Die Weltbank Funktionsweise, Machtverhältnisse und politische Bedeutung für die Dritte Welt
Rainer Tetzlaff
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Zusammenfassung
Der Aufsatz gibt einen Überblick über Entstehungsgeschichte, Funktionsweise und politische Bedeutung einer der wichtigsten Internationalen Organisationen der Nachkriegszeit. Noch heute ist die Weltbank in hohem und zunehmend störendem Maße von einer einzigen Nation abhängig: den Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA sind der größte Geldgeber für die Weltbank, deren wichtigste Funktion darin besteht, „produktive" Entwicklungsprojekte in „kreditwürdigen“ Ländern zu finanzieren, und zwar vor allem in den Bereichen Verkehrswesen, elektrische Energie und ländliche Entwicklung. Der Weltbank gehören heute 129 Mitgliedstaaten an (davon fünf sozialistische Länder). Ihre Organisationsstruktur ist politisch asymmetrisch: die fünf reichsten Industriestaaten verfügen über knapp die Hälfte aller Stimmen in den Entscheidungsgremien der Bank (die vor allem über die Vergabe von Entwicklungskrediten bestimmen), während die Entwicklungsländer, einschließlich der devisenstarken OPEC-Länder, kaum Einfluß auf die Geschäftspolitik der Bank ausüben können. Seit 1960 vergibt die Weltbank auch sogenannte IDA-Kredite zu sehr günstigen Bedingungen an die ärmsten Entwicklungsländer, während die üblichen Weltbankdarlehen mit ca. 8 °/o Zinsen zurückgezahlt werden müssen (im Unterschied zu bilateralen Entwicklungskrediten). Da sich IDA-Fonds aus Steuermitteln aller westlichen Industrieländer speisen und alle drei bis vier Jahre wieder aufgefüllt werden müssen, steht die Weltbank periodisch vor dem Problem, die Zustimmung der Regierungen und Parlamente zu neuen Mittelbewilligungen zu erhalten. Dies hat sich vor allem in den USA als eine heikle Aufgabe herausgestellt, da im amerikanischen Kongreß die Kritik an der Weltbank (Unkontrollierbarkeit der Mittel, Bevorzugung sozialistischer Länder, Nutzlosigkeit der Hilfe etc.) stärker geworden ist. Unter ihrem Präsidenten McNamara hat sich die Weltbank zum selbsternannten Anwalt der Armen in der Dritten Welt gemacht. Es hat sich jedoch gezeigt, daß sie zwar ländliche Entwicklungsprogramme in Armutsländern zu realisieren vermag, daß sie aber für die Masse der ländlichen Armen, vor allem die Arbeits-und Landlosen, keine Krisenlösung anzubieten hat.
I. Die Weltbank als bedeutendste und umstrittenste Internationale Organisation
Unter ihrem Präsidenten Robert McNamara ist die noch während des Zweiten Weltkriegs gegründete „International Bank for Reconstruction and Development" (IBRD), für die sich der Name Weltbank eingebürgert hat zur bedeutendsten Institution für Entwicklungshilfe an die Dritte Welt geworden. Ihre Bedeutung als internationale Entwicklungsorganisation tritt dabei unter vier Aspekten zutage: Erstens ist sie die Institution, die bei weitem die umfangreichsten Kredite für Entwicklungsprojekte in Staaten der Dritten Welt zur Verfügung stellt. Allein im Geschäftsjahr 1977 bewilligte sie Darlehen und Kredite im Werte von 7 Milliarden US-Dollar. Zweitens ist sie eine Kreditinstitution, in der Repräsentanten von 129 Mitgliedsstaaten, Geber-und Nehmerländern, über die Vergabe von Entwicklungskrediten gemeinsam entscheiden. Drittens stellt die Weltbank mit ihren 200 Sachbearbeitern (Entwicklungsexperten) einen politischen Machtfaktor dar, den die Regierungen in Kreditnehmerländern respektieren müssen, wollen sie nicht Gefahr laufen, in der gesamten westlichen Welt ihre Kreditwürdigkeit zu verlieren. Und viertens schließlich hat sich die Weltbank unter McNamara, der seit 1968 die Weltbank präsidiert, selbst zum internationalen Anwalt für die Armen in der Dritten Welt ernannt. Seit seiner berühmt gewordenen Rede von Nairobi im September 1973, in der McNamara eine schockierte Weltöffentlichkeit auf die zunehmende Verelendung von 700 Millionen armer Menschen in Entwicklungsländern hinwies, führt die Weltbank in zunehmendem Maße umfassende Entwicklungsprogramme in ihren ärmeren Mitgliedsländern durch, mit denen die Massenarmut, vor allem der Land-bevölkerung, bekämpft werden soll.
Angesichts dieser Tatsachen mag es verwundern, daß die Weltbank, die auch für zahlreiche nationale Entwicklungshilfeorganisationen westlicher Industriestaaten Leitund Koordinationsfunktionen übernommen hat, gerade in jüngster Zeit immer stärker kritisiert wird. Dabei ist bemerkenswert, daß die Weltbank sowohl von „linken“ Wissenschaftlern und engagierten Dritte-Welt-Gruppen (z. B. kirchlichen Organisationen in der Schweiz) als auch von „rechten" Politikern, vor allem in den USA, und von konservativen Bankkreisen zugleich angegriffen wird. Während kritische Wissenschaftler (wie Teresa Hayter, Ernest Feder, Bruce Nissen und A. J. M. van de Laar) der Weltbank vorwerfen, sie übe „imperialistischen Druck“ auf die entwicklungspolitischen Entscheidungsprozesse in der Dritten Welt aus und mache die Armen noch ärmer (weil sie Strategien der „Grünen Revolution" verfolge und multinationalen Konzernen Tür und Tor öffne) 2), kritisieren konservative Abgeordnete des US-Kongresses die Weltbank mit dem Argument, daß sie immer mehr Geld verlange, ohne daß das amerikanische Parlament eine Kontrolle über die Verwendung der Entwicklungskredite hätte und sichtbare Erfolge einträten; die Entwicklungshilfe zahle sich für die USA nicht aus, schaffe ihr keine politischen Freunde in der Dritten Welt und fördere nur unerwünschte Konkurrenten für die eigene Volkswirtschaft. Auch die Person McNamaras selbst verstärkt das Mißtrauen gegen die Weltbank. So hat kürzlich der demokratische Abgeordnete aus Maryland, Clarence Long (ehemaliger Professor für Nationalökonomie), den Weltbankpräsidenten hart attackiert: Als Verteidigungsminister unter den Präsidenten Kennedy und Johnson hätte „McNamara schon einmal einem staunenden und respektvollen Kongreß die große Legende von der erfolgreichen Vietnamisierung verkauft" und nun „betätige er sich erneut als der Welt größter Täuschungskünstler und verkaufe Entwicklungserfolge, wo es nichts zu verkaufen gäbe". Und an anderer Stelle fügte Long hinzu: „Während meiner eigenen Reisen in über fünfzig Länder, in denen die Mehrheit der Armen dieser Welt lebt, habe ich bisher nie einen Beweis gesehen, daß die Multilateralen [Entwicklungsbanken] den ländlichen Armen geholfen haben oder dies auch nur versuchten. Milliarden Dollar wurden weggegeben, um Millionäre zu schaffen, die nicht einmal Steuern zahlen."
Die hier angedeuteten kritischen Einwände gegen die Weltbank sind gewiß nicht aus der Luft gegriffen, doch werden sie dieser komplexen internationalen Organisation mit ihren komplizierten Aufgaben auch nicht gerecht. Um die Fehlleistungen, Erfolge, Handlungsgrenzen und Chancen der Weltbank als größter einzelner Kapitalquelle für Entwicklungsländer beurteilen zu können, sollen nun folgende Fragen behandelt werden: — Aus welchen historisch-politischen Gründen und zu welchem Zweck entstand die Weltbank und wie funktioniert sie?
— Kann die Weltbank ihrer Abhängigkeit von der westlichen Führungsmacht, den USA, entrinnen?
— Wie stark ist die politische Einflußmacht der Weltbank in der Dritten Welt?
— Kann die Weltbank das Problem der Massenarmut in der Dritten Welt lösen?
II. Entstehung und Organisation der Weltbank im historischen Kontext westlicher Großmachtinteressen
Die „Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" ist im Juli 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods in den USA von 44 Nationen gegründet worden, und zwar auf Initiative der Roosevelt-Administration. Um den erwarteten Kreditbedarf der Nachkriegszeit für den Wiederaufbau des zerstörten Europas und für die Entwicklung Lateinamerikas sowie der unabhängig werdenden Kolonien Asiens und Afrikas decken zu können, sollte eine internationale Bank geschaffen werden, in der sowohl Geber-wie Nehmerländer vertreten sein sollten. Den USA ging es dabei vor allem sicherzustellen, daß die an hilfebedürftige Länder ausgeliehenen Kredite auch produktiv verwandt und pünktlich zurückgezahlt würden (um Pleiten und Zusammenbrüche wie in den dreißiger Jahren zu vermeiden). Daher wurde in den „Articles of Agreement" (den Gründungsstatuten der Weltbank) festgelegt, daß die verabredungsgemäße Verwendung aller Weltbankkredite sowie deren Zurückzahlung von den Regierungen der Empfängerländer garantiert werden müßten. Ferner wurde vereinbart, daß die Weltbank Entwicklungskredite nur für „produktive" Projekte (Staudämme, Straßen, Elektrizitätswerke etc., aber nicht für Schulen, Krankenhäuser oder Wohnungen) vergeben dürfte, und dies auch nur dann, wenn private Kreditgeber wie ausländische Konzerne und Banken solche Projekte zu akzeptablen Bedingungen selbst nicht durchführen könnten oder wollten. Die Weltbank sollte also ergänzend zu den ausländischen Privatinvestitionen in kreditbedürftigen Ländern vor allem im Transport-und Energiebereich tätig werden.
Dies war dann auch ein zentraler Grund, weshalb die Sowjetunion, die an der Bretton-Woods-Konferenz noch teilgenommen hatte, die Gründungsstatuten der Weltbank nicht ratifizierte. In den Augen der Sowjetunion war die Weltbank gleich nach ihrer Gründung zu einem Instrument der amerikanischen Großmachtinteressen und zu einer „bloßen Zweigstelle der Wall Street" degradiert worden Die Ost-West-Konfrontation brachte es dann mit sich, daß 1950 Polen, 1954 die CSSR und 1960 auch Kuba als Mitgliedsstaaten ausschieden. Inzwischen zählt die Welt-bank jedoch fünf sozialistische Länder zu ihren Mitgliedern: Jugoslawien, Rumänien (ein Warschauer-Pakt-Staat!), Vietnam, Kambodscha und Laos.
Der Vorwurf der Sowjetunion war nicht ganz unbegründet, denn auch gegen den heftigen Widerstand der Briten wurde das Hauptquartier der Weltbank in der Regierungshauptstadt Washington (und nicht in der UNO-Stadt New York) etabliert, der Präsident der Weltbank sollte verabredungsgemäß stets ein US-Amerikaner sein (tatsächlich waren alle sieben Präsidenten bisher Amerikaner), schließlich sicherten sich die Amerikaner auch im Aufsichtsrat der Bank (dem „Board of Directors"), das entscheidende Stimmgewicht. Damit war klar, daß diese internationale Organisation nur das tun konnte, was den nationalen Interessen der westlichen Führungsmacht zumindest nicht widersprach.
Obwohl heute die Weltbank nicht mehr als reines Machtinstrument zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen in der Dritten Welt bezeichnet werden kann, ist es ein Charakteristikum dieser internationalen Organisation (im Gegensatz etwa zu den UN-Institutionen oder den EG-Behörden) geblieben, daß bei Entscheidungen über die Vergabe oder die Verweigerung von Entwicklungskrediten an kreditsuchende Regierungen die Länder das größte Stimmengewicht haben, die die höchsten Anteile am Gründungskapital der Bank halten. Das wichtigste Entscheidungsgremium der Weltbank — neben dem Büro ihres Präsidenten — ist der „Board oi Directors“, in dem alle 129 Mitgliedsländer, wenn auch sehr asymmetrisch, vertreten sind: Es setzt sich aus fünf Exekutivdirektoren zusammen, die von den fünf reichsten Staaten ernannt werden, und aus 15 wechselnden Exekutivdirektoren, die aus dem Kreis der „restlichen" 122 Mitgliedsländer für eine Amtszeit gewählt werden. Die fünf ernannten Exekutivdirektoren verfügen heute noch über insgesamt 44, 74 Prozent aller Stimmen im Board of Directors: die USA über 22, 60 Prozent (anfangs hatten die USA sogar 37, 20 Prozent aller Stimmen), Großbritannien über 9, 13 Prozent, die Bundesrepublik Deutschland über 4, 83 Prozent, Frankreich über 4, 54 Prozent und Japan über 3, 64 Prozent.
Diese ungleiche Stimmen-und damit Machtverteilung im politisch wichtigsten Gremium der Weltbank ist einigen politisch erstarkten Entwicklungsländern, wie Indien und den arabischen Ländern, ein Dorn im Auge. Indien, eines der kreditbedürftigsten Länder der Welt und auch der Empfänger der meisten Welt-bankkredite, hat zusammen mit Bangladesch und Sri Lanka nur 5 Prozent der Stimmen im Exekutivrat. Aus der Sicht der reichen OPEC-Staaten erscheint die Machtverteilung in der Bank deshalb zu Recht als anachronistisch, weil die Weltbank zur Finanzierung ihrer Entwicklungskredite zunehmend Kapital von erdölexportierenden Staaten leiht (das Gründungs-oder Stammkapital der Bank in Höhe von 31 Milliarden US-Dollar dient vornehmlich nur noch als Sicherheitsreserve). So gab die Weltbank 1974 ihre größte einzelne Kreditaufnahme, die sie je getätigt hatte, bekannt: die Plazierung einer Schuldverschreibung in Saudi-Arabien im Werte von 750 Millionen US-Dollar. Und im Jahr 1975 hatten die OPEC-Staaten mit 1, 8 Milliarden US-Dollar einen Anteil von 52 Prozent an der jährlichen Kreditaufnahme der Bank erreicht. Damit sind die devisenreichen Entwicklungsländer als Kapitalquelle für die Weltbank weitaus wichtiger geworden als etwa Frankreich oder England.
Allerdings drf nicht übersehen werden, daß Staatsregierungen und Privatbanken, die an die Weltbank Geld ausleihen, dies nicht aus humanitären Gründen tun; denn Schuldverschreibungen der Weltbank gehören zu den sichersten Kapitalanlagemöglichkeiten in der Welt und werden gut verzinst. Da die Weltbank, obwohl selbst eine intergouvernementale (staatliche) Organisation, Kredite auf privaten Kapitalmärkten aufnehmen muß, kann sie ihre eigenen Entwicklungskredite an Dritte-Welt-Staaten nur zu kommerziellen Bedingungen vergeben. Entwicklungsländer müssen erhaltene Weltbankkredite heute mit ca. 8 Prozent Zinsen zurückzahlen (bei einer Tilgungszeit von 10 bis 15 Jahren) 5). Diese Kreditkonditionen sind die ungünstigsten Bedingungen, zu denen Entwicklungsländer heute überhaupt Geld für Entwicklungsprojekte erhalten können. So vergeben z. B. bilaterale Institutionen der Entwicklungshilfe wie das Bonner „Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit" oder die entsprechenden Ministerien in Schweden, Holland und der Volksrepublik China Gelder entweder als Schenkungen oder als rückzahlbare Darlehen zu Zinssätzen zwischen 0 Prozent und 3, Prozent. Jedoch schon Ende der 50er Jahre erkannte die Weltbank, daß viele devisenschwächere Entwicklungsländer aufgrund ihrer bedrohlich zunehmenden Auslandsverschuldung zukünftig für Weltbankkredite überhaupt nicht mehr in Frage kämen, wenn die Bank zusätzlich zu den üblichen Krediten nicht auch Kredite zu „weicheren" Bedingungen vergeben könnte. Daher wurde im Jahre 1960 als Tochter der Weltbank die „International Development Association" (IDA) gegründet, der heute 117 Mitgliedsländer angehören.
III. Die Gründung der IDA und das politische Dauerprobleni ihrer Finanzierung
Strenggenommen ist die IDA nichts weiter als ein Spezialfonds der Weltbank für günstige Entwicklungskredite an die ärmsten Entwicklungsländer. Dabei besagt „günstig", daß die IDA-Kredite der Weltbank grundsätzlich zinsfrei sind (nur eine Bearbeitungsgebühr von 0, 75 Prozent wird erhoben) und erst nach fünfzig Jahren zurückgezahlt sein müssen. IDA-Kredite können nur Länder beantragen, deren Bruttosozialprodukt pro Kopf weniger als 265 Dollar beträgt (im Jahr 1975). Ansonsten gibt es keine Unterschiede zwischen IDA-Krediten und den üblichen Weltbankdarlehen: Beide Formen der Kredithilfe werden für denselben Typ von Entwicklungsprojekten vergeben, unterliegen den gleichen strengen Prüfungskriterien der Weltbank (z. B. ob das kreditnehmende Land eine „gesunde" Wirtschaftsund Steuerpolitik betreibt oder ob das Land „kreditwürdig" und „verschuldungsfähig" ist) und werden von demselben Weltbankpersonal bearbeitet.
Obwohl Weltbankkredite nach IDA-Konditionen keine Geschenke sind (wie etwa die Kredite des Europäischen Entwicklungsfonds), so kommen sie doch aufgrund der günstigen Rückzahlungsbedingungen zu 86 Prozent Geschenken gleich-(gemessen an dem, was sonst Entwicklungsländer zahlen müßten, um Kredite in gleicher Höhe zu normalen, geschäftsmäßigen Bedingungen zu erhalten). Seit ihrer Gründung hat die IDA 11, 4 Milliarden US-Dollar an ärmere Entwicklungsländer ausgeliehen (bis Juni 1977); davon erhielt allein Indien 4, 1 Milliarden US-Dollar oder 41 Prozent der Gesamtmittel, gefolgt von Pakistan (7 Prozent), Bangladesh (6, 5 Prozent), Indonesien (5, 5 Prozent) und Ägypten (3 Prozent) — um nur die wichtigsten Empfänger von IDA-Krediten zu nennen.
Das Besondere der IDA (im Unterschied zur Weltbank im eigentlichen Sinne) besteht darin, daß sie Kapital nur in Form von Steuermitteln aus reicheren Industriestaaten und einigen OPEC-Staaten erhält. Sie ist also stets auf den guten Willen von Regierungen und Parlamenten angewiesen, die der IDA alle drei bis vier Jahre einige Milliarden Dollar zur Verfügung stellen müssen, damit sie überhaupt als Lieferant „billiger" Kredite in Entwicklungsländern tätig werden kann. Die Auftreibung von Finanzmitteln für die IDA ist heute zu der wohl zeitraubendsten und schwierigsten Aufgabe des Weltbankpräsidenten geworden. Dabei macht ausgerechnet der US-amerikanische Kongreß, der 1960 die IDA mit großem Engagement ins Leben gerufen hatte, der Weltbank heute die größten Schwierigkeiten.
Mehrere Gründe hatten einst den US-Kongreß bewogen, die entwicklungspolitischen Tätigkeiten der Weltbank durch Gründung des IDA-Fonds zu erweitern. Erstens waren die USA zu der Überzeugung gelangt, daß die finanziellen Lasten der Entwicklungshilfe auf mehrere, inzwischen wirtschaftlich erstarkte Industriestaaten verteilt werden sollten. Diese Politik des „bürden sharing" bekam vor allem die Bundesrepublik Deutschland zu spüren, deren Bundeswirtschaftsminister Erhardt von den Amerikanern erst massiv unter Druck gesetzt werden mußte (zwischen 1958 und 1960), bis dieser zur Mitfinanzierung des ersten IDA-Fonds bereit war. Zweitens war die IDA auch als ein politisches Mittel im Kalten Krieg konzipiert worden; denn nach Stalins Tod hatte die Sowjetunion begonnen, mit relativ billigen Entwicklungskrediten um politische Sympathien in der Dritten Welt zu werben. Drittens sollte die Gründung der IDA unter dem Management der USA-kontrollier-ten Weltbank die alte Forderung der Entwicklungsländer nach einer internationalen Institution für Entwicklungskredite zu „weichen" Bedingungen erfüllen, die diese seit 1947 erhoben hatten. Allerdings stellten sich die Entwicklungsländer eine solche Organisation unter Kontrolle der UNO vor, was nun durch die Gründung der Weltbanktochter erfolgreich vereitelt wurde. Viertens schließlich hatten sich Indien und Pakistan bereits um 1960 schon dermaßen verschuldet, daß sie ihre ehrgeizigen Entwicklungspläne nur durchführen konnten, wenn sie Auslandskredite zu „weichen" Bedingungen erhalten konnten
Der Gründungsfonds von 1 Mrd. Dollar war schnell aufgebraucht, und 1963 mußte die erste Aufstockung des IDA-Fonds um 750 Mio. US-Dollar beschlossen werden. Aber schon bei der 2. Aufstockung um 1, 2 Mrd. US-Dollar verweigerte der US-Kongreß zunächst seine Zustimmung. Dies war deshalb für die Existenz der IDA so bedrohlich, weil ohne den amerikanischen Anteil zu den jeweiligen IDA-Fonds (mehr als ein Drittel) die IDA satzungsgemäß überhaupt keine Kredite mehr vergeben durfte, selbst wenn alle anderen Parlamente ihre Zustimmung schon gegeben hatten. Vor allem interne politische und wirtschaftliche Gründe waren in den USA für die Opposition gegen weitere IDA-Mittel ausschlaggebend. Zahlreiche Kongreßabgeordnete wiesen auf die dramatische Verschlechterung der amerikanischen Zahlungsbilanz (infolge des Vietnam-Kriegs) hin; andere mißtrauten der Nixon-Administration und deren Entwicklungspolitik generell, und einige Abgeordnete wiesen auf den ärgerlichen Umstand hin, daß die USA von den international ausgeschriebenen 'Weltbankprojekten, die mit IDA-Mitteln finanziert wurden, prozentual weniger profitierten, als sie in die IDA-Fonds einzahlten.
Tatsächlich hat die amerikanische Privatwirtschaft aus IDA-Mitteln relativ weniger Aufträge erhalten als z. B. die Bundesrepublik Deutschland oder Japan (die konkurrenzfähiger und billiger anbieten konnten): Zwischen 1960 und 1972 erhielten die USA insgesamt ein Fünftel der Aufträge, obwohl sie ca. 35 Prozent aller Mittel aufgebracht hatten, während die Bundesrepublik Deutschland den Zuschlag bei 18 Prozent aller international ausgeschriebenen IDA-Projekte bekam, bei einem Finanzierungsanteil an den drei ersten IDA-Aufstockungen von nur 9, Prozent 7). Aus diesem Grunde ist es nicht verwunderlich, daß der ehemalige Entwicklungsminister Egon Bahr gerne auf die Weltbank hinwies, we 7 Prozent 7). Aus diesem Grunde ist es nicht verwunderlich, daß der ehemalige Entwicklungsminister Egon Bahr gerne auf die Weltbank hinwies, wenn er seinem deutschen Publikum klarmachen wollte, wie nützlich und profitabel Entwicklungshilfe für die deutschen Exportinteressen sei 8). Es würde hier zu weit führen, die dramatischen Auseinandersetzungen zwischen US-Regierung und US-Kongreß nachzuzeichnen, die es auch um die 3., 4. und 5. Wieder-auffüllung der IDA-Fonds gegegen hat 9). Es genügt hier festzuhalten, daß es bisher die jeweilige Regierung letztlich noch immer geschafft hat, den Kongreß mehrheitlich — wenn auch oft erst nach jahrelangen Bemühungen, einschließlich weltbankfreundlicher Pressekampagnen — von der Nützlichkeit der Unterstützung der Weltbank und ihrer Tochter, der IDA, zu überzeugen. Dabei spielte eine nicht unerhebliche Rolle, daß die bilaterale Entwicklungspolitik der USA zuhause noch unpopulärer war als die multilaterale der Weltbank. Der Weltbank hielt man immerhin zugute, daß sie Entwicklungsexperten aus der ganzen Welt beschäftigte und daß ihr politisches Einflußpotential auf ihre Schuldnerländer (z. B. was deren Rückzahlungsmoral und deren Wirtschaftspolitik angeht) weit stärker sei, als dies bei einer nationalen Institution für Entwicklungspolitik der Fall sein könnte.
IV. Die Weltbank im Spannungsfeld zwischen Multinationalität und politischer Abhängigkeit von den USA: Ein Legitimationsproblem
In jüngster Zeit haben sich jedoch die Angriffe amerikanischer Abgeordneter auf die Weltbank so verschärft, daß diese in eine ernste Krise zu geraten droht. Abgesehen von der Empörung, die durch die Tatsache ausgelöst wurde, daß die internationalen Weltbankmitarbeiter weit höhere Gehälter beziehen als die Beamten der US-Ministerien, hat nun der amerikanische Kongreß eine politische Kon-trolle über die Aktivitäten der Weltbank gefordert. Dies würde freilich dem Charakter der Weltbank als einer satzungsgemäß „unpolitischen" internationalen Organisation eklatant widersprechen. Den Kongreßabgeordneten ist es ein Dorn im Auge, daß sie angeblich 69 Prozent der gesamten Entwicklungshilfe der USA nicht kontrollieren können, daß die Weltbank nun sogar Entwicklungskredite an das kommunistische Vietnam (zum Ausbau des Kohlebergbaus im Norden, zur Entwicklung von Reisbewässerungssystemen im Mekong-Delta etc.) zu geben vorhat, und daß sie auch Staaten unterstützt, die die Menschenrechte verletzen oder die Gegner Israels sind Der politisch schlimmste Schlag wurde der Weltbank im Juni 1977 versetzt, als das amerikanische Abgeordnetenhaus bei der Beratung über das Auslandshilfegesetz für 1978 beschloß (bei 209 Ja-und 179 Nein-Stimmen), daß es den amerikanischen Vertretern in internationalen Finanzierungsinstitutionen (wie der Weltbank) zukünftig untersagt sei, für Entwicklungskredite zu stimmen, die zur „Erweiterung der Produktion von Zucker, Palmöl oder Zitrusfrüchten bestimmt seien, wenn die USA die gleichen, ähnliche oder konkurrierende Landwirtschaftserzeugnisse herstellen"
Damit hatten sich die protektionistischen Agrarinteressen im US-Kongreß durchgesetzt, deren Lobby die Exportkonkurrenz der Entwicklungsländer fürchtet, was im übrigen auch für die amerikanische Stahlindustrie gilt. Der gegen die zunehmende Exportkonkurrenz einiger Entwicklungsländer gerichtete Handelsprotektionismus — hervorgerufen durch die Wirtschaftsrezession in den Industriestaaten — ist nicht nur ein aktuelles Phänomen in den USA, sondern hat sich auch störend auf den Handel zwischen der Europäischen Gemeinschaft und afrikanischen Ländern ausgewirkt
Weltbankpräsident McNamara ist fest entschlossen, wozu ihn auch sein Amt verpflichtet, den Forderungen nach stärkerer politischer Kontrolle seiner Institution durch den US-Kongreß nicht nachzukommen. Hier offenbart sich ein schwerwiegendes Legitimationsproblem (das es in der Bundesrepublik aufgrund einer anderen Verfassungskonstruktion zwischen Exekutive und Legislative nicht gibt). Wie soll sich die Weltbank verhalten, um den US-Kongreß, von dem sie bei der Bewilligung von IDA-Mitteln ja stark abhängt, von der Wichtigkeit und Nützlichkeit ihrer entwicklungspolitischen Arbeit zu überzeugen, ohne dabei ihre quasi-staatliche Funktion als Garant und Förderer der Gesamtinteressen der westlichen Industriestaaten aufs Spiel zu setzen? Einerseits haben gewählte Abgeordnete das Recht und sogar die Pflicht, über die Verwendung von Steuermitteln mitzubestimmen, andererseits ist es für eine internationale Organisation schwer erträglich, von den konjunktur-bedingten Partialinteressen einzelner Mitgliedsländer abhängig zu sein.
Für die Weltbank böte sich theoretisch die Lösung an, den Anteil der USA bei der periodischen Wiederauffüllung der IDA-Fonds drastisch zu reduzieren (und im Notfall ganz darauf zu verzichten); aber dennoch könnte die Weltbank auch auf diese Weise nicht dem politischen Strukturproblem entrinnen, das ihre Existenz stets begleitet, nämlich nur das realisieren zu können, wofür sie den politischen Konsens der Mehrheit ihrer Mitglieds-staaten (vor allem bei den finanzstarken Industriestaaten) mobilisieren kann. Und da die Weltbank seit 1973 ein in mehrfacher Hinsicht riskantes Unternehmen begonnen hat, nämlich Millionen vor armen Kleinbauernfamilien in Asien, Afrika und in geringem Maße auch in Lateinamerika mit Entwicklungskrediten zu versorgen, wird ihre eigene Glaubwürdigkeit und damit Existenz davon abhängen, welche Erfolge sie bei der Bekämpfung der Massenarmut in der Dritten Welt aufzuweisen hat. Es braucht kaum besonders betont zu werden, daß es sich dabei um eine Jahrhundertaufgabe handelt, und daß sich immer stärker Politiker, Wissenschaftler und Institutionen mit diesen Problemen beschäftigen müssen, die aus den Strukturdefekten des internationalen Staatensystems, der „Weltgesellschaft", erwachsen.
V. Die politische Macht der Weltbank und McNamaras neue Strategie „Wirtschaftswachstum plus mehr Einkommensgerechtigkeit"
Bis zu Beginn der 70er Jahre galt die Weltbank als eine konservative Organisation, die sich stets eher wie eine Bank zur Förderung privater Direktinvestitionen gebärdet hatte als wie eine weltweite Institution für Entwicklungshilfe. Wirtschaftliches Wachstum mit starker Orientierung auf den Export von Weltmarktprodukten galt als oberstes, wenn nicht einziges Ziel von „Entwicklung". Wie heute selbstkritisch eingestanden wird, hat sich die Weltbank selten über die sozialen Auswirkungen ihrer Entwicklungsprojekte Gedanken gemacht. So führten Edward Mason und Robert Asher, die im Auftrag der Weltbank die bisher einzige Biographie über die Bank geschrieben haben, für das schlechte Image der Weltbank folgende Gründe an: „Wenn man die Geschichte der Bank betrachtet und die vorherrschende, auf wirtschaftliches Wachstum fixierte, Ideologie der Direktoren aus den Ländern, die die Stimmenmehrheit haben, berücksichtigt (und in gleicher Weise die Ideologie des Managements für den großen Teil der ersten 25 Jahre), muß man in aller Fairneß der Kritik des linken Flügels ein gewisses Maß an Berechtigung zuerkennen. Die Art und Weise, in der diese Ideologie geformt wurde, stimmt in einem bedeutenden Ausmaß mit den Interessen und der konventionellen Weisheit ihrer wichtigen Aktienbesitzer überein. Internationale Ausschreibungen, die zögernde Haltung, lokalen Lieferanten bei der Vergabe von Durchführungsaufträgen Präferenzen einzuräumen, die Betonung der Finanzierung von Devisenkosten für Importe auf Kosten der Nutzung lokaler Ressourcen, das Insistieren auf einer vorrangigen Inanspruchnahme von ausländischen Beratern, ablehnende Einstellungen gegenüber Industrien des öfientlichen Sektors, Durchsetzung des Rechts, Projektmanager zu bestellen — all dies zeigt die Bank als eine westliche kapitalistische Institution"
Die hier von den beiden amerikanischen Professoren kritisierte Einstellung der Weltbank kam vor allem in ihrer Politik zum Ausdruck, solchen Entwicklungsländern keine Kredite zu gewähren, die vom Tugendpfad privatwirtschaftlicher Entwicklung abwichen und über den Aufbau staatlicher Betriebe einen Aus-weg aus der Unterentwicklung suchten. Als eines der ersten Länder bekam Ägypten unter Präsident Nasser diese Politik der Kreditverweigerung zu spüren, was dazu führte, daß Nasser den Assuan-Staudamm schließlich von der Sowjetunion bauen ließ. Ähnliches wiederholte sich Ende der 60er Jahre bei dem von Tansania und Sambia gewünschten Bau einer Eisenbahn zwischen Daressalaam und dem sambischen Kupfergürtel: Auf Druck Großbritanniens (das eine Verschärfung des Rhodesienkonflikts befürchtete, wenn Sambia, das frühere Nord-Rhodesien, vom weißen südlichen Afrika wirtschaftlich unabhängig würde) verwarf die Weltbank das ostafrikanische Eisenbahnprojekt als „unrentabel“, woraufhin die Volksrepublik China ihre Hilfe anbot und die Bahnstrecke in kürzester Zeit baute. Nicht weniger als 30 Entwicklungsländer hat die Weltbank zeitweise für nicht „kreditwürdig" erklärt, was jeweils auch für andere Kreditinstitutionen eine Signalwirkung hatte. Der spektakulärste Fall der jüngsten Zeit war die auf Druck der USA gegebene Verweigerung von Entwicklungskrediten an die chilenische Regierung unter ihrem Präsidenten Allende; unter seinem jetzigen Präsidenten Pinochet ist das Land wieder kreditwürdig geworden.
Heute hat sich das Bild insofern verändert, . als die Weltbank gerade auch Länder besonders fördert, die einen starken staatlichen Wirtschaftssektor aufgebaut haben (wie Algerien und Mexiko) oder die sozialpolitisch besonders fortschrittlich und reformfreudig sind (wie Tansania und Somalia). Diese neue Akzentsetzung in der Förderungspolitik der Weltbank, verbunden mit einer stärkeren Berücksichtigung ärmerer Entwicklungsländer (vor allem in Afrika) und neuer Wirtschaftssektoren wie Landwirtschaft, Bildung und Stadtsanierung, hat nun wiederum konservative Bankkreise zur Kritik herausgefordert. So meinte im Oktober 1976 eine US-amerikanische Unternehmerzeitschrift, McNamara könne nicht länger die Weltbank anvertraut bleiben, „da er sich gewandelt hat und nun in großem Stil die radikalsten sozialistischen Experimente in Afrika finanziert" Wenn auch diese Kritik — wie noch zu zeigen ist — am Kern der neuen Weltbankstrategie vorbeizielt, so ist doch verständlich, daß sie bei Linken wie bei Rechten Mißtrauen provoziert hat. Dies liegt tatsächlich zu einem Teil in der Person McNamaras begründet, der sich zumindest in einer Hinsicht vom Saulus zum Paulus gewandelt hat: Die Sicherheit des Westens — McNamaras oberstes Leitprinzip seit eh und je — ist nicht mehr in erster Linie durch Einsatz militärischer Mittel in der Dritten Welt zu garantieren, sondern durch den Einsatz von Kapital zur Förderung wirtschaftlichen Wachstums und sozialer Entwicklung. Der Weltbankpräsident vertritt die Ansicht, daß die Ursachen für Revolutionen und Bauernrevolten in dem sozialen Elend der Massen liegen. Daher sei es ein Gebot der politischen Vernunft, daß die Reichen in den Entwicklungsländern etwas gegen die Armut tun (etwa durch eine gerechtere Verteilung von Grund und Boden und durch Beteiligung vor allem der Klein-und Mittelbauern am Wachstumsprozeß)
Es ist nicht einsichtig, an der Ernsthaftigkeit dieser Bestrebungen des Weltbankmanagements zu zweifeln; denn auch objektive Gründe sprechen für eine solche Strategie des „Investierens in die Armen" („Investment in the poor") Aus der Sicht der Weltbank und der großen Exportunternehmen der westlichen Welt stellen nämlich die extrem ungleichen Besitz-und Einkommensverhältnisse in vielen Ländern der Dritten Welt eine ärgerliche Schranke für die Ausdehnung des internationalen Handels dar. Aufgrund der oftmals noch vor-kapitalistischen Produktionsverhältnisse oder infolge von Entwicklungsstrategien, wie die der „Grünen Revolution", die die reichen Farmer auf Kosten der kleinen Pächter einseitig begünstigte, werden Millionen von Kleinbauernfamilien von einer vollen Integration in die Marktproduktion ausgeschlossen. Aus der Sicht der Weltbank stellen solche Zustände, ganz abgesehen von dem dadurch bewirkten Massenelend und der Bevölke-rungsexplosion, eine unnötige Vergeudung von Ressourcen und Talenten dar; denn auch Kleinbauern verfügen ja über potentiell nützliche Produktionsmittel wie Land und Arbeitskräfte, und wenn es gelänge, mittels Krediten und technischer Beratung diese Zielgruppen zu einer gesteigerten Marktproduktion zu veranlassen, wäre allen beteiligten Gruppen gedient. Die Kleinbauern würden höhere Einkommen erzielen und mehr an Düngemitteln und sonstigen Fertigprodukten kaufen; die Regierungen würden über höhere Steuereinnahmen und Zollgebühren ihr Staatsbudget aufbessern, und die ausländischen Unternehmen könnten neue Absatzmärkte für Düngemittel, Saatgut, Pestizide und langfristig auch für Landwirtschaftsmaschinen erschließen.
Bei genauerem Hinsehen ist daher die „neue“ Weltbankstrategie gar keine Abkehr von der alten, sondern eher eine Erweiterung und Ergänzung der bisher verfolgten Ziele. So wird es auch verständlich, warum die Weltbank in jüngster Zeit arme Agrarländer besonders bevorzugt. Zwischen 1969 und 1976 machte die Weltbank Kreditzusagen zu IDA-Bedingungen in Höhe von 7, 9 Mrd. Dollar an 69 Länder; davon entfielen auf Indien 3 088 Mio. Dollar, auf Pakistan und Bangladesch zusammen 990 Mio. Dollar, auf Indonesien 511 Mio. Dollar, auf Äthiopien 287 Mio. Dollar, auf Ägypten 281 Mio. Dollar und auf Tansania (das wie Bangladesch und Äthiopien zu den 26 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehört) 213 Mio. Dollar.
Die Verteilung der ebenso knappen wie begehrten IDA-Kredite auf Länder und Projekte, die vom Board of Directors vorgenommen wird, erfolgt nicht nach einem festgelegten Verteilungsschlüssel, sondern ist Gegenstand oftmals konkurrierender Eigeninteressen verschiedener Geberstaaten. So haben z. B. die USA ein stärkeres Interesse an der Unterstützung asiatischer Länder, während Frankreich die Verteilung der IDA-Mittel zugunsten afrikanischer Länder zu beeinflussen sucht. Allerdings spielen auch andere Gesichtspunkte eine Rolle, z. B. die Frage, welche Länder für die neuen Entwicklungsprogramme der Bank am geeignetsten erscheinen, die wirtschaftliches Wachstum plus Einkommenssteigerungen bei den Armutsgruppen zu erreichen suchen.
VI. Wem nützt die Entwicklungshilfe der Weltbank? Die Weltbank als Anwalt der Armutsgruppen
Die Frage nach den Nutznießern der von der Weltbank finanzierten Entwicklungsprojekte ist für den Zeitraum bis zu McNamaras Nairobi-Rede relativ leicht zu beantworten. Von 26 Mrd. Dollar Kredithilfe an Entwicklungsländer bis 1973 (normale Weltbankkredite plus IDA-Kredite) sind 29 Prozent in den Transportsektor (Straßen, Eisenbahnen, Häfen) und 24 Prozent in den Energiesektor geflossen. Dabei handelte es sich um sogen. In-, frastruktur-Investitionen, die als Voraussetzung für den Aufbau von in-und ausländischen Privatindustrien notwendig waren. Ein Beispiel für diesen Projekttyp ist der Volta-Staudamm in Ghana (Kosten: 1, 2 Mrd. Dollar), mit dessen dort erzeugter Energie der US-amerikanische Konzern Kayser Bauxit zu Aluminium verschmilzt, das danach in die USA exportiert wird. Für den Landwirtschaftssektor machte die Weltbank Kreditzusagen in Höhe von 3, 68 Mrd. Dollar (= 14 Prozent der Gesamtmittel). Diese Gelder dienten hauptsächlich zur Finanzierung von Importen (Düngemittel, Landwirtschaftsmaschinen, Fahrzeuge und Einrichtungen zur künstlichen Bewässerung), mit denen die Produktion auf den großen Viehzucht-Haziendas in Lateinamerika und auf den Reis-und Weizenplantagen Mexikos und Asiens gefördert wurde. Gleichzeitig war und ist es ein Anliegen der Weltbank, die Erzeugung sogen. Cash-crop-Produkte wie Baumwolle, Tee, Palmöl und Tabak zu intensivieren, die für den Weltmarkt bestimmt sind und Devisen einbringen sollen.
Wie man heute weithin erkannt hat, bringt diese Form der landwirtschaftlichen Entwicklung in der Dritten Welt zwei schwerwiegende Nachteile mit sich: zum einen verstärkt die Intensivierung der Cash-crop-Produktion die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von der Nachfrage und den Preisschwankungen auf dem Weltmarkt und verdrängt den Anbau von einheimischen „food-crops" (Nahrungsmitteln), zum anderen begünstigen kapitalintensive Landwirtschaftsprojekte Latifundien-besitzer und Großbauern, weil sie als einzige für kreditwürdig und verschuldungsfähig angesehen werden (alle Kleinkredite, die von Regierungsstellen an Landwirte weiterverliehen werden, müssen mit ca. 12 Prozent zurückgezahlt werden)
An diesem kritischen Punkt setzt nun McNamaras Strategie der prioritären (nicht ausschließlichen) Förderung von Annutsgruppen an. Vor den Gouverneuren der Weltbank (den Finanzministern der Mitgliedsstaaten) proklamierte McNamara im September 1973 in Nairobi, die Weltbank wolle zukünftig das Los der 700 Millionen Menschen verbessern, die in absoluter und relativer Armut lebten; denn bisher sei das wirtschaftliche Wachstum in Entwicklungsländern spurlos an den „unteren 40 Prozent der Bevölkerungen" vorbeigegangen
Was wurde nun tätsächlich bisher erreicht? Die folgende Tabelle über die Entwicklung der Kreditvergabe der Weltbank für die wichtigsten Wirtschaftssektoren vor und nach Nairobi macht die Schwerpunktverschiebung zugunsten von Landwirtschaft und sozialen Förderungsbereichen sichtbar: (Siehe Tabelle auf Seite.
Entwicklungsprojekte der Weltbank im ländlichen Bereich sind heutzutage sehr komplexe Förderungsprogramme, die außer Krediten an Landwirte zur Steigerung der Marktproduktion auch Finanzmittel zum Bau von Brunnen, Dorfschulen, Landstraßen und sanitären Einrichtungen enthalten können. Eines der schwierigsten Probleme ist dabei, die geeigneten Zielgruppen für produktive Landwirtschaftsprojekte zu finden. Während der Auswahlprozeß bei Bewässerungsprojekten und Cash-crop-Projekten noch relativ einfach ist — es kommen nur Landbebauer mit fruchtbaren Böden und hinreichendem Einkommen in Frage —, ist die praktische Durchführung von „flächendeckenden" Förderungsprogrammen, z. B. zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in einer ganzen Region, sehr viel komplizierter. Da die Weltbank satzungsgemäß dafür Sorge tragen muß, daß die Nutznießer ihrer Kredite ihre Schulden auch zurückzahlen können, können niemals alle Kleinbauern einer Region in ein Projekt inte-griert werden. Die förderungswürdige Zielgruppe einer ländlichen Region umfaßt daher stets nur einen Teil (bis zu maximal 40 Prozent nach unseren Berechnungen) der dortigen Bevölkerung, nämlich Klein-und Mittel-bauern, die wenigstens über 2 bis 4 ha Land und einiges Vieh verfügen und . einen guten Ruf genießen, Kleinstbauern, „share-crop-pers" (Menschen, die ihre Existenz durch einen Anteil an der von ihnen eingebrachten Ernte fristen), Landpächter ohne sichere Pacht-urkunden sowie das Heer der Wanderarbeiter und Landlosen können in der Regel nicht die Sicherheiten aufbringen, um Produktionskredite von der Weltbank (bzw.den lokalen Institutionen zur Durchführung ihrer Entwicklungsprojekte) zu bekommen. Nach allen bisher gewonnenen Erfahrungen werden diese Gruppen ohne Land und hinreichendes Einkommen noch weiter „marginalisiert" (an den Rand gedrängt). Da auch die Kleinbauernprogramme nach dem Muster der Weltbankprojekte nur sehr wenig neue Arbeitsplätze schaffen, die ländliche Bevölkerung sich aber durchschnittlich alle 30 Jahre verdoppelt, scheint die Situation der Allerärmsten aussichtslos
Die Weltbank hat in ihrem letzten Jahresbericht die Zahl der Bauernfamilien, die in den Jahren nach der Nairobi-Rede McNamaras als potentielle Nutznießer ihrer Projekte erfaßt worden sind, auf 10 Millionen (gleich 60 Millionen Menschen) geschätzt. Bei etwa der Hälfte soll es sich um die ärmeren ländlichen Gruppen gehandelt haben. Sollten sich diese Erwartungen erfüllen — worüber sich selbst Weltbankexperten keineswegs sicher sind —, dann wäre der Beweis erbracht, daß die Strategie des „Investment in the poor" für die bessergestellten ländlichen Gruppen unter denen mit niedrigem Einkommen durchaus hier und da realisierbar ist. Allerdings sollte man sich über die Zahl derer, die mittels Projekten mit relativ hohen Pro-Kopf-Investitionen (von 100 bis 3 000 Dollar) gefördert werden können, keine Illusionen machen, denn die Weltbank unterscheidet selbst zwischen „direkten" und „indirekten" Nutznießern, wobei nur bei den direkten Nutznießern (die Produktionskredite erhalten) hohe Realeinkommenssteigerungen (bis zu 100 Prozent nach 6-bis 8jähriger Projektdauer) erwartet werden. Die indirekten Nutznießer sind dagegen Bewohner ausgewählter Dörfer, die z. B. vom Bau eines Brunnens, einer Landstraße oder einer Seuchenbekämpfungsanlage profitieren können, ohne daß sich dadurch ihr Lebensstandard merklich erhöhen muß. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch auf den Abbau von Armut zielende Entwicklungsprojekte der Weltbank dem Kriterium der volkswirtschaftlichen Rentabilität genügen müssen, d. h. eine Schule oder ein dörfliches Bewässerungssystem wird nur dann vorfinanziert, wenn sichergestellt ist, daß die Zielgruppe zu unentgeltlichen Arbeitsleistungen bereit ist, eine eigene finanzielle Beteiligung übernimmt sowie für die Betriebs-und Instandhaltungskosten aufkommt. Obwohl es einsichtige Gründe gibt, so zu verfahren — um eine per-B manente Subventionierung der Dörfer durch die Staatskasse zu vermeiden —, dürfte doch auch dieser Mechanismus die Zahl der Nutznießer weiter verkleinern.
Die bisher gewonnenen Erfahrungen mit diesen sehr riskanten ländlichen Entwicklungspro-grammen haben gelehrt, daß bei ihrer Realisierung ein schwer lösbares Problem auftritt, das oft die Erfolgschancen erheblich reduziert: die mangelnde oder nur zögernde Partizipation der Zielgruppen. Da ländliche Gemeinden von der Projektplanung in der Regel ausgeschlossen sind und die ausländischen oder städtischen Projektexperten mit den lokalen Bedingungen meist nicht vertraut sind, hegen Kleinbauern vielerorts berechtigtes Mißtrauen gegen Modernisierungsvorhaben, die „von oben" kommen; denn im Falle des Mißlingens — z. B. infolge auftretender ökologischer Schäden — tragen die Bauern das Risiko (Vernichtung der Ernte). Schließlich sieht sich die Weltbank mit dem Problem der weiter zunehmenden ungleichen Einkommens-verteilung konfrontiert: Selbst wenn es gelingt, ein Projekt nach Plan durchzuführen, ist nicht sichergestellt, daß die erzielten Einkommenszuwächse auch tatsächlich bei den Bauern verbleiben. Es gibt nämlich in Entwicklungsländern eine Reihe politisch bedingter Mechanismen — direkte und indirekte Besteuerung der Agrarproduzenten, niedrige Ankaufspreise, hohe Schuldzinsen etc. —, die oft auf unsichtbare Weise Einkommen vom Land in die Stadt transferieren (während in den Industrieländern die Stadt das Land subventioniert). Bei den politischen Strukturen in Entwicklungsländern mit extrem ungleichen Einkommensverhältnissen findet die Interventionsfähigkeit der sonst einflußreichen Weltbank ihre Grenze.
VII. Ausblick: Mehr politische Intervention zugunsten der Armutsgruppen?
Es sollte deutlich geworden sein, daß sich die entwicklungspolitische Aufgabe der Weltbank unter ihrem Präsidenten McNamara modifiziert hat: Nicht mehr kapital-und technologieintensive Infrastrukturprojekte (vor allem in Lateinamerika und Asien) haben höchste Förderungspriorität, sondern zunehmend ländliche Entwicklungsprogramme mit wirtschaftlichen und sozialen Anreizen (besonders in Schwarzafrika). Dennoch ist die eingangs zitierte Kritik des amerikanischen Kongreß-Abgeordneten C. Long nicht einfach von der Hand zu weisen: Eine Reihe von Faktoren (Vergabekriterien der Weltbank; ungleiche Landverteilung; politische Machtverhältnisse) wirkt der vom Weltbankmanagement intendierten Realisierung der Förderung kleinbäuerlicher Armutsgruppen entgegen. Es muß allerdings als wahrscheinlich angesehen werden, daß auch weiterhin größere Gruppen von bisher relativ armen Kleinbauern (sofern sie Land-und Produktionsressourcen haben) in die bestehenden Marktmechanismen integriert werden, mehr Exportprodukte und Nahrungsmittel herstellen und über zunehmende Kaufkraft verfügen werden. Für die Landlosen, Minifundisten und Arbeitslosen jedoch hat die Weltbank keine Lösung.
Bei aller notwendigen und berechtigten Kritik an der Weltbank muß immer auch die Frage nach der historisch möglichen Alternative gestellt werden. Tatsächlich blicken heute Fachleute der Weltbank mit Bewunderung auf die Ergebnisse des chinesischen Entwicklungswegs: die erreichte Befriedigung der Grundbedürinisse der gesamten Bevölkerung, die Kontrolle des Geburtenwachstums, die Entwicklung einfacher Technologien etc. Es stellt ein bemerkenswertes Novum dar, daß die kapitalistische Weltbank und das sozialistische China nun auch gemeinsam an Entwicklungsprojekten in Drittländern (z. B. in Tunesien) arbeiten. Natürlich hat die Weltbank kein Interesse an der Entstehung von Revolutionen, ganz im Gegenteil, sie hofft, diese überflüssig zu machen; aber doch wissen ihre aufgeklärteren Vertreter, daß viele fortschrittlich konzipierten Entwicklungsprojekte an den überkommenen Landbesitzverhältnissen scheitern. Dort, wo Landreformen erzwungen werden konnten (zum Teil auf Druck der USA) — wie in Japan, Taiwan und Südkorea —, gab es auch höhere Produktionsraten in der Landwirtschaft und eine weniger ungleiche Einkommensentwicklung. Die Führungsmannschaft der Weltbank hat gelegentlich versucht, Staatspräsidenten (z. B. Marcos auf den Philippinen und Kaiser Haille Selassi von Äthiopien) von der Notwendigkeit von Landreformen zu überzeugen und zu überreden — mit wenig Erfolg
Da aber die Weltbank satzungsgemäß dazu verpflichtet ist, Privatinvestitionen ihrer Gläubigerländer als sichere Brücke in die Dritte Welt zu dienen, unternimmt sie ungeheure Anstrengungen, um Armutsgebiete und noch nicht erschlossene Landreserven in produktive Wachstumspole zu verwandeln. Aber auch damit ist die politische Kernfrage — die Land-, Besitz-und Machtkonzentration in den Händen privilegierter Staatseliten — nicht gelöst. Angesichts dieses Dilemmas hat kürzlich der Weltbankdirektor für politische Pla-nung, Mahbub ul Haq (ein Pakistaner), ein interessantes Bekenntnis abgelegt; es enthält die verzweifelte Forderung nach bewußter Intervention gegen die etablierten Interessen zugunsten „eines direkten Angriffs auf die Massenarmut": „Dies mag von manchen Geberländern als imperialistische Intervention mit einem Achselzucken abgetan werden, die deshalb ohnehin schon des öfteren kritisiert werden und zögern, noch weitere Schwierigkeiten auf sich zu laden. Aber es wird selten erkannt, daß der Akt der Auslandshilfe per se ein Akt von Intervention in die wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten eines Landes darstellt, und wenn man schon intervenieren muß, dann sollte man wenigstens auf der richtigen Seite intervenieren." Leider besteht derzeit wenig Aussicht, daß dabei sehr viele Regierungen mitspielen.
Rainer Tetzlaff, Dr. phil., geb. 1940, Professor am Seminar für Sozial-wissenschaften der Universität Hamburg; Studium der Politischen Wissenschaft, der Geschichte und Germanistik in Bonn und Berlin (West); Lehrund Forschungstätigkeit am Otto-Suhr-Institut in Berlin, am Institute for Social Sciences in Lusaka/Sambia und an der Universität Hamburg; zwischen 1970 und 1978 drei Forschungsaufenthalte bei der Weltbank in Washington. Veröffentlichungen u. a.: Koloniale Entwicklung und Ausbeutung. Wirtschafts-und Sozialgeschichte Deutsch-Ostafrikas 1885— 1914, Berlin (West) 1970; Die Ursachen von Unterentwicklung in der Dritten Welt und das Problem ihrer Über-windung. Eine Einführung, in: Friedensanalysen. Für Theorie und Praxis 1, Frankfurt a. M. 1975, S. 150— 181; zusammen mit Helmut Bley (Hrsg.), Afrika und Bonn. Versäumnisse und Zwänge deutscher Afrika-Politik, Reinbek bei Hamburg 1978. Zahlreiche Aufsätze über die politische und sozio-ökonomische Entwicklung afrikanischer Staaten, über Entwicklungspolitik und die neue Weltwirtschaftsordnung.
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