Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland Eine Zwischenbilanz
Peter Hampe
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Zusammenfassung
Die „Energiekrise" hat die Energielandschaft seit 1973 gewaltig verändert. Was noch vor zehn Jahren prognostiziert wurde bzw. energiepolitisch richtig erschien, ist heute weitgehend obsolet geworden. Obwohl die Bundesregierung diesen Veränderungen dadurch Rechnung zu tragen versuchte, daß sie ihr Energieprogramm immer wieder „fortschrieb" (sprich: revidierte), erlitt die regierungsamtliche Energiepolitik erhebliche Glaubwürdigkeitsverluste. Es ist unzureichend, die Energieprobleme nur aus der Perspektive der „Ölkrisen“ zu fokussieren. Es lassen sich zumindest folgende Hauptaspekte unterscheiden: Preisprobleme, Versorgungsprobleme (kurzfristig: Abhängigkeitsprobleme, langfristig: Probleme wegen der global begrenzten Energieressourcen) sowie Verträglichkeitsprobleme bei den einzelnen Energieträgern im Hinblick auf die natürliche und soziale Umwelt. In den letzten Jahren wurden gerade in der Bundesrepublik neue Energieprognosen und alternative Szenarien vorgelegt, die zumindest eine weitere Verlangsamung des Energieverbrauchs realistisch erscheinen lassen und insbesondere bei verstärkten Anstrengungen zur rationellen Energieverwendung einen massiven Ausbau der Kernenergie unnötig machen, wie er noch vor wenigen Jahren schon aus versorgungspolitischen Gründen geboten schien. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Enquete-Kommission des Bundestages „Zukünftige Kernenergie-Politik" zu nennen, die auch eine Kompromißformel für den bislang so tiefgehenden Streit zwischen Kernenergiebefürwortern und Kernenergiegegnern erarbeitet hat. Dieser wegweisende Vorschlag harrt aber nach wie vor auf seine Einlösung durch die praktische Politik.
Nach Jahren hitziger Kontroversen ist die Energiethematik etwas aus den Schlagzeilen gekommen. Die öffentliche Diskussion wird eher von Randthemen bestimmt, z. B. von der jüngsten Steigerung der Benzinpreise am Inlandsmarkt trotz der Preisberuhigung auf den internationalen Märkten; der monatelange Streit um die Finanzierung neuer Reaktor-linien wiederum interessiert nur die Fachleute.
Die Ruhe ist gewiß trügerisch: In der Nahostregion herrscht Spannung wie eh und je; mit einer mehr oder weniger gravierenden Beeinträchtigung der Ölversorgung muß jederzeit gerechnet werden; der Weiterbau umstrittener Kernkraftwerke oder neue Standortentscheidungen für Wiederaufarbeitungsanlagen und Atommüllagerstätten können sehr rasch die Emotionen erneut entzünden; und was würde diesbezüglich erst passieren, wenn sich irgendwo in der Welt ein schwerer Kernkraftwerksunfall ereignete?
Abbildung 5
Anhang Tabelle 3 Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags Zukünftige Kernenergie-Politik
Anhang Tabelle 3 Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags Zukünftige Kernenergie-Politik
Dennoch scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, um eine Art energiepolitische Zwischenbilanz über die vergangenen Jahre der „Energiekrise" zu ziehen, die Erfahrungen zu überdenken und daraus abzuleiten, welche energiepolitischen Schritte sich in den nächsten Jahren empfehlen. Die Bundesregierung hat dies Ende 1981 mit der dritten Fortschreibung ihres Energieprogrammes versucht. Die folgenden Überlegungen sollen gewissermaßen auch einen Kommentar zu diesem energiepolitischen Regierungsprogramm darstellen.
I. Prognose und Realität des Energieverbrauchs
Abbildung 1
Tabelle: Inlandsverbrauch an Primärenergie und Strom in der Bundesrepublik Deutschland
Quellen und Erläuterungen: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (Hrsg.), Energiebilanzen der Bundesrepublik Deutschland; Sta giepolitische Willens-und Entscheidungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt Bern 1981, Tabellenanhang.
Tabelle: Inlandsverbrauch an Primärenergie und Strom in der Bundesrepublik Deutschland
Quellen und Erläuterungen: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (Hrsg.), Energiebilanzen der Bundesrepublik Deutschland; Sta giepolitische Willens-und Entscheidungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt Bern 1981, Tabellenanhang.
Sucht man nach den Gründen dafür, warum die Bundesregierung überhaupt eine dritte Fortschreibung ihres Energieprogrammes vorgelegt hat, so muß man nur die tatsächliche Entwicklung des Energieverbrauchs bzw. die Entwicklung bei einzelnen Energieträgern mit den früher prognostizierten Vorstellungen vergleichen.
Die erste Fassung des „Energieprogramms der Bundesregierung", das ein Gesamtbild der energiepolitischen Lage und der Absichten der Regierung vermitteln sollte, wurde im Oktober 1973 veröffentlicht. Es war zweifellos mißlich, daß diese Veröffentlichung unmittelbar vor der ersten „Ölkrise" erschien, denn dadurch wurde die Bundesregierung schon ein Jahr später dazu gezwungen, eine erste Revision ihres Energieprogrammes vorzunehmen.
1977 schien dies erneut geboten. Zunächst veröffentlichte die Regierung im März „Grundli-
nien und Eckwerte" für die zweite Fortschreibung, deren Endfassung im Dezember erschien. Vier Jahre später folgte dann im No3 vember 1981 die dritte und bislang letzte Fortschreibung
Vergleicht man nun diese fünf Fassungen miteinander, so fällt zunächst einmal ins Auge, daß die Prognosen über die zukünftige Entwicklung des Energieverbrauchs schrittweise niedriger ausfielen (vgl. — auch zum folgenden — Tab. 1 und 2 auf S. 4 u. 5). 1973 wurde in der Bundesrepublik Primär-energie in Höhe von knapp 380 Mio. t SKE verbraucht. Obwohl die Bundesregierung in ihrem Energieprogramm große Sorgen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Ölmärkte äußerte glaubte sie doch, bei der Prognose des Energieverbrauchs bis 1985 die vorangegangene Entwicklung fortschreiben zu können. Diese Entwicklung war insbeson-dere dadurch charakterisiert, daß der Primär-energiebedarf und das reale Bruttosozialprodukt zwischen 1960 und 1973 jährlich im Durchschnitt um etwa 4, 5 % zugenommen hatten (Elastizitätskoeffizient = 1!).
Die Fortschreibung dieser Tendenzen ließ für 1980 einen Primärenergieverbrauch in Höhe von 510 und für 1985 von 610 Mio. t SKE erwarten.
Wie sehr die Ereignisse seit 1973 diese Erwartungen erschütterten, läßt sich an der Revision der Prognosen für das Jahr 1985 (dem einzigen Jahr, für das alle fünf Energieprogramme Prognosedaten enthalten) ablesen: Während man 1973 von einer Verbrauchszunahme um 60% auf 610 Mio. t SKE ausging, reichen die Vorausschätzungen in der dritten Fortschreibung (ihnen liegen, ebenso wie den Prognosen in den vorangegangenen Energieprogrammen, Gutachten wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute zugrunde) von 416 bis 433 Mio. t SKE (je nach Variante), d. h. es wird nur mehr eine Zunahme des Primärenergieverbrauchs um 12 bis 14 % gegenüber 1973 erwartet. Damit liegen die neueren Prognosen für 1985 im Durchschnitt um 185 Mio. t SKE niedriger als die Erwartungen von 1973; dies entspricht ziemlich genau der Hälfte des Pri märenergieverbrauchs von 1981! Aus diesei Prognosefehlern wird noch nicht einmal hinreichend deutlich, wie sehr die tatsächliche Entwicklung des Primärenergieverbrauch vom ursprünglichen Trend abweicht. 1981 lag nämlich der Primärenergieverbrauch sogar etwas niedriger als 1973! Damit ist zumindest füi diesen Zeitraum erstmals die sogenannte Entkoppelung (des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum) gelungen, denn das reale Sozialprodukt nahm zwischen 1973 und 1981 um rund 17 % zu
Warum wich die reale Entwicklung so stark von den ursprünglichen Prognosen ab. Das waren im wesentlichen zwei Gründe maßgebend: Einerseits das deutlich langsamere Wirtschaftswachstum, andererseits die enormen Energie-und insbesondere Olpreissteige-rungen, die vor allem seit 1980 zu fühlbaren Sparreaktionen der verschiedenen Energie-verbrauchergruppen geführt haben.
Die laufenden Fehleinschätzungen der Entwicklung des Energieverbrauchs haben auch die Bundesregierung verunsichert. Das zeigt sich schon am mehrfachen Wechsel des Prognosevokabulars in den verschiedenen Energieprogrammen. Da ist einmal von „bedingten Prognosen" die Rede, ein andermal von „Status-quo-Prognosen“ oder von „Perspektiven" bzw. von „Perspektivprojektionen", neuerdings wird schlicht von „Vorausschätzungen" gesprochen, ohne daß hinreichend deutlich würde, wo die jeweiligen Unterschiede liegen. Gleichzeitig hat sich die Bundesregierung zunehmend von den jeweiligen Gutachten der Forschungsinstitute distanziert. Während sie in den ersten Programmen die Prognosen der Institute direkt als ihre eigenen übernahm, lautet nunmehr die Sprachregelung der dritten Fortschreibung, daß sich die Bundesregierung die Ergebnisse der von den Instituten in eigener Verantwortung erstellten Vorausschätzungen nicht zu eigen mache; sie stellten jedoch eine plausible Einschätzung bestimmter Trends dar
Diese Verunsicherung ist sicherlich auch im Zusammenhang mit dem Effekt zu sehen, daß das deutliche Zurückbleiben des Primärenergieverbrauches hinter den ursprünglichen Einschätzungen bestimmten energiepolitischen Enscheidungen mehr oder weniger die ursprüngliche Rechtfertigungsbasis entzog. Dies trug wiederum dazu bei, daß der ursprüngliche Konsens aller Bundestagsparteien, ja auch der großen Bevölkerungsmehrheit, über die Grundlinien der zukünftigen Energiepolitik zerfiel und die Akzeptanz bestimmter energiepolitischer Entscheidungen immer schwerer erreichbar wurde. Bevor darauf näher eingegangen werden kann, muß noch die Entwicklung des Verbrauchstrends bei einzelnen besonders wichtigen Energieträgern etwas näher unter die Lupe genommen werden.
Besonders ins Auge fallen zunächst einmal die Änderungen beim Erdölverbrauch. 1973, als der Anteil des Mineralöls am bundesdeutschen Primärenergieverbrauch 55% (!) betrug (= 209 Mio. t SKE), glaubte die Bundesregierung noch, daß sich an dieser dominanten Stellung des Öls nichts ändern würde. Folglich schätzte man den ölbedarf für 1980 auf 275 und für 1985 auf 330 Mio. t SKE Die Politik des „weg vom öl", vor allem aber die immensen Ölpreissteigerungen der letzten Jahre haben jedoch deutliche Spuren hinterlassen: Bis 1981 fiel der ölanteil auf knapp 45% zurück (= 168 Mio. t SKE) und soll gemäß der dritten Fortschreibung bis 1985 weiter auf 43 bis 44% und bis 1995 auf rund 34% zurückgehen; dies würde einen Verbrauch von 177 bis 190 Mio. t SKE für 1985 bzw. von 154 bis 170 Mio. t SKE für 1995 bedeuten. Die dritte Fortschreibung rechnet also für 1985 und 1995 mit einem Mineralölverbrauch, der annähernd um die Hälfte niedriger liegt, als im Energieprogramm von 1973 für 1985 unterstellt wurde.
In umgekehrter Richtung weichen die Prognosen und die tatsächliche Entwicklung im Falle der Steinkohle ab (bei Braunkohle, Naturgas, Wasserkraft und den sonstigen Energieträgern fallen die entsprechenden Diskrepanzen am geringsten aus). Die Ende der fünfziger Jahre eingetretene Steinkohlekrise hatte auch 1973 noch die weiteren Perspektiven für die Steinkohle düster erscheinen lassen. Man schätzte daher im Energieprogramm, daß ihr Anteil am Primärenergieverbrauch von 22% (= 84 Mio. t SKE) weiter auf 11% (1980) bzw. 8% (1985) abnehmen würde; dies hätte die zu fördernden Kohlenmengen absolut auf 58 bzw. 50 Mio. t SKE vermindert. In Wirklichkeit ging der Anteil der Steinkohle bis 1980 nur geringfügig auf 20 % zurück, was einem Mengenverbrauch von 78 Mio. t SKE entsprach. Und nach der dritten Fortschreibung soll dieser Anteil zunächst bis 1985 gleich bleiben und dann bis 1995 sogar leicht auf 22% ansteigen: Das würde einen mengenmäßigen Verbrauch von 101 bis 109 Mio. t SKE (1995) bedeuten.
Besonders hervorzuheben ist schließlich die Entwicklung beim Stromverbrauch und in diesem Zusammenhang speziell der Ausbau der Kernenergie. Allein zwischen 1960 und 1973 hatte sich der Stromverbrauch auf das Zweieinhalbfache erhöht — eine jahresdurchschnittliche Zuwachsrate von 7, 4% (demgegenüber betrug die Wachstumsrate beim Primärenergieverbrauch und beim realen Sozialprodukt nur 4, 5%). Und selbst zwischen 1973 und 1981 nahm der Stromverbrauch mit 22% noch etwas stärker zu als das reale Sozialprodukt, während der Primärenergieverbrauch leicht zurückging (vgl. Tab. 1). Gleichwohl ist inzwischen auch beim Stromverbrauch eine deutliche Verlangsamung der Zuwächse erkennbar. Demgegenüber hatte die Bundesregierung noch in der zweiten Fortschreibung ihres Energieprogramms für den Zeitraum 1975 bis 1985 mit einer jährlichen Verbrauchszunahme von 5 bis 6% gerechnet. Noch deutlicher werden die Abweichungen beim Vergleich der geplanten und der realisierten Stromerzeugungskapazität. Sie lag 1973 bei 60 Gigawatt (GW) und sollte nach dem Energie-programm von 1973 bis 1985 auf 140 GW ausgebaut werden. Bis Ende 1980 hatte sie sich aber effektiv lediglich auf 87 GW erhöht, und entgegen manch bedrohlicher Äußerung, ohne einen intensiven Ausbau der Kernenergie würden schon Anfang der achtziger Jahre „die Lichter ausgehen", scheint die Elektrizitätswirtschaft derzeit sogar Überkapazitäten von 40% (selbst bei Berücksichtigung der notwendigen Reserven) aufzuweisen
So rechnet auch die dritte Fortschreibung des Energieprogrammes für 1985 nur noch mit einer Kraftwerkskapazität von knapp 100 GW, während für 1995 120 bis 125 GW angesetzt werden.
Welche Rolle soll nun in diesem Rahmen die Kernenergie übernehmen? In unmittelbarer Reaktion auf die Ölkrise von 1973/74 glaubte die Bundesregierung sogar, den Ausbau der Kernenergie beschleunigen zu sollen. Hielt das Energieprogramm von 1973 eine Mindestkernkraftwerkskapazität von 18 GW für 1980 und von 40 bis 50 GW für 1985 für erforderlich, so wurden diese Ansätze in der ersten Fortschreibung auf 20 GW bzw. 45 bis 50 GW erhöht: Dies wären dann 45% der erwarteten Stromerzeugung gewesen. Realisiert wurde aber bis 1980 nur eine Kernkraftwerkskapazität von 8, 5 GW; und anstelle des ursprünglich für 1980 prognostizierten Beitrags der Kernenergie zur Energieversorgung von 45 Mio. t SKE = 9% ergab sich nur ein Beitrag von 14 Mio. t SKE = 3, 7%. Für 1985 rechnen die Forschungsintitute bzw. die dritte Fortschreibung des Energieprogramms nur noch mit 18 GW — eine insoweit realitätsnahe Prognose, als derzeit rund 11 GW Kernkraftwerkskapazität in Bau ist; die entsprechenden Vorausschätzungen für 1995 — 36, 8 bis 39, 5 GW = 17% des Primärenergieverbrauchs! — hat die Bundesregierung ausdrücklich nicht als ihre eigene Einschätzung akzeptiert
Die schon fast peinliche Notwendigkeit, die Erwartungen hinsichtlich des Energieverbrauchs und der Rolle einzelner Energieträger immer wieder revidieren zu müssen, war natürlich durch Veränderungen des Energieszenarios seit 1973 bedingt, die zuvor nicht (zumindest nicht in diesem Umfang) voraussehbar waren. Allerdings ist die bloße Fortschreibung von Trendwerten grundsätzlich riskant. Die beschriebenen Fehleinschätzungen und Prognoserevisionen haben wiederum mit Sicherheit dazu beigetragen, die offizielle Energiepolitik in eine Art Glaubwürdigkeitskrise zu bringen. Kann man nach solchen Erfahrungen den heutigen Prognosen mehr Vertrauen entgegenbringen? Wie soll man andererseits ohne einigermaßen verläßliche Voraussagen vernünftige energiepolitische Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen angesichts des Zeitbedarfs der Erstellung neuer Energie-anlagen und der Entwicklung neuer Energietechnologien teilweise erst in etlichen Jahren einsetzen? Man denke dabei z. B. an das Gasgeschäft mit der Sowjetunion oder an die Frage, ob Wiederaufbereitungsanlagen und Schnelle Brutreaktoren benötigt werden usw.
Bevor das gegenwärtige energiepolitische Konzept der Bundesregierung und die Positionen der Parteien angesichts derartiger Unsicherheit näher untersucht werden, ist es sinnvoll, die generelle Energieproblematik zu differenzieren und einige Hauptaspekte zu unterscheiden.
II. Hauptaspekte der Energieproblematik
Abbildung 2
Tabelle 2 Prognosen des Primärenergieverbrauchs und der Stromerzeugungskapazitäten in den Energieprogrammen der Bundesregierung
Tabelle 2 Prognosen des Primärenergieverbrauchs und der Stromerzeugungskapazitäten in den Energieprogrammen der Bundesregierung
Welche energiepolitischen Probleme galt und gilt es vor allem seit 1973/74 vorrangig zu bewältigen? Vier Problembereiche sollen hier unterschieden werden, die zwar realiter durchaus miteinander verknüpft sind, denen aber mehr oder weniger unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen und zu deren Bewältigung auch zum Teil unterschiedliche Strategien vonnöten sind.
Die Abhängigkeitsproblematik Daß Außenhandel Abhängigkeiten mit sich bringt, liegt auf der Hand. Zumeist entstehen aber gegenseitige Abhängigkeiten, die eher ungefährlich erscheinen und in aller Regel der Wohlstandseffekte wegen in Kauf genommen werden. Es gibt aber keine Gewähr dafür, daß im Rahmen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen symmetrische Abhängigkeitsbeziehungen entstehen.
Dies haben die westlichen Industrieländer hinsichtlich ihrer Ölabhängigkeit schmerzlich erfahren müssen. Allzu sorglos hatten sie seit Ende der fünfziger Jahre auf das öl gesetzt, das billig und reichlich vorhanden schien. Der daraus resultierende gewaltige Ölimportbedarf mußte zudem überwiegend aus einer Region gedeckt werden (dem Persischen Golf), die geopolitisch gesehen beste Möglichkeiten für eine effektive Blockade bietet (die Straße von Hormuz!). Die Abhängigkeitsprobleme nahmen zu, als 1960 13 der wichtigsten Ölexportländer eine gemeinsame Organisation, die OPEC, gründeten; 1968 folgte die Gründung der OAPEC, der Organisation ölexportierender arabischer Länder. Das Vertrauen des Westens auf die Uneinigkeit der Araber erwies sich 1973, als ein neuer Nahostkrieg ausbrach, als Illusion. Die OAPEC verhängte partielle Liefersperren, z. B. auch gegen Rotterdam, drosselte die Ölförderung und drohte weitere Produktionseinschränkungen für den Fall an, daß sich die westliche Nahostpolitik nicht dem arabischen Interessenstandpunkt annähern würde. Nachdem die Industrieländer des Westens ihre Bereitschaft gezeigt hatten, die arabischen Forderungen stärker zu berücksichtigen, funktionierten die Ölimporte wieder reibungslos.
Wie lassen sich nun solche ungleichgewichtigen Abhängigkeitsstrukturen und die daraus resultierenden Risiken abbauen oder gar vermeiden? Welche Lehren hat die deutsche Energiepolitik aus der „Ölkrise" gezogen wo-bei von vornherein die Möglichkeit einer deutlichen Steigerung der inländischen Olför-derung ausschied?
a) Das wichtigste Instrument war und ist sicherlich die Reduzierung des Ölverbrauchs, sei es durch Energiesparmaßnahmen, sei es auf dem Wege der Substitution von öl durch andere Energieträger. Die Verminderung des Ölverbrauchs zwischen 1973 und 1981 in der Bundesrepublik um 20% von 209 Mio. t SKE auf rund 168 erscheint daher als deutlicher Schritt in die richtige Richtung und hat insoweit auch die Abhängigkeit vermindert.
b) Die Bezugsquellen wurden differenziert. Der Anteil der Ölimporte aus den OPEC-Ländern sank z. B. zwischen 1973 und 1981 vor allem durch steigende Lieferungen von Nordseeöl von 96% auf etwa 73%. Dies ist auch das Ergebnis von Bemühungen, deutsche Ölgesellschaften bei der Ölexploration im Ausland zu unterstützen (Deminex-Programme). Unter den OPEC-Lieferanten hat inzwischen Saudi-Arabien die dominierende Position, während zu Beginn der sechziger Jahre Iran, Libyen und Irak die wichtigsten Lieferländer waren. c) Um im Falle neuer Versorgungstörungen besser gewappnet zu sein, haben die OECD-Länder (mit Ausnahme von Frankreich) die Internationale Energieagentur gegründet. Im Krisenfalle wollen sich die Mitgliedsländer gegenseitig soweit wie möglich mit Öl-Lieferungen zu Hilfe kommen. Vor allem aber wurde eine Ölvorratshaltung abgesprochen, die im Falle der Bundesrepublik, insbesondere wenn man auch die Lagerhaltung der Ölhändler und der Verbraucher einbezieht, erheblich über den vereinbarten 90-Tage-Importbedarf hinausgeht.
d) Die Bundesregierung hat auch wesentliche Anstrengungen unternommen, um die wirtächaftlichen und politischen Beziehungen zu den OPEC-Ländern, insbesondere aber gegenüber Saudi-Arabien, zu verbessern und zu intensivieren. Dies bedingt nicht nur eine zunehmende Besuchsdiplomatie, sondern auch die stärkere Berücksichtigung arabischer Interessen und Standpunkte. So hat die wirtschaftliche Kooperation mit verschiedenen arabischen Ländern sichtbar zugenommen bis hin zur Aufnahme staatlicher Kredite in Saudi-Arabien. Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, das Risiko weiterer Ölkrisen zu vermindern. Denn trotz der beschriebenen Öleinsparungserfolge und der übrigen Maßnahmen besteht kein Grund zum Aufatmen. Der Ölimportbedarf der Bundesrepublik und der übrigen OECD-Länder ist immer noch hoch und der Nahe Osten ein Krisengebiet erster Ordnung. Schließlich ist noch zu beachten, daß die Bundesrepublik auf dem Energiesektor nicht nur von Ölimporten abhängig ist. Derzeit müssen auch rund 70% des Erdgases und das gesamte Uran vom Ausland bezogen werden. Gas wird insbesondere aus Holland, aus Norwegen und aus der Sowjetunion (1981 = 17%) bezogen. Langfristig soll die Länderpalette noch verbreitert und die inländische Gasspeicherkapazität erhöht werden.
Kontrovers debattiert wird aber vor allem das große Erdgasgeschäft mit der Sowjetunion, das deren Lieferanteil in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre bis auf 30% ansteigen lassen könnte. Auch wenn die Bundesregierung daraus keine „unvertretbare Energieabhängigkeit" erwachsen sieht und dafür einige Argumente ins Feld führen kann: 30% von einem Lieferanten allein sind schon eine beachtliche'Größenordnung! Die amerikanische Kritik an diesem europäischen Geschäft richtet sich im übrigen neuerdings stärker gegen die hohen Deviseneinnahmen, die die Sowjetunion für ihre Gaslieferungen erhalten wird. Natururan liefern vor allem Südafrika, Kanada und die Vereinigten Staaten; angereichertes Uran kommt vornehmlich aus den Vereinigten Staaten und aus der Sowjetunion. Die Uranversorgung scheint also auf den ersten Blick die geringsten Probleme aufzuwerfen. Doch auch Kanada und die Vereinigten Staaten haben die Europäische Gemeinschaft schon einmal einer Liefersperre ausgesetzt, um die europäischen Länder bei ihrer Export-politik von Nuklearanlagen unter Druck zu setzen.
Die Preisproblematik Während sich die politischen Wogen nach dem ölschock vom Herbst 1973 bald wieder glätteten und die OAPEC-Länder ihre Produktionsrestriktionen wieder aufhoben, veränderte die monopolistische Preispolitik der Ölexportländer die globale Energielandschaft bis in die Gegenwart weitaus nachhaltiger.
Vor der ersten Ölkrise lag der Rohöl-Brrel-Preis am Weltmarkt bei etwa 2, 50 Dollar; 1974 stieg er sprunghaft auf rund 12 Dollar; nach einigen Jahren mit nur relativ geringfügigen Preisanhebungen konnten die OPEC-Länder schließlich 1979/80 erneut drastische Preiserhöhungen durchsetzen: Der Barrel-Preis überschritt die 30-Dollar-Grenze. Einige OPEC-Länder konnten ihr öl 1981 sogar für 40 Dollar je Barrel verkaufen.
Nun wäre es falsch, die Schuld für diese Entwicklung einseitig bei den OPEC-Ländern zu suchen. Denn es wäre ihnen gar nicht möglich gewesen, solche exorbitanten Preiserhöhungen am Weltmarkt durchzusetzen, wenn der Öldurst der Industrieländer sogar nach den ersten Preiserhöhungen von 1974 nicht noch stärker zugenommen hätte. Dabei kam im Falle der Vereinigten Staaten verschärfend hinzu, daß deren hohe Inlandsölförderung seit Anfang der siebziger Jahre leicht rückläufig war. Dies schlug voll auf den Ölimportbedarf durch (zwischen 1968 und 1977 verdreifachten sich die US-Ölimporte; die Einfuhren aus den OPEC-Ländern stiegen in diesem Zeitraum sogar von 1, 3 Mill. Barrel pro Tag auf 6, 2 Millionen!) Und in der Tat notierten auch die ölpreise am Freien Markt häufig höher als die offiziellen OPEC-Preise, so daß deren Erhöhung gleichsam als bloße Anpassung an die Marktlage ausgegeben werden konnte. In umgekehrter Richtung wirkten die Marktkräfte allerdings — wie schon zuvor — nicht unbeeinflußt von der antizyklischen Politik vor allem Saudi-Arabiens, als seit 1980 die Industrieländer ihren Ölverbrauch spürbar reduzierten (teils als Folge von Sparmaßnahmen, teils als Folge der wirtschaftlichen Rezession). Rasch zeigten sich nun Preisgrenzen für das öl, und die OPEC-Länder mußten sogar ihre Ölförderung schrittweise zurücknehmen, um die ölpreise zumindest auf einem Niveau von 32 bis 34 Dollar je Barrel zu halten — ein Problem, das die gemeinsame Politik der OPEC-Länder in diesem Jahr schon nahe an den Rand des Scheiterns gebracht hat, weil diese Strategie unvorhergesehene Mindereinnahmen zur Folge hat.
Wenden wir uns den ökonomischen Auswirkungen der Ölpreissteigerungen zu. Sie haben zweifelsohne dazu beigetragen, daß die Industrieländer 1974/75 und seit 1980/81 zwei schwere Rezessionen erlebten, daß über viele Jahre hinweg ungewöhnlich hohe Inflationsraten entstanden und daß sich die Leistungsbilanzen etlicher Länder — zwischen 1979 und 1981 geriet auch die der Bundesrepublik kräftig ins Minus — erheblich verschlechterten.
Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß sich allein die „Nettoölrechnung" der Bundesrepublik von 9, 5 Milliarden Mark (1972) über 31 Milliarden (1978) auf knapp 65 Milliarden Mark (1981) erhöht hat. Bezogen auf das Sozialprodukt stieg der ölanteil in diesem Zeitraum beachtlich (von 1 auf 4 %) Besonders hart betroffen wurden aber die nicht-ölproduzierenden Entwicklungsländer, deren ölausgaben trotz ihres geringen Ölverbrauchs in den letzten Jahren sehr rasch den Umfang der westlichen Entwicklungshilfe überstiegen. Umgekehrt erzielten die OPEC-Länder gewaltige Einnahmesteigerungen.'Dies führte sowohl zu einer Verschiebung der internationalen Einkommensverteilung als auch zu einer Stärkung der politischen Macht der Ölländer im internationalen Rahmen.
Es kann nicht überraschen, daß sich im Zuge der Ölpreisexplosion auch andere Energieträger verteuerten, wenn auch nicht unbedingt in gleichem Umfang. In der Bundesrepublik erhöhten sich die Einfuhrpreise beispielsweise zwischen 1977 und 1981 beim Rohöl und bei Mineralölprodukten annähernd auf das Zweieinhalbfache, Erdgas verzeichnete — vor allem wegen der Bindung an die ölpreise — annähernd denselben Preisanstieg, während sich die importierte Kohle im Preis etwa verdoppelte. Demgegenüber blieb der Preisanstieg inländischer Kohle mit etwa 50% relativ bescheiden (die Inlandskohle verbesserte damit ihre Wettbewerbsfähigkeit, vor allem gegenüber dem öl, ohne damit allerdings den Wettbewerbsvorteil der Importkohle wettmachen zu können)
Was kann energiepolitisch gegen solche Preissteigerungen getan werden? Soweit es sich um die Änderung von Weltmarktpreisen handelt, ist natürlich ein einzelnes, stark energieimportabhängiges Land wie die Bundesrepublik kaum in der Lage, viel auszurichten. Ebenso ist einsichtig, daß die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, das so stark wie die Bundesrepublik in die Weltwirtschaft eingebunden ist, erheblich beeinträchtigt würde, stiegen „die Energiekosten der Bundesrepublik Deutschland längerfristig stärker ... als bei unseren Konkurrenten am Weltmarkt“ In solchen Formulierungen schwingt die Sorge mit, daß konkurrierende Industrieländer — wie z. B. Frankreich — sich über einen stärkeren Ausbau der Kernenergie Kosten-und Wettbe-werbsvorteile verschaffen könnten. Für die Bundesregierung ist daher der weitere Ausbau der Kernenergie auch unter Kostengesichtspunkten sinnvoll; sie geht dabei davon aus — gestützt auf eine Untersuchung des energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln —, daß der Kostenvorteil von Leichtwasserreaktoren, z. B. gegenüber der Kohleverstromung, in der Grundlast in Zukunft sogar noch wachsen werde Zu beachten ist die Einschränkung auf Leichtwasserreaktoren — also auf die bis heute gängige Reaktorlinie — und auf den Einsatz in der Grundlast.
Als zweite Strategie zur Senkung der Energiekosten strebt die Bundesregierung — sieht man einmal von der beabsichtigten Lockerung des Kohleimports ab — den „möglichst rationellen Einsatz der Energie" an In der Tat: In dem Maße, in dem es gelingt, den Energiebedarf pro Einheit Sozialprodukt zu senken, also die Energieproduktivität zu steigern, relativieren sich die Energiekosten. Auch unter diesem Aspekt ist der relative Rückgang des Primärenergieverbrauchs — bezogen auf das Sozialprodukt — in den letzten Jahren positiv zu werten.
Das Problem ausreichender Ressourcenpotentiale zur Energieversorgung Neben den Abhängigkeitsproblemen und den Preissteigerungen rückte in den letzten Jahren noch ein anderer Aspekt der Energieproblematik immer stärker ins politische Bewußtsein: Die Frage nach weltweit ausreichenden Energieressourcen, um den langfristigen Weltenergiebedarf decken zu können.
Mit welcher Entwicklung des Weltenergiebedarfs ist langfristig zu rechnen? Hier stellt sich sofort wieder das Prognoseproblem mit aller Schärfe. Die Ölkrise trieb entsprechende Untersuchungen an, und speziell in den Jahren 1976/77 wurde ein ganzes Bündel internationaler Energieprognosen erarbeitet
Trotz aller Unterschiede in den Annahmen und in den Einzelergebnissen stimmte das Gros dieser Analysen in einem zentralen Punkt weitgehend überein, daß sich nämlich der weltweite Energiebedarf — vornehmlich wegen der Entwicklungsbedürfnisse der Länder der Dritten Welt auf dem Hintergrund raschen Bevölkerungswachstums — bis zum Jahre 2000 vermutlich verdoppeln, bis zum Jahr 2020 bzw. 2030 sogar verdreifachen, wenn nicht vervierfachen wird. Auch „Global 2000", der Forschungsbericht an den amerikanischen Präsidenten Carter aus dem Jahre 1980, rechnet — zumindest für den Zeitraum 1975 bis 1990 — mit einer weltweiten jährlichen Verbrauchssteigerung von 3%, woraus sich eine Verdoppelungszeit von 23, 5 Jahren errechnet
Wie kann ein derart zunehmender Energiebedarf aber gedeckt werden, wenn schon heute bei den wichtigsten fossilen Energieträgern Vorratsgrenzen sichtbar werden? So hat z. B. das Bundesministerium für Wirtschaft im Frühjahr 1980 Studien vorgelegt, nach denen die „statische Reichweite", d. h. die Vorrats-dauer bei konstantem Jahresverbrauch, bei Erdöl nur noch 29 Jahre, bei Erdgas 53 Jahre und bei Kohle 189 Jahre beträgt
Nun stützen sich diese und ähnliche Berechnungen auf die engstmögliche Bestandsdefinition; berücksichtigt werden nämlich nur die nachgewiesenen, ökonomisch gewinnbaren Reserven. Eine zunehmende Verknappung der Rohstoffe würde aber ihre Preise weiter ansteigen lassen und damit auch weitere Vorkommen (z. B. Olsändeund Ölschiefer-Gebiete) wirtschaftlich abbaufähig machen. Allein bei der Kohle läßt sich auf diese Weise die mögliche Abbaumenge vermutlich verdoppeln Weit darüber hinaus reichen die „wahrscheinlichen" und „vermuteten" Reserven an öl, Gas und Kohle; dabei geht es um Lagerstätten, die noch nicht systematisch erkundet bzw. überhaupt noch nicht genauer bekannt sind. Dennoch: Speziell beim öl, aber auch beim Gas, ist es schon schwierig geworden, auch nur an gleichbleibende Versorgungsanteile bei weltweit steigendem Energieverbrauch zu denken, überdies kommen die genannten Studien zu dem gemeinsamen Ergebnis, daß von der Nutzung regenerativer Energiequellen (Sonne, Wasser, Wind, Bio-Masse u. ä.) frühestens nach der Jahrtausendwende und auch dann erst allmählich signifi-kante und zunehmende Versorgungsanteile zu erwarten seien.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Perspektiven? Einfach gesagt: Es führt „langfristig kein Weg an der Kernenergie" vorbei Die quantitativen Folgen solcher Szenarien und Strategien aber seien beispielhaft an der IIASA-Studie von 1977 skizziert, die bis zum Jahr 2030 annähernd mit einer Vervierfachung des Weltenergieverbrauchs rechnete, wobei sie einen Versorgungsanteil der Kernenergie von 47 %, der fossilen Brennstoffe von 29% und der regenerativen Energiequellen von 24% unterstellte Grob kalkuliert würde dies gegenüber dem heutigen Stand einen weltweiten Ausbau der Kernkraftwerkskapazitäten um den Faktor 70 bedeuten, übertragen wir diese Durchschnittszahl auf die Bundesrepublik, so wären hier 700 Kernkraftwerke heutiger Größenordnung erforderlich! Noch vor zehn Jahren hätte man einen kräftigen Ausbau der Kernenergie für vernünftig erachtet, denn die Kernenergie schien geradezu als Ersatzenergie für das Nachölzeitalter prädestiniert. Inzwischen hat sich aber auch die Kernenergielandschaft radikal verändert. Auf der einen Seite haben die Vorratsschätzungen für Natururan ergeben, daß ein derartig massiver Ausbau der Kernenergie, wie ihn z. B. die IIASA-Studie unterstellt, schon sehr bald an Rohstoffgrenzen stoßen würde. Vor allem unter diesem Aspekt hat man daher große Erwartungen in eine neue Reaktortechnologie, den Schnellen Brüter, gesetzt, der es erlauben würde, die Uranvorräte wesentlich besser auszunützen (man spricht hier oft vom Faktor 60). Allerdings hätte dies gleichzeitig den massiven Einstieg in die Plutoniumswirtschaft zur Folge, und dies würde die Akzeptanzkrise noch weiter verschärfen, in die die Kernenergie in den letzten Jahren geraten ist. Immerhin bleibt festzuhalten, daß das Argument, Kernenergie sei einfach deshalb unverzichtbar, weil der langfristig weltweite Energiebedarf sonst nicht gedeckt werden könne, zu den stärksten Geschützen der Kernenergiebefür-
werter zählt — ein Argument, das auch Kernenergieskeptiker nicht unbeeindruckt lassen kann.
In den letzten Jahren haben sich allerdings zunehmende Zweifel daran ergeben, ob die genannten Szenarien überhaupt so zwingend sind, wie sie ursprünglich erschienen. 1980 legten z. B. Wissenschaftler des Öko-Instituts in Freiburg unter dem Titel „Energie-Wende" eine Studie vor, nach der der Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik nur noch bis zum Jahre 1985 ansteigt und von da an bis zum Ende des Untersuchungszeitraums — dem Jahre 2030 — kontinuierlich abnimmt. Nach dieser Studie wäre es möglich, nicht nur auf Kernenergie gänzlich zu verzichten, sondern schrittweise auch noch auf öl und Gas; lediglich der Verbrauch an Kohle würde geringfügig zunehmen, während der Restenergiebedarf durch Bio-Masse, Sonnen-, Wind-und Wasserenergie gedeckt werden könnte. Und dies alles, wohl bemerkt, trotz eines weiteren, wenn auch allmählich sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums und steigender Inanspruchnahme von Energiedienstleistungen, dem eigentlichen Energiebedarf
Für manchen Beobachter mag dies schon an Zauberei grenzen. So drängt sich die Frage auf, wo der „geheimnisvolle" Unterschied zu den konventionellen Prognosen liegt. Er ergibt sich im wesentlichen aus der Annahme langsameren Wirtschaftswachstums, und zwar speziell im Bereich der energieverbrauchsintensiven Grundstoffindustrien, in der Annahme eines Bevölkerungsrückgangs in der Bundesrepublik bis zum Jahre 2030 auf 45 Millionen, sowie schließlich in der systematischen Auslotung aller Möglichkeiten, Energie rationeller zu nutzen und zu sparen. Rationelle Energienutzung heißt dabei, z. B.den elektrischen Strom als hochwertigste Energie — bei deren Herstellung ca. zwei Drittel der Primär-energie in Form von Umwandlungsverlusten, d. h. Abwärme, verlorengehen — möglichst nur dort einzusetzen, wo keine vernünftigen Alternativen zur Verfügung stehen, also z. B. grundsätzlich nicht für den Niederwärmebedarf, der einen hohen Anteil am gesamten Energieverbrauch besitzt (allein für Raumheizungszwecke werden etwa 40% der Endenergie verwandt). Energiesparpotentiale liegen zunächst einmal dort, wo Energie bislang eher verschwendet als sparsam genutzt wurde. So läßt sich z. B.der Heizenergiebedarf allein durch Wärmedämmung, durch sinnvolle Raumbelüftung o. ä. Maßnahmen erheblich reduzieren. Die Freiburger Studie wurde vielerorts heftig angegriffen sie erhielt jedoch auch Unter-Stützung — indirekt vor allem durch die erste Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik", die der Deutsche Bundestag 1979 nicht zuletzt angesichts der kontroversen Diskussionen um die weitere Nutzung der Kernenergie zur Entscheidungshilfe eingesetzt hatte. Die Kommission, die sich aus sieben Abgeordneten der Bundestagsparteien und acht Sachverständigen zusammensetzte (wobei auf Vorschlag der Fraktionen bekannte Kernenergiebefürworter und Kernenergiekritiker berufen wurden), legte im Sommer 1980 ihren Bericht vor Überraschenderweise konnten sich dabei alle Sachverständigen zusammen mit den Kommissionsmitgliedern aus SPD und FDP auf gemeinsame energiepolitische Handlungsempfehlungen verständigen. Die CDU/CSU-Abgeordneten der Kommission legten dagegen ein Minderheitsvotum vor. Ein wichtiger Bestandteil des Kommissionsberichtes ist eine Pfadberechnung des bundesdeutschen Energiebedarfs und seiner Deckungsmöglichkeiten für das Jahr 2000 und 2030. Gemäß den vier Pfaden, denen insbesondere verschiedene Annahmen über das Wirtschaftswachstum, den Strukturwandel in der Wirtschaft und den Umfang an Energieeinsparung zugrunde liegen, würde der Primärenergiebedarf, der 1978 bei 390 Mio. t SKE lag, höchstens auf 600 Mio. t SKE ansteigen (Pfad 1 entspricht der Energieprognose der zweiten Fortschreitung vom Dezember 1977) oder im anderen Extrem auf 345 Mio. t SKE zurückgehen. Für das Jahr 2030 ergibt sich eine Spannbreite des denkbaren Primärenergieverbrauchs von 310 bis 800 Mio. t SKE Was die zentrale Frage der Nutzung der Kernenergie betrifft, so kann in den Pfaden 3 und 4 auf die weitere Nutzung von Kernenergie verzichtet werden, während sich bei den Pfaden 1 und 2 eine zunehmende Versorgungsnotwendigkeit durch Kernenergie (einschließlich Brütern) ergibt.
Das der dritten Fortschreibung zugrunde liegende Institutsgutachten entspricht diesen Einschätzungen insoweit, als das erwartete Wachstum des Primärenergieverbrauchs, vor allem aber des Endenergieverbrauchs, im Vergleich zu den früheren Vorausschätzungen erheblich reduziert wurde (der Endenergieverbrauch soll zwischen 1978 und 1995 lediglich von 261 auf 279— 291 Mio. t SKE ansteigen)
Die beiden Untersuchungen haben die rückläufige Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in den beiden letzten Jahren daten-mäßig noch gar nicht bzw. nur zum Teil berücksichtigen können. Diese wurde erstmals in eine Studie über die Perspektiven des bundesdeutschen Energiemarkts bis zum Jahr 2000 eingearbeitet, die die Deutsche Shell AG im April 1982 vorgelegt hat — ein Unternehmen, das ja nicht gerade im Verdacht steht, den zukünftigen Energiebedarf bewußt zu unterschätzen. Die Bandbreite der möglichen Entwicklung wird dort in zwei Szenarien einzufangen versucht, die z. B.den Endenergieverbrauch bis zum Jahre 2000 annähernd gleichbleiben bzw. um etwa 20% zurückgehen lassen; der Primärenergieverbrauch steigt im selben Zeitraum nach dem ersten Szenario auf 436 Mio. t SKE (also gegenüber 1981 = 374 Mio. t SKE um 17%) und sinkt nach dem zweiten auf 337 Mio. t SKE ab
Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, wird aus diesen neueren Energieszenarien die energiepolitische Entscheidungsproblematik — soweit es um die Sicherung der Energieversorgung auf längere Sicht geht — wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar: Die weitere Entwicklung des Primärenergieverbrauchs ist von vielen Faktoren abhängig, über deren Entwicklung heute so wenig verläßliche Aussagen gemacht werden können, daß nicht einmal die Richtung der Entwicklung des Energiebedarfs sicher prognostiziert werden kann. Zumindest kann aber die zukünftige Entwicklung durch energiepolitische Maßnahmen beeinflußt werden. Unter diesen Umständen hat die Enquete-Kommission des Bundestages die folgenden Empfehlungen abgegeben:
„Die energiepolitischen Analysen lassen grundsätzlich zwei alternative langfristige Wege — mit und ohne Kernenergie — deut-B lieh werden. Es scheint vernünftig, die grundsätzliche Entscheidung für einen dieser beiden Wege zu dem Zeitpunkt zu treffen, an dem die Ungewißheiten darüber beseitigt sind, ob die Voraussetzungen eines Verzichts auf Kernenergie, insbesondere die notwendigen Energieeinsparerfolge, sich einstellen werden oder nicht... Die Kommission erwartet, daß man um 1990 besser entscheiden kann, auf welchen der beiden grundsätzlichen Wege unser Land längerfristig setzen sollte."
Daraus folgert die Kommission aber nicht, wie ihr manche Kritiker vorgehalten haben, daß in den achtziger Jahren nichts getan werden sollte. Im Gegenteil: . Angesichts der Logik der zwei Wege wird empfohlen, in den 80er Jahren eine Politik umzusetzen, die als rationale und faire Vermittlung beider Wege angelegt ist und deshalb auch von Befürwortern beider Wege mitgetragen werden kann." Dabei schlägt die Kommission vor, einerseits „die nukleare Option versorgungs-und industrie-politisch zu erhalten. Dies bedeutet, daß über die vorhandenen Kernkraftwerke hinaus neue Kernkraftwerke im Rahmen des Bedarfs zugebaut werden". Dies dürfe aber nicht „die ernsthafte und glaubwürdige Wahrnehmung des Energieeinsparens und die Förderung der Nutzung erneuerbarer Energieträger" behindern. Es wird nachdrücklich empfohlen, auf eine größtmögliche Intensivierung von energiepolitischen Maßnahmen zur Förderung von Energieeinsparungen und zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen hinzuwirken Dazu hat die Kommission im einzelnen 62 Maßnahmen empfohlen
Darauf wird noch einmal zurückzukommen sein. Zunächst ist jedoch noch ein weiterer grundsätzlicher Aspekt der Energieproblematik zu verdeutlichen.
Probleme der Umweltverträglichkeit Schon die bisherigen Überlegungen zeigen, daß sich energiepolitische Entscheidungen, sofern sie sachgerecht und in diesem Sinne rational sein sollen, nicht an einem Kriterium allein orientieren können. Dabei wurde bislang noch nicht einmal der wichtige Aspekt der Umweltverträglichkeit bestimmter Energie-formen einbezogen, wobei hier nicht nur die Auswirkungen der Nutzung von Energiequellen auf die natürliche, sondern auch auf die soziale Umwelt einzubeziehen sind. Bei der sozialen Umwelt wiederum können sowohl nationale wie internationale Aspekte eine Rolle spielen. Die Enquete-Kommission des Bundestags hat einen sehr differenzierten Kriterien-katalog zur vergleichenden Bewertung von Energiesystemen an den Anfang ihres Untersuchungsberichts gestellt; damit hebt er sich wohltuend von vielen anderen Veröffentlichungen zu Fragen der Energiepolitik ab.
Der Stellenwert des Kriteriums Umweltverträglichkeit zeigt sich schon daran, daß die Kritik an der Kernenergie im wesentlichen aus dieser Quelle stammt. Angesichts des heutigen Informationsstandes müssen hier nicht die Argumente erneut aufgelistet werden, die gegen die Kernkraft ins Feld geführt werden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat 1981 in seinem Gutachten „Energie und Umwelt" eine detaillierte und ausgewogene Beurteilung der Probleme bei den einzelnen Stufen des nuklearen Brennstoffkreislaufs aus ökologischer Sicht vorgelegt. Besonders akzentuiert wurden dabei die Gefahren von großen Reaktorunfällen (hinsichtlich ihres potentiellen Schadensausmaßes), auch wenn deren Eintrittswahrscheinlichkeit äußerst niedrig zu veranschlagen ist, die nach wie vor bestehenden Entsorgungsdefizite und die spezifischen Gefahren des Plutoniums; umgekehrt hat der Rat auch auf die möglichen sicherheitstechnischen Vorteile anderer Reaktorlinien (z. B.des Hochtemperaturreaktors) hingewiesen
Die heftigen Kontroversen um die Kernenergie in den letzten Jahren haben die Akzeptanzprobleme anderer Energieträger allzu stark in den Hintergrund gedrängt. Die „Ölkrise" und die Kritik an der Kernenergie schienen zumindest in der Bundesrepublik eine Politik des „Vorrangs für die Kohle" sinnvoll zu machen. Erst in letzter Zeit, nicht zuletzt unterdem Eindruck der massiven Schädigung unserer Wälder („Tannensterben"), die offenkundig in engem Zusammenhang mit „sauren Niederschlägen" steht, hat man der Umweltbelastung durch die Verbrennung fossiler Energierohstoffe wieder größere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Sachverständigenrat für Umwelt-fragen hat auch diesen Problemkreis systematisch und sorgfältig analysiert und dabei geradezu erschreckende Ergebnisse zu Tage gefördert, was die Vielfalt, die Mengen und die zum Teil noch ganz unbekannten Gefahren der Emissionen betrifft, die bei der Verbrennung von Kohle, öl oder Erdgas entstehen. Die Nutzung von Gas ist dabei unter Umweltgesichtspunkten noch am günstigsten zu beur-teilen
Selbst die stärkere Nutzung von regenerativen Energiequellen kann ökologische Probleme mit sich bringen; dies gilt insbesondere für die Verbrennung von Holz (in Haushalten), für die Nutzung der Wasserkraft (Stauseen!) oder für Großanlagen zur Nutzung der Sonnenenergie (Solarkraftwerke).
Welche energiepolitischen Konsequenzen lassen sich nun aus derartigen Überlegungen und Einsichten ableiten? Der Sachverständigenrat hat es an einer deutlichen Sprache nicht fehlen lassen: „Der Trend , weg vom öl'und hin zur Kohle und Kernenergie'ist umweltpolitisch problematisch." Weder die Kohle noch die Kernenergie noch regenerative Energiequellen eignen sich für eine „massive Ausdehnung des Energieangebots". Folglich gilt, „daß der Energieeinsparung nicht nur energiepolitisch, sondern vor allem unter Umweltgesichtspunkten hohe Priorität zukommt" Soweit weiterhin die Kernkraft genutzt wird, sollte insbesondere auch geprüft werden, ob nicht neuere Reaktor-Technologien vertretbarere Perspektiven eröffnen. Bei der Nutzung der Kohle dagegen stehen inzwischen sowieso schon Verfahren zur Verfügung, die eine erhebliche Emissionsminderung mit sich bringen (Rauchgasentschwefelung, Wirbelschichtfeuerung, Tuchfiltertechnik). Deren Kostenaufwand hält sich überdies — entgegen manchen Verlautbarungen von „nicht-interessierter Seite" — in vertretbaren Grenzen
III. Zur Frage der Bewertung bundesdeutscher Energiepolitik
Abbildung 3
Anhang Tabelle 1: Energieprogramm der Bundesregierung von 1973
Anhang Tabelle 1: Energieprogramm der Bundesregierung von 1973
Auf den ersten Blick könnte man meinen, energiepolitisch sei nun in der Bundesrepublik alles auf den rechten Weg gebracht: Der Strategie der rationellen Energieverwendung bzw.des Energiesparens, die sich aus den vorangegangenen Überlegungen bei aller Vielzahl der energiepolitischen Einzelziele als in fast jeder Hinsicht hilfreich und wesentlich herausgeschält hat, wird in den Energieprogrammen der Bundesregierung ein immer höherer Stellenwert zuerkannt Erste deutliche Sparerfolge haben sich auch schon eingestellt, wenn man an den deutlichen Rückgang des Energieverbrauchs vor allem seit 1980 denkt, der insbesondere dazu beigetragen hat, die starke Ölabhängigkeit zu reduzieren. Abgesehen von kurzfristig denkbaren Störungen insbesondere der ölzufuhr, gegen die Krisen-vorsorge getroffen worden ist, zeichnen sich auch auf mittlere Sicht keinerlei generelle Energieversorgungsprobleme ab; der Zu-bzw. Weiterbau von Kernkraftwerken geht eher wieder zügiger voran als in den letzten Jahren. Die Bundesregierung hat denn auch in der dritten Fortschreibung nicht mit Eigenlob gespart: „Die Bundesregierung hat die in ihrem Energieprogramm von 1973 und in den Fort-schreibungen von 1974 und 1977 konzipierte, marktwirtschaftlich ausgerichtete Politik weitgehend verwirklicht ... Die Erfolge der deutschen Energiepolitik sind international anerkannt.“ Vergleicht man allerdings Prognosen und Realität seit 1973, so scheint, wie wir eingangs gesehen haben, einiges in Vergessenheit geraten zu sein. Nur bei einem Teilziel erinnert sich die Bundesregierung, daß es ursprünglich viel weiter gesteckt war. „Der gegenwärtige Beitrag der Kernenergie sowie ihre Planungs-und Bauzeiten entsprechen nicht den energie-und industriepolitischen Erfordernissen."
Energiepolitik und Parteien Die dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung wurde vom Bun-destag am 14. Januar 1982 debattiert; am 10. Dezember 1981 hatte es bereits eine Debatte über den Bericht der Enquete-Kommission gegeben. Beide Debatten lassen recht gut die gegenwärtigen energiepolitischen Positionen der Bundestagsparteien erkennen, ohne allerdings die Meinungsspannbreite innerhalb der einzelnen Parteien voll sichtbar werden zu lassen. Man muß sich allerdings in diesem Zusammenhang ins Gedächtnis zurückrufen, daß die Energiepolitik ursprünglich, d. h. vor 1973, unter den großen Parteien, aber auch unter der Bevölkerung, kaum strittig war. Selbst die Fortentwicklung der Kernenergie, angefangen von der Forschungsförderung mit Steuermitteln bis hin zur Inbetriebnahme von Kernkraftwerken, war communis opinio. Von diesem energiepolitischen Konsens ist auch heute noch etwas bei den Bundestagsparteien zu spüren, denn die wesentliche energiepolitische Streitfrage der letzten Jahre, die der Nutzung von Kernenergie, wurde nur innerhalb der Parteien kontrovers diskutiert (wobei sich innerhalb der SPD, aber auch innerhalb der FDP, die Kritik an der Kernenergie wesentlich intensiver artikulierte als bei der CDU/CSU). Eine Mehrheitsposition konnten die Kernenergiekritiker jedenfalls in den Bundestagsparteien nicht erringen; nicht zuletzt dieser Umstand verschaffte den „Grünen", die den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie proklamieren, den Eintritt in die (Länder-) Par-lamente.
Die gegenwärtige Spannbreite der energiepolitischen Positionen der Bundestagsparteien läßt sich daher fast schon auf folgende beide Formeln komprimieren: „Sparen ist ein sehr wichtiger Aspekt der Energiepolitik, aber kein Ersatz für Energiepolitik" (CDU/CSU) — „Energiesparen ist das Kernstück der Energie-politik ... und kein Ersatz" (SPD/FDP) Die CDU/CSU favorisiert einen möglichst stetigen Ausbau der Kernenergie, wirft der Bundesregierung diesbezüglich „Versäumnisse" vor und widerspricht daher entschieden der „Restbe-
darfs" -Philosophie, wie sie. zum Beispiel erhebliche Teile der SPD befürworten umgekehrt lehnt die CDU/CSU bestimmte Sparvorschläge (insbesondere die Ide einer Wärme-abgabe, einer Energiesteuer oder eines Fernwärme-Anschlußzwangs) vor allem wegen ihres „dirigistischen Charakters" strikt ab
Daß sich diese Position im übrigen kaum von der tatsächlichen Politik der Bundesregierung unterscheidet, läßt sich z. B. schon daran erkennen, daß CDU/CSU-Abgeordnete im Zusammenhang mit dem Bericht der Enquete-Kommission gern darauf hinweisen, daß die Politik der Bundesregierung eigentlich ziemlich genau den Empfehlungen des Minderheitsvotums folgt, das die CDU/CSU-Mitglie-der abgegeben haben Auf der anderen Seite des Positionsspektrums im Bundestag kritisiert zum Beispiel der FDP-Abgeordnete Hirsch, daß die Bundesregierung der Einsparungspolitik — die übrigens auch weitaus stärker als die Kernenergienutzung im Interesse der Länder der Dritten Welt liege — viel zu wenig Engagement widme, und daß sie vor allem mit ihrer Haltung, einen überproportionalen Anstieg des Stromverbrauchs zu fördern, die „denkbar teuerste Form des Energieverbrauchs favorisiert, wenn man alle ökologischen Folgeprobleme einbezieht" • Ähnliche Kritik kommt auch aus Kreisen sozialdemokratischer Landtagsfraktionen bzw. aus der Energiekommission beim SPD-Parteivorstand. Der ehemalige Atommanager Klaus Traube, selbst SPD-Mitglied, hat in einem Spiegelartikel diese Positionen wohl gleichsam stellvertretend im Detail artikuliert. Auch er kritisiert an der dritten Fortschreibung vor allem, daß die Bundesregierung mit ihrer Strompolitik angesichts der schon bestehenden Kapazitätsüberschüsse eine „kostspielige Mißwirtschaft" unterstütze; sie gehe dabei mit ihrem guten Glauben an die Kräfte des Marktes einem mächtigen Wirtschaftszweig, der Elektrizitätswirtschaft, auf den Leim, der den vermachteten Energiemarkt seinerseits „dirigistisch" steuere, nicht zuletzt mit der Devise: „Strom in den Wärmemarkt" Es würde zu weit führen, hier weitere Einzelheiten dieser Diskussion auszubreiten, zumal ja dann auch immer die jeweiligen Gegen-standpunkte zu beschreiben wären. Ich will daher mit einigen abschließenden Bemerkungen dieZwischenbilanz abrunden:
Kritische Anmerkungen Es ist nicht leicht, mit wenigen Worten ein abgewogenes Urteil über die Energiepolitik der Bundesregierung abzugeben. Angesichts der nach wie vor bestehenden Prognosespannen und Unsicherheiten über die längerfristige Entwicklung des Energiebedarfs und der Versorgungsmöglichkeiten wäre sicherlich derzeit ein genereller Verzicht auf eine der großen Energiequellen, wie sie zum Beispiel auch die Kernspaltungstechnologie darstellt, deren Möglichkeiten ja auch bei weitem noch nicht forschungstechnisch ausgelotet sind, unvernünftig. Der Streit um das Für und Wider der Atom-kraft hat gewiß nicht nur Emotionen entfacht, sondern auch Sachprobleme bewußter gemacht, die zuvor nicht allzu ernst genommen worden waren. Dennoch hat er die energiepolitischen Debatten der letzten Dekade allzu-sehr beherrscht und dabei auf allen Seiten übermäßig viel Kraft-und Zeitaufwand erfordert, der dann bei anderen Aspekten sinnvollen energiepolitischen Handelns nicht in gleicher Weise zu erbringen war. Mein Hauptvorwurf liegt denn auch darin begründet, daß die Bundesregierung die Chancen, die der Kompromiß zwischen Kernenergiebefürwortern und Kernenergieskeptikern in der Enquete-Kommission geboten hat, bislang viel zu wenig genutzt hat. Es war ja nicht nur unter entscheidungstheoretischen, sondern auch unter Akzeptanz-Gesichtspunkten eine sehr vernünftige Idee, angesichts der gravierenden Veränderungen auf dem Energiemarkt und der langfristigen Auswirkungen eines wachsenden Energieverbrauchs das sachverständige Urteil von Wissenschaftlern, erst recht von Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Ausgangspositionen, einzuholen.
Warum wird der Kompromiß so wenig genutzt, der ja darauf hinausläuft, in den achtziger Jahren vor allem die Potentiale an rationeller Energieverwendung (zum Beispiel über Blockheizkraftwerke, Kraft-Wärme-Koppelung oder Fernwärme) zu nutzen? Die Tages-diskussion wird aber nach wie vor bzw. schon wieder primär von Kernenergiefragen beherrscht: Da streitet man sich um die Finanzierung des Weiterbaus von Kalkar und Schmehausen, da macht der Weiterbau von Brokdorf und Wyhl Schlagzeilen, da wird nach Standorten für Wiederaufbereitungsanlagen und neue Kernkraftwerke (zum Beispiel Pfaffenhofen in Bayern) gesucht. Demgegenüber hört man von neuen Anstrengungen zur rationellen Energienutzung recht wenig. Das Programm zur Förderung des Ausbaus der Fernwärme verzögerte sich durch den Streit zwischen Bund und Ländern; für das Anschlußprogramm zur Förderung von heizenergiesparenden Investitionen (das diesbezügliche 4, 35-Milliarden-Programm der letzten Jahre hat immerhin ein Investitionsvolumen von 17 bis 20 Milliarden Mark gefördert) sind vom Bund wegen der Haushaltsschwierigkeiten pro Jahr nur 150 Millionen Mark vorgesehen. Irgendwie erscheint dies natürlich auch wiederum logisch, denn wenn sich das Hauptaugenmerk der Energiepolitik auf den Zubau von Großkraftwerken gleich welcher Provenienz richtet, vermindern sich automatisch die Möglichkeiten rationellerer Energienutzung. Derartige energiepolitische Tendenzen sind aber gewiß nicht konsensförderlich.
Peter Hampe, Dipl. -Volkswirt, Dr. rer. pol., geb. 1940; Dozent an der Akademie für Politische Bildung, Tutzing; Lehrbeauftragter an der Universität München und an der Hochschule für Politik, München. Veröffentlichungen: Die „ökonomische Imperialismustheorie''— Kritische Untersuchungen, München 1976; Aufsätze u. a. zu folgenden Themen: Wirtschaftliche Dimensionen der Außenpolitik (1977); Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik (1977); Ist rasches Wirtschaftswachstum systemnotwendig? (1980); Arbeitszeitverkürzung als Mittel der Beschäftigungspolitik (1982); Was Keynes wirklich wollte (1982/83).
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