1972 lag die Arbeitslosenquote kontinuierlich zwischen 3 Prozent und 4 Prozent, seitdem ist sie jedoch bis auf 7 Prozent 1977 gestiegen. Der Anteil der Jugendlichen an der Arbeitslosigkeit schwankte bis 1972 um 26 Prozent und stieg bis 1976 auf 36, 8 Prozent an. In der Statistik werden allerdings nur Jugendliche aufgeführt, die weniger als 21 Jahre alt sind und eine Erstbeschäftigung suchen. Anfang 1976 waren 1, 02 Mio. Jugendliche unter 25 Jahren un-oder unterbeschäftigt, davon 850 000 auf der Suche nach einer Erstbeschäftigung. Von 1, 46 Mio. registrierten Arbeitslosen waren im Januar 1977 1, 054 Mio. 14— 29 Jahre alt; 619 000 Arbeitslose suchten eine Erstbeschäftigung. Die Arbeitslosigkeit ist in Italien im wesentlichen ein Problem des Eintritts ins Erwerbsleben bzw.des Übergangs vom Bildungsins Beschäftigungssystem. Die Barrieren, die dabei zu überwinden sind, sind offenbar ungewöhnlich hoch. Die Arbeitslosenquote lag 1975 für die 14— 19jährigen, die eine Erst-beschäftigung suchten, bei 14, 5 Prozent, für die 20 bis 24jährigen bei 7, 6 Prozent, während sie bei allen anderen Altersgruppen, aber auch bei den Jugendlichen, die bereits erwerbstätig waren, unter 3 Prozent lag, bei den über 30jährigen sogar unter 1 Prozent. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß in Italien eine besonders hohe verdeckte Arbeitslosigkeit existiert. Für Januar 1977 wird geschätzt, das 1, 12 Mio. Personen nicht auf Arbeitssuche sind, unter bestimmten Bedingungen aber arbeiten würden und könnten.
Die Arbeitslosenquoten sind im Süden fast doppelt so hoch wie im Norden des Landes: Gleichzeitig ist die Erwerbstätigenrate der 14-bis 19jährigen im Norden mit 33, 6 Prozent am höchsten, im Süden und in der Mitte mit rund 20 Prozent dagegen wesentlich niedriger. Für weibliche Jugendliche liegt sie im Süden sogar nur bei 11, 4 Prozent — Zahlen, die auf einen hohen Grad an Unterbeschäftigung bzw. verdeckter Arbeitslosigkeit hinweisen. Bemerkenswert ist, daß die Arbeitslosenquoten der 14-bis 19jährigen gestiegen sind, obwohl ihre Erwerbstätigenraten stark zurückgegangen sind Hierin kommt die Bildungsexpansion dieser Jahre zum Ausdruck — die Schülerzahlen sind in Italien in den letzten 10 Jahren stärker gestiegen als im EG-Durchschnitt —, aber auch, daß die längere Verweildauer im Bildungswesen die Beschäftigungschancen der Jugendlichen nicht verbessert hat, sondern eher eine „Aufbewahrungsfunktion" des Bildungssystems für sonst arbeitslos werdende Jugendliche anzeigt, also Schule und Hochschule keine „produktive" Funktion erfüllen
In diesem Zusammenhang ist auf den ungewöhnlich hohen Anteil arbeitsloser Abiturienten und Akademiker hinzuweisen. 1975 hatten fast 40 Prozent der arbeitslosen Jugendlichen auf der Suche nach einem Erstarbeitsplatz das Abitur oder einen akademischen Abschluß (absolut: 321 000). Andererseits haben insgesamt mehr als zwei Drittel aller Arbeits-losen keinen höheren als den Grundschulabschluß; dies zeigt „das Dilemma eines Arbeitsmarkts, der diejenigen ausstößt, welche kein ausreichendes Bildungsniveau haben, aber nicht in der Lage ist die Arbeitskräfte aufzunehmen, die mit einem akademischen Abschlußzeugnis auf dem Arbeitsmarkt erscheinen“
Die staatliche Hilfen haben sich bisher im wesentlichen auf die Gewährung von Beschäftigungsprämien beschränkt. 1977 ist aber ein Arbeitsbeschaffungsprogramm beschlossen worden, nach dem Jugendliche in Tätigkeiten von öffentlichem Interesse beschäftigt werden sollen. Außerdem gib es verschiedene berufsbildungspolitische Vorhaben, die im Anlaufen oder noch im Entwicklungsstadium sind, so z. B. das „Progetto Mezzogiorno-Giovani", das darauf abzielt, „die Strukturen der Berufsbildung durch eine alternierende Ausbildung Schule/praktische Arbeit, durch eine neue Festlegung der beruflichen Qualifikation und der Berufslaufbahn sowie durch die Schaffung von Möglichkeiten einer ständigen Weiterbildung der Ausbilder zu erneuern"
Niederlande Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist in den Niederlanden seit 1969 ständig gestiegen, allerdings ist in bezug auf ihren Anteil an der Gesamtarbeitslosigkeit keine klare Tendenz erkennbar; hier schwanken die Zahlen zwischen 26 Prozent und 37 Prozent. Der vorläufige Höhepunkt der Jugendarbeitslosigkeit war im August 1977, als 96 600 Jugendliche ohne Arbeit waren; ihr Anteil lag damit bei 46, 3 Prozent, ging aber bis zum Dezember wieder auf 41, 6 Prozent zurück. Die Dauer der Jugendarbeitslosigkeit hat erheblich zugenommen: waren 1974 noch 74 Prozent weniger als 3 Monate arbeitslos, waren es zwei Jahre später nur noch 58 Prozent. Etwa die Hälfte der arbeitslosen Jugendlichen sind Berufsanfänger — der Übergang vom Bildungs-ins Beschäftigungssystem stellt also auch hier ein zentrales Problem dar.
Eine besonders betroffene Gruppe sind die ausländischen Jugendlichen, vor allem Surinamer; die Zahl der Arbeitslosen unter ihnen ist zwischen 1974 und 1976 doppelt so schnell gewachsen (von 2 860 auf 11 780) als die der arbeitslosen Jugendlichen insgesamt. Die Ar-beitslosenquoten von Mädchen liegen unter denen der Jungen, es wird aber geschätzt, daß 40 Prozent der arbeitslosen weiblichen Jugendlichen nicht gemeldet sind. Männliche Jugendliche sind besonders betroffen in den Bereichen Bau, Metall und Verwaltung, weibliche Jugendliche im Einzelhandel, in Verwaltungs-sowie medizinischen und sozialen Berufen.
In den niederländischen Berichten an die EG wird unter anderem eine „veränderte Haltung und Motivation der Jugendlichen der Arbeit gegenüber“ als ein Erklärungsfaktor genannt, die sie selektiver an den Arbeitsmarkt herantreten lasse; offenbar sind viele Jugendliche immer mehr eher bereit, für eine begrenzte Zeit Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen als eine weniger attraktive Berufstätigkeit zu akzeptieren.
Der Schwerpunkt der staatlichen Maßnahmen liegt auf berufsbildungspolitischem Gebiet. So ist die berufliche Grundbildung auf vier Jahre verlängert worden, und im ersten Jahr der beruflichen Grundbildung und der im Versuch anlaufenden Gesamtschule ist ein Fach technische Grundlagen eingeführt worden. Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Berufswahl zu erleichtern. Daneben ist ein zweiter Tag Teilzeitschulpflicht für 16jährige eingeführt worden, verbunden mit einer Ausbildungsförderungszulage, damit ihnen dadurch keine Nachteile auf dem Arbeitsmarkt entstehen. — Eine niederländische Besonderheit ist der viel diskutierte „DUO-Banen-Plan", nach dem sich zwei Jugendliche einen Arbeitsplatz, einen Lohn und eine Arbeitslosenunterstützung teilen sollen — praktisch eine Aufteilung der Lohnkosten zwischen Staat und Betrieb.
Hans-Christian Harten, Dr. phil., geb. 1948; seit 1977 Assistenzprofessor für Soziologie der Erziehung am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaft und Schulpädagogik der Freien Universität Berlin; Studium der Politikwissenschaft und Philosophie in Frankfurt und Hamburg. Veröffentlichungen: Vernünftiger Organismus oder gesellschaftliche Evolution der Vernunft — Zur Gesellschaftstheorie des genetischen Strukturalismus von Piaget, Frankfurt/M. 1977; Kognitive Sozialisation und politische Erkenntnis — Jean Piagets Entwicklungspsychologie als Grundlage einer Theorie der politischen Bildung, Weinheim 1977; Strukturelle Jugendarbeitslosigkeit — Bildungs-und beschäftigungspolitische Konzeptionen und Maßnahmen, München 1977.