Die europäische Einigung hat eine neue Aktualität durch die Direktwahl zum Europäischen Parlament in den neun Mitgliedstaaten der EG im Juni 1979 erhalten. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß die westeuropäische Einigung seit 1972/73 (drei Beitritte zur EG, Ölkrise) in einer Krise steckt. Sie ist verbunden mit tiefgreifenden Änderungen in der Struktur des internationalen Systems, z. B. keine direkte Ost-West-Konfrontation mehr, Zerfall des Weltwährungssystems, kollektives Auftreten der Staaten der Dritten Welt in der UNO und bei internationalen Konferenzen, Rohstoff-und Energiekrisen, Über-lagerung Europas durch die beiden Supermächte und ihre Herausforderung durch China. Das Integrationsniveau vom Anfang der siebziger Jahre müßte wiederhergestellt werden. Die integrationspolitische Praxis bleibt aus mehreren Gründen hinter den theoretischen Forderungen zurück. Die nationalen Regierungen haben unterschiedliche Europavorstellungen, z. B. die konföderale in Frankreich und Großbritannien, die föderale in der Bundesrepublik Deutschland, Benelux und Italien, ebenso weichen die Vorstellungen von der Bewältigung wirtschaftlicher Krisen voneinander ab (z. B. marktwirtschaftliche Auffassungen in der Bundesrepublik und in den Benelux-Ländern, planifaktorisdi-protektionistische in Italien, Frankreich und England). Ferner üben politische Modelle von Organisationen und Gruppen ihre Wirkung aus: Die Funktionalisten geben sich mit sektoralen Erfolgen zufrieden, z. B. auf den Gebieten der Währung, Verteidigung, Technologie, Wirtschaft, von denen sie ein übergreifen auf andere Bereiche erwarten. Die Föderalisten oder Konstitutionalisten würden am liebsten ein geeinigtes Westeuropa in einem schöpferischen, verfassungsgebenden Akt errichten. Die Tatsache des Bestehens übernationaler Gebilde — Europäische Gemeinschaft, Europarat, europäische Zusammenschlüsse von Parteien, Verbänden, Kirchen, Unternehmen und sonstigen gesellschaftlichen Gruppen — ergibt noch kein abgerundetes Bild der angestrebten gesamteuropäischen Wirklichkeit. Als realistisch im Sinne eines operationalen Begriffs von Europa ist allein das zu bezeichnen, was in überschaubarer Zukunft politisch durchsetzbar ist. Für die Schule maßgebend sind dabei Institutionen wie das Braunschweiger Schulbuchinstitut, das Institut für europäische Lehrerbildung an der Päd. Hochschule Bonn, der Rat für kulturelle Kooperation beim Europarat, die Generaldirektion XII bei der Kommission der EG u. a.
I. Europa als Bildungsauftrag der Schule
1. Das Thema Europa in historischer Perspektive Europa als Gegenstand schulischen Lernens ist unbestritten in unserem Lande und verfügt über eine jahrhundertealte Tradition, solange es institutionalisierte Bildung gibt. Allerdings waren die Perspektiven und fachspezifischen Akzentuierungen je verschieden. In den Klosterschulen des frühen Mittelalters dominierte in Westeuropa das Einheitsbewußtsein von der katholisch-lateinischen Kirche im Zusammenhang mit dem — ihr seiner Dignität nach untergeordneten — Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (sacerdotium und Imperium). In der vorherrschenden (scholastischen) Philospohie fanden sich antike (Aristoteles) und arabisch-spanische Einflüsse (Averroes) zu einer neuen Form des abendländischen Denkens zusammen und dienten zur Grundlage der Entfaltung eines geschlossenen theologischen Systems (Thomas von Aquin, Albertus Magnus).
Jedoch konnte sich das Einheitsbewußtsein von Welt und Überwelt nur während des Hochmittelalters halten; der Nominalismus brachte die skeptische Dimension hinein, die sich kulturell im Humanismus und in der Renaissance, philosophisch in der Aufklärung und im Pragmatismus, theologisch in der Reformation manifestierte. Ein anderer philosophischer Strang aus der Antike, die Ideenlehre Platos, wurde in Gestalt des kritischen Idealismus (Kant, Hegel) rezipiert. In den genannten Fällen fand jeweils ein Perspektiven-wechsel statt; europäische Bildung war zeitweise Ausdruck geistig-kultureller Einheit wie innerer Zerstrittenheit, abgesehen von dem ständigen politisch-militärischen Gegeneinander auf allen Herrschaftsebenen.
Die entscheidende Zäsur zwischen Mittelalter und neuerer Zeit liegt in der Französischen Revolution und in der gleichzeitigen Entstehung der Nationalstaaten. Das Geschichtsbild zentrierte sich auf den jeweiligen Staat, und es entstand eine nationalistisch motivierte Gesinnung in Gestalt der Vaterlandsliebe. Die Staaten entwickelten ihre eigenen Interessen, die sie mit-und/oder gegeneinander in der internationalen Politik vertraten, indem sie Allianzen bildeten, Kriege führten, stabile und instabile Machtgleichgewichte konstituierten. Europa wurde zum Konglomerat aus konfligierenden oder gleichgerichteten politisch-gesellschaftlichen Kräften. Das Einheitsbewußtsein bzw. das Eingebettetsein in eine übergeordnete politische Struktur war verlorengegangen.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte ein systematisch sich von den Alten Sprachen ablösender, selbständiger Geschichtsunterricht an den Gymnasien ein. Infolge seiner nationalstaatlichen Ausrichtung — in Deutschland durch den Philosophen Hegel, den Historiker Treitschke und besonders Kaiser Wilhelm II. in diese Richtung gelenkt und amtlich so bestimmt — stand die Nationalgeschichte im Vordergrund der schulischen Geschichtsbetrachtung. Ähnlich schwer tat sich der Geschichtsunterricht, der nun verstärkt Eingang in alle Schularten fand, während der Weimarer Zeit. In der NS-Zeit spielte Europa allenfalls eine Rolle im Hinblick auf seinen potentiellen Beitrag zum erstehenden Großdeutschen Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete sich zunächst eine europäische Einigungseuphorie in Westdeutschland, da aus politischen Gründen die Entstehung eines neuen deutschen Nationalstaates unrealistisch war und nur ein vereintes Europa die Garantie für künftigen Frieden und Sicherheit geben konnte. So hat die Gunst der Stunde die politische Dimension , der europäischen Einigung ins Blickfeld gebracht. 2. Die politische Dimension Europas im Unterricht Die tradierte Form Europas als Bildungsauftrag der Schule ist heute nicht mehr zu vertreten. Die kulturelle Dimension hat zu keiner Zeit ausgereicht, militärische Konflikte unter den europäischen Staaten zu verhindern. Deswegen muß die politische Problematik in den Vordergrund gerückt werden. Es ist danach zu fragen, inwieweit erreicht werden kann, die politische Interessenlage der (west-) europäischen Staaten so weit zu koordinieren, daß daraus gemeinsame (Wirtschafts-, Finanz-, Militär-, Außen-, Sozial-, Bildungs-) Politiken entstehen können, die von supranationalen Gremien wahrgenommen werden. In den Schulen geht es darum, aufgrund der historischen Notwendigkeit für ein europäisches Bewußtsein zu sorgen und es rational abzusichern. An der Basis soll die Überzeugung wachsen, daß es zur europäischen Einigung keine Alternative gibt. Damit müssen demokratische Partizipationsrechte auf allen Ebenen verbunden sein, ist die Errichtung eines plebiszitär legitimierten Europäischen Parlaments eine unabdingbare Forderung.
Auf diesem Hintergrund muß die bisherige Behandlung der europäischen Thematik in der Schule gesehen werden. Hauptkriterium einer Beurteilung ist das (Un-) Vermögen zu politischer Urteilsbildung und politischer Verhaltens-und Handlungsmotivation. Methodologische Schwierigkeiten bei einer Analyse und Wertung des Schulunterrichts bestehen darin, daß dieser'in seiner Vielfalt und Komplexität quantitativ nie ganz zu erfassen ist. Die folgenden Ausführungen können sich deswegen nur auf die Literatur, auf Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien, eigene Beobachtungen und Diskussionen stützen. Die vom einzelnen erlebte Wirklichkeit mag anders sein; sie wird die vorgetragenen, abstrahierten Ergebnisse nur modifizieren, nicht ihre tendenzielle Richtigkeit in Frage stellen können.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die „europäische Dimension" im Unterricht der sozialwissenschaftlichen, sprachlichen und künstlerischen Fächer präsent sein sollte. Entscheidend für die Bewußtseinsbildung und Handlungsmotivation ist jedoch die Intensität der Bewußtmachung eines Problems. Die Tatsache also, daß man z. B. sich mit europäischer Literatur befaßt, besagt noch nicht, daß sie vom Schüler eo ipso in einen europäischen Handlungskontext aufgenommen würde, sondern kann durchaus — wie das meistens der Fall ist — als ein isoliertes Ereignis verstanden werden, es sei denn, man adaptierte und interpretierte sie auch unter sozialwissenschaftlichem, zeitkritischem und einheitspolitischem Aspekt. Dies gilt ebenso für die Geschichte und Geographie. Die Beschäftigung mit der Geschichte oder Landeskunde eines europäischen Staates trägt nichts zur europäischen Einigungsfrage bei, wenn diese nicht ausdrücklich gestellt wird. Dabei zeigt sich das lernpsychologische Phänomen, daß eine mosaikartige Bearbeitung von Gegenständen am Ende kein Gesamtbild ergibt. Vielmehr muß in der Regel vom Lehrer der erforderliche Zusammenhang hergestellt bzw.der Schüler von ihm dazu angeleitet werden. Dies ist übrigens ein Argument gegen eine ausschließliche Favorisierung der Projektmethode und der Schülerselbsttätigkeit.
Diese Ausführungen sollen andeuten, was es in der Praxis mit der Formulierung „Europa als Prinzip im Unterricht" häufig auf sich hat. Es handelt sich um eine Leerformel mit Alibi-funktion, die es ermöglicht, jedes beliebige Thema abzuhaken. Aus diesem Grunde muß nicht nur auf einem dem europäischen Einheitsbewußtsein förderlichen methodischen Verfahren insistiert werden, sondern ebenso auf der Verankerung der, europäischen Einigungsthematik in einem Unterrichtsfach. Neben Geschichte und Geographie bietet sich dafür der politische Unterricht (Gemeinschaftskunde, Sozialkunde usw.) an. Wir stützen uns im folgenden in erster Linie auf den politischen Unterricht.
Die Zuständigkeit eines Unterrichtsfaches ist ein Zeichen für die Zuweisung von Kompetenz. In unserem staatsdirigistischen Schulsystem kommt es — von Bundesland zu Bundesland verschieden — auf die Verankerung eines Themas im Lehrplan an.
Der Eindruck mangelnder Repräsentanz der europäischen Einigungsthematik im Unterricht verstärkt sich nach Durchsicht der Lehrpläne. Aus der Analyse des Sekundarbereichs I ergibt sich das Fehlen einer Europakonzep-tion Für welches Modell soll der Lehrer eintreten bzw. welche Modelle soll er seine Schüler erarbeiten lassen? Diese Frage wird äußerst kontrovers diskutiert sowohl in der Bundesrepublik wie in anderen westeuropäischen Staaten. Vorhanden ist ein Neuner-Europa in Gestalt der Europäischen Gemeinschaft. Wie soll es organisiert werden? Welche Staaten sollen ihm beitreten oder assoziiert werden? Wo liegen seine Grenzen? Welche Aufgabe soll eine supranationale Institution erhalten? Welche Rechte sind die Staaten bereit aufzugeben? — Fragen über Fragen, die aus der politischen Perspektive der Mitgliedsländer unterschiedlich beantwortet werden.
Das Zentralthema des politischen Unterrichts auf der Sekundarstufe II ist Deutschland in Europa und in der Welt von heute. Europapolitik und Weltpolitik sind Hauptgegenstände der deutschen Außenpolitik. Die Rahmen-richtlinien der KMK von 1962 haben Europa zum Hauptthema jeder politischen Unterweisung gemacht. Von sieben Rahmenthemen nennen vier ausdrücklich Europa: „ 1. Grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Kräfte und Bewegungen in Europa.
Deutschland, seine Stellung in Europa und sein Verhältnis zur Welt.
Europa und die Welt von heute.
Europäisierung — Enteuropäisierung der Erde — Entwicklungsländer." 2)
Im Mittelpunkt der politischen Gegenwartsanalyse steht demnach Deutschland in seiner europäischen Verflechtung. Europa wird als eine gesellschaftspolitische Einheit betrachtet, ohne dem Schüler eine mehr zentralistische oder föderalistische Lösung zu empfehlen. Eine klare Europakonzeption liegt auch hier nicht vor. Welche konzeptionellen Momente sollten in den Lehrplänen präsent sein? Gerhart Maier nennt für die Sekundarstufe II fünf formale Merkmale: Der Schüler soll 1. unterschiedliche Integrationskonzepte (Modelle)
kennen und beurteilen lernen, 2. mit divergierenden Integrationstheorien konfrontiert werden, 3> die europäische Integration als eine Aufgabe von zentraler Bedeutung sowie den Ist-und Soll-Zustand der EG vermittelt erhalten, 4. einen Minimalkanon an Faktenwissen zur Geschichte und Struktur der EG sich aneignen,
„eine kritische, rational begründete Befürwortung des europäischen Integrationsprozesses"
erfahren 3).
Als beispielhafte Lehrplankonzeption wird von Maier der Inhalt des Vorsemesters (Kl. 11) der Hamburger Studienstufe bezeichnet, wo die europäische Integration verbindliches Rahmenthema ist 4). Didaktisch vorbildlich hebt diese Konzeption ab auf die Analyse aktueller politischer Fälle, auf Problem-orientierung, Konflikte, Prozeßhaftigkeit, Kontroversen, Programmatik, Polyvalenz der Ansätze. Hinzugenommen werden muß der bayerische „Curriculare Lehrplan für Sozialkunde in der Kollegstufe (Leistungskurs)" (1977). Eine befriedigende Berücksichtigung der europäischen Integration wird noch in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg (Berufsschule) und Nordrhein-Westfalen konstatiert 5).
Als vorläufiges Ergebnis muß zusammengefaßt werden, „daß Europa trotz der ständig wachsenden Verflechtungen und bereits bestehenden und wirksamen Fakten in den Lehrplänen der Bundesrepublik Deutschland weitgehend unterrepräsentiert ist und die didaktischen Möglichkeiten dieses Themas nur selten ausgeschöpft werden" Maier weist allerdings darauf hin, daß es bei der Offenheit vieler Lehrpläne und ihrer in den meisten Bundesländern liberal gehandhabten tatsächlichen Verbindlichkeit von Lehrern und Lerngruppen abhängt, inwieweit sie sich für ein integrationspolitisches Thema entscheiden
Die Praxis bleibt meist hinter den Forderungen zurück. Gemäß deutscher Schultradition dominiert die historische Betrachtungsweise, wo doch vor allem politische, geographische, wirtschaftliche, ideologische, zeitgeschichtliche und militärische Momente ins Spiel gebracht werden müßten. Die Bildung eines europäischen Bewußtseins wird vernachlässigt. Schuld daran ist nicht zuletzt das Fehlen einer klaren Konturierung des Begriffs Europa in den Lehrplänen sowie die Herausstellung einer Richtung, die der politische Wille der europäischen Nationen einschlagen sollte (z. B. „politische Union" oder „europäische Identität" als eindeutige Konzepte). Ferner muß einschränkend auf weitere Probleme hingewiesen werden: Das durchschnittliche Europabewußtsein von Lehrern ist nicht höher anzusetzen als bei den übrigen Bevölkerungsschichten. Nach einer gewissen Euphorie nach dem Kriege bis zur Mitte der sechziger Jahre wird das Erreichte als Selbstverständlichkeit hingenommen. Die ungelösten Probleme — etwa Aufgabe von nationalen Souveränitätsrechten, Errichtung supranationaler Organe, Legitimierung von Parlamentariern, Partizipation an übernationalen Entsdheidungsprozessen — sind so kompliziert, daß sie fachkundiger Vertrautheit bedürfen. Darin besteht das Handicap bei Lehrern und Schülern für einen Unterricht über Europa, der über eine Institutionenkunde hinausgehen soll. Deshalb ist der Lehrerausbildung, -Weiterbildung und -fortbildung erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Pauschal kann dazu festgestellt werden, daß eine (unveröffentlichte) Auszählung des Lehrangebots an den bundesdeutschen Hochschulen in den lehrerbildenden Fächern eine starke Unterrepräsentanz dieses Themas festgestellt hat Das gleiche gilt für die Institutionen der Lehrerfortbildung. Außerdem wäre die europäische Einigungspolitik in den Lehrplänen/Curricula aufzuführen. Eine Durchsicht hat ergeben, daß durchweg hier nur von „Internationaler Politik" die Rede ist.
Das Interesse scheint sich vordergründig auf Gewinn/Verlust beim Devisentausch, auf Vorurteile gegen Fremdarbeiter in wirtschaftlichen Krisenzeiten, bei kritischen Jugendlichen auf die Marktmacht multinationaler Unternehmen zu richten. Zu den inhaltlichen Defiziten kommt die geringe Wochenstunden-zahl für politische Themen besonders in den Haupt-und Berufsschulen. Angesichts dessen ist es kaum möglich, junge Menschen für ein Verhalten zu stimulieren, dessen Ziel die politische Einigung (West-) Europas ist. Nicht zuletzt wird dies durch die Teilnehmerzahlen am jährlich stattfindenden Europäischen Schultag belegt
Die europäische Einigungsthematik in den Schulbüchern erfüllt ebenfalls (in Korrespondenz zu den Lehrplänen und Beobachtungen der Praxis) nicht die sich am Problemstand und der Fachwissenschaft orientierendem didaktischen Anforderungen. Abgesehen von der quantitativen Unterrepräsentanz behandelt kein Schulbuch „die westeuropäische Integrationspolitik als einen Konflikt widerstrebender Interessen, und kein Schulbuch bietet Lösungsansätze unter Berücksichtigung möglicher Konsequenzen" Der Akzent liegt auf den wirtschaftlichen Vorteilen; Innen-und Außenpolitik fehlen; beliebt ist die Aufzählung und Darstellung von Institutionen und ihre historische Entwicklung. Für den Zusammenschluß Europas werden — einseitig verkürzt — drei Gründe genannt: 1. die Angst vor dem Kommunismus, 2. die negativen Erfahrüngen aus zwei Weltkriegen, 3. die Über-windung der deutsch-französischen Feindschaft. Die Schwierigkeiten einer europäischen Integration werden nur vereinzelt einbezogen; die Gefahren (z. B. zunehmende Technokratisierung, Bürokratisierung, internationale Kapitalverflechtung) werden nicht erwähnt. Eine Sensibilisierung der Schüler für den europäischen Einigungsgedanken ist in den Schulbüchern nicht zu entdecken.
Die Lehrbuchanalyse kommt zu folgendem Resultat:
„ 1. Lernzielelemente aus dem Lernfeld Internationale Politik, hier Europapolitik, werden nirgends erwähnt, d. h. die Auswahl der Informationen legitimiert sich nicht als notwendig.
2. Die Bücher bieten dem Schüler keine Hilfen an, die z. T. einseitigen, spärlich angebotenen Informationen zu reflektieren und zu vertiefen durch: Problemlösungshilfen, Diskussion kontroverser Standpunkte, unterschiedliche Lösungsansätze, Aufbereitung von Materialien u. ä.
3. Kaum eines der Bücher legt sein erkenntnisleitendes Interesse offen und orientiert sich am Problembewußtsein der Fachwissenschaft; für drei Bücher gilt eine partielle Ausnahme.
4. Die angebotenen Informationen reichen nicht hin, dem Schüler eine Vorstellung von den Möglichkeiten, Hindernissen und Zielen einer europäischen Einigung zu vermitteln.
5. Eine Verbindung zwischen der historischen Dimension europäischer Politik und der Notwendigkeit einer zukünftigen Einigung wird nicht hergestellt.
6. Die Demokratiedefizite in den Europäischen Gemeinschaften und die daraus resultierenden institutionellen Schwächen werden nicht behandelt. 7. Fragen nach dem Nutzen und den Kosten einer Integration, den Gefahren, die durch die derzeitige Politik noch vergrößert werden (Bürokratisierung, Entdemokratisierung, fortschreitende Kapitalverflechtung), werden nicht gestellt.
8. Die Interessen-und Machtverteilung einer europäischen Politik nach innen wird in keinem Zusammenhang mit dem Handlungs-
und Entscheidungsspielraum nach außen gesehen.
9. Die europäische Integration wird nicht als politischer Prozeß, in dem notwendigerweise Konflikte auftreten, sondern eher als organisatorisches Ergebnis verstanden.
10. Das europäische Einigungsstreben reduziert sich in den untersuchten Schulbüchern mehr oder weniger auf eine schwache Institutionenkunde.
Eine Sensibilisierung der Schuljugend für Europa findet nicht statt. Das politische Bewußtsein oder gar ein europäisches Gemeinschaftsbewußtsein wird gegenüber ökonomischem Nutzdenken nicht gefördert.
Die europäische Integrationspolitik stellt quantitativ und qualitativ nur ein Randproblem in den Schulbüchern dar." 11) 3. KMK-Beschluß „Europa im Unterricht" Der Bisher sind alle gesamteuropäischen Maßnahmen ohne Basislegitimation und -Beteiligung der Bevölkerung zustande gekommen; in den betreffenden Bereichen haben sich die dafür zuständigen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen etabliert, aber nicht der Bürger. Deshalb hält die KMK den geeigneten Zeitpunkt für gekommen, im Zusammenhang mit der bevorstehenden Direktwahl für das Europäische Parlament auf die Dringlichkeit der europäischen Einigung hinzuweisen. Ansätze dafür stammen aus der Vergangenheit in mehreren KMK-Beschlüssen und Ländererlassen 12). Ferner ist in der Forderung der Kopenhagener Gipfelkonfernz von 1973 nach „europäischer Identität" eine internationale Leitlinie für den Unterricht zu sehen. Darüber hinaus gibt es ein fundamentales Argument: Wir können es uns nicht leisten, eine Frage, für die es keine vernünftige Alternative gibt, in der Schwebe zu lassen, d. h. sie der nachwachsenden Generation nur unzulänglich zu vermitteln; denn die angesprochene selbstverständliche Repräsentanz europäischer Themen im Schulunterricht bleibt so lange ohne praktische politische Konsequenz, so lange es sich um eine bloße Anhäufung unzusammenhängender Fakten handelt. D. h., Perspektiven und Aspekte der Betrachtung müssen auf die anvisierte Thematik zentriert und die europäische Sichtweise muß eingeübt werden.
Auf diesem Hintergrund ist der KMK-Beschluß über „Europa im Unterricht" vom 8. Juni 1978 zu bewerten. Eine Gesamtbeurteilung sollte weniger einzelne Punkte ins Auge fassen, sondern vielmehr den Stellenwert des Beschlusses hervorheben. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß KMK-Be-Schlüsse einstimmig gefaßt werden und Empfehlungen an die elf Bundesländer darstellen. Diese können entweder den Beschluß für ihren Bereich in Kraft setzen oder daraus entsprechende Erlasse entwickeln. Jedenfalls handelt es sich um gemeinsame Absichts-und Willenserklärungen, die den Unterrichtspraktikern, Curricula-und Lehrbuchautoren, Wissenschaftlern, Lehrerbildnern und -fortbildnern den Rücken stärken, ebenso Schülern (wie ihren Eltern) diese Thematik mit Forderungscharakter vorstellen. Zum Beschluß selbst muß man wissen, daß es sich — wie bei anderen KMK-Beschlüssen — um einen Minimalkonsens über ein brisantes politisches Thema handelt. Unter Federführung von Schleswig-Holstein war ursprünglich ein weit ausführlicherer Entwurf vorgelegt worden, der insbesondere Hinweise auf einzelne Unterrichtsfächer enthielt, die in dem verabschiedeten Papier gestrichen wurden. Ferner darf man nicht vergessen, daß infolge unterschiedlicher (legitimer) parteipolitischer und wissenschaftstheoretischer Präferenzen einzelne Formulierungen kompromißfähig gemacht werden mußten. Trotz allem ist das Bekenntnis der Kultusminister zu einer Verstärkung der europapolitischen Integrationsthematik im Unterricht entscheidend.
Im ersten Teil des Beschlusses wird „die politische Ausgangslage" charakterisiert. Danach ist Europa nicht nur ein geographischer Begriff, sondern das „Europa-Bild ist wesentlich geprägt durch das gemeinsame historische Erbe und eine gemeinsame kulturelle Tradition" In dieser Formulierung finden sich zwei begriffliche Unschärfen: Es wird nicht gesagt, wieweit der geographische Europabegriff reichen soll und daß das Abheben auf „historisches Erbe" und „kulturelle Tradition" die typischen Merkmale des unpolitischen, unter der Chiffre „Abendland" bekannten Europabegriffs repräsentiert. Diese terminologische Zurückhaltung und Verallgemeinerung setzt sich im folgenden fort, wo sich der Beschluß auf das EG-Europa der Neun und auf das Europarats-Europa der Zwanzig bezieht, letzteres also unter Einbeziehung von disparaten Ländern wie Österreich, Portugal, Malta, Zypern, Türkei u. a. Als „politische Zielsetzung" wird der Aufbau einer „dauerhaften europäischen Friedensordnung" ohne konkrete Angaben genannt. Dementsprechend ist auch nur von „Koordinierung" und „Kooperation" der „Politik der Regierungen", nicht von Integration, die Rede. Wo die EG angesprochen wird, kommt es primär auf die „Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftsund Sozialpolitik der Mitgliedstaaten" an, nicht auf eine politische Einigung. Zwar wird die von der Pariser Gipfelkonferenz 1972 beschlossene Europäische Union erwähnt, jedoch kommentarlos, ohne inhaltliche Präzisierung des Begriffs. Ähnlich blaß wird der Begriff „europäische Einigung" als grundgesetzlich verankerte Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland verwendet (vgl. Präambel und Art. 24 GG).
Für den politischen Teil des KMK-Beschlusses ist festzuhalten, daß er sich gerade gegenüber den hier eigentlich zu erwartenden politischen Aussagen distanziert verhält. In ihrer Kürze und Verallgemeinerung bleiben sie leerformelhaft und geben dem Leser (Lehrer, Schüler) keine konkreten Hinweise für (alternative) politische Akzentsetzungen. Auf diese wäre es jedoch angesichts der allgemeinen Unsicherheit im Hinblick auf die Ziele angekommen.
Der zweite, umfänglichere Teil beschäftigt sich mit „Europa als pädagogischem Auftrag" und beginnt mit dem (tradierten) „übergreifenden europäischen Bildungsauftrag der Schule". Hier komme es auf „Gemeinschaftsbildung", „Bewußtsein europäischer Zusammengehörigkeit" und auf die Weckung des „Verständnisses" für europäische Entscheidungen an. Terminologisch wird damit die unpolitische Richtung fortgesetzt. Danach bietet der Beschluß unter Vermeidung eindeutig politischer Zielsetzungen einen Katalog kognitiver Lernziele in dem an, historisierende und harmonisierende Gesichtspunkte eine vorrangige Rolle spielen: „Es ist notwendig, daß die Schulen Kenntnisse und Einsichten vermitteln über — die Besonderheit und Vielfalt des europäischen Raumes;
— die prägenden geschichtlichen Kräfte in Europa;
— die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen in Europa;
— die Entwicklung des europäischen Rechts-, Staats-und Freiheitsdenkens;
— die Entwicklung im Sinne der Neuordnung und der Integrationsbestrebungen nach 1945;
— die Bedeutung gemeinsamen Handelns und überregionaler Institutionen zur Lösung wirtschaftlicher, sozialer und politischer Probleme;
— die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs in Europa;
— die Bedeutung der Zusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaft;
— die Bedeutung der Zusammenarbeit der Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit anderen Staaten der Welt;
— die Wertvorstellungen und Interessen, die den Entscheidungen in Europa zugrunde liegen."
Im Katalog affektiver Lernziele geht es um „— die Bereitschaft zur Verständigung, zum Abbau von Vorurteilen und zur Anerkennung des Gemeinsamen unter gleichzeitiger Bejahung der europäischen Vielfalt; — die Entwicklung europäischer Rechtsbindungen im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Europäischen Menschenrechtskonvention und Sozialcharta;
— die Sicht des nachbarschaftlichen Miteinanders und die Bereitschaft, Kompromisse bei der Verwirklichung der unterschiedlichen Interessen in Europa einzugehen;
— die Verwirklichung der Menschenrechte, erstrebenswerte Chancengerechtigkeit sowie wirtschaftliche, soziale und rechtliche Sicherheit und die Freizügigkeit;
— die Wahrung des Friedens in Europa und in der Welt."
Resümierend konstatiert der KMK-Beschluß, junge daß der Mensch auf diesem Wege vorbereitet werden soll, „seine Aufgaben als Bürger in der Europäischen Gemeinschaft wahrzunehmen". Kritisch ist anzumerken, daß zwar im ersten Teil der Europarat erwähnt wird, im zweiten Teil jedoch exklusiv die Europäische Gemeinschaft, obwohl unter den Lernzielen (implizit) wesentliche Dokumente des Europarats auftauchen (Menschenrechtskonvention, Sozialcharta).
Vom Standpunkt politikwissenschaftlicher und pädagogischer Analyse bleibt der Inhalt des Beschlusses im Unverbindlichen stecken. Er scheut sich vor politisch und begrifflich eindeutigen Formulierungen. Nach seinem Konzept kommt es mehr auf eine Annäherung der Staaten (welcher?) an, nicht auf regionale Integration (der Begriff „Integration" erscheint nur zweimal an unbedeutenden Stellen). Pädagogisch geht es mehr um angepaßtes Verstehen als um politische Auseinandersetzung. Didaktisch liegt ein systemtheoretisch-affirmatives Modell zugrunde, unter Eliminierung von Interessen und Konflikten, obwohl es sich um ein Thema handelt, dem sich politologische, ideologische, historische, geographische, soziologische, psychologische, juristische und ökonomische Frageweisen geradezu aufdrängen. Auch in den bildungspolitischen Dokumenten der EG und des Europa-rats dreht es sich primär um unpolitisch formulierte Gegenstände wie Umwelt-und Denkmalschutz, europäisches Erbe, Gesundheit, Berufsvorbereitung, europäische Grundrechte, Gemeinschaftssprache, gemeinsame Normen und Werte
Durchweg werden im KMK-Beschluß konservative Positionen vertreten; Diskrepanzen und Alternativen werden nicht aufgezeigt. Damit bestätigt sich die anfängliche Vermutung, daß durch den Zwang zur Konsensfähigkeit des Papiers die konfligierenden Momente ausgelassen wurden. So beruht die Bedeutung des KMK-Beschlusses vor allem darin, daß es ihn überhaupt gibt. Es wird nun an den Kultusministerien selbst liegen, inwieweit sie qua Lehreraus-und -fortbildung, Genehmigungen von Schulbüchern, Überarbeitung von Lehrplänen/Curricula (z. B. Verbindlichkeitsgrad des Lernziels Europa, Angabe eines durchgängigen Konzepts) oder kraft besonderer Erlasse ihren gemeinsamen Beschluß in die Praxis umzusetzen vermögen.
II. Grundlagen einer Europa-Didaktik
1. Motivation und Betroffenheit der Schüler Wie können die Schüler für die Probleme der europäischen Einigung motiviert werden? Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß das Europathema nicht zu einer isoliert stehenden Unterrichtseinheit werden darf. Vielmehr ist auf sinnvolle, funktionale Einstiegsmöglichkeiten zu achten. Beliebig viele Themen sind denkbar, von denen aus man die europäische Problematik aufrollen kann: Die Gastarbeiter, die freie Wahl der Ausbildungsstätte und des Arbeitsplatzes (dies besonders für Berufs-schüler), die Niederlassungsfreiheit, die europäische Sozialcharta, die Gewährung/Nichtgewährung der Menschenrechte, die gegenseitige Anerkennung der Diplome, europäische Gemeinschaftsprojekte in Sachen Umweltschutz (Rhein), übernationale Industriezusammenschlüsse, gemeinsame Verbrechensbekämpfung, internationale Industriezentren, kulturelle und geschichtliche Gemeinsamkeiten usw. Es handelt sich um Themenbereiche, die in allen Klassen und Schularten nach entsprechender didaktischer Aufbereitung bearbeitet werden können. Zugleich führen sie an die für die nächsten Jahre bedeutsamen Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft heran: 1. In der gemeinsamen Außenpolitik: Entspannung, Friedenssicherung, Ausbau der Beziehungen zum Ostblock und zu China, Entwicklungshilfepolitik, Verhältnis zu den USA, Reformen der Weltwährungs-und -handelssysteme; 2. in der gemeinsamen Innenpolitik: Fragen des wirtschaftlichen Wohlstandes, der Gesellschaftspolitik, der Mitbestimmung und Mitwirkung in allen Bereichen (Demokratisierung, Partizipation) des Währungsverbundes.
Dadurch wird die bisherige Politik der Gemeinschaften mit den Schwerpunkten Wiederaufbau, Sicherheit, Wohlstand und Frieden im westlichen Europa durch weltweite Themen abgelöst. Angesichts der z. T. oben angedeuteten Problematik wird es nicht schwerfallen, das konflikttheoretische Modell durchzuhalten, d. h., die Schüler sollen fragen: Warum ist die Entwicklung so verlaufen, wessen Interessen dient sie am ehesten, usw.? So können die verschiedenen Ansätze problematisiert und kontrovers behandelt werden.
Der ordnungspolitischen Dimension im Sinne eines Wechselverhältnisses von Konflikt und Konfliktlösung wird eine bedeutungsvolle Rolle zuerkannt; denn letztlich geht es um die Schaffung von transnationalen Loyalitäten — resultierend aus der rechtsstaatlich-demokratischen Lebensform in den westeuropäischen Staaten —, die von Fall zu Fall und nach dem Grad der Betroffenheit mit den nationalen Loyalitäten wechseln können.
Im Vordergrund der zu erarbeitenden Einsichten und Erkenntnisse sollte die Überzeugung von einer anzustrebenden politischen Union als einer qualitativ neuen Institution stehen. Ihr Fehlen bzw. ihre durch die Regierungen unterschiedliche Akzentuierung — weitgehende Aufgabe der nationalen Souveränität bis hin zur Beibehaltung der nationalen Verfügungsgewalt — macht das Kardinalproblem aus. An diesem Ziel muß Erreichtes gemessen werden wie die Agrarunion, die Zollunion oder die militärische Koordination ebenso wie dringend Wünschbares, z. B. die Wirtschafts-und Währungsunion, soziale und rechtliche Angleichung, technologische Kooperation usw. Die defizitären Momente liefern Anlaß zur Kritik und zum Aufspüren von Veränderungsstrategien und Alternativen.
Warum gibt es nur eine vorbehaltvolle Resonanz der europäischen Einigungspolitik bei der jugendlichen Bevölkerung? Die Jugend, repräsentiert durch die Sprecher der Verbände (Parteien, Gewerkschaften, freie Träger) sowie durch Schüler und Studenten, erhebt ernst zu nehmende Vorwürfe gegen die mangelnde demokratische Legitimationsbasis des angestrebten europäischen Einigungswerkes sowie gegen die politische Abschottung der supranationalen Institutionen. Die verantwortlichen Minister machen die Entscheidungen unter sich aus, d. h., die Fragen der europäischen Einigung sind in erster Linie Routine-aufgaben der nationalen Außenpolitik. Die davon eigentlich Betroffenen, die Völker, haben noch keine übernationalen Möglichkeiten kollektiver Willensbildung. Das bedeutet, die Jugend (und andere Bürger) wird mit den säkularen Fragen der europäischen Einigung politisch nicht genügend befaßt und sie ist bzw. fühlt sich nicht repräsentiert. Auch geht die beabsichtigte Einrichtung eines ständigen Europa-Jugendforums und eines (Beamten-) Ausschusses aus Gründen der konservativen Einstellung der europäischen Behörden in Brüssei nur langsam voran. So hat z. B. das erste (und letzte) Jugendforum in Brüssel 1970 mit aller Deutlichkeit gezeigt, welche Diskrepanz zwischen den etablierten Technokraten und den föderalistisch orientierten Forderungen der Jugend besteht. Diese möchte nicht bloß von Brüssel aus administriert werden, sondern sie denkt an eine Mitgestaltung im Sinne moderner demokratietheoretischer Vorstellungen.
In erster Linie sollen nach dieser Auffassung die bürokratischen Strukturen des supranationalen Entscheidungsprozesses beseitigt werden. Zu diesen Zielvorstellungen gehört die Direktwahl und politische Verantwortung der europäischen Abgeordneten, die Gründung transnationaler politischer Parteien und Gewerkschaften, die Kontrolle des internationalen Verhaltens von Banken, Versicherungen und multinationalen Unternehmungen (ohne die es wirtschaftlich nicht geht, die aber keine unkontrollierte politische Macht ausüben dürfen). Europa wird angesichts der erwähnten Tatsachen als Europa der Konzerne beargwöhnt, mit der Folge einer teilweisen Verlagerung von Machtzentren aus den nationalen Parlamenten und Regierungen auf nicht legitimierte ökonomische Superorganisationen. Die sich hierin ausdrückende linke Kritik ist nicht an System-oder entscheidungstheoretischen Modellen schlechthin interessiert, sondern an der Transparenz polit-ökonomischer Strukturen; sie versteht ihre Organisationskritik zugleich als Kapitalismuskritik. Ihre Fragen — die Herausstellung des Widerspruchs zwischen der Organisation der Produktivkräfte und den politischen Strukturen — an die Einigungsbemühungen lauten u. a.: Schafft die Integration mehr soziale Gerechtigkeit, mehr regionale Gleichheit, mehr gesellschaftliche Innovationskapazität, mehr internationales Friedenspotential, mehr „Bruttosozialnutzen" (Mansholt)? Die Jugend will das ihr zustehende Maß an Mitbestimmung in einer politischen Angelegenheit, die sie in Zukunft als die ihre vertreten soll. Es genügt nicht, sie oberflächlich mit den Möglichkeiten des Reisetourismus befriedigen zu wollen, sondern sie will an konkreten politischen Aufgaben beteiligt werden.
Immerhin sind die Vorbereitungen zur Gründung eines Europäischen Jugendforums im Rahmen der EG fortgeschritten. Die nationalen und internationalen Jugendorganisationen haben sich inzwischen auf ein Statut geeinigt. Die Jungen Europäischen Föderalisten haben auf ihrem Münchener Kongreß im April 1978 festgestellt, daß die international drängenden Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wirtschafts-krise, Umweltschutz, Nord-Süd-Gefälle, Frieden und Abrüstung vor allem von der EG gelöst werden können, dann erst von den Regierungen mittels zwischenstaatlicher Verträge. Wenig trauen sie den politischen Parteien zu, noch weniger den multinationalen Unternehmen. Eine hohe Präferenz zur Diskussion internationaler Angelegenheiten und Entscheidungen über gemeinsame Probleme der EG geben die Jugendlichen einem direkt gewählten Europäischen Parlament. 2. Zur Lernzielproblematik des Themenkreises Europa Ein curricularer Entwurf für die europäische Einigungspolitik im Unterricht muß bestimmte Prämissen beachten. Dazu gehört die Erkenntnis, daß das Jahr 1945 eine historische Zäsur für die europäischen Staaten darstellt. Die überkommenen -staatlichen Einheiten mußten aus wirtschaftlichen, politischen, militärischen und sozialen Erwägungen einem großräumlichen, die traditionellen Grenzen sprengenden Denken und Handeln weichen. Das westeuropäische — ergänzt durch das atlantische — Bündnis muß als ein Akt politischer Vernunft gelten zum Zwecke der Sicherheit und der Hebung des materiellen Standards der Bevölkerung. Dazu ist Souveränitätsverzicht auf Seiten der Staaten notwendig (vg. Art. 24. GG, aber Art. 3 und 4 Franz. Verf.). Alle Staaten müssen in ein stabiles Gleichgewicht zueinander gebracht werden; dafür sind neuartige supranationale Organisationsformen erforderlich.
Oberstes (Lern-) Ziel — bei allen Vorbehalten gegenüber sog. obersten Lernzielen und den daraus deduzierbaren Hierarchien sind diese sicher in einem sektoralen Bereich (z. B.der europäischen Einigung) möglich — ist daher die politische Vereinigung von z. T. recht unterschiedlichen staatlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gebilden zur Europäischen Politischen Gemeinschaft. Diese kann mehr unionistisch oder mehr föderalistisch aufgebaut werden. Daraus ergeben sich für Europa einige Zielprojektionen:
Die europäische Einigung ist notwendig — um den Frieden in Europa zu sichern und die Krisenherde vergangener Zeiten auszulöschen; — um die wirtschaftliche und politische Stabilität Europas herzustellen, damit es eine seiner Größe und Potenz entsprechende Rolle in der Welt spielen kann;
— um durch Zusammenarbeit eine ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung aller Regionen der Gemeinschaft zu fördern; — um durch gemeinsame Aktionen die sozialen Bedingungen zu verbessern und den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen; — um einen einheitlichen großen Markt zu schaffen, der die Schranken beseitigt, die Westeuropa lange in nach außen abgeschirmte Märkte zersplittert haben;
— um den technischen Fortschritt zu beschleunigen und die europäische Industrie und Landwirtschaft wirksam zu fördern; — um die Entwicklungsländer durch Zusammenarbeit besser zu unterstützen;
— um Europa politisch zu einigen.
Aus diesen Notwendigkeiten läßt sich eine Reihe von Lernzielen ableiten (diese Lernziele werden nicht im Sinne einer normativen, exklusiven Setzung, sondern als Orientierungen für ein offenes Curriculum verstanden). a) Kognitive Lernziele:
Einsicht in die — existentielle Interdependenz der europäischen Staaten, — Notwendigkeit einer (westeuropäischen)
politischen Gemeinschaft, — unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens, — Unmöglichkeit nationalistischer, hegemonialer Politik, — Notwendigkeit eines gemeinsamen Marktes, — Hergabe nationaler Souveränitätsrechte, — Herausbildung transnationaler Zusammenschlüsse, — Notwendigkeit gemeinsamer Verteidigung, — internationale Dependenz von Staaten und Blöcken, — Schaffung eines universalen Friedenssystems, — Schwäche des isolierten Einzelstaats, — Notwendigkeit eines offenen Weltsystems, — Notwendigkeit regionalen Ausgleichs (Entwicklungshilfe), — Entwicklung eines supranationalen system's of government. b) Ailektive Lernziele:
Erfordernis supranationalen solidarischen Handelns, Ablehnung des anachronistischen Nationalismus, Bemühen um internationale Besuchskontakte und Briefwechsel, Verstehen der Werthaltungen und Handlungsmotivationen anderer Völker, Bemühen um transnationale Verbände und Parteien, Verstehen der europäischen Binnenwanderung (Gastarbeiter), Überwindung von nationalen Vorurteilen, Entwicklung europäischer Loyalitäten im Rahmen eines europäischen Sozialisationsprozesses. Diese, durch eine Feinstrukturierung im konkreten Fall ergänzungsbedürftigen Lernziele benötigen bei ihrer curricular-unterrichtlichen Operationalisierung eine doppelte Auf-faltung.
Sie müssen a) aus der Perspektive der Bundesrepublik wie aus derjenigen der übrigen westeuropäischen Länder (multiperspektivistisch) und b) sowohl vom gesamteuropäischen (systemimmanent) als auch vom weltpolitischen Standpunkt (universell) betrachtet werden.
Mit dem zweiten Aspekt wird die Europapolitik zum Teil einer globalen Strategie und gerät in die politische Auseinandersetzung der Supermächte bzw. von Mächtegruppen hinein (z. B. in die Spannungen zwischen Erster und Dritter Welt, in die machtpolitischen Kalküle der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten und Chinas, in die Weltwirtschaftsproblematik). 3. Curriculare Themenauflistung für den politischen Unterricht Im folgenden wird Lehrern und Schülern ein Angebot wichtiger Themen und Probleme unterbreitet, die je nach Interessen und Aktualität auszuwählen und in Unterrichtseinheiten und Kursen zu bearbeiten sind Die einzel-20) nen Bereiche sind interdependent; besonderer Akzent wird auf die Zeit nach 1945 gelegt. a) Politik Frage nach dem Ziel der europäischen Einigung: Integration oder Kooperation/Koordination, europäische Identität? Der Vorgang der regionalen Integration hat eine Reihe von Veränderungen der Struktur und des Stils von Interaktionen der Nationalstaaten im regionalen System zur Folge:
1. Nationale Stabilität und Sicherheit werden durch regionale ersetzt.
2. Kooperation substituiert teilweise Konkurrenz. 3. Vergrößerung der intraregionalen Kommunikation. 4. Bedeutungsverlust der Nationalität al wichtigste Determinante von Verhalten, Meinungen und politischen Präferenzen.
1. Evolutionäres Europa (nur Wirtschaftsunion). 2. Atlantisches Europa (starke Bindung an die USA).
3. Europa der Staaten (europäische Institutionen ergänzen die nationalstaatliche Autonomie). 4. Partnerschafts-Europa (europäische Föderation und Partnerschaft mit den USA;
Endziel: Vereinigte Staaten von Europa mit bundesstaatlicher Verfassung: föderaler Superstaat).
5. Unabhängige Europäische Föderation (vereinigtes Europa nach Modell 3 und 4, ohne USA).
6. Wirtschafts-und Währungsunion.
7. „Europäische Union" (Forderung der Pariser Gipfelkonferenz von 1972; nach internationaler Interpretation eine (Kon-) Föderation, nach bundesdeutscher Interpretation eine politische Union).
Supranationale Organisationsmodelle: Klein-Europa (EG) — Groß-Europa (alle Mitglieder des Europarats) — europäisch-atlan-tische Gemeinschaft — Einheitsstaat — neue Konstruktion — Bundesstaat (Europäische Union) — Staatenbund (Föderation).
Kritik der politischen. Strukturen supranationaler Organisationen:
Europäisches Parlament — Kommission — Ministerrat — Europäischer Rat (Funktion von Gipfelkonferenzen der Staats-und Regierungschefs; funktionale Betrachtung der Institutionen) — Einflüsse nationaler Parlamente und Regierungen — öffentliche Meinung und Willensbildung in der EG. Grundprobleme der Einigungspolitik: europäische Nationalstaaten einzeln zu unbedeutend, um eine selbständige Außenpolitik zu betreiben. Legitimationsprobleme supranationaler Institutionen (Direktwahl zum Europa-Parlament, Wahlsysteme, Partizipation, Demokratisierungsfragen).
Die Politik der EG Europa als „Dritte Kraft" in der Weltpolitik, atlantische Partnerschaft, Entwicklungshilfepolitik, Ost-West-und Nord-Süd-Politik, Assoziationen, KSZE, UNO. Gefährdungen: restaurative Renationalisierung angesichts von Rückschlägen in den Einigungsbemühungen. Wie kann eine „politische Union" Westeuropas aussehen (vgl. Tindemans-Bericht)? Probleme der Ausweitung der EG (Griechenland, Spanien, Portugal). Die (transnationalen) politischen Parteien und ihre Haltung gegenüber einer europäischen Einigung.
Probleme des Europarats und seiner Mitgliedstaaten Politische Philosophie Vereinigtes Europa (Kant: Zum ewigen Frieden 1785, Hugo, Churchill) b) Wirtschaft:
Gemeinsamer Markt Vor-und Nachteile des Binnemarktes mit 250 Mio. Menschen; Statistiken. Freier Dienstleistungs-, Waren-und Kapitalverkehr in der EG (Zusammenschluß von Unternehmen, Banken, Versicherungen).
Bearbeitung von Sektoren Agrarpolitik (Vor-und Nachteile für den Verbraucher, für die Landwirte, Überschüsse, Finanzierungssystem, Preisgestaltung). Finanz-und Währungspolitik (Euro-Dollar, Blockfloaten, EG-Fonds). Industriepolitik (regionale Schwerpunktbildung). Strukturpolitik (Förderung entwicklungsschwacher Gebiete, z. B. Irland, Süditalien, Bayerischer Wald, Westfrankreich, Schottland, Nordengland) und Entwicklungshilfepolitik
Rohstoffpolitik (freier Zugang zu den Exportmärkten, Ablehnung von Rohstoffpools mit Preisbindungen).
Außenhandelspolitik (EG = größter Handels-block der Welt).
Zoll-Union.
Sozio-strukturelle Politik (Mansholt-Plan im Agrarbereich).
EWG und andere Organisationen: Euratom (technologische Großforschung), EFTA, OECD, GATT (vgl. mit Comecon).
Interessendurchsetzung der Arbeitnehmer in internationalen Unternehmen (Ford-Streik). c) Gesellschaft:
Probleme: Bildung einer übernationalen Gesellschaftsstruktur, gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Interaktionen, an ähnlichen Präferenzen, Erwartungen, Absichten, Identifikationen, Denkweisen, Attitüden, Werthaltungen, Sozialisationsmustern.
Vergleich der europäischen Gesellschaftssysteme unter konvergierenden einigungspolitischen Aspekten.
Fragen der Mitbestimmung in Schulen, Betrieben und Verwaltungen.
Europa-Pläne gesellschaftlicher Großgruppen: Verbände (Gewerkschaften, Arbeitgeber), Kirchen, politische Parteien, Europa-Union.
Kritik gesellschaftlicher Gruppen, besonders der Jugendlichen: gegen fehlende Legitimation und Partizipation, gegen wirtschaftliche Konzentration (Multis, Banken).
Bearbeitung von Sektoren:
Sozialpolitik (Europäischer Sozialfonds): freie Wahl des Arbeitsplatzes, Niederlassungsfreiheit (vgl. Sozialpolitisches Aktionsprogramm der EG).
Bildungspolitik: gegenseitige Anerkennung der Diplome, Austauschprogramme, Ausbildungsplätze (Bildungspolitisches Aktionsprogramm der EG), Kinder ausländischer Arbeitnehmer in deutschen Schulen.
Jugendaustausch und seine völkerverbindende Kraft (z. B. Abbau von nationalen Vorur-teilen durch Einblick in fremde Lebensverhältnisse). Internationales Unternehmensrecht als Movens gesellschaftlichen Wandels. Umweltschutz als Problem gemeinsamen (ökologischen) überlebens. d) Sicherheit, Verteidigung Gemeinsame militärische Sicherheitsbedürfnisse des Westens als Band des westeuropäisch-atlantischen Zusammenhalts. Nato (Atlantikpakt, Defensivbündnis; vgl. mit War-schauer Pakt; Waffen-und Truppenstärken, strategische Konzepte); Standardisierung der Waffensysteme und des Nachschubs, Entscheidungsfindungs-und Befehlsstrukturen (amerikanische Vorherrschaft in den Spitzen-positionen), Beitrag der Einzelstaaten (vgl. verteidigungspolitische Weißbücher der Bundesregierung); Bedeutung der Euro-Group in der Nato.
Internationale Sicherheit (Kampf gegen den Terrorismus).
Analyse der Nato-(Frühjahrs-und Herbst-) Konferenzen.
Produktion von Abschreckung mit Hilfe amerikanischer Atomwaffen (Strategie der „flexible response"; Neutronenbombe).
Vorschlag atomwaffenfreier Zonen in Zentral-europa. Problem der Flankenmächte: Griechenland, Türkei, Portugal (Spanien). Rechtsgarantien statt Militärallianzen? Gewaltfreie Verteidigung?
Aus dem Skizzierten sind folgende Lernziele abzuleiten:
Einsicht in — Strukturen und Strukturwandel internationaler Politik, — Voraussetzungen und Möglichkeiten kollektiver Sicherheit, — Folgen von Wettrüsten, Rüstungskontrolle und Abrüsten, — die Rolle der Bundesrepublik im internationalen Sicherheitssystem, — Formen internationaler Kooperation (Blockbildung), — das Erfordernis supranationaler Rechtssysteme, — die Notwendigkeit einer Entspannungspolitik. Erreicht werden soll ferner — die Bereitschaft zu internationaler Kooperation, Partizipation und Konfliktaustragung, — die Fähigkeit, politische, militärische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Daten und Konzeptionen auf ihren internationalen Gehalt hin zu analysieren. 4. Europa in den anderen Unterrichtsfächern Das fächerübergreifende, europazentrische Prinzip stellt keine Deformation der Fachsystematik dar. Es rückt lediglich einen wichtigen Aspekt in das Bewußtsein der Schüler. Es beabsichtigt auch keine unzulässige Politisierung der Fächer. Politisch sind sie — wenn auch selten zugegeben — eo ipso durch ihre Beschäftigung mit und Beurteilung von gesellschaftsrelevanten Problemen. Nur hat man dies qua staatlich verordneten Lehrplänen nie zugegeben, und die „erkenntnisleitenden Interessen" wurden nie offengelegt. Die Beschäftigung mit einer Sache „um ihrer selbst willen" bleibt politisch unverbindlich und ist im übrigen eine Illusion. Sie beruht auf einem nicht existenten Begriff von Neutralität wie von Voraussetzungsfreiheit und kann in dieser Hinsicht als ideologisch dekouvriert gelten. Sie ist politisch gefährlich, weil sie vorgibt, unpolitisch zu sein.
Die folgenden curricularen Vorschläge haben nur dann einen Sinn, wenn sie unter den vorstehenden Prämissen zu Zielsetzungen operationalisiert werden. Sie berücksichtigen nicht die Jahrgangsstufen und die in den einzelnen Schularten zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden. Sie gehen jedoch von dem — mit Einschränkungen verwendbaren — Brunerschen Prinzip der Lehrbarkeit der Unterrichtsgegenstände auf allen Unterrichtsstufen bei entsprechender Elementarisierung aus.
Geschichte: Deutscher Zollverein.
Internationalität von Adel, Geistlichkeit und Gelehrten, später der Arbeiterbewegung, von geistigen Bewegungen wie Humanismus, Renaissance, Aufklärung.
Konstitutionelle und revolutionäre Bewegungen im 19. Jahrhundert (1830, 1848) in Westeuropa. Die Industrialisierung Westeuropas im 19. Jahrhundert als Angleichung der Lebensverhältnisse. Flistorische Beispiele für großräumliche politische Einigung: USA, UdSSR, Osterreich-Ungarn, Hl. Römisches Reich deutscher Nation, Rheinbund.
Europa-Pläne im 20. Jahrhundert: Coudenhove-Kalergi (Pan-Europa), Briand/Stresemann, Widerstandsbewegungen.
Erdkunde: Grenzüberschreitende Wirtschaftsräume in (West-) Europa (z. B. Region Rhein Maas, Region Mittlerer und Südlicher Oberrhein, Regionen Basiliensis, Region Bodensee-Oberschwaben, Ems-Dollart-Region, Region Saar-Loir-Lux, Dänisch-deutsche Grenzzusammenarbeit). Sozialräumliche Strukturen in ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung (Lebensraumgeographie). Der Raum als Verfügungsräum sozialer Gruppen. Verkehrsgeographische Zusammenhänge in Westeuropa unter einheitspolitischem Aspekt. Erforschung der Kulturlandschaften, Siedlungsstrukturen, sozialen Verhältnisse, Wanderungsbewegungen. Bevölkerungsgeographische Probleme in ausgewählten Sozialräumen. Umweltschutz — Umweltgestaltung — Umweltplanung (Ökologie), zusammen mit sozial-und wirtschaftsgeographischen Fragen einer Region.
Untersuchung von Einzelregionen.
Raumbewertung (Einsicht in die komplexen Zusammenhänge aller steuernden Eingriffe und Maßnahmen).
Religion:
a) katholisch Ubernationalität seit Stiftung der Kirche („Gehet hin und lehret alle Völker"). Herausbildung einer einheitlichen Hierarchie, in Westeuropa während der ersten christlichen Jahrhunderte (vgl. Konstantin, Karl d. Große, Karl V.).
Zeitalter der Glaubenskämpfe (Reformation und Gegenreformation in den westeuropäischen Ländern).
Entwicklung von Nationalkirchen (aber mit starker Bindung an Rom).
Offenheit der Kirche gegenüber dem westeuropäischen Zusammenschluß (EG) (Betreuung der Gastarbeiter).
Leisten von Entwicklungshilfe in struktur-schwachen Regionen (z. B. Irland, Süditalien). b) evangelisch Streben nach Ökumene im europäischen und weltweiten Rahmen (Hindernis der Zersplitterung in eine große Zahl von regionalen Einzelkirchen). Deutsch:
Lektüre von Autoren aus dem europäischen Raum.
Neuere Sprachen:
Lektüre fremdsprachlicher Autoren. Landeskunde im europäischen Vergleich. Politische Institutionen und ihre Funktionen. Politischer Beitrag der Parteien und Verbände, der Regierungen und der Parlamente zur europäischen Einigung.
Untersuchung der Außenpolitik im Hinblick auf die Einheit in Europa. Der Beitrag von Wirtschaft und Militär zur europäischen Wirtschafts-, Sozial-und Sicherheitspolitik.
Historische Gemeinsamkeiten der (west-) europäischen Staaten untereinander. 5. Methoden und Medien Im Sinne der Provokation einer (ideologie-) kritischen Haltung, eines europäischen Bewußtseins und konstruktiven Handelns wird für die Erarbeitung der curricularen Ziele die strukturell-funkionale Analyse für angemessen gehalten Ihr liegt ein Verständnis von Sozialwissenschaft zugrunde, wonach in der Empirie Strukturen aufgesucht und ihre Funktionen beschrieben werden. Da dieses Vorgehen auf Handlungsmotivation für eine die Wirklichkeit gestaltende Politik abzielt, darf es bei der Deskription nicht stehen bleiben. Es reicht also nicht aus, die Ergebnisse einer empirischen Analyse in ein System funktionaler Abhängigkeiten zu stellen, sondern man muß die Bedingungen für Entwicklungen aufzeigen, um dadurch Möglichkeiten für eine rationale Gestaltung der Politik zu suchen. Ein zweiter Schritt muß demnach die angegebenen Zielprojektionen in einen politischen Entwurf hineinnehmen. So wird der (dialektische) Bezug von Theorie und Praxis hergestellt bzw. gewahrt.
Die Beschreibung der Realität geschieht nach diesem Ansatz aus einer kritischen Position heraus und versucht, diese wiederum in handelnde Kritik umzuwandeln. Ihr inhaltliches Ziel ergibt sich aus dem je angestrebten Lernziel. Dabei sollte es primär um die Herausarbeitung gesellschaftlicher Funktionen und um die Rolle von Gruppen gehen, um Fragen wie: Welche Interessen verfolgen die verschiedenen sozialen Gruppen und Schichten bei der europäischen Einigungspolitik? Wem nützt oder schadet die Einigung in ihrer derzeitigen Form? Wie sind die Herrschaftspositionen verteilt? Welche Gesellschaftsordnung dient als politisch-soziales Leitbild? Welche Legitimation haben die gouvernementalen und nichtgouvernementalen Institutionen zur europäischen Politik usw.?
Es geht also nicht um bloße Zeitgeschichte, sondern um die Herausarbeitung gesellschaftlicher Interessenlagen und um den Entwurf alternativer Handlungsstrategien. Mit anderen Worten: Es kommt primär nicht auf das hermeneutische „Verstehen" des Status quo an, vielmehr auf Kritik und konstruktive Vorstellungen der Jugendlichen. Nur so können auf die Dauer notwendige Änderungsprozesse eingeleitet und die Europäische Gemeinschaft vor Stagnation bewahrt werden. Fruchtbare Ansätze bieten die sozial-und völkerpsychologischen, sozial-und wirtschaftsgeographischen, bildungspolitischen, nicht zuletzt die technologischen Momente. Sie beinhalten die eigentlichen Grundlagen einer europäischen Einigung neben den rein politischen Entscheidungen. Auf ihre Herausarbeitung wird die Unterrichtsorganisation Wert legen müssen, nachdem in unseren Tagen die Krise der europäischen Einigung — trotz eines bereinigten Verhältnisse zum Osten — etwa angesichts des Auftretens eines restaurativen Nationalismus erneut offenbar geworden ist.
Neben den bekannten Methoden der Beschäftigung mit Fragen der internationalen Politik — Projekt, Vorhaben, Bearbeitung von Texten, Statistiken, Bildmaterial usw. — empfiehlt sich die vergleichende Betrachtung von Kinderbüchern, Schulsystemen, der Lebensgewohnheiten, der Lehrlingsausbildung bis hin zur internationalen Mode. Reiseprospekte üben einen prägenden Einfluß auf die Meinungen über das Ausland aus. Die Analyse der Reportage eines Fußballspiels zwischen einer ausländischen und einer deutschen Mannschaft ermöglicht Aufschlüsse über die Darstellung eines fremden Landes.
Jedes Unterrichtsmodell über die europäische Einigungspolitik hat mit dem Problem der Komplexreduktion zu kämpfen. Die einzelnen Sektoren sind einerseits in sich so kompliziert und andererseits miteinander so stark verflochten, daß jeder Elementarisierungsversuch mit inhaltlichen Einbußen verbunden ist. Deshalb kommt es im Grunde auf die Einsicht in wenige fundamentale Tatsachen und Überzeugungen an:
1. Zu einem geeinten Europa gibt es keine Alternativen. 2. Ein vereinigtes Europa — dessen Endstruktur man heute noch nicht kennt — kann nur das Resultat eines längeren historischen und politischen Prozesses sein (ohne bereits Erreichtes zu gering zu bewerten).
3. Der Einsatz aller politischen Kräfte für das anzustrebende, ständig zu modifizierende Endziel ist erforderlich.
4. Eine europäische Bewußtseinsbildung, eine (antizipatorische) Motivation zu einigungspolitischem Handeln sowie die Vermittlung von (Er-) Kenntnissen und Einsichten über die europäische Integrationspolitik sind vordringliche Aufgaben der politischen Bildung durch die Schule.
III. Exkurse
1. Europa in der außerschulischen Jugendbildung Das deutsch-französische Jugendwerk ist -bis her die einzige Organisation, die kraft des deutsch-französischen Vertrages von 1963 eine erfolgreiche internationale, außerschulische Dagegen Jugendarbeit betreibt gibt es heute im Bereich der und des -EG bis Euro parats keine europäische Jugendbehörde, keinen europäischen Jugendplan und keine ausreichenden Mittel für eine europäische Jugendbildung Jugendarbeit. Nicht zuletzt liegt es an den fehlenden Möglichkeiten und Ressourcen, daß die Jugendlichen sich von der europäischen Einigungspolitik abstinent halten. Die dadurch bewirkte Distanz führt zu Ablehnung und Uninteressiertheit, weil die Politik als ein etablierter Bereich gilt, die Komplexität und Undurchschaubarkeit ihrer Strukturen abschrecken, die unmittelbare Betroffenheit für den einzelnen schwer ersichtlich ist, die Einigung sich primär als ein -Kon fliktherd öffentlich darstellt, die zunehmende Bürokratisierung freie Aktivitäten verhindert. Dazu kommt die emotionale Distanz: Europa stellt sich dar als eine bürokratische Superorganisation, mit der die Jugendlichen sich nicht identifizieren können. Ferner fehlt ihnen — bei äußerlichen Selbstverständlichkeiten wie freie Grenzüberschreitungen, Reisen — das Bewußtsein von der historischen Notwendigkeit einer Einigung, weil sie den Status quo ante nicht kennen und für sie die Situation eines anhaltenden europäischen Friedens der Normalfall ist. Die Kontakte spielen sich auf der individuell-menschlichen Ebene ab (z. B. in Bildungsstätten, Europa-Häusern, Volkshochschulen, Jugendzentren, Freizeit-heimen, Lagern, Reisegruppen, Familien-, Arbeits-und Studienaufenthalten). Eine gezielte europäische Jugendbildung sieht daher ihren konkreten Auftrag im Erreichen folgender Lernziele: „ 1. Vermittlung von Kenntnissen über Entwicklung (historisch), Motivation, Strukturen, Zusammenhänge, Institutionen, Aspekte und Perspektiven der europäischen Integration (kognitiv, deduktiv).
2. Änderung der Bewußtseinshaltung (europäisches Bewußtsein) als Ausdruck erweiterter staatsbürgerlicher Solidarität, der Anerkennung andersartiger Lebensformen, Verhaltensnormen und Mentalitäten und einer Zuordnung Bundesstaat Europa als Schicksals-und Solidaritätsgemeinschaft zur Bewältigung von Gegenwarts-
und Zukunftsaufgaben (affektiv, induktiv).
3. Aktivierung der Bürger — einzeln oder in Gruppen — in einem Um-und Arbeitsfeld, welches er als ein Teil europäischer Staatlichkeit begreift, akzeptiert und positiv beurteilt im Gefühl direkter persönlicher Betroffenheit.“
Diese Lernziele sollen methodisch im Anschluß an die Hauptinteressenbereiche der Jugendlichen aus allen sozialen Schichten und Berufen operationalisiert werden:
„— Berufliche Fortbildung und damit zusammenhängende Karriere-und Verdienstmöglichkeiten.
— Erlebnishafte Freizeitgestaltung, besonders auch im Beziehungsfeld zum anderen Geschlecht, Tourismus, Reisen, Menschen und Länder kennenlernen.
— Bereiche von Hobbys, z. B. Fußball und Motorsport, Segeln usw., Musik, Mode, Wohnkultur, Abenteuer, Entdeckungsreisen
Für die problemorientierte Thematisierung europäischer Jugendbildungsmaßnahmen bieten sich an: Fragen der Jugendarbeitslosigkeit, des Wehrdienstes (und seiner Verweigerung), der Berufsfindung, -Vorbereitung und -ausbildung, der Drogensucht und Jugendkriminalität, der nationalen Vorurteile, der Manipulation durch Medien jeder Art, der Freizeit, der Emanzipation usw. 2. Europa als Gegenstand der Erwachsenenbildung Der korrespondierende Teil zur Jugendbildung ist die Erwachsenenbildung Jugend-bildung wird von Erwachsenen vermittelt und setzt somit deren eigene Aus-, Weiter-und Fortbildung voraus; ferner muß Erwachsenenbildung als Bestandteil des lebenslangen Lernens betrachtet werden. Die europäische Einigungsthematik ist jedoch, offensichtlich aus ähnlichen Gründen wie bei den Jugendlichen, selbst in den Bildungsveranstaltungen der Europa-Akademien zahlenmäßig unterrepräsentiert. Die Legitimation zu einer Verstärkung des Angebots liegt in der erwarteten politischen Teilhabe über ein reorganisiertes Europa-Parlament. Zu diesem Zwecke sind hinreichende Informationen und Kenntnisse über die politischen Systeme und die Machtverteilung, über politische Entscheidungen und Alternativen, über Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten usw. dringend erforderlich.
Die Frage nach der Motivierung Erwachsener läßt sich zwar an den erwähnten Zukunftsperspektiven anknüpfen, ist jedoch vom Status quo her recht gering; denn die europäische Integration ist kaum ein kontroverses Thema der öffentlichen Diskussion, die Massenmedien berichten spärlich darüber, die objektiven Vorteile werden inzwischen als subjektiv selbstverständlich hingenommen. Es wäre eine Thematisierung von Problemen anzustreben, die an menschliche Grundbedürfnisse anknüpfen — wie Sicherung der Existenz (Arbeitsmarktsituation), des überlebens und des Friedens, des Lebensstandards, der sozialen Gerechtigkeit und der individuellen Freiheit, der demokratischen Ordnung. All dies kann kollektiv im Rahmen einer übernationalen, einheitstiftenden politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Ausformung Gestalt gewinnen. In diesem Umfeld müssen sich die Lernziele bewegen, denen es zunächst auf ein elementares Verständnis der komplizierten Vorgänge ankommt. Nicht zuletzt sei auf die in unserem Lande sich ausbreitende Verbraucheraufklärung im wirtschaftlichen europäischen Bereich hingewiesen.
Ein Sonderfall der Erwachsenenbildung ist die Altenbildung Annähernd 20 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung befinden sich in der nachberuflichen Lebensphase und stellen ein erhebliches politisches (Wähler-) Potential dar. Deswegen darf politische Bildung, zu deren Themenbereich die europäische Integration gehört, diese Gruppe nicht vernachlässigen. Untersuchungen haben eine besondere Lernwilligkeit bei Frauen festgestellt, obwohl sie in der Altersgruppe über 60/65 in der Regel ein weit geringeres formales Qualifikationsniveau als die Männer haben. Gemäß der spezifischen Situation der Alten empfiehlt sich eine Bildungsarbeit mit ihnen unter folgenden Gesichtspunkten:
Das Gewinnen von „— Partizipation, d. h. die Fähigkeit und Möglichkeit der uneingeschränkten Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Vorgängen, — Unabhängigkeit, d. h. die Fähigkeit und Möglichkeit der autonomen Entscheidung über die eigene Lebenssituation, — Selbständigkeit, d. h. die Fähigkeit und Möglichkeit der kompetenten Wahrnehmung der grundgesetzlich verankerten Rechte und Pflichten, — Integration, d. h. die Fähigkeit und Möglichkeit der freien Interaktion und Kommunikation mit allen gesellschaftlichen Gruppen."
Das Handicap für die Motivierung alter Menschen liegt, ähnlich wie bei anderen Gruppen, in der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit der EG-Organisationen, der unzureichenden Mitbestimmung, der Unfähigkeit, das eigene Leben mit den supranationalen Einrichtungen in Beziehung zu bringen, zusätzlich in der altersbedingten Belastung durch ein stärkeres Maß an nationalen Vorstellungs-und Verhaltenskategorien.
Besondere Sorgfalt erfordert bei oft intellektuell ungeübten Menschen die Methode der Vermittlung. Der Lernerfolg läßt sich bei älteren Gruppen in Arbeits-und Gesprächskreisen durch den Einsatz technischer Medien (Fernseh-und Filmreihen, Videokassetten, Tonbilder, Tonbänder, Schallplatten, Funkaufnahmen) entscheidend steigern. Klarheit und Anschaulichkeit der Darbietung/Darstellung sollen die eigene Aktivität fördern. Auf diese Weise soll erreicht werden, wozu viele Alte vorher kaum Gelegenheit hatten:
— Vorurteile gegenüber Fremdartigem abbauen, — die Lebensweisen der Nachbarn kennenlernen, — Möglichkeiten der Kommunikation mit ihnen überprüfen (z. B. Reisen), — die Notwendigkeit einer politisch-gesellschaftlichen Einigung erkennen 3. Die „europäische Dimension" in den westeuropäischen Schulen Ein Blick auf die Situation der Verwirklichung der „europäischen Dimension“ im Schulunterricht des europäischen Auslandes läßt die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland in einem positiven Licht erscheinen. Generell ist zu bemerken, daß die Lehrer in den westeuropäischen Ländern, mit Ausnahme Großbritanniens, in starkem Maße vom Lehrplan und der zentralistisch organisierten Schuladministrationen abhängig sind. Dies bedeutet eine geringe inhaltliche Flexibilität, eine strenge Verpflichtung auf die vorgegebenen Themen. Hinzu kommt die Favorisierung des Frontalunterrichts, des Faktenwissens, der Reproduktion, die kaum entwickelte und zugelassene Mitwirkung der Schüler bei der Auswahl der Unterrichtsgegenstände, die Ignorierung selbständiger Arbeitsformen usw. Ein politischer Unterricht ist weitgehend unbekannt. Was bleibt, sind Hinweise in den verschiedenen Fächern der Lehrpläne auf die Erwähnung Europas. Dies hat bestenfalls eine institutionenkundliche, historisierende Bearbeitung zur Folge, unter Ausschaltung der aktuellen politischen Dimension, die ohnehin in den Schulen der westeuropäischen Staaten für suspekt, weil vermeintlich parteiisch, gehalten wird. Nun darf man freilich aus einer defizitären Unterrichtssituation nicht auf ein entsprechendes politisches Verhalten schließen. Das Bemühen der europäischen Behörden, des Europäischen Erzieherbundes, des Centre d'Education Europeenne (Brüssel) richtet sich nicht auf das unmögliche Unterfangen einer Veränderung der Lehrpläne, sondern auf die Verdeutlichung dessen, was als „europäische Dimension" bezeichnet werden kann. Dabei , geht es hauptsächlich darum aufzuzeigen, mit welchen Akzenten im Sinne der europäischen Integration die vorhandenen Themen zu versehen sind. Die Bedeutung dieser nicht-gouvernementalen Aufklärungsarbeit ist auch daran erkennen, B.der Europäische zu daß z.
Schultag nur in der Bundesrepublik Deutsch -
land von den Kultusministern, d. h. von staatlicher Seite, unterstützt wird, überall sonst ist er den privaten Organisationen überlassen.
Auf der anderen Seite machen die westeuropäischen Staaten im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland große Anstrengungen bei der (postschulischen, universitären oder administrativen) Ausbildung ihres Nachwuchses für europäische Führungspositionen. Wo demnach ein unmittelbares politisches Interesse vorliegt, reagieren diese Länder angemessener. Ein Beispiel für Veränderungen im lehrerbildenden Bereich liefert das Centre for Contemporary European Studies an der University of Sussex Hier wurde angesichts der Erkenntnis, daß die Lehrpläne der britischen Schulen, obwohl stark von der Einzel-schule bestimmt, Europa vernachlässigen, ein Service-Centre eingerichtet. Den letzten Anstoß gab der Beitritt Großbritanniens zur EG 1973. Dies geschah schulisch auf interdisziplinäre Weise in den sog. European Studies, die die traditionellen Fächer Geschichte, Erdkunde, Sozialwissenschaften, Wirtschaft und Sprache umfassen. Zu diesem Zweck wurde eine Schools Unit an der University of Sussex etabliert, die in erster Linie die Beratung der Lehrer für die neue europäische Dimension übernommen hat, und zwar durch das Ausleihen von Literatur, Unterrichtsmedien, durch Lehrertagungen, eine Zeitschrift, ein Handbuch über Informationsquellen; aber bisher wurden keine Curricula oder Unterrichtsreihen erarbeitet. 4. Initiativen der europäischen Organe Insgesamt zeigt sich ein merkwürdiges Bild: Die Nichtübereinstimmung von internationaler (Einigungs-) Politik und schulischer Repräsentanz, von einstimmiger Annahme z. B.des Bildungspolitischen Aktionsprogramms der EG durch Beschluß der europäischen Erzie32) hungsminister vom 9. Februar 1976 und der darin erhofften Verbreitung der „europäischen Dimension" im Unterricht sowie anderer Resolutionen, z. B. über den Fremdsprachenunterricht, den Lehrer-und Schüleraustausch, und deren noch ausstehende Realisierung durch konkrete schulpolitische Maßnahmen in den Mitgliedsländern '
Nach einem Vorschlag der EG-Kommission den vom Juni 1978 an Rat 8. soll die Europäische Gemeinschaft als Unterrichtsgegenstand behandelt werden. Der Unterrichtsstoff soll danach drei auf die gesamte Schulzeit aufzuteilende Hauptgebiete umfassen: ,, a) Die Gemeinschaft in ihrem europäischen Zusammenhang: historische und politische Zusammenhänge, die zur Gründung der Gemeinschaft führten; Ziele der Gründer; die Rolle der Gemeinschaft im Verhältnis zu anderen Regierungsebenen (kommunal, regional, national); die Gemeinschaft als Rahmen für gemeinsame Aktionen, bei denen die menschlichen, kulturellen und nationalen Eigenheiten gewahrt bleiben; Beziehungen zu anderen Ländern und Gebieten Europas. b) Tätigkeiten der Gemeinschaft; ihre Befugnisse und Entscheidungsmechanismen; institutionelle Entwicklungen (einschließlich Direktwahlen) und ihre Auswirkungen; wichtigste Leistungen und Probleme der Gemeinschaft; Auswirkungen auf das Leben ihrer Bürger; Probleme ihrer künftigen Entwicklung. c) Die Gemeinschaft im weltweiten Rahmen; Beziehungen zu den Supermächten, anderen Industriestaaten und Entwicklungsländern; ihre Rolle in bezug auf die Vereinten Nationen und sonstige internationale Organisationen; Vergleich mit anderen regionalen Gruppierungen."
Diese Gegenstände sollen systematisch in die Lehrpläne aller Mitgliedstaaten einbezogen, ein gemeinschaftliches Lehrplanentwicklungsprogramm durchgeführt und sie in der Lehrer-bildung berücksichtigt werden. Ferner sollen Lehr-und Lernmittel entwickelt und der Unterricht über die Gemeinschaft an das EG-Bildungsinformationsnetz angeschlossen werden
Wolfgang W. Mickel, Dr. phil. habil., geb. 1929, derzeit Professor für Wiss. Politik in Karlsruhe. Buchveröffentlichungen u. a.: Politische Bildung an Gymnasien 1945— 1965, Stuttgart 1967 (Bildungssoziologische Forschungen Bd. 2); Methodik des politischen Unterrichts, 3. völlig veränd. u. erweit. Aufl. Frankfurt/M. 1974; Lehrpläne und politische Bildung. Ein Beitrag zur Curriculumforschung und Didaktik, Neuwied 1971; Europäische Einigungspolitik, 2 Bde., Neuwied 1974/78; Konfliktfeld: Internationale Politik, Neuwied 1974; (Hrsg.) Europäische Bildungspolitik, Neuwied 1978; Politik und Gesellschaft. Lehr-und Arbeitsbuch für den historisch-politischen Lernbereich (S II), Bd. 1, Frankfurt/M. 197910, Mithrsg, von Bd. 2, Frankfurt/M. 197910; (Hrsg.) Arbeitsbuch: Politik (S I), Düsseldorf 19784. — Mithrsg, der Luchterhand Arbeitsmittel für Studium und Unterricht.
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