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Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative | APuZ 22/1980 | bpb.de

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APuZ 22/1980 Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative Sozialdemokratisches Verfassungsverständnis zwischen Reichsgründung und Nationalsozialismus Carl von Clausewitz und die Auswirkungen seiner Theorie vom Kriege Gedanken zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 1. Juni 1980

Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative

Josef Becker

/ 41 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Urteil über Heinrich Brüning, den Reichskanzler der Jahre 1930— 1932, ist in der Geschichtsschreibung noch heute gespalten. Dem Verdikt, daß der westfälische Zentrumspolitiker die eigentlich negative „Schicksalsfigur" der Weimarer Republik in deren Endphase gewesen sei, steht die Auffassung gegenüber, daß Brüning nicht als „Schrittmacher" Hitlers gesehen werden könne und die Reichspolitik der Jahre 1930— 1932 nicht an einer von Anfang an verfehlten innen-und außenpolitischen Konzeption, sondern an Strukturproblemen gescheitert sei, die sich vor allem aus den historischen Vorbelastungen der ersten deutschen Demokratie durch die politischen Traditionen des Bismarck-Reiches ergaben und die eine radikale Zuspitzung im ökonomischen, sozialen und politischen Bereich während der Weltwirtschaftskrise erfuhren. Die vorliegende Würdigung Brünings (aus Anlaß seines 10. Todestages und des 50. Jahres-tages seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. März 1980) sucht vor allem den eng begrenzten Handlungsspielraum der Reichsregierung in den Jahren 1930— 1932 deutlich und auf diese Weise verständlich zu machen, warum der Brüning-Kurs als konservative Alternative zu der liberal-sozialen Option Stresemanns (nach deren Fehlschlag in der Innen-und Außenpolitik) scheiterte. Dabei wird nicht zuletzt — auf Grund neuester Forschungen des Münchener Wirtschaftshistorikers K. Borchardt — die umstrittene Wirtschafts-und Finanzpolitik der Regierung Brüning in einen größeren Zusammenhang eingeordnet und neu gewertet.

Am 30. März 1970 starb in einem kleinen Städtchen in Vermont im Nordosten der Vereinigten Staaten von Amerika Heinrich Brüning, der letzte damals noch lebende Reichs-kanzler der Weimarer Republik. Genau vier Jahrzehnte zuvor, am 30. März 1930, hatte Reichspräsident von Hindenburg dem damaligen Vorsitzenden der Reichstagsfraktion der Deutschen Zentrumspartei die Leitung des Berliner Kabinetts übertragen.

Mit den zwei Jahren der Kanzlerschaft Brünings verbinden sich noch in unserer Gegenwart tiefgehende historisch-politische Kontroversen. Denn zwischen 1930 und 1932 vollzog sich der Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung Hitlers von einer politischen Splittergruppe, die kaum jemand ernst nahm, zur größten deutschen Massenpartei; während der Amtszeit der Regierung Brüning entwikkelte sich im Rahmen der weltweiten Depression seit dem „Schwarzen Donnerstag“ der New Yorker Börse vom Oktober 1929 eine nationale Wirtschaftskrise, die mit sechs Millionen Arbeitnehmern ein Drittel aller Beschäftigten im Reich zur Arbeitslosigkeit verurteilte und Deutschland an den Rand des ökonomischen Zusammenbruchs führte; und in diesen zwei Jahren (1930 bis 1932) spitzten sich unter dem Druck der wirtschaftlichen Not, der politisch-sozialen Gegensätze, der ideologischen Zerrissenheit und als Folge der nicht verstandenen Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg die strukturellen Grundprobleme des Weimarer Parteienstaates zur Existenzkrise der ersten deutschen Demokratie zu.

Ist Brüning daher nicht — wie noch jüngst formuliert wurde — die eigentliche negative „Schicksalsfigur" der Weimarer Republik? Gingen Republik und Demokratie nicht bereits zu Ende, als im Frühjahr 1930 die Große Koalition unter Hermann Müller (SPD) scheiterte und der Reichspräsident danach ein „HindenburgKabinett" unter dem Zentrumspolitiker Brüning berief — ohne Bindung an eine Parteien-koalition? War Brüning nicht der entscheidende Schrittmacher Hitlers, der mit einer verfehlten Wirtschafts-und Finanzpolitik die Massen der Demokratie entfremdete und sie erst reif machte für die politischen Demagogen in den totalitären Parteien rechts und links?

Oder bot etwa — so eine Gegenposition — seine Kanzlerschaft eine letzte Chance zur Rettung des Rechtsstaats und der Demokratie? Und wurde er nicht von unverantwortlichen Kräften und einem greisen Reichspräsidenten in dem Augenblick gestürzt und fallen-gelassen, als er „hundert Meter" vor dem Durchbruch in der Außenpolitik und damit auch vor der Chance stand, durch die grundlegende Revision des Versailler Vertrags die innere Stabilisierung der Republik zu erreichen? Dies sind noch heute die Fragen, um die die Diskussionen über Brünings Rolle in der Geschichte der Auflösung der Weimarer Republik kreisen. Die zehnte Wiederkehr von Brünings Todestag und der 50. Jahrestag seiner Ernennung zum Reichskanzler bieten den Anlaß zu dem Versuch, die Rolle dieses westfälischen Politikers in einer entscheidenden Wendezeit unserer jüngsten Vergangenheit zu würdigen

I. Brünings politischer Werdegang

Die Ernennung Brünings zum Reichskanzler zeigte einen Generationenwechsel in der Leitung der deutschen Politik an. Brüning war der erste deutsche Reichskanzler, der nicht bereits vor 1918 parteipolitisch oder in hohen wirtschaftlichen bzw. kommunalen Ämtern tätig gewesen war. Er war zugleich der erste Regierungschef, der als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte und zur sogenannten „Frontgeneration" zählte, deren Vertreter — soweit sie nicht als politisch Entwurzelte zur extremen Rechten stießen — sich Mitte der zwanziger Jahre in den Weimarer Parteien anschickten, Einfluß zu gewinnen und nach neuen politischen Formen auf dem Boden der Weimarer Verfassung zu suchen (wie z. B. Julius Leber, Carlo Mierendorff, Kurt Schumacher in der SPD, G. R. Treviranus in der Deutschnationalen Volkspartei).

Brüning wurde 1885 in Münster in Westfalen als letztes von drei Kindern einer katholischen Kaufmannsfamilie geboren. Er hatte nach dem Abitur am Gymnasium Paulinum in Münster zehn Jahre lang in München, Straßburg und Bonn studiert und in der damals noch kleinen Universitätsstadt im preußischen Rheinland 1914 in Nationalökonomie promoviert. Ferienaufenthalte in Frankreich und in England hatten seinen Horizont geweitet Sie sollten ihn zu einem der wenigen führenden Nachkriegspolitiker machen, die sowohl Frankreich wie Großbritannien aus eigener Anschauung kannten und vor allem mit britischer Mentalität vertrautwaren — ein Vorteil, den er vor allem in den außenpolitischen Beziehungen mit London hervorragend zu nutzen verstand.

Während des Ersten Weltkrieges wurde Brüning trotz konstitutioneller körperlicher Schwächen als Kriegsfreiwilliger an der Westfront eingesetzt wo er zuletzt als Leutnant eine kleine Eliteeinheit von Maschinengewehrschützen kommandierte. Wie für viele Intellektuelle seiner Generation gewann das sogenannte Fronterlebnis auch für ihn eine prägende Kraft. Der Zusammenbruch der Hohenzollern-Monarchie, den Brüning für vermeidbar hielt, und die militärische Niederlage des Reiches haben ihn tief getroffen. Er blieb Zeit seines Lebens ein Herzensmonarchist; als Politiker der Weimarer Zeit war er — wie viele andere — Vernunftrepublikaner.

In die Politik trat Brüning 1919 ein, als er persönlicher Referent bei dem preußischen Wohlfahrtsminister Adam Stegerwald wurde. Der Zentrumspolitiker Stegerwald war Führer der christlichen Gewerkschaften, die sich 1919 im Deutschen Gewerkschaftsbund eine Dachorganisation gegeben hatten. Die Geschäftsführung dieses Deutschen Gewerkschaftsbundes hatte Brüning zwischen 1920 und 1929 inne. Er war in dieser Zeit beteiligt an dem Entwurf für die Bildung einer neuen interkonfessionellen, christlich-nationalen und antisozialistischen Volkspartei; das Konzept für diese neue Partei wurde auf dem Essener Kongreß der Christlichen Gewerkschaften 1920 vorgetragen.

Kernpunkt dieses „Essener Programms“ war die Forderung, das traditionelle deutsche Vielparteiensystem durch die Zusammenfassung der „Richtungen Ketteier, Stöcker und Naumann“ in einer Volkspartei konservativen, aber antireaktionären Gepräges zu konsolidieren. Christlich, national und sozial sollte die Signatur dieser demokratisch-antisozialistischen Partei sein. Christlich — das hieß zunächst „interkonfessionell“ im Gegensatz zur Zentrumspartei, der Stegerwald wie Brüning angehörten; christlich — das bedeutete auch die Überzeugung von der Notwendigkeit hoheitlicher Ordnungsfunktionen des Staates und seine Anerkennung als einer nicht völlig freiverfügbaren Herrschaftsinstitution; christlich — das meinte schließlich die Verpflichtung auf normative Maßstäbe in einer sich mehr und mehr selbst relativierenden Kultur und Gesellschaft National — das umschrieb auf dem Feld der Außenpolitik den Kurs einer aktiven Balance zwischen Ost und West in der Tradition der Bismarckschen Außenpolitik und vor allem einen ausgeprägten Revisionismus gegenüber dem Versailler System. National — das hieß im Bereich der Verfassungspolitik eine deutliche Skepsis gegenüber den Traditionen der Französischen Revolution wie der 48er Revolution, Orientierung an einer „organischen" Demokratie und an den Ideen der Selbstverwaltung aus der Zeit der preußischen Befreiungskriege. Sozial — das umschrieb die Verwerfung eines radikalen Individualismus und statt dessen die Pflege einer organisch gegliederten „Volksgemeinschaft", die sich in ähnlicher Weise über den unvollendeten Nationalstaat Bismarcks mit seinen sozialen Antagonismen und der gesellschaftlichen und politischen Deklassierung einzelner Volksteile erheben sollte wie über die vom Klassenkampf erschütterte Weimarer Republik.

Die historische Bedeutung des „Essener Programms" liegt nicht allein darin, daß es den bedeutsamsten Versuch von demokratischer Seite darstellte, durch eine weitreichende Umgestaltung des deutschen Parteiensystems eine adäquate Antwort auf die Parlamentarisierung des Reichs zu finden. Männer wie die Volkskonservativen Lejeune-Jung, Schlange-Schöningen und die Gewerkschaftler Jakob Kaiser, Max Habermann und Bruno Letterhaus haben Grundideen jener Bestrebungen in der Widerstandsbewegung gegen Hitler lebendig erhalten. Soweit sie nicht der nationalsozialistischen Tyrannis zum Opfer fielen, setzten sich diese Männer nach 1945 für die Neuformierung des deutschen Parteiwesens im Sinne des „Essener Programms" ein — unterstützt auch durch die Autorität des ehemaligen Reichskanzlers Brüning, der als letzter Vorsitzender der Zentrumspartei vor 1933 aus dem amerikanischen Exil sich dezidiert gegen die Restauration einer Partei auf konfessioneller Grundlage aussprach.

Aufgrund seiner Position in der Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes war Brüning 1923 wesentlich mitbeteiligt an der Organisation des passiven Widerstands gegen die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebietes. Ein Jahr danach übernahm er für die Zentrumspartei in einem schlesischen Wahlkreis ein Mandat im deutschen Reichstag. Hier hat er sich als besonderer Sachkenner der Finanz-fragen innerhalb kurzer Zeit eine einflußreiche Stellung geschaffen. Sie kam allerdings weniger im Plenum als in der Ausschußarbeit und in der informellen Nutzung interfraktioneller Querverbindungen zur Geltung. An der Jahreswende 1926/27 konnte Brüning bereits mitgestaltend in den Prozeß der Koalitionsund Kabinettsbildung eingreifen. Aus Ungeduld über die jährlichen Regierungskrisen in Berlin und wegen des Versuchs der SPD, die Reichswehr einer strikten parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen, war Hindenburg schon ein Jahr nach seinem Amtsantritt als Reichspräsident geneigt, ein Beamtenkabinett unabhängig von den Parteien zu ernennen. Der Leiter der Wehrmachtabteilung und spätere Kanzlermacher und Kanzlerstürzer Schleicher beriet bereits während dieser dritten Weihnachtskrise in unmittelbarer Folge den Reichspräsidenten im Sinne eines Kampf-kabinetts, das notfalls unter Einsatz des „Diktaturartikels” 48 der Weimarer Verfassung ohne jede Rücksicht auf das Parlament regieren sollte. Brüning wirkte mit am Zustande-kommen einer parlamentarischen Lösung, die erstmals und letztmals (mit Ausnahme der Demokraten) die Kräfte in einer Mehrheitskoalition zusammenführte — Zentrumspartei, Bayerische Volkspartei, Deutsche Volkspartei und Deutschnationale Volkspartei —, die 1920 mit dem „Essener Programm" angesprochen worden waren und auf die sich Brüning während seiner Kanzlerschaft zunächst und vor allem zu stützen suchte. Hauptträger des Bürgerblocks in der Deutschnationalen Volkspartei waren die gleichen Politiker — Graf Westarp, Treviranus, Schiele, Lambach —, die auch später, 1930, Brüning eine schmale rechte Basis liefern sollten.

Es stellt einen der kritischen Posten in der innenpolitischen Bilanz Gustav Stresemanns als der damals dominierenden Figur der deutschen Politik dar, daß er die . Chance des Jahres 1927/28 für eine Integration der „nationalen Opposition" auf dem Boden der Weimarer Verfassung nicht konsequenter ergriff und den Bürgerblock aus außen-wie aus kulturpolitischen Erwägungen nach einem Jahr scheitern ließ. Im Grunde liegt hier — und nicht erst beim Zerfall der Großen Koalition 1930 — der eigentliche Wendepunkt in der innenpolitischen Entwicklung der Weimarer Republik Denn nachdem die SPD 1918/19 auf die soziale Revolution verzichtet hatte, nachdem das Rückgrat des monarchischen Staates, die Armee, in ihrer Sonderstellung ebenso intakt geblieben war wie die in den Traditionen des Obrigkeitsstaates lebende Bürokratie und nachdem seit 1925 mit Hindenburg ein symbolischer Repräsentant des Ancien Regime „Hüter der Verfassung" war, konnte eine dauerhafte Konsolidierung der Demokratie nur durch eine Versöhnung des monarchischen Deutschland mit dem republikanischen Deutschland erreicht werden. Das Scheitern des „Bürgerblocks" 1928 führte im gleichen Jahr zum (hauchdünnen) Sieg Hugenbergs und der kompromißlosen Gegner der parlamentarischen Demokratie innerhalb der DNVP und damit zur Niederlage der konstruktiven Kräfte des deutschen Konservativismus im „nationalen Lager".

Schon zur Zeit der Regierungskrise 1926/27 hat man in der Berliner Ministerialbürokratie in Brüning den künftigen Reichskanzler erblickt; auch in der politisierenden Reichswehrspitze um Kurt von Schleicher betrachtete man spätestens seit 1929 den Finanzexperten der Zentrumspartei ebenfalls als einen kommenden Mann. Aber ins Rampenlicht der Öffentlichkeit trat der westfälische Politiker erst mit seiner Wahl zum Vorsitzenden der Zentrumsfraktion im Reichstag Ende 1929.

Dies geschah zwei Monate nach dem Tod von Außenminister Gustav Stresemann. Stresemanns Tod Anfang Oktober 1929 fiel zeitlich nahezu zusammen mit dem New Yorker Börsenkrach, der die Weltwirtschaftskrise ankündigte. In der historischen Rückschau signalisieren beide Ereignisse und ihre Koinzidenz das Ende des trügerischen Jahrfünfts einer scheinbaren Stabilisierung der Weimarer Demokratie zwischen dem Ende von Ruhrkampf, Inflation und Hitler-Putsch 1923 und Beginn der Weltwirtschaftskrise und Aufstieg der NSDAP. Das Auseinanderbrechen des Kabinetts der Großen Koalition unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller — der liberal-sozialen Option Gustav Stresemanns — im Frühjahr 1930 eröffnete die Schlußkrise der Weimarer Republik. Zum Kanzler der Krise wurde Heinrich Brüning.

II. Brünings Regierungsprogramm und verfassungspolitischen Ziele

Am 1. April 1930 stellte der Zentrumspolitiker im Reichstag sein Kabinett aus Vertretern eines Mitte-Rechts-Spektrums von der Deutschen Demokratischen Partei bis zum gemäßigten Flügel der Konservativen vor. Sein Programm erläuterte Brüning in einer kurzen Regierungserklärung: „Das neue Reichskabinett ist entsprechend dem mir vom Herrn Reichs-präsidenten erteilten Auftrag an keine Koalition gebunden. Doch konnten selbstverständlich die politischen Kräfte dieses Hohen Hauses bei seiner Gestaltung nicht unbeachtet bleiben. Das Kabinett ist gebildet mit dem Zweck, die nach allgemeiner Auffassung für das Reich lebensnotwendigen Aufgaben in kürzester Frist zu lösen. Es wird der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstag durchzuführen... Die neue Regierung wird Deutschlands Lebensinteressen in organischer Weiterentwicklung der bisherigen Außenpolitik aktiv vertreten... Loyale Durchführung der internationalen Vereinbarungen, Klärung und weiterer Ausbau unseres Verhältnisses zu allen Staaten, zu denen wir in freundschaftlichen, vertraglichen und wirtschaftlichen Beziehungen stehen, Förderung internationaler Zusammenarbeit, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiete zur Erleichterung der schwierigen Lage der eigenen mit der Weltwirtschaft eng verknüpften Wirtschaft, das sind die Grundlinien dieser Außenpolitik ... Innenpolitisch gibt unsere Lage angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Notstände und der mit ihnen verbundenen radikalen Strömungen Anlaß zu besonderer Wachsamkeit ... Die Reichsregierung fühlt sich stark genug, mit den Mitteln, welche das Grundgesetz unserer staatlichen Ordnung, die Weimarer Verfassung, der deutschen Republik zur Verfügung stellt, allen gefahrvollen Bedrohungen entgegenzuwirken.''

Finanz-und wirtschaftspolitisch kündigte die Regierungserklärung rigorose Sparvorschläge auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zur Sanierung der Finanz-und Kassenlage von Reich, Ländern und Gemeinden, die Förderung des gewerblichen Mittelstandes und ein durchgreifendes Hilfsprogramm für die Landwirtschaft vor allem in Ostdeutschland an. Brüning bezeichnete die finanz-, wirtschaftsund sozialpolitischen Pläne der Regierung als eine Einheit und kündigte an: „Die Reichsregierung wird an diesen Vorschlägen und an ihrer schnellsten Durchführung unter allen Umständen festhalten. Sie ist gewillt und in der Lage, alle verfassungsmäßigen Mittel hierfür einzusetzen.''

Regierungsbildung und Regierungserklärung machten deutlich, daß das Reich innen-und verfassungspolitisch an einer Wende stand: Das neue Kabinett beruhte nicht mehr auf der Basis einer festen Mehrheits-oder Minderheitskoalition, wie dies der dominierenden Tradition des Weimarer Parlamentarismus entsprochen hätte. Zur Durchsetzung seines politischen Reform-und Krisenprogramms standen Brüning der Appell an die Kooperationsbereitschaft der Parteien, die Anwendung „aller verfassungsmäßigen Mittel" — d. h.der Einsatz des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung 4a) — und die Auflösungs-ordre Hindenburgs für den Reichstag zur Verfügung. Diese Wende zu einer autoritären „Regierung über den Parteien" entsprach den Vorstellungen des greisen Hindenburg und seiner Berater. Stresemann hatte schon drei Jahre zuvor die Parteien gewarnt, daß der Reichspräsident des circulus vitiosus jährlicher Regierungskrisen und Kabinettswechsel müde sei; scheitere die Große Koalition — die bereits 1923 in der extremen Notsituation von Ruhrkampf, Inflation und Hitler-Putsch nach kurzer Zeit zerbrochen war — noch einmal, dann sei ihr das grundsätzliche Ende beschieden. 1928/29 ein letztes Mal mühsam von Stresemann zusammengeschmiedet, sollte die Große Koalition im Frühjahr 1930 an den Gegensätzen der Flügelparteien SPD und DVP und damit an dem Antagonismus von Arbeitnehmern und Industriekapital zerbrechen. Vor allem aber entsprach die Wende zu einem Präsidialkabinett den Wünschern der Grauen Eminenz in der ReichswehrfühFing, Kurt von Schleicher. Schleicher hatte schon im Frühjahr 1929 versucht, Brüning für den Gedanken eines Präsidialkabinetts zu gewinnen; es sollte bei der Neuregelung der Reparationsfrage durch den Young-Plan die finanziellen Interessen der Reichswehr sicherstellen, die notwendigen Wirtschafts-und Finanzmaßnahmen mit Hilfe des Artikels 48 durchziehen und auch nicht davor zurückscheuen, mit Hilfe des Diktatur-artikels verfassungsändernde Maßnahmen zu ergreifen.

Brüning hatte diese frühen wie auch gleichgerichtete spätere Sondierungen Schleichers, die praktisch auf eine Militärdiktatur mit einer zivilen Spitze hinausliefen, unmißverständlich abgelehnt. Er teilte zwar die Kritik an dem plebiszitär-demokratischen Mißverständnis des parlamentarischen Systems in der Weimarer Verfassungspraxis. Bei der Übernahme des Kanzleramtes ging er daher auch aus eigener Überzeugung auf eine deutliche Distanz zu den Parteien. Aber seine Absicht war nicht die prinzipielle Negation des Parlamentarismus, sondern dessen Reform nach dem britischen Vorbild und entsprechend den Traditionen der konstitutionellen Monarchie in Deutschland. Der Einsatz von Notverordnungen gemäß Artikel 48 der Reichsverfassung sollte daher im wesentlichen auf die Felder der Finanz-, Wirtschaftsund Sozialpolitik beschränkt bleiben und als Waffe gegen Umsturzversuche von rechts oder links in Bereitschaft gehalten werden. In diesem Sinne war der Diktaturartikel bereits in der krisenerschütterten Konstituierungsphase der Weimarer Republik unter dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert in einer Vielzahl von Fällen angewandt worden. Auch Brünings Vorgänger, der sozialdemokratische Reichskanzler Hermann Müller, hatte in Übereinstimmung mit der überkommenen Verfassungspraxis die Absicht, den Artikel 48 bei der Bewältigung der heraufziehenden Wirtschaftskrise einzusetzen.

Brünings Ziel war nicht ein Dauerregiment mit dem Artikel 48. Er hoffte, die Basis seiner Mitte-Rechts-Regierung soweit in die Deutschnationale Volkspartei hinein verbreitern zu können, daß sich im Reichstag eine Mehrheit für ein sachlich und zeitlich begrenztes Ermächtigungsgesetz zur Bewältigung der wirtschaftlichen, finanziellen und sozialpolitischen Probleme fand. Auch derartige, präzis definierte Ermächtigungsgesetze hatten zu dem bewährten Kriseninstrumentarium von Reich und Ländern in den Anfangsjahren der Weimarer Republik gezählt. Zwar ist der Rückgriff auf Ermächtigungsgesetze in der Öffentlichkeit wie auch in den demokratischen Parteien vielfach als Beleg für das Defizit des parlamentarischen Systems an Krisenbewältigungskapazität angesehen worden. Aber Ermächtigungsgesetze, die von einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Reichstags getragen waren, boten den großen politischen Vorteil, daß sie den Rückgriff auf die „Reserveverfassung" des Artikels 48 überflüssig machten und die Exekutive nur mit parlamentarisch bewilligten Sondervollmachten ausstatteten. Das führte zu einer Stärkung der Führungsposition des Reichskabinetts gegenüber dem Parlament, ohne den Kanzler und seine Minister gleichzeitig in die wachsende Abhängigkeit vom Reichspräsidenten zu führen. Der Einsatz des Artikels 48 drohte aber nicht nur die Funktionen des Parlaments auszuhöhlen; da die Befugnisse des Diktaturartikels zu den Prärogativen des Staatsoberhauptes zählten, machte seine Anwendung über einen längeren Zeitraum den Reichskanzler letztlich von dem Willen des Reichspräsidenten und das hieß im Falle Hindenburgs: von der begrenzten politischen Einsicht eines greisen Militärs und den unkontrollierbaren Einflüssen einer militärisch-politischen Kamarilla in seiner Umgebung abhängig. Die politische Richtlinienkompetenz, die in der Verfassung dem Reichskanzler zugeschrieben war, die Hindenburg aber schon bald nach seiner Wahl in den traditionellen Reservatzonen des Monarchen — Wehrmacht und Außenpolitik — zu gewinnen suchte, drohte auf den Reichspräsidenten überzugehen.

III. Die „Katastrophenwahl" vom 14. September 1930 und ihre Folgen

Brüning hat das Ziel einer breiteren parlamentarischen Mehrheit und damit die Chance der Krisenbewältigung auf dem risikofreieren Weg eines Ermächtigungsgesetzes nicht erreicht. Der frühere Alldeutsche Hugenberg an der der Spitze Deutschnationalen Volkspartei steuerte einen Kurs prinzipieller Feindschaft gegen die parlamentarische Demokratie und Opposition Kabinett intransigenter gegen das Brüning. Sein Vorgänger, Graf Westarp, und Brünings Freund Treviranus konnten für ihre volkskonservative Abspaltung von der DNVP und damit für eine konstruktive Mitarbeit auf dem Boden der Weimarer Verfassung nur eine kleine Splittergruppe der nationalistisch-konservativen Wählerschaft gewinnen. Brünings ursprüngliches Konzept war gescheitert, als eine vorgezogene Reichstagsauflösung zur „Katastrophenwahl" des 14. September 1930 führte: Dominierende Elemente dieser Wahl waren die enormen Stimmengewinne der radikalen Flügelparteien rechts und links und vor allem der politische Erdrutsch zugunsten der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Hitlers; sie vervielfachte ihre Mandats-zahl im Reichstag von 12 auf 107 und wurde damit nach der Sozialdemokratischen Partei mit ihren 152 Abgeordneten zur zweitstärksten Partei im Reichstag. Um nahezu 50 Prozent konnte die Kommunistische Partei ihre Mandate von 54 auf 77 erhöhen. Bei leichten Gewinnen der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei mit zusammen 87 Mandaten erreichte die Konservative Volkspartei lediglich 4 Sitze im neuen Parlament. Die Hoffnungen auf eine breite und arbeitsfähige Mitte-Rechts-Mehrheit hatten getrogen.

Man hat es als einen der entscheidenden innenpolitischen Fehler Brünings bezeichnet, daß er — entsprechend seiner Ankündigung in der Regierungserklärung nach der Ablehnung einer durch negative, Notverordnung nicht regierungsfähige Parlamentsmehrheit aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen, SPD und KPD von der Auflösungsordre des Reichspräsidenten Gebrauch machte und in falscher Einschätzung der Wählertrends den Nationalsozialisten die Chance für ihren sensationellen Wahlerfolg lieferte. In der Tat beschränkten sich die Konsequenzen der „Katastrophenwähl" vom September 1930 nicht auf die grundlegenden Veränderungen in der parlamentarischen und parteipolitischen Landschaft; sie führten darüber hinaus zu einem starken Vertrauensverlust im Ausland, zum raschen Abzug einer großen Zahl kurzfristiger Auslandskredite und damit zu einer außerordentlichen Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Krise im Reich.

Zweifellos war bei der Entscheidung Brünings Reichstagsauflösung (wie auch zugunsten der noch in späteren Phasen seiner Kanzlerschaft) jene Natio Hitlers und des -Unterschätzung nalsozialismus mit im Spiele, die in allen politischen Lagern im In-und Ausland zur Signatur der Karriere Hitlers wurde. Aber hing die Massenwirksamkeit Hitlers und seiner totalitären Bewegung in der Zeit einer bislang nach Ausmaß und Tiefe nicht gekannten Weltwirtschaftskrise wirklich von einer starken Repräsentanz im Reichstag ab? Ist anzunehmen, daß der Aufstieg des Nationalsozialismus entscheidend gebremst worden wäre, wenn Demagogen wie Goebbels die Tribüne des Berliner Parlaments nicht zur Verfügung gestanden hätte und die NSDAP auf der Reichsebene nur die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition hätte spielen können? Diese Fragen stellen heißt doch wohl, sie zu verneinen.

Im übrigen hat die vorzeitige Reichstagswahl vom Spätsommer 1930 in einer für das Schicksal des Weimarer Parlamentarismus grundlegenden Frage keine entscheidenden Weichen gestellt: Sie hat die Chance einer Rückkehr zu einer parlamentarischen Mehrheitsregierung der Großen Koalition von der SPD bis zum Rechtsliberalismus nicht zerstört; denn diese Chance bestand schon seit dem Zerfall der Großen Koalition unter Hermann Müller im Frühjahr 1930 nicht mehr. Nicht nur waren die rechten und linken Flügelgruppen in der alten Stresemann-Partei und in der SPD aufgrund der sich verschärfenden politisch-sozialen Gegensätze nicht mehr zu einem politischen Minimalkonsens zu bewegen; Hindenburg hatte bereits der Regierung Hermann Müller zu verstehen gegeben, daß er ihr die Prärogativen des Präsidenten aus Artikel 48 nicht zur Verfügung stellen werde — seine Ablehnung einer Großen Koalition stand ebenso fest wie die der Reichswehrspitze, die sich in dieser Krisenzeit als stärkster Machtfaktor nach dem alten Konzept Seeckts und Schleichers immer mehr zum Zünglein an der Waage im politischen Kräftefeld entwickelte.

So hat die Reichstagswahl vom Spätsommer 1930 den Charakter der Regierung Brüning als eines Präsidialkabinetts über den Parteien besiegelt. Sie hat darüber hinaus in Verbindung mit der weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise der Republik jenen Prozeß beschleunigt, den der früh verstorbene Erlanger Historiker und Politologe Waldemar Besson einmal als die Wiederkehr des „Obrigkeitsstaats im Gewände des bürokratischen Notverordnungsregimes" bezeichnet hat Die notwendigen staatlichen Maßnahmen wurden im beschleunigten Tempo durch eine Vielzahl von Notverordnungen von der Ministerialbürokratie vorbereitet und vom Reichspräsidenten verkündet — der Reichsrat als die Vertretung der Länderregierungen erlangte zeitweise die Rolle eines konkurrierenden Organs zum Reichstag, dessen Sitzungsperioden erheblich verkürzt wurden.

Trotz dieses Prozesses einer fortschreitenden Verringerung der Funktionen der Volksvertretung nahezu auf die Kompetenzen des Bismarckschen Reichstags und trotz einer damit verbundenen außerordentlichen Stärkung der Machtposition des Reichspräsidenten hat Brüning bis zum Schluß seiner Regierungszeit über eine parlamentarische Notstandsmajorität verfügt. In Umkehr seiner ursprünglichen Zielsetzung gewann er nach der Katastrophenwahl vom September 1930, die eine Mitte-Rechts-Basis illusorisch gemacht hatte, ein parlamentarisches Mitte-Links-Fundament von den Volkskonservativen bis hin zur Sozialdemokratie. Verfassungspolitisch unterschied diese parlamentarische Basis die Regierung Brüning grundlegend von den beiden folgenden reinen Präsidialkabinetten Papen und Schleicher des Jahres 1932, die nicht mehr auf eine geschlossene Tolerierungsmehrheit im Reichstag rechnen konnten. Es war diese „Große Tolerierungskoalition", die alle Versuche von Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten vereitelte, durch die nachträgliche Verwerfung von Notverordnungen den Sturz des Kabinetts Brüning herbeizuführen und damit der Weimarer Staatskrise ihre entscheidende Zuspitzung zu geben. Daß die SPD diesen Tolerierungskurs trotz der damit verbundenen Wählererosion zugunsten von KPD wie auch NSDAP durchhielt, hat Brüning veranlaßt, später jede eigene Beteiligung an einer reinen Rechtsregierung mit antisozialdemokratischer Spitze abzulehnen.

Brünings besondere Wertschätzung führender Sozialdemokraten, die noch in den Memoiren des ehemaligen Reichskanzlers ihren auffallenden Niederschlag fand, stand auch im Zusammenhang mit der Unterstützung, welche die SPD 1932 Brüning in der Frage der Verlängerung der Präsidentschaft Hindenburgs zuteil werden ließ. Nichts macht das Dilemma der Weimarer Verfassungsparteien und ihren außerordentlich reduzierten Handlungsspielraum deutlicher, als daß sie in der Staatskrise der Republik die einzige Alternative zu einer Präsidentschaft Hitlers in der erneuten Kandidatur des 85jährigen preußischen Feldmarschalls sahen. Auch im historischen Rückblick erscheint es als ausgeschlossen, daß bei der Volkswahl des Reichspräsidenten auf dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Not im Frühjahr 1932 ein anderer Kandidat Hitler hätte Paroli bieten können. Dazu bedurfte es des Nimbus vom Tannen-berg-Sieger Hindenburg und jenes Mythos vom „treuen Eckart des deutschen Volkes“, den auch Brüning in den seine Kräfte verzehrenden zwei Präsidentschaftswahlkämpfen 1932 nährte. Seit der Publikation seiner Memoiren wissen wir, daß Brüning schon in dieser Schlußphase seiner Kanzlerschaft nicht mehr uneingeschränkt davon überzeugt war, daß Hindenburg immer im Vollbesitz seiner Kräfte war. Und offensichtlich hat Brüning auch schon seit der Jahreswende 1931/32 gelegentlich daran gezweifelt, daß Hindenburg auf die Dauer jener Mitte-Links-Kombination von den gemäßigten Konservativen bis zur SPD seinen Dank bezeugen würde, die ihn zwar gegen Hitlers NSDAP, aber auch gegen die nationalistische Rechte im Amt bestätigte. Es war allerdings weniger der Respekt des Reserveleutnants vor dem Marschall als das völlige Fehlen einer chancenreichen Alternative zu Hitler aus dem Lager der Verfassungsparteien, die Brünings Option zugunsten einer zweiten Präsidentschaft Hindenburgs letztlich erklärt

IV. Brünings Wirtschafts-und Finanzpolitik in der Weltwirtschaftskrise: internationale Rahmenbedingungen und nationale Voraussetzungen

Wie im Bereich der Innenpolitik so war auch auf dem Feld der Wirtschafts-und Finanzpolitik der Handlungsspielraum der deutschen Regierung in der Zeit der Weltwirtschafts-krise weitaus geringer, als es bei einer ersten Betrachtung erscheinen mag. Innere und äußere Faktoren, politische und wirtschaftliche Gründe wirkten zusammen, um einerseits dem Ablauf der Weltwirtschaftskrise in Deutschland ein besonders rasantes Tempo zu verleihen und um andererseits einer Wirt-9 Schaftspolitik des Gegensteuerns mit der Aussicht auf rasche Eindämmung und Bewältigung der Krise enge Grenzen zu setzen.

Im Gegensatz zu vielen volkswirtschaftlichen Prognostikern hatte Brüning früh erkannt, daß es sich bei der Wirtschaftskrise nach dem New Yorker Börsenkrach nicht um eine kurzfristige Rezession handelte, die — wie zuletzt 1926 — schnell wieder durch einen Aufschwung abgelöst werden konnte. Am 15. Juli 1930 erklärte er im Reichstag: „Eines ist sicher: daß das, was die Reichsregierung vor Wochen erkannt und ausgesprochen hat, sich immer mehr bestätigt, daß wir es nicht mit einer konjunkturellen Depression vorübergehender Art zu tun haben, sondern mit einem völligen Strukturwandel der gesamten Weltwirtschaft ... Das stellt jede Reichsregierung, wie sie auch aussehen mag, vor ungeheuerliche Aufgaben, und diese Aufgaben sind in vieler Beziehung weitaus schwieriger zu lösen und zu meistern als die Aufgaben des bisher schwersten Jahres der deutschen Republik, des Jahres 1923." Und am 13. Oktober 1931 rief Brüning im Hinblick auf die progressive Verschärfung der Wirtschaftskrise den Kommunisten und der Rechten im Reichstag zu: „Als ich ungewollt in schwerer Stunde diese Aufgabe übernommen habe, da bin ich mir der Konsequenzen bis zum letzten klar gewesen, und ich habe einem großen ausländischen Bankfach-mann, der mich vor der Situation warnte, damals gesagt: Ich weiß, daß ich eine Situation übernehme, die zu 90 Prozent verloren ist. Es ist nicht Schuld des Kabinetts Hermann Müller, des vorhergehenden Kabinetts, daß diese Situation so gewesen ist, sondern es liegt an den Fehlern, die insgesamt die öffentliche Hand und ein Teil der privaten Wirtschaft in den vergangenen sechs Jahren gemacht haben."

Es trifft in der Tat zu, daß die Weltwirtschaftskrise eine latente Krise der deutschen Volkswirtschaft virulent gemacht hat Seit dem Ende der Inflation in Deutschland 1923, also in den „goldenen zwanziger Jahren", ging die Arbeitslosenquote nie mehr auf das Vorkriegsniveau zurück. Selbst auf dem Höhepunkt der mit US-Dollars erborgten wirtschaftlichen Scheinblüte des Jahres 1927 blieb die Arbeitslosenziffer auf einer Höhe, wie sie zwischen 1887 und 1914 nicht einmal die konjunkturell schlechtesten Jahre gekennzeichnet hatte. Erst 1928, zehn Jahre nach dem Ende des Krieges, überstieg das Sozialprodukt je Kopf der Bevölkerung geringfügig das Niveau des Jahres 1913. Gleichzeitig blieb die Investitionstätigkeit als Indikator wirtschaftlicher Vitalität weit hinter den entsprechenden Ziffern aus der Zeit vor 1914 zurück. Dagegen hatte der staatliche Verbrauch je Kopf der Bevölkerung im Jahre 1928 gegenüber der Vorkriegszeit einen Zuwachs von 34 Prozent erfahren, der private Verbrauch immerhin eine Erhöhung um 16 Prozent Wie extrem labil die wirtschaftliche Gesamtsituation in der Weimarer Republik war, macht schließlich die Entwicklung der Arbeitsproduktivität deutlich: Sie erreichte bei gleichzeitigem Steigen der öffentlichen Ausgaben, der privaten Einkommen und des individuellen Konsums nicht einmal das Niveau der Vorkriegszeit Dieses extreme Ungleichgewicht in der deutschen Wirtschaft, das während der zwanziger Jahre durch den Zustrom amerikanischen Kapitals verdeckt wurde, macht die Vehemenz verständlich, mit der sich die Weltwirtschaftskrise nach 1929 im Deutschen Reich auswirkte. Wollte man nicht nur die sekundären Krisenphänomene kurieren, dann kam es offensichtlich darauf an, die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen zu verhindern und mit der Bewältigung der Weltwirtschaftskrise im nationalen Rahmen gleichzeitig die Strukturkrise der deutschen Wirtschaft zu bereinigen. Brüning hat in diesem Sinne die Weltwirtschaftskrise als eine Reinigungskrise der deutschen Volkswirtschaft zu nutzen und die Auswirkungen der globalen Depression wie die hausgemachte Wirtschaftskrise mit den Mitteln der klassischen Nationalökonomie zu überwinden versucht Deren Therapie-Instrument bestand vor allem in einer deflationären Finanz-und Wirtschaftspolitik. Rigorose Sparmaßnahmen auf allen Gebieten der öffentlichen Tätigkeit sollten die Ausgaben der öffentlichen Hand den sinkenden Einnahmen angleichen, Lohn-und Gehaltskürzungen die Gestehungskosten in der Wirtschaft vermindern und in Verbindung mit einer drastischen Reduktion der Importe eine positive Außenhandelsbilanz trotz des rapide schrumpfenden Weltmarktes sichern. Diese Deflationspolitik, das war Brüning und seinem Wirtschafts-wie dem Finanzminister klar, wirkte krisenverschärfend. Zwischen August 1929 und August 1930 erhöhte sich die Zahl der Arbeitslosen um mehr als zwei Millionen. Im November 1931 betrug die Differenz in der Arbeitslosenstatistik gegenüber dem November 1929 4, 4 Millionen. Im Winter 1931/32 erreichte die Arbeitslosigkeit mit über 6 Millionen Beschäftigungslosen ihren absoluten Höhepunkt.

Diese katastrophale Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit der für die Republik existenzbedrohenden Vervielfachung des politischen und sozialen Protestpotentials und der Anteil, den die Finanz-und Wirtschaftspolitik der Regierung Brüning an dieser Entwicklung hatte, werden noch heute gerne von Politikern aller Richtungen bei wirtschaftlichen Rezessionserscheinungen in der Bundesrepublik als abschreckende Beispiele zitiert. Man verweist auf die antizyklische Konjunkturlehre des britischen Nationalökonomen Keynes, wonach nicht die Sanierung und der Ausgleich aller öffentlichen Haushalte die volkswirtschaftlich angemessene Reaktion auf wirtschaftliche Depressionen darstellt, sondern im Gegenteil das deficit-spending des Staates, die Politik vermehrter Ausgaben der öffentlichen Hand durch Kreditaufnahme oder Kreditschöpfung zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung und Konjunkturbelebung. Aber wird man mit dieser Argumentation aus einem späteren Erfahrungshorizont den historischen Voraussetzungen und den politischen Rahmenbedingungen gerecht, unter denen 1930— 1932 Finanz-und Wirtschaftspolitik machbar waren? Im Oktober 1931 hieß es in einer Auseinandersetzung des „Vorwärts" mit dem wirtschaftspolitischen Konzept der Harzburger Front, die sich kurz zuvor aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Stahlhelm zum Sturm auf die Regierung Brüning und die parlamentarische Demokratie formiert hatte: Ihr „Programm heißt: Neue Inflation in Deutschland!... Hier ist die Inflationsfront zwischen Großagrariern, Schwerindustriellen und Faschisten geschlossen worden, und Herr Schacht führt sie! Der Faschismus bedeutet Inflation! Sein Ziel ist es, den Arbeitern Inflationslöhne zu zahlen, für die sie kaum Brot kaufen können, damit die bankrotten Industriellen und Großagrarier auf Kosten der Arbeiterschaft gesund gemacht werden können. Der Faschismus ist das Mittel zur politischen Knechtung der Arbeiterschaft, die Inflation ist seine wirtschaftliche Waffe gegen die Arbeiterschaft!

In dieser Wertung des sozialdemokratischen Zentralorgans wird zweierlei deutlich: Die Inflation in der Gründungsphase der Weimarer Republik hatte traumatische Wunden hinterlassen (die letztlich noch in der Stabilitätspolitik der Bundesregierungen der 70er Jahre latent fortwirken). Jede defizitäre Finanzpolitik zum Zweck der Arbeitsbeschaffung und zur Bremsung oder Umkehr des Konjunkturrückgangs stieß auf dieses Inflationstrauma, dessen Bedeutung nicht überschätzt werden kann. Gerade die politischen Kräfte der Mitte-Links-Kombination, auf die sich Brüning parlamentarisch abstützte, haben jede Gefährdung der Währung im Rahmen eines Konzepts der Arbeitsbeschaffung abgelehnt Die Führung der SPD — wie im übrigen auch die Labour Party in England — hat sich gegen jedes Experiment mit der Währung und gegen eine Gefährdung der Mark durch zusätzliche Staatsausgaben gewandt Erst im Frühjahr 1932, also in der Schlußphase der Kanzlerschaft Brünings, haben die Gewerkschaften sich zugunsten eines unkonventionellen Arbeitsbeschaffungsprogramms eingesetzt Für die gesamte Zeit der Brüningschen Kanzlerschaft gilt indessen, daß eine unorthodoxe, von der klassischen Lehre der Nationalökonomie abweichende Finanz-und Wirtschaftspolitik Brüning zu einem „Renversement des alliances“, zu einer grundlegenden parteipolitischen Neuorientierung gezwungen hätte: Er hätte seine Partner nicht mehr in der Mitte-Links-Kombination von Volkskonservativen, Zentrum, Demokraten, Deutscher Volkspartei und Sozialdemokraten, sondern in der Harzburger Front von Hitler, Hugenberg und Schacht suchen müssen.

Aber auch unabhängig von diesem parteipolitischen Aspekt entbehrt der etwas wohlfeile Problemlösungsoptimismus einer späteren Generation der realen Voraussetzungen. Brünings finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen zur Bewältigung der Krise entsprachen der herrschenden Lehre der Nationalökonomie. Außenseiter mit neuen Lösungsvorschlägen, deren krisendämpfende Wirkungen wir heute abschätzen können, meldeten sich erst im Frühjahr und Sommer 1931 zu Wort. Geht man davon aus, daß die Regierung Brüning damals derartige Konzepte übernommen hätte, dann bleiben die möglichen positiven Effekte für die politische Stabilisierung der Republik dennoch in hohem Grade fragwürdig: eine Änderung der konjunkturpolitischen Strategie der Reichsregierung im Sommer 1931 hätte mit Sicherheit nicht den Anstieg der Arbeitslosigkeit im Winter 1931/32 auf 33 Prozent der Beschäftigten verhindert. Bei dem Ausmaß der damaligen Krise hätten selbst massive staatliche Verschuldungsmaßnahmen zur Arbeitsbeschaffung und zum Anreiz der Nachfrage die konjunkturelle Bewegung innerhalb weniger Monate nicht erheblich beeinflussen können. Im optimalen Falle wäre die Talsohle der wirtschaftlichen Depression statt im Sommer 1932 einige Monate früher durchschritten worden. Im übrigen hatten auch die am weitesten gehenden Pläne für die Erhöhung der Staatsausgaben, selbst wenn sie von den Zeitgenossen als abenteuerlich inflationär beurteilt wurden, einen viel zu geringen Umfang, um rasch starke positive Wirkungen auf die Konjunktur ausüben zu können. So sahen die extremsten der Konjunkturförderungspläne 1932 eine Erhöhung der Staatsausgaben um rund 2, 3 Prozent des Bruttosozialproduktes aus dem Jahre 1929 vor — während der Rezession des Jahres 1975 haben alle öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik eine Nettokreditaufnahme von 5, 2 Prozent des Bruttosozialproduktes beschlossen, ohne daß die Arbeitslosenquote in kurzer Zeit nennenswert gesenkt worden ist. Der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt kam daher kürzlich zu dem Resultat, daß die Vorstellung, Hitlers Aufstieg hätte gleichsam mit wirtschaftspolitischen Tricks verhindert werden können, volkswirtschaftlich illusionär sei.

Ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der USA in den dreißiger Jahren bekräftigt dieses Urteil. Unter Roosevelts New Deal, der häufig als positives Gegenbild einer politisch-ökonomischen Krisenstrategie der Politik des Kabinetts Brünings entgegengestellt wird, schnellte die Arbeitslosenziffer im Jahre 1937/38 auf einen höheren Stand als bei der Amtsübernahme Roosevelts im Weißen Haus 1933. Erst 1942, ein Jahr nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten und im Zeichen der vollen Entfaltung der amerikanischen Kriegs-wirtschaft, ging die Arbeitslosigkeit in den USA auf das Niveau des Jahres 1928 zurück. Nicht zuletzt waren dem Reich für eine freie Gestaltung seiner Finanz-und Wirtschaftspolitik auch außenpolitische Fesseln angelegt: Im Zeichen des Versailler Vertrags und der Regelungen der Reparationsfrage durch den Dawes-und den Young-Plan 1924 und 1929/30 verfügte das Deutsche Reich nicht über die volle Souveränität auf dem Feld der Finanzpolitik. Seit dem Dawes-Plan von 1924 war das Reichsbankgesetz Teil eines internationalen Vertragssystems, das der Reichstag zuletzt noch 1930 mit der Annahme des Young-Planes zur Endregelung der Reparationen feierlich bestätigt hatte. Die Reichsbank, die allenfalls als innerdeutscher Kreditgeber für konjunkturbelebende Maßnahmen in Frage gekommen wäre, war Regierungseinflüssen weitgehend entzogen und konnte kraft Gesetz dem Staat keine nennenswerten Kredite gewähren. Leiter der Reichsbank war der frühere Reichs-kanzler Hans Luther, ein rigoroser Verfechter einer deflationären Austerity-Politik, den Hitler konsequenterweise 1933 sofort durch Hjalmar Schacht ablöste.

Als internationaler Kreditgeber in größerem Stil kam nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nurmehr das relativ spät von der Depression erfaßte Frankreich mit seinen außerordentlichen Goldreserven in Frage. Französische Kreditangebote, wie sie der Reichsregierung noch 1931 gemacht wurden, waren aber mit politischen Bedingungen verknüpft: Sie liefen auf eine Zementierung des Versailler Vertrags hinaus und verlangten damit von der Regierung Brüning, die Revisionspolitik als Kernbestand der Außenpolitik der Weimarer Republik preiszugeben. Hindenburg hat für den Fall der Aufnahme eines derartigen Kredits mit politischen Bedingungen seinen Rücktritt angedroht — Brüning seinerseits lehnte das französische Angebot grundsätzlich ab; er hätte im Falle einer Annahme seinen eigenen Sturz ratifiziert.

Experimente mit der Währung, etwa eine Abwertung der Mark, um die Chancen des deutschen Außenhandels und der deutschen Exportwirtschaft zu erhöhen, waren durch eine Bestimmung des Young-Plans untersagt, nach der der Goldwert der Mark aufrechtzuerhalten war. Die Alliierten, vor allen Dingen Frankreich, hatten durch diese Bestimmung sicherstellen wollen, daß der reale Wert der deutschen Reparationszahlungen nicht inflationär ausgehöhlt wurde. Stresemann hatte noch gehofft, durch eine Finanzpolitik am Rande des Defizits, unter Umständen auch durch einen kalkulierten Defizit-Etat, die Notwendigkeit einer Entlastung des Deutschen Reichs von den Reparationen nachweisen und die Alliierten zugunsten einer Revision der Reparationen gewinnen zu können. Diese Erwartung hatte sich nicht erfüllt. Bei den Verhandlungen um den Young-Plan 1929 hatte die schlechte Kassenlage die Reichsregierung in eine Zwangslage gebracht. Brünings deflationäre Finanz-und Wirtschaftspolitik entsprach den Bedingungen des Young-Plans und ist als vertragskonform von den alliierten Gläubiger-mächten immer wieder bestätigt worden.

Der Young-Plan hatte im übrigen für den Fall gravierender Vertragsverletzungen durch die Reichsregierung den Alliierten die Möglichkeit von Sanktionen gegenüber Deutschland Vorbehalten. 1930 waren die Rheinlande von den alliierten Besatzungstruppen geräumt worden. Keine verantwortungsbewußte Reichsregierung konnte das Risiko eingehen, daß auch nur Teile des westlichen Deutschland erneut als Pfänder für die Erfüllung des Versailler Vertrags besetzt wurden. Jede derartige Entwicklung hätte in Deutschland eine nationalistische Welle entfacht, die angesichts der weltweiten Renaissance des politischen und wirtschaftlichen Nationalismus in der Weltwirtschaftskrise die Fundamente der Weimarer Republik noch rascher und stärker erschüttert hätte, als dies nach 1929 ohnedies der Fall war.

V. Brünings Revisionspolitik nach dem Scheitern von Stresemanns ambivalenter Locarno-Politik

Young-Plan und Reparationsfrage weisen auf die außenpolitischen Determinanten der Innen-und Wirtschaftspolitik des Kabinetts Brüning hin, die der Kanzler selbst ganz unter dem Primat der Außenpolitik sah. Als Brüning im Frühjahr 1930 die Leitung der Reichsregierung übernahm, war zuvor bereits eine Phase der deutschen Nachkriegsaußenpolitik zu Ende gegangen, für die symbolisch der Name Gustav Stresemanns steht. Stresemann hatte nach dem gescheiterten Ruhrkampf 1923 jene Entspannungspolitik mit Frankreich in die Wege geleitet, die ihren Höhepunkt in den Locarno-Verträgen von 1925 und in der Aufnahme des Deutschen Reichs in den Völkerbund 1926 fand.

Diese deutsch-französische Entspannungspolitik war von zwei Voraussetzungen getragen: Erstens von einer Lösung der Reparationsfrage: sie wurde 1924 durch das europäische Engagement des amerikanischen Kapitals ermöglicht Die amerikanischen Anleihen boten nicht nur die Voraussetzungen für die Aufbringung und den Transfer der deutschen Reparationen; sie machten auch den wirtschaftlichen Wiederaufstieg aus dem Chaos der Inflation möglich und schufen so die relative wirtschaftliche Prosperität und soziale Stabilität, die für die Entspannungspolitik zwischen 1924 und 1929 die Grundlagen bildeten. Im übrigen beendete der Dawes-Plan die Phase der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte, in der Frankreich die Hegemonie auf dem europäischen Kontinent ausgeübt hatte. An die Stelle der französischen Hegemonie trat jetzt eine labile Gleichgewichtslage, in der die zunächst fortdauernde französische Präponderanz auf kürzere oder längere Sicht in Frage gestellt war. Die zweite Voraussetzung für das Funktionieren dieser Entspannungspolitik bestand darin, daß die Unvereinbarkeit der letzten Ziele der Politik Stresemanns und seines französischen Partners Briand nicht offen aufgedeckt wurde: Für die französische Politik sollten die Locarno-Verträge mit ihrer Anerkennung und Garantie der deutsch-französischen und der deutsch-belgischen Grenzen den Status quo des Versailler Vertrags stabilisieren; für Stresemann sollte die Locarno-Politik den Weg zur schließlichen Revision des Versailler Vertrags eröffnen. Stabilisierung des Status quo: das bedeutete für Frankreich die Sicherung seiner Vormachtposition auf dem europäischen Kontinent; Revision des Versailler Vertrags — das bedeutete für das Deutsche Reich kraft seiner größeren Bevölkerungszahl, aufgrund seines Reichtums an Bodenschätzen und dank seines überlegenen Industriepotentials die Rückgewinnung der Vormachtposition auf dem europäischen Kontinent, die 1918 verlorengegangen war.

So stellte die Locarno-Politik — wie es Jacques Barity kürzlich formulierte — ein „künstliches und instabiles Gebäude" dar, das stets vom Einsturz bedroht blieb, wenn ihm eines seiner wesentlichen Elemente entzogen wurde: sei es, daß der Zustrom amerikanischen Kapitals als Voraussetzung für das Funktionieren der Reparationspläne versiegte, sei es, daß Frankreich entgegen Stresemanns ostentativem Optimismus die Wechsel auf eine künftige Revisonspolitik nicht einlöste.

Im Jahre 1929 traten beide Eventualitäten zusammen ein. Der „schwarze Donnerstag" 9a) der New Yorker Börse und die massiven Abzugs-bewegungen des amerikanischen Kapitals aus Deutschland in der Folgezeit zerstörten die finanziellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der bisherigen Reparationspolitik. Und Briands Projekt einer „Europäischen Union" vom Sommer 1929, wenige Wochen vor Stresemanns Tod, machte deutlich, daß die grundlegende Divergenz zwischen der französischen und der deutschen Position — Stabilisierung oder Revision des Status quo — weiter fortbestand; denn der Europa-Plan Briands zielte — nach dem Versanden der Locarno-Politik — primär auf die (nationale wie internationale) Absicherung der französischen Position unter Ausschluß einer grundlegenden Re-Vision von Versailles und mit deutlichen Spitzen gegen die USA und die UdSSR — Tendenzen, die der Grundrichtung der deutschen Revisionspolitik unter wie nach Stresemann widersprachen

Brüning hat diesem Scheitern der Locarno-Politik Rechnung getragen, als er in seiner Regierungserklärung bei der Amtsübernahme von der „organischen Weiterentwicklung der bisherigen Außenpolitik" sprach. Der konservative Brüning änderte die Methode der deutschen Außenpolitik, nicht jedoch die Zielsetzung, die sein liberaler Vorgänger Stresemann und alle republikanischen Parteien erstrebt hatten: Diese Zielsetzung blieb die friedliche Ablösung des Versailler Systems durch eine neue europäische Ordnung, in der das Deutsche Reich die Rolle der stärksten Großmacht spielen konnte, ohne das fatale Risiko der Gegensätze der Vorkriegszeit und damit Gefahr eines neuen großen Krieges. Vorzeitige Rückkehr der Saar zum Deutschen Reich, Revision der deutsch-polnischen Grenze, Eröffnung von wirtschaftlichen und politischen Anschlußmöglichkeiten für Österreich an Deutschland, Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit im Rahmen einer allgemeinen Rüstungsbegrenzung und als vordringliches Ziel: die Beendigung der Reparationszahlungen waren die Kernbestandteile dieses Revisionsprogramms. Zum Hebel dieser Revisionspolitik sollte nach Brünings Vorstellung die Reparationsfrage werden. Mit ihrer Hilfe hoffte er, innerhalb von zwei bis drei Jahren das ganze Gebäude des Versailler Vertrags ins Wanken zu bringen und damit auch die Voraussetzungen zu schaffen für die endgültige Überwindung des Radikalismus von rechts und links • In der Tat hat in der Weltwirtschaftskrise die Reparationsfrage in der Propaganda der NSDAP wie der KPD eine solche Rolle gespielt, daß republikanische Politiker wie der preußische Ministerpräsident Otto Braun später die Auffassung vertraten, in der Belastung durch die Reparationen sei eine der Hauptursachen, wenn nicht der ausschlaggebende Faktor für den Zusammenbruch der Republik zu sehen. Brüning hat jedenfalls der Beseitigung der Reparationen als dem entscheidenden Schritt zu einer Totalrevision von Versailles seine gesamte Innen-, Wirtschafts-und Finanzpolitik untergeordnet. Durch seine Young-Plan-konforme Deflationspolitik gelang es ihm, in Europa und in den USA ein Klima zu schaffen, das die endgültige Streichung der Reparationen seit dem Ende des Jahres 1931 praktisch zur Gewißheit werden ließ.

Der Kanzler, der seit Herbst 1931 auch das Außenministerium leitete, erreichte es auch, vor allem durch die enge Zusammenarbeit mit der britischen und amerikanischen Politik auf der internationalen Abrüstungskonferenz in Genf im Frühjahr 1932, eine Situation vorzubereiten, die für das Deutsche Reich die prinzipielle Gleichberechtigung auf dem Wehrsektor im Rahmen einer Völkerbundkonvention zur Rüstungsbegrenzung in greifbare Nähe zu rücken schien. Nach der Lösung der Reparationsfrage wäre der Weg frei gewesen für wirtschaftliche Maßnahmen, die auf dem Tief-punkt der Depression den langsamen Wieder-aufstieg der deutschen Wirtschaft in die Wege leiten sollten. Die außenpolitischen Erfolge und die wirtschaftliche Erholung sollten dem rechten wie dem linken Radikalismus das Wasser abgraben und so die Überwindung der Staatskrise sicherstellen. Die Wiedergewinnung der politischen Stabilität sollte durch die Restauration der Hohenzollern-Monarchie besiegelt werden

Es war in dieser Konstellation des Frühjahrs 1932, daß Brüning in einer dramatischen und turbulenten Reichstagssitzung am 11. Mai zunächst die Politiker der Westmächte aufforderte, die entscheidenden Schritte auf dem Wege zu einer neuen Friedensordnung zu gehen, um danach seine Gegner vor wie hinter den Kulissen und indirekt den Reichspräsidenten zu beschwören, nicht auf den „letzten hundert Metern vor dem Ziel" die Erfolge der Politik der letzten beiden Jahre in Frage zu stellen: . Abrüstung, Reparationen und allgemeine Weltkrise sind — das ist erst in diesen Tagen wieder deutlich ausgesprochen worden — drei nicht von einander zu trennende, eng miteinander verknüpfte Probleme. Sie sind so groß und so wichtig, daß von ihrer Behandlung in den nächsten Monaten aller Voraussicht nach das Schicksal der Welt für lange Zeit bestimmt werden... Seitdem wir hier Ende Februar die Reparationsfrage eingehend erörtert haben, ist die Krise in den einzelnen Ländern in verhängnisvollem Fortgang gewesen ... Es ist jetzt die Zeit, im Interesse der ganzen Welt auch hier zu Entscheidungen zu kommen. Ein bekannter britischer Staatsmann, einer der Väter des Vertrags von Versailles, hat vor einigen Tagen bei einer internationalen Kundgebung gesagt: Vor zehn Jahren war es zu früh für den gesunden Menschenverstand, um sich durchzusetzen; ich frage mich, ob es jetzt, zehn Jahre danach, nicht zu spät ist. Wenn das Wirtschaftssystem und die soziale Ordnung der Welt noch nicht völlig zusammengebrochen sind, so ist das vor allem das Verdienst der bewunderungswürdigen Geduld der Völker und auch, wie ich für das deutsche Volk hinzufügen darf: der Leidensfähigkeit der Völker. Wie lange wollen die Regierungen, auf denen die endgültige Verantwortung liegt, die notwendigen Entschlüsse noch hinausschieben, wenn die Warnung, daß es zu spät werden könnte, nicht zur Wirklichkeit werden soll?" An die Adresse der Nationalsozialisten gerichtet schloß Brüning seine Rede: „Ich habe sehr lange zu vielen Dingen geschwiegen. Es spielt auch gar keine Rolle, was Sie über mich im Lande ... verbreiten; es läßt mich absolut kühl. Wenn ich mich dadurch beeindrucken ließe, dann würde ich den schwersten politischen Fehler machen, den zu machen irgend jemand im Augenblick in der Lage wäre: ich würde die Ruhe auch innerpolitisch verlieren, die, meine Damen und Herren, an den letzten hundert Metern vor dem Ziele das absolut Wichtigste ist.“ *

„Hundert Meter vor dem Ziel" — da stand die Regierung Brüning in der für sie zentralen Reparationsfrage in der Tat: Zwei Monate nach dieser Reichstagsdebatte zog die Lausanner Konferenz einen Schlußstrich unter das Kapitel der deutschen Reparationen. Gründe für Brünings Optimismus in der Frage der prinzipiellen Gleichberechtigung des Reichs auf dem Rüstungssektor gab es ebenfalls. Aber zweifelhaft bleibt, ob Brüning im Frühjahr 1932 tatsächlich vor einer Totalrevision von Versailles stand. Gewiß: sie war auch auf dem evolutionär-friedlichen Wege zu erreichen, den die Weimarer Republik eingeschlagen hatte. Aber gerade etwa die deutsch-polnische Grenze und ihre angestrebte Revision warf Probleme auf, die nur schwerlich gewaltlos im deutschen Sinne zu lösen waren.

Brüning selbst konnte nicht einmal den unbestrittensten Erfolg seiner Außenpolitik — die Streichung der Reparationen — als Leiter der deutschen Politik erleben. Am 30. Mai 1932, wenige Wochen nach der von Brüning durchgekämpften Wiederwahl Hindenburgs zum Staatsoberhaupt, entließ der Reichspräsident den Reichskanzler.

VI. Brünings Sturz und die strukturelle Problematik von Weimarer Republik und Bismarck-Reich

Zu Brünings Sturz haben viele Faktoren beigetragen. Da war die Gegnerschaft eines Teils des ostelbischen Adels und damit einer gesellschaftlichen Gruppe aus der alten preußischen Führungselite, die durch die Revolution von 1918 nur in einem begrenzten Umfang entmachtet worden war. Sie hat wegen angeblicher agrarbolschewistischer Pläne den greisen Hindenburg gegen das Kabinett Brüning einzunehmen gewußt Da ging ein Teil der Industrie in das Lager der Harzburger Front über, weil man — wie Brüning später schrieb — von Hugenberg und den Nationalsoziali-* sten den dauerhaften Abbau der sozialpolitischen Errungenschaften der Arbeiterschaft erwartete. Und da war ausschlaggebend die Haltung der Führungsspitze der Reichswehr mit dem Kanzlerstürzer Schleicher. Sie sah durch die Politik Brünings die Integration des militärischen Potentials der rechtsradikalen Wehr-verbände in die Reichswehr als nicht gewährleistet an und erhoffte sich von einem neuen, eindeutig nach rechts orientierten Kabinett eine raschere Verwirklichung ihrer Pläne für die Befreiung von den militärischen Fesseln des Versailler Vertrags und für eine Wiederaufrüstung des Reichs. Ob und inwieweit diese Haltung der Reichswehr im Frühjahr 1932 gestützt worden ist durch Äußerungen des französischen Botschafters Francois-Poncet, bleibt bis heute eine umstrittige Frage. Die entscheidende Rolle der Reichswehr beim Sturz Brünings führt hin auf die tiefer liegenden Strukturprobleme, welche die Weimarer Republik aus dem Bismarck-Reich übernommen hatte und die sie seit ihrer Gründung in einem verhängnisvollen Maße belasteten. Zugespitzt läßt sich sagen, daß der Sturz Brünings ein Postskriptum hinter den Ausgang des preußischen Heeres-und Verfassungskonflikts der 1860er Jahre darstellte. Der damalige Sieg Bismarcks über die Liberalen hatte die institutioneile Unterordnung der militärischen unter die zivile Gewalt in Preußen-Deutschland verhindert Damit wurde in der Leitung der preußisch-deutschen Großmacht ein Dualismus von militärischer und ziviler Spitze zementiert, den wohl noch der Reichsgründer, nicht mehr aber dessen Nachfolger zugunsten der politischen Führung überbrücken konnten. Nach dem Sturz der Monarchie 1918 gelang es General Seeckt, die Reichswehr als eine sogenannte „unpolitische“ Kraft der parlamentarischen Kontrolle letztlich zu entziehen. Die bewaffnete Macht wurde damit zum „Staat im Staat" — der alte Dualismus von militärischer und politischer Gewalt war in einer neuen Form wiederhergestellt In der Schlußphase der Weimarer sollte die Republik Reichswehr entsprechend den Konzepten von Seeckt und Schleicher wieder zur ausschlaggebenden Macht im Reich werden und ihren Einfluß zugunsten der Sonderinteressen des Militärs gegen die politischen Gesamtinteressen der Republik geltend machen.

So ist die Regierung Brüning mit ihrem konservativen Kurs letzten Endes nicht an falschen Konzeptionen für die Innen-und Außenpolitik gescheitert. Brüning stürzte darüber, daß die Republik weder strukturell noch personell, weder in ihrer sozialen Verfassung noch in ihrer politischen Kultur über das Maß an Problemlösungskapazität verfügte, das zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise und der Existenzkrise der ersten deutschen Demokratie notwendig war Addiert man die außenpolitischen Belastungen der Weimarer Republik, ihre wirtschaftlich-sozialen Strukturprobleme wie die innen-und verfassungspolitischen Hypotheken, die die Weimarer Republik von der Hohenzollern-Monarchie übernommen hatte, dann leuchtet das Urteil ein, daß in den Jahren nach 1930 der Handlungsspielraum nicht mehr zur Verfügung stand, der zur Rettung von parlamentarischer Demo-kratie und Rechtsstaat notwendig gewesen wäre.

Es war die persönliche Tragik des „katholischen Preußen" Brüning, daß sein Versuch, den Rechtsstaat und eine konservative Demokratie vor dem Totalitarismus von rechts und links zu retten, gerade an der Ambivalenz der preußisch-konservativen Traditionen des Bismarck-Reiches scheiterte. Brüning hat dieses Scheitern nie verwunden. Ein Schatten von Resignation liegt über dem letzten Jahr seiner politischen Tätigkeit während der Agonie der Republik. Wohl kämpfte Brüning im März 1933 gegen die Blankovollmachten des Ermächtigungsgesetzes für Hitler; aber der ehemalige Reichskanzler blieb mit diesem Widerstand innerhalb seiner Fraktion in der Minorität und beugte sich schließlich dem Willen der Mehrheit Zwar flammten im Zeitpunkt seiner Wahl zum letzten Vorsitzenden der Zentrumspartei im Mai 1933 noch einmal Hoffnungen auf, die neuen Machthaber im Reich könnten das außenpolitische Prestige des ehemaligen Kanzlers nicht ungenutzt lassen. Einige Monate später mußte Brüning ohnmächtig die Selbstauflösung seiner Partei und damit die formale Besiegelung des Einparteienstaates geschehen lassen.

Ein knappes Jahr später zwangen Warnungen vor drohenden Mordanschlägen der Nationalsozialisten den ehemaligen Reichskanzler zur Flucht ins Ausland. Brüning blieb in Kontakt mit der nationalkonservativen Opposition gegen Hitler, unter anderem mit Goerdeler, den Brüning selbst 1932 als seinen eigenen Nachfolger vorgesehen hatte. Von der Bildung politischer Gruppierungen im Exil hielt sich der prominenteste unter den emigrierten Politikern der Weimarer Republik fern Seit 1939 lebte er dauernd in den USA, wo er an der Harvard University bei Boston einen Lehrstuhl für Staatswissenschaft inne hatte. Brünings Bemühungen während des Zweiten Weltkriegs, auf amerikanische Politiker im Sinne einer konstruktiven Deutschland-und Europa-Politik einzuwirken, sind bis jetzt nur in den Umrissen bekannt.

An eine erneute politische Tätigkeit in Deutschland nach dem Sturz des nationalsozialistischen Regimes hat Brüning nicht gedacht. 1951 kehrte er in die Bundesrepublik zurück und übernahm eine Professur für Politische Wissenschaft an der Universität Köln. Schon 1955 ging er ein zweites Mal, freiwillig, in das amerikanische Exil. Der ehemalige Reichskanzler hatte die Gründung und den Aufstieg der CDU, die seinem alten Ziel interkonfessioneller politischer Zusammenarbeit entsprach, mit Sympathie begleitet Zu Adenauers Kurs der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Westintegration ging der ehemalige Kanzler jedoch zunehmend auf Di-stanz. Sein außenpolitisches Leitbild blieb auch nach 1945 noch maßgeblich von den Traditionen Bismarckscher Politik geprägt. Brünings Leben klang aus in der Abgeschiedenheit der Mittelgebirgslandschaft von Vermont, die den ehemaligen Kanzler so sehr an das schlesische Bergland erinnerte, das er einmal Jahrzehnte zuvor im Reichstag vertreten hatte. Als Brüning 1970 starb, wurde er seinem Wunsche entsprechend in seiner Heimatstadt Münster beigesetzt.

Die Publikation der 1934/35 niedergeschriebenen Memoiren einige Monate nach Brünings Tod hat die Diskussion um seine politische Gestalt noch einmal in voller Stärke entbrennen lassen. Die Erinnerungen, deren Authentizität zu Unrecht bezweifelt wurde machten erst voll deutlich, in welchem Umfang Brüning von altpreußischen Traditionen geprägt und von seinen militärischen Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges beeinflußt war. Und sie zeigten, wie sehr seine außenpolitischen Vorstellungen in der Kontinuität der nationalen Großmachtpolitik der Bismarck-Zeit stand, auch wenn für Brüning — anders als bei der Reichsleitung vor 1914 — das Risiko eines großen Krieges kein Element deutscher Außenpolitik mehr war und als Ziel die Präponderanz des Reichs (nicht seine Hegemonie) in einem ausbalancierten Staatensystem vorschwebte. Brünings Bild ist dadurch facettenreicher, seine Politik in der historischen Rückschau problematischer geworden. Dennoch: wie Gustav Stresemann die liberale Republik mit ihren Stärken und Schwächen verkörperte, so personifiziert Heinrich Brüning für die Endphase der Weimarer Republik mit ihren Licht-und Schattenseiten eine konservative Alternative zum Untergang von Rechtsstaat und Demokratie.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Versuch beruht zum Teil auf eigenen Studien in den Jahren 1961— 1969, die ich seit 1975 u. a. durch Arbeiten am Nachlaß Brünings in den USA wieder aufnehmen und fortführen konnte. Für die Hilfe, die ich dabei erfahren habe, danke ich Miss Claire Nix (Norwich/Vermont) und den Archivaren der Widener Library in Harvard. — Eine andere, kürzere Fassung dieses Manuskripts lag einer Gedenksendung des Dritten Programms des Westdeutschen Rundfunks am 30. März 1980 zugrunde. — Von meinen früheren einschlägigen Publikationen seien hier erwähnt: Heinrich Brüning in den Krisenjahren der Weimarer Republik, in: Geschichte in Wissenschaft u. Unterricht 17, 1966; Brüning, Prälat Kaas und das Problem einer Regierungsbeteiligung der NSDAP 1930— 1932, in: Histor. Ztschr. 196, 1963. Aus der Fülle der Brüning-Literatur kann hier nur ein Bruchteil notiert werden: Karl Dietrich Bracher, Brünings unpolitische Politik und die Auflösung der Weimarer Republik, in: Vierteljahrshefte f. Zeitgesch. 19, 1971; Werner Conze, Brüning als Reichskanzler, in: Histor. Ztschr. 214, 1972; Hans Mommsen, Heinrich Brünings Politik als Reichskanzler, in: Karl Holl (Hg.), Wirtschaftskrise und liberale Demokratie, Göttingen 1978; Rudolf Morsey, Brüning und Adenauer, Düsseldorf 1972; ders., Heinrich Brüning (1885— 1970), in: ders. (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Mainz 1973; ders. Der Untergang des politischen Katholizismus, Stuttgart 1977; Gerhard Schulz, Erinnerungen an eine mißlungene Restauration, in: Der Staat 11, 1972.

  2. Vgl. dazu jetzt auch (unter einem anderen Aspekt) Peter D. Stachura, Der kritische Wendepunkt? Die NSDAP und die Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928, in: Vierteljahrshefte f. Zeitgesch. 26, 1978.

  3. Verhandlungen des Reichstags, 4. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Bd. 428, 152. Sitzg. v. 1. 4. 1930, Berlin 1930, S. 4728.

  4. Ebenda, S. 4730.

  5. Waldemar Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928— 1933, Stuttgart 1959, S. 362.

  6. Verh. d. Reichstags, 4. Wahiper., Sten. Ber., Bd. 428, 200. Sitzg. v. 15. 7. 1930, Berlin 1930, S. 6373.

  7. Verh. d. Reichstags, 5. Wahiper., Sten. Ber., Bd. 446, 53. Sitzg. v. 13. 10. 1931, Berlin 1931, S. 2075.

  8. Dazu jetzt bahnbrechend Knut Borchardt, Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre. Zur Revision des überlieferten Geschichtsbildes, in: Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929— 1933, hrsg. von Josef Becker u. Klaus Hildebrand unter Mitarbeit von Klaus-Peter Prem, Marie-Luise Recker und Rolf Wenzel (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg Nr. 18), München 1980 (zuvor auch in: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 1979). Die folgende Darstellung schließt an die Analysen Borchardts an.

  9. Zit. nach Knut Borchardt, a. a. O., bei Anm. 51. 9a) Borchardt, a. a. O., weist darauf hin, daß die gängige Datierung „Schwarzer Freitag“ irrig ist.

  10. Das Urteil der französischen Historiker über den Europa-Plan Briands ist wesentlich kritischer als das der deutschen Historiker. Unter europäischen Gesichtspunkten, so erklärte einmal 1977 Jean-Baptiste Duroseile, sei das Projekt „tout a fait insignifiant", „ganz und gar bedeutungslos" gewesen. Dieses Urteil rückt auch die Ablehnung des Briand-Plans durch die Regierung Brüning in die angemessene Perspektive.

  11. Vgl. dazu immer noch grundlegend Wolfgang J. Helbich, Die Reparationen in der Ära Brüning, Berlin 1962; demnächst auf breiterer Quellenbasis die Bonner Phil. Diss. von Winfried Glashagen. Die Reparationspolitik Heinrich Brünings 1930— 1931. Generell zur Außenpolitik Brünings zuletzt meine Skizze: La politique rvisionniste du Reich, de la mort de Stresemann ä ‘avnement de Hitler, in: La France et l’Allemagne 1932— 1936. Communications prsentes au Colloque franco-allemand a Paris du 10 au 12 mars 1977, Paris 1980; demnächst die einschlägigen Beiträge von Jacques Bariäty, Gordon A Craig, Michael Geyer, Ren Girault, Klaus Jaitner,

  12. Zu deren Problematik (und die nahezu unüberwindlichen dynastischen Probleme) vgl. Friedrich Frhr. Hiller v. Gaertringen, Zur Beurteilung des „Monarchismus" in der Weimarer Republik, in: Gotthard Jasper (Hg.), Tradition und Reform in der deutschen Politik. Gedenkschrift für Waldemar Besson, Berlin 1976.

  13. Heinrich Brüning, Reden und Aufsätze eines deutschen Staatsmanns, hrsg. von Wilhelm Vernekohl unter Mitwirkung von Rudolf Morsey, Münster 1968, S. 129 und 133 f.

  14. Heinrich Brüning, Reden, S. 164.

  15. Zu den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik vgl.demnächst den von Karl Dietrich Erdmann und Hagen Schulze hrsg. Sammelband mit den Referaten eines von der Thyssen-Stiftung finanzierten Kölner Symposions vom Sommer 1979.

  16. Quellen für die Zeit Brünings im Exil bieten die beiden Bände: Heinrich Brüning, Briefe und Gespräche 1934— 1945 bzw. Briefe 1946— 1960, hrsg. von Claire Nix unter Mitarbeit von Reginald Phelps und George Pettee, Stuttgart 1974. Eine erste Auswertung von Bd. I dieser Dokumentensammlung gibt Heinz Hürten, Ein Reichskanzler im Exil. Heinrich Brüning als Emigrationspolitiker, in: Zeitgeschichte 2, 1974/75; vgl. auch Thomas A. Knapp, Heinrich Brüning im Exil. Briefe an Wilhelm Sollmann, in: Vierteljahrshefte f. Zeitgesch. 22, 1974, und die Erinnerungen von George N. Shuster, Dr. Bruening’s Sojourn in the United States (1935— 1945), in: Ferdinand A Hermens u. Theodor Schieder (Hg.), Staat, Wirtschaft und Politik in der Weimarer Republik. Festschrift für Heinrich Brüning, Berlin 1967, bzw. Gottfried R. Treviranus, Für Deutschland im Exil, Düsseldorf, Wien 1973.

  17. Nach einem jahrelangen Prozeß der Deutschen Verlagsanstalt gegen einen Rechtsanwalt, den die beiden Erbinnen Brünings seines Amtes als Testamentsvollstrecker des ehemaligen Reichskanzlers entsetzen ließen, verkündete das Oberlandesgericht Köln am 3. Okt. 1977 ein entsprechendes Urteil. Es untersagte dem Beklagten (bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 500000 DM und Auferlegung der Kosten des Rechtsstreits) die öffentliche Äußerung von Zweifeln „des Inhaltes: In der vorliegenden Form sei die Authentizität nicht sichergestellt', oder: , er habe die Memoiren nicht in authentischer Form bekommen.“ Ein Revisionsbegehren des ehemaligen Testamentsvollstreckers nahm der Bundesgerichtshof 1978 nicht zur Entscheidung an. Vgl. dazu auch Rudolf Morsey, Zur Entstehung, Authentizität und Kritik von Brünings „Memoiren 1918— 1934", Opladen 1975, sowie meine Besprechung in: Histor. Ztschr. 224, 1977 (mit dem noch vor dem Kölner Gerichtsurteil gezogenen Fazit, S. 218, daß man angesichts der testamentarischen Bestimmungen Brünings „bei der Edition von 1970 weder ohne nähere Präzisierung von einer nichtautorisierten Fassung sprechen noch global ihre Authentizität bestreiten" kann).

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Josef Becker, Dr. phil., geb. 1931 in Buchen (Baden), o. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Parteiengeschichte, Verhältnis Staat und Kirche, deutsch-französische Beziehungen, Deutsche Frage, zuletzt: Liberaler Staat und Kirche in der Ära von Reichsgründung und Kulturkampf, Mainz 1973; Wissenschaft zwischen Forschung und Ausbildung, München 1975 (hrsg. gemeinsam mit Rolf Bergmann); Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1979 (hrsg. gemeinsam mit Theo Stammen und Peter Waldmann); Dreißig Jahre Bundesrepublik — Tradition und Wandel, München 1979 (Hrsg); Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929— 1933, München 1980 (hrsg. gemeinsam mit Klaus Hildebrand unter Mitarbeit von Klaus-Peter Prem, Marie Luise Recker und Rolf Wenzel).