Staatliche Hochschulpolitik in der Bundesrepublik. Daten, Strukturen und Tendenzen
Claudia Schmid
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Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag thematisiert ein wesentliches Teilgebiet der Bildungspolitik, nämlich staatliche Hochschulpolitik, und gibt einen Überblick über Bedingungen, Strukturen und Tendenzen der Hochschulpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Einleitend werden in einem zeitgeschichtlichen Abriß die zentralen Entwicklungslinien deutscher Hochschulpolitik skizziert, wobei die bildungspolitische Entwicklung nach 1945 der Übersichtlichkeit halber in sechs Einzelphasen gegliedert wird. Anschließend erfolgt die Untersuchung institutioneller Voraussetzungen staatlicher Hochschulpolitik. Das hochschulpolitische Entscheidungssystem gliedert sich, gemäß dem bundesdeutschen Bildungsföderalismus, in drei Kompetenzbereiche. Neben den zwei Ebenen, in denen entweder nur die Länder oder nur der Bund Bildungszuständigkeiten besitzen, existiert die sogenannte Dritte Ebene der Bund-Länder-Kooperation. An die Beschreibung dieser „Gemeinschaftseinrichtungen" knüpft sich eine kritische Einschätzung: Einerseits soll dieses Gremiengefüge eine überregional abgestimmte Entwicklung des Hochschulwesens steuern, andererseits werden aber strukturelle Defizite an Legitimität, an Planungskapazität, an wissenschaftlicher Information, Arbeitskapazität und finanziellen Ressourcen sowie an Politikdurchsetzung festgestellt. Von daher muß das bildungspolitische Entscheidungsgefüge trotz seiner Ausdifferenziertheit als unzulänglich gelten. Schließlich wird der Strukturwandlungsprozeß bundesdeutscher Hochschulpolitik seit 1945 in seinen fünf Dimensionen charakterisiert. Auf der jeweils-historischen, institutioneilen und strukturellen Ebene wird deutlich, daß staatliche Hochschulpolitik über zahlreiche Kontroll-und Steuerungsmechanismen verfügt, sie zunehmend aber der Kuratel der Konjunkturpolitik und politischen Beeinflussungen unterliegt.
An Studien zu allgemeinen Problemen der Bildungspolitik herrscht kein Mangel. Jedoch überwiegen Arbeiten, die sich auf Ausschnitte und Detailprobleme konzentrieren. Hingegen fehlen fast völlig neuere Arbeiten, die sich umfassender mit Struktur und Organisation des Bildungssystems befassen. Im folgenden wird ein Teilgebiet der Bildungspolitik, nämlich Hochschulpolitik, näher betrachtet. Dabei sollen weniger die Inhalte selbst als vielmehr die Strukturen staatlicher Hochschulpolitik aufgezeigt, erklärt und eingeordnet werden.
Dieser Beitrag soll eine kleine Orientierungshilfe geben, mit der der heutige Stand und die Richtung staatlicher Hochschulpolitik erfaßt werden können — eine notwendige Voraussetzung, um Alternativen formulieren und umsetzen zu können.
I. Entwicklungsphasen bundesrepublikanischer Hochschulpolitik
Phase 1: Restitution der Ordinarienuniversität 1945— 1949
Die bildungspolitische Entwicklung nach 1945 ist aufs engste mit der gesamtpolitischen und ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik verknüpft. In den Jahren 1945— 1949, die auch durch die Schlagworte Improvisation und Restauration zu kennzeichnen wären, korrespondiert der ökonomische und politische Aufbau Westdeutschlands auf bildungspolitischer Ebene mit der Restauration des traditionellen Schul-und Hochschulsystems.
An den westdeutschen Hochschulen kommt es nach Kriegsende zu keiner grundlegenden Umstrukturierung. Weder wurden die autoritär-hierarchischen Strukturen reformiert, noch erfolgten tiefgreifende, gründliche personelle Veränderungen unter den Hochschullehrern, deren Mehrheit zuvor bereitwillig die Ideale und Praktiken der Nationalsozialisten übernommen hatte. Bereits Ende 1945 nimmt die erste westdeutsche Universität (Hamburg) ihren Lehrbetrieb in ungebrochener Tradition als Ordinarienuniversität wieder auf — wenn auch unter materiell und personell äußerst schlechten Bedingungen.
Die Konzeption der Ordinarienuniversität weiß sich mit ihren Grundmaximen „Freiheit der Wissenschaft", „Autonomie der Hochschule", „Bildung durch Wissenschaft" und der Auffassung, die Universität bedürfe lediglich eines staatlichen Schutzes, der humboldtschen Bildungslehre verpflichtet
Von den Hochschulen selbst gehen nach Kriegsende keine Reformbestrebungen aus, dafür von der alliierten Militärverwaltung Die sogenannten „Schwalbacher Richtlinien" vom Dezember 1947 liefern einen von den Alliierten aufgestellten Rahmen für die Reform der Hochschulverfassungen in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone. 1948 erarbeitet ein vom britischen Militärgouverneur eingesetzter Studienausschuß zur Hochschulreform, der sich aus Vertretern der Kirchen, der Kulturbürokratie sowie Professoren zusammensetzte, das sogenannte Blaue Gutachten Dabei werden die Demokratisierung der Hochschule thematisiert sowie Problembereiche, die in der Hochschulreform-auseinandersetzung immer wiederkehren: Er-Weiterung des Hochschulzugangs, Neubestimmung des Verhältnisses Hochschule/Staat, Erhalt der Einheit von Forschung und Lehre, Probleme der Lehrkörperstruktur etc. Doch bleiben diese ersten Ansätze für grundlegende Veränderungen der Struktur der deutschen Hochschulen bloße Forderungen. Die Gründe für ihre fehlende Umsetzung liegen unter anderem in der Nichtbereitschaft der Ordinarien zu einer Umgestaltung der Universitäten, vor allem aber im allgemeinen politischen Klima der Restauration
Phase 2: Koordinierung und Standardisierung 1949— 1955
In den Jahren 1945— 1955 bleiben einzelne Träger demokratischer Forderungen; „eine nennenswerte demokratische Bewegung an den Hochschulen existierte nicht" Gekennzeichnet von den ökonomischen Bedingungen des sogenannten Wirtschaftswunders versandet die Hochschulreform-Diskussion unter dem Motto: „Die deutschen Hochschulen sind in ihrem Kern gesund". Bildungspolitisch erscheinen in dieser Zeit Investitionen in die Qualifikation der Arbeitskraft nicht nötig. Statt dessen erfolgt eher ein Raubbau des Arbeitskräftepotentials. Durch Ausdehnung des Arbeitsvolumens und durch Kapazitätserweiterungen stellte sich Wirtschaftswachstum auf gegebener technologischer Basis ein
Auf der bildungspolitischen Ebene ist diese zweite Phase gekennzeichnet durch die Schaffung von zahlreichen Institutionen, deren Bestreben auf eine länderübergreifende Vereinheitlichung und Koordinierung der Bildungspolitik abzielt.
Am 2. Juni 1948 bilden die Kultusminister der drei westlichen Zonen eine „Ständige Konferenz der Kultusminister des vereinigten Wirtschaftsgebiets“, die spätere „Ständige Konferenz der Kultusminister" (KMK). Bereits im Oktober 1948 errichtet diese Ausschüsse für Schul-und Hochschulwesen. Am 21. April 1949 kommt als deren quasi-akademisches Pendant die Gründung der „Westdeutschen Rektorenkonferenz" (WRK) zustande, die als Vertreter westdeutscher Hochschulen die alte Tradition des 1919 gegründeten Verbandes Deutscher Hochschulen wieder aufnimmt und autonom, d. h. ohne Repräsentanten des Staates zusammentritt.
Das bildungspolitische Interesse erstreckt sich zu jener Zeit aber fast ausschließlich auf die Standardisierung der bestehenden Länder-Schulsysteme. 1953 erfolgt die Gründung des „Deutschen Ausschusses für Erziehungsund Bildungswesen" als erste gemeinsame kulturpolitische Maßnahme von Bund und Ländern. Im Bereich der Hochschulpolitik ist die Gründung der „Deutschen Forschungsgemeinschaft" (DFG) 1951 von großer Bedeutung. Mit ihr existiert nicht nur eine zentrale Forschungsförderungsorganisation, sondern über sie als zentrale Verteilerstelle für Forschungsgelder — über den DFG-Stifterverband und Hauptausschuß — gelingt es der Industrie frühzeitig, durch Drittmittelförderung Einfluß auf das Hochschulwesen zu gewinnen. In diese zweite Phase fallen weitere Institutionalisierungen und Formierungen von Interessenvertretungsorganen:
— 1949 organisieren sich die Studenten im „Verband deutscher Studentenschaften" (VDS), — 1950 vereinigen sich die Hochschullehrer im „Hochschulverband", — 1950 entsteht das „Deutsche Studenten-werk" (DSW), — 1950 wird der „Deutsche Akademische Austauschdienst" (DAAD) wieder gegründet.
Phase 3: Effektivierung und Bedeutungszuwachs des Hochschulwesens 1955— 1962
In dieser Phase erfolgt eine gewisse Aktivierung des Bundes in bildungspolitischen Problembereichen. Zwar hat dieser an sich geringe Kompetenzen gerade im kulturpolitischen Bereich — siehe Kulturhoheit der Länder, Art. 70 GG —, doch beginnen Bundestag und Bundesrat sogenannte Kulturpolitische Ausschüsse einzusetzen. 1955, dem Jahr der Erlangung der vollen Souveränität der Bundesrepublik, setzt die gezielte Förderung wissenschaftlicher Forschung ein. Ihren organisatorischen Ausdruck findet diese u. a. auch in der Schaffung des Bundesministeriums für Atomfragen, einem Vorläufer des späteren Bundesbildungsministeriums. Die beginnende kulturpolitische Aktivität des Bundes resultiert vor allem aus der Erkenntnis, daß neben dem Wachstumsfaktor Kapital auch in zunehmendem Maße die technologischen Veränderungen in der Produktion eine Rolle spielen -Für den Bedeutungszuwachs von Wis- senschaft und wissenschaftlicher Ausbildung ist eine Kombination von drei Faktorenbündeln verantwortlich:
1. Die Konkurrenz der westlichen Staaten untereinander sowie die Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus:
Angesichts der sogenannten technologischen Lücke zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten, aber auch des (vermeintlichen) wissenschaftlich-technologischen Vorsprungs der UdSSR (Sputnik-Schock 1957) gewinnt die Frage nach der Leistungsfähigkeit des wissenschaftlich-technologischen Komplexes — d. h. Umfang, Struktur, Ergebnisse der Wissenschaften; die Verfügbarkeit wissenschaftlichen und technischen Personals usw. — an Bedeutung.
2. Die Umstellung von extensiven zu intensiven Wirtschaften:
Zwar können die knapper werdenden Arbeitskräfte noch durch Rationalisierung und folgende Automatisierung und später durch die Hinzuziehung von „Gastarbeitern" kompensiert werden, doch wird die Bedeutung der Wissenschaft für die Entwicklung neuer Technologien und für die Steigerung der Qualifikation der Arbeitskräfte offensichtlich. Langsam setzt sich die Erkenntnis eines Zusammenhangs zwischen gut ausgebautem Bildungs-und Forschungssystem und der Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte sowie der Qualität und der Erhöhung der Produktivität durch.
3. Das Ende der Rekonstruktionsperiode des Wiederaufbaus:
Mit der Zeit entfallen die westdeutschen Sonderbedingungen: Die Bundesrepublik erreicht allmählich das Lohnniveau anderer westlicher Industrienationen und das Arbeitskräfte-potential erschöpft sich in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Ab 1957 werden die Auswirkungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sichtbar: Das ökonomische Wachstum verlangsamt sich, die internationale Konkurrenzsituation verschärft sich, die stärkere Automatisierung verlangt die Anpassung der Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte. Vor diesem Hintergrund beginnt die Intensivierung von Forschung und Wissenschaft sowie die Ausbildung von Arbeitskräften, die neue Technologien einsetzen können, zu einer Notwendigkeit zu werden. Das Schlagwort „Verwissenschaftlichung der Produktion"
kennzeichnet die Entwicklung; die Hochschulen werden zunehmend als Produktionsstätten des ökonomischen Faktors Ausbildung angesehen.
Angesichts dieser Umstände erfolgen erste Antworten auf die Anforderungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch eine zunehmende Staatseinwirkung auf den Bildungssektor. Das bildungspolitische Interesse richtet sich nun angesichts der prognostizierten drohenden Fachkräfteverknappung auf den Ausbau der Hochschulen, besonders der technischen Hochschulen und Fachhochschulen, aber auch auf Neugründungen von Universitäten (Bielefeld, Bochum, Bremen u. a.). Ausdruck dieser Entwicklung auf staatlicher Ebene ist die Schaffung des Wissenschaftsrates (WR) 1957. Im Bereich der Bildungspolitik existiert damit erstmals ein Organ, mit dessen Hilfe Bund und Länder durch ein institutionelles Verfahren ihre ständige Zusammenarbeit begründen. Doch nicht nur staatliche Stellen, sondern auch die Wirtschaft reagieren auf den Bedeutungszuwachs von Wissenschaft und Hochschulen. Die deutsche Privatwirtschaft gründet Stiftungen zur Wissenschaftsförderung (VW-Stiftung, Thyssen-Stiftung) und die großen Wirtschaftsverbände (BDA, BDI, DIHT) etablieren Bildungsabteilungen. Zu jener Zeit geht die Phase der politischen Abstinenz der Studenten und der Isolierung der Hochschulen langsam zu Ende. Mit der Denkschrift des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) von 1961 „Hochschule und Demokratie" und dem Gutachten des Verbandes deutscher Studentenschaften (VDS) „Studenten und die neue Universität" 1962 werden erste kritische Stimmen seitens der Studentenschaft laut. Sie hinterfragen hierarchisch-autoritäre Strukturen der Ordinarienuniversität sowie die isolierte Stellung der Hochschulen in der Gesellschaft.
Phase 4: Planifikation und Bildungsexpansion 1963— 1969
Die Periode von 1963— 1969 bringt schließlich Bewegung in die Bildungspolitik. Bildungspolitik gwinnt zunehmend Bedeutung als überregionales, politisches Thema. Nicht nur Initiativen der Bundesregierung und des Bundestages tragen dazu bei, sondern auch die Publizistik. Stellvertretend für diese seien hier genannt: F. Edding, Ökonomie des Bildungswesens (1963), der die amerikanische bildungsökonomische Diskussion aufarbeitete, G. Pichts Artikelserie „Die deutsche Bildungskatastrophe" (1965) und R. Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht (1965). Von allen wird eine Lösungsmöglichkeit zur Beseitigung der Lücke von qualifizierten Arbeitskräften in der Weiterentwicklung des Bildungswesens, in der „Mobilisierung der Bildungsreserven" (Dahrendorf) gesehen. Aufwendungen für das Bildungswesen gelten jetzt nicht mehr nur als Investitionen in einen unproduktiven Sektor, sondern werden als wachstumsfördernde Investitionen angesehen. Man sieht in einer Bildungsexpansion die Lösung und fordert, das Bildungswesen so umzugestalten, daß es dem Primat der wirtschaftlichen Wachstumssicherung entspricht. In diese Zeit fällt die Erweiterung des Ausbildungsstoffes und der Ansturm von geburtenstarken Jahrgängen auf die Universitäten. Die sich daraus ergebenden Probleme werden vorrangig als quantitative aufgefaßt und ihre Lösung lediglich im Ausbau der bestehenden Universitäten und in der Planung von Neugründungen gesehen. Damit ist der Anfang gesetzt zu einer konzeptionslosen Vermassung des Hochschulbetriebes unter Beibehaltung gleichbleibender Strukturen.
Auf der staatlich-institutionellen Ebene wird 1965 der „Deutsche Bildungsrat" etabliert, der als Pendant zum Wissenschaftsrat gilt und für die Beratung der Länder im Schulwesen tätig wird. Erstmals bringen staatliche Instanzen mit einer Bedarfsfeststellung der KMK eine offizielle Vorausschau über die Entwicklung des Bildungssystems in der Bundesrepublik. Ihre Studie plädiert für ein verstärktes Wachstum des Schulwesens (Abbau des Dorf-schulwesens, Steigerung der Abiturienten-quote usw.).
Durch die folgende Rezession von 1966/1967 wird die Notwendigkeit gezielter Bildungsplanung und die Förderung von Wachstums-technologien immer deutlicher. Schließlich erfolgt durch die Grundgesetzänderung von 1969 eine weitere einschneidende Verlagerung kulturpolitischer Kompetenzen auf den Bund. Diese sichert ihm erstmals verfassungsmäßig Mitwirkungs-und Initiativrechte im Wissenschafts-und Bildungsbereich. Vor allem aber erhält der Bund die Kompetenz zum Erlaß von Rahmenvorschriften über allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens.
Durch die sogenannte Finanzverfassungsreform und die damit erfolgte Neuaufteilung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei den Gemeinschaftsaufgaben verändert sich der bundesrepublikanische Föderalismus zum „kooperativen Föderalismus"
Die in dieser Phase aufkommende Studenten-bewegung wirkte für beabsichtigte und notwendige Reformen beschleunigend. Die unzulänglichen universitären Arbeitsbedingungen, wachsende Verunsicherung gegenüber den steigenden Anforderungen sowie eine sich immer autoritärer gebärdende Ordinarienuniversität geben mit den Anstoß für die Studentenbewegung. Teilen der Studentenschaft, die sich zunehmend mit brennenden politischen Problemen (seit 1965 Anti-Vietnam-Kampagnen, 1967/1968 Notstandsverfassung u. a.) kritisch auseinandersetzt, begegnet, neben der Ordinarienuniversität, die den Studenten mit Verweis auf den Forschungs-und Lehrbetrieb und die innere Verfaßtheit der Universität eine freie allgemeinpolitische Meinungsäußerung in diesem Rahmen bestreitet, auch der Staatsapparat zunächst repressiv. „Er bestritt der Studentenschaft die Berechtigung, sich damit zu beschäftigen und versuchte, die Verfaßte Studentenschaft über Finanzsperre und Verbote zu disziplinieren.“
Schließlich, nach dem Tod von Benno Ohnesorg, ändert sich die staatliche Verhaltensweise: Man glaubt, die Studentenschaft durch weitreichende Reformen befrieden zu können. Aber die allgemeine Politisierung erfaßt auch Professoren und Assistenten. Am 29. März 1968 erfolgt die Gründung der Bundesassistentenkonferenz (BAK), die mit dem „Kreuznacher Hochschulkonzept" (September 1968) einen Gesetzentwurf zur Hochschulreform vorlegt. Ebenfalls 1968 etabliert sich der „Bund demokratischer Wissenschaftler" (BdWI), der aber erst 1972 eine Neuaktivierung erlebt.
So bilden auch die Ordinarien keinen homogenen Block mehr, obwohl sich ihre konservative Mehrheit am 18. November 1970 im „Bund Freiheit der Wissenschaft" organisiert. Die Hochschulbewegung erweist sich als sehr heterogen und widersprüchlich. Die einen wollten Demokratisierung, die anderen technokratische Effektivierung, und doch lautet das gemeinsame Nahziel: Auflösung der anachronistisch gewordenen Ordinarienherrschaft. Phase 5: Die „Große Bildungsreform" 1969— 1972
Diese Phase bildungspolitischer Entwicklung vollzieht sich unter neuen Rahmenbedingungen: Begünstigt durch die erweiterten Bundeskompetenzen strebt die sozialliberale Re-gierungskoalition eine strukturelle Umgestaltung des Bildungswesens an. In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 räumt Willy Brandt der Bildungspolitik oberste Priorität ein
Zwischen 1969 und 1971 werden per „Reformgesetze" folgende Konsequenzen gezogen:
1. Verstärkung öffentlicher Organisationselemente: Hochschulen werden ausgebaut, Neugründungen erfolgen. Schrittweise werden die Studiengebühren abgebaut und Stipendiensysteme nach dem Motto . mehr Bildung für den Bürger'eingeführt (Honnefer Modell, später BAFöG). Dies ermöglicht unter Einlösung der Forderung „Mobilisierung der Bildungsreserven" eine Öffnung der Hochschulen. Während in den fünfziger Jahren drei bis vier Prozent eines Jahrganges studierten, sind es Anfang der siebziger Jahre bereits fast 20 Prozent. Dabei rekrutieren sich die neuen Studenten zusehends aus unteren Bevölkerungsschichten.
2. Gesetzliche Abschaffung der Ordinarien-Universität in den einzelnen Bundesländern. Juristisch abgesichert durch die neuen Landeshochschulgesetze löst das Konzept der Gruppenuniversität die überkommene Konzeption der Ordinarienuniversität ab. Verantwortliche Träger der Hochschulselbstverwaltung sind jetzt nicht mehr nur ausschließlich die Ordinarien, sondern alle Hochschulmitglieder (Professoren, Assistenten, wissenschaftliche Mitarbeiter, Studenten, nichtwissenschaftliche Beschäftigte), wobei allerdings einige wichtige fachbezogene Angelegenheiten (z. B. Berufungen) nach wie vor von Professoren bestimmt werden. Kleinste Selbstverwaltungseinheiten sind statt den Fakultäten die Fachbereiche, ihnen nachgeordnet sind Forschungs-und Leitungsgruppen (Institute), deren Leitungen als Kollegial-Organe funktionieren.
Phase 6: Restriktionen und Tendenzwende 1973— 1983
Seit etwa 1972/1973 ergeben sich für die eingeleitete „Große Bildungsreform" zunehmend konjunkturell mitbedingte Finanzierungsschwierigkeiten. Bildungspolitische Reformvorhaben geraten derart ins Stocken, daß von einer Krise der Bildungspolitik gesprochen wird. Diese wirtschaftliche Tendenzwende in der Hochschulpolitik äußert sich in finanziellen Beschneidungen des Bildungsbereichs.
Meldete bereits 1972 der Finanzplanungsrat seine Bedenken an der Realisierung der Ziele des Bildungsgesamtplanes an so erfolgt schließlich 1974 eine Verringerung des Anteils am Bruttosozialprodukt, der für Bildung, Wissenschaft und Forschung vorgesehen ist. Das Problem der Nicht-Finanzierbarkeit von Reformen tritt in den Vordergrund. Da anhand der Finanzpolitik erkennbar ist, welche Gewichtung und Relevanz einzelnen Politikbereichen zugemessen wird, zeigt sich gerade hier der Verlust der „höchsten Priorität der Bildungspolitik", (Brandt). Seit etwa Mitte der siebziger Jahre sind die politischen Prioritäten eindeutig gegen den Bildungsbereich gerichtet! Staatliche Bildungs-bzw. Hochschulpolitik erweist sich seitdem als eine Politik der Unterordnung unter die restriktiven Vorgaben der Wirtschafts-und Finanzpolitik.
Die Zeit der Sparpolitik beginnt 1973 und ist spätestens seit Beginn der achtziger Jahre zum Dauerzustand geworden. Sie ist gekennzeichnet durch: Ausbaustopps für Universitäten (z. T. sogar Schließungen von Pädagogischen Hochschulen), Stellensperren, Senkung sächlicher Verwaltungs-und Betriebskosten, d. h. gedrosselte Heizungen, weniger Licht, weniger Bücherbestellungen der Bibliotheken, Beschränkung von Exkursionen, Ausfall von Lehraufträgen, Eigenbeteiligungsforderungen an die Studenten usw.
Die finanzielle Knappheit im tertiären Bereich schafft aber außer materiellen Problemen auch soziale, denn wenn Studieren immer teurer wird, stellt sich die Frage, wer es sich dann noch leisten kann (vgl. jüngstes Beispiel der BAFöG-Regelung). Interpretiert man die Einspar-und Rationalisierungsmaßnahmen im Hochschulbereich nicht einfach nur als Mitbetroffensein der Hochschulen von der ökonomischen Krise in der Bundesrepublik, dann könnten Art und Ausmaß der Kürzungen auch darauf schließen lassen, daß unter dem Vorwand der Sparsamkeit fortschrittliche und kritische Wissenschaftsansätze benachteiligt werden so daß, dies einmal zugrunde gelegt, auch von einer ideologischen Tendenzwende gesprochen werden könnte.
überdies scheint auch der vermeintlich ehemals existierende bildungspolitische Grund-konsens verloren gegangen zu sein. In der Bildungspolitik zeigt sich zunehmend eine Polarisierung zwischen A-Ländern (SPD/FDP-regierte Länder) und B-Ländern (CDU/CSU-regierte Länder). Diese parteipolitische Polarisierung wird seit dem Ringen um den Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission 1973 offensichtlich. Die Auseinandersetzungen um die Hessischen Rahmenrichtlinien (1972/1973), um die Einführung der kooperativen Gesamtschule (1977), um die Studienreform (1978) und andere bildungspolitische Fragen nehmen immer schärfere Formen an. Daß dabei nicht immer primär die Sachauseinandersetzung im Vordergrund steht, sondern Bildungspolitik für parteipolitische.. Zwecke mißbraucht wird, ist nicht zu übersehen. War früher das Vordringen der Parteipolitik eine Tendenz, die lediglich in der Schulpolitik vorzufinden war, so erfaßt diese jetzt zunehmend auch den Hochschulbereich. ökonomische Krise und (partei) politische Polarisierungen sind zusammen eine Dimension der Hochschulreformpolitik. Deren zweite Dimension ist das Anwachsen des Protestpotentials Anfang der siebziger Jahre, als Studenten und einige Lehrende den Elfenbeinturm Hochschule zu verlassen beginnen. Seit 1973 betreten auch die Gewerkschaften das Terrain der Hochschulpolitik, indem sie fordern: „Die Erkenntnisse der Wissenschaft... für die humanere Gestaltung der Lebens-und Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer verfügbar zu machen und nicht vorrangig den Gewinninteressen einer kleinen Minderheit!" Aufgrund dieses gewerkschaftlichen Engagements gewinnt die Hochschulbewegung eine neue Qualität: Der DGB wird ihr Bündnis-partner außerhalb der Hochschule. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich seit 1973 die Widersprüche hinsichtlich der Hochschulreformen verschärften: Der wirtschaftlichen und ideologischen Tendenzwende seitens der staatlichen Hochschulpolitik stehen die Forderungen einer breiter gewordenen Hochschulbewegung entgegen. Gleichzeitig ist in dieser Phase der Hochschulbereich durch starke Zentralisierungsund Vereinheitlichungstendenzen gekennzeichnet, die sich vor allem im Hochschulrahmengesetz (HRG) und der Schaffung überregionaler Studienreformkommissionen zeigen. Das HRG, 1969 in Willy Brandts Regierungserklärung angekündigt, aber erst am 1. Januar 1976 in Kraft getreten, war von vornherein dazu verurteilt — aufgrund des strukturell bedingten Konsensbedarfs (Bundesratsmehrheit von CDU/CSU) —, ein Kompromißgesetz zu werden. Das mehrjährige Ringen um ein HRG war dabei nicht nur von parteipolitischen Kontroversen gekennzeichnet, sondern auch von nicht-hochschulpolitischen Faktoren.
Hier sind zu nennen die zeitliche Verzögerung der Beratungen durch das 1972 gescheiterte konstruktive Mißtrauensvotum und die Bundestagswahlen sowie vor allem aber auch mehrere Gerichtsentscheide, die den politischen Spielraum der Hochschulgesetzgebung wesentlich einschränkten (vgl. Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972; Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 29. Mai 1973). Da diese Urteile verbindlich staatliche Hochschulpolitik beeinflussen, kommt dem Bundesverfassungsgericht damit indirekt eine Initiativrolle zu: „Aus gerichtlicher Bildungsaufsicht wird gerichtsförmige Hochschulpolitik."
Nach langwierigem Tauziehen wird schließlich ein Hochschulrahmengesetz verabschiedet, das inhaltlich gesehen vielseitig interpretierbar ist. Es regelt nicht nur Organisationsformen, Rahmenrichtlinien und Verfahren, sondern bestimmt durchaus auch Inhalte vorher. Da es ein Rahmengesetz ist, dem die einzelnen Bundesländer bis zum Januar 1979 ihre Landeshochschulgesetze (LHG) anpaßten, und nicht zuletzt auf Grund der großen Anzahl von Kann-Bestimmungen fallen die Anpassungen der Landeshochschulgesetze sehr unterschiedlich aus. Die gesamte Spann-breite der Interpretationsmöglichkeiten des HRG zeigt sich am deutlichsten im Vergleich des baden-württembergischen Universitätsgesetzes mit dem bremischen Hochschulgesetz. Aber entscheidender als eine Analyse der einzelnen Landeshochschulgesetze sind die Vereinheitlichungstendenzen des HRG und die Tatsache, daß sich allgemein der staatliche Einfluß — sei es nun vom Bund oder den einzelnen Landesregierungen — auf die Hochschulen massiv verstärkt. Da das Gesetz bisherige Angelegenheiten der akademischen Selbstverwaltung staatlich regelt, symbolisiert es den totalen Vertrauensschwund in die Fähigkeit der Hochschulen zur Selbsthilfe bei gleichzeitiger „bis dahin beispielloser Regelungsintensität" des Staates.Das HRG als „zentralstaatliche Rechtsgrundlage" ist damit eines der wichtigsten Handlungsinstrumente staatlicher Steuerung hochschulpolitischer Prozesse. Dabei sind die einzelnen Bestimmungen des HRG anfänglich sowohl auf Integration als auch auf Repression der Studenten angelegt. Neben einigen Hochschullehrern, sehen die Mehrheit der Studenten und vor allem die Gewerkschaften das HRG „nicht als Grundlage für Reformen" an und wenden sich insbesondere gegen das im Gesetz geregelte staatliche Ordnungsrecht sowie die darin verankerte Regel-studienzeit. Der Bund demokratischer Wissenschaftler erarbeitet eine HRG-Novelle und ruft den Petitionsausschuß des Bundestages an. Die studentischen Proteste kulminieren im Wintersemester 1977/1978, als die VDS (jetzt: Vereinigte Deutsche Studentenschaften) erstmals in der Geschichte der deutschen Hochschulen zu einem „nationalen Streik der Studenten“ aufrufen.
Die Ablehnungen und Proteste gegen das HRG konzentrieren sich schließlich auf das Teilproblem der Regelstudienzeit mit Zwangsexmatrikulation. Im Frühjahr 1980 wird denn auch erstmals das HRG teilnovelliert. Es erfolgt die ersatzlose Streichung von § 17 Abs. 2— 4 und § 72 Abs. 3 HRG, die Abschaffung der Zwangsexmatrikulation bei Nichteinhaltung der Regelstudienzeit.
Damit ist die heftig umstrittene Regelstudienzeit trotz allem nicht völlig beseitigt, es entfällt lediglich ein Instrument zu ihrer Durchsetzung doch ist die punktuelle Novellierung des HRG ein Teilerfolg der Proteste von Studenten, Hochschullehrern und Gewerkschaftern. Allerdings spielte hierbei auch die Tatsache eine wichtige Rolle, daß die Zwangsexmatrikulation nicht die gewünschte Wirkung als Disziplinierungsinstrument und Hebel zur Schaffung von Studienplätzen zeigte.
Betrachtet man heute das politische Klima an den Hochschulen, gekennzeichnet durch Apathie, Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit, verschärften Leistungsdruck und wachsende Akademikerarbeitslosigkeit, so entsteht schwerlich der Eindruck, daß von den Hochschulen massiver Druck auf eine Änderung der aktuellen staatlichen Hochschulpolitik ausgehen kann.
II. Das bildungspolitische Gremiengefüge der Bundesrepublik
Welches Netz staatlicher Kontroll-und Steuerungsinstanzen, welcher Gremienverbund bestimmen die Hochschulpolitik? Das hochschulpolitische Entscheidungssystem trägt der westdeutschen Besonderheit des so-genannten Bildungs-und Kulturföderalismus Rechnung. Es lassen sich drei Kompetenzebenen unterscheiden: 1. Die Länderebene Kernstück der Eigenstaatlichkeit von Bund und Ländern ist die Kulturhoheit der Länder (vgl. Art. 70 Abs. 1 GG). Sie umfaßt Kindergärten, Vorschulen, allgemeinbildende und berufliche Schulen, Hochschulen und Weiterbildung. Zwischen den Ländern bestehen verschiedene Kooperationsformen. Zum einen gibt es die Selbstkoordination der Länder untereinander durch rechtliche Vereinbarungen wie Staatsverträge (z. B. Staatsvertrag der Länder über die Vergabe von Studienplätzen, 1972) und Verwaltungsabkommen (z. B. Vereinbarung über die Bildung gemeinsamer Studienreformkommissionen, 1978). Zum anderen erfolgt eine Länderzusammenarbeit in den ständigen oder Ad-hoc-Konferenzen der Ministerpräsidenten und Fachminister (z. B. KMK). Daneben existieren vielfältige Formen informeller Zusammenarbeit (z. B. Kontakte zwischen Mitgliedern der Landesregierungen und zwischen Ministerialbeamten). 2. Die Bundesebene Das bundesrepublikanische Bildungswesen ist ohne einheitliche politische Spitze; es gibt kein „Bundeskultusministerium“. Erst mit der 1969 erfolgten Grundgesetzänderung endet eine Periode „weitgehender dezentraler Hochschulpolitik" Der Bund gewinnt neue Bildungszuständigkeiten und folgende materielle Gesetzgebungskompetenzen im Hochschulbereich: 1. Die Rahmenkompetenz für „allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens" (Art. 75 Abs. 1 a GG) und für die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst Beschäftigten (einschließlich Hochschullehrer). Hierauf stützt sich das HRG.
2. Die Mitplanungs-und Mitfinanzierungszuständigkeit für die Länderaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken" (Art. 91a Abs. 1. 1. GG). Hierauf ist der gemeinsame Planungsausschuß für Hochschulausbau gegründet. 3. Das Mitwirkungsrecht bei der Bildungsplanung der wissenschaftlichen Forschung als Gemeinschaftsaufgabe mit den Ländern (Art. 91b GG). Hierauf stützt sich die Bund-Länder-Kommission (1970), sowie die Förderung der DFG, Max-Planck-und Fraunhofer-Gesellschaft usw.
4. Die Zuständigkeit für Ausbildungsbeihilfe-Regelungen (Art. 74 Punkt 13 GG). Hierauf beruht das BAFöG (1971).
Die Neueinteilung der Kompetenzen bedeutet eine stärkere Zentralisierung. Mit dem deutlichen Übergewicht der Bundesgesetzgebungskompetenzen und den dominierenden Einwirkungsformen des Bundes wird eine gewisse Vereinheitlichung vollzogen, die soge-nannten Landesgesetzgebungsreservate werden erheblich eingeschränkt. Indiz dafür, daß der Bund auch im Bereich der Bildungspolitik immer mehr an Kompetenzen gewinnt, ist die Ausdifferenzierung der zuständigen Bundesministerien. Das 1955 gegründete Bundesministerium für Atomfragen wird in das Ministerium für wissenschaftliche Forschung umorganisiert. 1969 wird das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) mit höherem Etat neu gebildet und 1972 von ihm das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) abgetrennt. 3. Die „Dritte Ebene" des kooperativen Bildungsföderalismus Hierbei handelt es sich um Bund-Länder-Kooperationen, sogenannte „Gemeinschaftseinrichtungen". Von Bund und Ländern wurden gemeinsam unabhängige Beratungs-sowie Planungs-und Koordinierungsgremien errichtet. Diese Einrichtungen sind, bedingt durch den im Grundgesetz festgelegten föderalistischen Staatsaufbau, verfassungsmäßige Grauzonen und der unmittelbaren Kontrolle der Landesparlamente entzogen.
Der Deutsche Bildungsrat bestand zwischen 1965 und 1975; seine Auflösung erfolgte nach dem Austritt der Länder Bayern und Baden-Württemberg. Er sollte Bedarfs-und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen und dessen Finanzbedarf entwerfen, wobei die zahlreich erarbeiteten Gutachten staatlichen Stellen als wissenschaftliche Bildungspolitikberatung dienten.
Der Wissenschaftsrat (WR) wurde 1957 als reines Beratungsgremium in Fragen der Wissenschaftsförderung und Hochschulreform konzipiert, hat sich aber de facto zu einem einflußreichen Planungsgremium mit Initiativfunktion entwickelt. Er leistet heutzutage Zulieferungsarbeit für die staatliche Hochschul-und Wissenschaftsplanung in Form von Empfehlungen. Die jüngsten richtungsweisenden Empfehlungen waren „Umfang und Struktur des Tertiären Bereiches" (1976), „Differenzierung des Studienangebots" (1978), „Aufgaben und Stellung der Fachhochschulen" (1981) und „Empfehlungen zur Weiterbildung an den Hochschulen" (1983).
Die seit 1948 bestehende Kultusministerkonferenz(KMK) behandelt als freiwillige Arbeitsgemeinschaft kulturpolitische Angelegenheiten von überregionaler Bedeutung. Die eigentliche Domäne der KMK liegt im Schulbereich, doch änderte sich dies Mitte der siebziger Jahre, als die KMK nicht unbedeutende Empfehlungen für den Hochschulsektor vorlegte (z. B. 1972 Vorbereitungen für den Länder-Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen, Rahmenordnungen für Diplomprüfungen usw.).
Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) existiert seit 1970 und sollte sowohl einen Entwicklungs-als auch einen Finanzierungsplan für das gesamte Bildungswesen aufstellen. Mit dem Bildungsgesamtplan von 1973 wurde dann auch erstmals ein gemeinsamer Rahmenplan von Bund und Ländern erstellt, quasi ein quantitatives Entwicklungsprogramm mit allgemeinen Grundsatzentscheidungen über die angestrebte Struktur des Bildungswesens
Die staatlichen Studienreform-fnstrumentarien, die seit 1977 in Erfüllung des HRG-Auftrages (§ 9 Abs. 2 HRG) geschaffen wurden, umfassen das Koordinierungsgremium für Studienreform, die Ständige Kommission für Studienreform und Bundesstudienreformkommissionen für einzelne Studienfächer. Diesem pyramidenartigen Studienreformgremienverbund fällt die wichtige Aufgabe zu, konkrete Studienreformziele für einzelne Studiengänge zu konzipieren, also die inhaltliche Studienreform zu planen. Dies soll durch überregionale, fächerspezifische Empfehlungen zur Neuregelung von Studiengängen sowie durch Muster-Prüfungs-und -Studienordnungen erfolgen. Wichtig ist dabei, daß diese Vorgaben gemäß § 9 Abs. 7 HRG für die Hochschulen verbindlich gemacht werden können!
Alle Institutionen und Gremien auf Bundes-, Länder-und der sogenannten Dritten Ebene zusammengenommen ergeben das hochschulpolitische Entscheidungssystem. Dieses komplexe System soll dazu beitragen, eine überregional abgestimmte Entwicklung des Hochschulwesens zu steuern.
III. Möglichkeiten und Grenzen des Gremienverbundes
Die Möglichkeiten und Grenzen dieses Gremienverbundes hinsichtlich seiner Steuerungskompetenz und -kapazität von bildungspolitischen Prozessen muß jedoch kritisch eingeschätzt werden. Dies aufgrund folgender struktureller Schwächen: 1. Strukturelles Defizit an Legitimation Sowohl der Wissenschaftsrat als auch der Bildungsrat, die BLK und das Studienreforminstrumentarium sind alle durch Verwaltungsabkommen zustande gekommen. In keinem Falle der Errichtung einer dieser Institutionen bildet ein Staatsvertrag die Rechtsgrundlage und damit verbunden eine öffentliche Debatte in den Parlamenten. Bildungspolitische Prozesse und deren Regelung werden dadurch zur alleinigen Angelegenheit von Bundes-und Länderregierungen und deren Ministerialbürokratien. Weiter vollzieht sich die Arbeit der bildungspolitischen Gremien z. T. unter fehlender parlamentarischer Kontrolle und mangelnder Öffentlichkeit. So arbeitet die KMK weitgehend unter Geheimhaltung, und die staatlichen Studienreforminstrumentarien begannen ihre Tätigkeit fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Lediglich der Bildungsrat, der 1975 aufgelöst wurde, wandte sich ausdrücklich an die Öffentlichkeit als Adressatenkreis seiner Gremienarbeit. Aber nicht nur hinsichtlich der Transparenz ihrer Arbeit, auch hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Organisation besitzen die hochschulpolitischen Gremien eine Schwäche an Legitimation. Bei Gremien, die als Mitglieder u. a. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben (z. B. WR, Bildungsrat), oder bei Gremien, bei deren Besetzung verschiedene Organisationen Vorschlagsrecht besitzen (z. B. DFG beim WR; DGB, BDA beim Bildungsrat und den Studienreform-Gremien), kompliziert sich das Nominationsverfahren bis hin zur völligen Undurchschaubarkeit. 2. Strukturelles Defizit an Planungskapazität Staatliche Planung sieht sich einer bisher unvollkommenen wissenschaftlichen Planung gegenüber, was sich in dem fast völligen Fehlen einer fundierten Analyse des Ist-Zustandes äußert. Informationsangebot, Bedarfsprognosen und -forschung sind mangelhaft; geeignete Bildungsplanungsmodelle, die ökonomischen Bedarf und gesellschaftliche Entwicklung integrieren, gibt es kaum. Mit dem Fehlen aber auch nur halbwegs zuverlässiger Prognosen hat staatliche Bildungsplanung keinerlei Grundlagen. Bei der praktizierten Bildungsplanung dominiert daher die Ressourcenplanung. Das Beispiel des Bildungsgesamtplanes — der dieses Problem durch eine gezielte Koordinierung von Bildungs-und Finanzplanung zu lösen suchte und an der Intervention der Finanzminister scheiterte — beweist die „Dominanz fiskalischer Rationalitätskalküle" Das fast völlige Fehlen politischer Vorgaben, strategischer Zielanalysen und Zielbestimmungen reduziert Bildungsplanung auf ein rein operatives Vorgehen, auf eine mehr oder weniger intelligente Mängel-verwaltung. 3. Strukturelles Defizit an wissenschaftlicher Information, Arbeitskapazität und finanziellen Ressourcen
Bei allen Einrichtungen ist die Mitglieder-rolle als ehrenamtliche angelegt (selbstverständlich mit Ausnahme der Kultusbeamten). Dies setzt den Arbeitsmöglichkeiten natürliche Grenzen. Die Ergebnisse bildungspolitischer Gremien müssen somit auf der Grundlage nebenamtlicher Tätigkeit kritisch beurteilt werden. Angesichts der Diskrepanzen zwischen Umfang der Aufgaben und Beschränkung der Arbeitskapazität, zwischen mühsam errungenen Arbeitsergebnissen und deren Realisierungschancen ist es verständlich, daß sich zunehmend schwerer Persönlichkeiten zur Mitarbeit in solchen Institutionen bereit erklären. Doch nicht nur die ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter in den bildungspolitischen Organen werden durch die Gremienvielfalt und die Sitzungsinflation strapaziert, sondern auch die einzelnen (hohen) Kultusbeamten von Bund und Ländern. Die Überlastquote der Kultusbeamten wird aus den in Personalunion besetzten Positionen ersichtlich. Danach gilt für KMK, Wissenschaftsrat und BLK, daß in der Regel Kultusbeamte aus Bund und Ländern in bis zu vier Gremien sitzen und nur eine Minderheit der Beamten lediglich in einem Gremium vertreten ist
In der völligen Überlastung der Mitglieder bildungspolitischer Gremien ist mit ein Moment für die oft beschworene kollektive Unfähigkeit zur Reform zu suchen; denn überlastete Mitarbeiter können Informationen schlechter verarbeiten — ungeachtet der prinzipiellen Schwierigkeiten, bildungspolitische Prozesse wissenschaftlich planen zu können. Um Abhilfe zu schaffen, wird die vermeintliche Lösung in der Schaffung von Geschäftsstellen gesehen, doch stellt sich hier wieder die Frage nach deren Finanzierbarkeit. Um diesem Dilemma zu begegnen, ist eine gewisse Tendenz zur Verflechtung einzelner bürokratischer Apparate festzustellen. So befindet sich die Geschäftsstelle der Studienreformkommission beim Sekretariat der KMK, jene der BLK beim Bundeskanzleramt. 4. Strukturelles Defizit an Politikdurchsetzung Betrachtet man die Strukturen des internen Entscheidungsprozesses, so läßt sich insgesamt für alle bildungspolitischen Gremien ein hoher Konsensbedarf feststellen. Der Zwang zum Konsens führt dazu, daß zum einen gewisse Themen tabuisiert werden und damit strukturell bestimmt wird, was „politikfähig" ist, und zum andern, daß kontroverse Themen durch formelhaften Wortlaut überbrückt werden. In allen bildungspolitischen Institutionen ist eine ernsthafte strategische Zieldiskussion über Perspektiven des Bildungswesens (bewußt und/oder unbewußt) ausgeklammert worden, statt dessen erfolgte die Propagierung allgemeiner politischer Parolen wie
Chancengleichheit, Effizienz-und Leistungssteigerung usw. Selbst wenn konsensfähige Formulierungen gefunden werden, sind sie noch immer kontrovers interpretierbar.
Vei gleicht man in der Organisationsstruktur den Bildungsrat mit dem Wissenschaftsrat, so fällt auf: der Wissenschaftsrat ist zwar formal nach dem Prinzip strikter Trennung von Beratung durch Wissenschaft und Beschlußfassung durch die staatlichen Vertreter organisiert, de facto aber stimmt die Verwaltungskommission mit über Empfehlungen ab. Und gerade durch die enge Zusammenarbeit von Wissenschafts-und Staatsvertretern erzielen Wissenschaftsratsempfehlungen ihren direkten Einfluß auf die politische Praxis. Der Bildungsrat, der formal auch in eine Regierungsund eine Bildungskommission gegliedert war, beriet in einer gemeinsamen Vollversammlung. Die Bildungsratsempfehlungen besaßen im Vergleich zu jenen des Wissenschaftsrates zwar ein höheres Maß an Konsistenz, dagegen aber sehr geringe Realisierungschancen, weil die politischen Entscheidungsträger an keine gemeinsamen Beschlüsse gebunden waren.
Daraus läßt sich folgende Trendaussage über bildungspolitische Politikformulierung und -realisierung ableiten: Je unverbindlicher und je größer der Kompromißcharakter bildungspolitischer Empfehlungen ist, desto größer sind deren Realisierungschancen. Aus diesen vier strukturellen Defiziten sind folgende Schlußfolgerungen zu ziehen:
1. Die bildungspolitischen Gremien behandeln bildungspolitische Probleme vornehmlich als Struktur-und Organisationsprobleme und vollziehen dadurch eine künstliche Trennung in äußere und innere Hochschulreform.
Wesentliche Probleme der Hochschulpolitik werden auf technokratische Art und Weise zu lösen versucht. Zum Beispiel soll der Wissensexplosion durch Regelstudienzeit, Kurzstudiengänge, sogenannte Entrümpelung der Studienfächer begegnet werden; das Mißverhältnis zwischen Hochschulkapazitäten und der Anzahl der Studierwilligen glaubt man durch Numerus clausus und Kapazitätenverordnungen bewältigen zu können u. a. m. Dadurch werden die Auseinandersetzungen um eine Hochschulreform nicht politisch ausgetragen, sondern reduziert auf Diskussionen um Organisationsstrukturen.
2. Bildungspolitische Gremien sind ihrerseits eben nicht nur das Produkt einer technokratischen staatlichen Hochschulpolitik, sondern besitzen einen hohen Grad an Autonomie das heißt, die bildungspolitischen Gremien entwickeln eine Eigendynamik, derzufolge versucht wird, bildungspolitische Probleme administrativ zu steuern.
3. Eine verstärkte staatliche Steuerung kommt in Form von Zentralisierung und Hierarchisierung bildungspolitischer Institutionen zum Ausdruck. Die zunehmenden Kompetenzen und Aktivitäten der Bundesregierung und der Länderregierungen im Hochschulbereich gehen zu Lasten der Selbstverwaltung der Hochschulen. Damit erfolgt die Verlagerung der Willensbildungsund Entscheidungsprozesse aus den Hochschulenauf dafür geschaffene Bund-Länder-Gremien. HRG und staatliche Studienreforminstrumentarien sind dafür treffende Beispiele.
4. Die Fülle von Konzeptionen und Plänen der bildungspolitischen Gremien fordert permanent die Reaktion der einzelnen Hochschulen. Dies hemmt und blockiert diese und verstärkt den Teufelskreis der angeblichen Reformunfähigkeit der Hochschulen und der deshalb notwendig gewordenen staatlichen Aktivitäten
5. Den vielen Gremien ist ein effektives Arbeiten auch angesichts des föderativen Prinzips in der Bundesrepublik nur schwerlich möglich. Die föderale Struktur lähmt die Umsetzung von Empfehlungen aufgrund der materiellen Doppelzuständigkeit von Reformpolitik. Und sie kann ein verzögerndes Moment hinsichtlich einzuführender Neuerungen sein. Politikverflechtung als Kompetenz-verschränkung der Staatsaufgaben zwischen Bund und Ländern, als Instrument der Koordination staatlichen Handelns, kann durch faktisch einstimmige Verhandlungslösung und unter Berücksichtigung vielfältiger und widersprüchlicher Interessen nur eine beschränkte Koordinations-und Steuerungskapazität erreichen.
6. Die Vielschichtigkeit des bildungspolitischen Gremiengeflechts bewirkt auch, daß (Allein-) Verantwortliche nicht mehr auszumachen sind. Politische Verantwortung wird dadurch kaschiert, gesellschaftliche Zusammenhänge werden durch „die systematische Zerlegung gesellschaftlicher Widersprüche und Konflikte in . Zuständigkeiten'und . Verwaltungsaufgaben’ sowie ihre Transformation in Interessengruppen-und Bürokratiequerelen" ideologisch verschüttet. 7. Das komplexe Gremiengefüge ist auf einen hohen Konsensbedarfangewiesen, der zu permanenten Kompromissen zwingt. Angesichts einer bildungspolitischen Polarisierung zwischen unterschiedlich regierten Ländern und angesichts des föderalen Staatsaufbaus mündet dies in eine Selbstblockierung des länder-übergreifenden Entscheidungssystems.
Der Bildungsrat ist seit 1975 aufgelöst, und es gibt für ihn bis heute keinen Ersatz. Der Wissenschaftsrat befaßt sich weniger mit langfristigen Perspektiven für die Veränderungen im Hochschulbereich als vielmehr mit konkreten Ausbaufragen. Die Existenzberechtigung der Bund-Länder-Kommission wird seit Beginn der achtziger Jahre regelmäßig in Frage gestellt. Auch arbeiten KMK und Bund-Länder-Kommission schlecht koordiniert und eher konkurrierend.
Mit der Schaffung eines ganzen hierarchischen Gremieninstruments für die Studienreform hat sich das bildungspolitische Entscheidungssystem zwar weiter diversifiziert, ist aber trotzdem ein Torso geblieben und keineswegs effizienter geworden.
IV. Strukturwandlungsprozese und Bedingungen staatlicher Hochschulpolitik
Welche Wandlungsprozesse staatlicher Hochschulpolitik Jassen sich nun auf dem Hintergrund der gezeigten historischen und institutionellen Entwicklungslinien ausmachen?
Der Strukturwandlungsprozeß der deutschen Hochschulpolitik seit 1945 umfaßt fünf Dimensionen.
1. Die quantitative Erweiterung des Hochschulbereiches wurde initiiert zum einen durch die wachsende Nachfrage nach wissenschaftlich qualifizierten Arbeitskräften, zum andern durch die erhöhte Bildungsbereitschaft der Bevölkerung (Stichwort „Bildung als Bürgerrecht"). Ursache für die wachsende Nachfrage nach wissenschaftlich qualifizierten Arbeitskräften waren die verändertenQualifikationsanforderungen an Hochschulabsolventen, welche ihrerseits bedingt waren durch die verstärkte Einbeziehung der Wissenschaft in alle Bereiche des gesellschaftli-chen Arbeitsprozesses. Diese quantitativen Erweiterungen zeigen sich Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre im Ausbau von Hochschulen und zahlreichen Neugründungen sowie in der zunehmenden Rekrutierung der Studenten aus unteren Bevölkerungsschichten (Stichwort „soziale Öffnung der Hochschulen"). Aber dieser quantitativen Verstärkung der Hochschulen folgten keine inhaltlichen Neuerungen, und so führte dies schließlich zu einer konzeptionslosen Vermassung der Hochschulen. 2. Unter staatlicher Formierung des Hochschulbereichessoll verstanden werden, daß sich Verfahren, Instrumente und Akteure der Hochschulpolitik veränderten. Die Initiative zur Hochschulreform ist auf staatliche Instanzen übergegangen, es erfolgte eine schrittweise Verlagerung hochschulpolitischer Kompetenzen weg von der akademischen Selbstverwaltung hin zu staatlichen Gremien. Diese Entwicklung findet u. a. ihren Niederschlag in zunehmend umfassenderen legislatorischen Steuerungskompetenzen (z. B. HRG, LHG). Die Verstaatlichung der Hochschulpolitikführt zu einer Kompetenzdiffusion sowohl zwischen Hochschulen und staatlichen Instanzen als auch innerhalb der staatlichen bildungspolitischen Institutionen. Diese Schwierigkeiten der Kompetenzzuordnung bewirken, daß politische Verantwortlichkeit für bildungspolitische Entscheidungen nur schwer oder gar nicht mehr lokalisierbar sind. 3. Unter Verflechtung staatlicher Hochschulpolitiksoll hier die Ausdifferenzierung der Entscheidungsebenen für bildungspolitische Probleme verstanden werden. Auffächerung und Zersplitterung des bildungspolitischen Entscheidungsprozesses werden sichtbar im kooperativen Bildungsföderalismus ebenso wie in den zahlreichen bildungspolitischen Instrumentarien. Dieses komplexe bildungspolitische Entscheidungssystem wirft angesichts von Eigendynamik und Zwang zum Konsens die Frage nach der politischen Steuerbarkeit dieses Verflechtungsprozesses auf. Die häufigste Art des erzielten bildungspolitischen Konsenses ist die Einigung auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners. Gerade dies belastet u. a. die Innovationsfähigkeit staatlicher Hochschulpolitik, da Reformmaßnahmen nicht nur jahrelang dauern, sondern auch prinzipiell abgeblockt werden können. 4. Unter Komplexitätssteigerung staatlicher Hochschulpolitik wird die Verzweigung sowohl zwischen den unterschiedlichen bildungspolitischen Gremien als auch zwischen Bund und Ländern und der Bund-Länder-Kooperation verstanden. Die Koordinationsleistung des bildungspolitischen Gremiengeflechts wurde als wenig effektiv charakterisiert. Bildungspolitische Fragen unterliegen zunehmend einem administrativen Aushandlungsprozeß, der nicht nur bestimmte Themen tabuisiert und damit unberücksichtigt läßt, sondern auch versucht, Probleme technokratisch zu bewältigen.
5. Die bisher aufgezeigten Tendenzen bewirken zusammengenommen eine beschränkte Öffentlichkeit staatlicher Hochschulpolitik, vor allem den zunehmenden Ausschluß der eigentlich von hochschulpolitischen Maßnahmen Betroffenen. Die staatlichen bildungspolitischen Gremien sind nahezu „studentenfrei". Hochschulinteressen werden von Orga-B nen wie der Westdeutschen Rektoren-Konferenz (WRK) vertreten, deren demokratische Legitimation als Repräsentant der Gesamtheit der Hochschulen bezweifelt werden muß Immer häufiger erfolgt die Verlagerung bildungspolitischer Probleme und Entscheidungen von der akademischen Selbstverwaltung auf staatliche Instanzen. Den staatlichen hochschulpolitischen Entscheidungen fehlt es aber häufig an Transparenz. Aber auch die Entscheidungsträger, die bildungspolitischen Beratungs-und Koordinationsgremien, verfügen lediglich über eine zugewiesene administrative Kompetenz. Gerade aber Hochschulpolitik ist auf eine breite universitäre und auch außeruniversitäre Öffentlichkeit angewiesen. Daraus resultiert einLegitimationsdefizit staatlicher Hochschulpolitik.Dieses spielt spätestens dann eine Rolle, wenn staatliche hochschulpolitische Maßnahmen den Interessen der Mehrheit der Betroffenen zuwiderlaufen und/oder die artikulations-und konfliktfähigen hochschulpolitischen (Lehrende, Lernende) und außeruniversitären Gruppen (Gewerkschaften und Privat-wirtschaft) staatliche Hochschulpolitik nicht mehr mittragen.
Claudia Schmid, geb. 1957; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik an der Universität Tübingen, 1. Staatsexamen; wissenschaftliche Zulassungsarbeit über Bildungspolitik; Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft Tübingen (Thema: Außenpolitik Ägyptens). Veröffentlichungen u. a.: Studienreform, in: GEW-Baden-Württemberg (Hrsg.), Dokumente und Analysen zur Studienreform. Ein Reader, Stuttgart 1980; Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, in: GEW-Hauptvorstand (Hrsg.), Bäume pflanzen für die Zukunft, Frankfurt/M. 1983.