Psychische und soziale Auswirkungen mäßiger Umweltqualität
Katrin Gillwald
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Zusammenfassung
Die Hauptthese dieses Beitrages ist, daß auf Menschen außer gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Umweltbelastungen auch psychische und soziale Auswirkungen ausgehen, die bisher noch gar nicht bzw. nicht ihrer mutmaßlichen Bedeutung entsprechend Eingang in die umweltpolitische Diskussion gefunden haben. Diese These wird anhand von Ergebnissen einer Untersuchung zum Thema „Umweltqualität als sozialer Faktor" des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft (Wissenschaftszentrum Berlin) erläutert und durch ähnliche Befunde anderweitiger Untersuchungen untermauert. Dabei wird speziell auch der bisher im Zusammenhang mit möglichen psychischen und sozialen Auswirkungen mäßiger Umweltqualität scheinbar einzige zu Gebote stehende Begriff der „Belästigung", wie ihn unter anderem auch der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen benutzt, kritisch beleuchtet.
Für wertvolle Anregungen zu diesem Beitrag dankt die Verfasserin Herrn Prof. Dr. Udo Ernst Simonis, dem Direktor des IIUG.
Der „Rat von Sachverständigen für Umwelt-fragen" (SRU) hat von den schutzwürdigen Gütern menschlicher Existenz die Gesundheit auf die erste Stelle der Prioritätsskala gesetzt. Diese Akzentsetzung ist derart nachhaltig, daß in der umweltpolitischen Praxis der Schutz der menschlichen Gesundheit letztlich das einzige ganz unmittelbar die Belange der Bevölkerung betreffende Ziel bleibt. Dabei werden jedoch bestimmte Folgen aus Umweltbelastungen und naheliegende Forderungen auf Abhilfe ausgeblendet, die ebenfalls erhebliche negative Auswirkungen auf das menschliche Leben haben können: die psychischen und sozialen Auswirkungen mäßiger Umweltqualität. Auf dieses Defizit der Umweltpolitik lassen Ergebnisse eines gerade abgeschlossenen Forschungsprojektes des Internationalen Institutes für Umwelt und Gesellschaft (IIUG) *) des Wissenschaftszentrums Berlin schließen, über das im folgenden berichtet werden soll. Falls sich solche Befunde, in deren Mittelpunkt nicht die körperliche Unversehrtheit, sondern — um ein weithin bekanntes Schlagwort zu benutzen — die Lebensqualität steht, erhärten lassen, könnte es möglicherweise zu einer Neugewichtung der Argumente in der Umweltpolitik (und teilweise auch in der Gesundheitspolitik) kommen.
I. Gesundheit kontra Lebensqualität?
Die eingangs erwähnte Prioritätensetzung des Rates von Sachverständigen für Umwelt-fragen ist unter anderem in § 17 seines 1978er Gutachtens niedergelegt. Da heißt es: „Die Gefährdung menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit durch Umwelteinflüsse ist eines der wichtigsten Probleme, mit denen sich der Umweltschutz zu befassen hat; die Vermeidung solcher Schäden ist und wird auf lange Sicht eines der obersten Ziele der Gesellschaft sein und bleiben müssen. Solange dies nicht auch nur annähernd erreicht ist, haben die weitergehenden Ziele der Erhaltung des Wohlbefindens im Sinne eines Schutzes vor . Belästigungen'ohne direkte Gesundheitsgefährdung nur zweiten Rang in einer Prioritätsskala zu treffender Maßnahmen."
Wir sind in der Bundesrepublik zur Zeit noch weit von einem Zustand der Umwelt entfernt, bei dem die Vermeidung gesundheitlicher Gefährdungen durch Umwelteinflüsse gewährleistet ist. Dementsprechend sind bei den gegebenen Prioritäten Hoffnungen auf die Verwirklichung der „... weitergehenden Ziele der Erhaltung des Wohlbefindens im Sinne eines Schutzes vor . Belästigungen'ohne direkte Gesundheitsgefährdung ..." illusorisch. Dabei ist nicht einmal der üblicherweise verwendete Belästigungsbegriff sonderlich tiefgreifend.
Wenn in solchem Zusammenhang von „Belästigungen" die Rede ist, so sind damit in aller Regel die Wirkungen direkt wahrnehmbarer Umweltbelastungen gemeint: unmittelbar akustisch, optisch oder als unangenehme Gerüche wahrnehmbare Umweltbelastungen. Das Umweltbundesamt ist auf solche „Belästigungen" unter dem Stichwort „Umwelt-Ärgernisse“ bereits in seinen „Materialien zum Immissionsschutzbericht 1977" eingegangen (s. Abb. /).
Eine solche auf „Belästigungen" reduzierte Vorstellung denkbarer psychischer und sozialer Auswirkungen von Umweltbelastungen greift jedoch in dreierlei Hinsicht zu kurz:
1. Sie ignoriert (weitgehend) die Möglichkeit, daß verschiedene Arten von Umweltbelastungen, die nicht unmittelbar wahrgenommen werden, auch bereits unterhalb der Schwelle gesundheitlicher Gefährdung Belästigungswirkungen bei Menschen erzeugen können. Ein Beispiel dafür ist das färb-und geruchlose Gas Kohlenmonoxid (unter anderem ein Bestandteil von Autoabgasen), das bekanntermaßen Augenreizungen, Müdigkeit und eine Herabsetzung der Konzentrationsfähigkeit hervorruft. 2. Der herkömmliche „Belästigungs" -Begriff beschränkt sich auf gradlinige Beziehungen zwischen Menschen und Umweltbelastungen. Er klammert lästige Begleiterscheinungen von Umweltbelastungen aus, die den Menschen auf Umwegen erreichen. Ein Beispiel hierfür ist gegebenenfalls erforderliches Wäschetrocknen in der Wohnung bei zu starken Schmutzablagerungen im Wohnungsaußenraum (Balkon oder Garten). Solche und ähnliche Umweltwirkungen treten, wie noch zu zeigen sein wird, in mannigfacher Form auf.
3. Das bloße Wort „Belästigung" suggeriert, daß es sich dabei nur um mißliche, aber durchaus erträgliche Bagatellstörungen ohne nachhaltige Einschränkungen für ein individuell zufriedenstellendes, sozial vielfältiges Leben handelt — was allein schon im Falle ihrer Häufungen leicht zu widerlegen wäre.
Die weiteren Ausführungen sollen dazu dienen, solche Vorstellungslücken auszufüllen.
Sie folgen der Annahme, daß jegliche Art von Umweltbelastungen, ungeachtet ihrer sinnlichen Wahrnehmbarkeit und unterhalb der Schwelle gesundheitlicher Beeinträchtigungen, bereits Veränderungen im Wohlbefinden, in Verhaltensformen, Aktivitätsniveaus und zwischenmenschlichen Beziehungen bewirkt, genauer: Einbußen an Wohlbefinden, Abbau von Verhaltensalternativen, Einschränkung von Aktivitäten, Verarmung zwischenmenschlicher Beziehungen zur Folge haben. Das heißt mit anderen Worten, daß objektiv vorhandene Umweltbelastungen sich nicht nur als gesundheitliche Schäden, sondern auch in objektiven Belastungen des alltäglichen menschlichen Lebens niederschlagen würden.
Die außerordentliche Bedeutung des Schutzes der menschlichen Gesundheit vor Umwelteinflüssen soll mit solchen Überlegungen nicht in Zweifel gezogen werden. Das Argument ist jedoch, daß die mehrfach zitierten .... weitergehenden Ziele der Erhaltung des Wohlbefindens im Sinne eines Schutzes vor . Belästigungen'ohne direkte Gesundheitsgefährdung .. " größere Beachtung in der Umweltpolitik verdienen, als ihnen bisher zuteil geworden ist. Die Ausführungen dazu stützen sich auf eine Untersuchung des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft (IIUG) des Wissenschaftszentrums Berlin, deren Ergebnisse kürzlich als Buchveröffentlichung erschienen sind In dieser Arbeit wurde der Frage nachgegangen, ob und inwieweit Zusammenhänge zwischen der Qualität der natürlichen Umwelt (bzw. Umweltbelastungen) und menschlichem Wohlbefinden, der Wahl von Freizeitbeschäftigungen sowie dem Aktivitätsniveau insgesamt bestehen. Im Zentrum des Interesses standen dabei die Effekte von Luftbelastungen. Die empirischen Erhebungen zu der Untersuchung wurden vom Herbst 1980 an in Berlin (West) mit einer ausgewählten Gruppe von Personen aus sozial gleichartigen Lebensverhältnissen durchgeführt.
II. Grundlagen einer These von Umweltqualität als sozialem Faktor
Abbildung 4
Tafel 1: Einwirkungen von Umweltbedingungen auf Menschen (Beispiele)
Tafel 1: Einwirkungen von Umweltbedingungen auf Menschen (Beispiele)
Die These von psychisch und sozial nachteiligen Auswirkungen von Umweltbelastungen knüpft an bei bekannten Eigenschaften von Umweltschadstoffen und anderen Umweltbeeinträchtigungen wie z. B. Lärm, die das menschliche Wohlbefinden und Verhalten beeinflussen können. In der ersten Stufe der Strukturierung kommt man dabei zu einem mehr oder weniger vollständigen Katalog von entsprechenden Einwirkungen auf den Menschen. Diese Einwirkungen erfolgen über verschiedene Wege — teils über direkte (meist unangenehme) Sinneswahrnehmungen, teils über festgestellte (abträgliche) Veränderungen in der Pflanzen-und Tierwelt und an Ma-terialien, teils über geringfügige gesundheitliche Beeinträchtigungen. Tafel 1 enthält Beispiele solcher Einwirkungen.
In einer weiteren Stufe ergeben sich als Folge der oben beschriebenen Einwirkungen Sekundärwirkungen mit mutmaßlichem Effekt auf das Wohlbefinden von Menschen sowie auf ihren Entscheidungsspielraum hinsichtlich Art und Anzahl individueller oder sozialer Aktivitäten. Es ist davon auszugehen, daß den Menschen, die nicht Experten in Umwelt-fragen sind (also der Mehrzahl), die möglichen Kausalbeziehungen zwischen Umweltbelastungen und diesen Sekundärwirkungen nicht oder nur teilweise bewußt sind.
In Tafel 2 sind einige solcher Sekundärwirkungen zusammengestellt. Sie bestehen im wesentlichen in Einbußen an ästhetischer und erlebnismäßiger Vielfalt, in Behinderungen individueller Entfaltung und Beeinträchtigungen sozialer Beziehungen. Sie können durchaus unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Entweder sind sie spezifisch, wie etwa Kommunikationsstörungen und Minderungen von Konzentration, Lern-und Leistungsfähigkeit; oder sie sind unspezifisch, wie etwa eine allgemeine Herabsetzung der psychischen Belastbarkeit bzw. ein erhöhter Zeit-und Kostenaufwand (der anderweitigem Einsatz entzogen wird) zur Behebung umweltbedingten Verschleißes. Eine schematische Darstellung dieser Zusammenhänge zeigt Abb. 2, innerhalb derer die Zeit-und Kosten-gesichtspunkte unter den Sekundärwirkungen II einzuordnen wären.
Es ist nicht schwer, die soeben angedeuteten Wirkungsketten gedanklich fortzuführen. Man denke an die Häufung von Nutzungsansprüchen (und daraus eventuell entstehende Konflikte) innerhalb von Wohnungen, wenn Lärm, Schmutz und Gestank die Nutzung von Balkon und Garten, den Aufenthalt im Wohnumfeld be-oder verhindern. Man denke ferner an Erlebniseinbußen und Einschränkungen von Betätigungsmöglichkeiten bei zunehmender Reduzierung der gebauten und natürlichen Umwelt auf schadstoffresistente Pflanzen, Tiere und Materialien. Das zur Zeit heiß diskutierte „Waldsterben" beispielsweise führt neben den negativen ökologischen Auswirkungen auch zur Verkleinerung der benutzbaren Freizeit-und Erholungsareale und (zunehmend) zur Vereitelung von Naturerfahrung und von angenehmen Sinneseindrücken geruchlicher und visueller Art. Man denke schließlich an die Möglichkeit zunehmender Frustration, Apathie und Kontaktunfähigkeit aufgrund von Konflikten, Monotonie, zeitlichen und finanziellen Einschränkungen und sich häufenden gesundheitlichen Bagatellbeschwerden. Es gibt andere und womöglich wichtigere Gründe aus dem Bereich des häuslichen oder beruflichen Lebens, die zu Frustration und Apathie führen können. Die Rolle von Umweltbelastungen, so lautet die in diesem Zusammenhang vertretene These, dürfte dabei jedoch in dem Maße an Bedeutung gewinnen, in dem Menschen erstens hohen, permanenten und/oder mehrfachen Umweltbelastungen ausgesetzt sind bzw. zweitens zeitliche und finanzielle Reserven oder psychische und physische Kräfte nicht haben, sich diesen Belastungen wenigstens zeitweise zu entziehen. Man kann solcherart Reserven und Kräfte als „Umweltelastizität" von Menschen bezeichnen, im Sinne einer biologisch-soziopsychischen Zumutbarkeitsgrenze gegenüber Qualitätsdefiziten der Umwelt.
III. Umweltqualität als sozialer Faktor -Untersuchungsergebnisse
Abbildung 5
Tafel 2: Sekundärwirkungen von Umweltbelastungen (Beispiele)
Tafel 2: Sekundärwirkungen von Umweltbelastungen (Beispiele)
Der oben beschriebene, relativ komplexe Zusammenhang zwischen Umweltqualität und psychischen und sozialen Belangen ist im Rahmen des erwähnten IIUG-Projektes auf eine spezielle Fragestellung zugespitzt worden: Ob zwischen Menschen in ähnlicher Lebenslage, die in Gegenden mit unterschiedlicher Umweltqualität leben, Unterschiede im Wohlbefinden, bei Verhaltensformen und in der Menge ihrer Aktivitäten festzustellen sind. Die Antwort, die anhand der Ergebnisse umfassender und zeitintensiver Erhebungen bei einer kleinen Gruppe Berliner Bürger (52 Personen) erstattet werden kann, ist, daß es relativ überzeugende Belege für die Existenz solcher Unterschiede gibt. Zwischen der scheinbar einfachen Fragestellung und ihrer relativ „glatten" Antwort steht ein erheblicher Aufwand an Theorie, Methodik und empirischen Untersuchungen, der an dieser Stelle nur in seinen Grundzügen erläutert werden soll.
„Umweltqualität" ist ein Sammelbegriff. Er umfaßt die Qualität der natürlichen Umwelt, außerdem Merkmale der gebauten Umwelt, der Infrastrukturausstattung, der Bevölkerungsstruktur, der städtebaulichen Struktur und nicht zuletzt der jeweiligen Wohnungsqualität (die ihrerseits ebenfalls Sammelbegriffe sind). Für die Qualität der natürlichen Umwelt etwa ist die Luftbelastung, die näherungsweise durch den „Leitschadstoff“ Schwefeldioxid (SO,) dargestellt werden kann, nur ein Indikator neben anderen, wie z. B. Lärm-belastung und Grünflächen. Luftbelastung scheint allerdings, wie sich zeigen läßt, von wesentlicher Bedeutung für das allgemeine Wohlbefinden zu sein. Umweltqualität ist, wie bereits angedeutet, jedoch nicht die einzige und allem bisherigen Wissen nach nicht die grundlegende Bestimmungsgröße für Wohlbefinden und Verhalten des Menschen, ökonomische, kulturelle, soziale und biographische Voraussetzungen sind in dem Zusammenhang wahrscheinlich gleichbedeutend oder sogar von entscheidenderer Bedeutung. Die Aufgabe bei Untersuchungen in derart vielfältigen Wirkungsgefügen, die interessierenden Sachverhalte möglichst klar herauszuschälen, wurde für das Projekt „Umweltqualität als sozialer Faktor" durch eine strikte Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes erleichtert. Sie bestand in einer Beschränkung der empirischen Erhebungen auf Berlin (West) und in der Konzentration auf eine eindeutig definierte soziale Gruppe von Personen (aus — datenrechtlich gebotenen — freiwilligen Meldungen). Diese Untersuchungsgruppe kann, bei aller gebotenen Behutsamkeit, als „statistischen Durchschnitts-bürgern''ähnlich bezeichnet werden. Solche Eingrenzungen haben es ermöglicht, soziale Verhältnisse und soziokulturelles Umfeld als mögliche Erklärungen für Unterschiede in Wohlbefinden und Verhalten von vornherein auszuschalten. Im übrigen bestanden die empirischen Erhebungen aus einer in ihren einzelnen Teilen den weiter oben aufgeführten Bestimmungs-und Ergebnisgrößen der Sache nach angemessenen Kombination. Es wurden gleichermaßen objektive Indikatoren (für die Umweltqualität) wie subjektive Einschätzungen (im Hinblick auf das Wohlbefinden) ermittelt, schriftliche und persönliche Interviews durchgeführt. Erwähnenswert ist abschließend, daß aus Gründen der methodischen Sauberkeit ein entscheidender Teil der Erhebungen als „Blindversuch“ angelegt werden mußte: Die Untersuchungspersonen führten Selbsteinschätzungen ihres Wohlbefindens durch, ohne zu wissen, daß diese mit Luftbelastungswerten ihrer Wohnumgebung an denselben Erhebungstagen in Beziehung gesetzt werden sollten.
Die Untersuchungen ergaben unter anderem folgendes:
1. Es besteht ein statistischer Zusammenhang zwischen Luftbelastung (SO,) und Wohlbefinden. Wie Abb. 3 zeigt, dokumentierten Personen, die in Gegenden mit höherer Luftbelastung wohnen, durchweg schlechtere Werte für das Wohlbefinden als Personen, die in Gegenden mit geringerer Luftbelastung wohnen. Dieser Zusammenhang ist statistisch gesichert (signifikant). Ähnliche Aussagen lassen sich treffen für den Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und Qualität der natürlichen Umwelt im allgemeinen (wie oben definiert). Wie Abb. 3 ebenfalls zeigt, werden Zusammenhänge zwischen Luftbelastung und Wohlbefinden erst jenseits 40 ug SO, /m 3 Luftbelastung ausgewiesen. Unterhalb dieser Schwelle ist keine nennenswerte Reaktion der Untersuchungspersonen in ihrem Wohlbefinden auf Luftbelastungen registriert.
Es mag überraschen, wie eindeutig sich statistische Zusammenhänge zwischen Luftbelastung und Wohlbefinden überhaupt nachweisen lassen. Bemerkenswert ist insbesondere auch der oben erwähnte Schwellenwert. Er deutet auf Beeinträchtigungen des Wohlbefindens durch Luftbelastungen bei Schadstoff-anteilen weit unterhalb der Grenze hin, die bisher als gesundheitsschädlich angesehen werden.
Die laut geltender TA Luft (Technische Anleitung Luft) höchstzulässige Dauerbelastung mit SO, liegt bei durchschnittlich 140ug/m 3. Dieser Grenzwert orientiert sich unter anderem an umweltmedizinischen Erwägungen.
Ein entsprechender Grenzwert der höchstzulässigen Dauerbelastung mit SO, aufgrund umweltpsychologischer Erwägungen müßte den zitierten Ergebnissen zufolge mehr als zwei Drittel darunter liegen! Wenn man bedenkt, daß der allgemein akzeptierte Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2) auch psychische Kriterien enthält, wäre dies nicht nur eine sozial-, sondern auch eine gesundheitspolitisch relevante Forderung. Weitere Ergebnisse der Untersuchung bestehen darin, 3. daß Personen, die in Gegenden mit allgemein guter Umweltqualität leben, sich häufiger im Freien aufhalten als Personen, die in Gegenden mit allgemein ungünstiger Um-Weitqualität leben;
4. daß Personen, die in Gegenden mit allgemein guter Umweltqualität leben, auch generell in ihrer Freizeit aktiver sind als Personen, die in Gegenden mit allgemein ungünstiger Umweltqualität leben.
Es haben sich außerdem Hinweise darauf ergeben, daß Personen, die in Gegenden mit höherer Luftbelastung leben, einen vergleichsweise größeren Teil der Bedingungen ihrer gesamten Lebenssituation als streßerzeugend erfahren. Personen aus Gegenden mit geringerer Luftbelastung scheinen streßresistenter zu sein. Interessanterweise finden diese Aussagen keine Entsprechung in den Selbsteinschätzungen zum Wohlbefinden.
Wie bereits aus den Beispielen der Tafeln 1 und 2 abgeleitet werden kann, handelt es sich bei den beschriebenen Untersuchungsergebnissen nicht um voneinander völlig unabhängige Vorfälle. Unterschiede in der Qualität der natürlichen Umwelt im allgemeinen, Veränderungen speziell der Luftqualität und Schwankungen im Wohlbefinden, die Ausprägung bestimmter Verhaltensweisen und die Intensität der persönlichen Streßneigung erscheinen vielmehr als ein kompliziertes Mosaik von Bedingungen, die sich gegenseitig beeinflussen. Belegbares Wissen über die Verursachungsmuster solcher internen Zusammenhänge ist bisher erst ansatzweise vorhanden. Gerade das zuletzt erwähnte Untersuchungsergebnis läßt allerdings in diesem Zusammenhang vielschichtige interne Verflechtungen vermuten und deutet gleichzeitig auf die Notwendigkeit weiterer wissenschaftlicher Klärung hin. Die zitierte Studie „Um-weltqualität als sozialer Faktor" kann hierzu, allein aufgrund der nur begrenzten Zahl einbezogener Untersuchungspersonen, die anspruchsvollere statistische Analysen verbietet, nur wenig beitragen. Der Beitrag, den sie dagegen leisten kann, besteht in der Förde-rung eines Bewußtseins für psychisch und sozial nachteilige Folgen mäßiger Umweltqualität. Die entsprechenden Befunde werden auch von den Ergebnissen der wenigen bisher vorhandenen thematisch verwandten Untersuchungen gestützt.
IV. Ergebnisse aus thematisch verwandten Untersuchungen
Abbildung 6
Abb. 2: Klassifikation psychischer und sozialer Effekte von Umweltbelastungen auf Menschen
Abb. 2: Klassifikation psychischer und sozialer Effekte von Umweltbelastungen auf Menschen
Einige Ergebnisse aus anderen, überwiegend amerikanischen Forschungsarbeiten die in eine ähnliche Richtung wie die Ergebnisse aus „Umweltqualität als sozialer Faktor" weisen, sind zum Beispiel:
— daß Menschen angesichts gefälliger Umgebungen ihre Mitmenschen positiver einschätzen, geselliger und hilfsbereiter sind;
— daß Lärm das allgemeine Wohlbefinden mindert, die Hilfsbereitschaft dämpft und, falls von den Betroffenen nicht beeinflußbar, Nervosität und Aggressionen fördert;
— daß bei hoher Luftverschmutzung z. B. Zoo-besuche (im Freien) zurückgehen und Museumsbesuche (in geschlossenen Räumen) ansteigen. Fast makaber sind die Resultate aus experimentellen Untersuchungen, die ebenfalls in den USA durchgeführt wurden. Es handelt sich dabei um Laborexperimente über den Zusammenhang zwischen Geruchsbelastung (als eine Art von Luftverschmutzung) und menschlichen Verhaltensweisen. Zur Simulation von „Luftverschmutzung" wurden übelriechende, jedoch medizinisch unbedenkliche Substanzen verwendet. Bei einer der Untersuchungen sollten die Teilnehmer sich gegenseitig anhand von vorab durchgeführten Einstellungstests auf einer Sympathieskala einstufen. Entgegen aller Erwartung wurde am meisten Sympathie zwischen den Teilnehmern nicht bei „reiner Luft“ geäußert, sondern unter Einfluß der künstlich erzeugten Luft-verschmutzung, und zwar besonders zwischen Teilnehmern mit ähnlichen Einstellungen. Dieses Ergebnis wird von den Autoren damit erklärt, daß die gegenseitige Attraktivität (Gleichgesinnter!) in unangenehmen Situationen aufgrund von geteiltem Leid (shared stress) steigt. Die andere Untersuchung kam zu ähnlichen Ergebnissen: Bei mäßig schlechtem Geruch war die Neigung, andere Untersuchungsteilnehmer bei Fehlleistungen mit elektrischen Schocks zu bestrafen, höher als bei „reiner Luft“ oder penetrantem Gestank. Diese Ergebnisse schließen zumindest die Interpretation nicht aus, daß Menschen bei mittlerer Luftverschmutzung zunächst intoleranter gegenüber Mitmenschen, besonders denen mit anderen Einstellungen, bei höherer Luftverschmutzung dagegen generell apathisch werden.
Die ausgewählten Beispiele anderweitiger Forschungsergebnisse beziehen sich nicht zufällig auf optische Eindrücke, Lärm und Gerüche. Von diesen drei Wirkungsgruppen handelt der größte Teil der bisherigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen von psychischen und sozialen Effekten der natürlichen Umwelt. Das mag einerseits an forschungsethischen Erwägungen liegen: Humanexperimente mit medizinisch fragwürdigen Substanzen, wie z. B. gesundheitsgefährdenden Luft-schadstoffen, sind heikel. Andererseits mag diese thematische Selbstbeschränkung auch von einem Zirkelschluß zwischen wissenschaftlicher und politischer Problemwahrnehmung der umweltbedingten „Belästigungen" herrühren. Diese Selbstbeschränkung läßt sich jedoch, wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben sollten, sachlogisch nicht rechtfertigen. Sie läßt sich sogar dann nicht rechtfertigen, wenn die Betroffenen selbst auf Befragen hin nichts anderes an der Qualität ihrer Umwelt monieren als das, was bereits durch Wissenschaft und Politik als umweltbedingte „Belästigungen“ anerkannt ist. Diese Auffassung führt allerdings zu der schwierigen Frage, aufgrund welcherart Aussagen und Tatbestände jenseits gesundheitlicher Erwägungen insgesamt über zumutbare Umwelt-qualität bzw. Umweltbelastung entschieden werden soll.
V. Umweltbezogene Bedürfnisse
Abbildung 7
Abb 3: Statistischer Zusammenhang zwischen Luftbelastung und Wohlbefinden
Abb 3: Statistischer Zusammenhang zwischen Luftbelastung und Wohlbefinden
Befragt man Menschen allgemein nach ihren umweltbezogenen Bedürfnissen, so werden die Antworten in aller Regel auf naheliegende Erfordernisse des täglichen Lebens und darüber hinaus auf die oben kommentierten, sinnlich unmittelbar erfahrbaren Umwelt-eigenschaften zielen. Diese Annahme wird durch die Erhebungen zu „Umweltqualität als sozialer Faktor“ betätigt: Auf Fragen zu mehr oder weniger wünschenswerter Umweltqualität ohne Antwortvorgaben liegen spontane Nennungen fast nur von sinnlich unmittelbar erfahrbaren Umwelteigenschaften vor, meist von städtebaulichen und Ausstattungsmerkmalen mit nachvollziehbarer Funktion im Alltagsleben der Befragten (z. B. Schulen, Verkehrsverbindungen). Sinnlich nicht unmittelbar erfahrbare Bestandteile der Umweltqualität oder deren Beeinträchtigung, etwa in Form von färb-und geruchlosen Luftschadstoffen, werden von 51 der 52 Untersuchungspersonen nicht genannt, obwohl das Untersuchungsgebiet Berlin alles andere als ein Reinluftgebiet ist. Hinsichtlich solcher Umwelteigenschaften müssen Meinungsumfragen in der Bevölkerung als entscheidungsvorbereitendes Erhebungsinstrument also weitgehend versagen. Es wäre Aufgabe fachübergreifender Forschung, verstärkt nach anderen Wegen entscheidungsrelevanter Wissensvermehrung zu suchen.
Unter den zitierten anderweitigen Forschungsergebnissen über Auswirkungen ausschließlich sinnlich wahrnehmbarer Umwelt-eigenschaften sind einige, für die der bisher in bezug auf psychische und soziale Auswirkungen für erschöpfend gehaltene Tatbestand der „Belästigungswirkung" eher als zu verharmlosend bezeichnet werden muß. Gestank als solcher beispielsweise mag noch unter diese Kategorie fallen. Dessen in den erwähnten Experimenten aus den Vereinigten Staaten beschriebene unmittelbare Folgen — Aggressionsneigungen unter Geruchsbelästigung, bei hoher Sympathie für Gleichgesinnte — dürften die Bagatellgrenze der „Belästigungen" jedoch überschritten haben.
Denkt man anhand solcher Befunde folgerichtig weiter, so endet man damit, daß etwa hohe Luftbelastungen, die in den Städten der Industrieländer — besonders im Winter — ja bereits Realität sind, zur interessenegoistischen Gruppenbildung und zum täglichen „sozialen Kleinkrieg“ und schließlich auch zu allgemeiner Apathie das Ihrige beitragen. Es ist kaum anzunehmen, daß man — vorausgesetzt, solche Zusammenhänge würden künftig bestätigt und allgemein bekannt — Umweltbelastungen mit einem derartigen Wirkungspotential als bedürfnisgerecht bezeichnen dürfte.
An dieser Stelle sei an die eingangs erwähnte Prioritätensetzung des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen zurückerinnert, in der es sinngemäß heißt, Gesundheit sei vor Umwelteinflüssen zu schützen und umweltbedingte Belästigungen könnten erst zeitlich danach angegangen werden. Nun hat es jedoch den Anschein, als gäbe es außer der physischen Gesundheit auch andere schutzwürdige Güter am menschlichen Dasein als simple Belästigungen. Dann besteht nicht mehr nur die Forderung nach dem Schutz des menschlichen Lebens überhaupt vor Umwelt-belastungen, sondern es stellt sich zunehmend die Frage, was das denn für ein Leben sei, das da so sorgsam gehütet wird, kurz: die Forderung nach akzeptabler Lebensqualität. Sie erhält steigende Bedeutung, wenn eine wachsende Zahl von Bürgern die Lebensqualität als schutzwürdiges, über die Gewährleistung allein physisch-materieller Bedingungen hinausreichendes Gut ansieht.
Man wird allerdings nicht erwarten können, daß solche Überlegungen gerade zum jetzigen Zeitpunkt zu einer dramatischen Vervielfachung umweltpolitischer Aktivitäten führen werden. Schließlich ist allgemein bekannt, daß zum Teil empfindliche Abhängigkeiten zwischen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftspolitischen Zielen und Interessen bestehen, die eine Radikalkur unwahrscheinlich machen. Allerdings sollte es dennoch Aufgabe der Wissenschaft sein und bleiben, mit klären zu helfen, was die Bandbreite dessen, um das argumentiert und verhandelt wird, denn tatsächlich ist — auch in der Umweltpolitik. Die Forschungslandschaft der Bundesrepublik weist in dieser Hinsicht noch viele, allzu viele weiße Flecken auf.
Katrin Gillwald, Dr. phil., Dipl. -Soz.; Studium der Soziologie, Psychologie und Volkswirtschaft in Hamburg; ehemalige Mitarbeiterin der Freien Planungsgruppe Berlin und des Instituts für Zukunftsforschung, Berlin; seit 1976 Mitarbeiterin am Internationalen Institut für Umwelt und Gesellschaft (Wissenschaftszentrum Berlin). Veröffentlichungen (unter dem Namen K. Lederer) u. a.: (mit R. Mackensen) Gesellschaftliche Bedürfnislagen — Möglichkeiten und Grenzen ihrer wissenschaftlichen Bestimmung, Göttingen 1975; Ed. (in Cooperation with J. Galtung and D. Antal) Human Needs. A Contribution to the Current Debate, Cambridge (Mass.) — Königstein 1980. Zahlreiche Zeitschriftenaufsätze und Gutachten zu Fragen der Umweltqualität, Entwicklungsplanung und Bedürfnisforschung.
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