Die neueren Debatten über Möglichkeiten der Abrüstung und der Überwindung von Unterentwicklung laufen in der Forderung nach einer Freisetzung von Rüstungsmitteln für entwicklungspolitische Zwecke zusammen. Angesichts der Globalisierung des Rüstungswettlaufs, also der Einbeziehung auch der Dritten Welt in das bestehende Wettrüsten, ist diese Forderung wohl begründet; sie verdient nachhaltige Unterstützung, obwohl eine Vermehrung von Entwicklungsmitteln nicht gleichbedeutend ist mit vermehrter Entwicklung und obwohl nicht vorstellbar ist, daß in der überschaubaren Zukunft einzel-und gesamtwirtschaftliche Interessen an der Rüstung bzw. am Waffenhandel durch eine Besteuerung von Rüstungsausgaben und Rüstungsgeschäften begrenzt werden könnten. Die techno-politischen Probleme, die bei der Bildung eines Entwicklungsfonds aus Rüstungsmitteln auftauchen (mangelnde Vergleichbarkeit der Haushaltsansätze, fehlende Kontrollmöglichkeiten), sind grundsätzlich lösbar. Die Entwicklungsländer könnten deshalb versucht sein, weiteren Hinhaltemanövern von Seiten der Industriestaaten durch eine von diesen nicht mehr kontrollierbare Aufrüstung (nukleare Proliferation) zu beantworten. Die erwartbaren Gefahren einer solchen Politik sollten als zusätzliches Argument dafür gelten, über die Kombination von Abrüstung und Entwicklungspolitik nicht nur zu reden, sondern sie ernsthaft zu betreiben. Ein erster Beitrag hierzu wäre, die Entwicklungspolitik vor einer (im Zeichen Afghanistans wieder verstärkt drohenden) Unterordnung unter sicherheitspolitische Erwägungen zu bewahren.
I. Die Verknüpfung von Abrüstung und Entwicklung
Die Hessische Stiftung Friedens-und Konfliktforschung (HSFK) unternahm kürzlich den Versuch, durch ein Pressegespräch über den krisenhaften Beginn der 80er Jahre ein breiteres außerakademisches Publikum für die Arbeit der Friedensforschung zu gewinnen. Bei diesem Gespräch war die Vertreterin einer Presseagentur zugegen, deren Tagespensum den Veranstaltern sogleich klarmachte, in welch harte Konkurrenz man sich begibt, wenn man die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen für lebenswichtige Fragen zu mobilisieren versucht. Wenige Stunden zuvor hatte besagte Pressevertreterin einer Veranstaltung ganz anderer Art beigewohnt: dem Salatanstich in Frankfurt-Heddernheim, und sie konnte sicher sein, für ihren diesbezüglichen Bericht nicht nur unter Vegetariern leichter Interesse zu finden als für die HSFK-Ausführungen zur Krise der Weltpolitik. Im Alltagsleben faszinieren Probleme des Gemüseanbaus eben mehr als Überlegungen zu Krieg und Frieden, und das hat seinen guten Grund: Zum einen verdrängen wir gerne, was uns existentiell gefährdet, zugunsten dessen, was uns einige Lebenszuversicht gewährt Schließlich hält jeder Raucher die Lungenkrebsstatistik für Erfindungen der Nichtraucher und erbaut sich lieben daran, daß einige Leute trotz Rauchens neunzig Jahre alt werden. Zum zweiten ist die militärische Gefährdung bei uns hier in Mitteleuropa aufgrund der waffentechnologischen Entwicklung so abstrakt geworden, wie es die biblische Androhung der Apokalypse stets war. Und so denken wir an jene — die militärische Bedrohung — gerade wegen ihres unfaßbaren Ausmaßes ebenso gelassen wie an diese, nämlich die biblische Androhung des Weltunterganges. Drittens werden wir dazu angehalten, auch beim Umgang mit Waffen in Kategorien von Arbeitsplatzsicherung und Kostensenkung durch Erhöhung der Stückzahlen zu denken, wodurch denn die von einem amerikanischen Autor sogenannte „Ökonomie des Todes" mehr und mehr zu einem normalen Bestandteil unseres täglichen Lebens wird
Aber die Neigung, bedrohliche Implikationen der militärischen Entwicklung zu verdrängen, findet unausweichlich ihre Grenzen. Sie findet ihre Grenzen in der offenkundigen Widersprüchlichkeit, in der Absurdität einer Politik, die Kriegsmittel mit dem Anspruch produziert, dem Frieden zu dienen und tatsächlich noch jeden Frieden zur bloßen Zwischenkriegszeit gemacht hat Sie findet ihre Grenzen in der Absurdität einer Politik, die im Namen der nationalen Existenzsicherung die all-gemeine Unsicherheit erhöht — unter anderem auch dadurch, daß sie durch Rüstung die für die Bewältigung ökonomischer Probleme verfügbaren Mittel fortlaufend schmälert und damit die ökonomischen Ursachen internationaler Konflikte vertieft.
Angesichts dieser Widersprüche wird denn auch nicht nur gerüstet, es wird zugleich und bekanntlich seit langem über Rüstungskontrolle und Abrüstung verhandelt; es werden Studien angefertigt und Gutachten geschrieben, Resolutionen verfaßt und Appelle verabschiedet, und inmitten des allgemeinen Rüstungsgetümmels bekunden die Protokolle der einschlägigen UNO-Debatten ihrem stillen Leser in Mitteleuropas Studierstuben, „daß alle Staaten für Abrüstung und gegen das Wettrüsten sind" In den neueren Debatten wird zunehmend der Verschwendungseffekt der Rüstung, der unproduktive Verbrauch knapper Mittel, neben der immanenten Friedensgefährdung als Argument für die Notwendigkeit von Abrüstung ins Feld geführt, wobei dieser Verschwendungseffekt auf internationaler Ebene besonders kraß in Erscheinung tritt, wenn man den wachsenden Umfang der Militärausgaben mit den kläglichen Ausgaben für die Entwicklungspolitik vergleicht. Es ist schon zum traurigen Ritual geworden: Jedes Jahr meldet das Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) neue Rekorde bei den Weltmilitärausgaben, während uns die UNO-Statistiker darüber belehren, daß mit der Zahl der Waffen die Zahl der Hungernden in der Welt weiterhin steigt Angesichts dieses Sachverhalts liegt es nahe, die Notwendigkeit von Abrüstung auch entwicklungspolitisch zu begründen und die Umleitung von Rüstungsmitteln in die Entwicklung zu fordern. So heißt es in der Erklärung der Sondervollversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung, die im Frühjahr 1978 stattfand: „Die Hunderte von Milliarden Dollar, die jährlich für die Herstellung oder Verbesserung von Waffen aufgewendet werden, stehen in eklatantem und erschreckendem Gegensatz zu der Not und Armut, in der zwei Drittel der Weltbevölkerung leben. Diese ungeheure Verschwendung von Mitteln ist um so gravierender, als damit nicht nur materielle, sondern auch technische und menschliche Hilfsmittel, die für den Fortschritt in allen Ländern, insbesondere den Entwicklungsländern, dringend erforderlich sind, militärischen Zwecken zugeführt werden. Angesichts dieser negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Wettrüstens ist die Fortsetzung des Rüstungswettlaufs offensichtlich unvereinbar mit der Verwirklichung der auf Gerechtigkeit Ausgewogenheit und Zusammenarbeit gegründeten neuen Weltwirtschaftsordnung." Diese Feststellung mündet dann in die Forderung, „durch Abrüstungsmaßnahmen freiwerdende Mittel zum Wohl aller Völker und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Entwicklungsländer" einzusetzen Dies scheint in der Tat die eigentliche . Jahrhundertaufgabe“ zu sein von einer rüstungsorientierten zu einer abrüstungsorientierten Sicherheitspolitik vorzustoßen und damit zugleich die finanziellen Voraussetzungen für eine weltweite Entwicklung zu schaffen. Können der Abrüstungsdebatte durch die Einbeziehung der Entwicklungspolitik neue wirksame Impulse gegeben werden? Was wäre von einer Abrüstung für die Entwicklung zu erwarten? In welcher Form können Rüstungsmittel überhaupt für Zwecke der Entwicklung umgeleitet werden?
II. Die Dringlichkeit der Verknüpfung
Abbildung 2
HELFEN oder RUSTEN?
HELFEN oder RUSTEN?
Vergegenwärtigen wir uns zunächst einige Sachverhalte, die die Entwicklung der Rüstung betreffen:
Nach einer — allerdings gewagten — Berechnung des Stockholmer Instituts für Friedens-forschung (SIPRI) lagen die Weltrüstungsausgaben zu konstanten Preisen (von 1970) gerechnet — also unter Abzug der inflationsbedingten Zuwächse — in der Zwischenkriegszeit (1930) bei 23 Milliarden US-Dollar, zu Beginn des Korea-Krieges (1950) bei 73 Milliarden US-Dollar und Mitte der 70er Jahre bei 214 Milliarden US-Dollar. Diesen Zahlen liegt zwar nicht ein gleichmäßiges Wachstum von Jahr zu Jahr zugrunde, vielmehr gab es in den jeweiligen Nachkriegsphasen (Korea, Vietnam) auch deutliche Rückgänge der Rüstungsausgaben; der langfristige Trend jedoch ist eindeutig — es ist ein Aufwärtstrend, der durch den Wechsel vom Kalten Krieg zur Entspannung keinesfalls aufgehoben wurde Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen kam in seinem 1977 vorgelegten Bericht über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Rüstungswettlaufs zu dem Ergebnis, daß keine Anzeichen für eine Beendigung der allgemeinen Aufwärtsentwicklung der Rüstungskosten gegeben seien Die Stichhaltigkeit dieser Feststellung wurde inzwischen nicht zuletzt durch die 1977 gefaßten und 1978 bekräftigten NATO-Beschlüsse über eine jährliche reale Steigerung der Rüstungsausgaben um 3 %, die (voraussichtlichen) Aufwendungen für die sowjetische Mittelstreckenra-ketenpolitik und das NATO-, Nachrüstungs-Programm" bestätigt.
Den Löwenanteil der gegenwärtigen Militär-ausgaben, nämlich 70 %, stellen immer noch NATO und Warschauer Pakt (42, 8 % NATO, 28, 6% Warschauer Pakt). Der Anstieg der Weltrüstungsausgaben in den späten 60er und in den 70er Jahren ist jedoch weitgehend auf die Aufrüstung der Dritten Welt zurückzuführen: Wiederum nach den Angaben von SIPR 1 gingen die Militärausgaben von NATO und Warschauer Pakt zusammengenommen am Ende des Vietnam-Krieges leicht zurück, um sich dann — in Preisen von 1973 ausgedrückt — bei ungefähr 200 Mrd. US-Dollar zu halten. Die Weltrüstungsausgaben stiegen aber zur gleichen Zeit bis 1978 um 30 Mrd. US-Dollar Das bedeutet: Die Aufwärtsentwicklung der Weltrüstungsausgaben in der jüngsten Zeit muß in Verbindung mit der Aufrüstung der Dritten Welt gesehen werden. Ohne die Volksrepublik China stieg deren Anteil an den Weltrüstungsausgaben von 4, 6 % im Jahre 1958 auf 6, 2% im Jahre 1968 und 13, 7% im Jahre 1978. Rechnet man die Ausgaben der Volksrepublik China hinzu, so stieg der Anteil der Entwicklungsländer an den Weltrüstungsausgaben in den genannten Jahren von 9,9 auf 14,9 und schließlich auf 24, 2 %, d. h. von einem Zehntel auf ein Viertel der Weltrüstungsausgaben
Offensichtlich hat die Aufrüstung der Dritten Welt in den vergangenen beiden Entwicklungsdekaden größere Fortschritte gemacht als ihre Entwicklung. Auch wenn wir in Rechnung stellen, daß die Zunahme bei den Rüstungsausgaben der Dritten Welt in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich stark ausgeprägt war, erscheint es doch angebracht, von einer Globalisierung der Aufrüstung zu sprechen. In zunehmendem Maße werden gerade dort Mittel für militärische Zwecke verwendet, wo sie am dringlichsten für die Bewältigung nicht-militärischer Aufgaben benötigt werden.
Das Vehikel der militärischen Integration der Entwicklungsländer in das Weltrüstungssystem ist der Waffenhandel. Er ist heute mehr denn je zukunftsträchtig, hat doch der Markt für militärische Aufrüstungsgüter nach jüngsten Berichten die höchsten Zuwachsraten alfer Industriemärkte Die Hauptlieferanten sind nach dem verfügbaren, aber nie allzu zuverlässigen Zahlenmaterial die USA (47 % des Waffenhandels) und die Sowjetunion (27 %), in
Mehr Angst als Vernunft Die Unruhe im Westen über die sowjetischen Rüstungsanstrengungen ist symptomatisch für den Rüstungswettlauf: Mißtrauen und Unkenntnis der Absichten des jeweils anderen schaukeln die Rüstungsausgaben immer höher. Allein die beiden großen Militärallianzen — die NATO und der Ostblock (Warschauer Pakt) —haben nach Angaben des Stockholmer Instituts für Friedensforschung (SIPRI) im vergangenen Jahr 310 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben. Der Rüstungswettlaufist freilich nicht aufdie großen Militärblöcke beschränkt. Die übrige Weltgab 1979136 Milliarden Dollarfürmilitärische Zwecke aus. Vor allem die Beschleunigung der Ausgaben ist beängstigend. Was im Vergleich dazu für den friedlichen Ausgleich der Interessenspannungen in der Welt getan wird, ist beschämend wenig. Die öffentliche Entwicklungshilfe erreichte 1979 mit 30 Milliarden Dollar nur ein Fünfzehntel der Rüstungsausgaben. Aber während die NATO-Länder immerhin für die Entwicklungsländer rund 18 Milliarden Dollar bereitstellten, was einem knappen Zehntel ihrer Rüstungsausgaben entsprach, helfen die Länder des Warschauer Paktes offenbar lieber mit revolutionären Ideen als mit Rubeln. Ihre Entwicklungshilfe erreichte nur den 118. Teil ihrer Rüstungsausgaben. weitem Abstand gefolgt von Frankreich, Großbritannien, Italien und — mit ansteigender Tendenz — der Bundesrepublik Allmählich gewinnt aber die Waffenproduktion in den Entwicklungsländern selbst an Bedeutung und darüber hinaus sogar der Export von Waffen in andere Entwicklungsländer Das heißt, daß die Entwicklungsländer dazu übergehen, in ihre Industrialisierungspolitik den Aufbau von Rüstungsindustrien und in ihre Handelspolitik den Verkauf von deren Produkten einzubeziehen. Gesamtwirtschaftlich gesehen wird damit nun auch in den Entwicklungsländern der Versuch unternommen, die Kostenbelastung des Staates durch die Rüstung mit Hilfe einer Ausweitung ihrer ökonomischen Verwertung zu verringern.
Ich fasse zusammen:
Wir haben es mit einer langfristig zunehmenden Verschwendung von knappen Mitteln für militärische Zwecke zu tun. Diese von Industrie-und Entwicklungsländern in gleicher Weise beklagte Verschwendung ist nicht auf die großmächtigen Industriestaaten beschränkt. Sie stellt für die Entwicklungsländer selbst ein sich verschärfendes Problem dar, da sie selbst heute die größten Zuwachsraten bei den Rüstungsausgaben haben. Der Forderung nach Abrüstung für die Entwicklung kommt so gesehen ganz besondere Dringlichkeit zu; und daß sie begründet ist, daran kann wohl kein Zweifel bestehen: Denn die Verschwendung von Ressourcen aller Art für die Rüstung ist nicht nur bedauerlich, sondern in höchstem Maße auch bedrohlich. Sie ist bedrohlich nicht nur durch die Anhäufung von Vernichtungs. kapazitäten an sich, sondern auch durch die Blockierung vorhandener Mittel für die Bewältigung von Konfliktursachen auf innerund zwischengesellschaftlicher Ebene. Sie ist bedrohlich, weil die Konflikte der Entwicklungsländer nicht außerhalb unserer eigenen Welt bestehen, sondern in Ursache und Wirkung deren integraler Bestandteil sind. Zwar ist in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Friede zwischen den Systemen gewahrt worden, während es in der Dritten Welt 140 Kriege und Bürgerkriege gegeben hat; aber die Wahrscheinlichkeit, daß solche Konflikte in der Dritten Welt eines Tages doch in einen Weltbrand einmünden, ist aufgrund der Verschärfung weltweiter Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen in den 70er Jahren gestiegen.
III. Begrenzung des Erwartungshorizontes
Daß gerade dort mit überdurchschnittlichen Raten die Rüstungsausgaben wachsen, wo die dafür aufgewendeten Mittel am dringlichsten für die Bewältigung nicht-militärischer Aufgaben benötigt werden, nämlich in den Entwicklungsländern, ist natürlich besonders geeignet, Protest hervorzurufen, entbehrt aber nicht der Logik. Zum einen haben die Entwicklungsländer nach den Maßstäben, die die Industrieländer gesetzt haben, einen ganz erheblichen Nachholbedarf an Rüstung. Was daraus aus der Sicht der Entwicklungsländer gefolgert werden kann, darauf komme ich später noch zurück. Zum andern muß man sich vergegenwärtigen, daß die Zunahme von Rüstungsausgaben bei sich verschärfenden Entwicklungsproblemen keineswegs nur als Widerspruch oder — milder ausgedrückt — Ungereimtheit zu betrachten ist, sondern durchaus eine Entsprechung darstellen kann: Die kaum noch überblickbaren Eingriffe der Militärs in die Politik der Entwicklungsländer, sei es in der Form der offenen Militärdiktatur, sei es in der Form militärischer Absicherung einer bestimmten Politik, sind Teil einer verhängnisvollen Wechselwirkung zwischen Unterentwicklung und militärischer Politik, zwischen „struktureller“ und „personaler Gewalt". Es wird mit militärischen Lösungen auf wirtschaftliche und soziale Probleme reagiert (Repression nach innen, Konfliktablenkung auf einen äußeren Feind), wodurch diese Probleme nicht wirklich gelöst, sondern durch Mittelabzug für das Militär und die Blockierung immaterieller Entwicklungsbedingungen (Innovationsbereitschaft, Verantwortlichkeit solidarisches Handeln) noch vertieft und Zu Abwehr daraus resultierender Instabilitäten wiederum erweiterte Eingriffe des Militärs provoziert werden. An diesem Militarisierungsprozeß haben die Industrieländer in vielfältiger Weise direkt mitgewirkt, zum Beispiel durch den Waffenhandel nach dem Motto: „wenn wir nicht liefern, liefern andere“ (und sie tun es in der Tat!); oder durch eine Militärhilfe, die auch und gerade dort die Militarisierungstendenzen stärkte, wo — etwa im Sinne des US-amerikanischen der „civic action" Konzepts — der Militäreinsatz verstärkt unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten erfolgen sollte. Darüber hinaus gelten Militärs, trotz widriger Erfahrungen, immer noch als die verläßlichsten Geschäftspartner des „big business“ — ungeachtet allen nationalistischen Getöses, mit dem sich die Militärs zu legitimieren pflegen, wenn sie in die Politik eingreifen. Auch ohne über diese Anmerkungen hinaus auf die Grundsatzproblematik struktureller Abhängigkeit der Dritten Welt einzugehen, dürfte schon klar sein, daß eine Kritik der Militarisierungstendenzen der in Dritten Welt auch eine Selbstkritik der Industrieländer sein muß.
Dieser Selbstkritik kann nicht durch eine Erhöhung von Mitteln für die Entwicklung (z. B. im Wege der Abzweigung von Rüstungsgeldem) entsprochen werden. Sie verlangt vielmehr, wenn sie ernsthaft betrieben wird, eine Neuorientierung der Entwicklungspolitik und darüber hinaus der Weltwirtschaftsbeziehungen insgesamt zugunsten der Entwicklungsländer, wie sie von diesen in der zweiten Entwicklungsdekade immer wieder gefordert worden ist. Das klägliche Schicksal dieser Forderungen sollte uns von vornherein skeptisch stimmen hinsichtlich der möglichen entwicklungspolitischen Bedeutung einer Umleitung von Mitteln aus dem Militär-in den Zivilbereich in der Größenordnung, wie sie für die überschaubare Zukunft zur Diskussion steht (soweit es überhaupt zu einer Einigung über eine solche Maßnahme kommen wird)
Die Verknüpfung von Abrüstung und Entwicklungshilfe könnte theoretisch einen Zirkel in Gang setzen, der dem der militärischen Politik entgegengesetzt wäre: Durch Abrüstung freigesetzte Mittel könnten der Entwicklung zugeführt werden, Entwicklung wiederum könnte — durch die Behebung von Konfliktursachen — weitere Anreize zur Abrüstung liefern. Man sollte sich aber hüten, den Bogen der Erwartungen zu weit zu spannen! Solange wir keine rechte Vorstellung von dem haben, was eine vernünftige Entwicklungspolitik ist, kann auch die Vermehrung von Hilfsgeldern nicht alle Probleme lösen. Außerdem müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß Entwicklung — definiert in herkömmlichen Kategorien der komplexen Industrialisierung — bislang keinesfalls gleichbedeutend gewesen ist mit einer Verstärkung von Abrüstungsbereitschaft. Entwicklungspolitik im herkömmlichen also Sinne ist auch nicht gleichbedeutend mit Friedensstiftung.
Bei aller Skepsis gegenüber den erwartbaren entwicklungspolitischen Auswirkungen von ersten Abrüstungsschritten ist jedoch an dem Sachverhalt nicht zu rütteln, daß selbst wenn Abrüstungsmittel nicht einer wirklichen Entwicklung zugute kämen, die Umwidmung von Rüstungsmitteln an sich auf jeden Fall schon ein beachtlicher Erfolg wäre — eben durch die Reduzierung von Militärausgaben und damit die Reduzierung der wechselseitigen Bedrohungspotentiale. Natürlich, auch Abrüstung vom gegenwärtigen Overkill-Niveau aus ist noch nicht gleichbedeutend mit der Abschaffung des Krieges. Aber irgendwo sollten wir auch unserer Skepsis und Kritik Grenzen setzen und die Hoffnungen, die wir eben doch auf die geringfügigsten Abrüstungsmaßnahmen setzen, als lohnend genug erachten, um an ihnen politisches Handeln auszurichten.
IV. Möglichkeiten und Probleme der Umsetzung
Wenden wir uns unter diesem Gesichtspunkt der Frage zu, in welcher Form Rüstungsmittel für Entwicklungszwecke mobilisiert werden gönnten. Hierzu sind in jüngster Zeit eine wihe bisher kaum als abgeschlossen zu bezeichnender Überlegungen angestellt worden: m Aktionsprogramm der erwähnten Sonder-Vollversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung heißt es: „Eine allmähliche Kürzung der Militärhaushalte auf gegenseitig vereinbarter Grundlage, beispielsweise in absoluten Zahlen oder in Prozentsätzen, insbe-sondere durch Kernwaffenstaaten und andere militärisch bedeutende Staaten, wäre eine Maßnahme, die zur Einschränkung des Wettrüstens beitragen könnte, und würde die Möglichkeiten vergrößern, heute für militärische Zwecke verwendete Mittel der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, insbesondere zum Nutzen der Entwicklungsländer, zuzuführen.“
Wer aber würde garantieren, daß solche Haushaltskürzungen tatsächlich für Entwicklungszwecke eingesetzt würden? Eine automatische Überführung von Mitteln wäre jedenfalls nicht zu erwarten. Denn bisher gibt es keine Anzeichen dafür, daß die Mittel für die Entwicklungshilfe so niedrig sind, weil die Rüstungsausgaben so hoch sind. In den westlichen Industriestaaten ist in den vergangenen Jahrzehnten der Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttosozialprodukt um mehrere Prozentpunkte zurückgegangen, ohne daß die offizielle Entwicklungshilfe dadurch auch nur um einen halben Prozentpunkt gestiegen wäre Für die meisten von ihnen steht die Verpflichtung, 0, 7 % des Bruttosozialproduktes für die offizielle Entwicklungshilfe aufzuwenden, bisher immer noch auf dem Papier — und dort wird sie für die Bundesrepublik nach dem Willen unseres Finanzministers auch bleiben.
Man müßte also in der Forderung nach Mobilisierung von Rüstungsmitteln für die Entwicklung einen Schritt weiter gehen und z. B. die Einrichtung eines Entwicklungsfonds anstreben, der durch Mittel aus dem Rüstungsbereich zu finanzieren wäre. Ein solcher Vorschlag wurde bereits bei der Genfer Konferenz von 1955 vom damaligen französischen Premierminister, Edgar Faure, gemacht Im März 1956 unterbreitete die Sowjetunion ei-nen ähnlichen Vorschlag, bezogen auf die Reduzierung von Rüstungen und Mannschaften im konventionellen Militärbereich. Wiederum von den Franzosen wurde auch auf der Sondervollversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung von 1978 die Einrichtung eines Abrüstungsfonds für die Entwicklung ins Gespräch gebracht. Dieser Vorschlag wird nunmehr im Rahmen der allgemeinen Frage nach dem Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung gemäß Beschluß der Sondervollversammlung durch eine besondere Studien-gruppe untersucht, die ihren Abschlußbericht 1981 vorlegen soll.
Die Finanzierung eines solchen Abrüstungsfonds für die Entwicklung könnte durch Haushaltskürzungen im Militärbereich nach fixen Sätzen erfolgen. Alle früheren Vorschläge dieser Art sind jedoch am Problem der fehlenden Kontrollierbarkeit solcher Kürzungen und an der mangelhaften Vergleichbarkeit der Haushalte gescheitert Das Kontrollproblem könnte dadurch umgangen werden, daß auf die vorhandene Rüstung oder die Militärausgaben eine Art Steuer erhoben würde Das Problem der schwierigen Vergleichbarkeit der Rüstungshaushalte könnte dadurch umgangen werden, daß man für die Großmächte einfach bestimmte Quoten ansetzt, mit denen sie am Fonds zu beteiligen wären Technisch scheint dieser Vorschlag machbar. Es bleibt aber ein anderes Problem: Die Einrichtung eines Abrüstungsfonds für die Entwicklung auf dem Wege der Besteuerung von Rüstungsausgaben wäre nicht identisch mit einer Abrüstungsmaßnahme, sie würde bestenfalls einen zusätzlichen ökonomischen Anreiz zur Abrüstung liefern. Es wäre aber auch denkbar, daß die reichen Länder sich durch die Bezahlung einer Rüstungssteuer für Entwicklungshilfe vom moralischen Abrüstungsdruck loszukaufen, d. h.den Fonds für die zusätzliche Rechtfertigung ihrer Rüstungspolitik zu handhaben suchten.
Eine andere Möglichkeit, zur Finanzierungeines Entwicklungsfonds aus Rüstungsmitteln zu gelangen, bestünde darin, den Waffenhandel zu besteuern — und zwar höher zu besteuern als den Handel mit zivilen Produkten. Einen solchen Vorschlag macht die von Wilh Brandt geleitete Nord-Süd-Kommission in ihrem jüngst vorgelegten Bericht Auch hier würde es sich nicht um eine direkte Abrüstungsmaßnahme handeln, sondern um den Versuch, ökonomische Anreize für eine Reduzierung des Waffentransfers zu schaffen. Durch die Besteuerung allein würde der Waffenhandel also sicher nicht unterbunden, da er eben nicht nur durch ökonomische Interessen bestimmt wird, die sich im Handel selbst realisieren, sondern auch durch Interessen, für die der Waffenhandel nur Mittel zu anderen Zwecken ist. Wohl aber könnte zumindest dem unmittelbaren Interesse am Waffenhandel selbst durch Schmälerung der Gewinne derjenigen entgegengewirkt werden, für die Rüstungsausgaben keineswegs eine Verschwendung, sondern ein lohnendes Geschäft sind.
Eine notwendige Voraussetzung für eine solche Besteuerung wäre freilich die Offenlegung der Waffengeschäfte, die auch dazu dienen würde, die Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Waffenhandel zu erweitern. Auch dies wird von der Brandt-Kommission im Einklang mit den Forderungen anderer Kritiken des Waffenhandels vorgeschlagen
Beide Maßnahmen, sowohl eine Ausgabenbesteuerung als auch eine Besteuerung des Waffenhandels, zielen letztlich auf eine indirekte Einschränkung der ökonomischen Verwertungsmöglichkeiten der Rüstung ab. Diese ökonomischen Verwertungsmöglichkeiten werden nun aber nicht nur von einzelnen Unternehmern geschätzt, sondern sind unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzsicherung, der Stückkostensenkung und der Devisenbeschaffung auch gesamtwirtschaftlich interessant — und zwar in West und Ost.
Deshalb müßten parallel zur Besteuerung von Rüstungsausgaben oder Waffenhandel alternative, nämlich nicht-militärische Wirtschaftsaktivitäten als Ersatz für die militärischen gefördert werden. Es müßte mit anderen Worten die sogenannte Konversion von Rüstungsindustrien vorangetrieben werden. Für diesen Zweck wäre ein Teil der in den Entwicklungsfonds einzuzahlenden Mittel aufzuwenden. Außerdem bietet es sich an, bei der Durchführung von Entwicklungsprojekten, die durch den Fonds finanziert würden, vorrangig die Unternehmen bzw. Wirtschaftssektoren zu berücksichtigen, die bislang auf die ökonomische Verwertung der Rüstung ausgelegt waren.
Aber auch hier gibt es natürlich Probleme: Eine direkte Umstellung von Rüstungsbetrieben auf eine Zivilproduktion ist bekanntlich aus technischen Gründen nur in begrenztem Umfang möglich. Ein Hersteller von Kampfpanzern kann nicht ohne weiteres zu einem Hersteller für Produkte werden, die der Befriedigung von Grundbedürfnissen dienen. Außerdem ist Rüstungsproduktion Produktion auf höchstem technologischen Niveau. Wenn dieses in die Ersatzprodukte eingeht, wäre in diesen eine Technologie vergegenständlicht, die die Aufnahmekapazität der Entwicklungsländer in aller Regel überfordern und ihre Devisenbestände unnötig belasten dürfte
In der gegenwärtigen Diskussion gibt es, soweit ich sehe, keine Vorschläge, bei deren Verwirklichung nicht größere Probleme der angesprochenen oder anderer Art auftauchten. Das zeigt, daß das politische Problem mangelnder Abrüstungsbereitschaft nicht durch das Ausklügeln von Modellen für ein Abrüstungsverfahren aufgehoben werden kann. Patentlösungen gibt es auch hier nicht, und es wäre müßig, auf Ideen zu warten, die selbst die hartgesottenen Herrschaften aus der Rüstungsbranche zu Tränen rühren und zu der Einsicht bekehren könnten, daß sie der Menschheit schaden.
Dennoch ist es wichtig, die Diskussion über Verfahrensmöglichkeiten bei den anstehenden Konferenzen fortzusetzen — und sei es zunächst nur, um entgegen der Versuchung, die andere Seite „an die Wand zu rüsten“, das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Abrüstung wachzuhalten und zu verhindern, daß die Bereitschaft zu militärischen Lösungen für gesellschaftliche Probleme noch weiter um sich greift, als sie es schon getan hat — bis in die Schlagertexte hinein: „He's taken me un-der fire", singt eine Dame in einem neuen Hit, während Gewehrschüsse fallen, und der Dame scheint es zu gefallen. *
V. Die Alternative: Durch atomare Bewaffnung der Dritten Welt zur totalen Abrüstung?
Die Vertreter unserer Militärindustrie oder Militärbürokratiekomplexe haben in der Dritten Welt Klientelgruppen gehätschelt und Militärapparate hochgepäppelt, die zunehmend Eigeninteresse zu entwickeln beginnen und sehr bald allen Abrüstungsdiskussionen mit dem Argument begegnen könnten, daß vor einer allgemeinen Abrüstung erst mal die Aufrüstung der Dritten Welt stehen müsse. Schon lassen sich Stimmen in dieser Richtung auch bei Nichtmilitaristen vernehmen: zum Beispiel die Stimme des afrikanischen Professors Ali Mazrui. Ali Mazrui hat ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel „A World Federation of Cultures" für das New Yorker „Institute for World Order“ verfaßt; dieses Institut ist eindeutig der Friedensforschung zuzurechnen. Das Institut veröffentlichte Mazruis Arbeit in seinem bekannten Programm „Bevorzugte Welten für die 90er Jahre" Sozusagen im Gegenzug dieser Studie hat Mazrui kürzlich das Bild einer weiterrüstenden Welt entworfen, dessen normative Elemente einigermaßen schockierend sind.
Die westlichen Mächte, so sagte Mazrui in einem Gastvortrag bei der BBC seien stets von der Annahme ausgegangen, daß sie das Privileg hätten, sich bis an die Zähne zu bewaffnen, während sie gleichzeitig die Bewohner der Dritten Welt entwaffneten. Man habe sich in Europa selbst für zivilisiert genug gehalten, Weltkriege zu entfachen, während man es als dringliche Aufgabe betrachtete, die Afrikaner von Stammesfehden abzuhalten.
Einer solchen Haltung des Westens setzt Mazrui dann die Empfehlung entgegen, daß die afrikanischen Staaten sich nicht nur weiter konventionell bewaffnen sollten. Er empfielt darüber hinaus, daß zumindest die großen unter ihnen (Nigeria, Zaire und — unter Ausnutzung bereits von den Weißen geschaffener Kapazität — ein befreites Südafrika) eine atomare Bewaffnung anstreben sollten. Dazu heißt es: „Die Entwicklung einer Nuklear-Kapazität durch Afrikas größte Staaten ist wahrscheinlich ein notwendiger erster Schritt, um Afrikas untergeordneten Status in der internationalen Diplomatie zu überwinden.“
Die afrikanischen Staaten, die den Nicht-Verbreitungsvertrag unterschrieben hätten, sollten deshalb auch ihre Politik überdenken und sich lieber mit dem Gedanken anfreunden, ein afrikanisches Nuklear-Konsortium für die Entwicklung eigener Atomwaffen einzurichten. Das würde dann zur Folge haben, daß die Großmächte „nicht länger sagen können, die und die Waffe ist nicht für Afrikaner und Kinder unter 16“.
Hinter Mazruis Ausführungen steckt nicht nur das Aufbegehren gegen die Bevormundung durch die Supermächte. Mazrui glaubt vielmehr davon ausgehen zu müssen, daß erst ein aufgerüstetes Afrika, eine aufgerüstete Dritte Welt die Groß-und Supermächte als die eigentlichen Kriegstreiber in der Welt zur Vernunft bringen könnte. Der Weg zur militärischen Gleichheit als Voraussetzung zur politischen Gleichrangigkeit muß — so fordert Mazrui — zunächst in die nukleare Proliferation führen, um sich dann dem Ziel einer globalen De-Nuklearisierung zuwenden zu können.
Die Gefahren auf diesem Wege werden von unserem Kollegen gering eingeschätzt im Verhältnis zu den Gefahren, die sich aus der Hochrüstung der Industrieländer ergeben: Verrückt gewordene Diktatoren, die versucht sein könnten, mit allem, was sie haben, um sich zu schmeißen, gäbe es nicht nur in der Dritten Welt — in der Dritten Welt aber handelte es sich in aller Regel um sehr viel kleinere Diktatoren, die zwar auch einen ganzen Haufen Leute umbringen, nicht aber die Welt vernichten könnten.
Eine solche Argumentation ist nicht gerade erhebend, aber doch ernst zu nehmen, weil sie einen sehr wahrscheinlichen Weg der zukünftigen Entwicklung anspricht; das jedoch wird im Gegensatz zu Mazruis Meinung ein verhängnisvoller Irrweg sein. Eine Aufrüstung der Dritten Welt könnte möglicherweise den Abrüstungsruck auf die anderen Welten verstärken. Aber um welchen Preis! Um den Preis einer Potenzierung gegenwärtiger Kriegsgefahren und um den Preis einer noch viel große-ren Verschwendung von öffentlichen Mitteln, die für die Entwicklung dringend erforderlich sind. Die Erwartung von Mazrui, daß es so etwas wie einen abrüstungsorientierten Aufbau von Militärapparaten geben könnte, wird überdies durch die bisherige Geschichte nicht gerade als realistisch ausgewiesen. Sie wird sich als Illusion erweisen.
Aber wir haben keinen Grund, uns über Ausführungen wie die hier zitierten zu mokieren. Die gesamte Abrüstungsdiskussion zwischen den Industriestaaten wird schließlich unter machtpolitischen Vorbehalten geführt. Mazrui malt uns nicht das Bild eines Barbaren, der auch an den zweifelhaften Segnungen der Militärzivilisation teilhaben möchte; er hält uns vielmehr einen Spiegel vor — und in diesem Spiegel sehen wir nicht sehr gut aus. Um ein Wort aus dem neuesten Film von Peter Bogdanovich, Saint Jack, abzuwandeln: „Die Mächtigenversuchen, die Welt wie ein Spielcasino zu führen und machen ein Leichenhaus daraus."
Wirsind dem in jüngster Zeit ein unangenehmes Stück nähergerückt.
Angesichts der krisenhaften Zuspitzung der internationalen Auseinandersetzungen am Anfang der 80er Jahre erscheint vielen offenbar die Rüstung eine bessere Ergänzung zur Entwicklungspolitik zu sein als die Abrüstung Das Argument, daß es ohne Entwicklung keine Sicherheit geben könne — ein Argument, das der Mobilisierung vermehrter Mittel für die Entwicklungspolitik dienen sollte — droht sich gegen die Entwicklungspolitik zu wenden und zwar in der Form, daß die Entwicklungspolitik sicherheitspolitischen Erwägungen untergeordnet wird, daß Armut, Hunger, Ausbeutung nicht als Probleme an sich, sondern vornehmlich als mögliche Schwachstellen in der Systemkonkurrenz mit den sozialistischen Ländern Beachtung finden. Sollte dies eintreten, dürfte man sich nicht wundern, wenn die Entwicklungsländer im Gegenzug dazu übergingen, die Systemkonkurrenten des Ostens und des Westens systematisch gegeneinander auszuspielen. Die Chance, daß die Entwicklungsländer dabei etwas gewönnen, ist sicherlich geringer zu veranschlagen als die Gefahr, daß es dabei zu weiteren konfliktträchtigen Konfrontationen zwischen Ost und West in der Dritten Welt käme.
Aufrüstung und Entwicklung sind keine miteinander vereinbaren Teilstrategien globaler Friedenssicherung; sie stehen vielmehr in unauflöslichem Widerspruch zueinander. Globale Friedenssicherung muß deshalb nicht erst auf mittlere oder lange Sicht, sie muß hier und heute damit beginnen, Entwicklung und Abrüstung gemeinsam voranzutreiben.
Lothar Brock, Dr. phil., geb. 1939; Studium der Politikwissenschaft, des öffentlichen Rechts und der Neueren Geschichte in Saarbrücken und Berlin; nach zweijähriger Tätigkeit als Forschungsassistent bei der Organisation Amerikanischer Staaten in Washington, D. C., u. a. Wiss. Ass. an der FU Berlin, Akademischer Rat an der TU Braunschweig; seit 1979 Professor für internationale Beziehungen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität und Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung, beide in Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Entwicklungsnationalismus und Kompradorenpolitik. Die Gründung der OAS und die Entwicklung der Abhängigkeit Lateinamerikas von den USA, Meisenheim/Glan 1975; zusammen mit Volker Hornung und Gernot Jochheim: Thema Frieden, Berlin 1973; Mitherausgeber: Jahrbuch für Friedens- und Konfliktforschung, Bd. III—VII, 1973 ff.; Möglichkeiten und Grenzen einer konstruktiven Abgrenzungspolitik, in: Gerda Zellentin (Hrsg.), Annäherung, Abgrenzung und friedlicher Wandel in Europa, Bonn 1976; Problemlösung und Interessenpolitik. Friedenspolitische Funktionen einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit, u. a. in: Manfred Funke (Hrsg.), Friedensforschung. Entscheidungshilfe gegen Gewalt, Bonn 1975.
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