Die Entwicklung bundesdeutscher Militärausgaben in Vergangenheit und Zukunft
Lutz Köllner
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Zusammenfassung
Militärausgaben in der Bundesrepublik zeichnen sich durch zwei Eigenheiten aus: sie sind Ausgaben im Rahmen eines transatlantischen Bündnisses und sie dienen zur Finanzierung einer Verteidigungsarmee. Gemessen an Makroindikatoren haben die Verteidigungsausgaben im Durchschnitt 3, 6% des Bruttosozialproduktes, 34% der Bundes-und ca. 20% der gesamten Staatsausgaben nicht überschritten. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind die Verteidigungsausgaben auf gegenwärtig etwa 18% der Bundesausgaben gefallen. Die Struktur der derzeitigen Verteidigungsausgaben ist problematisch angesichts der Kostenschübe bei neuen Waffensystemen und der derzeitigen Diskussion über Militär-doktrin und „große Strategie” in der NATO. Eine stärker konventionelle Bewaffnung kann nicht neben einer Fortschreibung der derzeitigen Bewaffnung der Bundeswehr finanziert werden. Insofern ist die Zusammensetzung der Verteidigungsausgaben auch abhängig von internationalen Abrüstungsverhandlungen und der Strategiediskussion. Ein gemeinsamer NATO-(Teil-) Haushalt kann ein Weg sein, künftige Finanzierungsprobleme im Bündnis reibungsloser zu lösen als bisher. Gemeinsame (westeuropäische) Verteidigungsausgaben können als Beitrag zur weiteren ökonomisch/politischen Integration verstanden werden, die gemeinsame Sicherheitsinteressen demonstriert.
I. Grundlegende Eigenarten bundesdeutscher Militärausgaben
Wer sich über langfristige Entwicklungen von Militärausgaben in der Bundesrepublik Deutschland unterrichten möchte, muß sich vor dem geschichtlichen Hintergrund zwei grundlegende Sonderheiten klarmachen, die die Militärausgaben seit 1955/56 in der Bundesrepublik von früheren fiskalischen oder außerfiskalischen Aufwendungen für das Militär auszeichnen. Zwar bilden heute — im Gegensatz zu den Verhältnissen im Mittelalter und bis zum Ersten Weltkrieg hin — Militärausgaben finanzielle Lasten, die der Zentralstaat zu tragen hat und für die die Zentralregierung die Verantwortung übernehmen muß, sie sind jedoch alles andere als „nationale" Ausgaben, so wie man im 19. Jahrhundert „Nation" und „nationale Staatstätigkeit" verstand. Erstmals in der deutschen Militärgeschichte sind Militärausgaben (des Staates) Ausgaben in einem transatlantischen Bündnis, in dem sie neben den Ausgaben anderer, auch amerikanischer Staaten (USA und Kanada) für deren anteilige NATO-Kontingente stehen. Der epochale Unterschied wird deutlich, wenn man sich an die Militäraufwendungen des Deutschen Reiches vor 1914 oder an die Kriegsausgaben der europäischen „Mittelmächte" 1914/1918 erinnert.
Aufrüstung und Kriegsfinanzierung im Dritten Reich waren unter nationalsozialistischer Herrschaft ohnehin ein „nationales" Ereignis. In den vorausgegangenen Jahren der Weimarer Republik (1919/20— 1933) spielten Militär-ausgaben im durch die Erzbergersche Reichsfinanzreform reformierten Reichshaushalt keine entscheidende Rolle. Der Versailler Vertrag hatte mit seinen strengen Bestimmungen (100 000-Mann-Heer, keine Großkampfschiffe, keine Flugzeuge, keine Panzer usw.) die Militärausgaben auf weniger als 10% der Reichsausgaben beschränkt Dem stan-den freilich die in zähen Verhandlungen zwischen dem, Deutschen Reich und den Siegermächten zwischen 1920 und 1924 vereinbarten jährlichen Reparationszahlungen in Höhe von 5 Milliarden Reichsmark als besondere Kriegsfolgelasten gegenüber, die bei einem Reichsetat von ca. 8 Mrd. RM zu Ende der zwanziger Jahre besonders schwer wogen, zumal die Reichseinnahmen (1932) auf 5, 9 Mrd. RM fielen und die Reparationen in der im Dawes-Plan (1924) geplanten Höhe nicht mehr zahlbar waren 2).
Die dritte Bewaffnungs-oder Aufrüstungsphase in (West-) Deutschland unterschied sich mithin wesentlich von den vorangegangenen Phasen von vor 1914 und zwischen 1933 und 1939: Ein völlig neuer Block von zentralen Staatsausgaben mußte in den (zentralen) Staatshaushalt aufgenommen werden. Die Wandlungen in der Gegenwart gehen noch weiter, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn streng genommen gab es zwischen 1871 und 1918 nur Reichsausgaben für die Reichs-kriegsflotte. Das Reichsheer bestand aus den vier Kontingenten, die die vier größten deutschen Territorialstaaten, die Königreiche Preußen, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern stellten und deren Finanzierung nicht einheitlich geregelt war, sondern durch ein System von Matrikularbeiträgen und Rücküberweisungen des Reiches an die Länder bestritten wurde. Hinzu kommt, daß es bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Ausgaben für eine eigene Teilstreitkraft „Luftwaffe" nicht gab. Der Aufbau der „Luftwaffe" und die Ausgaben für die Luftschiffer, zu denen vor allem die bemannten Zeppeline gehörten (die u. a. London angriffen), wurden bei den „Heeres-ausgaben" verbucht Erst in den dreißiger Jahren kam es zu einem Etatposten „Reichsluftfahrtministerium" bzw. „Reichsluftwaffe". Dies illustriert, daß Militärausgaben der Gegenwart nicht nur (föderal) anders finanziert werden als vor 1914 oder vor 1939, sie spiegeln auch eine andere, neue Struktur des Militärs wider, die zu einem weiten Teil mit der Struktur des Militärkörpers vor dem August 1914, als es noch keine Panzer, U-Boote, Flugzeuge, Raketen, Nuklearwaffen und keine offensiven oder defensiven elektronischen Ortungsgeräte oder Waffen und dazugehörige „Antiwaffen" gab, nicht vergleichbar ist.
Für die besonderen deutschen Verhältnisse kommt ein anderes Ereignis zu dieser ersten Sonderheit hinzu: Die Teilung Deutschlands in zwei Staatsgebilde hat die deutschen Militärausgaben jeweils einem Militärblock zugeordnet, der NATO oder dem Warschauer Pakt (WPO), wenn auch in beiden Fällen nicht in die makrofiskalische Politik beider Systeme integriert. Es sind (rest) nationale Militärausgaben in Form von Bündnisverpflichtungen. Vor 1914, im Zeitalter der Flottenrüstung zwischen Deutschland und England, die um 1900 und dann wieder um 1906 einen kräftigen Schub als „Flottenrüstungsspirale'1 erlebte, war der deutsche Militärkörper operationell offensiv angelegt. Ohne die Frage nach dem historisch internationalen Gewicht deutschen Weltgeltungsstrebens an dieser Stelle nochmals aufzurollen, darf man davon ausgehen, daß sowohl vor 1914 die deutschen Heere als auch die Reichskriegsmarine ihrer Organisation, ihrer Bewaffnung und der in ihnen gepflogenen Mentalität nach offensiv eingestellt waren. Das gilt auch dann, wenn man keine der damaligen „Imperialismustheorien" als besondere Erklärungsinstrumente einer expansiven „Welt" -Politik des Kaiserreiches heranziehen möchte Die Struktur des militärischen Apparates im Wilheimischen Deutschland war auf Offensive und Expansion eingerichtet.
Zwar fällt die Gründung der Bundeswehr in die Zeit der US-amerikanischen Militärdoktrin des „roll-back" gegenüber einer tatsächlichen oder geglaubten sowjetischen Gefahr in Mitteleuropa. Aber nicht nur das deutsche verfassungsmäßige Verständnis, sondern auch die NATO-Doktrinen haben der Bundeswehr überall erkennbar eine vorwiegend defensive Rolle und Gestalt zugedacht. Das hat zwar die von Zeit zu Zeit immer wieder auflebende Diskussion über „Vorneverteidigung versus Vorwärtsverteidigung" nie völlig ausgeschlossen; Ausbildung, Organisationsgefüge, Bewaffnung und Mentalität haben der Bundeswehr jedoch einen betont defensiven Charakter beschert.
Wie allein schon ein Blick in die Ausgaben-struktur etwa für Pionierwesen, Feldzeugwesen (die wesentliche Teile der Heeresrüstung einschließt) und die Beschaffung von militärischem Großgerät zeigt (u. a. Kapitel 1413, 1414, 1415, 1418 und 1419 des Einzelplanes 14 des Bundeshaushaltes), folgte die Bewaffnung der Bundeswehr bisher überwiegend defensiven militärischen operativen Absichten. Die moderne Waffentechnik hat es zwar mit sich gebracht, daß Trägersysteme sowohl für defensive als auch für offensive militärische Zwecke eingesetzt werden können, ebenso hat sich gezeigt, daß es im militärstrategischen Denken offensichtlich Grauzonen zwischen offensiver und defensiver Strategie gibt.
Das Gesamtkonzept des Aufbaus der Bundeswehr weist jedoch in Übereinstimmung mit der geltenden Militärdoktrin der NATO der stufenweisen Abschreckung (flexible Response) einen vornehmlich defensiven Charakter, der Raumverteidigung, nicht des Raumgewinns auf. Dabei soll keineswegs verschwiegen werden, daß die jüngste (inoffizielle) „Rogers-Doktrin" über eine stärkere Vorwärtsverteidigung die Akzente in der militärpolitischen wie militärstrategischen Diskussion wieder verschoben hat. Auch die Frage der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Mitteleuropa und vornehmlich in der Bundesrepublik hat neue Akzente gesetzt. Die umgekehrte Frage, ob die Bundeswehr mit ihrer derzeitigen Struktur zu einer massiven und einer — wie auch immer politisch zu wertenden — offensiven Operation großen Stils geeignet ist, muß jedoch eindeutig verneint werden.
II. Die politische Vorstrukturierung bundesdeutscher Militärausgaben in den Jahren 1950 bis 1955
Es sind in der Hauptsache vier politische Ereignisse, die in den Anfangsjahren die Militärausgaben vorstrukturierten, ehe die Bewaffnung der Bundesrepublik im Rahmen der NATO und deren auch fiskalische Bewältigung begann.
Es darf nicht übersehen werden, daß es nach 1945 Jahre gab, in denen es nicht nur infolge des verlorenen Zweiten Weltkrieges eine allgemeine Tabuisierung alles Militärischen gab, sondern in denen die Besatzungspolitik in West-und Mitteldeutschland eine betonte Politik der Entmilitarisierung, der „Re-education", der Schleifung von noch vorhandenen militärischen Anlagen und Rüstungswerken (Demontagen usw.) betrieb. Fiskalisch bedeutet dies, daß es zwischen 1945 und 1955 in den drei westlichen Besatzungszonen überhaupt keine Militärausgaben gab. Stellvertretend waren an ihre Stelle Besatzungslasten (Besatzungskosten und Besatzungsfolgekosten sowie Kriegsfolgelasten allgemeiner und besonderer Art) getreten. Neben den Abwicklungskosten des Zweiten Weltkrieges (die gesamte Kriegshinterbliebenenbetreuung und Kriegsopferversorgung im weiten Wortsinne gehörten dazu) gab es einige versteckte Militärausgaben etwa in Form von Aufwendungen für die in der britischen Zone aufgestellte „Labour Division" bei der Besatzungsmacht oder die Kosten, die die Besatzungszonen für die Besatzungsmächte übernahmen, indem sie ihnen infrastrukturelle Einrichtungen, wie einen Teil des Zugverkehrs der Reichsbahn usw., zur Verfügung stellten. Kriegsfolgelasten und Besatzungslasten bestimmten den ersten und den zweiten Bundeshaushalt 1949/50 und 1950/51 so stark, daß angesichts des auf Grund der entsprechenden Gesetzgebung schnell steigenden Anteils der Sozialausgaben am Bundesetat gar kein Raum für neue Militärausgaben vorhanden war, selbst wenn man sie, allen verfassungs-und besatzungsrechtlichen Bestimmungen entgegenstehend, politisch sofort gewollt hätte. Zwar ist es richtig, daß der Aufbau des Bundeskassenüberschusses in Gestalt eines „Neuen Juliusturmes" durch Bundesfinanzminister Fritz Schäffer und der verzögerte Abzug von Besatzungsgeldern vornehmlich durch die US-Besatzungsmacht die Chancen für neue deutsche Militärausgaben beträchtlich verbesserten; das ändert aber nichts an dem grundlegenden Tatbestand, daß die Frage neuer Militärausgaben in der Bundesrepublik Deutschland neben den Besatzungslasten eine akademische Frage blieb. In der Praxis konnte es nur darum gehen, eigene Militär-ausgaben (— Verteidigungsausgaben) in hohem Umfange an die Stelle von Besatzungskosten, die zeitweise 35% des Bundeshaushaltes betrugen, zu setzen.
Diese Problematik wurde bereits bei den Verhandlungen über den deutschen Beitrag zu einer geplanten Europa-Armee im Rahmen des 1950 in Frankreich entwickelten Pleven-Planes deutlich. Die Phase der Auseinandersetzungen über eine „Europa-Armee" konkretisierte auch die Grenzen der finanziellen Leistungsfähigkeit der jungen Bundesrepublik. Das war die zweite Vorstrukturierung der Militärausgaben der Bundesrepublik, die bis heute fortwirkt. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, daß der Pleven-Plan im August 1954 im Vorfeld der Tagungsordnung der Französischen Nationalversammlung scheiterte und die geplante Europa-Armee mit einer sicherlich anders strukturierten finanziellen Grundlage als heute die der Bundeswehr auf der Strecke blieb. In unserem Zusammenhänge wichtig waren zwei Umstände: Zum einen wurde deutlich, daß ein deutscher finanzieller Beitrag in Höhe der bisherigen Besatzungslasten und deren Fortschreibung unter normalen wirtschaftlichen und fiskalischen Wachstumsbedingungen liegen sollte (ca. 500 Millionen, höchstens 900 Millionen DM im Monat). Zum anderen wurde klar, daß der Aufbau der Bundeswehr in einer Stärke von maximal 500 000 Mann (und derzeit ca. 170 000 Zivilbeschäftigten) in dem geplanten Zeitraum bis 1961/62 nur mit einer ausländischen Anlaufhilfe zu erreichen war. Die NASH-Hilfe der USA hat diese Aufgabe für die Erstausstattung der Bundeswehr mit 450 Panzern und etwa 370 Flugzeugen übernommen. Fiskalisch bedeutet das eine Art „Marshall-Plan" für die Ausrüstung der Bundeswehr, die den Zentralfiskus nun doppelt entlastete, einmal, indem großes militärisches Gerät ohne Entgelt zur Verfügung gestellt, zum anderen, indem es zu subventionierten Preisen geliefert wurde
Eine dritte Vorstruktuierung lieferten die Pariser Verträge von 1955, die mit ihren vier Einzelverträgen (Generalvertrag, Stationierungsvertrag, Finanzvertrag und Überleitungsvertrag) auch die Zusammensetzung neuer Militärausgaben insofern regelten, als festgelegt wurde, welche Bewaffnungsstruktur die künftige Bundeswehr erhalten sollte. Durch einen Negativ-Katalog wurden Großkampfschiffe, Fernkampfbomber, großkalibrige Geschütze, U-Boote ab einer gewissen Tonnage, große Seeminen usw. für die Bundeswehr ausgeschlossen. Damit sowie durch die Verzichtserklärung der Bundesregierung auf ABC-Waffen durch den internationalen Vertrag über die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen (Non-Proliferation), den Meeresbodenvertrag und ähnliche internationale Verträge, denen die Bundesrepublik beitrat oder sich in ihrem Geiste verhielt, wurde entscheidend das Kostengefüge für Beschaffungsausgaben und damit die Struktur der bundesdeutschen Militärausgaben vorgeprägt. Durch die Pariser Verträge und die ihr folgende Rüstungskooperation in der NATO wurde die Bundesrepublik zu einem, gemessen am wehrtechnischen Fortschritt, konventionell teilgerüsteten Vertragspartner. Trotz der Belastungen, die der Aufbau der Bundeswehr den Bürgern abverlangte, muß festgestellt werden, daß gemessen an dem, was hochtechnisierte moderne Armeen kosten können, die Ausgaben für die Bundeswehr sich in abgesteckten Grenzen bewegten. Dar-über kann auch die Summe von ca. 600 Milliarden DM nicht hinwegtäuschen, die die Bundeswehr seit 1955/56 den Steuerzahler kostete
Es gab noch einen vierten, die Höhe und — mit Blick auf eine mögliche optimale Aufteilung auf die Teilstreitkräfte sowie für allgemeine militärische Aufgaben bezogene Verwendung — die Zusammensetzung bundesdeutscher Militärausgaben prägenden Umstand. Dieser ist in der durch das Grundgesetz, Abschnitt X, gegenüber den Verhältnissen zwischen 1933 bis 1945 neu geregelten Finanzverfassung zu sehen. Sie erhielt wieder einen betont föderativen Charakter, nicht nur in der Verfassung, sondern auch im Finanzverfassungsgesetz (1955), im Finanzvertrag (1955), in den nachfolgenden Haushaltsstrukturgesetzen sowie — im Planungsbereich — durch die praktizierte Mittelfristige Finanzplanung seit 1967. Im Rahmen der Aufgaben-verteilung fiel dem Bund die Landesverteidigung allein zu (anders als vor 1914, aber ähnlich wie nach Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935). Damit traten die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik in Konkurrenz mit den übrigen Bundesausgaben, die wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich Kriegsfolge-und Sozialausgaben im weiteren Sinne waren Diese Faktoren erklären, warum im Bundeshaushalt bis heute Sozial-und Verteidigungsausgaben die größten Posten darstellen, wenn auch in den vergangenen 15 Jahren der Anteil der Verteidigungsausgaben von ursprünglich 34% auf gegenwärtig ca. 18% am Bundeshaushalt gesunken ist, 10).
III. Entwicklungslinien der Militärausgaben in der Bundesrepublik 1955/56 bis 1983
1. Die Höhe der Militärausgaben Gemessen an Makroindikatoren haben sich die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik, im Gegensatz zu landläufigen Meinungen, vergleichsweise gleichmäßig und überschaubar entwickelt. Sie können im Verständnis der langfristigen ökonomischen Wachstumsforschung als Musterbeispiel für „norma-les Wachstum" gelten, nämlich um den säkularen Erfahrungswert zwischen 3, 5— 4, 0% jährlich, mit Ausnahme der Anfangsphase der Bundeswehr (1956— 1964). Es muß betont werden, daß in säkularer Sicht ebenso wie andere Teile des Zentralbudgets auch die Militärausgaben andere, gleichmäßigere Trends aufwei-sen, als die mittel-oder die kurzfristige Betrachtung es vermittelt, die naturgemäß stärkere Ausschläge kennt. Absolut nehmen die Militärausgaben in diesem Jahrhundert einen Verlauf, der in der dritten Phase (1956— 1980) als Trend einen leichten Anstieg verzeichnet. Der prozentuale Anteil am Bruttosozialprodukt lag in „normalen" Jahren zwischen 2, 4 und knapp 4%. Der Anteil am Nettoinlandsprodukt (an dem, was per Saldo im Inland für Konsum und Investitionen zur Verfügung steht) schwankt mit den Anteilen des Exportüberschusses am Sozialprodukt. Der hohe Exportanteil und der hohe Exportüberschuß, der die westdeutsche wirtschaftliche Entwicklung seit Mitte der fünfziger Jahre auszeichnet, läßt den Anteil der Militärausgaben am Nettoinlandsprodukt entsprechend höher erscheinen, weil die Bezugsbasis kleiner ist. Das gleiche gilt für den Anteil der Militärausgaben am Nettosozialprodukt zu Faktorkosten
Tabelle 2 weist für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg über den Anteil der Militärausgaben am Nettosozialprodukt eine Konstanz aus, die erst 1913 mit dem Sprung auf 4, 7% unterbrochen wird. Ähnliches gilt für die Weimarer Republik bis 1933 mit der Besonderheit, daß in der großen Krise (1928— 1932) infolge der dreimaligen Gehaltskürzungen der Regierung Brüning in einer personalintensiven Armee der Anteil der Militärausgaben am Nettosozialprodukt sinkt. Bis 1944 steigen — vor allem im totalen Krieg — die Anteile erheblich an, bis 1944 mehr für militärische Zwecke ausgegeben wird als das Nettosozialprodukt beträgt. Dieses scheinbare Paradoxon erklärt sich dadurch, daß das Nettosozialprodukt keine Neuinvestitionen enthält. Unterlassene Investitionen und Substanzverzehr bildeten mithin eine letzte, für den Fortbestand einer Volkswirtschaft freilich tödliche Finanzierungsquelle des Krieges. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fällt auf, daß der Übergang von den Besatzungskosten zu den Verteidigungsleistungen der Bundesrepublik einen Ruck nach unten aufweist (nämlich von 14 % auf ca. 8 %). Dieser Vorgang bedarf einer Erklärung. Zum einen enthalten die Militärausgaben im späteren Einzelplan 14 nicht die weiterzuzahlenden, wenn auch gesenkten Stationierungskosten für alliierte Truppen auf deutschem Boden (Einzelplan 35). Zum anderen drückt die gewährte Ausstattungshilfe für die Bundeswehr die im Etat ausgewiesenen Voranschläge nach unten. Selbst unter Berücksichtigung beider Tatbestände bleibt die Feststellung gültig, daß in den Anlaufjahren der Bundeswehr deren fiskalische Kosten niedriger ausfielen, als es die fortgeschriebenen Besatzungskosten auf dem Niveau Mitte der fünfziger Jahre gewesen wären.
Deutlich erkennbar ist auch die Entwicklung nach dem Ende der zweiten, im wesentlichen der Intensivierung im Personal-und Großgerätebereich dienenden Entwicklungsphase der Bundeswehr bis 1967/68: Die Anteile am Nettosozialprodukt sinken in dieser Zeit von 6, 4% auf 2, 4% (geschätzt), eine Folge auch des schnellen nominellen Anstiegs des Nettosozialproduktes vor der 1979/80 einsetzenden retardierenden Rezession.
Naturgemäß liegen die Anteile bezogen auf das Bruttosozialprodukt in allen Phasen des Zeitraumes 1955/56 niedriger, weil die Bezugsbasis größer ist. Zwar muß man wegen Ungenauigkeiten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Fehlergrenzen berücksichtigen, dennoch bleibt der elementare Tatbestand bestehen, daß nach mancherlei Schwankungen sich schließlich ein Prozentanteil von etwa 3, 4% herausbildet.
Natürlich gibt es — gerade mit Blick auf internationale Vergleiche — eine Reihe von statistisch-methodischen Einwänden gegen derartige Prozentzahlen. So u. a. die, daß der Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes zu Beginn der siebziger Jahre um den beträchtlichen Posten aller Militärruhegehälter und Pensionsverpflichtungen entlastet wurde (sie werden im Einzelplan 33 ausgewiesen), daß geringe Teile der militärischen Aufwendungen beim Auswärtigen Amt geführt werden und daß schließlich aus gesellschaftlicher nutzen-/kostentheoretischer Sicht etatmäßig ausgewiesene Militärausgaben nicht identisch sind mit dem, was das Militär eine Gesellschaft tatsächlich „kostet".
Der Anteil der Militärausgaben je Kopf der Bevölkerung ist, da die Bezugsbasis starken Schwankungen unterworfen ist (Nettobevölkerungsänderung, Nettowanderungsgewinn oder -Verlust), eine besonders auffällige Größe gegenüber Veränderungen, die mit der Entwicklung der Militärausgaben nichts zu tun haben. So fällt auf, daß die langfristige
Entwicklung von Militärausgaben je Kopf seit 1900 bis in die achtziger Jahre hinein einen klaren, nahezu linearen Trend erkennen läßt. Selbst die Sonderbewegung durch Bevölkerungszuzug aus der DDR bis zum Mauerbau 1961 und nachfolgende Nettozuwanderungen durch Gastarbeiter konnten in der ersten Hälfte der sechziger Jahre diesen Trend nicht grundlegend verändern. In absoluten Zahlen ausgedrückt ist 1983 mit 680 bis 700 DM je Kopf der Wohnbevölkerung die persönliche Verteidigungslast gegenüber 12— 14 Mark um 1900 (ohne Preisbereinigung) ca. 50mal höher und gegenüber 1955/56 mit rund 110 DM noch sechsmal höher. Obwohl Preisbereinigungen für derart lange Perioden problematisch sind, kann man sagen, daß (preisbereinigt) gegenüber dem Gründungsjahr (1955) der Bundeswehr 1983 mit 300 bis 320 DM je Kopf (grobe Schätzung) die persönliche Verteidigungslast annähernd dreimal so hoch war wie 28 Jahre zuvor. Da in der gleichen Zeit die Realeinkommen je Kopf sich ebenfalls etwa verdreifachten (geschätzt), wäre mithin real die je-Kopf-Belastung gleich. Dieses fürwahr bemerkenswerte Ergebnis drückt säkular eine Kontinuität aus, die so interpretiert werden kann: Bei langfristig sinkenden Anteilen der Militärausgaben an verschiedenen Sozialproduktsgrößen ist infolge des durchschnittlichen Wohlstandszuwachses die Belastung je Kopf mit Militär-bzw. Verteidigungsleistungen konstant geblieben; jedenfalls erfolgte sie — bei aller Vorsicht gegenüber den Schätzungen — nicht zu Lasten der individuellen Wohlfahrt. Es muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß es sich um Durchschnittswerte handelt, die Ungleichheiten in der Einkommensverteilung (die aber in den vergangenen 30 Jahren Tendenzen zur Nivellierung zeigt) nicht berücksichtigen,
Eine Betrachtung der Entwicklung der anteiligen Militärausgaben an den gesamten Staatsausgaben und speziell an den Ausgaben des Bundes hat davon auszugehen, daß die Bundesausgaben nur einen Teil der gesamten Staatsausgaben umfassen und demnach der Anteil der Militärausgaben an den Bundes-* ausgaben stets höher ist als der an den gesamten Staatsausgaben. Der Anteil der Militärausgaben an den gesamten Staatsausgaben war in den vergangenen 112 Jahren — abgesehen von den politisch bedingten Rückgängen 1920— 1935 und 1945— 1955 — geringeren Schwankungen unterworfen als der entsprechende Anteil am Zentralhaushalt. Das war in erster Linie die Folge unterschiedlicher Ausgaben-und Einnahmezuweisungen in einem wechselnd förderativ oder zentral geordnetem Finanzsystem. Während vor 1914 im Durchschnitt etwa ein Viertel der gesamten Staatsausgaben Militärausgaben waren, sank der Anteil zwischen 1925 und 1933 auf 15% ab. Selbst im Kriegsjahr 1940 lag er nicht höher als im „Nachkriegsjahr" 1872 1951 erreichten die Besatzungskosten als „stellvertretende Militärausgaben" etwa den Stand von 1881— 1900. Folgerichtig zu den gegenüber den Besatzungskosten niedrigeren Militärausgaben des Bundes sinkt deren Anteil auch an den gesamten Staatsausgaben seit 1955. Sie erreichen 1982 mit 13, 6% — nach geringeren Schwankungen zwischen 1970 und 1978 — ihren bisher niedrigsten Stand. An dieser Entwicklung hat die vermehrte Staatstätigkeit der Gebietskörperschaften (ohne Bund) aber offenbar nur geringen Anteil, zumal gleichzeitig der Anteil der Militärausgaben an den gesamten Bundesausgaben vergleichbar abnimmt. Jedenfalls sinkt der Prozentsatz der Militärausgaben an den Bundesausgaben von ursprünglich 34% (1956/57) auf ca. 18— 19% (1982 und 1983) ab. Da der Anstieg der absoluten Ausgaben für das Militär zwischen 1955/56 und 1967 einen gradlinigen Trend erkennen läßt, ist der anteilmäßige Rückgang, vornehmlich seit 1969, auf den schnelleren Anstieg der übrigen Bundesausgaben zurückzuführen. Erst in den letzten zwei Jahren zeigen die Militärausgaben der Bundesrepublik (wieder) einen verstärkten Anstieg. 2. Die innere Struktur der Militärausgaben Die derzeitige Situation der Struktur bundesdeutscher Militärausgaben kann besser verstanden werden, wenn man sich auch hier einige säkulare Entwicklungen vor Augen führt, woraus sich Folgerungen für die Analyse künftiger Entwicklungen ergeben. Dabei gilt es, auf vier Hauptentwicklungen aufmerksam zu machen.
Erstens hat sich in der Bundeswehr eine neue Verteilung von Ausgaben für die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe, Marine ergeben. Vor 1914 war die Rüstung des Reiches überwiegend eine Flotten-und Artillerierüstung gewesen. In den dreißiger Jahren trat die Luftwaffe mit einem beträchtlichen Kostenblock hinzu, der im Laufe des Zweiten Weltkrieges neben dem U-Boot-Bau noch an Bedeutung gewann. Knapp 20% der Militärausgaben entfielen 1900 auf die Marine, das übrige waren Heeresausgaben. 1964, am Ende der ersten Aufbauphase der Bundeswehr, betrugen die Ausgaben für die Bundesmarine nur 10, 6%, die für das Heer 37, 7% und die für die Luftwaffe — die besondere Kostenschübe kennt — 27, 5%. Mit dieser Neuverteilung ging eine andere, auch international zu beobachtende Entwicklung einher: die den Teilstreitkräften nicht zumeßbaren Aufwendungen (für gemeinsame Kommandobehörden, Ausbildungseinrichtungen, Logistik, zentrale militärische Dienststellen usw.) stiegen von nur 0, 9% im Jahr 1933 auf 24, 2% an. Luftwaffe und Marine sind traditionell kapitalintensive Teilstreitkräfte, im Heer hat sich mit dem Verschwinden der traditionellen Figuren des Infanteristen und Grenadiers der Kapitalstock je Soldat/Offizier hingegen offensichtlich nur langsam erhöht.
Eine höhere Kapitalintensität einer Armee zwingt auch zu höheren Neuinvestitionen bzw. zu erhöhten Rücklagen für Abschreibungen, vornehmlich dann, wenn die Gebrauchs-dauer eines Waffensystems infolge des schnellen technischen Fortschritts langfristig kürzer wird. Panzer, Flugzeuge und Geschütze haben heute eine spürbar kürzere Lebensdauer. Schon von daher muß sich die Zusammensetzung von Militärausgaben anders ausnehmen. Diese zweite Entwicklung hat unmittelbar eine dritte innerhalb der Militär-ausgaben verschärft.
Angesichts der Neigung, die Besoldung für Soldaten und Offiziere der Besoldung im öffentlichen Dienst gleichzustellen, hat sich, verstärkt durch die Tendenz zu mehr Offiziers-und Unteroffiziersplanstellen im Verhältnis zu einfachen Soldaten, der Anteil der Personalausgaben an den gesamten Militär-ausgaben drastisch erhöht. Sie zählen, ähnlich wie die im Trend ebenfalls gestiegenen Wartungskosten für militärisches Großgerät, zu den laufenden Betriebsausgaben.
Das mußte zur Folge haben, daß die verteidigungsinvestiven Ausgaben anteilig rückläufig waren, was wiederum die Stückzahlen bei der Beschaffung großer Waffensysteme (Fregatten, Starfighter, MRCA — Tornado, Alpha-Jet, Awacs-Aufklärung, Raketen) berührte. Nur so ist die Entwicklung zu immer kleineren Stückzahlen großer Waffensysteme verständlich (Starfighter: 624 Stück, MRCA: 322 Stück, geplante taktische Kampfflugzeuge der neunziger Jahre: 170 Stück usw.). Angesichts dieser Entwicklung entschloß man sich, den Anteil der Investitionsausgaben, einschließlich der für die Infrastruktur (u. a. Flugplätze, Kasernen, Großwerkstätten, Rohrleitungen), nicht unter 30% der gesamten Militärausgaben absinken zu lassen. Dieser Prozentsatz konnte bisher etwa gehalten werden, wobei freilich der Begriff der Investition oft großzügig ausgelegt wurde
Dieser Konkurrenz zwischen laufenden Betriebsausgaben und Investitionsausgaben entspricht eine vierte langfristige Entwicklung, die die heutigen die Militärausgaben nicht nur in der Bundesrepublik auszeichnet. Bis zum Krieg von 1870/71 hielten sich Personaland Sachausgaben die Waage. Zwischen 1870 und 1914 verschob sich das Verhältnis zwischen personellen und sachlichen Militärausgaben zugunsten der Sachausgaben in wechselnden Stößen, die sich aus dem unterschiedlichen Rhythmus von Heeresaufstockung und Flottenrüstung erklären. Vor Kriegsausbruch 1914 betrugen die Sachausgaben nach anfangs höheren Anteilen schließlich mehr als das dreifache der Personalausgaben In den ersten Jahren der Bundeswehr hat sich dieser Anteil auf mehr als das Vierfache kurzfristig erhöht. Er sinkt dann aber aus den obengenannten Gründen kräftig ab. Besoldungsniveau und Besoldungsstruktur auf der einen, expotentiell steigende Kosten für Großwaffensysteme auf der anderen Seite, einschließlich deren teuer werdende Wartung und Pflege, haben im übrigen auch den parlamentarischen Kampf bei der Aufteilung von Militär-ausgaben auf die genannten (Grob-) Kategorien verschärft. Daß diese Situation internationale Abrüstungsverhandlungen und deren Chancen in einem neuen Licht erscheinen läßt, sei nur erwähnt. Die Bundesrepublik hat an diesen allgemeinen Entwicklungen teilgenommen mit der Besonderheit, daß infolge der im internationalen Vergleich konventionellen Bewaffnung der Bundeswehr größere Kostenschübe, verursacht auch durch steigende Forschungs-und Entwicklungsausgaben bei wachsender Ausreifungszeit der Systeme auf dem Weg vom Reißbrett zur Auslieferung an die Truppe (6— 8 Jahre gelten als normal), vermieden werden konnten.
Ein Blick auf den US-Verteidigungshaushalt, der für 1983/84 nach Kürzungen mit umgerechnet mindestens 760 Milliarden DM anzusetzen ist, zeigt, daß es besonders die Nuklear-und Hochelektrotechnik ist, die diese Kostenexplosion verursacht und den US-Verteidigungshaushalt auf die 16fache Höhe der bundesdeutschen Verteidigungsausgaben anschwellen läßt. Von dieser Entwicklung blieb die Bundesrepublik verschont.
Sie teilt hingegen mit anderen, industriewirtschaftlich ähnlich strukturierten NATO-Staaten den Anstieg einiger kleinerer Kapitel des Einzelplanes Verteidigungsausgaben. Dazu gehören vornehmlich Ausgaben für Komman-dobehörden, Truppen usw. (1403), Ausgaben für die Bundeswehrverwaltung und Personal-ausgaben für das Zivilpersonal (1404), für das Bildungswesen (1405) — wenn auch insgesamt auf niedrigem Niveau von 1983 287 Mio. DM —, für Unterbringung (1412). Seit 1958 lag der Anstieg dieser Kapitel bei den Bildungsausgaben mit dem 23fachen am höchsten, ge-folgt von den Ausgaben für die Bundeswehr-verwaltung (14fach), für die Kommandobehörden usw. (8fach). Demgegenüber hielten sich die Bewilligungen im Rahmen der Mitgliedschaft der NATO mit 171 Mio. DM (1958) und 1746 Mio. DM (1983), also einer Verzehnfachung, angesichts des politischen Gewichtes der NATO in Grenzen.
IV. Künftige Entwicklungslinien unter verschiedenen Annahmen
1. Fortschreibung der Bundesausgaben Die erste Möglichkeit, Aussagen über die Zukunft bundesdeutscher Militärausgaben unter betont fiskalischen Aspekten zu treffen, geschieht unter der Annahme, daß die Bundes-ausgaben lediglich fortgeschrieben werden. Dabei darf man davon ausgehen, daß die Fortschreibung linear geschieht. Selbst wenn die Verteidigungsausgaben eine leichte Zunahme innerhalb des Gesamtbudgets erfahren, ändert das an den Folgen nichts oder nur wenig, die sich daraus für den Verteidigungshaushalt ergeben, sofern das exponentielle Wachstum sich in engen Grenzen bewegt. Unter der Annahme, daß Gesamtbudget und Verteidigungshaushalt gleichförmig steigen, ändert sich der Anteil der Militärausgaben an den Bundesausgaben nicht.
Das gleiche gilt für die Beziehung Verteidigungsausgaben zum Sozialprodukt, wenn die Investitionsquote gleich bleibt und die Bundesstaatsquote ebenfalls. In diesem Falle wird allein die innere Struktur der Verteidigungsausgaben zum Problem. Wird zusätzlich unterstellt, daß der Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben nicht gesteigert werden kann, ergibt sich bei weiteren heftigen Kostensprüngen im Bereich der Entwicklung, Erprobung und Beschaffung von militärischem Großgerät, daß vorhandene Beschaffungsprogramme entweder gekürzt, gestrichen oder zugunsten relativ billigerer Waffensysteme umgewandelt werden müssen. Zeitliches Strecken, wie oft in der Vergangenheit vorgenommen, verschiebt die Problematik nur weiter in die Zukunft.
Betrachtet man wie bisher die Stückzahl großer Waffensysteme als Variable, so wird in absehbarer Zeit der Punkt erreicht, in dem angesichts der Vielfalt, des schnellen Wechsels sowie der ungleichen räumlichen Verteilung künftiger Gefechtsbilder der Auftrag für einzelne Waffensysteme von diesen nicht mehr erfolgreich durchgeführt werden kann.
Im Zweifel muß er, da die Struktur der Bewaffnung nicht mehr dem vom möglichen Gegner aufgezwungenen Gefechtsbild entspricht, abgebrochen werden. Der Vietnamkrieg lieferte dafür mehr als eine Erfahrung. Hier ist der Ort der Diskussion über eine billigere, wahrscheinlich zugleich konventionellere Bewaffnung und alternative Verteidigungsstrategie. Zwar kann u. U. die Atomschwelle angehoben werden, die Entwicklung immer kleinerer atomarer Gefechtsfeldwaffen sowie die z. B. mit einer flächendeckenden Kleinverteidigung verknüpften Ungewißheiten strategischer und taktischer Natur erschweren jedoch wahrscheinlich großzügige Umstellungsprogramme in der Bewaffnung. Andererseits gibt es ein amerikanisches Rechenmodell, wonach wenige Jahre nach der nächsten Jahrtausendwende infolge der gigantischen Kostenentwicklung z. B. bei Kampfflugzeugen nur noch ein Flugzeug hergestellt werden könnte, das den Gesamtetat der Luftwaffe verschlingt und das allein den militärischen Auftrag der Luftwaffe wahrzunehmen hätte. Dieser Grenzfall macht die Dringlichkeit rechtzeitiger Umstrukturierungen deutlich. 2. Relative Steigerung der Verteidigungsausgaben im Bundeshaushalt Unter der zweiten Annahme, daß bei gleich-bleibender Bundesstaatsquote die Verteidigungsausgaben stärker steigen als die Ausgaben der übrigen Ressorts, wird zugleich vorausgesetzt, daß der Bundeshaushalt intern eine beachtliche Flexibilität aufweist und daß es tatsächlich zu einer spürbaren Umschichtung der Ausgaben einzelner Ressorts zugunsten der Verteidigung kommt. Da es aber zum Programm der derzeitigen Regierung gehört, daß der Bundeshaushalt nur mit geringen Zuwachsraten wachsen, die Nettokreditver-B schuldung abgebaut und durch weitere Sparmaßnahmen der Haushalt auf einem Niveau konsolidiert werden soll, das unter dem liegt, was einem linearen Wachstum entspricht, dürfen die Manövriermassen, die für diese Operation zur Verfügung stehen, nicht sehr hoch eingeschätzt werden. 3. Erhebliche Steigerung des Verteidigungshaushalts Die dritte Annahme ist die, daß der Verteidigungshaushalt zwar, ähnlich wie in den USA unter Präsident Reagan, überproportional wächst, die künftigen Kostensprünge aber so erheblich sind, daß sie im nationalen Rahmen selbst (mit der Zeit ebenfalls teurer werdende) zunächst „billigere" alternative Verteidigungsstrategien berühren. Diese ernste Situation zwingt dann zu neuen verteidigungspolitischen Überlegungen innerhalb der Allianz, einschließlich deren Finanzierung. Es muß beachtet werden, daß die NATO sich heute, im Gegensatz zu den Plänen für eine Europäische Verteidigungsmeinschaft (EVG) Anfang der fünfziger Jahre (Europa-Armee), im wesentlichen durch eine parallele nationale Finanzierung auszeichnet, bei der die gemeinsamen NATO-Aufgaben gleichsam aus jährlichen Beiträgen der nationalen Verteidigungshaushalte finanziert werden. Diese Beiträge — zu Beginn der achtziger Jahre für die Bundesrepublik weniger als 2 Milliarden DM jährlich — bilden bisher eine nahezu marginale Größe. Weder kennt die NATO derzeit, wie es für die EVG vorgesehen war, einen gemeinsamen Militärhaushalt noch einen eigenen Finanzkommissar und eine eigene Finanzrechnungsbehörde. Eine weitere Schwierigkeit, die nur erwähnt werden soll, liegt darin, daß alle europäischen Militärbudgets heute noch immer nach Grundsätzen aufgestellt und vollzogen werden, die dem und 19. Jahrhundert entstammen. Zwar haben Einrichtungen wie die Mittelfristige Finanzplanung und die Verpflichtungsermächtigungen für künftige Haushaltsjahre eine gewisse Flexibilität in das Zentralbudget hineingetragen; allein schon ein Blick auf die Kapiteleinteilung des Verteidigungshaushaltes zeigt jedoch den starken traditionellen Einfluß einer Budgetpraxis, die während der napoleonischen Kriege bereits die gleiche Gliederung des Militärhaushaltes kannte wie noch heute. Eine Voraussetzung für eine künftig flexiblere Gestaltung von Militärausgaben ist jedenfalls eine stärker funktionale Denkweise sowohl bei der Aufstellung und dem Vollzug des Haushalts als auch im politischen Denken in Militärhaushaltskategorien überhaupt. Die seit Jahren angefertigten und dem Bundeshaushalt vorangestellten Haushaltsquerschnitte sind ein erster Schritt in diese Richtung. Wichtiger ist aber eine Budgetierung, und sei es inoffiziell (aber öffentlich), nach militärischen Funktionen (missions). Sie kann nicht nur die im traditionellen Etatdenken leicht versteckbare Problematik von Militär-ausgaben sichtbar machen, sondern Lösungen für die Zukunft verdeutlichen. Jedenfalls ist es vorstellbar, daß in Zukunft nicht mehr die bloße Verteilung einer für einen Einzelplan parlamentarisch bewilligten Finanzmasse auf eine vorgegebene Titelstruktur, die bereits die Zusammensetzung des Haushaltsvoranschlages beherrscht, im Vordergrund steht, sondern eine nach militärischen Funktionen geordnete Aufteilung der zur Verfügung stehenden Gelder, an Hand derer dann auch die militärische wie gesamtwirtschaftliche Verteidigungsleistung erkannt und überprüft werden kann. Man muß dann primär von der Frage ausgehen, wieviel z. B. für Luftverteidigung, ABC-Verteidigung, Luftunterstützung für Bodenstreitkräfte und für Küstenschutz, Sicherung des (transatlantischen) Nachschubs usw. ausgegeben werden soll. Nur so wird eine sparsame Verwendung von künftigen Verteidigungsgeldern möglich sein. 4. Möglichkeiten innerhalb der NATO Da die Bundeswehr insgesamt und nicht nur mit einem Kontingent in die NATO integriert ist, muß die Bundesrepublik an einer Neuordnung der Finanzen im Bündnis besonders interessiert sein, zumal die Bundesrepublik, im NATO-Rahmen gedacht, ein Vorfeld möglicher militärischer Aktionen darstellt, auf dem sowohl Vorne-als auch Vorwärtsverteidigung diskutiert wird. , Darf schon von einer Umstellung vom herkömmlichen Etatdenken auf eine (militär-) funktionale Budgetpraxis ein Spareffekt für Militärausgaben erwartet werden, so gilt das gleiche für eine Neuordnung der Militärfinanzen im Bündnis überhaupt, weil bisherige Reibungsverluste und restnationales Prestigedenken vermieden werden können, die sich beide retardierend oder lähmend auf die Finanzierung einer unteilbaren gemeinsamen westeuropäischen Sicherheit auswirken 18). In-nerhalb der NATO beschränkte sich bisher die Zusammenarbeit auf Rüstungskooperation und Rüstungsstandardisierung auf der „physischen" Seite und auf die schon erwähnte, geringe finanzielle Gemeinschaftsleistung für als gemeinsam deklarierte Aufgaben. Der Schritt zu einem gemeinsamen NATO-Haushalt unter europäischer oder NATO-Kontrolle schafft zwar die oben angerissenen Probleme nicht aus der Welt, läßt ihre Lösung aber in einem helleren Licht erscheinen. Finanz-und budgettechnisch kann man an drei Varianten denken. Das umfassendste Experiment ist zweifellos die Überführung aller bisherigen nationalen NATO-Ausgaben in einen gemeinsamen NATO-Vollhaushalt. Das wäre mit massiven nationalen Kompetenzverzichten vor allem auf dem Gebiet des Bewilligungsrechtes und der nachträglichen Rechnungskontrolle verbunden.
Aber selbst ein NATO-Teilhaushalt, in den jedes Land einen bestimmten Sockelbetrag seiner Verteidigungsleistungen einbringt, bedeutet gegenüber dem heute praktizierten Verfahren einen Vorzug. Zu klären wäre dann noch die Frage, für welche z. B. konventionellen oder nuklearen Bereiche ein NATO-Teil-haushalt zu stehen hätte. Denkbar ist z. B. ein gemeinsamer Nuklearhaushalt, dessen Höhe und Zusammensetzung mit internationalen Abrüstungsverhandlungen koordiniert werden könnte. Die Finanzierung eines solchen gemeinsamen (Teil-) Haushaltes könnte entweder durch eine bestimmte Quote der Mitgliedstaaten des Bündnisses erfolgen — ohne Rücksicht darauf, wie diese Quote national aufgebracht wird — oder durch bestimmte nationale Einnahmen, die — unter Aufhebung des alten Haushaltsgrundsatzes gebotener Zweckbindung (Non-Affektion) — finanziert werden müßten.
Dabei kann man durchaus daran denken, im Zuge einer weiteren sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Integration Westeuropas z. B. neue Steuertatbestände zu schaffen, die ihrem Sinne nach einer großräumigen westeuropäischen Verteidigung entsprechen, wie etwa eine europäische Transportsteuer. Macht man europäische Militärausgaben von bestimmten Einnahmen abhängig, muß berücksichtigt werden, daß diese Einnahmen — vor allem wenn mengen-und wertbezogene Besteuerungsmerkmale gewählt werden — Schwankungen unterworfen sind, die mit sicherheits-und militärpolitischen Absichten nicht synchron laufen müssen. Der Weg, der hier gemeint ist, besitzt sowohl integrationspolitische wie fiskalische Vorteile gegenüber der Praxis der Gegenwart:
Erstens würde die gemeinsame produktionswirtschaftliche Verantwortung für die Bewaffnung und Ausrüstung der NATO gestärkt werden, die weit über die bisherige Rüstungskooperation bei Gemeinschaftsprogrammen hinausgeht.
Zweitens würden die gemeinsamen Sicherheitsanstrengungen vor den Völkern der Gemeinschaft wie nach außen demonstriert werden.
Drittens könnte ein gemeinsamer NATO-(Teil-) Haushalt ein Schritt auf dem Wege zu einer künftigen europäischen Finanzpolitik sein, und sei es zunächst nur dadurch, daß die Institution eines europäischen Finanzausgleiches durch eine Quotenregelung geschaffen würde, dem die Finanzierung anderer gemeinsamer europäische Aufgaben, z. B. im Verkehrswesen, folgen könnte.
Viertens könnte ein gemeinsamer NATO-(Teil-) Haushalt die Finanzierung sicherheitspolitischer Belange von konjunktur-und wachstumspolitischen Absichten abkoppeln, die ohnehin nur in seltenen Fällen parallel zueinander verlaufen.
Damit würde der Gefahr begegnet werden, für Zwecke der (gemeinsamen) Sicherheit ausgegebene Mittel konjunktur-und wachstumspolitisch zu über-oder zu unterschätzen und sie möglicherweise im falschen Augenblick gegeneinander aufzurechnen oder zu verwenden. Sowohl Budgetdefizite als auch -Überschüsse könnten im Verteidigungsbereich ausschließlich nach sicherheitspolitischen Überlegungen für einen integrierten oder in Integration stehenden Raum eingesetzt und dem Zugriff nationaler Konjunktur-politik entzögen werden. Auch könnten integrierte Finanzen gemeinsame Strukturausgaben nicht allein für den militärischen Sektor bestreiten helfen.
Abgesehen von der Einheitlichkeit, die mit Hilfe eines gemeinsamen Budgets bei dessen Kapitel-und Titeleinteilung erzielbar wäre, käme das Gewicht der europäischen NATO-Partner stärker zum Ausdruck. Geostrategische Gesichtspunkte bei der Verteilung von Lasten können freilich nur einbezogen werden, wenn internationale Abrüstungsbegrenzungs-und Rüstungskontrollverhandlungen für längere Zeit künftige Kriegsbilder festlegen. So läßt sich z. B. vorstellen, daß die Bundesrepublik bei erwarteten ausschließlich konventionellen militärischen Abwehrreaktionen über einen künftigen Finanzpool im Rahmen einer integrierten Finanzierung Zuschüsse von anderen NATO-Staaten erhält.
Ende Januar 1984 hat eine Gruppe britischer Verteidigungsexperten unter Luftmarschall Lord Cameron im Rahmen des British Atlantic Committee einen Bericht vorgelegt, der eine Reihe von Punkten enthält, die mit den hier vorgestellten Überlegungen harmonieren. Der Bericht plädiert — im großen gesehen — für eine Anhebung der atomaren Schwelle durch verstärkte konventionelle Rüstung. Der Westen besitze derzeit für die Abschreckung nicht nur zu viele, sondern auch zu teure Waffen. Offenbar denken die britischen Experten nicht nur an den auch von deutscher Seite schon ausgesprochenen Verdacht, daß im Verteidigungsfall zwar viele Hochpräzisionswaffen und dennoch für den einzelnen Zweck zu wenige vorhanden sind, sondern auch daran, daß ein Abbau des Nukleararsenals, unabhängig von internationalen Verhandlungen, finanzielle Mittel für die konventionelle Rüstung freisetzen könnte.
Allerdings plädieren die Briten auch für den Aufbau eines chemischen Waffenarsenals, auf das die Bundesrepublik feierlich verzichtet hat. Hier wird deutlich, daß ein verstärktes „poolen" von Militärausgaben in der NATO — und sei es nur im Bereich des europäischen NATO-Raumes — die Bundesrepublik auch von den ihr derzeit zufallenden Hauptausgaben für eine Vorneverteidigung entlasten könnte.
Ernst-Ludwig (Lutz) Köllner, Dr. rer. pol., geb. 1928; Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München; seit 1967 im wissenschaftlichen Bundesdienst; seit 1976 Berater der Vereinten Nationen in finanzwissenschaftlichen Fragen der Abrüstung. Veröffentlichungen u. a.: Militärausgaben und finanzielle Abrüstung, ein sicherheitspolitisches Programm der Vereinten Nationen, München 1981; Military Expenditures, Developing Aid and the Stability of the World Monatary System, in: Berichte des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Bundeswehr, Heft 26, München 1981; Militär und Finanzen. Zur Finanzgeschichte und Finanzsoziologie von Militärausgaben in Deutschland vom Dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart, München 1982; Mitarbeit am Lexikon für Militärökonomie, Regensburg 1984.
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